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Graf Juan von Lerida, den die Gnade der Königin Isabella sich begnügt hatte, statt einer strengeren Bestrafung nur aus Spanien zu verbannen, hatte, wie erzählt, bei der Anfahrt zur Audienz im Quirinal seiner originellen Dienerschaft den Befehl erteilt, ihn am spanischen Platz mit dem Wagen zu erwarten, um ihn nach dem Zirkus Caracalla zu bringen, auch der des Romulus, richtiger der des Maxentius genannt. Er liegt zur Rechten der appischen Straße vor der Porta von San Sebastiano in der Nähe der Kirche und ist das besterhaltene Überbleibsel dieser Art aus dem alten Rom, wird aber weniger von den Fremden besucht, da er ziemlich weit von der Mitte der Stadt entlegen ist und die Gegend noch heute nicht im besten Rufe steht.
In der Nähe befindet sich die von Papst Damasus 367 auf dem Kirchhof des heiligen Calixtus erbaute Kirche von San Sebastiano, und bei der Kapelle der heiligen Francesca einer der Eingänge zu den Katakomben, die nicht aufgehört haben, stets ein Schlupfwinkel der Vagabonden und Räuber zu sein, die trotz der französischen Besatzung nach der Zerstreuung der bourbonischen Armee und dem Fall von Gaëta wieder sehr an Zahl zugenommen und in letzter Zeit manchen überaus kecken Streich bis fast vor den Toren Roms ausgeführt hatten. Die Fahrt war daher ohne alle Begleitung, selbst bei hellem Tage, nicht ohne Gefahr, und nur das Versprechen eines doppelten Trinkgeldes vermochte den Kutscher des Hotels, sich zu ihr zu bequemen.
Wir wissen jedoch, daß irgend eine Besorgnis nicht geeignet war, den spanischen Abenteurer von einem Vorsatz abwendig zu machen, namentlich wenn er damit noch einen besonderen Zweck verband.
Die Via der Porta San Sebastiano bildet einen langen und ziemlich öden Weg vom Zirkus Maximus bis zur äußersten Ringmauer und der Graf hatte volle Zeit, über die Bekanntschaften, die er so unerwarteter Weise im Quirinal beim Grafen von Kaserta gemacht und erneuert hatte, so wie über die Aufnahme beim Kardinal nachzudenken und seine weiteren Entschlüsse zu fassen. Er freute sich aufrichtig, dem alten Kriegsgefährten aus Indien wieder begegnet zu sein, hoffte am Abend so manches durch ihn von jenen wilden Szenen zu hören, und auch von der Bekanntschaft mit dem Briganten-Capitano, an dessen Namen er sich mit manchem anderen aus den hinterlassenen Papieren seines Oheims erinnerte, Nutzen zu ziehen. Die Auffrischung dieser Erinnerungen war es, die ihn neben den Plänen mit der spanischen Königstochter, veranlaßt hatten zunächst nach Rom zu gehen, und er glaubte Ursache zu haben, mit den Erfolgen seiner Audienz beim Kardinal nicht unzufrieden zu sein. Auch der Charakter des Abbate Calvati begann ihn außerordentlich zu interessieren, und wenn er auch fühlte, daß er hier auf einen ihm ganz gewachsenen, ebenso ränkevollen und gewandten Gegner getroffen war, so hoffte er doch von ihm Nutzen zu ziehen und verließ sich dabei auf sein gutes Glück.
Vor der Kirche hielt die Staatskarosse eines Kardinals, bewacht von vier päpstlichen Gensdarmen. Der Kardinal war ausgestiegen, von der Pfarr-Geistlichkeit mit großen Ehren am Portal empfangen und in die Kirche geleitet, wohin irgend ein Auftrag des heiligen Vaters oder eine Pflicht seines Amtes ihn geführt haben mochten. Eine große Anzahl von Gaffern, Landleuten und Hirten der hier sich öffnenden Campagna, Besitzer der Vignen und anderes Volk hatten sich versammelt, mit der gewohnten, müßiggängerischen Neugier das Schauspiel zu betrachten. Indem der Graf seinem Kutscher zu halten befahl, sah er auf der durch ihre gerade Richtung eine weite Aussicht gewährenden appischen Straße in einiger Entfernung eine gewöhnliche, von einem Vetturin geführten Chaise ankommen. In derselben saßen zwei Frauenzimmer und ein Mann in gewöhnlicher bürgerlicher Kleidung. Der Vetturin, mit dem Eifer dieser Leute, jede Gelegenheit zu einem Aufenthalte zu ergreifen, hielt seine mageren Maultiere an. »Ich dächte, Signor Valdieri, das wäre eine gute Gelegenheit, den Segen einer heiligen Hand für Euch und diese beiden Signorinas zu erharschen. Es dürfte Euch schwerlich in unserem Ponte Corvo die Gelegenheit dazu so leicht wiederkommen.
»Aber ich habe Dir gesagt, guter Anselmo, wie uns der hochwürdige Abbate Calvati befohlen hat, daß wir bei guter Zeit in Rom sein müssen, und nachdem unsere Fahrt unter der Gnade meines Schutzheiligen bis hierher glücklich von Statten gegangen, dürfen wir ihn nicht in Versuchung führen. Du weißt, daß man uns unterwegs gewarnt hat. Dieser unheilige Schuft Fontana soll unter allerlei Verkleidungen bis vor den Toren Roms seine Streiche treiben, und noch vor acht Tagen zwei heilige Frauen beraubt und mißhandelt haben.«
»Dann waren sie gewiß nicht so hübsch, wie die beiden Täubchen, die Ihr unter Euren Schutz genommen, Signor Valdieri, und weil sie nun doch zu spät kommen zu den Freuden des Faschings, solltet Ihr ihnen wenigstens den Trost eines Kardinalssegens gönnen, der doch immerhin etwas kräftiger ist, als der eines gewöhnlichen Abbate. Was übrigens den Matteo Fontana betrifft,« fuhr der geschwätzige Vetturin fort, »so dürften die Herren Gensdarmen hier, die Seine Eminenz begleitet haben, uns am Ende noch wirksamer beschützen, als Euer unbekannter Schutzheiliger.«
»Du sprichst, wie ein Laie es versteht, Anselmo,« sagte der würdige Valdirie, »und redest frevelhaft von meinem sehr mächtigen Schutzheiligen, der kein geringerer ist, als der im Himmel sehr angesehene San Petruccio!«
»Ahi! um so eher,« meinte hartnäckig der Vetturin, der nach der Weinkneipe schielte, die, wie gewöhnlich in der Nähe einer Kirche, nicht fehlte, »um so eher solltet Ihr den Segen Seiner Eminenz nicht verschmähen, der, wie ich eben höre, der große Kardinal Petrucci selber ist!«
»Wie kannst Du nur so frevelhaft sprechen, daß ich, ein armer Bürger, der nur die ersten Weihen empfangen hat und dann gezwungen war, dem heiligen Stand zu entsagen, dem Segen eines so großen Kardinals verschmähen sollte, der ein halber Namensvetter meines Schutzheiligen ist. So will ich denn tun, wie Du rätst und dann unter dem Schutze des großen Mannes und dieser Herren von der Guardia Seiner Heiligkeit meinen Einzug in dem ewigen Rom halten. Sie werden hoffentlich nichts dagegen haben, Madonnas, daß wir hier ein wenig anhalten, und mich in die berühmte Kirche von San Sebastiano begleiten.«
»Wir ziehen es vor,« sagte eine feste Stimme, hier im Wagen auf Ihre Rückkehr und auf die Abfahrt Seiner Eminenz zu warten.«
Der gute Bürger von Ponte Corvo hatte die Chaise bereits verlassen; die Weigerung schien sogar ganz nach seinem Geschmack, und nachdem er dem Vetturin empfohlen hatte, bei dem Wagen zu bleiben und an Ort und Stelle seinen abgetriebenen Tieren eine Hand voll Mais zu geben, damit sie sodann desto frischer die vier Miglien bis zur Herberge zurücklegen könnten, steuerte er mit eiligen Schritten einem Seiteneingange der Kirche zu; denn es verlangte ihn in der Tat, so im Vorübergehen vielleicht den Segen einer Eminenz zu erhaschen.
Es war allerdings ein Zufall gewesen, daß der Graf von Lerida seine Equipage an derselben Stelle hatte halten lassen, die gleich darauf der Vetturin zu seiner Rast gewählt hatte, aber es war jetzt kein Zufall, daß er nach dem Verlassen des Wagens noch in der Nähe verweilte; denn ein Paar Namen, die er in der Unterhaltung gehört, hatten seine Aufmerksamkeit erweckt. Er hätte nicht der Mann sein müssen, der er war, wenn er an der freilich sehr kläglichen Land-Equipage hätte vorübergehen können, ohne einen Blick in das Innere zu werfen, in dem anscheinend junge Mädchen saßen. Sie waren beide in die zierliche Tracht der Bewohnerinnen der Lavoro-Gebirge gekleidet, doch fiel ihm die stolze, fast herausfordernde Haltung der älteren auf, die seinem dreisten Auge mit hochmütigem Blick begegnete, während die jüngere mit offenbarer Neugier den fratzenhaften Jockey auf dem Bock des herrschaftlichen Wagens musterte.
Der Graf rief seinen Leibdiener.
»Aufgepaßt, Mauro,« sagte er auf Spanisch. »Geh' in die Kneipe dort und beschäftige den Fuhrmann mit einer Flasche Wein.«
Der Neffe des smyrnaer Banditen war zu sehr an dergleichen Aufträge gewöhnt, als daß er sich darüber hätte wundern sollen. Er begnügte sich, die Achseln zu zucken, und machte sich davon. Der Graf aber hatte mit Erstaunen bemerkt, wie bei seinen Worten das Mädchen in der Landchaise zusammenfuhr und sich herausbeugte, als habe sie seinen Befehl verstanden. Er näherte sich wie im Vorübergehen dem Wagen und zog höflich grüßend den Hut.
»Guten Tag, Signorinas! Sie haben etwas kühle Witterung zu Ihrer Fahrt gewählt. Darf ich fragen, woher Sie kommen?«
»Von Ponto Corvo, Exzellenz,« sagte die jüngere, während die Andere ein stolzes Schweigen beobachtete.
»Und gehen nach Rom, wahrscheinlich zur Fasten-Andacht? Da können Sie allerdings keinen besseren Leiter zum Himmelstor finden, als meinen frommen Freund, den Abbate Calvati.«
Das Mädchen fuhr erfreut zurück. »Oh, Signore, Euer Exzellenza kennen den Abbate Calvati?«
»Wer sollte den Signore Abbate nicht kennen, einen so vortrefflichen Priester, die rechte Hand des heiligen Vaters. Ich hörte zufällig, daß der Signor, Ihr Begleiter, seinen Namen als den der Person nannte, welche Sie erwartet. Per Bacco! schönes Kind, ich könnte den frommen Herrn um einen so schönen Besuch beneiden, wenn wir nicht so gute Freunde wären.«
» O là! Wenn Sie so gute Freunde sind, dann können mir Euer Exzellenza gewiß sagen, ob der Signor daran gedacht hat, daß mir das Versprechen gehalten worden, welches mir der fromme Vater Gherhardo gegeben hat?«
»Welches Versprechen meinen Sie, schönes Kind?«
»Nun, welches andere, als die Begnadigung meines Vaters am Martedi?«
»Ihres Vaters? Wie heißen Sie denn, Bellissima?«
»Agnola Frangoni, Exzellenza zu dienen, aus Subiaco.«
»Ah so! – aber warum sollte denn der würdige Signor, Ihr Vater, begnadigt werden?«
Die ältere der Insitzenden gab ihrer Gefährtin einen warnenden Stoß, aber das junge Mädchen ließ sich nicht abhalten, weiter zu schwatzen.
»Nun, Exzellenza, Sie wissen ja wohl, daß er Unglück hatte und wegen der zwei kleinen Messerstiche seinen Kopf in die Garotte stecken sollte. Es war ein höchst ungerechtes Urteil, wie die Madre sagt, aber die Verwandten des Erstochenen haben Geld.«
»Und deshalb sollte Ihr Vater dafür büßen. Aber ich erinnere mich in der Tat, daß die guten Römer am Fastnachts-Dienstag um eines der hübschen Schauspiele gekommen sind, und ich hoffe, daß Ihr Vater, schöne Agnola, der Glückliche gewesen ist, was ich bei der Fürbitte von einem solchen Paar Augen gar nicht bezweifeln kann. – Und Sie, mein schönes Kind,« – der Graf wandte sich in seinem lustigen Übermut zu dem anderen Mädchen – »gehen Sie auch zu einer der sehr frommen und sehr hartherzigen Ehrwürdigkeiten, um einen kleinen Fußfall zu tun für einen Verwandten oder Amoroso aus Subiaco, der vielleicht ein kleines Unglück gehabt hat auf der Landstraße, wie dies den Signoris aus dem Gebirge zuweilen passieren soll, obschon es die Ehre hat, sogar Seine Eminenz den Herrn Kardinal Staatssekretär zu seinen Kindern zu zählen. In diesem Fall erlaube ich mir, Ihnen meine Fürsprache anzubieten, da ich zufällig das Glück habe, gerade mit Se. Eminenz sehr gut zu stehen!«
»Sie sollten sich schämen, Signore, wer Sie auch sein mögen, mit zwei schutzlosen Frauen Ihren Spott zu treiben,« sagte die Angeredete mit stolzer Haltung in spanischer Sprache, »und die törichte Schwatzhaftigkeit meiner Begleiterin zu mißbrauchen. Ein solches Benehmen ist eines Caballero unwürdig – ich glaube, der Affe, Ihr Diener dort, würde sich schicklicher benehmen. Ich bitte, gehen Sie Ihrer Wege, Senor!«
»Beim heiligen Loyola! da habe ich eine verdiente Lektion erhalten,« sagte lachend, aber sehr erstaunt der Graf, »und Abbate Calvati hat das Recht, mich heute Abend tüchtig auszulachen, wenn er meine Abfertigung erfährt. Aber sagen Sie mir um aller Geheimnisse der Appia willen, die deren so manche haben soll, wer sind Sie denn, – denn aus dem Nest Subiaco, das nur Kardinäle, Rechtsverdreher und Straßenräuber nach der ewigen Roma schickt, können Sie doch unmöglich stammen, da Sie die Sprache meiner Heimat wie eine geborene Madrilena oder Andalusierin sprechen!«
»Ich bin Spanierin!«
»Und Ihr Name, wenn es erlaubt ist danach zu fragen?«
» Guiliana Bourbon!«
Der Graf tat einen Satz rückwärts, als wäre er von einer Tarantel gestochen.
» Valga me Deos! Solche Zeichen und Wunder können einem auch nur bei Sanct Peter passieren. Reden Sie die Wahrheit. Senora?«
»Ich sollte denken, ich brauche mich ihrer nicht zu schämen!«
»Nein, bei Gott!« Er hatte sich von seinem Erstaunen gefaßt und erinnerte sich dessen, was ihm der Kardinal-Staatssekretär gesagt über eine Mission, in der er den Abbate Calvati nach dem Bord der Yacht des Grafen von Civita vecchia senden wolle in derselben Angelegenheit. »Sollte es möglich gewesen sein, sie bereits herbeizurufen? – doch nein, es muß ein Zufall sein, der sie mir in die Hand führt. Selbst mit dem Telegraphen wäre eine Berufung unmöglich gewesen. Wir müssen von diesem Zufall Nutzen ziehen!«
Er war mit einer gewissen Ehrerbietung vor dem Wagen stehen geblieben. »Senora,« sagte er, den bisher angewendeten spöttischen Ton fallen lassend, »der Zufall ist oft der merkwürdigste Verbündete in der Welt. Wollen Sie mir eine kurze Unterredung unter vier Augen gestatten?«
»Ich bin nicht Herrin meines Willens, Senor, ich bin nicht besser als eine Gefangene und unter Aufsicht.«
»Eine Gefangene? und wer hält Sie gefangen?«
»Vorläufig,« sagte die schöne Büßerin, »der würdige Mann, den Sie in unserer Begleitung gesehen haben, und der von dem Herrn Abbate Calvati, Ihrem angeblichen Freunde, seine Instruktionen hat. Aber, vor allen Dingen, wer sind Sie selbst, Senor, der Sie so neugierig sind?«
»Wer ich bin? Demonio – wenn Senora wirklich die Dame sind, für welche Sie sich ausgeben, und die ich suche, so bin ich einer Ihrer nächsten Verwandten – Ihr Vetter Juan, Graf von Lerida, der Neffe des Viscounts von Heresford, des Gemahls Ihrer angeblichen Mutter, also Ihres Vaters!«
»Meine Mutter! Bei allen Heiligen, was wissen Sie von der Infantin, meiner Mutter?« Sie hatte, ihre bisherige hochmütige Zurückhaltung aufgebend, die Hand auf den Schlag des Wagens gelegt, als wolle sie ihn öffnen und herausspringen.
Der Abenteurer beeilte sich, ihrem Verlangen entgegen zu kommen. »Wenn wirklich Ihr Begleiter Ihr Wächter ist, so werden Sie einsehen, Senora, daß ich Sie um so mehr sprechen muß, bevor er zurückkehrt und uns vielleicht daran hindert. Die Infantin Donna Henrietta von Bourbon, Ihre Mutter, befindet sich in Rom oder vielmehr in Civita vecchia am Bord meines Schiffes!«
»Meine Mutter in Rom? Täuschen Sie mich nicht, Senor, ist es nicht ein neuer Trug jener Pfaffen, die mich meiner Freiheit, meiner Jugend beraubt haben, um mich in ihren Netzen festzuhalten? Sie, ein Freund des Abbé Calvati?«
Der Abenteurer lachte wieder mit seiner ganzen übermütigen Sicherheit. Mit der Freundschaft ist es nicht so weit her, ich habe ihn heute zum ersten Male gesehen; aber Sie werden begreifen, daß wir uns verständigen müssen, unsere Unterhaltung fängt an, Aufsehen zu erregen. Wohin bringt man Sie?«
»Ich weiß es nicht!«
»Das ist verdächtig, und ich bin entschlossen, Sie nicht wieder aus den Augen zu verlieren, obschon ich eigentlich hierhergekommen bin, ganz andere Personen aufzusuchen, die uns in diesem Augenblicke in der Tat, glaub' ich, nützen könnten, denn eine gewaltsame Entführung allein kann ich beim besten Willen in Gegenwart jener Herren dort von der päpstlichen Gendarmerie nicht versuchen.«
»Um Himmelswillen nicht! Man würde mich wieder in jenen schrecklichen Kerker bringen. Ich flehe Sie an, Senor, ersinnen Sie ein Mittel, mir Beistand zu leisten und mich zu meiner Mutter zu führen!«
»Können Sie sich auf Ihre Begleiterin verlassen? wer ist sie?«
»Sie sagte Ihnen die Wahrheit; es ist ein einfaches Landmädchen, bigott und albern, aber sonst gutherzig. Ich glaube, die Personen, die auch mich beherrschten und in ihren Fesseln hielten, haben sich in den Erwartungen auf sie getäuscht, und sie hat jetzt nur die Stellung einer Dienerin.«
»Dann hat sie auch unser Gespräch nicht verstanden?«
»Kein Wort – aber heilige Madonna, dort kommt Signor Valdieri, unser Aufpasser!«
»Sie müssen Ihre Abfahrt zu verzögern suchen – Er wechselte rasch die Sprache, suchte wie vergeblich in den Taschen und sagte dann auf Italienisch: »Ich bedaure sehr, Madonna, Ihr plötzliches Unwohlsein; es ist schlimm, daß ich kein Flacon bei mir habe; – eine Stunde ungestörter Ruhe in jener Taverne, deren Wirtin ich eben an der Tür stehen sehe, würde Ihnen wahrscheinlich gut tun!«
Die schöne Guilana hatte im Augenblick begriffen und sank mit einem Aufschrei ohnmächtig in den Wagen zurück, während der Graf von Lerida den Leuten entgegenging, die eben aus der Kirche herausströmten und Spalier bildeten, den hohen Kirchenfürsten bei der Besteigung seines Wagens noch einmal in nächster Nähe zu sehen. Der scharfe Blick Don Juans hatte rasch unter der knieenden Menge den Signor Valdieri herausgefunden, und, indem er sich neben ihn stellte, berührte er leicht seine Schultern.
»Ich glaube, Signore, einer von den Signorinas, mit denen vorhin Ihr Wagen hielt, ist unwohl geworden, und man hat sie in ein Haus bringen müssen.«
Der würdige Bürger verwünschte im Stillen seinen frommen Eifer, der ihn dazu verführt hatte, seine Schutzbefohlenen auch nur eine Viertelstunde unbeaufsichtigt zu lassen und machte sich eiligst zu dem Wirtshaus, wo er zu seinem großen Verdruß den Vetturin noch bei der Flasche und die beiden Mädchen unter dem Schutz der geschwätzigen Wirtin fand, die sich sehr eifrig gezeigt hatte, die schöne Ohnmächtige auf ihr eigenes Bett bringen zu lassen, und jetzt beschäftigt war, die Kranke wieder zu sich zu bringen und sie zu entkleiden.
Vergeblich war der Protest des Signor Valdieri gegen das letztere Verfahren, vergeblich auch sein Verlangen, die Fahrt fortzusetzen, als seine Nichte, wofür er sie ausgab, endlich für gut befunden hatte, wieder zu sich zu kommen. Donna Guilana stöhnte auf das Herzzerreißendste und erklärte es für unmöglich, in ihrem Zustand einen Wagen zu besteigen, ehe sie nicht wenigstens einige Stunden sich erholt hätte. In dieser Not wurde dem Vetturin von seinem neuen Freunde und Trinkgenossen Mauro, auf einige Worte des Grafen, dem ein toller Schwank durch den Kopf fuhr, gesteckt, sein Herr und Gebieter sei ein berühmter und trotz seiner Jugend hochgelehrter griechischer Arzt, der auf seiner Durchreise in Rom von vielen hochgestellten Eminenzen und Prälaten, ja vom heiligen Vater selbst schon zu Rate gezogen worden, und der es auf eine dringende Bitte hin gewiß nicht verschmähen werde, auch in dem vorliegenden Falle Beistand zu leisten.
Die Italiener sind im Punkt der Arzneikunde überaus leichtgläubig und sehr geneigt, bei umherziehenden Quacksalbern Hilfe zu suchen, und die griechische Tracht des Erzählers, wie das seltsame Aussehen Seespinnes machten den Bericht Mauros um so glaubhafter, sodaß Signor Valdieri sich beeilte, den gelehrten Arzt aufzusuchen und ihn dringend zu Bitten, doch seiner erkrankten Nichte ferneren Beistand zu leisten.
Der fromme Bürger, zu dessen Hause die sechs Büßerinnen nach ihrer Vertreibung aus dem Kloster der heiligen Rosalia gewiesen worden waren, ein blind gehorsamer Diener der Kirche, fand den Grafen von Lerida im Gespräch mit einem Manne, dessen Mantel von Ziegenfell, nebst dem spitzen mit Bändern umwundenen Hut, den Sandalen, der großen Ledertasche und dem langen eisenbeschlagenen Stock, ihn als einen der halbwilden Hirten der nahen Campagna erwies.
» Heureka! Heureka!« sagte der Abenteurer mit einer äußerst ernsten Miene und in einem Gemisch von italienischen und griechischen Wörtern nebst Ausdrücken aus vier oder fünf anderen Sprachen, »mein würdiger Signor, ich sehe, daß die heilige Wissenschaft des Hippokrates sich niemals als trügerisch beweist. Ich sah es sogleich an dem Gesicht Eurer Nichte, als ich an Eurem Wagen vorüberging, um in jene alten Ruinen zu kommen, wohin dieser Mann in Begriff steht mich zu geleiten, damit ich an einigen Inschriften, die sich dort noch an den dreitausendjährigen Quadern finden sollen, wichtige Studien mache, daß der Signora eine schwere Erkrankung drohe, die sogar zu jenem tötlichen Schlagfluß führen kann, den wir Gelehrten apoplexicon nennen, wenn ihr nicht schleunigst Hilfe geleistet werden kann. Ich würde auch keinen Augenblick Anstand nehmen, diesen Beistand zu leisten, als Pflicht des Arztes gegen die leidende Menschheit, wenn nicht eben jetzt die Stunde da wäre, deren helleres Licht allein zur Erforschung der Geheimnisse jener wunderbaren alten Ruinen benutzt werden muß.«
»Aber um der heiligen Madonna von Loretto willen, Signor Dottore,« flehte dringend der Alte, »was braucht ein so gelehrter Mann, wie Ihr schon seid, noch der unheiligen Geheimnisse jener schlimmen Ruinen, die Ihr innerhalb der Ringmauer des heiligen Roms zehnmal besser haben könnt, überdies« – und er zog ihn am Arm zur Seite – »möchte ich Euere Hochgelahrtheit darauf aufmerksam machen, daß es in den Ruinen des Zirkus selbst um diese Tageszeit nicht geheuer ist für einen ehrlichen Mann, namentlich in solcher Begleitung, denn der Kerl könnte leicht eines der Werkzeuge oder Zuführer des berüchtigten Banditen Matteo Fontana sein, der wieder arg auf der appischen Straße sein Wesen treiben soll, und der einen mit seinen Listen nicht vertrauten Fremden in einen jener Schlupfwinkel verlocken kann, deren es in jenen Trümmern unzählige geben soll noch aus der Zeit des verfluchten Mascherato, eines der abscheulichsten Verbrechers und Empörers gegen die segensreiche Regierung des heiligen Vaters, die je existiert haben und noch existieren, ohne daß es der hohen Polizei jemals gelungen wäre, sie zu beseitigen.«
»Das kommt wahrscheinlich daher, weil sie sich niemals die Mühe dazu gegeben hat,« sagte lächelnd der Graf, dem die römische Polizeiwirtschaft zur Genüge bekannt war. »Aber damit Sie sehen, daß die hohe Wissenschaft, die allerdings, wenn mir ein Unglück widerfahren sollte, einen unersetzlichen Verlust erleiden würde, nicht undankbar ist, bin ich bereit, Sie zu Ihrer Nichte zu begleiten und ihr die Kenntnisse des gelehrten Doktors Leridakos zu Gute kommen zu lassen, sobald ich diesem Mann erst noch einige Anweisungen für eine spätere Erforschung der Ruinen gegeben habe. Gehen Sie voran, Signor, und melden Sie mich an.«
Herr Valdieri machte eine tiefe Verbeugung und schritt zu der Taverne voran.
Don Juan trat wieder zu dem Hirten der Campagna, der mit stupidem Gesichtsausdruck der Unterhaltung zugehört hatte. Der Abenteurer aber, der ein scharfer und schlauer Beobachter war, hatte dennoch bemerkt, daß bei der Erwähnung der Namen Fontana und Mascherato ein eigentümliches Lächeln über die wilden Gesichtszüge geflogen war, das eine ganz andere Intelligenz verriet, als sie der Campagnole bisher gezeigt hatte.
»Höre, Freund,« sagte er, »verstehst Du wirklich kein vernünftigeres Italienisch, als Dein verdammtes Patois?«
Der Hirt lächelte verschmitzt. »Wenn Euer Exzellenza es nur mit dem rechten Klange zu begleiten verstehen, werden die Ohren eines armen Sumpfbewohners gewiß nicht verschlossen sein.«
Die Worte waren in gutem Römisch gesprochen, und der Graf sah sogleich, daß er sich in seiner Mutmaßung nicht geirrt hatte.
»Es ist so, wie ich dachte,« sagte er, indem er dem Manne einen Goldscudi reichte. »Ich habe nicht viel Zeit und deshalb knöpfe gefälligst Deine langen Ohren noch weiter auf, als Du vorhin bei dem Namen eines Mannes getan, der Dir am Ende gar nicht so unbekannt gewesen ist.«
»Wen meinen Euer Exzellenza?«
»Ich meine den Mascherato!«
Der Mann schlug ein Kreuz. »Oh, Exzellenza, wir sind ehrliche Leute!«
»Nun, zum Henker! am Ende ist er es auch gewesen. Also Du hast nichts von ihm gehört?«
»Exzellenza,« sagte der Kerl mit schlauer Miene, »ich war damals noch sehr jung!«
»Es ist also schade, daß Du nicht weitere Scudis verdienen kannst, ich hätte gern einige der alten lustigen Kameraden des würdigen Signor Mascherato kennen gelernt, wenn sie noch am Leben, und ich werde mich also an den Capitano Tonelletto wenden müssen, der vielleicht ein besseres Gedächtnis hat.«
»Euer Exzellenza kennen den Capitano Tonelletto?«
»Seit heute Morgen; ich habe die Ehre gehabt, ihn in der besten Gesellschaft kennen zu lernen und werde mich heute abend wieder seiner Gesellschaft erfreuen!«
Der Campagnole sah ihn mit unverhehltem Erstaunen an und sein Gesichtsausdruck verwandelte sich. Die Entschuldigung mit der Jugend war offenbar ein Vorwand, denn der Mann mußte etwa in der Mitte der Vierziger stehen, und jetzt, als er die Maske der tierischen Stumpfheit hatte fallen lassen, die in der Tat viele der Hirten der Campagna an sich tragen, zeigte es sich, daß der Hirt eigentlich ein stattlicher Mann war. Er war von großer, kräftiger Gestalt; das Gesicht, von kräftigem schwarzen Haupt- und Barthaar umrahmt, zeigte keineswegs die krankhafte Farbe der Sumpfbewohner, die fast immer an der Malaria leiden, sondern war gesund und tief gebräunt, unter seltsam dicken Brauen funkelten zwei feurige schwarze Augen hervor und folgten mit einem gewissen sarkastischen Ausdruck den Gestalten der päpstlichen Gendarmen, die sich eben in Bewegung setzten und die abfahrende Kutsche des Kardinals begleiteten. Alles Volk lag auf den Knieen und bekreuzte sich andächtig, während Monsignore Petruccio, der Präsident der Residenz der Bischöfe, die wohlberingte Hand im violetten Seidenhandschuh nochmals segnend aus dem Glasfenster der Kutsche streckte. Auch der Campagnole lag auf den Knieen und schlug eifrig seine Brust, wobei er zu dem stehengebliebenen und sich nur verbeugenden Conde emporschielte.
»Exzellenza sind ein Ketzer, wie es der Signor Mascherato leider war, den ich niemals habe sein Knie beugen sehen, was eine große Sünde und ein noch größerer Fehler von ihm war.«
Der Graf lachte. » Cospetto! also gebt Ihr doch zu, amice, daß Ihr den Mascherato gekannt habt!«
» Olá, Exzellenza,« sagte der Hirt aufstehend und den Schmutz von den Knien klopfend, »das ist jetzt ein anderes Ding, seit die Signori von der Gensdarmerie außer Hörweite sind, und Sie dieselben nicht etwa zum Beistand herbeirufen können, um einen armen unschuldigen Mann ins Unglück zu bringen.«
»So hast Du mir mißtraut und mißtraust mir am Ende noch?«
» Perdono, Exzellenza, aber seit die Signori Francesi in Rom selbst über den heiligen Vater kommandieren, kann man nicht vorsichtig genug sein.«
»Nun, ich denke, Du kannst mir jetzt trauen, wenn ich Dir auf mein Ehrenwort als Kavalier versichere, daß ich den Signor Mascherato sehr gut gekannt und von ihm gar manches selbst gehört habe, was in jenen Ruinen geschehen ist. Eben deshalb wünschte ich jenen Ort zu besichtigen und vielleicht den einen oder den anderen von jener Zeit her kennen zu lernen, um ihnen ein Andenken an ihren alten Capitano zu bringen.«
Der Campagnole hatte respektvoll den Hut gezogen. »Wie, Exzellenza, der Signor Mascherato oder wie der edle Capitano im gewöhnlichen Leben sonst geheißen haben mag, – denn wir haben uns alle wohl gedacht, daß er ein vornehmer Herr gewesen sein muß, der die edle Brigantaggio bloß als Liebhaberei trieb, also er hat jetzt noch an uns arme Teufel gedacht und schickt uns ein Trinkgeld?«
»Ein Vermächtnis in seinem Testament, mein guter Mann!«
»Wie? so sind Seine Exzellenz, der wackere Signor il Mascherato kürzlich des Todes verblichen?«
»Nicht kürzlich, sondern schon vor drei Jahren!«
Der Campagnole bekreuzte sich: »Ich will hoffen, nicht ohne Beichte und Absolution?«
»Ich fürchte beinahe, denn ich glaube nicht, daß der selige Herr je in seinem Leben gebeichtet hat.«
»Ich fürchte auch, aber bei dem heiligen Matteo, meinem Schutzpatron, der Teufel soll mich dennoch holen, wenn ich nicht dem nächsten Pfaffen, den ich antreffe, mit meinem guten Messer die Rippen kitzle, bis er auf die Hostie gelobt hat, für die Seele des armen Verdammten ein Dutzend Messen umsonst zu lesen, damit sie ein paar Jahrhundert früher aus dem Fegefeuer kommt.«
»Tut das, Bester! Ihr seid ein frommer Christ!«
»So mitunter, Exzellenza! Und – was ich fragen wollte, Eure Exzellenza haben sich also wirklich die Mühe genommen, nach so langen Jahren nach Rom zu kommen, um einigen armen Teufeln ihre Erbschaft zu bringen!«
»So ist es mein Freund! Aber es ist bedauerlich, daß ich wirklich erst den Capitano Tonelletto bitten muß, sein Gedächtnis mit der Liste der wackeren Gesellen anzustrengen, die vielleicht noch nicht gehängt oder erschossen worden sind!«
»O, was das anbetrifft, so brauchen Exzellenza nicht erst den sehr würdigen Capitano Tonelletto zu bemühen, der etwas vornehm geworden ist, seit Seine Majestät der König Francesco ihm ein Patent als einem wirklichen Capitano gegeben hat. Es ist wunderbar, ich habe plötzlich mein gutes Gedächtnis wieder gefunden.«
Der Graf lachte. »Ich hoffte es fast! Aber nun sagt mir, Mann, denn dort seh' ich den würdigen Valdieri vor der Tür der Taverne her mich ungeduldig zu seiner Nichte winken, die ich zu kurieren versprochen habe; könnt Ihr mir vielleicht sagen, wie ich einen gewissen Fontana ermitteln kann, der sich gewöhnlich auf der appischen Straße in der Nachbarschaft der Kirche San Sebastiano und des Eingangs zu den Katakomben aufhalten soll. Man hat mir gesagt, daß der Sagrestano der Kirche gegen ein gutes Douceur imstande sein würde, den Mann zu einer Zusammenkunft einzuladen.«
»Euer Exzellenza sind ein so ehrlicher Mann, daß ich Sie bitten möchte, das Trinkgeld für den Signor Sagrestano, der sonst ein sehr verdienstvoller Bursche ist, lieber gleich zu dem Legat zu legen.«
»Sodaß –«
»Wenn Exzellenza so besonderes Verlangen hegen, den Matteo Fontana persönlich zu sprechen …«
»Großes Verlangen, besonders in diesem Augenblick!«
»Ich dachte es mir beinahe!«
»Euer Exzellenza dies in nächster Nähe haben können, oder vielmehr schon seit einer Viertelstunde befriedigt haben!«
Der Mann nahm den Hut ab und machte eine zweite Verbeugung, indem er vorsichtiger Weise zugleich mit seiner andern Hand in die lederne Hirtentasche griff.
Der Graf brach in ein schallendes Gelächter aus. »Ich dachte es mir gleichfalls beinahe!«
»Sodaß also die Geschichte von dem Vermächtnis des hochseligen Signor il Mascherato bloß eine Mausefalle und ein Märchen gewesen ist. Ich bitte Euer Exzellenz, lieber geradezu mir zu sagen, was Sie von dem Matteo Fontana wünschen, der zu Ihren Diensten steht.«
»Keineswegs ein Märchen, mein guter Freund, ich habe vielmehr jedem der noch am Leben zu ermittelnden munteren Gefährten des verstorbenen Mascherato ein Legat von hundert Scudis auszuzahlen!«
Der Bandit machte einen Freudensprung.
»Und ich bin bereit,« fuhr der Conde fort, »das Legat für den würdigen Signor Fontana aus eigenen Mitteln zu verdoppeln, wenn Signor Fontana mir einen kleinen Dienst erweisen will.«
»Tausend für einen, Exzellenza. Worin besteht derselbe?«
Die beiden Signorinas, die mit dem Signore Valdieri angekommen sind, dürfen nicht nach Rom gelangen, wenigstens nicht dahin, wohin ihr Begleiter sie zu führen gedenkt.«
» Pesthe! Auch das habe ich mir fast gedacht.«
»Es macht Ihrem Verstande alle Ehre! Aber in der Tat, ich darf jetzt nicht länger zögern, ohne den Verdacht des Herrn Valdieri zu erwecken, der sonst an meiner medizinischen Gelehrsamkeit einen gelinden Zweifel bekommen könnte.«
Der Bandit machte eine pfiffige Miene. »Euer Exzellenza sind ja auch schwerlich ein wirklicher Dottore!«
»So wenig, wie Meister Matteo ein Kardinal! Nun, auf Wiedersehen, ich werde Euch dann meine weiteren Befehle geben können!«
Der Bandit, wieder mit dem früheren stupiden Gesicht, ging mit dem gewöhnlichen näselnden Ton, mit welchem die Hirten der Campagna die Reisenden zudringlich anzubetteln pflegen, den Hut in der Hand hinter dem angeblichen Doktor drein bis fast an die Tür des Wirtshauses, wo ihn Signor Valdieri mit Drohungen über die Frechheit des Bettelgesindels begrüßte, das nicht einmal eine solche Leuchte der Wissenschaft verschonen könne, wenn ein Menschenleben auf dem Spiele stehe.
Die angebliche Leuchte der Wissenschaft hatte in der Tat einige Mühe, den würdigen Bürger von Ponte Corvo durch die begeisterte Erzählung zu beruhigen, daß er von dem halbwilden Hirten ganz unerwartete höchst wichtige Mitteilungen über das wirkliche Vorhandensein von allerlei den Gelehrten bisher ganz unentzifferbaren Inschriften in verschiedenen abgelegenen Winkeln der Ruine erhalten habe. Er wolle sie morgen, den Winken des Signor Valdieri gemäß, in Begleitung einer Sicherheitswache wieder besuchen und erforschen, weil er jetzt nach Rom zurückkehren müsse, wo er noch eine Konferenz mit den Doktoren Ridgiwater, einem geborenen Schottländer, dem Leibarzt Sr. Majestät des Kaisers von Rußland, Geheimrat Mussimilkowicz, und dem ersten Professor der medizinischen Fakultät von Bologna haben müsse, die zwar alle drei im Grunde Ignoranten wären, deren Zuziehung er anstandshalber aber doch bei der schwierigen Operation an dem ehrwürdigen Monsignore Cospoletti, Erzbischof in partibus von Madras und Buenos-Ayres, nicht ablehnen könnte.
Nachdem er auf diese Weise Signore Valdieri vollends aufs Trockene gesetzt, seinem Diener Mauro den Auftrag gegeben, den Wagen bereit zu halten und im Eintreten einen letzten Blick zurückgeworfen hatte, der ihm zeigte, daß der vorgebliche Ziegenhirt verschwunden war, folgte er dem guten Bürger in die Stube, wo noch immer die so unerwartet aufgefundene Prätendentin für den spanischen Königsthron auf dem Bette der Wirtin lag, sich kläglich geberdete und die Schwerkranke spielte.
Der Abenteurer, jetzt für den Fall des Beistandes des Banditen sicher, hatte bereits seinen Plan entworfen. Seine rastlose, vor keinem Hindernis zurückweichende, nicht von einem höheren Zweck geleitete, nur im vollen Genuß des Lebens und seiner Aufregungen, dessen Aufgabe erkennende trotzige Natur, die ihn gegen die göttlichen Gesetze, wie gegen die Schranken der bürgerlichen Gesellschaft sich aufbäumen ließ, drängte ihn, sich kopfüber in dieses neue Abenteuer zu stürzen, von dem er sich neue Unterhaltung, wenn nicht politischen Einfluß versprach.
Vielleicht hatte Don Juan, das verzogene Kind des Glücks, sich noch bei keiner seiner nur von den Launen des Augenblicks und von dem Zufall bedingten Handlungen, die ihn bald zum Paladin des Königtums, bald zum Verfechter der Revolution machten, weniger Rechenschaft über Ziele und Folgen gegeben, als bei dem plötzlichen Einfall, den günstigen Zufall zu benutzen und sich seiner jungen Verwandten zu bemächtigen, um sie mit ihrer Mutter zu vereinigen.
Es ließ sich nicht verkennen, daß durch viele seiner Handlungen ein Zug der Ritterlichkeit, des Mutes und der Selbstaufopferung ging, deren Nimbus so verlockend für Frauenherzen ist. Ein solcher Zug lag zum Beispiel in seinem Kampf für das Recht der der Thronfolge beraubten Linie der Bourbonen, in seinen kühnen Plänen für den Sieg des Carlismus, und in der Parteinahme für die Rechte der unterdrückten Frauen. Gerade das Abenteuerliche in dem Geschick derselben hatte ihn zu ihrem Paladin gemacht, und obschon er klug genug war, einzusehen, auf wie schwankenden Grundlagen ihre Hoffnungen beruhten, war er doch entschlossen, für ihre Sache einzutreten, abgesehen davon, daß er die Beschützung seiner Tochter für eine Pflicht gegen seinen verstorbenen Oheim hielt, dessen romantischen Charakter er geerbt hatte, freilich entstellt durch die leichtsinnige Hingabe an seine Lüste und Laster und den Mangel eines höheren Ziels. Das treue Festhalten an seinen Freunden und an seinem Wort bis zur Einsetzung seines Lebens wog freilich nur zum Teil seine mehr als leichtfertigen Anschauungen über die Treulosigkeit in der Liebe auf. So waren ihm Gefahr und Intrigue, sei es in der Liebe, sei es in der politischen Bewegung zu einer Lebensnotwendigkeit geworden, in der er früher oder später untergehen mußte. Nach dem Zufall, der ihm im Kloster der Salesianerinnen zu Hilfe gekommen, hatte er sich entschlossen, zunächst nach Italien zu gehen, teils weil der plötzliche Tod des Don Carlos und seiner Gemahlin zunächst alle Verhältnisse der carlistischen Partei geändert und der Fall von Gaëta den Kampf für die Sache der Bourbonen auf andere Bahnen gedrängt hatte, teils weil eine gewisse verletzte Eitelkeit über seine Niederlage in Madrid ihn anreizte, diese Scharte durch irgend einen andern Coup vor seiner Partei und vor sich selbst erst auszuwetzen, ehe er in Paris einen neuen Schauplatz seiner politischen Abenteuer suchte. So bot ihm die Aufgabe, zu erforschen, ob die Tochter seines Oheims noch am Leben, eine willkommene Beschäftigung, und da er sich leicht überzeugte, daß er nur in Rom sich Gewißheit darüber werde verschaffen können, hatte er sich dahin begeben.
Die Art und Weise, wie der Kardinal-Staatssekretär seine Mitteilung aufgenommen, hatte ihm zur Genüge verraten, daß er keineswegs auf falscher Spur sei, daß die Gesuchte noch am Leben war und unter der Botmäßigkeit der Kirche stand, wahrscheinlich in irgend einem Kloster verborgen. Die Klugheit und die tausend Schlangenwege der Politik des römischen Stuhls waren ihm genugsam bekannt, um ihn nicht zweifeln zu lassen, daß eine oder die andere rivalisierende Partei ihre Hand im Spiele hätte, und daß sie nur durch einen Coup, wie er Gelegenheit gehabt hatte, ihn auszuführen, zu einem offenen Vorgehen genötigt werden konnte. Ein gewisses Etwas in dem Benehmen des Kardinals, die Überraschung, die der Kirchenfürst bei der Nachricht, daß das letzte Testament König Ferdinands VII. der Königin Isabella und ihrem Premierminister bekannt geworden, nicht ganz hatte verbergen können, überzeugte ihn, daß seine Vermutung der Verheimlichung dieser Nachricht durch die Jesuiten nicht unbegründet gewesen war, und daß, wenn die Einkerkerung und das Verschwinden jener Gemahlin König Ferdinands ein Werk der Jesuitenpartei war, seine Bemühungen für die Rechte jener Frauen in dem päpstlichen Staatsmann leicht einen Schützer finden könnten.
Jetzt hatte der Zufall ihn so unerwartet grade auf die Person treffen lassen, die er suchte, und er war sogleich entschlossen, sie der Gewalt der Kirche zu entziehen und ihr jedenfalls die freie Entschließung zu sichern.
So überließ er sich denn mit vollem Behagen dem Streich, und als er nach etwa einer Viertelstunde, von dem klugen Wächter der beiden Mädchen unter hundert Bücklingen bis zu seinem Wagen begleitet, die Taverne verließ, war er mit dem Erfolge seiner List vollständig zufrieden.
Mit großer Gelehrsamkeit hatte er dem guten Bürger von Ponte Corvo begreiflich gemacht, daß die kranke Signorina, der er aus einem schnell zum Vorschein gekommenen Flacon einige Tropfen Eau de Cologne eingeflößt, erst in einigen Stunden weiter gebracht werden könne, ohne ihre Gesundheit zu gefährden, und als Herr Valdieri sich auf die Instruktion des hochwürdigen Abbé Calvati berief: seine Schutzbefohlene ohne Aufschub nach Rom zu führen und in einem bestimmten Kloster abzuliefern, hatte er sich erboten, den Signor Abbate, den er sicher sei noch heute bei der großen Operation zu treffen, von dem Unfall in Kenntnis zu setzen. Einige Worte auf Spanisch benachrichtigen die schöne Guiliana, die Abfahrt möglichst bis zum Abend zu verzögern und sich dann für alle Ereignisse bereit zu halten. Er wollte Mauro sofort nach seiner Rückkehr nach Rom noch mit dem Abendzug nach Civita vecchia senden, um an Bord der »Victory« alle Anstalten zur Aufnahme der Dame zu treffen.
So weit war in der Tat alles aufs beste gelungen, aber zu seinem Erstaunen sah der Graf sich vergeblich nach dem falschen Hirten um, um mit diesem das Nähere der Entführung weiter zu verabreden. Dagegen mußte er zu seinem geheimen Verdruß sehen, daß unterdes ein Streifkommando der französischen Besatzungstruppen von der Porta hergekommen war, dessen Sergeant auf Befragen den Leuten erklärte, daß er Ordre habe bis zur Dunkelheit die Gegend zwischen der Appischen Straße und der Eisenbahn zu durchstreifen, um die Sicherheit der Wege zu schützen und alles verdächtige Gesindel aufzugreifen. Signor Valdieri hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als sich den Schutz der Patrouille bei der Rückkehr zur Stadt schon jetzt durch das Versprechen eines guten Trinkgeldes zu sichern, und eben wollte der Graf den Wagen besteigen, als die Ostessa mit einem alten Franziskaner an der Hand herbeikam, dessen langer weißer Bart aus der Kutte bis fast auf die Brust herabreichte, und den vornehmen und gelehrten Signore Dottore bat, dem armen maroden Mönch doch ein Plätzchen im Wagen bis zum Forum zu gönnen, in dessen Nähe sein Kloster belegen sei, das er noch vor dem Abendsegen erreichen müsse.
Don Juan verfluchte innerlich die französische Wachsamkeit und den alten Bettelmönch, überzeugte sich aber, daß er nicht umhin können werde, die Gefälligkeit zu erweisen, wenn er, wie er sich sogleich vornahm, Mauro, statt nach Civita vecchia, zurück nach San Sebastiano schicken wolle, um wenigstens zu erkunden, wohin die beiden Frauen von ihrem Begleiter gebracht werden würden. Überdies hatte sich der Sergeant mit der gewöhnlichen Nonchalance eines französischen Soldaten eingemischt und schien ein Gespräch beginnen zu wollen. » Mort de ma vie, Sie werden ein gutes Werk tun, Monsieur, den alten Burschen hier mitzunehmen, denn wenn Wanderer seines Schlages auch niemals eine andere Gefahr bei den Strolchen laufen, als daß sie ihnen gratis Segen und Absolution erteilen müssen, so ist es doch immer besser, mit zwei guten Pferden den Weg zu machen, als auf zwei morschen Beinen. Ihr müßt bereits eine gehörige Anzahl Jahre auf dem Rücken haben, frommer Bruder, und habt gewiß manche hübsche Dirne auf Euren Rundgängen von ihren Sünden befreit und mancher Bäuerin Hühner und Eier für Euren Bettelsack da abgeschwatzt!«
Der muntere Soldat versuchte dabei den alten Mönch an seinem weißen Bart zu zupfen, fand seine Hand aber so kräftig zurück geschlagen, daß er erstaunt zurück trat.
» Parbleu – Ihr habt wahrhaftig noch mehr Mark in den Knochen als ich dachte. – Nun, Gewehr auf, Kameraden, wir haben keine Zeit, hier länger zu schwatzen, wenn wir zur Ablösung wieder zurück sein wollen. Gute Fahrt, Monsieur, und grüßen Sie alle hübschen Mädchen in der Stadt!«
Der Graf, dem selbst jetzt an Eile viel lag, winkte dem Mönch einzusteigen, was dieser mit überraschender Behendigkeit tat, sich bescheiden auf den Vordersitz setzend. Der Graf schwang sich gleichfalls in die Equipage, warf noch einen Blick zurück auf das Wirtshaus, erwiderte die Reverenz des Signor Valdieri und der Wirtin und hieß den Kutscher so rasch wie möglich zur Stadt fahren.
Vergeblich versuchte er, um seine Gedanken zu zerstreuen, auf dem Weg bis zum Tor ein Gespräch mit dem Mönch anzufangen; der murmelte nur kurze unverständliche Antworten und beschäftigte sich mit seinem Rosenkranz, bis sie das Tor passiert hatten, was nicht ohne einige Späße der lustigen Wachtmannschaft über den frommen Reisegesellschafter abging.
Erst als sie außer Hör- und Sehweite derselben waren, nahm der Terminirer plötzlich unaufgefordert den Platz im Fond neben dem Grafen ein und sagte halblaut: »Nun, Signore, können wir ohne Gefahr plaudern.«
Bestürzt fuhr der Graf zurück, aber ein Blick in die gelüftete Kapuze zeigte ihm die dunklen buschigen Brauen und das listige Auge des früheren Hirten der Campagna.
Dieser legte die Finger auf den Mund und deutete warnend nach dem Kutscher.
»Nun, Exzellenza, wie weit sind Sie mit den Signorina's?«
»Ich hoffe, sie werden nicht vor Eintritt der Dunkelheit die Taverne verlassen. Aber ich glaubte schon, Ihr hättet mich ganz im Stich gelassen, als ich Euch nirgends sah.«
»Das ist nicht meine Gewohnheit; aus den Gendarmen oder Sbirren des heiligen Vaters hätte ich mir nicht viel gemacht, aber mit diesen Schuften von Francesi ist es eine andere Sache, sie sind verdammt neugierig, jagen aber jetzt auf anderes Wild, als auf Euer Exzellenza's ergebensten Diener, sie sollen den Zuzug der Kämpfer für König Franz über die neapolitanische Grenze verhindern. Von der Signora Ostessa, meiner guten Freundin, hörte ich bereits, daß es Euer Exzellenza gelungen ist, die Abfahrt Signoras zu verhindern. Es wäre sonst ein schwieriges Stück gewesen, sie zu entführen.«
»Aber es wird noch schwieriger sein, sie anzuhalten, wenn sie unter dem Schutz der französischen Wachen fahren.«
»Bah, Signor, in der Dunkelheit und innerhalb der Ringmauer der Stadt ist das ein Leichtes.«
»Warum innerhalb der Ringmauern leichter als vor dem Tor?«
»Die Herren Franzosen üben die Polizei nur an den Toren und vor denselben, und mischen sich nicht in solche kleine Angelegenheiten in der Stadt, wenn sie nicht dazu gezwungen werden, überdies ist heute eine Versammlung der Repubblicani's im Colosseo, und ich habe bereits meinen Plan. Sagen mir Euer Exzellenza nur, wohin ich die Signorina's bringen soll?«
»Muß ich dabei sein?«
»Ganz wie Sie wollen, Exzellenza! Wir wollen die Francesi mit einem Enthusiasmus behandeln, daß sie nicht daran denken, von ihren Waffen Gebrauch zu machen und sich den Teufel um den Wagen kümmern werden.«
Der Graf begriff sogleich – er hatte von dem Tagesbefehl des kommandierenden Generals gehört, durch den die Demonstrationen der republikanischen Partei unter dem Vorwand eines Fraternisierens mit der französischen Besatzung verboten wurden.
»Es kommt nur darauf an, daß die Signorina's selber uns keinen Streich spielen und sich etwa weigern, wenn Euer Exzellenza nicht zugegen sind.«
»Das ist nicht zu befürchten.«
»Und darf ich fragen, auf welche von ihnen Euer Exzellenza Ihr Auge geworfen haben?«
»Es handelt sich um die größere – stattlichere; die Andere ist nur eine Dienerin.«
»Was soll mit dieser geschehen?«
»Was Ihr wollt – doch hört, wenn Ihr einen guten Zufluchtsort wißt, wo Ihr die Mädchen sicher verstecken könnt, bis ich sie in meinen Schutz nehmen kann, und die Kleine gutwillig folgen will, könnt Ihr sie auch mitnehmen – sie ist nicht übel.«
»Und ihr Begleiter?« Der würdige Mönch machte eine höchst verdächtige Faustbewegung nach den Rippen.
»Nichts da – kein Blut. Werft ihn meinetwegen in die nächste Gosse.«
»Ich meinte nur – bei einem kleinen Auflauf der Signori Republicani frägt man gegenwärtig in Rom nicht viel nach einem kleinen Messerstich, und er verhindert allen Lärm!«
»Nichts da! Aber werdet Ihr auch den rechten Wagen nicht verfehlen?«
Der falsche Mönch lächelte. »Euer Exzellenza können sie freilich nicht sehen, aber verlassen Sie sich auf mich – ich habe meine Posten, und der Wagen der Signorina's wird auf dem ganzen Wege von den schärfsten Augen bewacht sein. Wollen Exzellenza mich nur wissen lassen, wohin ich Ihnen Nachricht zu bringen habe?«
»Ja, das ist eine besondere Sache. Wir haben, einige Bekannte, ein Rendezvous verabredet in einer Weinkneipe in der Nähe des Tiber, diesseits des Corsos – aber der Teufel soll mich holen, wenn ich den Namen nicht vergessen habe – ich weiß nur so viel, daß es der Sammelpunkt der Herren von dem Brigantaggio sein soll. Der Capitano Tonelletto hat versprochen, uns dahin zu führen.«
»Der Capitano Tonelletto?«
» Si! natürlich unter der Bedingung strenger Diskretion!«
» Corpo di Cristo! es wird doch nicht etwa die Colombaia sein?«
»Ich weiß es in der Tat nicht – aber warum sollte es nicht die Colombaia sein?«
»Nun, weil die Colombaia, oder besser das Haus der Colombaia es gerade ist, wohin ich die Weiber zu bringen dachte, wenn der Streich glückt!«
»Nun, so laßt es die Colombaia sein! Wenn dort eine Bettole ist, werde ich Euch jedenfalls um zehn Uhr da aufsuchen. Einstweilen nehmt – auf Abschlag!« – Er reichte ihm eine Börse mit 30 Goldscudos.
» Grazia, Signore – nur bitte ich Euer Exzellenza, lassen Sie unter keinen Umständen etwas von unserer Verabredung dort oder gegen irgend Jemanden verlauten. Exzellenza würden mich aber dennoch dort kaum auffinden, wenn ich Ihnen nicht das Losungswort gebe, das Ihnen bei der Wirtin Auskunft auf Ihre Nachfrage sichert.«
»Also?«
»Fragen Euer Exzellenz nur nach Matteo und fügen gefälligst bei: Matteo il religioso!«
»Eine seltsame Bezeichnung; Euer Ruf scheint doch in Rom und der Umgegend in ziemlich anderer Weise begründet!«
»Es hat Alles seine Zeit, Signore, vielleicht erzähle ich Ihnen ein andermal, wie ich zu dieser Benennung gekommen bin, doch hier, Exzellenza, sind wir in der Nähe des Colosseo, und ich muß Sie verlassen, denn ich sehe dort einen meiner Leute, dem ich in unserer Angelegenheit noch einen Auftrag zu geben habe!«
Er wies nach einem Gypsfigurenhändler, der seinen Kram auf einen Säulenschaft am Triumphbogen des Konstantin gestellt hatte und müßig die Straße hinabblickte. Der Graf ließ sogleich halten, und der Bettelmönch verabschiedete sich dankend mit Erteilung seines Segens von ihm. Dann befahl der Graf Mauro, sofort einen Fiaker zu nehmen und nach dem Bahnhof von Civita vecchia zu fahren, um sich mit dem ersten Zug nach dem Hafen zu begeben und verschiedene Befehle an die Yacht zu überbringen. Er selbst fuhr mit Seespinne nach dem Hotel, um noch rechtzeitig eine Einladung für den Abend an Capitain Boulbon im Palazzo der französischen Gesandtschaft zu senden.
Die Via di Condotti führt von dem Springbrunnen des Spanischen Platzes nach dem Corso, und ihre Verlängerung an dem Palazzo Borghese vorüber ist die Via della Fontanella, und wird durchschnitten von der Leoncino, die nach dem Monte d'Oro wieder in mehrere kleine Gäßchen mündet. In diesem Teil lag, eine Ecke bildend, das große Steingebäude, in der sich die »Colombai« befand, ein altertümliches, heruntergekommenes Patrizierhaus noch aus dem Mittelalter.
Es war 7 Uhr vorüber, und bereits dunkel. Der Graf Lerida wollte am Arme des jungen französischen Kapitäns, den er im Gesandtschafts-Palais hatte kennen lernen, das Café Constanza in der Via Condotti betreten, als ihn an der Türe der Kapitän des Freikorps aufhielt.
»Wenn es Euer Exzellenza genehm ist, möchte ich Sie bitten, die Signori zu benachrichtigen, daß ich die Ehre habe, sie zu erwarten. Seine Königliche Hoheit und der Herr Abbate Calvati sind schon im Café nebst zwei anderen Herren, Kapitän Chevigné aber befindet sich bereits an Ort und Stelle.«
»Monsieur Le Comte,« sagte der Spanier, »erlauben Sie mir, Ihnen den Capitano Tonelletto vorzustellen, unseren heutigen Wirt oder freundlichen Führer durch die Geheimnisse Roms, den tapferen Führer einer der kühnen Freischaren, die gegenwärtig in den Apenninen und Abruzzen den Herren Piemontesen das Leben sauer machen. Eines seiner geringsten Verdienste ist, daß er sich niemals rühmt, ein Verwandter Seiner Eminenz des regierenden Kardinals zu sein!«
»Des Kardinals Antonelli?«
»Ganz recht; ich fürchte, Seine Eminenz ignoriert die Verwandtschaft, und so ist es Seiner Majestät dem König Franz anheim gefallen, seine Taten mit einem veritablen Kapitänspatent zu belohnen. Wollen Sie mit eintreten, oder ziehen Sie vor, unserem Capitano Gesellschaft zu leisten, bis ich die Herren benachrichtigt habe?«
»Bitte lassen Sie mich hier, die interessante Bekanntschaft zu kultivieren, damit ich in den Cercles von Paris erzählen kann, ich hätte nicht blos die Mandarinen vom blauen Knopf, sondern auch einen wirklichen Helden der Abruzzen kennen gelernt.«
Der Graf entfernte sich, aber er kam schon nach wenigen Minuten wieder, begleitet von dem Prinzen, Signor Grimaldi, Herrn von Saint Brie, dem deutschen Offizier und dem Abbé Calvati. Alle waren in bürgerlicher Kleidung und die gegenseitige Vorstellung war rasch im Weitergehen geschehen. Der Freischaren-Führer stellte sich an die Spitze und machte den Wegweiser, der Abbé ging mit dem Prinzen, Kapitän Boulbon hatte sich rasch an den Vicomte angeschlossen und Lerida den Arm des Joniers genommen. So gingen sie, von gleichgültigen Dingen plaudernd, weiter und waren bald am Ort ihrer Zusammenkunft.
»Hier herein, Signori!« sagte der Brigant, »es ist nicht nötig, Sie durch die allgemeine Schänkstube zu führen, ich habe bereits Alles in Ordnung gebracht.«
Indem er sie durch einen dunklen Hof führte und eine Hintertür öffnete, drückte er den Arm des Abbate. »Um welche Uhr, Ehrwürden?«
»Zehn Uhr!«
» Bene! Es soll Alles fertig sein; die Wirtin ist benachrichtigt und die Zimmer sind bereit.«
»Wenn sie in bester Konversation sind, werde ich Ihnen ein Wink geben.«
»Signora Sibilla! Signora Sibilla!« rief der Brigant, »öffnen Sie gefälligst Ihr Allerheiligstes – die Signori sind da!«
Eine tiefe Baßstimme, von der man kaum glauben konnte, daß sie einem Mitglied des schönen Geschlechts angehörte, ließ sich sogleich vernehmen. »He! stille da, Ihre Schelme, meine Lämmerchen! was braucht Ihr einen Lärm zu machen mit Euren Prahlereien, daß ein ehrlicher Christenmensch sein eigenes Wort nicht versteht, und es ist doch nichts dahinter, als Dunst und Beutelschneiderei, und wenn Ihr ein paar rote Hosen oder ein rotes Hemd seht, lauft Ihr davon wie ein pernice Rebhuhn. in der Campagna! Hier herein, Exzellenzas, und die heilige Jungfrau segne Ihren Eintritt und lasse eine unglückliche Witwe ein paar Scudis ehrlich verdienen!«
Eine Tür flog auf, und ein heller Lichtschein ergoß sich aus einem gut erleuchteten und gewärmten gewölbten Zimmer, in dessen Mitte ein mit sauberem Wachstuch bedeckter langer Tisch stand, auf den dunklen Hausflur. Auf der Tafel standen mehrere Kerzen, während eine aus der Rosette der Decke herabhängende Ampel von oben her das nötige Licht gab. Außer Wärme und Licht aber erfreute die Augen der Eintretenden von der Tafel her der Anblick einer ganzen Batterie jener rundbäuchigen, jedem Kenner wohlbewußten Flaschen mit dem köstlichen Montefiascone, deren Verschluß nur eine leichte Oellage und ein Wergpfropfen bildet, daneben eine Schüssel Kastanien auf einem silbernen Kohlenbecken, die echte seifenartige harte Salami und trockener Mascorroni nebst Weißbrod, die eine so treffliche Kost zu dem milden und doch feurigen Wein bilden.
Einen ganz besonderen Eindruck aber machte auf die muntere Gesellschaft die Ostessa selber, die in der einen Hand einen Leuchter über den anderen Arm eine rote Serviette gelegt, sie in der Öffnung der Tür mit tiefen Knixen empfing.
Allzutief durften diese Knixe übrigens nicht sein oder die ganze Figur hätte sich auf den Fußboden gesetzt; denn diese, obschon breit und viel zu kolossal für ihre Größe, war höchstens vier Fuß hoch, und einen großen Teil dieser Höhe nahm noch dazu der Kopf ein, der mit seinem Doppelkinn auf einem sehr kurzen, fleischigen Hals saß. Die seltsame Ostessa, ihres Äußeren und ihrer Launen wegen damals in ganz Rom bekannt unter dem Namen »Spazzoletta« Kehrbürstchen. war in jeder Beziehung ein Original. Signora Sibilla mochte jetzt etwa fünfzig Jahre zählen, die in Italien keineswegs spurlos an einer Frau vorübergehen; ihr Gesicht hatte den kräftigen römischen Schnitt und auf der schmalen Oberlippe einen ungewöhnlich starken schwarzen Flaum. Die böse Nachbarschaft wollte wissen, daß diese charakteristische Zeichen eines liebebedürftigen Herzens noch jetzt, trotz ihrer fünfzig Jahre, den Inklinationen der kleinen Witwe entspreche; und wenn es auch nicht wahr war, daß Signora Sibilla hübsche und kräftige Männer weit aufmerksamer zu bedienen pflege oder ihnen die möblierten Zimmer ihres Hauses zu weit billigeren Preisen vermiete, als anderen Kunden, so war es doch eine bekannte Tatsache, daß sie sehr gern von Liebesabenteuern und allerlei Streichen sprach, die sie dem ehrwürdigen Sandrolfo, ihrem seligen Ehegatten gespielt haben wollte, und daß sie die Padrona aller unglücklichen Liebespaare nicht blos in der Nachbarschaft, sondern in dem ganzen Rione Rom war damals in 14 Rionis eingeteilt. und weit darüber hinaus spielte. Ja, man erzählte, daß sie, da sie eine sehr wohlhabende und durchaus nicht geizige Frau war, schon manchem jungen Paar durch ihre Unterstützung in den Hafen der heiligen Ehe geholfen hatte. Nur sich selbst hatte sie noch nicht zum zweiten Male in diesen Hafen hineinlootsen können, was am Ende weniger an ihrer eigentümlichen Schönheit gelegen hatte, die gar mancher Freier wohl dem stattlichen Hause und der Wirtschaft zu Liebe übersehen hätte, als, wie man munkelte, an einer gewissen Testamentsklausel des seligen Sandrolfo, der sie eifersüchtig noch in seinem Grabe zum ferneren Cölibat verdammt haben sollte. Wir haben bereits angedeutet, wie ihr weiches Herz dies auszugleichen suchte, und müssen noch hinzufügen, daß eine zweite romantische Schwäche der würdigen Ostessa ihre ganz besondere Antipatie gegen die hohe Polizei war, die sich in einer höchst einflußreichen Patronage für verfolgte Ladroni und Heerstraßenritter äußerte. Nicht etwa, daß die würdige Dame eine solche Schwäche für die ordinären Spitzbuben und Beutelschneider hegte, die auf dem Corso, an den Eingängen der Theater und auf den Oktoberfesten der Villa Borghese und am Monte Testaccio den Fremden die Taschen ausräumen – aber ein echter, rechter Brigant, ein Mann, der sich auf den Landstraßen und im Gebirge einen Namen gemacht hatte, der ein Dutzend kecker Räubereien und Mordtaten auf dem Kerbholz hatte, nach dem die hohe Gendarmerie Seiner Heiligkeit seit Jahren fahndete, ohne ihn je zu fassen oder fassen zu wollen, das war ihr Ideal, ihr Held, und sie hörte nichts lieber als haarsträubende Geschichten, an denen der römische Klatsch es niemals fehlen läßt. Diese romantische Vorliebe hatte nebst gewissen nutzbringenden Verbindungen des seligen Ostiere, die ganz und gar nichts mit den Einkünften der päpstlichen Dogana zu tun hatten, denn auch schon seit langer Zeit der Colombaia einen ganz besonderen Kreis von Stammgästen verschafft, dessen Charakter nach den politischen Strömungen wechselte und gegenwärtig in der würdigen Genossenschaft des Brigantaggio seine Hauptquelle fand.
Den Beinamen Spazzoletta hatte die kleine Donna aber nicht blos der Borstensammlung auf ihrer Oberlippe und der Tapferkeit zu danken, mit der sie allen Besuch, der ihr nicht paßte, aus Gaststube und Wohnzimmer fortzujagen verstand, sondern auch der Gewohnheit, einen kleinen Handfeger stets an ihrem Gürtel hängen zu haben, denn sie war eine merkwürdig reinliche Dame und fegte den ganzen Tag in Wirtschaft und Haus umher. Ihrer politischen Gesinnung nach war Signora Sibilla eigentlich eine große Anhängerin des heiligen Vaters und der Kirche, – dieses hinderte sie aber keineswegs auch einen unglücklichen Republikaner zu protegieren, wenn dieser einmal ihren Beistand suchte oder irgend ein revolutionärer Klub die Oberhand hatte. Jedenfalls führte ihr Bettole den Namen der Colombaia nicht mit Unrecht, und der Maler, der etwa einen Kopf zu einer Staffage à la Salvator Rosa brauchte oder der Politiker, der ein kleines Versteck oder die Gelegenheit zu einer Verständigung mit der Gegenpartei suchte, fand hier sicher das geeignete Individuum.
Nur gegen Eins hatte die würdige Dame einen entschieden ausgesprochenen Abscheu, das waren die roten Hosen der französischen Besatzung, und man war sicher, diese niemals unter dem Publikum des großen Schankzimmers zu erblicken, oder doch bald wieder aus ihm verschwinden zu sehen.
Dies war die würdige Dame, welche die Gesellschaft empfing und deren Charakteristik der Capitano Tonelletto, der zu ihren bevorzugten Lieblingen zu gehören schien, alsbald nach ihrer Entfernung zu großer Erheiterung zum Besten gab.
Jetzt erst, im vollen Licht der Kerzen und Lampen, konnten die einzelnen Teilnehmer einander näher mustern, und das jugendfrische, vornehme Aussehen des französischen Offiziers, der die Trophäen des neuen Sieges der französischen Waffen über die langgezopften Kinder des fernsten Ostens nach Paris überbringen sollte, fand großen Beifall.
»Aber, wo ist denn Chevigné?« fragte, nachdem sich Alle niedergelassen und den Angriff auf die Flaschen begonnen hatten, der Marquis, »was, zum Teufel, sagten Sie nicht, Signor Tonelletto, daß er sich bereits hier befände?«
»Kapitän Chevigné,« sagte der Brigant finster, »befindet sich im Hause, er hat den armen Mann auf seinem schweren Gange begleitet, den er sich zur Buße auferlegt hat, ehe er gänzlich von der Welt Abschied nimmt, um das Blut, das seine Hand mit gebrochenem Herzen vergießen mußte, in ewiger Abgeschiedenheit mit Gebet für die Tote zu sühnen.«
»Ein schweres Schicksal,« sagte der Abbate, der wie die anderen bürgerliche Kleidung trug. »Aber es ist ein Trost, daß sein Unglück ihn zur Erkenntnis geführt hat, daß in dem Schoß unseres heiligen, allein selig machenden Glaubens Trost für alles irdische Leid zu finden ist. Die Heiligen werden auch das Herz des wilden Mannes zur Vergebung stimmen!«
» Corpo di Bacco! Signor Abbate,« meinte der Brigant, »ich möchte keineswegs für den tollen Irländer stehen. Wie ich ihn kenne, möchte er ebenso gut den armen Offizier, der ein wackerer Mann ist, über den Haufen schießen zur Sühne für das Leben der armen Capitana Maria, seiner Schwester; es kommt alles auf seine augenblickliche Stimmung an, und deshalb ist es gut, daß Kapitän Chevigné darauf bestanden hat, ihn nicht allein gehen und dem Manne sich ausliefern zu lassen, wie er es tun wollte.«
»Aber, meine Herren, wovon reden Sie denn da? Was ist das für eine Geschichte? Sie wissen, daß wir ziemlich neugierig sind, und selbst Seine Königliche Hoheit sieht Sie fragend an.«
»Ich weiß jedenfalls nur wenig davon, das, was ich in Gaëta hörte; ich bitte Sie, Capitano, erzählen Sie die traurige Begebenheit, die wenigstens diesen Herren zeigen wird, wie furchtbare Taten dieser frevelhafte Krieg gegen Thron und Kirche hervorgerufen hat.«
» Si davvéro! wenn die Signoris es hören wollen! Ich bin zwar leider nicht dabei gewesen bei dem traurigen Ereignis, oder, bei allen Heiligen, es hätte vielleicht einen anderen Ausgang genommen. Kapitän Chevigné war der einzige Zeuge, und er erzählte es mir, als ich ihn jetzt hier wiedertraf nach seiner Entlassung aus den Händen der piemontesischen Schurken, und, bei Gott, ein Mann wie er ist – er konnte des armen Mädchens nicht gedenken, ohne daß noch die Tränen in seinen Bart rannen.«
»Erzählen Sie, Capitano!«
» In ánima mia – ich bin nur ein schlichter Mann, aber was ich Ihnen hier erzähle, bei der Madonna, es ist die Wahrheit, und Kapitän Chevigné würde Ihnen jedes Wort bestätigen, wenn Sie ihn darum befragen wollten. Ha, per Dio! ich wünschte, ich könnte je an den Wüterich kommen, der den armen Mann zu der Tat zwang, und ich wüßte, wie ich ihm vergelten würde!«
Und er begann jene Tragödie zu erzählen, wie Maria O'Donnel zu der Ehre der Capitanata des Freikorps gekommen, wie sie den Gefangenen das Leben gerettet und darüber selbst gefangen worden und am Kloster der heiligen Rosalia von dem Unmenschen Pinelli zu einer schamlosen, entehrenden Züchtigung verurteilt worden, und wie, als nichts den Wüterich erweichen konnte, die Hand des Mannes, dem ihre Liebe so rasch zu teil geworden, diesem Herzen selbst den Tod gegeben, um ihre Seele rein und fleckenlos zum Himmel zu senden.
Tiefes Schweigen der Männer folgte der einfachen, ergreifenden Erzählung, das nur durch ein heftiges Schluchzen von dem Kamin her unterbrochen wurde, und jetzt erst bemerkten sie, daß die würdige Ostessa dort hinter dem Vorsprung kniete und unbemerkt hereingekommen, die traurige Geschichte mit angehört hatte.
» O Dio; pardone Signori«, schluchzte die Kleine, daß ihr Busen förmlich schütterte, »O Signori, ist es denn wirklich wahr, daß es solche Ungeheuer von Grausamkeit geben kann? Sie werden es nicht übel deuten, daß die arme Sibilla ein so mitfühlendes Herz hat, daß sie unmöglich Ihre werte Gesellschaft verlassen konnte, ehe die arme Miß tot war. Der Capitano Tonelletto weiß, daß ich nichts lieber höre, als solche grausige Geschichten, von denen die Herrn Briganti da drinnen auch so manche zu erzählen wissen, und daß Ihre Exzellenzen sich auf mich verlassen können, ich bin eine verschwiegene Witwe und es ist nur traurig, daß ich ein so gefühlvolles Herz habe! Ohi poverella! aber daß Ihr mir die traurige Geschichte nicht schon früher erzählt habt, Capitano! Den besten Est sollen die Signoris haben, wenn Sie noch mehr solcher Geschichten erzählen und einer armen Witwe gnädigst gestatten wollen, hier im Winkel ein ganz klein wenig zuzuhören. O Dio! und ist es denn wahr, daß der arme blasse Herr, der zu meinem Mietsmann, dem tollen Irlandese und der Lady mit den roten Haaren und dem ketzerischen Maggiordomo gegangen ist, der Sposo von der armen Signorina gewesen ist und sie mit eigener grausamer Hand erschossen hat, und daß er jetzt sein armes Leben dem grausamen Bruder zum Opfer bringen will, der in seiner Tollheit schon zweimal aus einem gesegneten Hause entsprungen ist. O Dio! daß die vortreffliche Donna auch gar so schamhaft sein mußte und sich lieber erschießen ließ, als daß sie diesen schändlichen Piemontesen auch nur den kleinsten Teil von ihrem rovescio gezeigt. Kein Mann wird mir nachsagen, obschon ich gar viele Anfechtungen meiner Zeit erlitten habe, daß ich zum Nachteile des seligen Sandrolfo den Anstand verletzt und irgend etwas gezeigt habe, was nicht jedermann sehen konnte, aber es gibt doch Fälle und Eventualitäten, in denen auch die sittsamste Frau sich auf die Vergebung der heiligen Kirche verlassen muß, für was hätten wir denn unsere Beichtväter – und wer tot ist, der ist tot bis zum Tage des jüngsten Gerichts, das der große Maler Michaelo Angelo so wunderbar in der sixtinischen Kapelle gemalt hat – aber Madonna beschütze uns, nun wird der tolle Irländer dafür dem armen Signore am Ende den Kopf abschneiden, während ich hier schwatze, und die Polizei wird sich darein mischen und die Colombaia verliert ihre Reputation! All' ihr Heiligen ajuto! ajuto! Capitano Tonelletto, Ihr habt die Verantwortung für alles Unglück, das passiert!«
»Haltet das Maul, Ihr tolles Weibsbild« sagte der würdige Briganten-Kapitän ärgerlich. »Wie könnt Ihr es wagen, den vornehmen Herren hier Eure Dummheiten vorzulamentieren? Packt Euch auf der Stelle fort oder wir verlassen das Haus.«
» Perdono perdono; Signori! Das werden Sie einer armen Witwe nicht antun – ich gehe ja schon, Capitano,« und damit trollte die würdige Ostessa eiligst davon, indem sie dem Grafen von Lerida, den sie besonders in ihr Herz geschlossen zu haben schien, einen verliebten Blick zuschleuderte, nicht ohne den geheimen Vorsatz, im ersten günstigen Augenblick wieder zurückzukommen; denn so vornehme und schöne Kavaliere mußten sicher ganz besonders interessante Liebesgeschichten zu erzählen haben, die anzuhören sie gern die ganze Zeche gestrichen hätte.
Übrigens hatte das Intermezzo mit Signora Spazzoletta doch etwas Gutes gehabt, indem es die allzu düstere Stimmung, die gleich zu anfang der Konversation die traurige Geschichte des Briganten hervorzurufen drohte, etwas milderte.
»Es ist ein unerhörtes Verfahren, was die Piemontesen gegen die treuen Verteidiger des legitimen Thrones anwenden,« sagte der Prinz. »Haben diese Männer, die für ihre Überzeugung kämpfen, nicht auf das Völkerrecht Anspruch, das den gefangenen und entwaffneten Feind zu schonen gebietet? Schon hat der Henker Cialdini sich einen Ruf der Art erworben, daß das Volkswort sagt: Der Mund, der seinen Namen nennt, blutet! Die Zahl der auf den bloßen Verdacht hin Eingekerkerten, ein Anhänger meines königlichen Bruders zu sein, wächst, wie man uns von Neapel schreibt, mit jedem Tage; man erschießt in den Ortschaften Männer, Frauen, Kinder, bloß weil sie nicht zu Verrätern an ihren Freunden und Verwandten werden wollen.«
»Das ist die Zivilisation der neuen Zeit,« sagte der Abbate, »die sich frevelnd von dem Regiment der Kirche losreißt; die Jahrhunderte des Barbarentums bieten kaum Taten so blutig und grausam, wie die Gegenwart. Ich lobe mir das sanfte Joch der Kirche.«
»Wo der Fanatismus der Religion oder der politischen Parteiung sich noch in die Kriege der Machthaber mischt, werden diese immer blutiger und grausamer sein, als die bloßen Eroberungskriege. Und dennoch, meine Herren, welche Ströme von Blut auch dieses Ringen Italiens um seine Nationalität und Einigkeit kosten mag, was sind sie gegen das, was ich in Indien erleben mußte!«
» A fé!« meinte der Abbé, dem tapferen Condittiere einen mißtrauischen Blick zuwerfend bei der Andeutung seines politischen Standpunktes. »Hat dieses unruhige Land nicht Gelegenheit genug gehabt zu seiner Einigung und geträumten Größe, als der Bund der italienischen Staaten unter dem wilden Protektorat des heiligen Vaters ihm geboten wurde von Frankreichs Kaiser mit Zustimmung Österreichs und aller Kabinette. Und was Ihren indischen Krieg betrifft, schlimmer kann Ihr Nena Sahib nicht gehaust haben, als diese Generale eines christlichen Königs, Männer wie Cialdini, der Schlächter Fontani und dieser Henkersknecht Pinelli!«
»Den Heiligen sei Dank, daß diesen Sohn des Teufels endlich die Stimme der öffentlichen Meinung, welche die piemontesische Presse so schändlich verfälscht, unmöglich gemacht hat.«
»Wieso unmöglich, Hoheit?«
»Er hat sein Kommando in der Terra di Lavoro verloren und ist nach Turin zurückgesandt worden.«
»Entschuldigen Euer Königliche Hoheit, wenn vom Generalmajor Pinelli die Rede ist, den ich meine – aber es gibt wahrscheinlich zwei Generale dieses Namens in der piemontesischen Armee?«
»Nur den Einzigen,« sagte der Prinz mit Bestimmtheit, »einer unserer schlimmsten Gegner«.
»So macht er jetzt in diplomatischen Missionen, denn Generalmajor Pinelli befindet sich in diesem Augenblick in Rom, im Palazzo des General Guyon.«
»Pinelli in Rom – aber das ist unmöglich! Wie können Sie das wissen, Herr Kapitän?«
»Weil ich gestern den Weg von Fondi hierher mit ihm gemacht habe. Euer Königliche Hoheit wissen, daß ich von Brindisi zu Lande mit Kurierpferden gekommen bin über Foggia und Terracina; der Herr Herzog ist so freundlich gewesen, einen Depeschen-Dampfer in Civita vecchia schon morgen zur Abfahrt bereit stellen zu lassen, und es würde mich freuen, wenn der Herr Marquis und Kapitän Chevigné mir die Ehre Ihrer Begleitung erweisen wollten.«
Der Marquis schüttelte munter den Kopf. »Vielen Dank, bester Graf, aber Sie haben wahrscheinlich noch keine Gelegenheit gehabt, zu erfahren, daß die Offiziere des Gefangenen von Ancona Lamoricière. und der Faubourg Saint Germain nicht so intim mit Herrn Louis Napoleon stehen, um eine solche Gefälligkeit annehmen zu können. Wir müssen daher den Weg durch die Schweiz vorziehen, zu unserem großen Bedauern, davon seien Sie überzeugt.«
»Aber Sie haben uns noch nicht gesagt, was es mit General Pinelli auf sich hat – es ist unmöglich, daß er sich hierher gewagt hat.«
»Und doch ist es so! In Foggia traf ich mit ihm zusammen. Der Posthalter kam und bat mich, ob ich nicht zwei Herren, zwei sardinischen Offizieren, wie er mir im Vertrauen sagte, Platz in meinem Wagen gönnen wolle, weil alle seine Pferde auf der Landstraße wären und der eine es sehr eilig hätte. Da ich nur mit meinem alten Diener oder besser Freunde fahre, war die Sache bald arrangiert, obschon mir die Reisegesellschaft wenig behagte; denn der ältere, der sich mir als General Pinelli vorstellte, ist ein brutaler unangenehmer Mann, aber als Offizier konnte ich nicht anders, und so machten wir die Fahrt bis Rom zusammen.«
»Und was will der Mörder hier?«
»Er kommt als Bevollmächtigter des kommandierenden Generals an das französische Gouvernement, vielleicht auch an den römischen Kriegsminister. Ich hörte zufällig, daß er unter anderem Beschwerden erheben soll gegen die Unterstützung der Brigantaggia, da von Rom aus großer Zuzug in die Gebirge geht!«
Der Prinz hatte dem Abbé einen fragenden Blick zugeworfen, dieser zuckte die Achseln. »Ich hatte noch nicht Gelegenheit, Euer Königliche Hoheit die Ankunft eines piemontesischen Unterhändlers mitzuteilen, den Namen des Boten kannte ich ohnehin nicht.«
»Und soll der Mörder wirklich ungehindert Rom verlassen?« sagte finster der Brigant. »Ein Wort an den Signor Irlandese, und ich setze mein Patent gegen einen Bajocchi – er schlägt ihn tot und wäre es in San Peter selbst!«
»Um der heiligen Jungfrau willen, Kapitano, kein Wort an den irländischen Offizier! Ich untersage es Ihnen aus das strengste – Sie wissen nicht, welches Unheil Sie anrichten könnten!«
»Aber Reverendissimo,« bemerkte der Graf von Lerida, »ich begreife nicht, warum Sie den ehrlichen Mann darin hindern wollen, auf seine Hand einen kleinen Dolchstoß an einen Feind der Kirche auszuteilen, oder einem solchen eine andere tüchtige Faust auf den Hals zu hetzen. Signor O'Donnel ist ein Edelmann, und wenn ich auch wenig Sympathie für seinen Vetter, den Herrn Marschall und Premierminister empfinde, sollte es mich doch freuen zu hören, daß jene Brutalität den verdienten Lohn bekommen hat. Man kann eine Frau töten so gut wie einen Mann, sei es aus einer oder der andern Ursache – aber sie mißhandeln – Pfui! das verdient Züchtigung. Die Herrn Römer sollten wenigstens das Rechtlichkeitsgefühl der Brauknechte von Barclay haben, die General Haynau die Rutenhiebe in Brescia mit Stockschlägen vergalten!«
»Man will wissen, daß es weniger die englischen Brauknechte waren,« sagte der deutsche Offizier, »als die lombardischen Flüchtlinge, die Freunde der Herren Orsini und Tibaldi!«
»Um so schmachvoller für uns, die Kämpfer des Königtums und der Kirche, daß wir nicht denselben Mut und Eifer zeigen, wenn die Gelegenheit sich bietet.«
»Glauben Sie nicht, Herr Graf, daß es mir an Mut und Eifer fehlen sollte, jene Brutalität an einem Weibe zu vergelten, wenn sich die Gelegenheit fände, und ich hoffe, das im Dienst der Brigantaggia schon in wenig Tagen zu beweisen, sobald man uns hier nur etwas Besseres zeigt, als Mißtrauen und leere Versprechungen.«
»Meine Herren, meine Herren!« rief der Abbé, die Hände erhebend, »bedenken Sie immer zuerst das Interesse der heiligen Kirche. Jeder Angriff auf den piemontesischen Offizier, an dem Gott und die Heiligen seine Untat rächen mögen, innerhalb der Tore von Rom würde dem König Vittorio Emanuele nur eine willkommene Gelegenheit zu neuen Gewalttaten und Beraubungen an dem Patrimonium Petri geben, und auch das französische Gouvernement, das der Regierung Seiner Heiligkeit nur noch den Schatten der Macht läßt, würde die Gelegenheit benutzen, uns neue Beschränkungen aufzulegen.«
»Sodaß also General Pinelli ungestraft Rom wieder verlassen kann, wenn er es nicht schon getan hat!«
Die letzten Worte waren leicht hingeworfen an den französischen Offizier gerichtet.
»Nein,« sagte der Graf von Boulbon, »er ist noch hier und wird erst morgen in der Frühe abreisen, da die Straßen bei Nacht unsicher sind und von unseren Vorposten erst wieder einmal gründlich gesäubert werden.«
» Cosi é – ich habe heute Gelegenheit gehabt, mich zu überzeugen, wie eifrig man den Patrouillendienst betreibt. He, zum Teufel, Signor Capitano, wo steckt denn unsere schöne Wirtin – ich hätte wohl eine kleine Frage an sie zu richten! A propos, hochwürdiger Herr, wenn ich nicht irre, versprachen Sie uns einige Burschen des Brigantaggio hier zu zeigen.«
»Capitano Tonelletto hat das übernommen; ich hoffe, er wird seine Anstalten für später getroffen haben?«
Der Brigante verstand die Frage. » O hi, Reverendissimo; es ist Alles bereit, und Sie sollen mit mir zufrieden sein. Einstweilen, wenn die Signori einen Blick durch jenes Fenster in das Nebengemach tun wollen, werden Sie Männer sehen, die bereit sind, dem Ré gentiluomo in die Zähne zu lachen, und den Teufel nicht fürchten!«
Er schob einen grünen Vorhang zur Seite, der ein kleines Guckfenster bedeckte, wie es häufig von einem Gemach in ein Nebenzimmer führt, um unbemerkt Vorgänge oder Personen dort beobachten zu können. Einige Mitglieder der Gesellschaft waren aufgestanden und zu der Öffnung getreten, durch welche sie in das Nebengemach blickten, wo um eine Tafel gleichfalls fünf oder sechs Männer und eine Frau versammelt waren. Die Letztere war ein derbes, kräftiges Weib in der Tracht der Gebirgsbewohnerinnen und hochschwanger. Der Mann, der ihr zur Seite saß, war klein, kräftig gebaut, mit dunklen schlauen Augen. Er trug die offene, aus rotem Tuch gefertigte, mit blanken Knöpfen besetzte Weste, die doppelt umgeschlungene buntfarbige Leibbinde, dunkle geschlitzte Kniehosen um die Beine, vom Knie abwärts mit den weißen Sandalenleinen scharf umwickelt, von denen sich die schwarzen Riemen der Sandale abhoben. Die dunkelblaue Jacke, welche die Bergbewohner über die Schulter geworfen tragen, hing jetzt über der Stuhllehne, dagegen hatte er den niedrigen, breitrandigen mit Schnüren und Bändern geschmückten Hut auf dem Kopf behalten. Der offene, breit über die rote Weste umgeschlagene Hemdkragen zeigte einen kräftigen Hals. Zwei Andere trugen dieselbe Tracht, dazwischen saß ein großer hagerer Mann in der russigen Kleidung eines Kohlenbrenners. Sein Gesicht hatte einen sanften stillen Ausdruck.
Der deutsche Offizier wandte sich an den Capitano Tonelletto. »Wer ist der Köhler dort?«
» Per Christo! er ist so wenig ein Köhler, Signor Tedesco, wie ich ein Mönch, obschon ich zuweilen die Kutte eines solchen trage. Der Signor Irlandese könnte Ihnen eine Geschichte davon erzählen. Wir nennen ihn › Piccione‹, weil er sanft wie eine Taube ist, obschon ein Teufel an Mut und Entschlossenheit in ihm steckt. Er ist ein einfacher Bauer aus den Bergen der Abruzzo ulteriore und hat eine Bande um sich versammelt, mit der er die Piemontesen in ewiger Bewegung hält. Obschon er wenig spricht, ist er ein Mann der Tat. Ich werde Euer Königliche Hoheit bitten, ihn bei erster Gelegenheit Seiner Majestät zum Patent zu empfehlen. Er verdient es, bei Gott, eher, als dieser träge Feigling Chiavone. Erst vor wenig Tagen hat er einen Streich ausgeführt, an den die piemontesischen Dickköpfe denken werden.«
»Erzähle!«
»Ich ließe es besser ihn selbst tun, Signori, aber wie gesagt, das Reden ist seine schwache Seite. Einer seiner Kameraden hat mirs heute Morgen erzählt. In derselben Tracht, wie Sie ihn da sehen, ging er bei hellem Tage mit zwei andern Landleuten, er ist nämlich nur ein einfacher Bauer und heißt eigentlich Stramenga, ins Tor von Aquila, fiel über die sieben Mann der Torwache her, und streckte sie bis auf Einen tot zu Boden, der flüchtete und Lärm schlug. Zehn Minuten darauf war eine ganze Kompagnie dieser eingebildeten Bersaglieri auf ihren Fersen und verfolgte sie nach dem Gebirge. Aber das »Täubchen« hielt sich stets auf doppelte Schußweite von ihnen, und erst, als an einer Seitenschlucht sich der Fußpfad ins Gebirge erhob und sie herbeieilten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, gab sein Pfiff das Signal an seine auf der Höhe zwischen Steinen und Büschen versteckten Leute, und eine wohlgezielte Salve guter Büchsen krachte unter die Burschen, daß sie zwanzig von ihnen auf dem Wege ließen und in ihrer Flucht nicht eher Halt machten, als bis sie die Tore von Aquila wieder mit der Hand erreichen konnten.«
»Ein kecker Streich! Aber die Frau – ist sie aus den Gebirgen, und wie kommt sie in diesem Zustand hierher?«
Der Freikorpsführer lachte. »Meinen Sie denn, daß sie ihren Mann den verführerischen Reizen und Verlockungen der Donna Spazzoletta aussetzen würde, ohne ihn zu begleiten? Oibò! Da kennen Sie Donna Coja schlecht. Sie ist ein Dämon an Eifersucht, und deshalb hat sie auch keinen Augenblick gezögert, den Karabiner über ihre kräftigen Schultern zu hängen und ihrem Gatten Domenico Coja, genannt »Gentrilli,« denn dies ist der Mann, der neben ihr sitzt und die Freischaren in der Provinz Molise nicht schlecht kommandiert, in das Meta- und Molise-Gebirge zu folgen und wacker auf die Piemontesen mit herunter zu paffen, wo sich die Gelegenheit bietet. Es ist ein schlauer Kerl, dieser Coja, und ich hoffe, er wird den Signori nachher einige seiner Schwänke zum Besten geben. In Rom kennt er jede Schänke und die abgelegensten Winkel und Gäßchen. Der hübsche Bursche, der neben ihm sitzt, ist der verteufelte Weiberdieb Pilone vom Vesuvio, der mehr als der General Garibaldi dazu getan hat, dem armen König Franz die Engländer auf den Hals zu hetzen, als er die Lady des vornehmen Mylord zwang, im Gewand der Mutter Eva seiner nicht einmal die Keuschheit der Nonnenklöster achtenden Bande eine Saltarella vorzutanzen, während sie Mylord Ambassadeur an den Stamm einer Olive gebunden hatten.«
»Was ist das für eine Geschichte Signor Tonelletto?« fragte der Marquis. »Sie müssen wissen, daß wir in Betreff der Chronique skandaleuse der Abruzzen so unschuldig sind, wie ein neugeborenes Kind.«
Der Brigante schielte nach dem Prinzen und dem Abbate. »Gott behüte mich davor, Signori, die Gefahr des armen Burschen noch mehr zu vermehren, der noch nicht einmal die richtige Begnadigung von den Galeeren in der Tasche hat. Die Signori Inglese haben Ohren, die bis in den Vatikan reichen und verteufelt lange Arme.«
»Narr!« sagte lachend der Prinz, »die beste Begnadigung war, daß man den tollen Burschen von San Elmo entwischen ließ. Es ist seine Sache, wenn er sich wieder einfangen läßt; doch glaube ich, daß weder General Goyon noch Monsignore Pila sich besondere Mühe damit geben werden, dem Kabinet von St. James zu gefallen, es müßte denn sein, daß der heilige Stuhl« – der vorwurfsvolle Blick des jungen Fürsten traf in bezeichnender Weise den Abbate – »eine Gelegenheit wünschte, sich Master Russel für irgend ein freundliches Anerbieten dankbar beweisen zu wollen. In diesem Falle möchte ich allerdings nicht für die Sicherheit des würdigen Pilone stehen, und er könnte ruhiger am Krater des Vesuvs sein Haupt niederlegen, als in den Schoß San Peters, unseres getreuen Bundesgenossen.«
»Eure Königliche Hoheit,« sagte mit unverändertem Gleichmut der Abbé, »haben vielleicht von dem Anerbieten des Lord Palmerston gehört, im Fall eines weiteren Angriffs des Königs Victor Emanuel auf Rom, Seiner Heiligkeit auf Malta ein Asyl zu eröffnen.«
»Ich bin Soldat, aber zu wenig Diplomat,« bemerkte der Prinz kalt, dem offenbar noch die Verheimlichung der Ankunft des piemontesischen Unterhändlers im Kopf herumging, »um über die Vorteile eines solchen Anerbietens urteilen zu können.«
»Das niemals angenommen werden wird. Das Oberhaupt der Christenheit muß unter allen Umständen in Rom residieren und es ist die Pflicht aller Politik des heiligen Stuhls, ihm diesen Besitz zu sichern.«
»Mit allen Mitteln,« sagte der Prinz, »selbst, wenn man darüber die Treue und Dankbarkeit opfern sollte.«
Wiederum blitzte das Auge des Abbé in hochmütigem, fanatischem Stolz, als er mit energischem Ton die Antwort gab: »Euer Königliche Hoheit vergessen, daß die heilige Kirche nicht unter den Gesetzen der blinden, bürgerlichen Moral steht und keine Rechenschaft über die Handlungen ihrer unfehlbaren Weisheit schuldig ist.«
»Ein echter Jesuiten-Grundsatz,« murmelte Don Juan, da er es aber für seine Absichten vorteilhafter hielt, einem Zerwürfnis von Prinz und Priester zuvor zu kommen, so wandte er sich an den deutschen Offizier mit der Frage, ob es möglich sein werde, mit einem bloßen Guerilla-Krieg des Brigantaggio große Erfolge gegen eine wohldisziplinierte Armee, wie die piemontesische, zu erzielen?
»Nicht, wenn die Angelegenheit so lau betrieben wird, wie es leider der Fall scheint. Seit den acht Tagen, die ich in Rom bin, um mich dem Kampf des tapferen Bergvolkes anzuschließen, habe ich schon der traurigen Erfahrungen genug gemacht. Man mißtraut uns Fremden, die aufrichtigen Herzens und voll Begeisterung hierher gekommen sind, obschon die Taten jener Freiwilligen, die sich dem Tode in Gaëta weihten, doch genügend für ihre Redlichkeit sprechen sollten, oder man stellt sich wenigstens so und verdächtigt uns! Ich meine nicht die Königlichen Majestäten oder die Prinzen, Hoheit,« sagte der junge Mann, der die Gelegenheit zu benutzen schien, sein Herz auszuschütten, mit einer Verbeugung gegen den jungen Fürsten, »aber …«
»Sprechen Sie ohne Rückhalt weiter, Herr Kapitän,« sagte der Prinz, »ich bitte darum!«
»Wohl denn, Hoheit, so lassen Sie mich offen die Befürchtung aussprechen, daß gerade das Bourbonische Komitee, das sich zur Organisation des Brigantaggio hier gebildet hat, diesem die schwersten Hindernisse in den Weg legt. General Clary mag den besten Willen haben, aber er hat zu wenig Energie, den Aufstand vorwärts zu bringen. Es gibt zu viele Hofschranzen in der Umgebung Ihres Königlichen Bruders, zu wenig Soldaten. Es fehlt an Geld, an Waffen, an Einheit. Halb Rom macht bereits eine Spekulation aus dem Brigantaggio; Jeder, der sich einen Patrioten nennen läßt, oft mit hochtrabendem Namen, sucht zunächst seine Tasche zu füllen und Vorteil zu ziehen. Die Betrügereien bei dem Ankauf von Waffen und Ausrüstungen sind so frech und offen, daß ein ehrlicher Mann für den größten Teil ihrer Lieferanten nur eine Antwort hat: den Absatz seines Stiefels. Versprechungen auf allen Seiten, habsüchtige und ehrgeizige Pläne statt wirklicher Aufopferung! Warum gehen diese vornehmen Herren, die hier den Königlichen Hof belagern, nicht selbst in die Berge und setzen ihr Leben ein für die Sache, der sie anzuhängen vorgeben! Jene rauhen Männer, die wir da drinnen versammelt sehen, sie sind ohne Zweifel bereit, mit ihrem Leben ihre Treue zu beweisen, – aber Hoheit, wo bleibt der neapolitanische Adel? Will er bloß auf dem Parquet für seinen König fechten? Sollen die Fremden allein bluten? nun, dann traue man ihnen wenigstens! Hätte man damals nicht Mißtrauen gegen die tapferen Schweizer-Regimenter gehabt, König Franz, Ihr erhabener Bruder, säße wahrscheinlich jetzt noch in Neapel!«
»Sie mögen Recht haben, obschon Sie sehr kraß malen,« sagte der Prinz nachdenkend; »die Königin war derselben Meinung, aber wir waren von Verrätern umringt!«
»Ich fürchte, Sie sind es jetzt noch!« sagte der junge Offizier kühn. »Warum, statt hier in Rom, wo die Franzosen die Gendarmen der Piemontesen spielen, organisiert man nicht ein Freikorps auf den dalmatinischen Inseln und wirft es von dort her in die Küsten-Distrikte? Österreich wird die Augen willig schließen, es hat überflüssige Waffen genug. Seit acht Tagen antichambriere ich um eine Verwendung in dem Bergkrieg und erhalte nur Ausflüchte und Vertröstungen. Vor Allem: es fehlt an einer Einheit im Kommando der zerstreuten Trupps; General Tristany denkt wie ich und viele, und deshalb ist er wahrscheinlich auch nicht hier!«
Der Prinz beugte sich über den Tisch und reichte dem kecken Sprecher die Hand. »Wir werden Ihnen vielleicht binnen Kurzem noch einen besseren Namen geben können, als Tristany bei allen seinen Verdiensten. Man unterhandelt in diesem Augenblick mit Malta – Sie wissen, daß sich dorthin Ihr tapferer Landsmann, General Borges, zurückgezogen, Signor Conde! Sie müssen Geduld haben, Kapitän, wie wir Alle, aber ich verspreche Ihnen mit meinem Wort, daß Sie binnen wenigen Tagen schon in den Bergen sein sollen. Erinnern Sie mich daran, Abbé! Ihr Plan mit der dalmatinischen Küste scheint mir übrigens eine gute Idee, ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir ein Memoire darüber aufsetzen wollten, es soll sofort in die Hände des Königs kommen. Wie denken Sie darüber, Signor Grimaldi? Als Ionier kennen Sie die Verhältnisse der Küsten-Provinzen und werden uns den besten Rat erteilen.«
Der Condottiere, der bisher, den Kopf in die Hand gestützt, in tiefem Nachdenken gesessen, fuhr bei dieser direkten Anrede wie ein Träumender in die Höhe, so daß die Meisten ihre Heiterkeit nicht unterdrücken konnten.
» Corpo di Bacco, Generale oder Capitano! Ihr Geist scheint in ganz anderen Regionen zu schweifen – an was dachten Sie so ausschließlich?«
»An jenes unglückliche Mädchen, das den Tod einer Entehrung vorzog oder vielmehr an eine Frau von gleich hohem Geist, die ebenso den Tod wählte, statt eines Lebens voll qualvoller Erinnerung.«
»Ich hätte kaum geglaubt, daß solcher Heroismus noch ein Mal zu finden wäre,« sagte mit frivolem Ton der Marquis. »Bitte, wer war diese zweite Lucretia der Neuzeit?«
»Sprechen Sie mit Ehrfurcht, Signor, von Shanda Xaria, der Rani von Ihansi!«
»Die indische Heldin! O General, was ists mit ihr? – ich habe nie wieder von ihr gehört und habe noch nicht Gelegenheit gehabt, Sie um den Schluß Ihrer indischen Abenteuer zu fragen, ja, ich weiß noch nicht ein Mal, ob Sie jetzt direkt aus jenem Wunderland kommen, oder wie es Ihnen gegangen ist, seit wir uns trennten?«
»Woher ich komme,« sagte der Ionier mit trübem Ausdruck – »ich sagte es Ihnen bereits! Zunächst aus der Schweiz, vom Genfer See, aus der Villa eines Ihrer englischen Landsleute!«
»Eines Engländers! Sie, der erbitterte Feind der Engländer?«
»Der kaltherzigen englischen Politik, aber nicht der Menschen; denn das Schicksal hat es gewollt, daß die edelste Frau, die ich gekannt, eine Engländerin war, jene Frau, die selbst unter den blutigsten Schrecken des Aufruhrs mit dem Namen des »Engels von Delhi« begrüßt wurde, und deren aufopfernder Pflege auch ich das Leben verdanke, und daß ihr Gatte, wie der tapfere Offizier, aus dessen Hause ich komme, meine teuersten Freunde wurden.«
»So waren Sie während jenes furchtbaren Aufstandes in Delhi, Signor Generale?« fragte der Prinz.
»Weder bei dem Beginn noch bei der Rückeroberung Delhi's durch die Engländer, und doch wollte der Zufall, daß ich einer der seltsamsten Szenen jenes Kampfes beiwohnte und dabei von der Hand desselben Feindes zum Tode verwundet wurde, aus dessen Hause ich jetzt komme. Er gewann in jenen blutigen Kämpfen das höchste Glück des Lebens, während hundert Andere das ihre in die blutigen Gräber Indiens betteten. Ich spreche von dem seltsamen Schicksal Sir Richard Willoughbys und seiner edlen Gattin, eines Offiziers der englischen Armee in Indien, der erst nach dem Falle Delhis seinen Abschied nahm und gegenwärtig an den Ufern des Genfer Sees der Wiederherstellung seiner Gesundheit lebt. Ein Zufall ließ mich, als ich nach dem Tode der Fürstin von Ihansi nach Europa zurückkehrte, seinen Aufenthalt erfahren, und ich konnte es mir nicht versagen, die Hand eines Glücklichen zu drücken. Seinen früheren und jetzigen Mitteilungen verdanke ich das, was ich Ihnen hier erzählen will als eine Episode aus jenen blutigen Kämpfen am Ganges, die Europa bisher nur aus den parteiischen Berichten der englischen Zeitungen kennt.«
»Und die Rani?«
»Ihr Schicksal steht in Verbindung mit meiner Erzählung.«
»Dann lassen Sie uns auf diese nicht länger warten, Generale,« sagte der Prinz, »und entschädigen Sie uns so wenigstens für den Verlust Ihres tapferen Armes, da Sie, wie Sie mir leider zu verstehen gegeben, unsere Sache für eine verlorene halten.«
»Nicht für eine verlorene, Hoheit, denn der Kampf treuer Männer für einen sinkenden Thron ist immer ein erhabener. In diesem Sinne habe ich Ihrem königlichen Bruder und der edlen Königin, den Opfern englischer Politik, den Helden von Gaëta, meine hohe Verehrung bezeigen wollen, wenn auch meine Grundsätze mir nicht erlauben, in dem Ringen einer ganzen großen Nation nach Freiheit und Einigung gegen sie Partei zu nehmen. Verzeihen Euer königliche Hoheit, aber – Pflicht eines Mannes ist Treue gegen die Ideale seiner Jugend.«
»Und Signor Grimaldi,« sagte der Abbate höhnisch, »galt schon vor Jahren als ein Gegner der Kirche und des Königtums.«
»Nicht der Religion und des Königtums,« sagte mit ruhigem Lächeln der Condottiere, »sondern nur der Knechtung und des Mißbrauchs, den in diesem schönen Lande Priesterschaft und österreichischer Einfluß geübt haben. Für Italiens Wohl und Größe würde auch ich, obschon ich es nur nicht eigentlich mein Vaterland nennen darf, willig mein Leben opfern.«
»Und mehr kann ein redlicher Mann nicht tun, darum lassen Sie uns nicht streiten über die politischen Parteiungen und Meinungen, deren es leider in der Stadt Sankt Peters, wie wir alle wissen, nur zu viele gibt! Ich danke Ihnen, Signor Generale, für Ihre Offenheit.« Der ritterliche junge Fürst hob das Glas und stieß mit dem Jonier an, während der Abbate dem Marquis ins Ohr flüsterte: »Hätte man im Quirinal das nötige Geld gehabt und eine gute Anstellung für ihn, so würde der griechische Freibeuter wahrscheinlich anders sprechen. Wenn ich mich recht erinnere, läuft noch ein österreichischer oder englischer Steckbrief auf seinen Kopf, und noch ist Papst Pius Herr in Rom.«
»Und nun, Signore Generale, Ihre Erzählung aus Indien!«
Das, was Grimaldi, der einstige Wessir der Rani von Ihansi, erzählte, wird hier als Fortsetzung der Scenen aus »Nena Sahib, III. Bd. Das goldene Delhi, gegeben.
Richard Willoughby, der englische Offizier, hatte sich mit der französischen Nonne, der Soeur Marion, in dem Minaret am Grabmal der Begum in Simreh Bagh nach der Entdeckung der Leiche der unglücklichen Tochter des Residenten Franzer im Sarkophag der Begum gegen die wilden Krieger Tantia Topis und des muhamedanischen Derwisches, ja selbst gegen den Wessir und die Männer seiner Gortschura aufs Tapferste verteidigt, als beide nach dem Fall des Wessirs sich auf den Rundgang um die Spitze des Minarets geflüchtet, und die Falltür über der schmalen Wendeltreppe geschlossen hatten.
Der Ruf des wackeren Uskoken, des Milchbruders des Majors Maldigri, der Lady Hunter an die Seite des schwer Verwundeten geführt, hatte eine kurze Unterbrechung des Kampfes veranlaßt, ehe der unheimliche Mahratte an der Spitze der tapferen Reiter von Ihansi die Treppe erstürmte, und die Tür zum Rundgang des Minarets sprengte. – –
Der englische Offizier drückte das zitternde Mädchen an seine Brust.
»Der Augenblick ist gekommen, Marion, zwei Patronen enthält die Batterie des Revolvers, eine für Dich, die andere für mich!«
»Zögere nicht, geliebter Freund! Ich habe Dein Wort!«, und die sonst so schüchterne und keusche Nonne öffnete selbst das spärliche Gewand über dem jungfräulichen Busen.
»Einen Augenblick noch! Die Furcht hat sie hinabgescheucht. Willst Du tun, um was ich Dich bitte in unserer Todesstunde?«
»Alles!«
»Dann stirb als meine Gattin! Wirf ab das traurige Gelübde, das Dich bindet, schwöre, daß Du mein Weib bist, wie ich Dein Gatte, und laß uns als solche vereint zum Himmel steigen!«
Einen Moment zögerte sie, dann warf sie sich an seine Brust: »Ich schwöre!«
»Mahadeo! Mahadeo!« gellte es von unten her.
»Und nun! Gott sei uns beiden gnädig!« Er drückte seinen Mund auf ihre lieblichen Lippen und suchte mit der Mündung des Revolvers ihr Herz; noch einen Blick warf er dem stürmenden, blitzezerrissenen Himmel und der jetzt um den Haupteingang sich drängenden Menge zu – sein Auge streifte die Spitze des gegenüberliegenden Minarets.
»Gott ist uns gnädig! Dort sind die Mörder, von ihren Kugeln laß uns gemeinsam fallen!« und er zog sie an die Brustwehr gegenüber dem zweiten Minaret, die Geschosse der Mörder erwartend.
Zwei Gestalten bewegten sich auf dem steinernen Umgang, eine größere und eine kleinere.
Jetzt sah er die erste das Gewehr erheben.
»Mordet uns!«
»Soeur Marion!«
Die Stimme war sanft und freundlich; in demselben Augenblick, als sie das Ohr des bereits halbtoten Mädchens traf und es emporfahren machte, erhob sich von drüben her ein dunkler Gegenstand in die Luft und senkte sich nieder auf die steinerne Balustrade.
»Sind Sie Leutnant Willoughby?«
»Heiliger Gott – ich bin's! wer ist da drüben?«
»Fragen Sie nicht! Nehmen Sie und schlingen Sie dies um die Spitze des Turms und dann herüber mit Ihnen! Lakschmi sei mit Ihnen! Jeder Augenblick ist ein Leben wert!«
»Wischnu sei Dank, der uns Euch finden ließ! Irma ist Dir nahe. Habe Mut und Lakschmi die Gütige wird Dir helfen!«
Der Gegenstand, welcher sich von der andern Balustrade niedergesenkt auf die des ersten Minarets war ein schmales zähes Brett von Bambus. Zugleich mit seinen ermunternden Worten hatte der unbekannte Helfer von drüben das geknotete Ende eines langen dünnen Seiles von Aloëfasern herübergeschleudert, das der Offizier geschickt auffing und um die Spitze des Minarets schlang, es dann dem Manne drüben zurückwerfend.
Mit der Aussicht der Möglichkeit einer Rettung war dem jungen Offizier im Nu alle Spannkraft wiedergegeben, und er begriff mit dem Instinkt der Geistesgegenwart, was der Helfer drüben beabsichtigte.
Aber er wußte auch, welche furchtbaren Feinde nach ihrem Blute dürsteten, und daß nur Augenblicke noch sein waren.
Er fühlte nach der sicheren Lage des Brettes, fühlte, wie der Strick, auf der anderen Seite angezogen, sich spannte und hob ohne weitere Frage das Mädchen auf die schwanke Brücke.
»Mut, Geliebte! Es ist eine Möglichkeit der Rettung! Halte die Hände fest an dem Strick und versuche den Weg.«
Auch die Nonne hatte begriffen, um was es sich handle, und besaß von Natur Mut, – und besser war die Zerschmetterung auf den Marmorquadern des Bodens, als in die Hände jener Teufel in Menschengestalt zu fallen.
Zwei Momente der furchtbarsten Spannung und Angst, dann sah der tapfere junge Offizier den Mann drüben die Gestalt des Mädchens über die Brustwehr heben; im nächsten betrat er selbst die schwanke Brücke.
Es war die höchste Zeit. Schon donnerten unter dem furchtbaren Schlachtruf der wilden Krieger des Sirdars die Axtschläge gegen die schwere Falltür, die den Mahrattenhäuptling allein noch auf der blutgetränkten Treppe des Innern zurückhielt.
Er war glücklich drüben. »Hinunter jetzt! verbergt Euch!« Die Nonne und der Offizier fühlten sich von der Hand des jungen Hindumädchens im Innern der Galerie nach der andern Seite des Minarets gezogen; im selben Augenblick hob der Babu, denn der Vater Irmas war es, der ihnen zu Hilfe gekommen, das leichte Bambusbrett in die Höhe und nahm es zurück in das Innere des Minarets. Zugleich lösten die Hände des Kindes die diesseitige Befestigung des Stricks und ließen beide Enden hinunterfallen in die Tiefe.
In dem Moment, in dem der Babu und seine Tochter auf der entgegengesetzten Seite des Umgangs, geschützt von dem Schatten der Spitze, dem Dunkel der Nacht und dem strömenden Regen, niedertauchten durch die Falltür, die in ganz gleicher Einrichtung, wie in dem Minaret, das der Offizier so tapfer verteidigt hatte, über einer schmalen Treppe sich öffnete, sprengten in diesem die Axtschläge des Mahratten das letzte Hindernis, und er sprang, gefolgt von den nächsten, auf die Plattform des schlanken Turmes.
Die Galerie war leer – kein Raum, daß sich ein Kind darin hätte verbergen können, und dennoch von den Verteidigern des Minarets keine Spur!
Sie waren verschwunden! – – – – – –
Der Mahratte stürzte an die Brustwehr, er rannte wie ein wildes Tier, die Axt schwingend und seine blutigen Götter anrufend, zwei-, dreimal um die Galerie – nirgends eine Spur. Das Licht der Blitze zeigte ihm, daß alles leer war.
»Holt Fackeln herauf! Es ist unmöglich! Sie müssen sich hier verborgen haben – sie können nicht durch die Luft auf und davon sein!«
Noch wußte man nicht, wer die Türe so tapfer verteidigt hatte; nach der Zahl der Schüsse und der gefallenen Opfer glaubte man, daß eine ganze Anzahl geflüchteter Engländer sich in das Minaret gerettet hätte, und um so unerklärlicher mußte daher ihr Verschwinden sein. Dazu kam, daß der Aberglaube der Soldaten infolge des nur flüchtigen und unvollständigen Anblicks der jungen Nonne in ihren weißen Untergewändern – ihr einfaches dunkles Oberkleid hatte sie ja für die unglückliche Tochter des Residenten geopfert – die Verteidiger mit dem Geiste der alten Begum oder einem der Dämonen ihres Glaubens in Verbindung brachte, und der entsetzliche Anblick des geöffneten Sarkophages ihre Furcht vermehrt hatte.
Plötzlich blieb der Mahratte, der sich selbst bisher das Verschwinden der Verfolgten nicht zu erklären vermocht hatte und fast so abergläubisch war, wie die anderen Krieger, betroffen stehen, – er hatte an das Seil gestoßen, das von der Spitze des Minarets niederhing. Der Schein der heraufgebrachten Fackeln zeigte ihm in der vom Sturm und Regen gepeitschten Flamme das Niederhangen des dünnen aber festen Taues in die Tiefe, und er begriff sogleich, daß hier das Mittel ihrer Flucht zu suchen sei.
Nun zog er zum Glück für die Flüchtigen aus dem Funde den Schluß, daß die Verfolgten sich an dem Strick von der Höhe des Minarets niedergelassen hätten auf die Quadern der breiten, das Gebäude umgebenden Rampe.
Indem er sich über die Einfassung der Galerie lehnte, überzeugte ihn ein Blick in die Tiefe, daß diese Seite des Grabmals im Augenblick fast menschenleer und verlassen war, da die Menge, vor dem Unwetter flüchtend oder von Neugier getrieben, sich nach der anderen Seite gedrängt hatte, an welcher der Eingang des Grabmals gelegen war und vor der die Reiter des Wessirs von Ibansi hielten.
Mit einer wilden Verwünschung der eigenen blutigen Göttin schüttelte er den Strick vor den Augen seiner Gefährten und eilte dann die Treppe wieder hinab, um unten seine Meute auf die Fersen der Geflüchteten zu hetzen und ihre Spuren zu suchen.
Aber vergebens war sein Forschen und Fragen – Niemand hatte das Äußere des Minarets während des Kampfes im Innern und dem draußen tobenden Gewitter beachtet. Er mußte annehmen, daß es den verhaßten Faringi in der Tat gelungen sei, auf die angedeutete Weise zu entkommen, und sich begnügen, seine Vertrauten nach allen Seiten auszusenden, um an den Toren der Stadt doppelte Wachsamkeit zu empfehlen und wo möglich eine Spur der Geflüchteten aufzufinden.
Überdies forderte der Zweck, zu dem er mit Derwisch Sofi und dem Wessir von Ihansi das bisher so wohl gehütete Innere des Grabmals wieder betreten hatte, Vorsicht, wenn er diesen nicht vereitelt und das Geheimnis des Sarkophages und der Schatzkammer der Begum preisgegeben sehen wollte, da dann gewiß die habgierigen Söhne des Großmoguls sich mit Gewalt der verborgenen Reichtümer bemächtigt haben würden.
Er begnügte sich daher nach kurzer Unterredung mit dem bereits von dem Anprall der Kugel wieder ermunterten und nur noch geringe Schmerzen empfindenden Derwisch Sofi, die verwesende Leiche der englischen Miß unter seiner Aufsicht aus dem Sarkophag entfernen und in die Fluten des Flusses werfen zu lassen, und aufs neue die Pforten des Grabmals zu schließen und Wachen davor zu stellen, die Fortschaffung des Schatzes auf die nächste Nacht verschiebend. Ein Verhör mit den Männern, die seither von außen diese Pforte bewacht hatten, ergab, daß kein Fremder eingetreten war; die Faringi, die aus dem Innern so glücklich entkommen waren, also schon vor dem Verschließen der Tür und dem nächtlichen Besuche der beiden Führer des Aufstands dort verborgen gewesen sein mußten. Die Erzählung der Krieger von dem gespenstischen Wimmern, das sie in stillen Nächten im Innern des Gebäudes gehört haben wollten und das sie dem umwandelnden Geist der alten Begum zugeschrieben, bestärkte diese Annahme noch mehr. Wenn aber die unbekannten Feinde aus ihrem Versteck her der Öffnung des Sarkophages beigewohnt hatten und sie beide mit den Goldsäcken hatten aus der Tiefe zurückkehren sehen, mußten sie Mitwisser des Geheimnisses geworden sein oder wenigstens Vermutungen darüber haben, und da die beiden Lenker des Aufstandes die Überzeugung hatten, daß trotz aller Nachforschungen des fanatischen Pöbels gewiß noch einzelne Engländer innerhalb der Stadt verborgen waren, konnte eine zu scharfe Verfolgung der Entkommenen leicht dazu führen, daß durch ihr Geständnis jenes Geheimnis öffentlich bekannt wurde.
Der Sirdar und der Derwisch beschlossen daher, eine genauere Nachforschung erst eintreten zu lassen, wenn sie die Schätze auf einem Fahrzeug auf der Dschumna in Sicherheit gebracht hätten, bis dahin aber mit der allgemeinen Bewachung des Denkmals sich zu begnügen. –
Der alte Babu ließ indessen das glücklich gerettete liebende Paar im tiefen Dunkel auf den ersten Stufen der abwärts führenden schmalen Wendeltreppe verweilen, bis er sich vorsichtig überzeugt hatte, daß der Mahratte mit seinen Begleitern die Galerie des anderen Minarets wieder verlassen hatte, getäuscht von seinem Kunstgriff, den Verdacht auf einen anderen Weg zu leiten. Dann erst wagte er, die Falltür über ihren Köpfen zu schließen, befahl seiner Tochter die mitgebrachte Lampe anzuzünden, deren Schein sie nicht verraten konnte, da die Wand dieses Minarets nicht wie die des anderen schmale Luft- und Lichtlöcher hatte, sondern dem Anschein und der Absicht nach nur eine feste Steinmasse bilden sollte, und hieß die Geretteten dem Mädchen die Stufen hinab folgen.
Aber die Kräfte der jungen Französin waren zu Ende; bis hierher hatte sie heldenmütig ihre Natur bezwungen und alles ertragen, aber jetzt, im Augenblick der Rettung, konnte sie nicht weiter; sie hatte noch nicht zwei Schritte hinab getan, als sie ohnmächtig zusammenbrach und in die Arme ihres fast ebenso erschöpften Begleiters fiel.
»Gott im Himmel – sie stirbt!«
Er mußte sich selbst an die Wand lehnen, um nicht zu sinken.
»Ich dachte es mir fast!« sagte der menschenfreundliche Hindu. »Schon glaubten wir kaum noch. Euch am Leben zu finden. Aber Brahma der Allgütige war Euch und uns gnädig. Hier, Christ, nimm – stärke Dich selbst, aber mit Maß, und laß Irma dieser Armen die Schläfe reiben und ihr einige Tropfen einflößen.«
Er zog aus der Tasche seines Kaftans eine mit edlem Kapwein gefüllte dunkelbäuchige Flasche und reichte sie dem Offizier.
Aber so sehnsüchtig dessen Auge auch auf dieser Labung haftete, er wies sie doch zurück.
»Erst sie – dann ich! – Wir haben seit drei Tagen nichts genossen, als das vom Pestgeruch vergiftete Wasser des Springbrunnens am Grabe der Begum.«
Irma hatte ihrem Vater bereits die Lampe gereicht, kniete neben der geliebten Lehrerin, goß ihr einige Tropfen Wein in den halbgeöffneten Mund und rieb ihr Stirn und Schläfe mit dem kräftigen Getränk. Dann reichte sie dem Offizier die Flasche zurück. »Trink, Sahib, Du wirst die Kräfte brauchen.«
Der Babu hatte zugleich aus seinem Gewand einige Stücke weißen Brotes geholt. »Da, Sir, tränken Sie es mit Wein – das wird Ihnen vorläufig gut tun, bis wir besseres für Sie finden; denn wir müssen die Zeit benützen.«
Aber Willoughby folgte nicht dem Rat des ehrlichen Babu, sondern setzte die Flasche an den Mund und trank sie in einem Zug zur Hälfte leer. Dann aß er hastig einige Bissen von dem Brot und fühlte sich nun so gekräftigt, daß er sich fähig erklärte, jeder neuen Gefahr entgegen zu treten.
Auch Marion war von dem Wein und dem Wenigen, was sie genoß, sichtbar gestärkt, und das war gut, denn der Babu drängte vorwärts zu gehn und vor allem jetzt jedes Wort und jedes Geräusch zu vermeiden.
Es war bei der Enge der Wendeltreppe Richard Willoughby unmöglich, die Geliebte zu unterstützen, aber Dank der Vorsorge des Babu zeigte es sich auch bald als nicht notwendig, und mit raschem geräuschlosem Schritt stieg die Gesellschaft in die Tiefe.
Nach der Berechnung des jungen Offiziers mußte bereits eine Tiefe erreicht worden sein, die mindestens mit dem Boden des geheimen Schatzgewölbes gleich war, als die Stufen endeten und ein ebner schmaler Gang sich vor ihnen öffnete.
Jetzt blieb der Babu selbst stehen und wendete sich an den Offizier.
»Sahib,« sagte er, »wir beten zwar euren Gott von verschiedenem Namen an, aber doch glaube ich, daß Bramah, Allah und Ihr Gott dieselbe allmächtige und allgütige Kraft ist, welche das Weltall erschaffen hat und alle Geschöpfe in ihm. Es gibt schlimme und gute unter den erschaffenen Geistern, wie unter den Menschen, welche die Welt beleben. Die Faringi haben schlimm an uns gehandelt, aber die Fehler und Sünden der Nationen sind nicht die der einzelnen. Deshalb bin ich gekommen und habe mich hoher Gefahr ausgesetzt, nicht bloß auf die Bitte meiner Tochter, sondern weil das eigene Herz mich trieb den Freveln gegenüber, die mein Auge erblickt, zwei Menschen von schmachvollem Tode zu retten, von denen ich gehört, daß sie gut und rechtschaffen waren, und auch die Rechte derer gelten ließen, denen Brahma eine andere Farbe der Haut gegeben. Gern wäre ich eher gekommen, Euch Leiden zu sparen, aber es war nicht möglich, unbeachtet in den Palast zu dringen, und wir mußten Eure Rettung dem Willen Lakschmis, der Gütigen, überlassen. Der Engel von Delhi, dem Irma Eure Not anvertraut, hatte bestimmt, heute Abend den Versuch zu machen, und die Donner des Himmels haben uns geholfen. Jetzt, Freunde, gilt es noch ein schwers Werk, ehe wir Euch für vollkommen gerettet halten dürfen, denn – wir müssen uns in die Höhle der Tiger selbst wagen.«
»Wie verstehst Du das, ehrlicher Babu?«
»Der geheime Zugang zu dem toten Minaret öffnet sich in dem Palast der Begum, den die beiden Führer des Aufstandes, die von Mirut und Cawnpoor gekommen, seit neun Tagen zu ihrer Wohnung genommen haben. Dies und der Umstand, daß der Pöbel am Tage der Erhebung auch mein Haus zu zerstören begonnen, indem er mich einen Freund der Faringi nannte, war die Ursache, daß wir nicht eher den Versuch machen konnten, Euch zu retten. Der Babu, mein Vater, war der Schatzmeister der Begum von Somroo und wußte um das Geheimnis dieses Ganges. Er hat es vor seinem Tode mir vertraut.«
Der Offizier neigte sich an sein Ohr. »So kennst Du auch das Geheimnis jenes Grabes?«
»Ich kenne es; ich habe als Knabe selbst den Schlüssel gesehen, den mein Vater auf den Befehl der Begum in die Hand ihrer Leiche verbergen mußte, aber ich bin nie dort gewesen. Nur das weiß ich, daß wir hier in der Nähe jener Schatzkammer sein müssen, die mein Vater ihr füllen half.«
Der Offizier sah mit steigender Achtung auf den einfachen Mann, dessen Ehrlichkeit mehr als dreißig Jahre lang ein Geheimnis treu bewahrt hatte, dessen Verrat oder Benutzung ihm Millionen hätte einbringen können.«
»Und wohin führst Du uns?«
»Ich habe es Dir bereits gesagt, Sahib; zunächst in den Palast der Begum und wenn Lakschmi mit uns ist, in mein Haus, bis es uns gelingt, Euch aus den Mauern von Delhi zu bringen, das sich zur Verteidigung gegen die Faringi rüstet, wenn sie es wagen sollten, uns anzugreifen.«
»Verlaß Dich darauf, ehrlicher Babu, das wird sicher geschehen, oder ich müßte meine Landsleute nicht kennen. Die erste Kunde von dem Aufstand wird Truppen in solcher Zahl aus England hierherführen, daß ganz Indien, wenn es an der Empörung teil nähme, ihnen nicht widerstehen könnte. Ihr könnt uns morden, aber nicht besiegen. Doch laßt uns nicht darum streiten; es sollte mich freuen, wenn ich den Dienst, den Du mir und dieser Dame erweist, später mit meinem Schutz vergelten kann. Es ist nicht um meinetwegen, sondern ihretwegen, wenn ich Dich frage, ob Dein Haus auch eine sichere Zufluchtsstätte bildet, da, wie Du selbst sagst, Deine Gesinnung den Rebellen verdächtig ist.«
»Es genießt unbedingter Sicherheit, seit der »Engel von Delhi« darin seine Wohnung genommen.«
»Lady Hunter?«
»Die Gattin des Dechanten, der fern von hier ist auf einer Reise im Audh. Die Lady hat uns zum Palast begleitet und harrt unserer Rückkehr, überdies ist die Herrschaft des Pöbels nicht mehr zu fürchten; der Mogul und die Prinzen sowie die anderen Führer der Erhebung bedürfen unserer Gilde, der Babus von Delhi, und wir haben unsere Sicherheit mit schweren Opfern erkauft. Der neue Mogul Die Hindostani hatten den Sohn des alten Großmogul, den Prinzen Mirza zum Mogul erwählt. – hat heute die Wechsler und die Kaufleute versammelt, und sie haben sich dazu verstanden, der Armee der freien Indier in Delhi den Sold auszuzahlen.«
Der Offizier schüttelte den Kopf; er begriff nicht, daß die Engländer es erst zu einer förmlichen Organisation des Aufstandes hatten kommen lassen und nicht längst vor Delhi standen. Aber er wollte nicht weiter fragen, um seinen Beschützer nicht mißtrauisch zu machen. Auch schnitt dieser jede weitere Frage ab. »Du wirst das Alles besser erfahren, wenn wir erst in Sicherheit sind. Jetzt nehmt diese Büchse mit dem Safte des Safran und reibt damit Hände und Gesicht. Hier sind Kleider, die wir mitgebracht und die Ihr anlegen müßt, ehe wir den Palast betreten können.«
Die Verwandlung ging ziemlich rasch vor sich. Der Offizier legte die ärmliche Kleidung eines indischen Pfeifenträgers an, die Nonne erhielt Mantel und Schleier der Dienerin, als welche sie die Tochter des Geldwechslers begleiten sollte. Als dies geschehen und noch einige Vorsichtsmaßregeln verabredet waren, führte der Babu sie weiter und bald mußten sie wieder eine Anzahl Stufen emporsteigen, bis ihr Führer an der den Gang schließenden Wand forschend stehen blieb, nachdem er die Lampe gelöscht hatte.
Er schien von dem Ergebnis befriedigt, und in einer, den beiden Geretteten nicht wahrnehmbaren Weise öffnete er einen Ausgang, der in einen von entfernten Lichtern nur sehr unbestimmt erhellten Raum führte, in den sie rasch eintraten.
Erst als sein Auge sich allmählich an dies Halbdunkel gewöhnt, erkannte der junge Offizier, daß sie sich in einer jener künstlichen Felsgrotten befanden, mit denen die Orientalen ihre größeren und kleineren Gärten zu verzieren lieben.
Ein weiterer Blick genügte, um ihn erkennen zu lassen, daß dieser gleichsam zwischen die Steinmassen des Palastes eingestreute Garten sich zwischen dem Palast und dem Mausoleum der Begum befand und einen freien Blick auf die Hauptzugänge beider gewährte.
Das Gewitter hatte bereits ausgetobt, der Sturzregen aufgehört, und nur in weiter Ferne noch grollten die Donner und leuchteten die Blitze.
Noch immer hielt die Gortschura des Wessirs von Ihansi auf dem Platz des Mausoleums, abgesessen von den Pferden und um eine dunkle Gruppe sich drängend, die auf den Marmorstufen des breiten Unterbaues verweilte. Von dessen Plattform herab kamen jetzt zwei Männer, denen das Volk ehrerbietig Platz machte, der Mahratten-Sirdar und der Derwisch Sofi.
»Geschwind jetzt, es ist Zeit,« flüsterte der Babu. »Mut und Vorsicht!« Und er verließ, gefolgt von seinen Begleitern, den umgitterten Raum des Gartens und drängte durch die Menge.
Wahrscheinlich gerade die Dreistigkeit ihrer Bewegungen entzog sie jedem Verdacht. Die Gruppe auf den Seiten der Plattform umgab eine aus dem Palast herbeigeholte Bahre, auf die man die blutende Gestalt des Wessirs gelegt hatte, an dessen Seite Lady Hunter stand, die Hand des einst so geliebten, bewußtlosen Mannes in der ihren haltend, während ihre suchenden Beistand flehenden Blicke über die Menge liefen.
»Barmherziger Himmel! Wo soll ich einen Arzt finden, der ihn retten kann, wo diese verführten Menschen alle getötet oder verjagt haben, denen ich sein kostbares Leben vertrauen könnte!«
Auf diese Gruppe schritt der Babu Durjan Saul mutig zu, während von der anderen Seite der Mahratte und der Derwisch sich näherten.
Der finstere Guru blieb an der Seite des so schwer Verwundeten stehen. »Schade um den tapferen Krieger der Rani,« sagte er. »Du bist die Faringafrau, die man den »Engel von Delhi« nennt?«
»Diese Bezeichnung gebührt mir nicht, ich bin nur eine Freundin aller Leidenden.«
»Aber jener Name hat Dein Leben bisher geschützt, obschon Du der verfluchten Nation angehörst. Wie kommst Du hierher? Was willst Du bei diesem Mann, auf den Gama, die Göttin des Todes, bereits ihre Hand gelegt hat?«
»Ihn retten, wenn er noch zu retten ist. O, daß ich einen Arzt fände, einen Ort, wohin ich ihn bringen könnte!«
Der Derwisch betrachtete finster den Wunden und seine Beschützerin, »Ich habe gehört, daß der Wessir der Rani kein Faringi ist?«
»Er ist ein Grieche! Ich kenne ihn seit vielen Jahren.«
»Ich habe gehört,« sagte der Derwisch, »daß Du bei dem Babu Durjan Saul Zuflucht gesucht hast?«
»Seine Tochter hat mich in ihr Haus geführt, als Ihr die Meinen tötetet.«
»So bringe Deinen und unseren Freund in das Haus des Durjan Saul; ich werde sehen, daß ich Dir einen Hakim dahin senden kann! Bringt sie ungefährdet in das Haus des Babu in Jehan Abad und sendet ihn selbst zu uns in den Palast, wir haben nötig mit ihm zu reden.«
»Durjan Saul, weiser Sofi,« sagte der Babu vortretend, »ist bereits hier. Er hat mit seiner Tochter und seinen Dienern diese mildtätige Frau begleitet.«
»Desto besser! Laß sie den Wessir nach Deinem Hause schaffen und begleite uns sogleich in den Palast. Es ist schade, daß der König Mirza mit den 49 gefangenen Engländern, die er vor einigen Tagen in seinem Palast hinrichten ließ, auch den fränkischen Arzt tötete.«
»Ich weiß einen geschickten Hakim unserer Nation«, sagte hastig der Babu, »der namentlich die Wunden zu behandeln versteht, und werde mit Deiner Erlaubnis meiner Tochter den Auftrag geben, nach ihm zu senden.«
»Tue das!«
Der Babu sagte seinem Kinde einige Worte, und winkte den Soldaten, die bereits die Bahre, auf welcher der Wessir lag, aufgehoben hatten, vorwärts zu gehen.
In diesem letzten Augenblick hätte ein unglücklicher Zufall die so weit gelungene Rettung beinahe noch verhindert und alle Teilnehmer ins Verderben gestürzt.
Aus der umgebenden Volksmenge stürzte ein Weib hervor und warf sich vor der Gattin des Dechanten und der Tochter des Babu auf die Knie.
»Du bist eine Heilige, die Christen und die Kinder Hindostans sehen zu Dir empor! Höre das Flehen Aurungas, welche die Hand der Deinen zwei Mal geschändet hat und nimm den Fluch von mir, der mich der Kaste meiner Väter beraubt und Manakjy, den Liebling meines Herzens, mit Moll, seinem Freunde, aus Delhi gejagt hat!«
Es war in der Tat Aurunga, die Dienerin des Pensionats, die furchtbare Feindin der unglücklichen Tochter des ermordeten Residenten, die sich ihnen hier in den Weg warf. In den irren, umherrollenden Augen der Indierin lagen die Spuren des ausbrechenden Wahnsinns, und in der Tat hatten die leidenschaftliche Erregung, die sie zu der furchtbaren Rache an der stolzen Engländerin getrieben und der Umstand, daß eine Hindufrau, die am Kaschmir-Tor Manakjy mit seinem Elephanten nach der Entdeckung der an ihm verübten Täuschung begegnet war und seinem Auftrag gemäß dem Mädchen seinen Fluch und seine Verwünschungen überbracht hatte, ihre Sinne verwirrt.
Schreiend, heulend und ihr Haar raufend, irrte sie seitdem in den Straßen umher, nach ihren Ausrufungen Miß Frazer suchend, um ihre Vergebung zu erflehen.
Auch das Äußere des früher so hübschen Hindumädchens war gänzlich entstellt. Der Schlag mit dem Revolver-Kolben des Offiziers, der sie an der Gartenmauer des alten Palastes der Prinzessin Dschehanamara zu Boden gestreckt und die Flucht Willoughbys und der Nonne ermöglichte, hatte eine schwere Wunde in ihrem Gesicht zurückgelassen, das hoch aufgeschwollen war. Der Offizier und die Nonne hatten die Schreckliche sofort wieder erkannt, und während der Erstere sich zu der Bahre des Verwundeten niederbeugte und Hand anlegte, um nicht erkannt zu werden, hüllte die Französin sich dichter in ihren Schleier, wie sehr es auch ihr gutes Herz drängte, dem Hindumädchen die Vergebung der sterbenden Viktoria zu verkünden.
In diesem gefährlichen Augenblick gab ein Kind, die junge Tochter des Babus, ein neues Beispiel von ihrem Mut und ihrer Geistesgegenwart. Sie drängte sich zwischen die Irre und die Dame, machte das Kleid der letzteren von den Händen des Mädchens los und rief den Trägern zu, zu eilen, da jeder Augenblick weiterer Zögerung ihrem Gebieter das Leben kosten könne. Die Männer der Gortschura stießen rauh und unbarmherzig die Wahnwitzige zur Seite, und der Zug setzte sich nach der Dschumna-Moschee in Bewegung, in deren Nähe das Haus des Babu lag.
Hierhin eilte, als sie den Chandy-Choak, den Platz vor dem Palaste, erreicht hatten, Irma mit den beiden Verkleideten voran, um sie so rasch wie möglich in Sicherheit zu bringen, und dann die nötigen Anstalten zur Aufnahme des verwundeten Wessirs zu treffen. Das junge Mädchen begriff, daß die Anwesenheit eines so hochgestellten Offiziers der Rebellen-Armee die Sicherheit ihres Hauses nur erhöhen konnte, wenn sie auch die Zahl der fremden Augen vermehrte. Aber von den Reitern von Ihansi kannte ja niemand die Beiden, die sich vorsichtig in der Nähe des Krankenzimmers verborgen hielten, und der Jemindar der Reiter, der an Stelle des verwundeten Wessirs den Befehl übernommen, hatte auf die Bitte des Babu eine Wache vor das Haus gestellt, die alle lästige Neugier abwies.
Der beste Wächter war außerdem Danilos, der Uskoke. Er hatte seine Praua unter der Aufsicht des ehemaligen Boers auf dem Ganges in der Nähe von Cawnpoor zurückgelassen und auf die Bitte Maldigris diesen begleitet, als der Wessir bereits am Tage nach dem Ausbruch der Erhebung in Bithoor, von dem Wunsch getrieben, sich Gewißheit über das Leben der Gattin des Dechanten zu verschaffen, mit der Erlaubnis der Rani nach Delhi aufgebrochen war, das die Verschwörung jetzt als den wichtigsten Punkt des beginnenden Kampfes um die Losreißung von dem englischen Joche betrachten mußte. Dem Nena, als dieser aus seiner Apathie sich endlich wieder aufgerafft und jene blutige Belagerung von Cawnpoor begonnen hatte, war es nicht unlieb gewesen, das scharfe Auge des Mannes fern zu wissen, der seine teuflischen Rachepläne gewiß nicht billigte, sondern einen ehrlichen Kampf gegen den Feind wollte, und er selbst bestärkte durch seine Boten die Rani in dem Entschluß, ihren kriegserfahrenen Offizier einstweilen in Delhi zu lassen. Die Eile, mit welcher der Wessir die Entfernung von 200 englischen Meilen von Cawnpoor nach Delhi, quer durch das bereits in voller Empörung stehende Land zwischen den beiden großen Strömen, dem Ganges und der Dschumna zurückgelegt hatte, war nur einem Manne von solcher Energie wie Major Maldigri möglich gewesen, hatte aber Menschen und Pferde so erschöpft, daß sie in der Tat einiger Ruhe bedurften. So blieben die Reiter von Ihansi denn anfangs von jeder Teilnahme an den Vorbereitungen zum Kampfe befreit, die der Derwisch Sofi und der Mahratten-Serdar jetzt, ohne sich viel um die Anmaßungen und Streitigkeiten der Prinzen zu kümmern, energisch in die Hand genommen hatten. Beide waren gewandt und erprobt genug, um zu begreifen, daß die Engländer so rasch wie möglich ihre ersten und kräftigsten Anstrengungen gegen das von ihnen selbst schon stark befestigte Delhi richten würden, um einen so wichtigen Punkt im Norden ihres Gebietes wieder zu gewinnen, von dem aus sie das Pendschab und Sindh beherrschten, und ihre Anstrengungen waren daher auf die Vermehrung der Verteidigungsmittel und auf die Organisierung ihrer Kräfte gerichtet, die in der Tat, als endlich nach unnütz verlorener Zeit die englischen Generale am 8. Juni vor die alte Hauptstadt des Reiches rückten und die Belagerung begannen, eine Verteidigung von länger als drei Monaten ermöglichte.
Die Anwesenheit des Uskoken bei der Tragödie in den Mauern des Grabmals der Begum und seine rasche Hilfe waren es übrigens wohl allein gewesen, denen der Wessir sein Leben zu danken hatte. In den steten Kämpfen und Abenteuern seiner felsigen Heimat hatte Danilos genug Gelegenheit gehabt, sich mit der ersten Behandlung von Verwundungen aller Art bekannt zu machen, und das improvisierte Tourniquet, das er um die durchschossene Brust des Freundes legte, hatte die Verblutung des tapferen Kriegers verhindert.
Mit eifersüchtigem Auge bewachte er daher die Vorbereitungen und Handlungen des indischen Arztes, den Irma sogleich zum Beistand des Verwundeten hatte herbeiholen lassen. Indeß war der Hakim diesmal ausnahmsweise ein wirklich tüchtiger und ziemlich aufgeklärter Arzt, der in früheren Jahren selbst in einem Sepoy-Regiment gedient und seinen europäischen Kollegen manche Kunstgriffe und Mittel, namentlich in der Behandlung der Wunden, abgelauscht hatte. Es gelang ihm, nach mehreren für den Kranken freilich sehr schmerzlichen Sondierungen, die Kugel des Revolvers zu finden und sie aus der Wunde zu entfernen, und der Balsam, den er der Jahrtausende alten Wissenschaft seiner eigenen Landsleute verdankte, übte den günstigsten Einfluß auf die zwar nicht absolut tötliche, aber doch höchst gefährliche Verwundung.
Jetzt war es zunächst die aufopfernde Pflege der edlen Frau, die dem Kranken das Leben erhielt.
Mit Aufopferung verweilte sie am Lager des Kranken, ihm alle jene zarten Dienste erweisend, welche nur die Hand eines liebenden Weibes leisten kann. Kein Schlaf kam in ihre Augen, bis Irma und der Babu sie endlich zwangen, sich auf Stunden zur Ruhe zu legen. Dann gönnte sie der erschöpften Natur einige Ruhe und teilte sich mit dem Uskoken in die Bewachung des Kranken.
Ihre Sorge wurde auch nach anderer Seite hin in Anspruch genommen. Das, was sie erlitten, war zu viel für die Kräfte der jungen Französin geworden, und sie fiel schon am anderen Morgen in ein hitziges Fieber, das es nötig machte, den alten indischen Arzt ins Vertrauen zu ziehen. Indeß, abgesehen von der hohen Belohnung, die der Babu ihm zusicherte, hatte der alte Mann wirklich ein gutes und mitleidiges Herz und hegte infolge seines langen Verkehrs mit den Engländern keinen solchen fanatischen Haß gegen diese, wie die meisten seiner Landsleute.
Es waren Tage banger Angst und Sorge, die jetzt folgten, der Sorge sowohl um das Leben der beiden Kranken, als um eine Entdeckung derselben. Mehrmals machte der Babu dem jungen Offizier den Vorschlag, ihn aus der Stadt zu schaffen und sicher bis zu der nächsten Station der Engländer geleiten zu lassen, aber Willoughby verweigerte es auf das Standhafteste, das junge Mädchen, das er bereits als seine Braut und Gattin betrachtete, zu verlassen und wollte lieber jeder Gefahr trotzen. Endlich in den ersten Tagen des Juni erholten sich beide Kranken sichtlich, der indische Arzt riet, den Wessir jetzt in eine gesundere Luft und unter bessere ärztliche Pflege zu schaffen, und bald ergab es sich durch die vertraulichen Mitteilungen des Babu und des Uskoken, daß die Gelegenheit dazu mit anderen Plänen übereinstimmte.
Der Derwisch Sofi und der Serdar hatten Botschaft von dem Maharadschah bekommen, der ihnen den Beginn der Einschließung von Cawnpoor meldete und ihnen eine sichere Gelegenheit zur Fortschaffung des Schatzes der Begum, über den ihm ja als dem nach indischer Sitte rechtmäßigen Erben die Bestimmung zustand, darbot; denn in Delhi selbst, auch wenn es glücklich und siegreich einer Belagerung widerstand, konnte er bei der Habsucht des Prinzen keineswegs als sicher gelten. Diese Gelegenheit bot die Praua des Uskoken, die auf Befehl des Maharadschah den Ganges hinauf bis Hassanpur gesegelt war und hier zur Aufnahme bereit stand.
Da der Verkehr zwischen Delhi und Mirut noch nicht durch die Ansammlung der englischen Truppen unterbrochen war und die Entfernung zwischen Delhi und dem Ganges an dieser Stelle nur etwa 40 bis 45 englische Meilen beträgt, so konnte es nicht schwer sein, den größten Teil des Goldes und der Juwelen in sicherem Verschluß und unter dem Schutz der treuen Reiter des Wessirs zu dem Flusse zu schaffen und den Wessir selbst an Bord der Praua zu bringen, die ihn so nach Bithoor und von dort weiter nach Ihansi transportieren sollte.
Dieser Vorschlag war von Tukallah selbst dem Major gemacht worden, und dieser hatte ihn bereitwillig angenommen, da er hoffte, auf diese Weise Lady Hunter und die beiden anderen Bedrohten, von deren Anwesenheit im Hause des Babu ihn seine treue Pflegerin bereits unterrichtet hatte, aus Delhi zu retten. Lady Hunter erklärte jedoch, als ihr der Plan mitgeteilt wurde, daß sie nicht wie Leutnant Willoughby beabsichtigte, sich nach Lukhno wenden, sondern den kranken Freund, wohin er sich wende, begleiten werde, bis sie sich von seiner Sicherheit überzeugt habe.
Es galt nun, die Vorbereitungen zu der Abreise zu treffen, und da der Sofi und der Serdar die Nachricht verbreiteten, daß der kranke Wessir auf den Befehl der Rani nach ihrer Residenz zurückkehre, konnten sie ohne Gefahr öffentlich betrieben werden. Es wurde beschlossen, daß der englische Offizier unter der Verkleidung eines der Ihansi-Reiter das Haus kühn und offen verlassen und die kleine Französin als indische Dienerin die Lady begleiten sollte.
Während diese Vorbereitungen zur Reise offen erfolgten und die Palankine für den Kranken und die Frauen in Bereitschaft gesetzt wurden, hatten der Derwisch und der Serdar heimlich ihre Maßregeln getroffen.
Mit Hilfe des Babus und zweier Begleiter des Gumru waren während der vorhergehenden Nacht die Reichtümer der Schatzkammer in unscheinbare, aber leicht zu transportirende Kisten und Beutel gepackt worden; die Abreise des Wessirs sollte, wie verkündet worden, am zweiten Morgen nachher erfolgen und der neue König oder Mogul sandte während des Tages zwei der Prinzen, seine Brüder, nach dem Hause des Babu, um den tapferen Krieger zu begrüßen und ihm Botschaften an den Nena und die Rani von Ihansi. aufzutragen. Aber in den ersten Stunden der Nacht erhielten plötzlich die Reiter der Gortschura durch ihren zum Wessir beschiedenen Jemindar den Befehl zum sofortigen Aufbruch, der ohne alles Aufsehen erfolgen konnte, da in dieser heißen Jahreszeit die ganze kleine Truppe ihren Lagerplatz unter den Zedern des Platzes vor dem alten Palast der Begum aufgeschlagen hatte. Ein halbes Dutzend fester, zweirädriger Karren, jedes Gespann von einem der Begleiter Tukallahs geführt, fuhr vor der ehernen Pforte des Grabmals auf, und ehe eine Stunde vergangen, war das Gewölbe geräumt und die Kisten und Säcke, die dem Vorgeben nach Munition enthalten sollten, weshalb man die etwa neugierig Herbeikommenden auch durch die ausgestellten Wachen in gehöriger Entfernung hielt, herausgebracht und aufgeladen. Der ganze Streich war so klug berechnet und so rasch und geschickt ausgeführt, daß die ganze Sache fast unbemerkt vorüberging und keinen Verdacht erregte. Selbst als dieser am anderen Morgen erwachte und die Prinzen über die veränderte Stunde und die Vorgänge des Aufbruchs Auskunft forderten, traten ihnen Tukallah und der Sofi mit dem Märchen von der abgesandten Munition entgegen und wußten sie bei der Gewalt, die beide Führer bereits in der Stadt über das Volk und die Soldaten erworben, derart einzuschüchtern, daß weder der wilde Bukthur noch der schlauere Akhbar Jehan weitere Nachforschungen anzustellen wagten.
Sobald die Karren beladen waren, setzte sich der Zug, umgeben von den Reitern, in Bewegung und nahm seinen Weg nach dem Kashemir-Tor, an dem Hause des Babu vorüber. Hier schien man ihn bereits erwartet zu haben, denn sofort öffneten sich die Tore des Hofes und die Palankinträger erschienen mit ihrer Last, während zugleich ein Reiter sich den Männern der Gortschura anschloß und an die Seite des Jemindars ritt.
Eine kleine Szene hatte sich kurz vorher im Innern des Hofes des Babu ereignet. Als der englische Offizier in seiner Verkleidung, von dem Babu geführt, in den Hof trat, sah er einen Diener in der Entfernung von einigen Schritten ein nach indischer Sitte reich geschirrtes Pferd halten. Daneben stand der Palankin der Lady und an seinem Vorhang die Tochter des Bankiers.
Obschon es Nacht war, blieb Willoughby doch mit einem gewissen Erstaunen auf den Stufen des Hauses stehen und sah auf das Pferd, dessen edle Formen sich aus dem Dunkel hervorhoben. Der junge Kavalerist stieß einen schweren Seufzer aus, sie erinnerten ihn an sein treues Lieblingspferd, das ihn an jenem Schreckenstage durch die Tore des Dauri-Serai in wilder Flucht nach dem Arsenal getragen, und das er dann zum letzten Mal erblickt hatte, als es sich, fast im Augenblick der Explosion des Pulvermagazins, mit seinem Reiter, dem wilden Prinzen Bukthur, überschlug.
Da plötzlich wieherte das Pferd laut auf – das edle Tier hatte ein besseres Gedächtnis als der Mensch.
»Gibraltar!«
Mit einem Sprung war der junge Offizier an der Seite seines geliebten Schlachtrosses und begrub sein Gesicht in die Mähnen des edlen Tieres, das den schlanken Hals wendend das feuchte Gebiß an ihn drückte, während die kleine Irma daneben stand und fröhlich in die Hände klatschte. Der tapfere Offizier, der so mutig dem schrecklichsten Tode getrotzt hatte, schämte sich der Tränen nicht; er begriff sofort, wem er diese Überraschung verdankte, und feuchten Auges warf er sich in die Arme des alten Geldwechslers und drückte ihn an seine Brust.
»O Freund! gütiger Mann, dem wir unser Leben, Alles verdanken, wie soll ich Ihnen lohnen für so viel Güte!«
»Indem Du die Überzeugung mit Dir nimmst aus Delhis Mauern,« sagte der Wechsler, »daß auch unter dem Turban eine Seele wohnen kann, die ihre Mitmenschen liebt, ohne nach deren Nation und Glauben zu fragen. Christ, wenn jenes Pferd Dich wieder zum Kampf gegen die Hindostani trägt, dann sei menschlich und bedenke, daß alle Menschen die Söhne unseres Gottes sind, auch die fehlenden und irrenden.
Der wackere Babu, der auf die Bitte seiner Tochter nach dem Pferde des jungen Engländers hatte umherspähen lassen und es angekauft hatte, drängte den Offizier zu dem Tiere und half ihm in den Sattel, denn schon klangen draußen auf den Marmorquadern der Straße die Hufschläge der Reiter, und der Torhüter riß die Pforte auf, um die Träger der Palankine hinaus zu lassen.
Nur wenige Worte vermochten der Babu und seine Tochter mit den Frauen, ihren Schützlingen und dem kranken Offizier zu wechseln, dann drängte der Jemindar, der seine Instruktionen von diesem erhalten hatte, zum eiligen Weitermarsch, und der Zug setzte sich nach dem Kaschemir-Tor in Bewegung.
An diesem harrten seiner bereits der Sirdar und der Derwisch, ihr Ansehen beseitigte alle Bedenken der Wache, und als sie erst gesehen, daß die Reisenden glücklich die Brücke über die Dschumna passiert hatten, befahl der Mahratte, das Tor zu schließen und gebot bei strenger Strafe, es für niemanden vor dem nächsten Morgen zu öffnen.
Der Marsch des kleinen Zuges ging in solcher Eile, wie es irgend der Zustand des Kranken und der Tiere und die Kraft der sich abwechselnden Träger erlaubte, nach den Ufern des Ganges weiter. Es war vormittag 10 Uhr, als sie Hochampur erreichten, wo sie der bereits am Tage vorher vorausgeeilte Uskoke mit der Praua erwartete. Rasch wurden die Schätze der Begum an den sicheren Bord des Schiffes gebracht und für den kranken Wessir ein Lager unter dem Sonnenzelt bereitet, die Palakinträger und Karrenführer zurück gesandt; dann teilte sich die Reiterschar von Ihansi, indem die eine Hälfte den Befehl erhielt, auf dem rechten Ufer des Ganges, die Windungen des Flusses abschneidend, nach Bithoor zu marschieren und dort die Ankunft der Praua zu melden, während die andere mit dem zuverlässigen Jemindar auf dem linken Ufer die beiden Flüchtlinge nach dem Willen des Corfuaners bis in die Nähe von Lukhno geleiten und dann gleichfalls nach Bithoor oder Ihansi zurückkehren sollte.
Zwischen Männern, wie es der wunde Wessir und der junge englische Offizier waren, bedurfte es, obschon beide jetzt Feinde waren, und der eine von dem andern eine schwere Verwundung erhalten hatte, keiner langen Erklärungen.
Leutnant Willoughby und seine Verlobte – die Nonne, hatte während der Tage der Krankheit und ihres Zusammenseins im Hause des Babu die Lady einen tiefen Blick in ihr Herz tun lassen, die edle Frau hatte dessen Gefühle für ihren tapferen Retter bestärkt, und das klösterliche Gelübde ihr als eine gegen Gottes Willen und die Menschennatur streitende Fessel dargestellt, deren Abwerfung jetzt ihre Pflicht sei, um nicht zwei wackere Herzen unglücklich zu machen, – bedurften ihrer Eskorte nur eine kurze Strecke auf dem Wege nach Lukhno. Schon in der Nähe von Budare stießen sie auf die Avantgarden der anrückenden Truppen des General Bernards, der den Offizier sofort als mit den Vorgängen und den Lokalitäten Delhis bekannt bei sich behielt und die junge Französin unter hinreichendem Schutz nach Lukhno sandte, wo sie unter dem Schutz der Lady Inglis und später ihrer Freundin, der Lady Hunter, noch einmal alle Leiden dieses schrecklichen Krieges bei der zweimaligen Belagerung der Residenz durchzumachen hatte, bis endlich am 21. November Sir Colin Campbell in sechstägiger Schlacht die tapfere Garnison befreite und in seiner Schar Kapitän Willoughby sich zum zweiten Mal die künftige Gattin erkämpfte.
Die Reiter seiner Eskorte hatte der junge Offizier schon bei dem ersten Anblick der englischen Vorposten unter einer reichen Belohnung des Jemindars, wozu ihm der unter so schrecklichen Umständen erworbene Anteil an den hinterlassenen Schätzen der Begum die Mittel bot, entlassen.
Aber auch dem wackern menschenfreundlichen Babu und seiner Tochter sollte er noch seinen Dank beweisen können.
Die Belagerung und Einnahme Delhis gehört der Geschichte an.
Am 8. Juni rückten die ersten englischen Truppen gegen die jetzt von einer Armee von 10 000 Aufständischen wohl verteidigte Mogulstadt an. General Hevit in Mirut hatte versäumt, nach der glücklichen Unterdrückung der ersten Aufstandsversuche daselbst mit den englischen Regimentern und den treugebliebenen Umballah-Truppen einen Angriff auf Delhi zu unternehmen, der damals gewiß von Erfolg gewesen wäre, und erst den Generalen Barnard und Anson Botschaft gesandt, die mit Sammlung der Truppen bei Kurnaul viel kostbare Zeit verloren.
Vom 8. Juni bis zum 20. September lag die englische Armee vor der jetzt stark befestigten und verteidigten Stadt. Während dieser ganzen Zeit tat Willoughby, zum Kapitän ernannt, Adjutanten-Dienste, erst bei General Barnards, später bei General Wilson, und einer seiner zuverlässigsten und kühnsten Untergebenen war der Mahoud Manakjy, der sich im Lager der Truppen zu ihm gesellt und mit Moll, seinem Elefanten, direkt unter seinen Befehl gestellt hatte. Das mächtige Tier leistete bei der Belagerung der Stadt die wichtigsten Dienste. Es war, als teile der Elefant die Erbitterung des jungen Führers gegen die Mörder seines früheren Herrn, denn der Mahoud, als er die von Leutnant Willoughby gegebene Erzählung über die an der Tochter des Residenten und den anderen Frauen verübten Scheußlichkeiten gehört hatte, war von einer Erbitterung ergriffen, die selbst den Rachedurst der englischen Offiziere und Soldaten noch weit übertraf. Der Name seiner früheren Geliebten durfte in seiner Gegenwart nicht genannt werden, ohne daß er in die wildesten Verwünschungen ausbrach und für Miß Frazer blutige Rache zu nehmen gelobte. Selbst die Erklärung des Offiziers, daß die unglückliche Engländerin noch im Sterben ihrer grausamen Feindin die Verzeihung einer Christin gewährt hatte, und daß, als er Aurunga bei der Befreiung aus dem Mausoleum der Begum zum letzten Male gesehen, dieselbe sich in einem kaum weniger traurigen Zustande befunden hatte, als ihr Opfer, vermochten den Mahoud nicht milder zu stimmen.
Moll, das riesige Tier, zog und stieß die Geschütze, trug Munition und Faschinen herbei, half die Ausfälle der Belagerten zurückwerfen und wurde bald deren Schrecken. Vergebens richteten sie von den Wällen die Geschütze auf ihn und umsonst versuchten die besten Scharfschützen der Sepoys, sich seiner zu entledigen. Die Kugeln trafen nicht oder verwundeten ihn nur leicht, und jede Wunde schien das Tier noch wütender und eifriger zu machen. Moll war bald der Liebling der Offiziere und Soldaten der ganzen Belagerungs-Armee.
So kam endlich, nachdem an zwei Stellen in den dicken Mauern Bresche gelegt worden, der 20. September heran, der Tag, den General Wilson zum Sturm bestimmt hatte. Der Verlust der Engländer war, im Verhältnis zur Zahl ihrer Truppen ungeheuer, denn es fielen bei dem Sturm nicht weniger als 66 Offiziere und 1178 Mann, also fast der fünfte oder sechste Mann. Dennoch gelang es der europäischen Tapferkeit, den Sieg über die Übermacht der Gegner zu gewinnen. Nach einem furchtbaren Blutbad wurde Delhi an drei Stellen zugleich erstürmt, und als die englischen Truppen das Innere der Stadt gewonnen, ließ die angeborene Feigheit die Indier jeden weiteren Widerstand aufgeben. Die aufständischen Sepoys flohen trotz der wütendsten Anstrengungen ihrer Führer in Masse, und wer von den Bewohnern der alten Mogulstadt mitkommen konnte, entwich. Die Verzweiflung der Besiegten war in der Tat furchtbar. Man sah Männer und Väter ihren jungen Frauen und Töchtern den Hals abschneiden, bloß damit sie nicht in die Hände der »Faringi-Barbaren« fallen sollten! Das Blutbad, das die Engländer anrichteten, war in der Tat furchtbar und entsprach dem gräulichen Wüten der Empörer von Delhi und Cawnpoor, nicht dem Charakter einer christlichen, zivilisierten Nation. Aber dieses Volk der kaltherzigen, anmaßenden Krämer-Politik ist von jeher eine Schande für Europa und das Christentum gewesen!
Man konnte sagen, daß man an gewissen Stellen der Stadt, namentlich im Dauri Serai, im Blute watete, und was die Plünderung der Engländer in Delhi leistete, hat die Mordtaten der fanatischen, rohen, wilden Indier, die doch nur durch die Schandtaten der über alle Beschreibung hinausgegangenen Tyrannei der ostindischen Kompagnie in diesem sonst so sklavischen und demütigen Volke hervorgerufen waren, vollständig aufgewogen.
Es war ein Schlachten und Morden, wie kaum, eine Epoche der rohesten Zeit es je gezeigt. Wo große und blutige Schandtaten die Weltgeschichte schänden, die englische Nation ist stets dabei vertreten gewesen, in ihrer eigenen, inneren Geschichte, wie in den Kämpfen fremder Nationen. Das englische Gold und die englische »Zivilisation« sind mit Blut besudelt, das keine Prahlerei von Freiheit und Humanität abzuwaschen vermag.
Man hat keinen Begriff von den Schätzen, welche die Plünderung der Stadt zusammenbrachte. In dem Dauri Serai waren durch die Räubereien der Empörer allein 2 Millionen Rupien aufgehäuft. Aber diese Summe war nichts im Vergleich zu den Schätzen, die aus den Häusern der reichen Wechsler und Kaufleute zusammengeraubt wurden, durch die nichtswürdigsten Grausamkeiten erpreßt. Es ist eine weltbekannt gewordene Tatsache, daß in den Tagen nach der Eroberung und Plünderung die gemeinen Soldaten die größten Kostbarkeiten, die wertvollsten Juwelen für eine Lappalie in Silbergeld verschleuderten. Ganze Wagenladungen voll solcher Schätze wurden hier, wie später in Lukhno, weggeführt und fielen in die weiten Taschen der habgierigen Beamten der Kompagnie. – – –
Kapitän Willoughby hatte an der Spitze seiner Kompagnie den Brückenkopf an der Dschumna erstürmen helfen und war einer der Ersten, die von dem Kashemir-Tor her in die Stadt drangen. Wichtigen Beistand hatte ihm dabei der Elephant mit seinem Mahoud geleistet. Es war, als ob das mächtige Tier und sein Führer unverwundbar wären. Denn unter dem tollsten Kugelregen sprengte es mit dem Anprall seines Gewichts die schweren Ketten, welche die Brücke sperrten und drückte die von den Kugeln der Batterien bereits demolierten mächtigen Torflügel ein.
Zwei volle Tage dauerte die Plünderung. Am wütendsten wurde um das Dauri Serai und um den Palast und das Grabmal der Begum gekämpft. An dem ersteren Ort leisteten die Prinzen, an dem zweiten der Mahratte Tukallah und der Derwisch Sofi mit einer Schar ihrer tapfersten Leute den heftigsten Widerstand. An beiden Orten hatte auch Kapitän Willoughby Gelegenheit, zu kämpfen und die Leiden, die er ausgestanden, an den Feinden im offenen Gefecht zu rächen. Er war dabei Zeuge zweier Szenen, die ihm unvergeßlich blieben.
Bei dem Angriff auf das Tor des Dauri Serai war Moll mit seinem Mahoud mitten unter den Soldaten und schien förmlich zu wissen, daß hier seine Tätigkeit in dem Kampf zwischen den Indiern, seinen Landsleuten, und den Engländern, seinen Herren und Ernährern, begonnen hatte, als er den Residenten aus den Mauern des Palastes rettete. Eine Menge Frauen und Kinder hatte sich in die Höfe des weiten Serai gerettet, und als die Engländer die Mauern erstiegen und das Tor erbrochen hatten, flüchteten diese Unglücklichen zwischen den Kämpfenden umher, von einem Ort zum anderen. Das mächtige Tier war wie rasend, die Schläge seines Rüssels zerstreuten die Haufen der Indier, und Viele fanden unter seinen plumpen Füßen den Tod.
Plötzlich, während dieser Szenen des Mordens und Kämpfens, hörte man den gellenden Ruf einer Weiberstimme.
»Manakjih! Manakjih! Jai! jaiikar! Tötet! tötet!«
Der Mahoud lehnte sich über die durch den Kampfeifer wie Fächer erhobenen und schlagenden Ohren und sah über den Kopf seines Tieres. Ein Weib mit fliegenden Haaren, mit in Wahnsinn rollenden Augen, das Gesicht verzerrt, in der Hand einen Säbel schwingend, stand in der Mitte eines Haufens auf den Knieen liegender Frauen und Kinder. »Manakjy! Treuloser Hindu, Sklave der Faringi! Kennst Du Dein Weib? Ich bin es, welche die weiße Miß geschlachtet, die Dir lieber war, als Aurunga, die Tochter Deines Volks! Mögen dafür die Rakschahas Dämonen. über Dich kommen, wie sie mich verfolgen.«
Die Wahnsinnige führte einen ohnmächtigen Hieb nach dem mächtigen Tier, der Mahoud rief diesem zwei Worte zu.
Im nächsten Augenblicke hatte der Rüssel des Elefanten das unglückliche Weib umfaßt und schwang sie in die Luft.
»Marai!«
Ein Moment lang sah man die zuckende, heulende Gestalt in der Höhe schweben, dann schleuderte sie der Koloß zu Boden auf die blutgetränkten Marmorquadern des Hofes und seine plumpen Füße stampften auf den zerschmetterten Leibern der Frauen und Kinder umher, während er in wilder Siegesfreude seinen schmetternden Trompetenruf hören ließ.
Von diesem Augenblick an nahmen weder das Tier noch sein Führer weiteren Anteil an dem Kampf!
Kapitän Willoughby hatte sich schon vor Beginn des Sturmes, eingedenk seiner Verpflichtung, von General Wilson die Erlaubnis verschafft, das Haus des Babu Durjan-Saul, seines Retters, nach der Eroberung der Stadt durch eine Sauve-Garde vor den Schrecken der Plünderung schützen zu dürfen, und eilte nach der Erstürmung des Kaiser-Palastes dahin, um diese Pflicht zu üben. Aber, obschon er das ihm wohlbekannte Haus mit Hilfe einiger Soldaten in allen Teilen durchsuchte, konnte er nirgends eine Spur des Babu und seiner Tochter auffinden. Auch sämtliche Diener und Frauen des Hauses mußten während des Kampfes entflohen sein. Er konnte nichts tun, als eine Wache an den Eingang stellen, welche die Plünderung verhüten sollte, und da gerade Manakjy mit seinem Elefanten vorüber kam, wählte er diesen dazu, überzeugt, daß der Respekt vor dem gewaltigen Tier auch den Kecksten in Schranken halten würde.
Der Erfolg hat die Richtigkeit dieser Annahme bewiesen; Manakjy ward später der Gatte der Tochter des Babu und selbst einer der angesehensten und reichsten Geldwechsler in Kalkutta, wohin er mit seinem Schwiegervater übergesiedelt war; Moll lebte noch lange, respektiert von Militär und Zivil.
Den Kapitän rief seine Pflicht alsbald weiter in den Kampf. Dessen letzter Punkt war, wie bereits erwähnt, der Palast der alten Begum von Somroo.
Der Sirdar, wie der Derwisch Sofi waren unzweifelhaft tapfere und umsichtige Führer, und als sie sich von der Feigheit der Sepoys verlassen und den Weg nach dem Lahore-Tor bereits abgeschnitten sahen, hatten sie beide den Beschluß gefaßt, kämpfend auf ihrem Posten zu sterben, um nicht lebendig in die Hände ihrer Feinde zu fallen. Aber ein Schuß, der dem Mahratten das rechte Handgelenk zerschmetterte, und der unglückliche Zufall des Ausgleitens auf dem vom Blut gefeuchteten Boden ließ beide nach schwerem Kampfe in die Hände der Sieger fallen.
Kapitän Willoughby hatte die beiden Personen sehr wohl als Führer und Leiter des Aufstandes, als die Männer, die den Schatz der Begum gehoben und in die Hände des Maharadscha von Bithoor geliefert hatten, erkannt und nicht die geringste Ursache, dies zu verheimlichen. Auf seine Anzeige wurden beide in schwere Fesseln gelegt, und, während ihre Wunden auf das Sorgsamste verbunden wurden, so streng bei Tag und Nacht bewacht, daß selbst jeder Versuch eines Selbstmordes ausgeschlossen blieb. Diese Strenge und Aufmerksamkeit steigerte sich womöglich noch, als einer der Gefährten Tukallahs, ein Mitglied jener furchtbaren Mörderbande, die so lange und eifrig schon von der Justiz verfolgt wurde, um selbst dem Tode zu entgehen, sich zu Geständnissen über die schreckliche Verbindung erbot und den Serdar als eines der Häupter der Würgerbande bezeichnete.
Wir wollen hier gleich bemerken, daß beide Gefangenen bei den späteren Verhören jede Antwort verweigerten und strenges Schweigen bewahrten, selbst, als das Todesurteil über sie gesprochen wurde.
Auch am anderen und dritten Tage versuchte Kapitän Willoughby lange vergebens eine Spur des Babu und seiner Tochter zu finden, bis ihm plötzlich, als er wieder in die Nähe des Palastes der Begum kam, der Gedanke durch den Kopf schoß, ob der Bankier in der allgemeinen Not und Verwirrung nicht von seiner Kenntnis der Geheimnisse des Palastes Gebrauch gemacht und sich in dem unterirdischen Gange oder dem toten Minaret versteckt haben sollte. Da die Ordnung wieder so weit hergestellt war, daß die Herrschaft der Briten in der Stadt unbestritten blieb, und starke Posten auf allen wichtigen Punkten standen, eilte er mit Manakjy und einigen Sapeuren nach dem Garten des Palastes, durch den der Babu sie damals aus dem Gefängnis entführt, und obschon er in jener Stunde bei der tiefen Erschöpfung und Aufregung nur wenig auf den Ort Acht gegeben, gelang es ihm doch, die Grotte aufzufinden, in deren finsterem Hintergrunde sich der verborgene Eingang zu dem unterirdischen Korridor befinden mußte. Aber der Mechanismus, der ihn von außen öffnete, war ihm unbekannt, und als auf alles Klopfen und Rufen kein Zeichen des Lebens erfolgte, war er schon im Begriff, die Nachforschung aufzugeben, als eine unerklärliche Ahnung ihn zu weiteren Versuchen trieb. Die geübtere Hand der Sappeure fand an dem hohlen Klange endlich die Stelle, wo der Eingang sein mußte, und die Hiebe ihrer schweren Äxte zertrümmerten bald das Kunstwerk des geheimen Verschlusses. Mit einer von Manakjy herbeigeschafften Leuchte, den Revolver gegen jede Gefahr schußfertig in der Rechten, betrat der Kapitän den Gang, aber auch jetzt noch blieb sein Rufen ohne Erwiderung, und mehr um die Szenen seiner damaligen Befreiung sich auf ihrem Schauplatze noch lebhafter ins Gedächtnis zurückzurufen, als noch in der Hoffnung des Erfolges setzte er seinen Weg fort und stieg die Stufen der Wendeltreppe hinauf.
Schon hatte er fast ihre Höhe erreicht, als ein Ruf des treuen Mahoud ihn aufmerksam machte. Fast auf derselben Stelle, an der damals Marion ohnmächtig niedergesunken war, kauerten zwei Gestalten, jetzt selbst von der Angst und der erdrückenden Hitze des engen Raumes halb bewußtlos, den Tod erwartend. Es waren der Babu und seine Tochter, die sich in der Tat hierher geflüchtet und noch nicht gewagt hatten, das Versteck zu verlassen. Sie hatten das Donnern der Axtschläge, die den Zugang erbrochen, für das Zeichen gehalten, daß auch ihre Stunde gekommen sei und mit der Apathie der Orientalen sich in den unvermeidlichen Tod gefügt.
Obschon Durjan Saul die Anklage nicht von sich abwälzen konnte, daß er mit den anderen Geldwechslern und Kaufleuten der Stadt die Empörung durch seine reichen Geldmittel unterstützt hatte, kam er doch mit einer sehr geringen Buße davon, da das Kriegsgericht, das jetzt in Permanenz tagte und seine strengen Urteile fällte, die Rettung des englischen Offiziers und der Gattin des Dechanten als Beweise seiner wahren Gesinnung gelten ließ.
Diese Urteile lauteten meist auf Galgen oder Kanone, und jeden Morgen fand eine ganze Reihe von Hinrichtungen statt. Wie die französische Revolution von 1793 die Guillotine erfunden hatte, so gebührte dem englischen Krieg in Ostindien das Verdienst der Erfindung des »Fortblasens«!
Wies doch Lord Ellenborough am 15. Februar des nächsten Jahres (1858) im englischen Oberhause nach, daß seit der Einnahme von Delhi kein Tag vergangen war, ohne fünf oder sechs Hinrichtungen gebracht zu haben, und daß Sir Hugh Rose 149 Aufständische auf einmal habe hängen lassen; ein Morden, das endlich selbst der englischen Regierung zu viel wurde!
Die Nachrichten, die von der Einschließung Lukhnos durch ein Heer von 50 000 Rebellen unter dem gefürchteten Peischwa von Bithoor und den Gräuelszenen in Cawnpoor im Norden eintrafen, konnten wahrlich nicht dazu dienen, die Sorgen des jungen Offiziers um die Geliebte zu beruhigen, aber erst zu Anfang November erhielt er die Erlaubnis, Delhi zu verlassen und sich dem Zuge anzuschließen, den der neue Oberbefehlshaber in Ostindien Sir Colin Campbell nach dem Scheitern des ersten Versuchs General Haveloks zur Befreiung der Garnison von Lukhno noch einmal vorbereitete. Am Tage vor seiner Abreise wohnte er noch der Hinrichtung der Führer des Aufstandes in der Stadt des Großmogul bei.
Vierundzwanzig Galgen waren auf dem weiten Platze vor dem Eingang des Dauri-Serai errichtet, davor standen sechs Kanonen aufgepflanzt. Der Platz selbst war von einer Doppelreihe englischer Truppen besetzt, um jeden etwaigen Versuch zur Befreiung der Gefangenen zu unterdrücken, denn jene Galgen waren bestimmt, die Prinzen der königlichen Familie von Audh aufzunehmen. Ein gleiches Schicksal sollte die noch übrigen Söhne des 82 jährigen Großmogul Akbar treffen und damit die Dynastie Timurs, die freilich längst nur noch ein Scheinleben auf dem goldenen Throne Delhis geführt hatte, gänzlich beseitigt werden.
Die Trommeln wirbelten, als die Tore des Dauri Serai sich öffneten und der Zug der Verurteilten heraustrat. Es waren ihrer dreißig an der Zahl; sechs davon, darunter die Prinzen Akhbar Jehan und der wilde Bukthur, der Mahratten-Sirdar und der Derwisch Sofi, der noch immer als solcher galt, waren zum »Fortblasen« verurteilt – und die 24 Prinzen von Audh. Die sämtlichen Männer gingen mit einer Ruhe und Entschlossenheit zum Tode, die nicht verfehlte, den tiefsten Eindruck zu machen.
Es war das erste Mal, daß der Derwisch und der Sirdar seit ihrer Gefangennahme sich wiedersahen; der Irländer betrachtete den wilden Häuptling, der mit stoischer Ruhe, die Augen starr in die Luft gerichtet, neben ihm herging, mit einer gewissen Scheu und Unruhe.
Sie waren die beiden Ersten, die man vor die Mündungen der Kanonen band, den Rücken gegen diese gekehrt.
Jetzt, während die weiteren Vorbereitungen zu der gemeinsamen Hinrichtung getroffen wurden, wandte der Mahratte zum ersten Mal das Auge mit spöttischem Ausdruck auf seinen Gefährten.
»Mein Freund sieht, wie liebreich seine christlichen Brüder denken, sie haben ihm nicht einmal einen Priester seines Glaubens bewilligt, um seine Todesstunde leicht zu machen!«
»Ich habe keinen verlangt, und sie wissen nicht anders, als daß sie den Feind ihres Glaubens töten. Es ist gleich, ob ich als Muselmann oder Christ sterbe, wenn es nur als Mann und Feind des verfluchten Englands geschieht. Mein Gewissen ist ruhig, und ruhig trete ich vor meinen Gott, denn ich habe nur vergolten, was sie meinem Volke am fernen Ozean getan – kein anderes Blut klebt an meiner Hand! – Wie aber steht es mit Dir?! Man hat mir in meinem Kerker gesagt, Du seist ein Thug?«
»Was kümmert das Dich! Bin ich Dir nicht ein treuer Freund gewesen in dem großen Werk? Ich habe getötet, um zu töten; denn mein Glaube lehrt mich, daß der Kali alle Opfer willkommen sind, ob Freund oder Feind!«
»Und dennoch ist es gut, daß ich dies nicht vorher gewußt; meine Hand wäre dann vielleicht erlahmt, wenn ich an Deiner Seite focht.« –
»Laß uns nicht streiten, Christ, und lebe wohl! Tukallahs Seele beginnt ihre neun Wanderungen, und die Bhawani, der ich die Leben geopfert, wird ihren Jünger grüßen und ihm die Wanderungen leicht machen. Was ist an uns Beiden gelegen? Das Werk der Vernichtung und der Rache an dem Volke der Faringi bleibt in der Hand eines Stärkeren zurück, und wie diese Hand einst das falsche Weib, das Dein Herz schwach zu machen drohte, der Bhawani zum Opfer brachte …«
Das Rollen der Trommeln, die das Zeichen zum fertig machen für die Exekution gaben, wurde durch einen wilden gellenden Schrei unterbrochen, der nichts Menschliches mehr an sich hatte. Der bis dahin so ruhige, feste Mann, den sie den Derwisch Sofi nannten, riß an den Baststricken der Kanone, daß sie sich dehnten und das schwere Geschütz so auf seinen Rädern schwankte, daß mehrere Artilleristen der Bedienungsmannschaft herbeisprangen, es wieder ins Gleichgewicht zu stellen.
» Ungeheuer! – Lady Georga Vgl. Nena Sahib I. Teil. – die Schwester Dyce Sombres, Deines Herrn …«
Unter den vierundzwanzig Galgen standen die vierundzwanzig Prinzen der Königsfamilie von Audh auf den verhängnisvollen Leitern, und über ihnen die Henker, die ihnen eben die Schlinge um den Hals gelegt; vor den Kanonen hingen in ihren Banden die Söhne des Moguls, Trotz und Haß bis zum letzten Augenblick in ihren Augen, die Verfluchung Englands auf ihren Lippen, und an die Seite der Kanonen traten die Unteroffiziere mit erhobener Lunte, das Auge auf ihren kommandierenden Offizier gerichtet …
»Sie war nimmer die Schwester meines Mayadars, nimmer aus dem Blute der Begum«, sagte der Thug mit wildem Stolz. »Diese Hand wars, die sie erwürgte in der Nacht, da sie das Testament stehlen ließ und Dich betören wollte … Gesegnet sei die Bhawani, die meine Hand führte!«
»Und darum …! Fluch über Dich – Fluch über Alle …!«
Der General winkte … die Lunten senkten sich …
»Feuer!«
Ein sechsfacher Donner erschütterte die Luft unter dem rachsüchtigen Hurrahruf der britischen Soldaten; von den vierundzwanzig Galgen schwankten vierundzwanzig Körper in der Luft und dehnten die Stricke, vor den Mündungen der sechs englischen Kanonen – nichts – nichts – leer – an den zerrissenen Enden der Baststricke – ein paar Fetzen blutigen Fleisches, glimmender Lumpen …
Fortgeblasen!!
Am andern Tage verließ Kapitän Willoughby das blutige goldene Delhi!
Während der Erzählung des Joniers hatte der Graf von Lerida lange in tiefen Gedanken gesessen, es war, als beschäftige sein Geist sich mit einem andern Gegenstande. Erst als der Prinz noch verschiedene Fragen über die Verhältnisse und Ereignisse an den Griechen tat, schien er aus diesem Sinnen zu erwachen, stand auf und trat an das kleine Fenster, das nach dem Nebengemach führte. Er beobachtete durch dies lange die Gesellschaft, schüttelte dann den Kopf und winkte dem deutschen Offizier, zu ihm zu kommen.
Der neue Capitano des Brigantaggio erhob sich und folgte dem Wink.
»Wie ists, Signor Riccardo,« sagte der Graf, »da Sie nach der Versicherung Seiner Hoheit schon in den nächsten Tagen in die Gebirge gehen sollen, kann Ihnen die Sache nicht schaden! Sind Sie ein Freund von einem guten Streich, bei dem sich Ernst und Humor die Hand reichen?«
»Gewiß, Herr Graf, ich bin jung genug dazu. Was soll es sein?«
»Ich habe beschlossen, diesen General Pinelli nicht ungerupft nach Neapel zurückkehren zu lassen. Zunächst bin ich ihm selbst aus Varna her noch einen Denkzettel schuldig für einen gewissen Arrest, den er mir zudiktierte, dann aber habe ich, als Ihr würdiger künftiger Kamerad, der Capitano Tonelletto, jene brutale Geschichte erzählte und unser geistlicher Gesellschafter ihm auf das Strengste untersagte, etwas gegen den Mann zu unternehmen, mir im Stillen das Wort gegeben, die Züchtigung in meine Hand zu nehmen und sie ihm, allen politischen Rücksichten zum Trotz, dennoch angedeihen zu lassen! Ich muß Ihnen sagen, daß ich ein ziemlich verkehrter und halsstarriger Charakter bin, und, was ich mir einmal vorgenommen, auch durchzusetzen pflege.«
»So wollen Sie den General fordern, an Stelle jenes irischen Offiziers? Wenn Sie einen Sekundanten brauchen …«
»Nichts da! Zunächst müssen Sie wissen, daß ein Versprechen mich bindet, mich niemals zu duellieren, wenigstens nicht auf die übliche Weise …«
»Aber das bloße Niederschießen wäre offenbarer Mord …«
»Ich denke auch nicht daran, sondern an eine passende Revanche! Mein Wort darauf, es soll kein Tropfen Blut fließen, es sei denn etwa in einer kleinen Rauferei mit der Polizei – doch pflegen unsere Papalinos dergleichen gewöhnlich aus dem Wege zu gehen. Also – darf ich auf Ihre Unterstützung rechnen?«
»Mein Wort darauf! – Ich sprach meinen Wunsch schon vorhin aus!«
»Und das war es eben, was mich den Gedanken fassen und Sie einladen ließ, gemeinsam den Streich auszuführen, bei dem Sie keine andere Mühe und Gefahr laufen sollen, als Ihre Morgenruhe einzubüßen, denn um 7 Uhr Morgens muß ich bereits auf dem Bahnhof von Civita vecchia sein und Sie in Ihrem Bett im Hotel – doch, wo wohnen Sie?«
»Hotel Cesarini, Zimmer Nummero 27 im zweiten Stock!«
» Bene! Sie sollen zur rechten Zeit dort sein!«
»Ich stehe jeden Augenblick zu Ihren Diensten, aber wollen Sie mich nicht näher mit Ihren Absichten bekannt machen?«
»Noch nicht! Es fehlt eben noch der Mann, den ich brauche; aber verlassen Sie sich darauf, für Geld ist in dieser heiligen Stadt alles möglich! Und nun, da Signor Fontana noch auf sich warten läßt, lassen Sie uns zu der Gesellschaft zurückkehren und jene Erzählung hören, die uns General Grimaldi von seiner Heldin versprochen hat.«
Er nahm seinen Platz am Tische ein und erinnerte den ehemaligen Wessir der indischen Fürstin an die versprochene Mitteilung über das Ende derselben.
Major Maldigri, oder wie er sich selbst bezeichnete: der ehemalige Kapitän Marcos Grimaldi, sah einige Minuten in das gefüllte Glas, ohne zu antworten; dann, als habe er sich entschlossen, trank er den dunkelgoldigen Nektar, bis zum Boden aus und begann seine Erzählung:
»Ich habe bereits erwähnt, daß am 21. November 1857 Sir Campbell nach sechstägiger blutiger Schlacht die Besatzung der Forts von Lukhno befreit und mit sich fortgeführt hatte. Aber hinter seinen Kolonnen hatten der Nena und andere Führer des Aufstands die Hauptstadt des Audh aufs Neue besetzt und befestigt, und trotz des Falles von Delhi, trotz der unerhörten Grausamkeiten der Engländer, und trotz des Verrats und der Zwistigkeiten, die durch englisches Gold und englische Intriguen jetzt in den Reihen der Indier einrissen, loderten überall noch die Flammen des Kampfes gegen das aufgezwungene britische Joch.
Ungeachtet aller Anstrengungen und der großen Truppensendungen Englands würde die Herrschaft der ostindischen Kompagnie schwerlich wieder zu einer vollständigen Unterjochung Indiens gelangt sein, wenn der schlaue Palmerston nicht das einzige Mittel angewandt hätte, das die Erbitterung der Indier, die selbst unterliegend, gefangen und verurteilt, mutig zum Tode gingen, mindern konnte: der Antrag auf Aufhebung der Regierungsrechte der ostindischen Kompagnie, jener Gesellschaft von Blutsaugern, die das geduldige indische Volk zur Verzweiflung gebracht hatte. Obschon es anfangs den einflußreichen Mitgliedern der Kompagnie im Parlament gelungen war, diese Bedrohung ihrer Privilegien abzuwenden und das Ministerium Palmerston im Februar Achtundfünfzig zu stürzen, sah doch auch das darauf folgende Tory-Ministerium Derby ein, daß dies der einzige Weg zur Beruhigung Indiens wäre, und so wurde in der Tat die ostindische Kompagnie am 1. September aufgelöst und eine Amnestie für Alle verkündet, die bis zum 1. Januar 1859 die Waffen niederlegen würden, mit Ausnahme der Anführer.
Lukhno war am 10. März von den Engländern erobert worden. Doch zählte das Heer des Nena und seiner Gefährten noch immer hunderttausend Krieger, während die Engländer im Juni dieses Jahres von 84 000 Mann auf 30 000 Mann zusammengeschmolzen waren. Wenn ich mich recht erinnere, war es vor der Wiedereroberung von Lukhno, wo ich das Vergnügen hatte, Sie kennen zu lernen, Signor Conte?«
»Oh ja – wenn Sie es so nennen wollen, daß Sie mich der Gefangenschaft eines mit den Briten verbündeten Fürsten entrissen und mir die Mittel gaben, unerkannt nach Bombay zurückzukehren.«
»Der indische Krieg war kein Feld für Amateurs wie Sie, Signor. Wer dort kämpfen wollte, mußte das Gefühl eines berechtigten Hasses in sich tragen und an Taten gewöhnt sein, die das Blut in den Adern erstarren machen.«
»Es war eine tolle Idee meines Onkels, mich als Soldaten der Freiheit und Revolution diesen gelben Narren zu Hilfe zu senden, die ihre hübschen Weiber auf den Scheiterhaufen schicken. Mit Ausnahme der schönen Königin von Jhansi, die noch braun war, wie eine ungeröstete Kaffeebohne, hab' ich ohnehin dort nicht viel hübsche Weiber gesehen. Mein Onkel war ein Narr und ich ein noch viel größerer, daß ich mich an den Ganges schicken ließ – meinem Vetter Walpole hätte er es sicher nicht geboten. Zum Glück sah ich meine Torheit bald ein und machte deshalb von Ihrer Hilfe Gebrauch. Bei dem parsischen Bankier in Bombay, an den mein Oheim mich adressiert hatte, fand ich überdies die Nachricht von seiner Ermordung am Tage der Hinrichtung Orsinis in Paris, und hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als den nächsten Dampfer nach Suez zu benutzen und Schmuggler in der Bay von Biscaya zu werden.«
»Das sind Abenteuer, deren Erzählung Sie uns nicht schuldig bleiben dürfen, Signor Conte,« sagte der Prinz.
»Ich würde fürchten. Euer Hoheit zu ermüden und den Herrn Abbé erröten zu machen,« meinte der Spanier. »Lassen Euer Hoheit uns lieber hören, wie es der schönen Amazone von Jhansi ergangen ist, der ich die Ehre hatte, damals durch die Güte dieses Herrn flüchtig vorgestellt zu werden. Ich habe sonst in dergleichen einen ziemlich scharfen Blick, Kapitän Grimaldi, und glaubte, Sie einmal als Fürst von Jhansi begrüßen zu sollen.«
Der Jonier senkte finster die Stirn. »Ich habe versprochen, das Ende einer hochherzigen Frau zu erzählen, Signor, lassen Sie mich das Versprechen nicht bedauern. Nach meiner Verwundung in Delhi durch die Hand des jungen Engländers, von dessen Besuch in der Schweiz ich eben komme, lag ich mehrere Monate krank in Jhansi, und nur der aufopfernden Pflege der Rani und des Freundes, der, vom Schicksal selbst hart geprüft und gebeugt, zu meinem Krankenlager als Arzt zurückkehrte, danke ich wahrscheinlich mein Leben. Er hatte, wie so viele und auch ich in diesem entsetzlichen Kriege sein Teuerstes verloren und wollte das Land verlassen. Sie kennen ihn, denn er begleitete Sie auf dem Weg nach Bombay.«
»Sie meinen Doktor Clifford oder Walding? Ich muß gestehen, er war ein ziemlich trauriger Gesellschafter und ich bedauerte es wenig, als er in Bombay zurückblieb, um, wie er vorgab, nach der arabischen oder afrikanischen Küste zu gehen.«
»Doktor Walding?« fragte der Graf Boulbon. »Ein deutscher Arzt?«
»Ich glaube! Das einzige, um was ich den Misanthropen, der nicht einmal zum Sprechen über seine Abenteuer in Indien zu bringen war, beneidete, das waren die zwei prächtigen Ringe, die er trug, einen schwarzen Diamanten von so schönem Feuer, wie ich selbst bei den Juwelen der Königin Isabella nicht gesehen, und einen großen kostbaren Rubin.«
»Er erhielt sie aus den Händen zweier Frauen, die in der Geschichte des indischen Krieges keine kleine Rolle gespielt haben,« sagte der Jonier: »den Diamanten von Mahe Tschund, der beraubten Königin von Lahore, als er ihre einzige Tochter von dem Biß einer giftigen Schlange rettete, den Rubin von Xaria, der edlen Rani von Jhansi zum Dank, daß er ihr dies wertlose Leben erhalten, das ich nicht einmal in ihrem Dienste opfern durfte.«
»Dann ist es richtig, wie ich vermutete,« sagte der Franzose, – »ich erinnere mich, den fränkischen Arzt im Zelte des Königs Theodor zwei solche Ringe tragen gesehen zu haben, und auch der Name stimmt: Doktor Walding.«
Der Jonier faßte lebhaft seine Hand. »Ich zweifle keinen Augenblick – er ist es. Ich bitte Sie dringend, erzählen Sie mir von ihm! Er ist ein treuer und braver Freund, und seit fast drei Jahren habe ich nicht wieder von ihm gehört.«
»Er wäre wahrscheinlich in diesem Augenblick mit mir hier, wenn ihn nicht ein törichter Streit noch in den Wüsten Nubiens zurückgehalten hätte. Wie ich Ihnen bereits sagte, war er der Leibarzt des Königs Theodor von Abessynien geworden, mit dem wir in der Bucht von Arkiko zusammentrafen. Aber er hat den Negus verlassen und sich einem Teil meiner Reisegefährten von China her angeschlossen, die von Arkiko aus ihren Weg durch die Wüste zum Nil genommen haben, um auf diesem stromabwärts nach Kairo und Alessandrien zu gehen. Nannten Sie, Herr Graf, nicht vorhin den Namen: Walpole?«
»Zu dienen, Monsieur – es ist der Familienname eines Vetters.«
»Und dieser Vetter heißt?«
»Lord Frederik Walpole, Viscount von Heresford, als der Erbe der Pairschaft unseres gemeinsamen Oheims, der, wie ich bereits erwähnte, im Frühjahr achtundvierzig in Paris ermordet wurde.«
»Es ist richtig: Lord Frederik Walpole erhielt die Erlaubnis des Generals Cousin de Montauban, auf dem »Veloce« in der Peiho-Mündung sich mit uns einzuschiffen und die Fahrt nach Suez zu machen. Er befand sich in der Gesellschaft einer jungen Sibirierin, einer russischen Fürstentochter und eines deutschen Gelehrten. Ich glaube, es war etwas Eifersucht auf die Gunst dieser eben so schönen als originellen Dame, die einen Streit zwischen meinem Freunde und militärischen Begleiter der mir gewordenen Mission herbeiführte und den Lord, Ihren Vetter, veranlaßte, den »Veloce« in der Bucht von Arkiko zu verlassen und den Landweg nach dem Nil einzuschlagen.«
»Aber die junge Dame, die russische Fürstin? Sie sagten ja wohl, daß sie jung und schön sei?«
»Gewiß, sehr schön, und soviel ich von ihren Schicksalen hörte, eine Waise von abenteuerlichem Charakter, die von ihren Großvätern, einem alten, seit 1812 in den Schneefeldern Sibiriens am Lena hausenden Franzosen und einem alten Tungusen-Häuptling, Ihrem Vetter und seinem Begleiter anvertraut wurde, um sie nach Europa zu führen und dort ihre Rechte geltend zu machen. Die Fürstin Wera Wolchonsky und ihre – Zofe, eine junge Chinesin, hat sich dem Zuge Ihres Vetters angeschlossen, ohne daß ich es verhindern konnte, und, wie ich leider argwöhnen muß, werden die Gefahren, die sie erwarten, nicht gering sein, denn der wilde König Theodor läßt sie aus irgend einer mir unbekannten Ursache verfolgen, und diesen Verfolgern hat sich unbesonnenerweise mein Kamerad, Leutnant de Thérouvigne, angeschlossen, derselbe, der mit Ihrem Vetter Streit gehabt, und dessen Forderung Lord Walpole zurückgewiesen haben soll.«
»Nach einem Gelöbnis, daß wir unserem Oheim machen mußten!« sagte der Spanier. »Aber Sie, Monsieur le Comte, Sie konnten die junge Dame den Gefahren überlassen?«
Der französische Offizier richtete sich etwas beleidigt gegen den unbesonnenen Frager. »Ich habe bereits die Ehre gehabt, Ihnen zu sagen, mein Herr, daß ich keinerlei Gewalt über die Dame und ihre Begleiter hatte. Leutnant de Thérouvigne hat die Mission heimlich verlassen, und da ich den strengen Befehl des Generals en chef habe, ohne jeden Aufenthalt nach Paris zu gehen und meine Depeschen zu überbringen, so habe ich nur drei Tage auf der Reede von Arkiko zubringen können, bis ein anderes Schiff nach Suez bereit, war, und dann meinen Weg ohne den Leutnant de Thérouvigne, der als »erkrankt« an Bord gemeldet war, fortgesetzt. Wie Sie bei dem Herrn Herzog von Grammont hörten, habe ich nicht einmal in Alessandria einen französischen Dampfer nach Marseille abgewartet, sondern die erste Gelegenheit zur Abfahrt über Brindisi benutzt!«
»Ich finde,« sagte Graf St. Brie, »obschon ich kein großer Freund der napoleonischen Disziplin bin, daß Herr von Boulbon sehr richtig gehandelt hat. Wenn der Herr Graf von Lerida solche Besorgnis für eine abenteuernde Schöne hat, nun so hindert ihn ja nichts, seinem Vetter in ihrer Verteidigung zu Hilfe zu kommen und eine Exkursion nilaufwärts, ihnen entgegen, zu unternehmen, ehe er, ohnehin etwas spät, seinen Degen für König Franz in den Abruzzen zieht.«
»Die Sie im Begriff sind zu verlassen, Herr Marquis.«
Der französische Legitimist wandte sich rasch gegen ihn. »Wenn ich nicht irre, hatte ich vorhin Gelegenheit zu hören, daß Sie und Ihr Herr Vetter nicht die Gewohnheit haben, für Ihre Worte Rede zu stehen.«
Eine leichte Röte überzog das Gesicht des Spaniers. »Sie selbst, Monsieur le Marquis, geben mit Ihrer Abreise den Beweis, daß ein Mann sein Wort halten muß, wie schwer es ihm auch ankommen mag, und ich glaube, wir haben beide wohl genug Proben unseres Mutes abgelegt, sodaß kein Zweifel darüber bleiben kann, warum wir nach Frankreich zurückkehren, und warum ich oder mein Vetter die Bravade eines Duells verschmähen müssen. Ich wollte dem Herrn Kapitän Boulbon in keiner Weise mit meiner Frage zu nahe treten und bitte um die Erlaubnis, mir nachher noch einige speziellen Notizen über den Weg einholen zu dürfen, welchen mein abenteuernder Vetter mit den bewußten schönen Damen eingeschlagen hat. Denn in der Tat, der Wink des Herrn Marquis, daß ich ihnen entgegen gehen möchte, hat etwas Verlockendes. – Nun, Signori, ich bin ein Mann von raschen Entschlüssen! Lassen Sie mich rechnen – zunächst also: eine kleine Affäre à la Chicot – Sie haben gewiß die »Fünfundvierzig« des Herrn Alexander Dumas gelesen! – nun gut, rechnen wir einen halben Tag! – dann die Honneurs für Se. Ehrwürden hier …«
»Signor Comte!«
»O – keine Besorgnis! Ich kann diskret sein! Also der morgende Tag gehört der hohen Politik! Dann aber – da der Brigantaggio es nicht zu eilig zu haben scheint! – bin ich mein freier Herr – also sagen wir: übermorgen, Punkt 11 Uhr, nach Ankunft des Bahnzuges von Rom wird meine Yacht, die »Victory«, Kapitän Jones Waterford, im Hafen von Civita vecchia bereit sein, die Anker zu lichten und mich und die Caballeros, welche mir die Ehre ihrer Gesellschaft auf einer Nilfahrt erweisen wollen, nach Alessandria und Kairo zu bringen! Mein Ehrenwort zum Pfande, daß binnen hier und sechs Tagen Juan de Lerida an den Pyramiden auf Ihr Wohlsein sein Glas leeren wird – es müßte denn sein –«
»Nun?« fragte der Prinz lachend.
»Daß Seine Eminenz der Herr Kardinal Staatssekretär, Ihr Vetter, würdiger Capitano, es sehr dringend hätte, mich zum König von Spanien ernennen zu lassen, wogegen ich mich verpflichten würde, Sr. Majestät dem Könige Vittorio Emanuele, obschon er als Grundherr von Roccabrunna mein Landesherr ist und ich Gelegenheit gehabt habe, ihm meine größte Opferwilligkeit zu beweisen, sofort den Krieg zu erklären und die Herren Cialdini und Garibaldi aus Neapel zu jagen!«
»Sie sind voll übermütiger Laune, Herr Graf! der Wein unserer Wirtin ist in der Tat feurig genug!«
»Bitte um Entschuldigung, Hoheit; da aber meine Kandidatur für den spanischen Königsthron jedenfalls mehr Aufschub verträgt, als die Gefahr meines Vetters, des sehr ehrenwerten Lord Frederic Walpole, so werde ich jedenfalls diesem den Vorzug geben und übermorgen auf dem Weg zum Nil sein!«
Der Grieche reichte ihm die Hand über den Tisch. »Und ich, Graf – denn ich kenne Sie genug, um zu wissen, daß Ihnen der Entschluß ernst ist, – werde Sie begleiten, wenn Ihnen dies genehm. Ein Freund und Gefährte, wie jener deutsche Arzt mir war, soll von Marcos Grimaldi nicht sagen, daß er von seiner Gefahr gehört und gezaudert habe, sie zu teilen. Nur sollen Sie mir versprechen, auf dem Rückzug aus Ägypten mich an den Küsten von Corfu zu landen!«
»Der Henker hole den Weg nach Frankreich,« meinte der Marquis, »mit der trüben Botschaft, die ich dahin zu bringen habe, komme ich immer noch zeitig genug! Wenn Sie mich mitnehmen wollen, Herr Graf – ich bin Ihr Mann!«
»Von Herzen willkommen!«
»Meine Herren, meine Herren!« rief der Prinz, Sie wollen uns, wie es scheint, die Zeit der Tafelrunde des Königs Arthur zurückführen, als seine Ritter auf Abenteuer zogen für Ehre und schöne Frauen-Augen. Ich komme mir ganz kläglich vor, hier zurückbleiben zu müssen und nur in der Erzählung und mit guten Wünschen an Ihren Taten teilnehmen zu können. So bitte ich wenigstens, Signore Grimaldi, mich nicht um die Fortsetzung der seinen zu bringen.«
»Euer Königliche Hoheit haben die Gnade zu vergessen,« sagte Don Juan höflich, »daß Sie – während wir jeder mehr oder weniger unsere eigenen Ziele und Launen verfolgen – das erhabenste Beispiel aufopfernder Treue für den König, Ihren Bruder, und den legitimen Thron gegeben haben. Aber ich selbst bin sehr neugierig auf das Schicksal der edlen Rani und auf die Art, wie unser Freund selbst den Kugeln der Faringi entgangen ist.«
Der Jonier nahm seine Erzählung wieder auf:
»Vom Herbst des Jahres siebenundfünfzig bis zum Sommer des nächsten Jahres nahm ich mit dem kleinen Heer der Rani an verschiedenen Zügen und Gefechten teil und suchte in der Zwischenzeit oder, wenn die Rani, was nicht selten der Fall war, selbst die Züge leitete, die Befestigungen von Jhansi zu verstärken, um für jeden Ausgang des Kampfes meiner Gebieterin die Herrschaft ihres Erbes zu sichern, denn mit immer größerer Grausamkeit wurde der Krieg geführt.
Zweimal während dieser Zeit wurden von dem Gouvernement Versuche gemacht, die Rani auf die Seite der Engländer zu ziehen, und beide Male war der Bote ein mir bekannter Offizier, der Major Delafosse, dem ich nach der Metzelei von Cawnpoor Gelegenheit gehabt hatte, Schutz zu gewähren und die Rückkehr zu den Seinigen zu ermöglichen. Beide Male brachte er mir Nachricht von teuren Freunden, dem Dechanten Hunter und seiner Gattin, dem »Engel von Delhi«, die mich nach meiner Vermutung in Delhi nach Jhansi begleitet hatte, statt mit Kapitän Willoughby und seiner Verlobten sich zu ihren Landsleuten zu flüchten, und die alsdann von der Rani Xaria nach Lukhno gesandt worden war, wo ihr Gatte verweilte.
Ich schrieb diese Nachgiebigkeit des englischen Gouvernements gerade gegen die Regierung des kleinen Jhansi teils der unverkennbaren Bewunderung des englischen Offiziers, der jetzt im Stabe Sir Campbells diente, teils den Plänen eines Teufels in Menschengestalt, der viel zu dem so blutigen Ausbruch der Revolution beigetragen hatte, des früheren Residenten von Jhansi, Major Rivers zu, und wußte damals noch nicht, daß noch eine andere Hand über mir und der edlen Xaria wachte.
Beide Male wurde von dieser der Antrag mit Entrüstung zurückgewiesen, das letzte Mal selbst gegen meinen Rat, denn ich sah leider trotz des riesigen Verlustes der Engländer, daß sie bei dem Zwiespalt der indischen Führer, der sich nach der Hinrichtung des Mahratten Tukallah und des Derwisch Sofi oder vielmehr des Kapitän Ochterlony immer verderblicher breit machte, schließlich doch den Sieg davontragen würden.
Im Sommer achtundfünfzig hielten sich die Kämpfer der indischen Freiheit nur noch in Audh. Es war gegen Ende August, als die edle Rani Xaria nach langem Widerstand gegen die andrängenden Engländer sich nach dem stark befestigten Jhansi zurückziehen mußte, das nunmehr von der englischen Übermacht umzingelt und belagert wurde.
Das Kommando der Truppen führte Oberst Rivers, und er hatte dies, wie ich später hörte, als besondere Belohnung der geleisteten Dienste verlangt. Bei den schweren Verlusten, welche die englische Armee auch an höheren Offizieren in dem mörderischen Kriege durch das Schwert der Feinde, durch die Cholera und andere Krankheiten erlitten hatte, und da der ehemalige Resident von Jhansi das Terrain am besten kennen mußte, war es ihm leicht geworden, dies Kommando zu erhalten.
Sie können sich denken, daß die Belagerung von dem rachgierigen Manne mit der größten Energie betrieben wurde. Aber ebenso tapfer war die Verteidigung. Nicht allein die wohlgeübten Krieger der Rani verteidigten die Wälle und Tore der Stadt, jeder Bewohner wurde zum Helden im Kampf gegen die verhaßten Faringi und achtete sein Leben gering, wenn es galt, dem Feinde Nachteil zu bringen.
Die Rani schien sich zu vervielfältigen, an jeder schwer bedrohten Stelle konnte man die Federn ihres Silberhelms wehen, ihren Säbel blitzen sehen und ihren ermutigenden Zuruf durch das Toben der Schlacht erschallen hören.
In den europäischen Kriegen spielt natürlich die weithin treffende Artillerie die Hauptrolle; anders ist es in den Kriegen Asiens. Dort ist der Säbel, die Streitaxt und die Lanze, höchstens die Flinte und Pistole die Waffe des Kampfes, und die persönliche Tapferkeit oder die Übermacht gibt den Ausschlag. Noch mehr als an andern Stellen war das bei Jhansi der Fall, da seine hohe isolierte Lage der Anwendung der Artillerie nur wenig Anhalt bot.
Nach zehn tapfer abgeschlagenen Stürmen war es den Engländern endlich gelungen, auf einem dem Tor von Calpi gegenüberliegenden Berge eine Batterie zu errichten, welche die tapferste Verteidigung der Stadt bald überwand und die Rani zwang, sich in ihre Felsenburg zurückzuziehen.
Von deren Mauern herab hörten wir den Jammerruf der Bewohner während der zweitägigen Plünderung der britischen Truppen, die weder Alter noch Geschlecht verschonte.
Am dritten Tage wandte sich die Wut des Feindes gegen unsern Zufluchtsort, fast den letzten Hort der Freiheit Indiens.
Die Gortschura der Rani, deren Führer zu sein ich die Ehre hatte, war in den blutigen Kämpfen bereits um mehr als die Hälfte geschmolzen, aber die tapferen Krieger hatten geschworen, sich lieber mit ihrer edlen Herrin unter den Trümmern ihrer Veste zu begraben, als sie zu verlassen. Ich denke jeder Stunde jener Tage, jedes Kriegers, der mit seinem Blute diese Felsenmauern verteidigte und vor allem ihrer, der Tapferen und Unerschütterlichen, die von Posten zu Posten ging, oft selbst die wenigen Geschütze richtete, welche die Veste besaß und an dem Tor und auf den Mauern mehr als einmal im wildesten Handgemenge ihren Stahl das Blut ihrer Feinde trinken machte.
Ich habe heute Gelegenheit gehabt, Signori, Ihre Heldenkönigin, zu sehen, die so mutig viele Monden lang an der Seite ihres Gemahls die Gefahren der Belagerung von Gaëta geteilt hat, und ich gedachte unwillkürlich der hohen Fürstin, meiner Herrin, wie sie im gleichen Kampf für ihr Recht gestanden hat. Gott hat das Leben Ihrer tapfern Königin erhalten und sie aus den Trümmern von Gaëta in den Schutz des ewigen Rom geleitet, – die Rani von Jhansi hat ihr Leben gelassen unter den Trümmern ihrer Stadt, und nichts, nichts von ihr ist den treuen Freunden geblieben, als die Erinnerung.
Was ich Ihnen jetzt hier erzähle ist, wie Sie sogleich hören werden, nur zum Teil Selbsterlebtes. Das Wichtigste weiß ich nur aus den Mitteilungen anderer und den Abschiedsgrüßen zweier Freunde, die der Tod vereint hat in einem gewaltigen Grabe.
Es konnte weder der Rani noch mir verborgen sein, daß die Tage unseres Widerstandes auch in dieser Felsenveste gezählt waren.
Mit ernstem Antlitz schritt die Heldin durch die Mauergänge, die Höfe und Gemächer der Burg oder beriet mit mir, wie der Widerstand noch länger fortzusetzen wäre, bis es vielleicht dem Nena, an den sie schon zweimal Botschaft um Beistand gesandt hatte, gelingen könne, Jhansi zu entsetzen.
Ich selbst setzte wenig Vertrauen auf den Erfolg dieser Botschaften und die Hilfe des grausamen Maharadscha von Bithoor. Ich hatte mich bereit gemacht, mit dem Säbel in der Hand in der Verteidigung meiner Königin zu sterben, und die Rani wußte es.«
Der Jonier machte eine kleine Pause und berichtete den aufmerksam Lauschenden dann etwa folgendes, ohne freilich die eigene Person so rühmend hervorzuheben:
Es war am zehnten Tage der Belagerung, als sich am Morgen in dem Lager der Bedränger große Bewegung zeigte, ein zahlreicher Zuzug englischer Truppen mit zwei schweren, von Elefanten gezogenen Belagerungsgeschützen war vor den Toren der geplünderten Stadt angelangt, man hatte von der Höhe der Mauern den Residenten mit seinen Offizieren den Ankommenden entgegenziehen und den an ihrer Spitze reitenden Führer ehrerbietig begrüßen sehen, woraus Maldigri schloß, daß ein dem Range nach höherer Offizier als Oberst Rivers eingetroffen sein mußte; mehrere Palankins hatten den Zug begleitet und neun Zelte waren jenseits der Stadt außer dem Bereich der Geschütze der Burg aufgeschlagen worden.
Dies alles hatte die Fürstin mit ihrem Wessir in Augenschein genommen, und sie betrat jetzt ihr Gemach, um sich mit dem Getreuen zu beraten.
Ein Wink gebot ihm, auf dem Divan ihr gegenüber Platz zu nehmen.
»Lakschmi, die Göttin des Glücks,« sagte die Rani, »verhüllt ihr Antlitz in Wolken. Was denkst Du über die Vermehrung unserer Feinde?«
»Die Zahl der Soldaten würde uns wenig kümmern, Hoheit,« sagte der Wessir, »aber ich habe gesehen, daß sie zwei Bomben-Mörser mitgebracht haben, welche die Kugeln im Bogen werfen. Deine Hoheit hat gesehen, daß selbst die Kanonen der Faringi uns nicht viel anhaben konnten, da der Weg zum Tor der Burg sich seitaufwärts windet, ihre Kugeln von unter her das Thor nicht erreichen können, und jenes Plateau, auf dem sie ihre Kanonen aufgestellt haben, zu weit entfernt ist, um im geraden Schuß uns schwer zu schädigen. Aber das wird anders sein, wenn es ihnen gelingt, die beiden Geschütze von schwererem Kaliber dorthin zu bringen. Ihre Kugeln müssen die Mauern zerstören, und die Bomben, wenn es ihnen erst gelungen, die richtige Distanze zu finden, werden bald von oben her alles zerstören. Du kennst die Gewalt dieser Geschosse nicht.«
»Möge die Kali alle verderben, die sie gegossen und hierher gebracht haben. Marcos, mein Freund, Du sollst Dein Leben nicht an ein verlorenes Weib hängen, der Dein Herz verschlossen geblieben ist, obschon Du sehen mußtest, daß das ihre an Dir hing, blos um eines leeren Wortes willen. Xaria, die Rani von Ihansi, der Du so lange treu und tapfer gedient, entbindet Dich Deines Schwurs, Du bist von diesem Augenblick an nicht mehr der Führer meiner Tapferen – Du wenigstens sollst dem Verderben entgehen und fliehen, ehe es zu spät ist!«
Der Jonier erhob sich und trat vor die schöne Frau, deren Auge finster an dem Boden hing.
»Was berechtigt die edle Rani von Ihansi, gering von einem Manne zu denken,« sagte er ernst, »der ihr bisher treu und redlich gedient hat? Bei Männern von Ehre ist es nicht Sitte, ihren Kriegsherrn feig zu verlassen, wenn die Nacht des Unglücks über ihn kommt, bloß um das eigene Leben zu retten. Laß uns, ehe sie ihre Kanonen und Mörser aufgestellt haben, diese Nacht mit unseren letzten Tapferen einen Ausfall tun, ihr Lager angreifen und uns durchzuschlagen versuchen. Die noch übrigen Männer Deiner Gortschura werden Dich in ihre Mitte nehmen, und sie werden sterben zu Deiner Verteidigung oder zu Deiner Rettung.«
»Nicht also, tapferer Khan! Meinst Du, wenn Shanda Xaria dieser Burg hätte den Rücken wenden wollen, sie hätte es nicht längst ohne Schwertschlag gekonnt?«
»Aber, wir sind von Feinden umringt, Hoheit!«
»Hast Du vergessen, daß Du mich zwei Mal auf der Jagd draußen in der Dschungel trafst, während ich beide Male das Tor dieser Burg nicht durchschritten hatte?«
»Es gab mir allerdings zu denken, doch es war nicht meine Sache, dem Geheimnis nachzuforschen.«
»Es führt ein nur dem jedesmaligen Gebieter von Ihansi bekannter geheimer Felsengang aus dem tiefsten Keller der Burg ins Freie – weit hinaus über die Posten der Faringi. Auf ihm wirst Du diese Mauern verlassen und Leben und Freiheit bewahren …«
»Mit Dir, Herrin, und mit unseren Tapferen?«
»Nein, Khan! Du wirst allein gehn!«
»Niemals!«
»Ich will es, ich befehle es Dir! Du darfst nicht mit Xaria sterben!«
»Mein Leben, Rani, gehört Dir!«
Ihr Auge hob sich zum ersten Mal vom Boden und traf auf ihn mit einem fast feindseligen Strahl.
»Du lügst, Christ!«
»Hat die Rani von Ihansi Marcos Maldigri, ihren Wessir, jemals unwahr befunden?«
»Nicht bis zu dem Augenblick, da Du, der finsteren Bhawani entrissen, von Delhi zu Shanda zurückkehrtest.«
»Ich glaube, auch dann nicht,« sagte der Condottiere mit einem leichten Schwanken der Stimme.
»Nein, auch dann nicht! Du hast Recht, denn ich habe Dich niemals befragt. Höre mich an, Marcos Maldigri, denn es muß klar werden zwischen Dir und mir, ehe wir scheiden, und Kadrikeia ihren dunklen Schleier zwischen uns breitet.« Sie hob die von der Flamme der Sotti verstümmelten Finger ihrer linken Hand Vgl. Nena Sahib, II. Teil: Die Sotti. in die Höhe. »Erinnerst Du Dich des Tages, als Du mich aus den Flammen des Scheiterhaufens trugst, und der falsche Sindiah mich zur Rani von Ihansi krönte?«
»Es war der Tag, an dem ich in Deinen Dienst trat, Herrin.«
»Ich glaubte anfangs, ein Anderer hätte dies Leben gerettet, jener Faringi, der jetzt zwei Mal zur Burg kam, mich zur Unterwerfung aufzufordern. Ich irrte mich! Als man Dich zu mir führte, und Dich meinen Retter nannte, sah ich einen Mann!«
»Auch Major Delafosse ist ein Tapferer!«
Die Rani schien die Unterbrechung nicht zu hören.
»Damals gelobte ich mir, Dir zu danken, und Dich auf den Thron des befreiten Ihansi zu setzen, wenn ich Deine Achtung und Deine Liebe gewonnen. Es ist Beides mißlungen. Die Fahne der Faringi weht auf den Trümmern des besiegten Hindostan, und Shanda Xaria ist verschmäht von dem Mann ihrer Wahl. Die schwarze Faringa hat ihr sein Herz geraubt! Geh! Du hast kein Recht, mit Xaria zu sterben!«
Er stand noch immer vor ihr, die jetzt frei und fest zu ihm aufsah.
»Du irrst, Hoheit,« sagte der Jonier, »sie, die Du meinst, ist die Gattin eines Anderen und vielleicht bald ein Engel im Himmel, dessen Pforten auch uns sich öffnen. Was auch die Gefühle der Jugend waren, ich achte Dich am Höchsten unter allen anderen Frauen!«
»Aber Deine Liebe?«
»Frage Dein eigenes Herz, ob mir die Deine geworden, oder bloß Stolz und Dankbarkeit Dich zu mir führten?!«
Ihre Augen hatten sich wieder zu Boden gesenkt unter dem strengen Blicke des Mannes. Aber sie wurde der Antwort überhoben durch das entfernte Schmettern einer Trompete, die eine englische Fanfare blies.
»Was ist das?«
»Wenn ich richtig gehört, Hoheit, das Signal eines Parlamentärs. Soll ich nachschauen.«
»Nein – bleib, Marcos Maldigri! Du hast vergessen, daß Du nicht mehr der General meiner Krieger bist.«
Ein zweimaliges Händeklatschen vor der Matten-Portiere, welche die Tür vertrat, verkündete, daß Jemand draußen harre.
»Tritt ein!«
Ein alter Sirdar der Gortschura hob die Portiere und trat über die Schwelle. Er machte den Salem vor der Fürstin und wandte sich dann zu dem Wessir, seine Meldung zu machen, aber ein schweigender Wink wies ihn zur Rani.
»Was ist? Was bedeutet die Trompete der Faringi?«
»Hoheit, es sind zwei Abgesandte des Feindes, die Einlaß verlangen und mit Dir sprechen wollen.«
»Wer sind sie?«
»Der Eine ist der Faringi-Offizier, der schon zwei Mal zur Burg kam, der Andere trägt das schwarze Kleid der Christen-Derwische.«
»Ein Geistlicher?« entfuhr es unwillkürlich den Lippen des Griechen.
»Laß Sie eintreten und führe sie in die große Halle, wo der Thron des verstorbenen Radschah, meines Gemahls steht. Ist es Ihnen gefällig, Sahib Maldigri, mich zu begleiten?«
Er schritt schweigend hinter ihr her, die Mitteilung, daß ein englischer Geistlicher den Parlamentär begleite, machte ihn unruhig.
Auf den Befehl der Rani hatten sich ihre Frauen und alle Krieger, die nicht den Wachtdienst hatten, in der Halle der Burg versammelt, während sie den Sitz auf dem Sessel von vergoldetem Sandelholz einnahm. Man hörte die Musik der Beckenschläger und Pfeifer, die mit dem streng beobachteten Ceremoniell den beiden Abgesandten des Feindes vorangingen, die von zwölf Leibwächtern mit blanken Säbeln begleitet waren.
Der Grieche erkannte in den Eintretenden sofort den Kapitän oder jetzigen Major Delafosse und seinen alten Freund, den Dechanten Hunter. Er wäre ihnen entgegengeeilt, ihre Hand zu drücken, wenn nicht ein strenger Blick der Rani ihn auf seine Stelle gebannt hätte.
Als den beiden Boten die Binde von den Augen gelöst war, die man ihnen beim Eintritt in die Veste umgelegt, tat der Offizier einen Schritt auf die Fürstin zu, beugte fast unwillkürlich halb das Knie vor ihrer stolzen Erscheinung und legte die Hand auf sein Herz, während er sie mit den Augen zu verschlingen schien.
Der Dechant streckte dem Freunde beide Hände entgegen, dann erst verneigte er sich vor der kriegerischen Frau.
»Seid gegrüßt, Sahibs, auch wenn Ihr als Feinde kommt, in dem letzten Hause Xarias, der Rani von Ihansi,« sagte die Fürstin mit einer stolzen Neigung des Hauptes.
»Hoheit,« sprach hastig der Offizier, »wir sind glücklich, Dir nicht als Feinde, sondern mit einer Botschaft des Friedens nahen zu dürfen. Der Lord General-Gouverneur, mit dem ich diesen Morgen von Allahabad vor Deiner Burg eingetroffen bin, bietet Dir einen Waffenstillstand von vierundzwanzig Stunden und ladet Dich zu einer Unterredung mit ihm selbst ein.«
»Sir Colin Campbell, der stolze Gouverneur von Hindostan, der General der ostindischen Kompagnie und der blutige Sieger von Lukhno?« fragte ungläubig die Fürstin.
»Er selbst! Aber es gibt keine ostindische Kompagnie mehr, das britische Parlament hat die berechtigten Klagen der Indier gehört; die unzeitgemäße und oft grausame Herrschaft jener Gesellschaft von Kaufleuten ist durch den Beschluß des Parlaments vom 8. August und durch die Sanktion der Königin mit dem ersten Tage des Monats aufgehoben, und eine bessere Zeit soll auch für Indien heraufbrechen!«
»So wollen die Faringi Hindostan seinen alten natürlichen Herren zurückgeben und zurück über das Meer gehen?« fragte halb ungläubig noch, aber mit hoher Erregung die Rani.
Der Offizier errötete. »Deine Hoheit mißversteht mich,« sagte er, »wie dürfte die englische Regierung den Besitz von Indien aufgeben! Nur die traurige Herrschaft habsüchtiger Kaufleute soll das Land nicht mehr drücken! Ordnung und Gesetz soll in diesen Kolonien herrschen, wie im Mutterlande, und unter ihrem Schutz eine neue Zeit für das schwergeprüfte Land anbrechen.«
»Lord Canning, ein gerechter Mann, ist zum Vize-König von Indien ernannt worden,« nahm der Dechant das Wort. »Die Proklamation der Königin Viktoria verheißt von nun an ein gerechtes Regiment für alle Volksklassen, Achtung der indischen Religionen und Gebräuche, Heilighaltung der Verträge, Sorge für das materielle Wohl des Volkes, Zutritt der Eingeborenen zu den öffentlichen Ämtern nach Maßgabe der Befähigung und bürgerliche Gleichberechtigung.«
»Und wieviel Lak Rupien neuer Steuern und Tribute verlangt die Königin von England für diese überschwengliche Großmut?« fragte mit Hohn die Rani.
»O Hoheit, nicht diese Bitterkeit! England meint es ehrlich.«
»Ich werde es glauben, wenn der letzte Faringi diesen Boden verlassen hat. Mach' es kurz, Sahib, und sage, was England verlangt?«
»Was es natürlich verlangen muß, die sofortige Beendigung des Aufstandes. Die Proklamation der Königin erteilt allen Aufständischen, die vor dem ersten Tage des neuen Jahres (1. Januar 1859) die Waffen niedergelegt haben, volle Amnestie. – Du mußt selbst wissen, Hoheit, daß die britischen Truppen bereits überall Sieger sind und nur noch in einigen Teilen des Audh der Widerstand fortdauert, der in kurzer Zeit ganz überwältigt sein wird.«
»Gilt diese Amnestie unbeschränkt, ohne Ausnahme?« fragte der Grieche.
»Der Wortlaut sagt: ›Allen Aufständischen – mit Ausnahme der Anführer und Mörder!‹«
»Aber glauben Sie nicht, Freund,« rief der Dechant eifrig, »daß dies Bezug auf Sie haben kann oder auf die Fürstin. Um Sie davon zu überzeugen, sind wir eben hier. Major Delafosse ist ja selbst ein redendes Beispiel, wie hochherzig Sie gehandelt haben, obschon in den Reihen unserer Gegner, und man erinnert sich sehr wohl Ihres Dazwischentretens an jenem furchtbaren Abend im Palaste des unseligen Mörders, des Nena zu Bithoor. Lady Mallingham hat, auch nachdem ihr Gatte den Leiden des Krieges erlegen ist, nicht aufgehört, im Verein mit uns dafür zu wirken, daß Sie von der Liste jener Ausnahmen gestrichen worden sind. Man kennt und will nur kennen den sardinischen Major Maldigri, der im ehrlichen Kriegsdienst eines der eingeborenen Fürsten gestanden hat. Sie brauchen nur Ihr Ehrenwort zu geben, Indien binnen Monatsfrist zu verlassen.«
»Und meine Gebieterin – Ihre Hoheit, die Rani?«
»Auch für sie bewilligt der General-Gouverneur die persönliche Amnestie. Ja, es ist alle Aussicht vorhanden, daß sie unter gewissen Bedingungen ihr Land und ihren Thron behalten mag, da die Regierung die eingeborenen Fürsten nicht vertreiben will. Sie wissen nicht, Hoheit, welche treuen und eifrigen Freunde und Fürsprecher Sie im Lager Ihrer so schwer verkannten Freunde haben. Lady Arabella Seymour, meine Gattin, ist durch ihre Mutter eine nahe Verwandte General Campbells, und sie hat nicht aufgehört, ihm Ihre hochherzigen Eigenschaften zu rühmen und ihn zu bestürmen, bis der General selbst sich entschlossen hat, diesem traurigen Kampfe hier ein Ende zu machen, und Sie zu dieser Unterredung aufzufordern. So leidend meine Gattin ist, hat sie darauf bestanden, uns hierher zu begleiten, um für Sie beide zu wirken.«
»Arabella – Lady Hunter ist mit Ihnen, Freund?« rief der Grieche.
»Und erwartet Sie, sobald der angebotene Waffenstillstand geschlossen ist, um Ihnen Lebewohl zu sagen, wie ich mit schwerem Herzen sagen muß, wohl für dieses Leben; denn ich fürchte, sie wird eine Rückkehr nach Europa nicht aushalten; die Leiden in Delhi und Lukhno haben ihre Lebenskräfte erschöpft.«
Die Rani hatte mit finsterem Blicke all diese Worte angehört, die in englischer Sprache gewechselt wurden, welche sie zur Genüge verstand. Bei der Erwähnung der Anwesenheit der Gattin des Dechanten warf ihr Auge einen Blitz hinüber nach dem Freunde, gleich darauf war sein Ausdruck wieder finster und kalt.
»Darf ich mit Major Maldigri die Bestimmungen der Waffenruhe verabreden?« fragte der britische Offizier, »und wann und wo, Hoheit, soll Deine Unterredung mit dem Oberbefehlshaber stattfinden? Ich, wir alle flehen Dich an, Hoheit, der Vernunft und dem Rate Deiner wahren Freunde Gehör zu geben, nicht den Eingebungen eines unversöhnlichen Hasses.«
Aller Augen hingen an dem Munde der kriegerischen Fürstin, der Leben oder Tod verkünden sollte. Schwere Stille lag auf der Versammlung.
»Maldigri Khan,« sagte endlich die Rani, »ist nicht mehr in meinem Dienst, er möge zu seinen Freunden, den weißen Männern und Frauen in Sicherheit gehen,« sagte sie dann.
Der Condottiere ließ den Säbel rasselnd auf die Marmorfliesen der Halle niederfallen. »Mein Platz ist bei Dir, Rani von Ihansi,« sagte er finster, »ich nehme keine Amnestie, wenn Du sie nicht teilst.«
»Er wäre nicht wert, ein tapferer Soldat zu heißen, wenn ers täte!« rief heftig der britische Offizier. »Bedenke, Hoheit, daß auch seine Freiheit und sein Leben von Deinem Entschluß abhängen!«
Die Rani hatte sich von ihrem Sitz erhoben und stand hochaufgerichtet auf der Stufe, die ihn trug, vor den Männern.
»Laßt die Waffen ruhen bis morgen um diese Zeit,« sagte sie ruhig; »verhandle mit dem Sirdar Ali dort das Weitere, ich werde unterzeichnen und bereit sein, den General zwei Stunden vor Sonnenuntergang auf dem Platze zwischen dem Aufgang zur Burg und den Trümmern der Stadt zu sprechen. Bis dahin will ich allein sein!«
Sie grüßte mit einer leichten Neigung des stolzen Hauptes den Parlamentär und seinen Begleiter und verließ mit majestätischer Haltung die Halle.
Mit begeisterten Blicken schaute Major Delafosse, mit finsterem Ernst der bisherige Wessir der königlichen Gestalt nach, als sie durch die sich öffnenden Reihen ihrer Krieger schritt. Erst als die Hand des alten Freundes seinen Arm berührte, erwachte Letzterer aus seinen brütenden Gedanken.
»Dem Himmel sei Dank,« sagte der Dechant, »daß sich ihr Herz zur Ergebung neigt. Aber, was ist das? Warum zürnt die Rani Ihnen, der Sie doch für ihren vertrautesten Freund gelten?«
Major Delafosse erwartete mit sichtbarer Spannung die Antwort des Griechen.
»Ich weigerte mich, ihr zu gehorchen in einer Sache, die mir Pflicht und Ehre verboten. Wenn der Waffenstillstand unterzeichnet ist, darf ich Sie begleiten?«
»Gewiß,« sagte der Major. »Ich bürge für Ihre Sicherheit.«
»Dann lassen Sie mich nur die Attribute des Oberbefehlshabers ablegen, ich bin jetzt nichts mehr, als der einfache Krieger der Königin.«
Die Nachricht von der Unterbrechung der Feindseligkeiten hatte sich schnell in der Burg verbreitet; die fanatischen Krieger standen in Gruppen umher und besprachen das Ereignis und was sich daran knüpfen sollte. Es waren noch einige unter den Kriegern, die jener verhängnisvollen Tigerjagd vor dem Ausbruch der Empörung beigewohnt hatten und den Major Delafosse kannten. Trotz des nationalen Hasses grüßten sie ihn mit Achtung, als er jetzt in Begleitung ihres bisherigen Führers, des Geistlichen und des alten Sirdars vorüberkam, den die Rani so launenvoll plötzlich mit dem Posten des Griechen betraut hatte; nur einige wenige finstere Fanatiker witterten in der Entfernung des Wessirs einen Verrat gegen ihre Gebieterin, und mieden ihren bisherigen Offizier, auch, als er nach zwei Stunden, da er aus dem englischen Lager zurückkehrte, zu der Fürstin geführt zu werden verlangte.
Die Rani ließ ihm den Eintritt verweigern und ihn bedeuten, daß sie ihn erst sehen wolle, wenn sie sich zu der Zusammenkunft mit General Campbell begeben werde. Ohne Widerrede wandte sich der Grieche nach seinem eigenen Gemach; schweres Leid schien auf seiner Seele zu lasten. Er kam von der Seite der Frau, die er in der Jugend so innig und aufopfernd geliebt, und die er jetzt, einem Schatten ihres früherem Selbst ähnlich, gefunden hatte. Der erste Blick hatte genügt, ihm zu zeigen, wie sehr die Befürchtungen ihres Gatten Recht hatten, und wie nur noch die Sorge um den Geliebten und der Wunsch, ihn noch einmal vor der Nacht des Grabes wiederzusehen, die scheidende Seele in diesem schwindenden Körper zurückgehalten und ihm die Kraft gegeben hatten, diesmal die Reise nach Ihansi wirklich zu vollenden, die vor Jahresfrist durch die Abweisung der stolzen Frau und den Ruf der Pflicht unterbrochen worden war.
Trotz ihrer stolzen Zurückgezogenheit hatte die Rani nicht versäumt, alle Anstalten zu ihrer Zusammenkunft mit dem englischen Oberbefehlshaber zu treffen. Ihre Diener schlugen auf dem Platze, der zu dieser Zusammenkunft bestimmt war, ein kostbares, nach allen Seiten offenes Seiden-Zelt auf; vergoldete Sessel standen für den General und die Fürstin einander gegenüber, während zu beiden Seiten des Zeltes lange Schranken die Grenze bezeichneten, bis zu welcher der niedere Teil des gegenseitigen Gefolges sich vordrängen durfte. Nicht die Verzeihung suchende Besiegte sollte den Überwinder empfangen, sondern die indische Fürstin, die tapfere Kriegerin den Befehlshaber ihrer Feinde, mit dem sie auf gleichem Fuße verhandelte.
General Campbell, der damalige Oberbefehlshaber der englischen Truppen in Indien, der Wieder-Eroberer von Lukhno, war zum Glück ein zwar rauher und stolzer Krieger, der sich bereits bei Balaclava und Inkermann hohen Ruhm erworben hatte, aber ein gerechter und hochsinniger Mann, der sich nicht um Nebendinge kümmerte, wenn er nur in der Hauptsache seinen Willen durchsetzte.
Auf den Wunsch der Lady, seiner Verwandten, hatte der General diese noch einmal besucht, ehe er sich mit seiner Suite zu der Zusammenkunft mit der Rani begab, und ihr in die Hand jede mögliche Nachsicht mit der tapferen, aber unglücklichen Fürstin gelobt.
Die Sonne neigte sich im Westen bereits stark zum Niedergang, als der britische Oberbefehlshaber zu Pferde sich mit seiner zahlreichen Begleitung dem Orte näherte, wo die Zusammenkunft stattfinden sollte. Englische Schildwachen hatten die eine Seite des Platzes besetzt, während die bärtigen Krieger der Gortschura der Rani auf ihre Speere gestützt auf der anderen Seite der Schranken standen.
In demselben Augenblick, in dem man den Zug der Engländer ihr Lager verlassen sah, öffneten sich die Tore der Felsenburg, und die Rani verließ auf einem Sessel, getragen von vier schwarzen Dienern, die Veste. Zu gleicher Zeit langten die Spitzen beider Züge an dem Zelt an, der General stieg vom Roß, und die Rani verließ ihren Palankin und betrat zuerst den inneren Raum des nach allen Seiten geöffneten Zeltes, wo sie, als die Herrin des Bodens, auf dem sie standen, mit einer leichten Verbeugung den General begrüßte und auf dem vergoldeten Sessel Platz nahm, während sie mit einer würdevollen Geberde den General einlud, den Sitz ihr gegenüber einzunehmen.
Das beiderseitige Gefolge reihte sich hinter den Sitzen ihrer Führer, neben dem des Generals stand zur Rechten Oberst Rivers, der die Fürstin mit höhnischen Blicken betrachtete, während den Platz zu seiner Linken der Dechant Hunter einnahm und hinter seinem Sessel sein Adjutant, Major Delafosse, stand.
Die Rani saß allein: Major Maldigri, in bürgerlicher europäischer Kleidung, stand zwischen den Kriegern.
Die Fürstin selbst eröffnete nach einer kurzen Pause das Gespräch in dem Augenblick, als Major Rivers vortrat, sich zum Dolmetscher anzubieten.
»Shanda Xaria, durch das Erbe ihres verstorbenen Gatten und die Belehnung des Sultans von Gwalior, redet zwar nur ungern in der Sprache der Faringi,« sagte sie, »aber da der Sahib General wahrscheinlich noch nicht das Hindostani versteht, ist sie bereit, in seiner eigenen Sprache von Mund zu Mund zu verkehren, statt sich der feilen Zunge eines dritten zu bedienen. Die Höflichkeit, einem tapferen Feinde erwiesen, kann den, der sie übt, nicht erniedrigen.«
»Du kommst meinem Wunsche zuvor, Dame,« sagte sogleich, während der Resident mit gefurchter Stirn und gehässigem Blick zurücktrat, der alte Krieger, offenbar freundlich berührt von der Anerkennung, die in den Worten der Fürstin lag, »und ich danke Dir dafür. Ich bin erst seit diesem unglücklichen Aufstand in Indien, und ich fürchte, Deine Landsleute kennen besser die blutige Sprache meines Säbels, als die versöhnlichen Laute meiner Stimme. Ich hoffe, wir werden uns von Mund zu Mund leichter verständigen, wenn Du der Vernunft mehr Gehör gibst als den Eingebungen eines törichten Hasses, und zum Gehorsam gegen die Regierung zurückkehrst.«
Die Augen der Rani blitzten stolz bei den letzten Worten des alten Kriegers.
»Ihansi, Sahib General, war stets ein unabhängiges Fürstentum unter dem Scindia von Gwalior, nicht Eigentum der englischen Kaufleute. Wenn wir im Kriege mit den Engländern leben, so ist dies nicht eine Empörung von Untertanen gegen ihren gesetzmäßigen Lehnsherrn!«
»Dieser Herr, Fürstin,« sagte der General, auf den Residenten deutend, und zum erstenmal seine stolze Gegnerin mit ihrem Titel anredend, »stellt das Verhältnis allerdings anders dar. Aber wir wollen nicht streiten darum. Jedenfalls führtest Du ohne Erlaubnis Deines Lehnsherrn, des Sultan von Gwalior, gegen uns Krieg und bist besiegt.«
»Noch nicht!«
»Torheit! Deine Felsenburg kann einem ernstlichen Angriff nur noch Tage widerstehen; wer es redlich mit Dir meint, muß Dir dies sagen, und Du hast bisher einen zu tüchtigen Soldaten an Deiner Seite gehabt, als daß Du dies nicht selbst wissen solltest. Wir sind unzweifelhaft die Sieger und haben Ihansi erobert. Indes, die englische Regierung will großmütig sein, und aus politischen Gründen gegen die indischen Fürsten Nachsicht üben. Wenn Du die Burg vor Ablauf des gegenwärtigen Waffenstillstands übergibst, sollst Du nicht einmal als Kriegsgefangene behandelt werden, sondern auf freiem Fuß bleiben und Dein Persönliches Eigentum Dir gesichert sein. Ja …«
»Wie, Sahib General, noch mehr der Großmut?«
»Die Du kaum verdienst, wie es scheint,« sagte mit Strenge der General. »Die englische Regierung ist sogar bereit, Dich als die Fürstin dieses Landes auch ferner anzuerkennen und Dich unter ihren Schutz zu nehmen, wenn Du Bürgschaft für Dein ferneres Verhalten gibst.«
»Welche Bürgschaft fordert die hohe Kompagnie?«
»Es ist, wie Dir bereits gesagt worden, nicht mehr die Ostindische Kompagnie, sondern die Regierung von England, die Dir Verzeihung und Schutz bietet. Willst Du als die Rani von Ihansi leben und sterben, so mußt Du einen britischen Offizier zum Gatten nehmen – Du weißt, daß es nicht der erste Fall ist, wo auf diese Weise die gegenseitigen Interessen gesichert werden.«
Eine hohe Bewegung ging bei dieser Bedingung durch die Versammlung; auf dem Gesicht des Residenten zeigte sich ein Lächeln boshafter Befriedigung.
Die Rani war aufgesprungen: »Ein Faringi der Gatte Xarias? Ich soll einen Faringi zu meinem Gatten machen?«
»Wenn Du die Rani dieses Landes bleiben willst, ja! Nur unter dieser Bedingung kann die Regierung Nachsicht üben, sonst verfällt Ihansi als erobertes Land unmittelbar dem englischen Besitz.«
Ein schwerer Kampf spiegelte sich auf den stolzen Zügen der Fürstin. Einen Augenblick schweifte ihr Auge hinüber nach dem entlassenen Wessir; Maldigri Khan, wie er hier noch immer genannt wurde, stand, stumm auf seinen Säbel gestützt, die Augen in die Luft gerichtet.
»Sahib General,« sagte sie, »Shanda Xaria wird als Rani von Ihansi leben und sterben. Die Tore ihrer Burg werden morgen eine Stunde nach Sonnenaufgang Deinen Soldaten geöffnet sein. Ihre Hand gehört dem Faringi unter der Bedingung, daß jener Mann, ihr Wessir, und seine Krieger ungehindert und frei die Burg verlassen dürfen und für den Kampf gegen England niemals in Anspruch genommen werden!«
»Das Wort eines Soldaten darauf! Sie sind frei von dem Augenblick der Unterzeichnung des Vertrages.«
»Gib mir das Papier!«
Der General nahm ein Papier aus der Hand seines Adjutanten. »Hier, Fürstin, ist der Vertrag, Deine Unterschrift, und Du bleibst …«
»Die Rani von Ihansi im Leben und Sterben! Marcos Maldigri, leiste Deiner Fürstin den letzten Dienst! Wo ist die Feder, daß ich unterzeichne!«
Der Condottiere trat zwei Schritte vor, schwankend, wie von einem schweren Schlage getroffen, er winkte dem Mirza oder Schreiber der Rani, ein für den Fall eines Vertrages bereit gehaltenes Tischchen und Schreibzeug herbei zu bringen. Dann nahm er ihm die Feder ab und übergab sie der Rani mit einer tiefen Verbeugung.
Deine Hoheit bedarf meiner nicht mehr; ich bitte Dich um Erlaubnis, mich entfernen zu dürfen.«
Sie sah ihn lange an, dann wandte sie sich zu dem Dokument auf dem Tisch und unterzeichnete mit raschem, kräftigen Zug ihren Namen.
»Marcos Maldigri, Du bist frei, die Pflicht Xarias gegen Dich ist gelöst! Möge es Dir wohl gehen, bis zur Stunde, da Bhawani Dich fordert! Geh und sage der schwarzen Faringa, daß Xaria Dich sendet! Und jetzt, Sahib General, ist Xaria, die Rani von Ihansi, die Verlobte des Faringi, der den Mut hat, ihr Gatte zu werden.«
Der Resident war näher getreten. »Die Krone der Frauen Hindostans,« sagte er anmaßend, »weiß, wie lange ich mich danach sehne, und welche Rechte ich habe, ihr meine Hand bieten zu dürfen. Ich bin stolz auf ihre Wahl!«
Ein kalter feindlicher Blick der Rani maß ihn vom Scheitel bis zur Sohle. »Sahib Generale,« sagte sie ruhig, »unser Vertrag lautet, daß ich einen Offizier der Faringi zu meinem Gatten nehmen soll! Ich finde nichts von dem Namen dieses Mannes darin.«
»Deine Wahl ist frei, Fürstin! Ich glaubte nur nach der Versicherung des Obersten, daß kein Zweifel sein könne …«
»Fluch über ihn! An seinen Händen klebt das Blut der Schuldlosen, sein Auge ist Trug und Verderben! Ich hasse ihn! Wer hat sonst Lust, um Xaria zu freien?«
Major Delafosse stand vor ihr.
»Du müßtest kein Weib sein, Fürstin, wenn Du nicht längst wüßtest, daß ich zehnmal in den Tod gehen würde, um Dich zu besitzen.«
»Du hast den Tiger getötet! Hast Du auch den Mut, mit der Tigerin, deren Atem den Tod bringt, ihr Lager zu teilen.«
»Und wenn ich sterben sollte in der nächsten Stunde, Edward Delafosse ist stolz darauf, Dein Gatte zu werden, wenn Du ihn der Ehre wert hältst, ihn zu wählen.«
»Ich protestiere! Ich habe ältere Ansprüche auf diese Frau!« rief der frühere Resident.
Major Delafosse maß ihn mit herausforderndem Blick. »Ich bin bereit, dem Mörder des armen O'Sullivan und seiner unglücklichen Schwester Rede zu stehen,« sagte er stolz, »die Wahl dieser Dame ist frei!«
»So ist es,« bestätigte der General. »Es wäre grausam, selbst gegen eine so hartnäckige Feindin der britischen Herrschaft, ihr das Recht der freien Wahl vorzuenthalten. Oberst Rivers, Sie werden die Güte haben, morgen früh die Übergabe der Festung zu leiten und mir darüber Rapport zu erstatten.«
Der Oberst salutierte. »Ich werde die Ehre haben, Euer Exzellenz bei der Gelegenheit mein Abschiedsgesuch zu überreichen.«
Der General nickte kalt. »Ich denke, nach allem, was ich gehört, es wird das beste für Sie und die Regierung sein. Haben Sie sonst einen Wunsch, Fürstin?«
Sie wies auf den Dechanten. »Wenn Xaria einen Entschluß gefaßt, ist sie gewohnt, ihn zur Stelle auszuführen. Laß den Priester der Christen in einer Stunde bereit sein, dem Faringi-Offizier mich zu eigen zu geben für Leben und Tod; ein Priester meines Glaubens wird dabei sein. Habe Dank, Sahib, für Deine Gerechtigkeit, und möge Wischnu der Erhalter Dein Leben verlängern.«
Sie grüßte, wie sie gekommen, und kehrte in derselben Weise zur Burg zurück, wo sie sich mit dem alten Sirdar, dem sie den Befehl ihrer Krieger anvertraut hatte, in das innerste ihrer Gemächer einschloß.
Der Entschluß der Rani war so plötzlich, so unerwartet gekommen, daß man auf beiden Seiten davon betäubt war. Selbst Delafosse wagte kaum an diese Erfüllung seiner glühendsten Wünsche zu glauben, und die lebhaften Glückwünsche seiner Kameraden entgegen zu nehmen. General Campbell war der Meinung, daß Ehrgeiz und Stolz die indische Fürstin zu dem raschen Entschluß vermocht hätten, da sie es nicht hätte ertragen können, von dem Fürstensitz herabzusteigen, um sich unter der Masse der Unbedeutenden zu verlieren, vielleicht auch die Furcht, zuletzt doch noch zu einer Verbindung mit dem ihr persönlich verhaßten Residenten getrieben zu werden. Die Sache war ihm im Grunde gleichgiltig, wenn nur der Widerstand der Rebellion auch in dieser Gegend so rasch wie möglich beseitigt und das Gebiet der Rani als Schutzstaat den Besitzungen der Krone einverleibt wurde. Er gab daher den Befehl, an der Stelle der Zusammenkunft alles zur Trauung bereit zu machen und beseitigte mit dem Hinweis auf zahlreiche frühere Fälle und die Sitten des Landes die Bedenken des Dechanten.
Während diese Vorbereitungen, denen sich nur der Resident grollend entzog, auf englischer Seite getroffen wurden, bereiteten die indischen Diener der Fürstin auf ihren Befehl alles zu einer jener schwelgerischen Festlichkeiten, mit denen die reichen und vornehmen Indier ihre Hochzeiten zu begehen pflegen, und an denen das ganze Volk teilnimmt. Trotz der blutigen Katastrophe, welche die Stadt betroffen und trotz des Drucks der bereits mehrere Wochen dauernden Belagerung, kamen plötzlich Menschenmassen zum Vorschein; Tänzerinnen, Gaukler und Spielbanden schlugen ihre fliegenden, meist bloß in einem Teppich oder einer Bambusmatte bestehenden Bühnen auf, Sänger und Improvisatoren priesen das Glück des Faringi-Offiziers, der die schönste Perle von Hindostan die Seine nennen solle, über die Krischna, der göttliche Held, selbst sein goldenes Schild geschwungen, und die Schar der Brahminen kam mit jener, den Priestern eigenen Elastizität für das Unvermeidliche herbei, die Opfertiere zu schlachten und ihre Zeremonien zu halten.
Es war in der Tat wunderbar, mit welcher Schnelligkeit in der kurzen Zeit einer Stunde alle diese Vorbereitungen getroffen und vollendet wurden. Tafeln und Teppiche mit Backwerk aller Art, mit Speisen und Getränken, große Gefäße mit Palmwein, Milch und Arak, Rum und Wein wurden für die verschiedenen Nationalitäten und Kasten aufgesetzt und eine besondere Tafel unter dem Zelt, gegenüber dem rasch improvisierten Altar, für den General und die britischen Offiziere zum Nachtmahl aufgeschlagen, denn unter den Vorbereitungen war der Abend hereingebrochen und hunderte von bunten Lampen erhellten den Platz, auf dem man zwei mächtige Feuer angezündet hatte, in die Diener von Zeit zu Zeit wohlriechende Harze oder Scheite von Sandelholz warfen; kurz aus der noch am Mittag wüsten Stätte mit allen Spuren blutiger Kämpfe war wie durch Zauberschlag der Schauplatz eines jener glänzenden, alle Sinne verwirrenden indischen Feste geworden.
Ein Kanonenschuß von den Felsenwällen der Burg, dem sogleich ein anderer aus der englischen Batterie antwortete, verkündete den Beginn der Zeremonie, und wie am Nachmittag näherte sich von beiden Seiten der Zug der Verlobten.
General Campbell selbst gab dem glücklichen Bräutigam das Geleit und diente ihm zum Brautführer. Die Rani, nach der Sitte des Landes in weite Schleier gehüllt, war von zwei Brahminen begleitet und von ihren Dienerinnen gefolgt, während die Männer ihrer Gortschura Spalier bildeten.
Der General selbst trat der Fürstin entgegen und wollte ihr höflich die Hand bieten, um sie dem Bräutigam zuzuführen, aber mit einer leichten Bewegung, gleich als sei dies gegen die Sitte ihres Volkes, lehnte sie dies ab und trat allein zu dem Altar, wo Major Delafosse ihrer bereits harrte.
Es war, als ob der Dechant große Eile habe, die seltsame Trauung zu beenden, denn er hastete mit Liturgie und Segen, während Tränen ihm über die Wangen rannen. Wohl nur wenige der Zeugen hatten bemerkt, daß der Dechant, als es zum Wechseln der Ringe kam und der Bräutigam jetzt erst bemerkte, daß er keinen bereit habe, selbst einen einfachen Goldreif der Braut darbot.
Die Trauung war beendet, die Rani hatte laut und fest das geforderte Ja ausgesprochen, und als der Geistliche die Formel sprach: »Bis der Tod Euch scheidet!« flog aus ihrem Auge ein Feuerstrahl auf den erwählten Gatten.
»Hoheit,« sagte der Dechant, »möge Dein Leben reich an Liebe sein, das ist der Wunsch einer, deren Gabe Du in dem Ringe trägst, den Dein Gatte an Deinen Finger gesteckt. Sie hat ihn Dir von ihrem Sterbelager gesendet, zu dem ich jetzt zurückkehre, mit dem Freunde ihrer Jugend ihre letzten Stunden zu teilen. So wechselnd ist das Leben: Hier die Klänge der Hochzeitsfreuden, dort die Gebete für eine Sterbende. Bete auch Du zu Deinem Gott für Arabella Seymour, meine Gattin.«
»Möge sie vorangehen in den Wandlungen Brahmas, unsere Geister werden sich als Freunde begegnen, wenn Xaria ihr folgt!«
Alle machten dem Geistlichen ehrerbietig Platz, als er das Zelt verließ. Die Nachricht, daß der Zustand seiner Gattin sich im Laufe des Tages sehr verschlimmert habe, hatte sich rasch verbreitet.
Die Rani wandte sich nach der Entfernung des Geistlichen zu dem General.
»Ich sollte meinen, daß die Vermählung durch den Priester der Faringi für Deinen Zweck genügt, Sahib; es ist unnötig, daß die Priester Brahmas sie wiederholen.«
»Wenn es Dir genügt, ist die Regierung mit dem christlichen Akt zufrieden.«
»Dann mögen die Faringi sich zum Hochzeitsmahle niederlassen. Xaria erwartet ihren Gatten, und mit der aufgehenden Sonne wird sie bereit sein, die Burg von Ihansi Deinen Kriegern zu übergeben.«
Sie neigte sich tief vor dem General und ihrem Gatten, dessen Begleitung ihr Wink zurückwies, und verließ in derselben Weise, wie sie gekommen, die Stätte der Trauung unter dem Zuruf des Volkes, indem ihre Entfernung gleichsam eine Last von aller Herzen zu nehmen schien. Wenige Augenblicke genügten, die gedrückte Stimmung zu verändern, und die Töne der wilden indischen Musik verkündeten den Beginn der Tänze und Schmausereien.
Die Torflügel der Burg standen offen, als sich eine Stunde später der junge Gatte den wüsten Szenen entrissen hatte und, von einigen Kameraden bis zur Schwelle des Tores begleitet, sich hier ihren Scherzen entzog, um das Brautgemach aufzusuchen. Ein strenger Befehl des Generals hatte verboten, daß außer ihm ein Engländer die Burg vor der offiziellen Besitznahme betreten dürfe.
Die Diener und Krieger der Rani erwarteten ihren neuen Gebieter und geleiteten ihn zu dem Gemache, in dem die Fürstin ihr Brautlager aufzuschlagen befohlen hatte. Es war die Halle im Erdgeschoß, in dem sie am Morgen die Einladung des britischen Oberbefehlshabers empfangen hatte.
Als der Offizier die Pforte hinter sich geschlossen hatte, verlor der Schwarm der Diener und Krieger sich rasch und alle eilten dem Platze zu, wo das Volk die Vermählung ihrer Gebieterin, die englischen Soldaten die Hochzeitsnacht ihres Offiziers feierten.
Nur der alte Sirdar, der neue Befehlshaber der Gortschura, war zurückgeblieben; er hatte seinen Säbel entblößt und saß mit gekreuzten Beinen vor der Tür des Brautgemachs. – – – –
Eine einzige von der Decke hängende Lampe erhellte die Halle, die Major Delafosse betreten, und verbreitete einen süßberauschenden Duft. Mitten in dem weiten Gemach bildete ein Haufen von seidenen Kissen und Matratzen das Brautlager, und vor demselben lag das sorgsam bereitete Fell eines riesigen Königstigers, den Kopf ausgestopft, mit weit geöffnetem Rachen und funkelnden Edelstein-Augen, als ob das Tier lebe und wolle eben emporspringen, um sich auf die Ruhende zu werfen.
Auf dem gelben, schwarz gestreiften Fell kauerte eine weibliche Gestalt, in ein weites Gewand voll weißem, wollenem Stoff gehüllt, Hals und Arme entblößt und mit kostbaren goldenen Perlenreifen geschmückt. Ein ähnlicher Reif, gleich einem Diadem, hielt über der niederen Stirn die dicken Wellen des langen, schwarzen Haares umschlossen und ließ sie über den Nacken zurückfallen.
Die schöne Frau, die Heldin von Ihansi, hatte die Stirn in ihre kleinen Hände gestützt. Eine zufällig geöffnete Falte des weißen Nachtgewandes, das um die Hüften lose von einer goldenen Schnur zusammengehalten wurde, verriet, daß es ihre einzige Bekleidung war. Der kostbare mit großen Juwelen besetzte Dolch, dieselbe Waffe, die einzige, die sie damals bei der verhängnisvollen Tigerjagd aus der Haudah des wildgewordenen Elefanten dem grimmigen Raubtier entgegenstreckte, glänzte in ihrer Gürtelschnur.
Ein ähnliches Gewand wie das ihre lag für den erwarteten Gatten auf einem niederen Sessel in der Nähe des üppigen Lagers. Auf der anderen Seite schien ein kleiner Berg von Kissen oder Kisten aufgestapelt, ohne daß die Gegenstände zu erkennen waren, da eine große rote Decke sie vollständig verbarg. Auf dieser Decke lag der Säbel der Rani, eine schmale Damascenerklinge von wunderbarer Arbeit.
Der junge Offizier schleuderte das Kaskett, das er trug, weit fort und warf sich vor seiner jungen Gattin in die Knie, die Arme zum heißen Umfangen gegen sie breitend.
»Xaria, mein Weib, meine Geliebte! Wie soll ich Dir danken, daß Du meine heiße Liebe erkannt und belohnt hast!«
»Rühre Xaria nicht an, Christ, bis Du ihre Worte gehört. Die Tigerin hat Dich erwartet, aber sie will Dich noch einmal warnen, ehe ihre gierigen Zähne Dein Blut trinken. Weißt Du, daß meine Umarmung den Tod bringt?«
»Ich habe Dir schon ein Mal gesagt, ich würde ihn nicht fürchten an Deinem Herzen. Aber was soll uns das dunkle Gespenst, wo glühendes Leben uns erwartet mit seinen berauschendsten Genüssen. Du bist mein Weib, Deine Seele, Dein Leib gehören mir, und keine Macht der Welt soll Dich meinem Arm mehr entreißen!«
»Faringi! Faringi! Geliebter Xarias! Tapferer Tigertöter, mische Dein Blut nicht mit dem der Hindostani! Zurück – es ist Dein Tod!«
»Und wäre es! Dein wonniges Leben ist des Todes wert!«
Ihre Hand mit dem Dolch streckte sich ihm entgegen – ein rascher Griff – zur Seite flog die Waffe, – die zuckende Lippe wühlte sich in ihren heißen, ihm entgegenschlagenden Busen. »Mein Weib! Mein Weib!«
Und die Tigerin schlang ihre weichen warmen Glieder um den Mann und zog ihn nieder in das Gewirr der seidenen Kissen! – – – – –
Die Flamme einer anderen Lampe warf ihren dämmernden Strahl auf ein anderes Lager.
Weiche Kissen bildeten es, die Hand der Gattenliebe hatte sie sorgsam geschichtet – nicht zum Brautbett, sondern zum Sterbelager.
Auf den Kissen ruhte Arabella Seymour, die Gattin des Dechanten von Delhi, an beiden Seiten des Lagers hielt ein treuer Freund die abgezehrte, fast durchsichtige Hand der Dulderin in der seinen, hier der Gatte, dessen Leben sie zehn Jahre in treuer, milder Pflichterfüllung verschönt, dort der Geliebte ihrer Jugend, der Mann, der um sie gelitten, gekämpft und – entsagt.
Die Schatten des Jenseits lagen auf den blassen, noch immer schönen und edlen Zügen; über die feinen farblosen Lippen drang zuweilen ein leises Stöhnen der gequälten Brust, von Zeit zu Zeit auch hob sich wie mit Anstrengung das Lid ihres Auges und der alte freundliche, versöhnende Blick ruhte auf den beiden geliebten Freunden.
Stunde auf Stunde verging, die treuen Freunde wichen nicht von der Sterbenden; die Kirchen- und Herzens-Gebete des Gatten murmelten durch das luftige Gemach des halb zerstörten Kiosk, in dem der Befehl des Generals Wohnung für sie geschafft hatte.
Und wieder und wieder, matter und matter zwar, aber mit gleichem Dank und gleicher Liebe richteten die Augen der Dulderin sich auf die Freunde.
Über die fernen Ufer der Dschumna herauf im Osten flammten die ersten Strahlen der Morgenröte am Horizont empor; ein Kanonenschuß im Lager der Engländer verkündete den Anbruch des Tages, und die zur Besetzung der Felsenburg bestimmten Kompagnien sammelten sich unter dem Klange der Hörner.
Ein leichter Schauder überflog die schattenhafte Gestalt, aus der Brust der Kranken quoll es empor, jener furchtbare gurgelnde Ton, den Keiner vergißt, der ihn einmal gehört am Sterbebette eines geliebten Scheidenden, und durch die Luft scheint es zu flüstern: Dank! Dank! Der »Engel von Delhi« war tot.
Mit klingendem Spiel marschiert die Kompagnie der schottischen elften Füsiliere den felsenumgürteten Hohlweg hinauf zum Tor der Felsenburg.
Die Flügel stehen weit auf, aber kein Posten der Gortschura ist zu sehen, kein Mann der Hindukrieger auf den Wällen und Mauern – verlassen selbst die Geschütze, die sie bisher verteidigt.
Es herrscht eine seltsame Öde und Stille in der Felsenburg der Rani von Ihansi am Morgen nach ihrer Hochzeit.
Im Hofe der Burg marschiert die Kompagnie auf, der kommandierende Offizier läßt den Posten am Tor besetzen, Oberst Rivers schwingt sich aus dem Sattel.
»Beim heiligen Brahma und allen Houris des alten Schurken Mahomed!« sagt er höhnisch, »unser Kamerad scheint dafür gesorgt zu haben, daß die Freuden seiner Hochzeit nicht durch einen kriegerischen Laut gestört werden durften. Schade, daß wir ihn aus dem ersten Schlummer stören müssen, aber ein Soldat muß stets zum Dienst bereit sein, selbst nach einer Hochzeitsnacht! Als jetziger Gebieter dieses Felsennestes und Maharadschah von Ihansi muß er uns die Honneurs machen und die Burg uns übergeben, so lautet der Befehl. Kommen Sie, meine Herren, zur Gratulation!«
Der Oberst geht voran, die drei Offiziere der Kompagnie folgen ihm, und sie betreten die Burg.
Auch hier kein Mensch zu sehen – doch halt! – dort vor der Tür der großen Empfangshalle steht ein Krieger – es ist der alte Sirdar, der Führer der Gortschura – er trägt keine Waffen, doch seine Rechte hält eine brennende Fackel.
»Was soll das heißen, Schurke?« fährt der Resident auf Hindostanisch den greisen Krieger an, »warum empfängt uns niemand, wie sichs gebührt? Lösch die Hochzeitsfackel immerhin aus, das Vergnügen wird längst vorüber sein! Wo ist die Rani, Deine Herrin, und – ihr neuer Maharadschah?«
»Sie erwarten Dich, Sahib, und Deine Freunde. Tretet ein!«
Er öffnete die Pforte und ging ihnen voran.
Das junge Licht des Morgens erhellte bereits das weite Gemach. Noch immer nahm das Brautlager die Mitte desselben ein, eine weite faltenreiche Decke war darüber gebreitet, neben ihm stand die Rani in ihren fürstlichen Schmuck und kostbare Gewänder gekleidet. Der Sirdar trat an ihre Seite und hielt ihr die Fackel.
Das Antlitz der heldenmütigen Frau zeigte eine leichte Blässe, ihre Miene war kalt und stolz.
»Sieh da, Hoheit, schon so früh in vollem Schmuck!« sagte höhnisch der Resident. »Wir kommen also nicht zu früh, um Ihnen und meinem glücklichen Rivalen unsere Gratulation zu bringen und um die Schlüssel dieser Burg zu bitten, gemäß dem geschlossenen Vertrage. Aber ich habe nicht die Ehre, Ihren Herrn Gemahl, den neuen Maharadschah, zu sehen, oder sollte Major Delafosse sich so sehr angestrengt haben, daß er nicht imstande wäre, nach beendigter Übergabe dieses Nestes der Verräterei an die wahren Gebieter dieses Landes, einen dieser Herren zu empfangen, der beauftragt ist, in meinem Namen einige Worte zu sagen.«
»Major Delafosse schläft!«
»Nun, so bitte ich, ihn wecken zu lassen. Ich habe weder Zeit noch Lust, zu warten.«
»So wecke ihn selbst!«
Ihre Hand wies nach dem Lager zu ihren Füßen.
»Ah, meine Herren, Ihre Hoheit sind sehr gnädig, uns den inneren Anblick ihres Brautbetts zu gewähren. Ich bitte, Herr Major, da Ihre Hoheit Sie bereits verlassen hat, müssen Sie sich schon entschließen, sich nicht länger in Morpheus Arme zu verkriechen!«
Er hob mit kurzem, spöttischem Lachen die Decke des Lagers empor, prallte aber, wie vom Blitz getroffen, zurück.
»Mord! Verrat! Verhaftet die Mörderin!«
Auf den Seidenkissen des Lagers ruhte, in das weite weiße, mit großen Blutflecken getränkte Nachtgewand gehüllt, der Körper des jungen Gatten – das Haupt vom Rumpfe getrennt! Der blutige Säbel der Maharani lag neben dem Toten. Der furchtbare Tod mußte den Unglücklichen im Schlaf, da er noch träumte von Glück und Liebe, ohne Kampf und Widerstand überrascht haben, denn die Züge des Gesichts, das fast noch die Wärme des Lebens zeigte, waren unverzerrt und weich.
Während der Augenblicke furchtbarer Bestürzung, die sich der Offiziere bei dem schrecklichen Anblick bemeistert hatte, streckte die Rani ihre Hand zur Seite und empfing die brennende Fackel des Sirdars.
»Elender Sklave Deiner Lüste,« unterbrach die klangvolle Stimme der Rani die Pause des Grauens, »glaubtest Du, daß der Leib Xarias, der Tochter eines freien Volks, dem Feinde ihres Landes gehören könne, ohne die Sühne seines Lebens? Diesen Mann, der hundert Mal hochherziger war, als der Beste Deines Volkes, hat Xaria geliebt, und dennoch mußte er sterben, weil er ihr Lager geteilt, oder sie wäre entehrt gewesen vor ganz Hindostan. Sagt dem Sahib General, die Maharani habe ihr Wort gehalten und seine Bedingungen erfüllt, damit sie als freie Fürstin dieses Landes sterben könne. Dem Scheiterhaufen der Sotti habt Ihr sie entrissen, – flieht und rettet Euer elendes Leben, ehe sie auf den Flammen-Rossen mit ihrem zweiten Gatten zum Himmel Brahmas emporsteigt!«
Ein Wink von ihr, und der Sirdar riß den verhüllenden Teppich von dem Haufen der Ballen zur anderen Seite des Brautbetts, und ein Blick genügte, den entsetzten Engländern geöffnete Fässer und Kisten zu zeigen, die bis zum Rande mit Pulver gefüllt waren.
Ein stolzes, verächtliches Lächeln überflog das Gesicht der Fürstin, während die britischen Offiziere in wilder Flucht aus der Halle stürzten und Verrat schreiend durch den Hof der Burg zum Tor eilten, gefolgt von den in blinder Furcht über einander fallenden Soldaten. Dann beugte sie sich nieder und küßte die Lippen des entseelten Hauptes, das noch vor wenigen Stunden die Glut der ihren getrunken, und schwang die Fackel.
Ein entsetzlicher Donnerschlag, als ob die Erde berste, weckte den britischen Oberfeldherrn aus seinem Morgenschlaf und schreckte die beiden Freunde der hinübergegangenen Lady aus ihrer Trauer. Mauer- und Felstrümmer stürzten weit umher, Verderben bringend nieder, dunkle Rauchwolken füllten die Luft, während das Jammergeschrei zahlreicher Verwundeter um Beistand rief.
Als der Qualm und Dampf endlich niedersank, erkannte man erst die große Verwüstung. Die feste Burg der Rani war in die Luft geflogen und Tote und Verstümmelte lagen unter den Trümmern. Dreiundfünfzig verunglückte Engländer wurden aus diesen herausgegraben, die Zahl der zerschmetterten Indier ist bei der Gleichgültigkeit der Regierung gegen ihr Leben unbekannt geblieben.«
»So, Signori,« schloß der Ionier seine Erzählung, »endete die kühne Rani von Ihansi, die Amazone von Hindostan, ihr Leben und so verlor Marcos Grimaldi in einer Nacht die beiden Freundinnen seines Herzens.
Damit, Signor Conte, wissen Sie auch, warum ich Sie gebeten habe, mich Ihrer Nilfahrt anschließen zu dürfen: es gilt, den Freund aufzusuchen, mit dem ich von Arabella Seymour und der Xaria von Ihansi sprechen kann.«
»Also hat General Campbell nach dem furchtbaren Ereignis,« fragte Kapitän Boulbon, »doch wenigstens Wort gehalten und Sie in Freiheit gesetzt?«
»Als der englische Ober-General am Vormittag die zerstörte Burg besichtigte, sagte er achselzuckend: ›Die stolze Närrin hat uns wenigstens das Pulver erspart, ich hätte das Nest doch in die Luft sprengen lassen. Wenn sie mir nur nicht meinen besten Adjutanten mitgenommen hätte! Dieser Schelm Rivers hat bei allen Schlechtigkeiten doch immer Glück mit den Weibern gehabt.‹
Das war die Grabschrift für zwei ritterliche Herzen.«
»Also Oberst Rivers war demnach glücklich der Gefahr entronnen?«
Der Condottiere richtete einen ernsten Blick auf den Fragenden. »Es gibt eine ewige Vergeltung, Hoheit, wenn sie oft auch zu spät unseren blöden Augen erscheint. Oberst Rivers wurde lebend aus den Trümmern gezogen und ist, wie ich von Kapitän Willoughby gehört habe, dem Leben erhalten geblieben. Aber noch bevor ich Ihansi verließ, sind ihm die beiden zerschmetterten Arme über dem Ellenbogen abgenommen worden. Es würde zu weit führen, wollte ich Ihnen erzählen, wie Gottes Gerechtigkeit gerade hierdurch eine seiner früheren Taten gerächt hat. Wer ihn kannte, in seinem Hochmut und Frevel, der weiß, daß für ihn diese Verstümmelung schlimmer gewesen sein muß, als der Tod. Es ist mir unbekannt, ob er noch lebt oder wo er geblieben ist; für die Rache seiner Feinde ist er kein Gegenstand mehr, und selbst der Nena, dem er sein Teuerstes geraubt, und den er zu dem hassenswerten Ungeheuer gemacht, das er geworden, hätte kein Recht mehr an ihn.«
»Was mag aus dem Anführer des indischen Aufstandes, den Sie soeben nannten, wohl geworden sein?« fragte der Prinz. »Ich erinnere mich nicht, weiter von ihm gehört zu haben.«
»Nena Sahib oder Srinath-Bahadur, wie man den Maharadscha von Bithoor nannte, ist schon während der Unterwerfung des Audh spurlos vom Schauplatz seiner grausamen Taten verschwunden. Viele wollen wissen, daß er in der Schlacht von Lukhno gefallen, Andere behaupten, ihn noch später mit zwei Begleitern, Mitgliedern der seltsamen Kohorte, die ihn umgab und die er in früheren Zeiten geworben, gesehen zu haben. Vielleicht ist er in die unzugänglichen Berge von Kashemir entflohen oder irgendwo einem dunklen Schicksal erlegen. Bei dem hohen Preis, den die englische Regierung auf seinen Kopf gesetzt, etwa hunderttausend Lires nach unserem Gelde, wäre die geringste Spur sicher von den Hetzhunden der Engländer verfolgt worden.«
»So haben Sie wohl bald nach der gänzlichen Beendigung des Aufstandes Indien verlassen?«
»Man begräbt unter diesem Himmel die Toten schnell, Hoheit. Wir legten am andern Morgen die Gattin des Dechanten unter den Palmen Ihansis in ihr frühes Grab, und unmittelbar darauf mußte ich auf Befehl des Generals und gegen mein Ehrenwort als Offizier Indien, selbst die unabhängigen Staaten direkt auf immer zu verlassen, abreisen. Ich ging über Bombay, wie früher der Herr Graf hier und Doktor Walding, aber statt nach Suez, nach Ormuz und Persien, und kehrte ein Jahr darauf, auf die Nachricht vom italienischen Kriege, über Konstantinopel nach Europa zurück. Um dem Andenken der Rani gerecht zu werden: ich vergaß Ihnen zu sagen, daß, als wir von der Gruft der Lady Hunter zurückkehrten, eine ehemalige Dienerin der Rani mir als letzten Auftrag ihrer Gebieterin eine verschlossene Kassette von Sandelholz übergab, welche von der eigenen Hand der Fürstin die Aufschrift trug: ›Shanda Xaria von Ihansi ihrem treuesten Freund, Marcos Maldigri Khan, zum Angedenken und Eigentum.‹«
»Darf man wissen, was die Kassette enthielt?« fragte neugierig der Prinz.
»Warum nicht, Hoheit? Eine der langen von Perlen durchflochtenen Flechten von der Rani Rabenhaar, Juwelen und Geschmeide im Wert von etwa 2 Lak Rupien – und diesen Dolch.«
Er nahm letzteren aus der inneren Brusttasche seines Gilets und reichte ihn dem Prinzen zur Besichtigung.
» Cospetto, Signor Generale, eine kostbare Waffe! Scheide und Griff strotzen ja von Rubinen, Türkisen und Smaragden. A propos, Signor, eine Lak Rupie – was bedeutet das? Meine numismatischen oder finanziellen Kenntnisse sind nicht bedeutend.«
»Etwas über zweimalhunderttausend Lires, Hoheit,« sagte der Ionier gleichgültig. »Aber der Wert dieser Waffe liegt nicht in den Juwelen des Griffs, sondern in der Klinge, die ein sehr alter Khorassan ist, und – in der Erinnerung!«
»Sie mag wohl alt sein; hier an der Spitze sind einige schwere Rostflecken.«
»Es ist der Dolch, den, wie mir die indische Dienerin sagte, die Rani am Abend vor ihrer Hochzeitsnacht in ihren Gürtel steckte und den sie am Morgen, als sie sich zum letzten Male schmücken ließ, in jene Kassette legte. Jene Flecken waren damals noch feucht – ich fürchte, Hoheit, dieser Rost ist das Blut eines Freundes und tapferen Mannes – ich bitte Sie, lassen Sie ihn immerhin an der Klinge!«
Er nahm den Dolch aus der Hand des Prinzen, der ihn eilig zurückreichte, und steckte ihn wieder in die juwelenbesetzte Scheide. Dann wandte er sich ruhig an den Abbate und den Marquis und sagte mit gleichgültigem Ton: »Sie sehen, Signori, daß Marcos Grimaldi weder Geld noch eine gute Anstellung im Vatikan zu suchen veranlaßt war, als er einem unglücklichen Fürstenpaar seine Sympathien bezeigte.«
Sein scharfes Ohr hatte offenbar die hämische Bemerkung des Geistlichen gehört.
Die Pause einer gewissen Verlegenheit, während welcher der Prinz nicht ohne Schadenfreude den Abbé angesehen, wurde durch den Eintritt neuer Personen unterbrochen, denen Dame Spazzoletta die Tür öffnete. Es waren Kapitän Chevigné, der Irländer, und der Mann, der gekommen war, dem Bruder des geopferten Mädchens sein eigenes Leben zur Sühne zu bieten.
Hinter ihnen kamen zwei offenbar nicht zu der Gesellschaft passende Personen: Master Wilkens, der lange Haushofmeister der Lady Hoghborn, und der Fra Rafaëlo, derselbe junge Kapuziner-Mönch, der bei Castelfidardo den Spion der Piemontesen gemacht und dem Irländer den kräftigen Messerstich beigebracht hatte. Vgl. Biarritz, II. Bd., 250, 256.
Es war gewiß nicht unbedenklich, daß der junge Frater nach der Schlacht von Castelfidardo und sobald der Verwundete transportierbar war, diesen nach Rom zurückbegleitet hatte, wo Lady Judith ihm bessere ärztliche Pflege zu geben hoffen konnte; indessen hatte Fra Rafaëlo keinen Augenblick gezaudert, der Bitte der Dame und des Kranken Folge zu leisten, teils, weil sich zwischen ihm und dem Irländer eine eigentümliche Freundschaft gebildet hatte, teils weil sein Charakter keine Furcht kannte. Die Beweggründe, die den jungen Priester getrieben hatten, für die sardinische Armee Spionendienste zu verrichten, waren nicht unberechtigt, und solche Gesinnung stand zu jener Zeit keineswegs vereinzelt da, namentlich unter den jüngeren Klerikern Roms: aufrichtige Religiosität, streng katholische Überzeugungstreue neben dem Bestreben, die Kirche von jenem Schmutz und jener Verderbnis gereinigt zu sehen, die schon Luther während seines Aufenthaltes in Rom so tief verletzt und ihn zum Reformator gemacht hatte, und die deshalb zunächst die Trennung des Papsttums von der weltlichen Herrschaft anbahnte. Kämpften doch hierfür seit Jahrhunderten die Schriften berühmter Kirchenlehrer von unbestrittener Frömmigkeit und Gelehrsamkeit, und trotz der strengen Zensur waren seit dem Jahre 1848 die älteren und neueren Streitschriften selbst in den Kollegien der Sapientia sehr verbreitet. Diese täglich mehr wachsende Kontroverse innerhalb der römischen Geistlichkeit wurde erleichtert und vermehrt durch den politischen Fanatismus, und es ist Tatsache, daß von jenen Parteien, welche damals in Rom ihr Spiel trieben: die päpstliche, die piemontesische, die französische, die bourbonische und die mazzinistische oder republikanische, die letztere, die mächtigste von allen, sich unter der niederen und jüngeren Geistlichkeit eines starken Anhangs erfreute.
Die Gefahr, die Fra Rafaëlo durch seine Rückkehr nach Rom bedrohte, war daher keineswegs so groß wie es den ersten Anschein hatte, und obschon er keineswegs aus seinen Ansichten ein Hehl machte, hatte er bisher keinen besonderen Schaden davon gehabt, vielleicht, weil er zu gering erschien oder zu wenig die Aufmerksamkeit der Machthaber auf sich gezogen hatte, vielleicht auch, weil man sein eifriges Bestreben kannte und zu benutzen dachte, eine Dame von so bedeutendem Vermögen wie Lady Judith Hoghborn in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuführen. Sein Verkehr mit Leutnant Terenz O'Donnell war daher keiner Beschränkung unterworfen, und man hatte seit Eintritt der milderen Witterung den riesigen Irländer nicht selten mit der kleinen schwächlichen Figur des jungen Mönchs auf der Terrasse des Monte Pincio spazieren sehen, teils in Begleitung der Lady, teils ohne diese; denn seltsamer Weise hegte selbst Lady Judith, eine starre Protestantin und Bekämpferin aller Bemühungen, sie zu bekehren, ein so großes Vertrauen zu dem jungen Priester, daß sie ihm allein den doch so mühsam eingefangenen Verlobten anvertraute, der so große Lust hatte zu echappieren.
Sir Terenz O'Donnell war auf dem besten Wege, alle seine frühere Frische und Kraft wiederzugewinnen, die ihm am Abend vor der Schlacht von Castelfidardo auf dem Plateau von Loretto eigen war; seine mächtige Gestalt ragte mehr als zwei Köpfe hoch über die kleine Figur des jungen Kapuziners hinaus, aber er warf häufig einen Blick fast zärtlichen Wohlwollens auf den kleinen Geistlichen. Jetzt freilich waren die kräftigen Lippen seines breiten Mundes fest aufeinander gepreßt und auf seiner niederen, breiten, Stirn lagen Falten halb trübsinnigen, halb entschlossenen Charakters. Er hielt mit der linken Hand den Arm des Mannes, der neben ihm ging, wie in einer Fessel fest, während er auf den Tisch zutrat, an dem sich alle Anwesenden erhoben hatten.
Dieser Mann, den der Riese so krampfhaft festhielt, war der frühere preußische, zuletzt piemontesische Leutnant von Arnim. Das damals hübsche, männliche, obschon etwas verlebte Äußere des jungen Offiziers hatte eine fast unheimliche Verwandlung erfahren. Sein niemals volles Gesicht war hager geworden, und die großen blauen Augen lagen tief eingesunken und hatten einen so starren, teilnahmlos vor sich hin gerichteten Blick, daß er die einzelnen Mitglieder gar nicht zu sehen schien. Statt des früheren zierlichen Schnurr- und Kinnbartes deckte ein wilder, ungepflegter Vollbart den unteren Teil seines Gesichts, und keine Spur mehr in seiner Haltung verriet den ehemaligen Offizier. Obschon er kaum die Dreißig überschritten hatte, lag etwas völlig Geknicktes, fast Greisenhaftes in der ganzen Gestalt, und dem entsprach auch die Kleidung, die er trug, zwar keine Klausner- oder Mönchskutte, aber ein weiter, dunkler, bis zum Hals zugeknöpfter Rock vom einfachsten Schnitt.
»Gentlemen,« sagte der Irländer mit einem kurzen Nicken, »ich habe zwar nicht die Ehre, Sie zu kennen, mit Ausnahme des wackeren Burschen aus den Bergen da,« – er wies auf den Briganten – »aber dieser Herr hier, Kapitän Chevigné, hat mich versichert, daß eine Gesellschaft von Kavalieren hier versammelt wäre, und so hat sich Terenz O'Donnell Esquire, obschon die Squireschaft längst der Teufel geholt hat, also so habe ich mich entschlossen, Ihnen als Ehrenmännern einen Fall vorzulegen zur Entscheidung, der, bei San Patrik, schwer mein Herz bedrückt, als läge der ganze Mount Shannon darauf, und als solle es niemals wieder einem lustigen Galopp über die Ennisheide hinter dem Fuchs drein entgegenpochen. Und, was ich Ihnen zuvor sagen will, Gentlemen, es gibt da oben eine Lady, die, obschon sie der anglikanischen Kirche angehört oder vielleicht gar eine Presbyterianerin ist und niemals zur Messe geht, woran gewiß Pater O'Hary das größte Ärgernis nehmen wird, doch zehntausendmal klüger und besser ist, als dieses ganze Land hier und halb Irland dazu, die den größten Anteil an der Sache und Ihrer Entscheidung nimmt – geht einmal dort von der Türe weg, Master Wilkens, es ist nicht nötig, daß Ihr sie bewacht, wie ein Hühnerhund ein Volk Rebhühner in Mutter Neales Haferfelde! – Ich habe versprochen, vernünftig zu sein und Fra Rafaël zu folgen und deshalb – Akuschla, mein Liebling – zeigt uns die Kehrseite von Eurem langweiligen Äußeren und sagt Eurer Gebieterin, daß wir uns hier in guter und anständiger Gesellschaft befänden, sie brauche also keine Sorge um mich zu haben!«
Der lange Haushofmeister verzog keine Miene, nur daß er dem jungen Kapuziner bedächtig zunickte; dann verschwand er durch die äußere Tür.
Jetzt zum ersten Male ließ Sir Terenz den Arm des Offiziers fahren, kraute sich mit den Fingern in dem wirren Kraushaar des Schädels und fuhr dann, einen Blick umherwerfend, mit ziemlich kläglichem Ton fort: »Sie müssen wissen, Gentlemen, die arme Mary war eine verteufelt schmucke und wackere Dirne, und sie hat mir auch ihre Einwilligung gegeben zu meiner Verheiratung mit Miß Judith! freilich etwas spät, wie das so die Art der Weiber ist, die immer ihren eigenen Kopf haben müssen. Das arme Ding, sie hätte gewiß gern auf meiner Hochzeit hier mit Fra Rafaël einen guten irischen Hopser getanzt! Heilige Jungfrau, es hat nicht sein sollen, und nun ist sie eine Capitana gewesen und soll ganz wunderbar courageuse Dinge getan haben. Aber, heiliger Patrik, darum handelt es sich nicht, sondern darum, ob ich meiner Schwester Mary zu Ehren« – und der große Mensch wischte mit dem Rücken seiner mächtigen Hand die Tränen aus den Augen – »diesem Mann hier, wie er gern haben möchte, eine Kugel durch den Schädel schießen soll, oder ob ich ihn für den besten Freund der O'Donnels erklären und ihm dafür danken muß, daß er die arme Mary vor einem niederträchtigen Schimpf bewahrt hat!«
Diese eigentümliche Appellation und Trauer des großen, ungeschlachten und doch ersichtlich tief bewegten Menschen machte Eindruck auf die Tafelrunde, namentlich, als er jetzt den mächtigen Kopf auf die auf den Tisch gelegten Arme niederbeugte und in lautes Schluchzen ausbrach.
»Sir Terenz,« sagte der Kapitän Chevigné mit halblauter Stimme, »ist ein eigentümlicher Charakter und Sie müssen ihn danach beurteilen. Ich weiß nicht, ob Sie bereits wissen, weshalb ich es für Pflicht ansah, diesen Herrn hier auf dem Wege zu begleiten, den er für seine Pflicht hielt. Im ersten Augenblick glaubte ich, er wollte ihn zerreißen, wie ein Tiger, der auf seine Beute fällt, aber ein Wort der Lady, die eine seltsame Dame ist, zähmte ihn. Und als ich ihm sagte, daß hier zufällig ein Kreis ehrenwerter Männer, Offiziere und Edelleute, versammelt sei, fügte er sich wie ein Lamm dem Rat der Lady, einer Jury solcher Männer den Fall vorzutragen und von ihrer Entscheidung abhängig zu machen, ob und wie er den Tod seiner armen Schwester an diesem unglücklichen Mann hier zu rächen habe. Lassen Sie mich Ihnen den traurigen Fall erzählen, dessen hilfloser Zeuge ich leider sein mußte!«
»Capitano Tonelletto,« sagte der Abbé, »hat uns bereits ausführlich die Sache mitgeteilt und unser reges Mitgefühl erweckt. Aber gewiß denkt Signor O'Donnel nicht daran, für eine Handlung, die, wenn auch übereilt, doch gewiß nur aus den edelsten Absichten hervorgegangen ist und so schwer bereut wird, an einem Manne eine unchristliche Rache zu nehmen, der bereit ist, sie durch schwere Buße im Dienst der heiligen Kirche zu sühnen. Was Sir Terenz betrifft, so weiß ich auf das Bestimmteste, daß Se. Eminenz der Herr Kriegsminister bereits befohlen haben, seine Verdienste mit Überspringung der nächsten Charge durch das Patent als Maggiore anzuerkennen.«
Die salbungsvollen Worte des Jesuitenschülers schienen dem Geschmack und dem Geist der Männer wenig zu genügen, und selbst der Brigantenchef murmelte etwas von den heiligen Gesetzen der Blutrache, obschon es ihm um den Luogotenente Arminio leid tue, der sich bei den Vorgängen auf dem Monte Turchio als ein wackerer Mann erwiesen habe, der es verstanden, dem Tode ins Auge zu sehen.
Der Irländer aber hob den Kopf von den Armen, trocknete sich die Augen und sagte wild: »Der Teufel hole Ihr Majorpatent, Mann! Ich mag kein Major sein in einer so schuftigen Armee, die beim ersten Kanonenschuß davon läuft, wie eine Hammelherde, wenn der Wolf kommt! Der würdige Bruder hier, der zwar ein Pfaffe ist, aber ein tüchtiger Bursche, hat mich darüber aufgeklärt, daß wir den Teufel für die heilige katholische Religion uns hier totschießen und totstechen lassen, die niemand zu kränken denkt, sondern bloß dafür, daß die Mönche und Kardinäle sich mästen, die weltlichen Potentaten spielen und ehrlichen Leuten das Fell über die Ohren ziehen, statt das Gelübde der Armut und Keuschheit zu erfüllen. Beim Riesen Fingal! Rafaël hat Recht, die Glatzköpfe stecken ihre Finger viel zu viel in anderer Leute Töpfe, und die römischen Ehemänner haben nicht unrecht, wenn sie vorziehen, ihre Kinder allein zu machen. Kehre nur jeder vor seiner Tür, und so will ich Lady Judith heiraten und mit ihrem Gelde im grünen Irland einen guten Stall und eine tüchtige Fuchsmeute halten und zu Gunsten ehrlicher Paddys den verdammten englischen Torys im Parlament das Leben sauer machen, sobald ich nur …«
Ein schlimmer Blick des Abbate hatte den Mönch getroffen, als der Irländer von der durch ihn veranlaßten Sinnesänderung sprach. »Ich will nicht hoffen,« sagte er, »daß dieser ehrwürdige Bruder einem so tapferen Krieger der Kirche die schlimmen Lehren jener Aufrührer einflößt, die auf den Umsturz aller geheiligten Ordnungen in Kirche und Staat hinarbeiten! Die Herren Kapuzinier stehen allerdings nicht im besten Ruf und es ist Zeit, daß ihr Ordensgeneral zu einer schärferen Zucht veranlaßt wird!«
»Der Signor Abbate,« sagte der junge Mönch, entschlossen den Handschuh aufnehmend, »weiß sicher, daß wir armen Söhne des heiligen Franciscus zu dem Gelübde der höchsten Das Gelübde der Armut kennt drei Abstufungen: Die hohe, höhere und höchste Armut; dem letzteren, das weder bewegliches noch unbewegliches Eigentum gestattet, unterliegen die Franziskaner, namentlich die Kapuziner, ein Zweigorden der Franziskaner. Armut verpflichtet sind und wird es daher erklärlich finden, daß wir den weltlichen Besitz der Kirche und ein Blutvergießen um solchen nicht für einen Glaubens-Artikel unserer heiligen katholischen Religion halten.«
»Ich habe nicht die Ehre, der geistliche Korrektor und Gewissensrat des Frater zu sein,« entgegnete der Abbate hochmütig, »indes sollte ich meinen, daß von jeher die höchste Pflicht aller gläubigen Katholiken ohne Unterschied der Nationalität gewesen ist, der bedrängten und in ihren heiligen Rechten bedrohten Kirche auch mit den weltlichen Waffen zu Hilfe zu kommen!«
»Ganz sicher, wenn es sich um eine Bedrängnis der Kirche selbst, zum Beispiel durch die Ungläubigen oder die Ketzer handelt,« entgegnete streitfertig der Mönch, »aber hier handelt es sich nur um weltliche Macht und politisches Territorium …«
Es wäre wahrscheinlich zu einer heftigen Kontroverse zwischen den beiden geistlichen Kampfhähnen gekommen, wenn nicht der Mann, der sie veranlaßt hatte, dazwischen gefahren wäre.
»Heiliger Patrik,« sagte er, »die Kuttenträger bleiben sich überall gleich, Pater O'Hary vergibt eher eine Totsünde, als daß ein ehrlicher Kerl einmal von dem Pfarracker ein Gericht Kartoffeln stiehlt, um seinen Hunger zu stillen, und drum mag das geistliche Eigentum wohl auch ein Glaubensartikel sein. Aber Freund Rafaël hat nichts desto weniger Recht, wenn er meint, die verdammten Spitzbuben von Piemontesen wären im Grunde doch auch katholische Christen, und wir würden besser tun, die Italiener das unter sich abmachen zu lassen, grade wie wir in Galway bei einer guten Wahlschlägerei am Leichtesten fertig werden, wenn die Konstabler sich nicht drein mischen, die dann von rechtswegen von beiden Seiten die härtesten Schläge zu bekommen pflegen. Ich habe zwar einen ziemlich harten Kopf, aber so wahr ich Terenz O'Donnell heiße, das habe ich doch begriffen, daß Paddy ein großer Narr ist, für anderer Leute Interessen die Finger ins Feuer zu stecken, während er zu hause Gelegenheit genug hat, sie sich zu verbrennen!«
Die derbe Philosophie, deren absichtsloser scharfer Stachel doch gar Manchen in der Gesellschaft traf, verursachte längere Stille, da die meisten nicht recht wußten, ob sie darüber lachen oder sich ärgern sollten. Die halb verlegene Pause unterbrach nur das Aufstehen des Abbate, dem die Wirtin einige Worte zugeflüstert hatte, worauf er rasch seinen Platz verließ, und indem er dem Kapitän Tonelletto mitzukommen winkte, das Gemach durch die äußere Tür verließ.
Seine Entfernung schien übrigens für die Meinungsäußerung der Gesellschaft eine gewisse Erleichterung.
»Sir Terenz,« sagte der Grieche, »was Sie da sagen, hat zwar etwas Wahres, kann aber einem Mann von Mut und Gefühl doch nicht so allgemein als Richtschnur gelten. Das Vaterland hat allerdings das erste Recht an uns und Schmach dem, der seinen Ruf nicht hören wollte. Aber manche hohe und edle Tat wäre ungetan geblieben, wenn die Begeisterung allein den Interessen und dem Ruf des Landes unserer Geburt gehören dürften! Denken Sie an die Zeit der Kreuzzüge zurück, wo Tausende ihr Leben opferten, um den Heiden die Grabstätte unseres Erlösers zu entreißen, denken Sie an die tapferen Ritter von Rhodus und Malta, sehen Sie auf jene Männer hier, die ihr Leben mutig einsetzten für die letzte Burg eines königlichen Geschlechts, erinnern Sie sich an den edlen Lafayette, der einem mißhandelten Volke seine Freiheit erkaufen half, und Sie werden sich selbst sagen, daß es erhabene Zwecke gibt, für die jeder Mann sein Blut mit Ehren einsetzen darf. Ich halte das Verfahren der piemontesischen Politik für perfid und verächtlich, und ich selbst würde mit meiner schwachen Kraft dem Helden von Gaëta zu Hilfe geeilt sein, wenn König Franz sich hätte entschließen können, selbst die Fahne einer großen italienischen Nationalität aufzupflanzen, was ihm früher nahe genug gelegt worden ist, statt daß sie jetzt zum Vorwand eines Rivalitätenkampfes der Dynastien geworden ist und dem Meistbietenden zugeschlagen wird. Aber den Zweck, für den Sie Ihr Leben eingesetzt, den kann ich nicht für einen jener großen und erhabenen ansehen, der Helden schafft und Märtyrer, denn ich habe lange genug in Italien gelebt, um zu wissen, daß der weltliche Besitz der Kirche kein Heil für eine Nation und keine Idee ist, fähig, diese Nation zur Einsetzung des eigenen Blutes zu begeistern, und in dieser Beziehung muß ich der Ansicht jenes jungen Klosterbruders zustimmen. Der Gedanke der Nationalität ist ein großer, gegenwärtig die Welt bewegender, wenn er als Feuerbrand auch zunächst von einer unreinen Hand in diese wogende Welt geschleudert wurde. Überall drängt es und kämpft es für eine neue Staatenbildung auf der Grundlage dieser Idee, gleichviel ob durch Königtum oder Republik; sehen Sie auf Frankreich, Spanien, Deutschland vor allem, und auf die slavischen Stämme; selbst in Griechenland hebt sich aufs neue die Bewegung der Zusammengehörigkeit und der Losreißung von dem englischen wie von dem türkischen Joch und weder die Diplomatie noch die Kanonen fremder Mächte werden auf die Dauer das Drängen einer Nation nach Einigung und Selbständigkeit unterdrücken können. Die Völker schreiten vorwärts, ein Rückdrängen in alte Fesseln ist nicht mehr möglich. Fragen Sie sich, die Sie italienische Zustände gesehen, in Rom, in Neapel, in den kleinen Fürstentümern, ob Sie im Ernst wünschen können, eine große Nation wieder in die Hände einer feilen Kamarilla, einer geilen verdummenden Pfaffenherrschaft zurückgedrängt zu sehen.«
»Ich will Ihnen die Berechtigung vieler Klagen und Schäden zugeben,« sagte der Prinz nach längerer Pause, »wird die neue Herrschaft das Volk besser und glücklicher machen? Sehen Sie sich um in der Welt, wo ist Wahrheit, wo ist Gerechtigkeit? Auch die Könige sind nur Menschen, aber ihre Schwächen sind doch die eines Einzelnen, während ein von Vielen beherrschtes Volk die Fehler und Interessen Vieler zu tragen hat. Ein Zusammenstoß ihrer Nationalitäten, den unter den jetzigen Verhältnissen die Politik der Dynastien in den meisten Fällen zu vermeiden oder zu beschränken wußte, wird bei diesen Prinzipien nicht zu vermeiden sein, und ein Kampf der Nationalitäten ist stets ein furchtbarer gewesen.«
Während die Unterhaltung sich in dieser Weise den idealeren Fragen der Politik zugewendet, hatte Don Juan, der sich verteufelt wenig um diese kümmerte, seine Aufmerksamkeit auf Donna Sybille gerichtet, die eben einen neuen Vorrat von Flaschen herbeischaffte und eine sehr besorgte Miene aufgesetzt hatte.
»Schönste Kredenzerin des köstlichen Traubensaftes, ich weiß beim Himmel nach gewissen lieblichen Kennzeichen nicht, ob ich Sie als Hebe oder als Ganymed anreden soll.« Er hatte sie scherzend umfaßt und in eine Ecke gedrängt, was sich Dame Spazzoletta äußerst gern gefallen zu lassen schien, »Ihr feuriges Auge verrät eine gewisse Unruhe – es ist doch nichts Schlimmes vorgefallen, was uns so lange Ihrer holden Gegenwart beraubt hat? Ich möchte wohl eine kleine Frage an Sie richten!«
»Tausend für eine, Exzellenza,« sagte sie knixend. »Es wird mich unendlich glücklich machen, einem Kavaliere von Ihrer Liebenswürdigkeit dienen zu können.«
»Nun denn im Vertrauen, schönste aller Weinspenderinnen – ist vielleicht diesen Abend ein Herr mit Damen in diesem ganz vortrefflichen Hause eingekehrt?«
»Ein Herr mit Damen, Signore?«
»Nun, wenn es auch gerade kein Kavalier ist, kurz und gut, hat vielleicht ein gewisser Matteo die Ehre, von Ihnen gekannt zu sein?«
»Matteo? Oh Exzellenza, ich habe wohl hundert Matteos unter meiner Bekanntschaft – versteht sich in allen Züchten und Ehren!«
»Bei der heiligen Tiara! Ich habe niemals daran gezweifelt – dieser Signor Matteo hat noch einen anderen Namen – ich glaube Fontana?«
Sie sah ihn halb erschrocken an – »Oh Signore …«
»Und damit wir keinem Namensvetter ein Unrecht antun: ich meine den Signor Matteo Fontana, der den Beinamen il religioso führt!«
Die spröde Ostessa konnte sich nicht enthalten, zwei ihrer dicken Finger geschwind auf die Lippen des galanten Fragers zu drücken. »Um der heiligen Madonna willen! Exzellenza, leise, leise, daß man uns nicht hört – was hat ein Prinzipe, wie Sie, mit einem solchen Manne zu tun! Meine Betole ist eine vom besten Renommé und ich weiß von Gesellen nichts, die in so schlechtem Ruf bei der hohen Obrigkeit stehen! Es könnte mich meine ganze Kundschaft kosten!«
»So – und die Signori da drinnen?«
Er wies mit dem Daumen nach dem Nebengemach.
»Oh Exzellenza, die Signori da drinnen sind ehrliche Briganti, die stehen mit der hohen Polizei auf dem besten Fuße! Aber ein Birbante, ein gewöhnlicher Ladrone! Pfui, Exzellenz, was denken Sie von einer honneten Frau!«
»Nun das ist schade – ich hätte gern den Signor Fontana gesprochen, dessen Ruf doch wohl nicht so schlimm sein kann, da er mir selbst aufgetragen hat, hier nach ihm unter dem Namen il religioso zu fragen.«
Signora Spazzoletta sah ihn ganz erstaunt an. »Er hätte wirklich Euer Exzellenza dazu beauftragt?«
»Nun zum Teufel ja! – Er wollte mich hier treffen. Aber da Sie keinen Mann dieses Namens kennen …«
Die kleine Wirtin schien noch immer mißtrauisch. »Nun, Exzellenz, in einer öffentlichen Wirtschaft muß man allerdings so viele Personen sehen – und es ist da vorhin ein fremder Mann gekommen …«
»Allein?«
»Nein, Exzellenza!«
»Vielleicht mit zwei Damen?«
»O, Sie Schelm!« Das Gesicht der kleinen Wirtin war auf einmal ganz Vertrauen.
»Beide als Landmädchen gekleidet – aber die Eine eine Dame!«
» Oh benissimo, ich hatte es gleich weg, auf den ersten Blick! Ich sehe, daß Euer Exzellenz im Vertrauen sind, – warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt!«
»Und wo sind die beiden Signorinas?«
»In meiner besten Putzstube; die armen Dinger waren ganz verstört von dem Schrecken!«
»Was für ein Schrecken?«
»Nun, von dem Lärm, – haben Exzellenza vorhin nicht schießen gehört!«
»Keinen Ton!«
»Bei der Madonna – ich auch nicht! Aber es ist freilich auch etwas weit von dem Leontino bis zum Circo Maximo!«
»Also beim Zirkus?«
»Signor Matteo erzählt es. Die Republikanis sind mit den Franzosen in Streit geraten, und sie schlagen sich noch in den Straßen. In dem Lärm und Gedränge sind die Signorinas in Gefahr gewesen, und Signor Matteo hat sich ihrer angenommen und sie vorläufig hierher gebracht …«
»Wo sie hoffentlich für diese Nacht ein sicheres Unterkommen finden werden und ungesehen bleiben?«
»O, Exzellenza, was sind Sie für ein Schalk! Ich bin eine ehrbare Frau!«
»Die einen Kuß in allen Ehren und eine Hand voll Scudis hoffentlich nicht verschmähen wird, wenn es gilt, ein armes, hübsches Mädchen zu verstecken, die ein alter Geck von Vormund mit Gewalt selbst heiraten will!«
Dame Spazzoletta hob sich gravitätisch auf den Zehenspitzen, ihre Augen funkelten förmlich vor Vergnügen, bei einer solchen Liebes-Intrigue helfen zu können. » Bello, bellissimo! Und Euer Exzellenza haben sie also durch Matteo entführen lassen?«
»Versteht sich – es war alles verabredet!«
»Das ist etwas anderes; ich dachte schon, es wäre wie bei der anderen … die der Signor Abbate …«
»Welche andere?«
»O, nichts! – ich bin eine Schwätzerin; Euer Exzellenza werden begreifen, die Herzen der geistlichen Herren sind auch nicht von Stein, und wenn man mich auch nicht ins Geheimnis gezogen hat, die Sybilla hat es auf der Stelle weg gehabt, als die Signori zusammen kamen, daß ich die Ehre hatte, darunter einen geistlichen Herrn zu bewirten.«
»O Exzellenza, ich kümmere mich nicht um die Namen, – ich bin bloß meinem Beichtvater Rechenschaft schuldig, und das ist ein vernünftiger Mann!«
»Zum Teufel! Dieser spionierende Abbé hat die beiden Signorinas doch nicht etwa schon gesehen?«
»Wo denken Sie hin, Exzellenza! Die Spazzoletta, wie die Schelme mich nennen, weiß was Diskretion ist – und daher kümmere ich mich auch um die andere nicht, mag sie doch tun, was sie will – ich bin für die ganze Etage bezahlt worden und drücke verständig die Augen zu. Nein, Exzellenza, die Colombaia hat mehr als einen Eingang, und so vortrefflichen Kavalieren, wie Sie und Ihre Freunde es sind, werde ich stets zu Diensten stehen. Ahi! daß ich noch einmal jung wäre!« Und sie warf dem Grafen einen überaus schmachtenden Blick zu.
»Zum Teufel – aber wo steckt der Signor Matteo?«
»O, Exzellenza, Sie brauchen nur die Gardine da aufzuheben, er sitzt seit einer Viertelstunde bei seinen Kameraden.«
Der Graf schaute durch das Fensterchen. »Aber ich sehe niemanden, als den Kapitano Gentrilli mit seiner Frau und einen alten Fiakrekutscher …«
» Si, si – der Schelm weiß sich vortrefflich zu verkleiden, gerade als ob der Karneval das ganze Jahr dauerte.«
»In der Tat, ich muß Signor Matteo mein Kompliment machen; aber, schönste Ostessa, ich muß ihn sprechen in einer dringenden Angelegenheit und im Geheimen, ohne daß die Gesellschaft etwas merkt!«
»Keine Silbe! Wollen Euer Exzellenza nicht einmal einstweilen die hübsche Donna besuchen?«
»Später! Ich darf jetzt meine Freunde nicht aufmerksam machen, sie sehen ohnehin schon mit neidischen Blicken herüber! Geben Sie mir nur einen Wink, verführerischste aller verführerischen Witwen!« Und er versuchte ihre Taille zu umfassen, mußte sich aber mit dem fetten Nacken begnügen.
»Gehen Sie doch, Sie Bösewicht! Man darf den Männern niemals trauen!«
Die politische Debatte an dem großen Tisch der Gesellschaft hatte bisher das kleine Zwischenspiel glücklich verdeckt, als aber jetzt die kleine Wirtin mit einer überaus komischen Koketterie sich aus der galanten Umarmung wand und verschämt wie ein junges Mädchen von sechszehn Jahren ihr breites Gesicht mit dem Schürzenzipfel bedeckend aus dem Zimmer huschte, brachen die meisten in ein helles Gelächter aus.
Sir Terenz schaute sich mit grimmiger Miene um. »Der Teufel soll mich holen!« brüllte er, mit der Faust auf den Tisch schlagend. »Wenn das nicht eine Beleidigung für meines Vaters Sohn ist, daß Sie mein Herzeleid noch auslachen, Gentlemen, so soll mir niemals mehr ein Glas gesegneten, unversteuerten Whiskys durch die Kehle kommen! Also heraus, Gentlemen, mit der Sprache, wer von Ihnen stellt sich mir auf die Mensur? Denn daß Terenz O'Donnell für seinen Seelenfrieden und um der armen Mary ihre Ruhe im Grabe zu sichern, jemanden totschießen, oder die Peterskirche in Brand stecken oder Judith Hoghborn heiraten muß, das werden Sie doch selber wohl einsehen!«
»Dann dächte ich, Sir, Sie versuchtens mit der Heirat, denn keiner dieser Herren hat Sie durch das zufällige Lachen, das keinen Bezug auf Sie hatte, beleidigen wollen!« sagte der Prinz.
Der tolle Irländer kraute sich in den Haaren. »Muscha, aber was soll ich mit dem Manne hier machen, der noch immer neben mir steht, wie ein jammervolles Schattenbild? Er hat doch meine Schwester, meine einzige Mary, erschossen, und …«
Die Augen des Irländers begannen wieder rot zu funkeln und seine gewaltigen Fäuste ballten sich, als wolle er mit einem Schlage den blassen Mann neben ihm tot zu Boden strecken.
Der Ionier hatte sich erhoben und trat zu den beiden, indem er die Hand auf die Schulter des Irländers legte und das Glas dem ehemaligen piemontesischen Offizier entgegen streckte.
»Sir O'Donnell, Sie haben die Entscheidung einem Kreise von Männern anheimgegeben, die gewohnt sind, die Ehre über das Leben zu stellen und Ihnen durch meinen Mund sagen: es gibt Taten, deren Beurteilung außerhalb der menschlichen Gesetze steht; danken Sie diesem Manne, daß er den Mut hatte, statt ein Mörder zu werden, Ihre Schwester ohne Schmach zum Himmel zu senden! Sein Leid wiegt schwerer als das Ihre. Sprechen Sie das Wort des Dankes in dem Worte der Vergebung, und lassen Sie ihn in Frieden ziehen zu seinem traurigen Los. Ich weihe dies Glas dem Andenken einer Märtyrerin und dem Trost eines ehrenhaften Soldaten!«
Und rings um den Tisch leerten schweigend die Männer die Gläser bis zum letzten Tropfen und setzten sie nieder; der junge Kapuziner aber nahm die Hand des Preußen und legte sie in die des Irländers. »Scheidet in Frieden für dieses Leben!« Er führte den Trauernden zur Tür, wo er ihn Master Wilkens übergab, der ihn aus dem Gemach geleitete, worauf jener mit einigen Worten den fragenden Blick des Kapitän Chevigné beruhigte.
»Lassen wir die Toten ruhen nach Soldatenweise, und halten wir uns an das Leben, Sir Terenz,« sagte ermunternd der Prinz, dem Irländer das Glas bietend. »Sie wollen also nicht wieder in die Armee treten?«
»Der Arzt verordnet Sir Terenz die Bäder von Bagnères zur völligen Wiederherstellung von seiner Wunde,« bemerkte hastig der Mönch, »und wir werden dahin abreisen, sobald ich die Erlaubnis meiner Oberen erhalten und …«
»Die Verbindung des Sir Terenz mit Lady Hoghborn geschlossen ist!«
»Zum Henker mit Ihnen, Rafaël,« brummte der Irländer, dem durch die Entfernung des Preußen eine große Erleichterung geworden schien, »was haben Sie sich immer in meine Heirats-Angelegenheiten zu mischen, als hungerten Sie nach den Kopulations-Gebühren? Wenns noch der Pater O'Hary wäre, von dem die Weiber erzählen, daß er dem alten Flanagan vor der letzten Ölung das Betttuch unterm Leibe weggezogen, weil er bange war, von der heulenden Sippschaft keinen Sixpence für den weiten Weg bezahlt zu erhalten, wenn der alte Bursche gestorben war!«
»Sie sollten lieber, statt solche schlechte Geschichten zu erzählen,« sagte verweisend der junge Priester, daran denken, welche Verpflichtung Sie einer ehrenwerten Dame gegenüber haben, der, wenn sie auch eine Ketzerin ist, Sie Ihr Leben verdanken, und die ihren Ruf auf das Spiel setzt, um Sie zu pflegen und für Sie die Sorge jener Schwester zu tragen, die Gott Ihnen zur Strafe für Ihre Hartnäckigkeit genommen hat.«
»Hören Sie auf, Rafaël! Haben Sie nicht gehört, daß ich Lady Judith heiraten will? Aber zum Henker, ich kann mich doch nicht in ganz Irland verlachen lassen, daß die vertrackte Dirne mich doch zuletzt auf der Schnitzeljagd erwischt und gezwungen hat!« Und er kratzte sich ärgerlich hinter den Ohren.
Der naiv-wunderliche Charakter des Iren hatte bei der Gesellschaft trotz der traurigen Veranlassung so großes Interesse erregt, daß man in der Klage des Riesen sofort einen neuen Stoff der Unterhaltung witterte und sich diesen nicht entgehen lassen wollte.
»Erzählen Sie uns, Sir Terenz, was ists mit der Jagd auf Ihre Hand? Haben Sie in einer unglücklichen Stunde ein Eheversprechen gegeben? Man will wissen, daß die englischen Damen in solchen Fällen sehr hartnäckig und energisch sind und schwere Schadenklagen anstellen! Wir bedauern Sie!«
»Den Teufel tun sie, Sir! Judith hat Geld genug, die ganze Peterskuppel mit Gold zu bedecken; ich glaube, das halbe Galway gehört ihr. Der alte Güterwucherer, ihr Vater, hat bei der Athlone-Bahn ein schändliches Geld verdient! Übrigens ist sie gar nicht einmal eine Irländerin, der alte Spitzbube kam von London herüber.«
»Also vielleicht alt und – nicht schön!«
Der Irländer grinste den Marquis höchst vergnügt an und rieb sich die Hände. »Was Sie nicht wissen, Sir, Sie haben sicher in Ihrem Paris noch keine hübschere Dirne gesehen, selbst die arme Mary reichte ihrs Wasser nicht! – zweiundzwanzig Jahre, sie kann es alle Tage mit ihrem Taufschein beweisen, – und wissen Sie was: sie ist eine Gelehrte, die selbst dem Rektor vom Dubliner Kolleg etwas zu raten geben würde, und nun erst einem Windhund von Franzosen?«
»Ich muß Ihnen sagen, Herr Kamerad,« mengte sich Kapitän Chevigné in das Gespräch, »Lady Hoghborn ist eine ebenso schöne als fein gebildete Dame, zu deren Besitz sich jeder Gentleman nur Glück wünschen könnte.«
»Und eine Frau von Herzensgüte und strenger Redlichkeit!«
» Yes! Yes! Der Teufel soll mich holen, Liebling, wenn nicht jede Silbe die reine Wahrheit ist!«
»Aber, zum Henker, warum heiraten Sie alsdann die Dame nicht? Oder sind Sie vielleicht anderweitig verliebt?«
»Bewahre! Die Dummheiten mit Polly O'Hary, unseres Wildhüters Tochter, und der kleinen Betsy, der Kammerjungfer, die sind unmöglich zu rechnen! Nein, so wahr ich noch manchem Fuchs über die Heide zu folgen hoffe, ich könnte Judith fressen vor Liebe – nur …«
»Heraus damit!«
»Daß sie mich mit Gewalt heiraten will, das ist das Unglück dabei! Warum mußte es auch der alte Gauner, ihr Vater, ins Testament setzen!«
Die Miene des wackeren Irländers war bei dem Geständnis so kläglich, daß jetzt alle in Gelächter ausbrachen.
»Sie sind wirklich ein seltsamer Bursche, Sir Terenz,« meinte lachend der Marquis. »Wenn Sie das als Hindernis betrachten und sonst nichts gegen die Dame einzuwenden ist …«
»O Jäsus! Sie sollten Sie nur kennen!«
»So würde ich es machen, wie ich früher gesehen habe, daß die Irländer es bei ihren Fuchsjagden machen!«
»Was meinen Sie?«
»Nun, ich würde die Heirat als eine Mauer betrachten, bei deren Überspringen man höchstens den Hals brechen kann!«
Sir Terenz riß die Augen auf.
»Ich würde also der Gefahr trotzen, – als mutiger Mann die Augen schließen und statt auszuweichen – hopp! darüber weg, selbst auf die Gefahr hin, daß hinter der Mauer oder Hecke noch ein Graben liegt!«
Während alle anderen kaum das Lachen verbeißen konnten über die Fopperei, starrte der Riese den jungen Franzosen groß an und schlug sich vor die Stirn, daß es klatschte. »So wahr ich von König Dermod abstamme, Sir! Von der Seite habe ich das Ding noch nicht angesehen, und kein Mensch soll von Terenz O'Donnell sagen, daß er sich vor irgendeinem Dinge gefürchtet habe, seis selbst der Teufel oder ein Weib! Fra Rafaël, Sie können meiner Verlobten sagen, daß ich bereit bin, mich trauen zu lassen, sobald nur, wie ich geschworen habe, die Schmach der armen Mary gerächt ist!«
»Sie sollten die Erfüllung einer Pflicht nicht von einem sündigen Rachegelübde abhängig machen, Sir Terenz,« sagte verweisend der Kapuziner. »Die Rache ist mein! spricht der Herr!«
»Der Herrgott ist im Leben kein Irländer gewesen!« brüllte der erbitterte Sohn der grünen Insel. »Ich wette hundert gegen eins, daß San Patrik, der doch auch eine tüchtige Autorität ist, so etwas niemals gesprochen hätte! Tun Sie, was ich sage, Pfaff, wenn wir gute Freunde bleiben sollen und Sie die fette Pfarrstelle in Galway haben wollen!«
Der Spanier hatte sich, aufs Höchste belustigt, zu ihm gesetzt. »Und Sie wollen uns versprechen, Sir Terenz, die treue Liebe Miß Judiths zu belohnen und sich auf der Stelle kopulieren zu lassen, sobald Sie den Beweis haben, daß Ihre Schwester an General Pinelli gerächt ist?«
»Der schwarze Nick soll mich holen, wenn ich den Sprung über die Mauer nicht wage, und sollt's am morgigen Tage sein!«
»Gentlemans Wort?«
»Gentlemans Wort!«
»Dann, meine Herren, da glücklicherweise Seine Ehrwürden, unser diplomatischer Freund, nicht hier ist, habe ich die Ehre, die werte Gesellschaft auf morgen zur Hochzeit dieses Gentleman einzuladen. Nur bitte ich um Ihr Wort, bis morgen Mittag keine Silbe mehr über die Angelegenheit zu wechseln und um Ihre Erlaubnis, mich auf eine halbe Stunde entfernen zu dürfen.«
»Zugestanden! Zugestanden!« lachten die beiden jungen Franzosen, die einen neuen Spaß witterten, während der Grieche den Kopf schüttelte und dem Prinzen zuflüsterte: »Ich kenne den Tollkopf, er bringt es fertig!«
Der Graf von Caserta zuckte die Achseln. Weiteren Fragen und Scherzen machte der Eintritt des Abbate ein Ende. Kapitän Tonelletto kehrte zwar nicht mit ihm zurück, dagegen begleiteten ihn zwei Mitglieder der abenteuerlichen Gesellschaft aus dem Nachbargemach, der Bandenführer Gentrilli und Meister Pilone, der Entsprungene von San Elmo, der Brigant vom Vesuv.
Don Juan hatte die Gelegenheit benutzt, sich unbemerkt davon zu schleichen. Dame Spazzoletta schien draußen auf der Lauer gestanden zu haben, denn er hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, als er seine Hand gefaßt und an einen sehr fleischigen und warmen Körperteil gepreßt fühlte, und ein mächtiger, aus der Tiefe kommender Seufzer belehrte ihn, daß es der wohlgenährte Busen der liebessentimentalen Locandiera war.
»Man erwartet Sie, Exzellenza! Darf ich Sie zuerst zu den Signorinas führen?«
» Cospetto; schöne Donna! Ich fürchte, das würde mich zu viel Zeit kosten. Nehmen wir zuerst das Notwendigste, Sie kennen gewiß das Sprüchwort vom Geschäft und dem Vergnügen. Also zunächst: wo ist Signor Matteo?«
»Hier, Exzellenza!«
Don Juan erkannte die Stimme des Banditen, der eine in dem Halbdunkel des gangartigen, gewölbten Flurs mündende Seitentür öffnete und ihn in das Gemach schob. »Es wird gut sein, cara mia, wenn Ihr unterdessen die Signora Coja tröstet, während die Signori da drüben mit ihrem Gatten schwatzen oder etwa in der Schankstube zum Rechten seht. Es scheint mir heute nicht ganz geheuer zu sein, und ich habe rote Hosen auf den Bänken gesehen!«
»Der heilige Lucifer möge die Spötter und Lügner alle mitsammen dahin holen, wo das Fegefeuer am heißesten brennt,« rief erbost die Wirtin und eilte nach dem vorderen Teil des weitläufigen Hauses. »Der Wein der Colombaia ist zu gut für solche Schelme!«
Der Ladrone hatte die Tür geschlossen und lachte herzlich. »Es geht ihr wie den Truthähnen,« sagte er, »der Kamm schwillt ihnen, sobald sie nur ein Stück rotes Tuch vor Augen sehen. Euer Exzellenza sollen die Geschichte schon einmal hören, sie ist nicht ohne Bezug zu dem Beinamen, den man mir seitdem gegeben, und über den sich Euer Exzellenza heute Morgen so sehr zu verwundern schienen. Es ist wahr, diese Schufte von Franzosen haben ihren zärtlichen Gefühlen etwas arg mitgespielt und sie hat ihnen alles mögliche Unheil geschworen. Halb Rom hat damals über die tolle Affäre gelacht, und es war ein Glück, daß der würdige Meister Sandrolfo bereits in den letzten Zügen lag, sonst würde die Colombaia schwerlich in für alle guten Christen und ehrlichen Burschen so guten Händen geblieben sein. Aber, was sagen Euer Exzellenza, hat Matteo Fontana sein Wort gehalten und seinen Lohn verdient?«
Die zarte Erinnerung veranlaßte den Spanier, sich an den im Gemach stehenden Tisch zu setzen und nach seiner Börse zu greifen.
»Ich habe zwar die Signorina noch nicht gesprochen, aber die Ostessa hat mir gesagt, daß die Mädchen hier sind.«
» Si, Exzellenza, gleich dicht nebenan, im Allerheiligsten der kleinen Närrin, in ihrem Schlafzimmer.«
»Geduld! Zunächst Signor Matteo, hier sind die zweiten hundert Scudis, die ich Euch schulde. Ist alles gut gegangen, und wie habt Ihrs angestellt?«
» Eh! Nichts leichter als das! Als der Wagen gerade in der Nähe des Zirkus war, von den Francesis begleitet, kamen die Republikaner heraus und brachten dem Napoleon und den Soldaten ein Hoch, nahmen sie in ihre Mitte und herzten und küßten die Kerle, daß sie kaum zu Atem kommen konnten. Ich sage Ihnen, Exzellenza, es war ein Spaß zum Totlachen! Die Parlezvous wanden sich wie die Meeraale in den Händen der Köche und schlugen nach allen Seiten. Zuletzt gab es eine Katzbalgerei und schließlich Kolbenstöße und Dolchstiche; ich glaube sie sind noch dabei. Wir waren rasch bei der Hand in dem Gewühl – ich half den Signorinas aus dem Wagen und gab dem alten Burschen, der ihnen folgen wollte, einen Schlag auf den Schädel, der ihm gewiß alle Sterne am Firmament tanzen machte. Fünf Minuten darauf waren sie in meinem Fiakre, und ich fuhr die Kreuz und Quer, sodaß sicher ein besserer Verstand dazu gehörte, als die römischen Sbirren haben, um auch nur eine Spur von ihnen zu finden. Dann erst brachte ich sie von dem Tiber her bis zur nächsten Ecke und dann ins Haus!«
»Und die Ostessa?«
»Ich schwatzte ihr etwas vor von einer Entführung und einer Liebesgeschichte; der alte Schnurrbart braucht nur von einem unglücklichen Liebespaar zu hören, um Feuer und Flamme zu sein. Das Weitere ist nun Ihre Sache, wenn Sie mich nicht noch besonders brauchen. Die Alte hat der Schlupfwinkel genug in diesem großen Steinklumpen, um zehn Liebespaare einen Monat lang zu verstecken, ohne daß die ärgste Schnüffelnase auch nur eine Haarspitze zu sehen bekommt.«
»Vortrefflich gemacht, Signor Matteo! Ich bin mit Ihnen zufrieden und Sie sollen es auch, denke ich, mit mir sein. Doch weiter: sind Sie müde oder haben Sie Lust, ein noch einträglicheres Geschäft zu machen?«
»O Exzellenza, ein Kunde wie Sie kommt armen Teufeln, wie wir sind, nicht oft in die Quere. Was ist es? Sollen wir eine Eminenz aus dem Schlafzimmer seiner Parente holen, oder für Sie die jüngste Novize aus einem Nonnenkloster stehlen?«
»Nichts da – es handelt sich um keine Liebesaffäre, sondern um eine andere Unterhaltung!«
»Also um einen tüchtigen Stoß, so zwischen die erste und zweite Rippe?«
»Auch das nicht! Ihr sollt einem Mann eine kleine Züchtigung von fünfundzwanzig Rutenhieben erteilen und dafür – fünfhundert Scudis erhalten!«
»Nichts leichter als das! Betrachten Sie die Sache als abgemacht. Ihr Feind, Exzellenza, wahrscheinlich Ihr Rival, soll die Schläge haben, und wenn er sich im San Peter verkrochen hätte!«
» Lente! lente! Die Sache ist nicht so leicht, sie muß morgen bei Tagesanbruch vollzogen sein!«
» Bene! So werden wir ihn aus dem Bett holen, und sollten wir sein Haus darum anzünden!«
»Das geht schwerlich an und würde überdies nichts nützen; er ist im Begriff, Rom zu verlassen!«
»Desto besser, Exzellenza, so werden wir ihn auf dem Wege abfassen – Sie dürfen nur die Stunde, die Straße und die Porta bezeichnen.«
»In Eurem eigenen Revier, Signor Matteo, auf der appischen Straße! Ich würde die Ruinen des Zirkus Caracalla für den geeignetsten Platz halten.«
Der Bandit fing an, ein ernsteres Gesicht zu machen.
»Nun, wir müssen sehen, wie wir uns mit den französischen Patrouillen abfinden. Bei der Madonna, die Sache scheint doch nicht so leicht, als ich anfangs dachte!«
» Al contrario – im Gegenteil – es ist möglich, daß die Person von einer Eskorte begleitet wird – bis zur neapolitanischen Grenze!«
» Diavolo! – Bis zur neapolitanischen Grenze? – Ei, ich kenne eine ganz vorzügliche Stelle in den Sümpfen, wo alle Begleitung nichts nützen würde!«
»Schade darum, aber es dürfte zu weit sein, denn vergessen Sie nicht, Signor Matteo, daß ich um 7 Uhr wieder in Rom und zwar auf dem Bahnhof sein muß, sonst könnten wir den Herren Piemontesen leicht jenseits der Grenze fassen!«
Der Bandit kraute sich in den Haaren. »Verdammt, also ein Piemontese, ein Feind des heiligen Vaters und der Kirche ist es?«
»Ein piemontesischer General!«
» Pesthe! Und Euer Exzellenza müssen auch dabei sein?«
»Ich und ein Freund, damit wir nötigen Falls die Rutenhiebe bezeugen können.«
» A fé!« sagte der Straßenritter vertraulich – »wissen Euer Exzellenza, wenn es ein piemontesischer Ketzer ist, mache ich mich anheischig, ihm einen Schuß oder einen guten Messerstich ohne Preiserhöhung zu geben; ich gestehe Euer Exzellenza offen, daß dies nicht bloß eine bessere, sondern auch eine leichtere Abmachung Ihrer Rechnung mit dem Signor Piemontese sein wird!«
»Ich glaube Ihnen dies gern, Signor Matteo, aber ich sage Ihnen ebenso offen, daß es mir auf eine Ersparnis nicht ankommt. Ich will keinen Meuchelmord, sondern eine Züchtigung, und ich bin so eigensinnig, daß es mir nicht darauf ankommen würde, sogar den Preis zu verdoppeln.«
»Sodaß Exzellenza …«
»Tausend Scudi für das Vergnügen geben wird, dem Signor Generale eine tüchtige Tracht Schläge aufzählen zu sehen, und zwar Rutenhiebe auf einen gewissen Körperteil, den man für gewöhnlich mit einem Paar guter Beinkleider zu bedecken pflegt!«
Der Bandit fing an zu lachen. »Ich muß gestehen, Euer Exzellenza haben eigentümliche Liebhabereien, – indeß mit Geld ist in Rom alles zu machen.«
»Das dachte ich mir auch, und ich dachte zugleich: Signor Fontana, genannt il religioso, ist ein gescheiter Mann.«
Der Ladrone verbeugte sich geschmeichelt, kratzte sich aber nichtsdestoweniger verlegen hinter den Ohren. »Es wird nichts Anderes übrig bleiben, als die Eskorte anzugreifen und Ihren Signor Piemontese zu entführen. Leider kann ich in diesem Augenblicke nur über zehn zuverlässige Burschen verfügen, und da die Sache Eile hat …«
»Wie gesagt, große Eile! Einer meiner Freunde soll morgen Hochzeit halten, und ich habe versprochen, ihm die Quittung dieser fünfundzwanzig Rutenhiebe zum Hochzeitsgeschenk zu machen. Lassen Sie mich Ihnen zu Hilfe kommen, Signor Matteo; mit Gewalt ist bei der Sache nichts auszurichten, wir müssen die List zu Hilfe nehmen, und ich habe bereits einen Plan …«
»Aber wenn Euer Exzellenza partizipieren, wird sich das Honorar vermindern …«
»Unbesorgt – Sie werden Ausgaben genug haben! Hören Sie zuerst, um was es sich handelt. Der Piemontese ist als Parlamentär von Neapel an General Guyon hierhergekommen, um gewisse Forderungen zu stellen oder Unterhandlungen zu führen und kehrt morgen in aller Frühe zurück; die Unterhandlungen müssen also heute beendet worden sein, und ich habe Ursache zu glauben, daß sie sich auch auf den Kardinal Merode, den Kriegsminister Seiner Heiligkeit, erstreckt haben. Da nun der französische Gouverneur von Rom und der Kardinal-Minister mitunter sehr verschiedene Interessen vertreten …«
»Fuchs und Wolf!« schob der Bandit ein.
»Ich sehe, daß Sie ein Mann von Verstand sind! Also, so hätte es durchaus nichts Unwahrscheinliches an sich, wenn der sardinische Botschafter unterwegs, noch ehe er das römische Gebiet verläßt, eine Botschaft nachgeschickt erhielte, die ihn zu einem kleinen Verweilen, etwa zu einem geheimen Gespräch, veranlassen könnte; es kommt eben darauf an, ihn zu täuschen. Freilich haben wir zu den Vorbereitungen nur wenige Stunden, und das macht die Sache schwierig!«
Der Bandit tat einen Luftsprung: » Basta! basta, Signore! Nachdem Exzellenza mich auf die Fährte gebracht haben, sehe ich meinen Weg genau vor mir: was sagen Euer Exzellenza zu einer veritablen Kardinalskutsche?«
»Ja, wenn Sie eine solche etwa in der Nähe des Zirkus postieren könnten … wie gesagt, ich bestehe nicht gerade auf dem Zirkus …«
» Si, si! Er ist ganz der passendste Platz; eine Kutsche, wie Euer Exzellenza sie heute gesehen haben, mit vier Papalinos zur Seite, meinen Sie nicht, daß dies Vertrauen geben würde?«
»Gewiß! Aber, wie wäre das zu ermöglichen?«
»Überlassen das Euer Exzellenza nur mir. Im Vertrauen kann ich Euer Exzellenza sagen, daß die römischen Eminenzen manchmal ganz wunderbare Spazierfahrten machen, auch bei der Nacht, so daß die Sache an den Toren nicht auffallen wird. Was bin ich für ein Dummkopf gewesen, nicht daran zu denken, daß dies ohnehin das leichteste Mittel ist, so früh aus den Toren zu kommen, was sonst am Ende eine schwierige Sache gewesen wäre.«
»Daran habe ich allerdings gar nicht gedacht! Aber wie zum Teufel sollen wir da an Ort und Stelle gelangen?«
»Nichts leichter als das! Euer Exzellenza und Ihr Freund werden mir die Ehre antun, in der Kardinalskutsche hinauszufahren und nach abgemachtem Geschäft durch ein anderes Tor, etwa die Porta San Paolo, zurückkehren. Nur …«
»Was haben Sie noch für ein Bedenken?«
»Exzellenza, ich bin kein großer Schreibkünstler, und die Signori Scrivanis haben um diese Zeit bereits ihre Buden geschlossen!«
»Ich stehe Ihnen zu Diensten.«
»Dann ist jede Schmierigkeit gehoben. Sie werden die Güte haben, mir, während ich einige Anordnungen treffe, einen Brief an Ihren Herrn Piemontesen zu schreiben, der um eine kurze Unterredung bittet; Euer Exzellenza werden es weit besser verstehen, was zu sagen ist, als ich. Zum Glück bin ich von jener Geschichte her, die ich Euer Exzellenza bereits anzudeuten die Ehre hatte und die mir den Beinamen il religioso verschaffte, noch im Besitz des Handsiegels einer Eminenz. Ich werde den Brief an den Offizier der Wache an der Porta San Sebastiano, deren sich Euer Exzellenza von heute vormittag her erinnern, abgeben lassen, mit dem dringenden Ersuchen, ihn dem Kurier beim Passieren der Porta zur sofortigen Öffnung einhändigen zu wollen, wenn Exzellenza mich nur über das Nähere verständigen wollen!«
»Warten Sie,« sagte der Conte, »wäre es da nicht besser, daß ich die Sache selbst besorge? Nur muß ich die nötigen Verkleidungen haben.«
»Exzellenza werden zwei entsprechende Kostüme in dem Kardinalswagen finden. Somit wäre alles besprochen, bis auf die Art …«
»Nun?«
»Wie wir nach der kleinen Exekution Euer Exzellenza und Ihren Begleiter in Sicherheit bringen; denn der Signor Piemontese wird die Sache natürlich sehr übel nehmen und einen Mordlärm erheben, sobald er sich wieder in Freiheit sieht.«
» Al contrario! Ich glaube nicht, daß der Herr, wenn wir nur seinen Adjutanten entfernthalten können, sehr geneigt sein dürfte, die Sache anders als eine private Verhandlung zu betrachten und sicher möglichst wenig davon sprechen wird. Braucht Ihr Geld?«
Der Straßenritter zuckte die Achseln.
» Bene! Hier sind weitere vierhundert Scudi und der Rest soll bei Signora Sandrolfo deponiert werden. Und nun, Meister Matteo, muß ich meinen schönen Gästen ›Guten Abend‹ sagen und sie über ihr Mißgeschick trösten.«
Der Bandit öffnete dienstbeflissen die Tür und führte seinen Auftraggeber in das Witwen-Asyl der Ostessa, zwischen den Zähnen die Beteuerung murmelnd, daß der Cavaliere der würdige Nachfolger und Freund des großen Mascherato sei. – – – – –
Die Geschäfte, die vorher Abbé Calvati abgemacht, als er aus der Gesellschaft der Cavaliere abberufen worden war und diese, von dem Brigantenführer gefolgt, verlassen hatte, waren nur kurz gewesen, obschon sie ihn nach dem ersten Stock des weitläufigen Gebäudes geführt hatten, wo er die Lokalität genau besichtigt und verschiedenen Individuen ihre besonderen Instruktionen erteilt hatte. Als er den nach italienischen Begriffen sehr komfortabel eingerichteten Salon verließ, der durch eine Ampel nur mäßig erhellt war, wandte er sich nochmals zu einer in der Ecke des Sofas in bequemer Stellung lehnenden sehr reich gekleideten Dame zurück und sagte mit scharfem Tone:
»Sie haben Ihre Instruktion begriffen?«
»Vollkommen, hochwürdiger Herr! Und wenn ich Ihre Befehle nun zu Ihrer Zufriedenheit ausführe, wird man dann alle Ansprüche an mich auf- und mir die Freiheit zurückgeben?«
»Vielleicht! Zunächst werden Sie eine Mission nach einer nordischen Hauptstadt erhalten, Berlin oder Petersburg, zu einem hohen Zweck; und wenn Sie dort reüssiert haben, sollen Sie Ihre volle Freiheit erhalten, sonst … erinnern Sie sich an die Zelle der Büßerinnen!«
Die Frau schauderte – sie beugte das Haupt: »Ich werde gehorchen!«
Der Abbé verließ sie; in dem Vorzimmer saß ein Diener in elegantem, schwarzem Frack und Escarpins. Er war noch jung und hatte ein scharfgeschnittenes blasses Gesicht, das von einem fashionablen Backenbart umrahmt war. Gleiches Haar von schwarzer Farbe, die man häufig bei den Israeliten findet, bedeckte eine niedere, breite Stirn. Der Mann erhob sich respektvoll beim Eintritt; indem er sich verbeugte, hätte ein scharfer Beobachter trotz des dicken Wustes der Haare auf dem Mittelpunkt des Schädels eine kleine, runde, haarlose Stelle bemerken können.
»Ich sehe mit Vergnügen, Samuel, daß Sie auf Ihrem Posten sind.«
»Euer Ehrwürden zweifeln gewiß nicht an meinem Eifer.«
»Vergessen Sie nicht, Samuel, daß man Ihnen auf meine Empfehlung dieses Probestück anvertraut hat. Ihre Beförderung und weitere Verwendung wird von dem Erfolg abhängen. Bewachen Sie das Weib auf das Genaueste – jedes Wort, jeden Blick – denn sie ist gefährlich, und besäße sie nicht das Laster der Trägheit in so hohem Grade, so würde sie bei der Schlauheit und dem scharfen Verstande, der ihre Rasse auszeichnet, noch gefährlicher sein. Weil bei dieser Affäre nur Personen Ihrer Nationalität im Spiele sind, hat man sie gerade Ihnen überwiesen.«
Der Renegat verbeugte sich. »Sie geben mir zu viel Ehre, die Schwester Carlotta hat nicht den Erwartungen ihrer Bekehrung entsprochen.«
»Sie war ein Weib. Ich darf Ihnen sagen, daß der Orden auf Ihre Bekehrung sogar große Erwartungen setzt. Ein männlicher Bekehrter wird, wenn er ein kluger Kopf ist und Ehrgeiz hat, stets ein Licht der Kirche. Sehen Sie bei den Lutheranern den Professor Stahl, er ist mit seinem scharfen Verstande und seiner Dialektik eine Hauptstütze der gegenwärtigen lutherisch-politischen Kirche geworden. Schade, daß er sich der protestantischen Theologie zugewendet; man hat es seiner Zeit versäumt. Auf Döllinger ist kein Vertrauen, Theiner hat man zu spät zu schätzen gewußt; er ist ein Feind unseres Ordens geworden, dem doch die Zukunft gehört. Verstehen Sie mich wohl – es hängt von Ihnen ab, eine große Karriere zu machen.«
Das alles war in halb flüsterndem Tone gesagt.
Der Bekehrte, wie ihn der Abbate bezeichnet hatte, verneigte sich. »Ich werde dem Vertrauen zu entsprechen suchen. Aber die Realisierung der Summen?«
»Man will Ihnen das ganze Geschäft als Prüfung Ihrer Umsicht überlassen. Fould in Paris – Eskeles in Wien. Es dürfte der bequemste Diskonto sein.«
»Wann erwarten Sie mich zurück?«
»Acht Tage werden genügen – Sie sind im Besitz aller Adressen und der Chiffren für den Telegraphen?«
Wiederum verneigte sich der scheinbare Kammerdiener, indem er zugleich nach seiner Uhr sah. »Ich fürchte, es wird Zeit. Nochmals – wenn die Männer von der Gewalt nur das Ihre tun, für den Teil der Intelligenz seien Sie unbesorgt.«
Ein kurzes Zeichen zwischen den beiden, eine eigentümliche, blitzschnelle Bewegung beim Zeichen des Kreuzes bildete die Verabschiedung, dann verließ der Abbate das Gemach und stieg zum Parterre hinunter.
Der Kammerdiener setzte sich wieder am Eingang des Salons nieder. Ein eigentümliches Lächeln spielte um seinen Mund. Vielleicht glaubte er sich im Stillen beobachtet, trotzdem er noch auf einer der untersten Stufen der Kongregation stand, kannte er doch zu genau deren Gewohnheiten, um sich eine Blöße zu geben. Es mochte – er hatte eben wieder nach der Uhr gesehen – etwa eine Vietelstunde verflossen sein, als an den Eingang geklopft wurde, und auf das Entrate des Wartenden ein Mann von einigen fünfzig Jahren mit bereits ergrauendem Haupthaar eintrat. Seine Haltung war etwas gebückt, sein Auge, das mit einem raschen Blick das ganze Gemach zu umfassen schien, hatte etwas Lauerndes – Befangenes – seine Kleidung war einfach, aber modern; der Kammerdiener hatte sich erhoben und war ihm höflich entgegengetreten.
»Wohnt hier Signora Carlotta Ruffeli, die frühere Primadonna am San Carlo?«
»Zu Befehl, Altezza!«
Der Mann wurde verlegen. »Sie kennen mich?«
»Wer würde den fürstlichen Bankier Seiner Heiligkeit, den Rothschild Roms, nicht kennen!«
»Wie unvorsichtig!« murmelte der Eingetretene. »Sie sind schon lange im Dienst der Dame? Ich erinnere mich nicht, Sie früher gesehen zu haben.«
»Seit ihrer Rückkehr nach Italien, nach Rom, Altezza!«
»Und das ist?«
»Seit vierundzwanzig Stunden!«
»So, so! Melden Sie mich!«
»Altezza wollen die Gnade haben, einzutreten, Sie werden erwartet!«
Der große Bankier hatte seinen Paletot abgelegt und trat durch die von dem Kammerdiener devot aufgerissene Flügeltür in den Salon – die Tür wurde hinter ihm sofort wieder geschlossen, und der Kammerdiener legte sein Ohr an das Schlüsselloch.
Die Dame im Sofa hatte sich nicht erhoben, sie begnügte sich, den Schleier zurückzuschlagen. Der Herr trat auf sie zu und reichte ihr zögernd die Hand.
»Wahrhaftig – Carlotta! Es ist keine Täuschung! Um Himmelswillen, wo kommen Sie her?«
»Aus dem Grabe!«
»Aus dem Grabe? Scherzen Sie nicht mit so ernsten Dingen – ich fürchtete indes wirklich …«
»Daß ich darin läge! Nun, lieber Oheim, Sie sehen, daß ich es verlassen habe, gewiß nicht zu Ihrem besonderen Vergnügen!« Ihre großen schwarzen Augen betrachteten ihn mit funkelndem Ausdruck.
»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich Sie bitte, nicht so frevelnd zu scherzen. Ich habe allerdings seit zwei Jahren nichts von Ihnen gehört und glaubte daher … aber es kam wahrscheinlich von der Veränderung des Namens – ich lese selten die Nachrichten aus der Bühnenwelt.«
»Ich weiß es, lieber Oheim, daß Sie es vorziehen, sich nur mit dem Kurszettel und – der Politik zu beschäftigen.«
»Kurz und gut, was wollen Sie hier in Rom? Sie wissen doch, daß dies ein für Sie gefährlicher Boden ist!«
»Nicht, so lange ich in Ihrem Schutz stehe, lieber Oheim; es drängte mein Herz zu wissen, wie es Ihnen geht, lieber Oheim!«
»Der Satan ist Ihr Oheim, Schlange,« sagte unwillig der große Bankier. »Sie wissen, daß ich von der Familie, der Sie entstammen, längst nichts mehr wissen will. Die Torlonis sind seit drei Generationen Christen.«
»Und doch hat der Principe, Ihr Neffe, es nicht verschmäht, das arme Judenmädchen zu verführen!«
»Natter! Eine Buhlerin, die ihren Vorteil nur allzuwohl verstand!«
»Nennen Sie es, wie Sie wollen; das Kind war da!«
»Aber Sie selbst behaupteten, es sei das Kind jenes deutschen Prinzen.«
»Ein Prinz oder der andere,« sagte die Sängerin phlegmatisch, »es kommt nicht darauf an, und das ist, wie der weise Prophet spricht, ein kluges Kind, das weiß, wer sein Vater ist! Ich aber weiß, daß ich die Mutter bin!«
Der alte Bankier ging, die Hände in einander verschränkt, heftig in dem Salon auf und nieder.
Der Mann im Vorzimmer hatte eifrig gehorcht, er schüttelte dabei mehrmals den Kopf. »Das ist mehr, als mir der Abbé gesagt,« flüsterte er, »ich glaube, sie sucht ein Geschäft auf eigene Hand zu machen. Der Abbé hatte recht, sie ist ein Satan!«
Unterdeß war der Bankier wieder vor der Jüdin stehen geblieben.
»Als ich Sie dem Elend des Ghetto und Ihrer schlechten Familie entriß und Sie ausbilden ließ, ja, Ihnen die Segnung der Aufnahme in die christliche Kirche durch die heilige Taufe verschaffte …«
Die Sängerin lachte spöttisch.
»… glaubte ich ein gutes Werk getan zu haben; Sie haben mir schlecht gedankt!«
»Hat der Principe, Ihr Neffe, nicht genug Vergnügen dafür gehabt?« sagte sie mit einem furchtbaren Cynismus.
»Weib!«
Die Sängerin hatte sich erhoben, sie streckte drohend die Hand gegen ihn aus, dann sank sie wieder träg zurück in die Ecke. »Meinen Sie, daß ich nicht weiß, wem ich es zu danken habe, daß ich lebendig begraben wurde in den Mauern jenes abscheulichen Klosters?«
»Ich weiß nichts davon; ich weiß nur, daß Sie genug gefrevelt, um göttliche und menschliche Gerechtigkeit herauszufordern.«
»Bah! Sie sehen, daß auch die Gerechtigkeit ihre Hintertüren hat!«
»Leider scheint dies der Fall, ich werde mich danach erkundigen.«
»Ich denke, Sie werden das unterlassen. Was würde die Welt, was würden die stolzen Fürstengeschlechter der Odescalchis, der Braccianos und Dorias davon sagen, wenn es verlautete, daß das Blut der Torlonis wieder in den Adern eines jüdischen Betteljungen fließt.«
»Satan! Wo ist das Kind?«
»Wo es mein Bruder in dem Glauben seiner Väter erzieht! Suchen Sie in Galizien, in Rußland, Polen, – Sie wissen, daß er Sie haßt, weil der Fluch des Sanheddrin seit länger als hundert Jahren auf dem falschen Krämergeschlecht lastet! Und Sie, der große Duca, der hundertfache Millionär, Sie fürchten doch diesen Fluch, und deshalb haben Sie das arme Judenmädchen, das aus Ihrem Stamme war, aus dem Schmutz genommen und die Gaben, die ihm Jehovah verliehen, zu seinem Fluche gemacht – bloß, weil ihr Blut heiß und ihr Fleisch lüstern war!«
»Weib! Nicht die Wohltaten, die ich dem armen, mein Wohlwollen gewinnenden Kinde erwies, sind schuld an Deiner Verderbnis, sondern der böse Keim, der in Deiner Seele lag. Die Frucht, die außen lieblich und duftend scheint, trägt im Innern den Wurm, und nicht mit Unrecht warnt Dein eigener Prophet: Wer da auf dem Felsen säet, der wird nimmer Weizen ernten! Du weißt nicht, was ich dennoch für Dein Volk getan!«
Wiederum lachte sie spöttisch. »Davon nachher! Ich brauche Geld!«
Die Natur des großen Bankiers schien sich mit dem einzigen Wort zu ändern. »Ich habe Geld genug für Sie geopfert um der Ehre meines Neffen willen – Tausende!«
» Bene! Dann werden Sie es noch einmal tun – oder …«
»Was, Dirne? Ich habe kein Geld mehr für Dich!«
»Wie Sie wollen, tio mio! Die stolze Doria wird sich freuen, da sie selbst des Kindersegens entbehrt, zu ihren Gunsten einen anderen Torloni adoptieren zu können!«
»Man wird Deiner Verleumdung zu begegnen wissen. Du hast keine Beweise mehr; Du hast eidlich erklärt, daß jenes Kind von Deinem deutschen Liebhaber stamme …«
»Beiläufig ein Diskonto, bei dem das Haus Torloni kein schlechtes Geschäft gemacht hat!«
»Und Du vergißt, daß Du damit selbst Dein Urteil gesprochen und die Hand der päpstlichen Inquisition Dich jeden Augenblick wieder erreichen kann!«
»Eben deshalb! – Ich brauche Geld!«
Ihre Stimme hatte sich gesenkt. »Ich bin nicht so machtlos, als Sie glauben. Ich besitze noch drei Briefe aus jener Zeit, die ich wohlweislich zurückbehielt und in sichere Hand gelegt habe, ehe ich gezwungen wurde, alle anderen Beweise auszuliefern.«
»Der Preis? Bedenke, daß ich jene unglücklichen Papiere damals reichlich bezahlt habe. Die Zeiten sind schlimm!«
»Pah! Halb Rom gehört Ihnen; es ist fast kein Grund und Boden mehr, der nicht im Besitz der Torlonis ist. Wie hübsch wird sich das machen, wenn dies alles in den Besitz eines armen Judenknaben fällt, den die Großmut der Doria als das Blut ihres Gemahls adoptiert hat!«
»Satan! Wieviel?«
»Vorläufig – zehntausend Scudi! Den Rest bei Rückgabe der Briefe!«
»Nicht einen Bajocchi! Wenigstens nicht, bis ich die Papiere habe und auf immer von Dir befreit bin!«
»Dann muß ich allerdings hier in Rom als Pfand bleiben – ich habe die Mittel nicht, es zu verlassen!«
»Unverschämte, Du hast mir noch nicht einmal gesagt, wie Du hierher kommst? Bedenke, daß eine Anzeige bei der päpstlichen Polizei Dich sofort wieder der Freiheit beraubt.«
»Eben darum brauche ich Geld!«
»Aber Sie werden begreifen, daß ich so viel Geld nicht bei mir trage.«
»Ihre Unterschrift gilt! – Wissen Sie, geben Sie mir, was Sie bei sich haben und eine Anweisung für die zehntausend Scudi auf Berlin oder Petersburg, Taler oder Rubel, Sie stehen sicher mit Bleichröder oder Stieglitz in Verbindung, und ich verspreche Ihnen auf Ehre!« sie sprach sehr leise, kaum ihm verständlich, »nein, so wahr ich mich an meinen Peinigern zu rächen habe, jene Papiere sollen bei dem Bankier, auf den Sie ziehen, für Sie niedergelegt werden!«
»Sei es denn: es ist das Letzte, was ich an Ihnen versuche, und das letzte Mal, wo ich mich von Ihnen betrügen lasse – aber nur unter der Bedingung, daß ich wenigstens erfahre, wo der Knabe untergebracht ist!«
Die Sängerin sah ihn fest an. »So wissen Sie es wirklich nicht, und selbst die feinen Spürnasen der Kirche hätten es Ihnen nicht verraten?«
»Nein!«
»Wohlan, schreiben Sie! Aber erst Ihre Börse!«
Der Bankier zuckte die Achseln; er nahm aus seinem Portefeuille eine Anweisung und zwei Banknoten. »Dies ist alles, was ich bei mir habe – zwei Fünfzig-Pfund-Noten!« Er füllte die Anweisung aus.
»Auf Stieglitz in Petersburg! Sie werden sie ohne Weiterung in Berlin diskontieren – und nun?«
Er hielt ihr die Anweisung entgegen; kaltblütig hatte die Sängerin die beiden Banknoten in den Busen geschoben.
»Nun, Signora Carlotta, zehntausend Rubel, also wo …«
Mit einem raschen Griff hatte sie ihm die Anweisung aus der Hand gerissen und schob sie den beiden Noten nach.
Ihr Gesicht glühte von einer ihr sonst nicht eigenen Energie, aus ihren Augen funkelte dämonischer Haß. »Frankfurt! Prag! Warschau! Mehr weiß ich in diesem Augenblick, wo ich erst in die Welt zurückkehre, selbst nicht! Suchen Sie!«
»Kanaille!« Der fürstliche Bankier hob in blindem Zorn die Faust, als wolle er sie ins Gesicht schlagen.
In diesem Augenblick öffnete der seltsame Kammerdiener die Tür und meldete:
»Seine Exzellenza, der Ritter Signor Luigi Casanova!«
Die Sängerin lehnte sich bequem in das Sopha zurück. »Sehr willkommen! Gerade recht, Altezza, so können wir mit den Geschäften beginnen!«
Ein großer, breitschultriger, noch ziemlich junger Mann mit schwarzem Napoleonsbart und starkem Haupthaar trat ein. Auch sein breites, kräftiges Gesicht trug unverkennbar gewisse Kennzeichen, die an die semitische Abstammung erinnerten.
»Sieh da, Altezza, das ist ja ein ganz unerwartetes Vergnügen! Ich wundere mich, daß Sie so früh die Versammlung in der Villa Borghese verlassen hatten. So werden Sie mir vielleicht mitteilen können, was diese zwar sehr liebenswürdige, aber doch etwas rätselhafte Einladung zu bedeuten hat. Madame, ich bin doch hier recht bei Signora Ruffini? In der Tat, ich irre mich nicht, die göttliche Carlotta, aus der Skala und San Fenice – es sind freilich mehrere Jahre her, indes – wie ist mir denn …«
»Bitte Exzellenza,« sagte die Sängerin phlegmatisch, »es handelt sich hier nicht um die Erinnerungen der Kunst, obgleich mir Ihr Gedächtnis sehr schmeichelhaft ist. Ich habe sie aufgegeben und mache jetzt in Politik. Darum will ich Sie auch keineswegs länger aufhalten, als zur Ausstellung dieser beiden Wechsel nötig ist. Man hat mich beauftragt, Sie darum zu bitten – Das Komitee in Palermo braucht Geld, und ist von Ihrer patriotischen Gesinnung überzeugt. Es ist nicht viel – jede Anweisung fünfzigtausend Scudi! So viel verdienen Sie am Geschäft der Eisenbahn von Foligno im Handumdrehen!«
Der anfängliche Unwille, der sich auf den Gesichtern der beiden Bankiers bei dem überrumpelnden dreisten Vorschlag gezeigt, wich dem Ausdruck des Erstaunens und beide wechselten rasch einen Blick.
»Was wissen Sie von der Eisenbahn von Foligno?«
»Nichts weiter, Signori, als daß Sie die Konzession in der Tasche haben: Una causa ciriunisce!«
» Eh ben,« sagte der Ältere der gefoppten Bankiers, »das Schlagwort der Herren Mazzinisten in Rom ist vielen Leuten bekannt. Dieses Weib scheint es im eigenen Interesse oder in irgend einem Auftrag auf eine Prellerei abgesehen zu haben. Lassen Sie uns gehen!«
»Und Sie wollen sich meine Bitte nicht erst überlegen?«
»Wir haben keine Zeit zu Ihren Späßen! Kommen Sie!« Er winkte dem jüngeren Kollegen, der durch die Nennung des Schlagwortes etwas nachdenkend geworden war.
»Einen Augenblick, Signori!«
Der Fürst wandte sich um. »Was wollen Sie noch? Sie können doch nicht im Ernst daran denken, daß wir so töricht sein werden, eine so ungeheure Summe uns abgaunern zu lassen.« Er legte die Hand auf den Drücker der Tür und wollte sie öffnen – sie war verschlossen.
»Ah – also in eine Falle gelockt! – Es wird Ihnen wenig nützen, dies Haus ist bekannt genug, und man bedroht nicht Personen unseres Standes ungestraft. Gehen Sie an das Fenster, Ritter, indeß ich hier Lärm mache!«
Die Dame klatschte in die Hände, sofort öffneten sich die beiden Seitentüren des Salons und auf jeder Schwelle erschien ein in einen Mantel gehüllter maskierter Mann.
»Signori,« sagte die Sängerin, »diese Herren wollen sich nicht überreden lassen, der Sache der Freiheit mit einigen Tausend Scudis zu Hilfe zu kommen. Welche Mittel haben Sie wohl, meine Bitten zu unterstützen? Dürfe nicht vielleicht ein kurzer Aufenthalt in irgend einem wohlverwahrten festen Keller geeignet sein, sie auf andere Gedanken zu bringen?«
»Ich stehe Ihnen dafür, Signora! Wir haben da in den Katakomben einige vortreffliche Gewölbe, kühl und luftig, aber so sicher, daß ohne Ihren Willen keine Ratte hinein kommen wird.«
»Dann, Signori, haben Sie die Güte, diesen Männern zu folgen, ich bitte, ohne Aufsehen – sie sind beide etwas hitzige Leute und haben eine fatale Angewohnheit, mit den Messern zu spielen. Tio mio, ich hoffe. Sie werden sich die Zeit nicht lang werden lassen!«
»Wenn Sie uns ermorden lassen wollen, weil wir so töricht gewesen sind, uns hierher locken zu lassen, so wähnen Sie doch nicht, daß wir ohne die nötige Vorsicht gekommen sind. Mein Wagen hält in der Via Condotti, und wenn ich in einer Stunde nicht zurückgekehrt bin, wird man Nachforschungen anstellen. Der Fürst Torloni ist nicht der Mann, an den man in Rom ungestraft die Hand legt.«
»Der Himmel bewahre uns, Altezza, ein solches Verbrechen zu begehen. Sie sehen ja, daß ich mich auf bloßes Bitten im Interesse der guten Sache beschränke. Auch die Signori dort werden gewiß nicht beabsichtigen. Ihnen ein Leid zu tun, wenn man sie nicht dazu zwingt. Sie wollen nichts, als Ihnen die Muße geben, darüber nachzudenken, wie hoch Sie die Ehre schätzen, der Bankier Seiner Heiligkeit zu bleiben, und einer Verhandlung auf – Hochverrat zu entgehen!«
»Signora,« sagte der Ritter, hastig näher tretend, »vergessen Sie nicht, daß ich unter dem Schutz der französischen Gesandtschaft stehe!«
»Soviel ich weiß, sind Sie nur ihr Bankier! – Jedenfalls würden Euer Exzellenza deren Geschäfte in Rom nicht weiterführen können, wenn – – –«
»Was?«
»Wenn Jemand dem Herrn Kardinal Staatssekretär noch diese Nacht die Beweise eines begangenen Landesverrats durch den Verkehr mit den Feinden lieferte. Der Prinzipe Torloni weiß sehr wohl, daß seine Gesinnung von Achtundvierzig her in dieser Beziehung etwas verdächtig ist!«
» Pesthe!«
»Ich fürchte, Altezza, wir sind da in schlimme Hände gefallen,« sagte der Ritter auf Englisch. »Ich sagte es immer, daß den Mazzinisten nicht zu trauen ist. Sie können indes nur allgemeines wissen, und es wird bei uns stehen, ob wir die Tratten wirklich einlösen wollen oder nicht. Im Augenblick gilt es nur, ihnen jeden Vorwand zu einer Gewalttat zu nehmen!«
Der Principe schüttelte bedenklich den Kopf.
»Haben die Signori sich entschlossen?« fragte die Sängerin, »meine Freunde dort werden ungeduldig.«
»Wir werden unterzeichnen.«
»Hier sind die Formulare! Sie sehen, sie sind bereits bis auf die Unterschrift fertig.«
»Hole der Teufel unsere Unvorsichtigkeit!«
»Bitte, Altezza!«
Er unterschrieb.
Die Sängerin wandte sich zu seinem Gefährten. »Euer Exzellenza werden die Güte haben, als Aussteller zu figurieren und zu girieren.«
»Ich mache Ihnen mein Kompliment über Ihre Geschäftskenntnis,« sagte der Bankier ärgerlich. »Und an wen?«
»Es ist unnötig, davon zu sprechen, Ihr Giro genügt. Ich bitte um die umgekehrte Ordnung bei den zweiten Fünfzigtausend.«
Mit einer Verwünschung erfolgte die Ausfertigung; sie waren offenbar überlistet, die Summe ohne Rettung verloren; selbst die Berufung an die Polizei versprach wenig Erfolg, da die Erpresser gewiß ihre Vorsichtsmaßregeln getroffen hatten.
Die Signora klatschte zwei Mal in die Hände und sofort trat der Diener aus dem Vorzimmer ein.
»Prüfen Sie, Signor Carlo!«
»Alles in Ordnung, Signora!« Er winkte den Maskierten und diese verschwanden, wie sie gekommen waren.
In diesem Augenblick hörte man vor den Fenstern auf der Straße großes Lärmen, einen Schuß und einen Hilferuf in französischer Sprache – die Augen der beiden Bankiers konnten einen Triumph nicht unterdrücken. »Himmel, was geht da vor?«
Der angebliche Kammerdiener der Sängerin verbeugte sich auf das Höflichste. »Sie mögen sich selbst davon überzeugen, es steht Ihrer Entfernung nicht das Geringste im Wege!«
»Und Sie fürchten nicht – – –«
Der Fürst, der die Frage tat, hatte bereits die Tür in der Hand.
»Altezza werden sich vor jeder Unvorsichtigkeit hüten – eine gewisse Verhandlung mit dem Konsortium der neapolitanischen Bankiers über die Beteiligung mit zwanzig Millionen Lires an der neuen piemontesischen Anleihe gegen die königliche Zusicherung der Emanzipation der Juden in Rom befindet sich in unseren Händen: Una causa ciriunisce!«
»Verdammt!«
Die beiden Geldfürsten entfernten sich eiligst; der falsche Kammerdiener trat zu der Sängerin. »Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Abbate Calvati wird mit Ihnen zufrieden sein! – Und nun – den ersten Wechsel!«.
»Was? Welchen?«
»Den von zehntausend Scudis und die Banknoten. Es ist unnötig, daß eine so bedeutende Summe in Ihren Händen bleibt; der Abbate wird für Ihre Bedürfnisse Sorge tragen. Bitte, zwingen Sie mich nicht, die beiden Schelme zurückzurufen! Eine der Noten wird für diese genügen.«
Sie warf wütend die Papiere auf den Tisch. »Seien Sie alle verflucht, und gehen Sie zum Satan!«
»Vorläufig gehe ich, um zu sehen, was dieses Lärmen bedeutet und Signor Calvati Bericht zu erstatten.«
Er verschloß sorgfältig hinter sich die Tür, die Sängerin begann, sich das Haar zu raufen; aber gleich darauf ließ sie wieder die Arme sinken, und begnügte sich mit einer erbitterten Verwünschung. – – –
»Ich höre eben, daß es etwas unruhig auf den Straßen ist,« hatte, zu der Gesellschaft zurückkehrend, der Abbate gesagt, »und habe den Capitano Tonelletto abgesendet, ein wenig zu vigilieren, was es eigentlich gibt; die Republikaner sollen mit der französischen Besatzung Händel ausfechten. Einstweilen, Signori, habe ich Ihnen hier zwei interessante Persönlichkeiten mitgebracht, deren Bekanntschaft Sie ja zu machen wünschten, den Capitano Dominico Coja, besser bekannt unter seinem nomme de guerre Gentrilli, der die weiße Fahne des Königtums kräftig im Majenardi-Gebirge aufrecht erhält, und hier den Don Juan des Brigantaggio, Capitano Pilone vom Vesuv.«
»Ah! Den famosen Fandango-Tänzer der Lady … wie hieß sie doch?« lachte der Marquis.
»Mylady Pinto, Signori!« sagte bescheiden der Bandit. »Indes, mit Ihrer Erlaubnis, Exzellenza, es war kein Fandango, sondern eine einfache Saltarella, nur daß jede Contadinella aus Massa oder Camalduli sie besser tanzt als die vornehme Dame!«
Ein herzliches Gelächter folgte der Antwort. »O Capitano, das müssen Sie uns ausführlich erzählen, kommen Sie, setzen Sie sich!«
Der Bandit nahm mit dem Anstand eines vornehmen Kavaliers den dargebotenen Platz. »Mit Ihrer Erlaubnis, Signori, ich darf Ihnen sagen, daß ich es mir zur Ehre rechne, in so nobler Gesellschaft mein Glas auf deren Wohlsein zu trinken; doch ist es, und ich bin stolz darauf, nicht das erste Mal, daß mir solches Glück wird; denn ich habe mich in dem göttlichen Neapel unter echten Principis und Marqueses und unter den schönsten Principessas und Marquesinas mehr als einmal bewegt und, wie ich sagen darf, nicht ohne Glück!«
» Sicúro! Kein Zweifel daran, Signor Capitano! Man sieht dies aus Ihrem Anstand! Sie müssen ein verteufelt netter Bursche gewesen sein!«
»In meiner Jugend,« sagte geschmeichelt der Bandit. »O goldene Zeit der Jugend! Tempi passati! Glückliche Tage! Sie wissen nicht, was es heißt, jung zu sein in dem göttlichen Napoli! O, Tanz und Gesang, und Weiber und Wein, o schönes Neapel, Du Königin unter den Städten! Nirgends schmecken die Küsse so süß und die Maccaroni so fett, als an Deinem Golf!«
»Vorwärts, Capitano!« ermahnte der Abbate, »diese Signori brennen auf Euer Abenteuer mit der Lady!«
» Piano, piano, reverendissimo! Ich muß doch zuerst auf den Vesuvio kommen! Sie müssen wissen, Signori, ich bin eigentlich der Sohn eines reichen Seidenhändlers von der »Trinita«, aber mein Erzeuger war ein großer Tor, er stach dem Beichtvater meiner Mutter, einem sehr frommen Mann und hochgeachteten Priester, das Messer in den Wanst, als er sie unglücklicherweise einmal in jener Situation traf, welche die Frauen mit Recht so sehr lieben. Er hatte Unrecht, mein würdiger Erzeuger, als ob die geistlichen Herren nicht auch Menschen wären, mit menschlichen Bedürfnissen.
Signor Abbate
Senza moglie cume fate?
»Va passando i di felici
»Colle mogli degli amici!
Wer fragt in Neapel danach? Beim heiligen Januarius, der manchmal so eigensinnig ist, wie ein Maultier, wenn er nicht bluten will! Wenn mans nur nicht gar zu arg treibt, wie Seine Hoheit der Herr Graf von Syracus mit dem berühmten Ball der Diavolinas – ich habe in meinem Leben nicht mehr gelacht! – ein wenig Liebe verdient überall christliche Nachsicht! Also, nachdem mein verehrter Erzeuger den armen Padre erstochen hatte, wollte er auch die Signora, meine Mutter, erstechen, was ihm wahrscheinlich nicht so viel Ungelegenheiten gemacht haben würde, wenn er damit angefangen hätte. Aber sie machte einen solchen Heidenlärm, daß die Nachbarn zusammenliefen und, ob sie ihm gleich rieten, so rasch wie möglich die nächste Kirche zu gewinnen – die San Gennaro, die Kathedrale, war keine fünfhundert Schritte weit von unserem Hause! – war er doch so perplex, daß die Gerichtsdiener herankommen konnten und ihn, vielleicht sehr gegen ihren Willen, ins Gefängnis führten. Der König Bomba war ein guter Mann, und machte sich sehr gemein mit dem Volke, nur in zwei Dingen verstand er keinen Spaß: in den königlichen Vorrechten und was die Kirche betraf. Die Pfaffen machten natürlich großes Geschrei, daß einer der Ihren so unschuldig erstochen worden sei, und die Justiz mußte meinen Papa zum Galgen verurteilen. Meine Mutter habe ich seit der Zeit nicht wieder zu Gesicht bekommen; ob man sie in ein Kloster gesteckt, oder ob sie freiwillig in ein Haus gegangen, das man als sein Gegenteil bezeichnen könnte, – wer weiß! Ich wäre nun ein Erbe gewesen, aber der verteufelte Prozeß muß wohl so viel Kosten gemacht haben, kurz das Gericht und die Polizei steckten alles, was da war, in die Tasche und mich warfen sie auf die Straße. Ich war damals ein anstelliger Bursche von zwölf Jahren, der sich mit allerlei rechtlichen Dingen ernährte; ich kuppelte für die Fremden, machte Bestellungen für die Kaufleute und Wechsler am Mercato, war Bedienter und ging zuletzt unter die Camorra!«
»Die Camorra?« fragte der deutsche Offizier, »ich habe so oft diesen Namen gehört, was, zum Henker bedeutet eigentlich die Camorra? Aus welchen Leuten besteht sie? Ist sie eine politische Verbindung, wie es deren so unzählige in diesem Lande gibt?«
Der Bandit pfiff, klatschte sich aber sofort mit der beliebten neapolitanischen Geberde auf den Mund; gleich als fühle er, daß sich dieses in solcher Gesellschaft nicht schicke, sagte er: » Scusi; Signori, das macht der gemeine Umgang in den Bergen! Die Camorra – Exzellenza scheinen kein Spanier zu sein?«
»Nein, Capitano, der einzige Spanier in der Gesellschaft ist eben hinausgegangen. Aber, was hat das mit der Camorra zu tun?«
» Per Bacco, sehr viel, Signore! Schade, der Herr hätte mich vielleicht der Antwort überheben können. Ich habe mir sagen lassen, daß die Contrabandista in Spanien so ziemlich dasselbe ist, wie die Camorra in Neapel. Ihre Majestät die gesegnete Königin Christina soll sie nach Madrid verpflanzt haben, wenn sie nicht schon längst dort bestanden hat; denn wie man mir erzählt hat, kamen die Spanier zuerst zu uns, und seitdem ist der Teufel los! Also die Camorra wollen Sie beschrieben haben? Beim heiligen Januarius, können Sie den Rauch vom Vesuv in Fässer packen, oder den Schmutz am Fischmarkt verhindern? Eh ben! die Camorra ist eine Gesellschaft von Lazzaroni bis zur Altezza reale – Tagediebe, Ladroni, Geistliche, Beamte, Offiziere, Polizisten, Kaufleute, Kavaliere, Bediente, kurz: Personen, die dem Gesetz ein Schnippchen schlagen und auf anderer Leute Unkosten leben wollen. In der Camorra ist alle Welt, und die Camorra regiert alle Welt in Neapel – sie macht Revolutionen, wenn es ihr beliebt, und läßt das Volk zusammenkartätschen, wenn sie mehr Vorteil zum Absolutismus hat. Die Camorra räumt den Fremden auf gesetzlichem und heimlichem Wege die Taschen aus, und bevölkert die Galeeren durch rechtliche Leute. Wissen Sie nun, was die Camorra ist, Exzellenza?«
Die jungen Offiziere lachten, selbst der Prinz schloß sich nicht aus.
»Wissen Sie, wie die Camorra die Revolution vom vorigen Jahre gemacht hat, nachdem sie viele hundert Liberali aufgespürt und in den Kerker gebracht hatte?«
»Ich bin neugierig!«
Der Prinz legte sich aufhorchend über den Tisch: »Nun, Capitano?«
»Ei, zwei verrückte Engländer – vielleicht waren sie auch nicht so verrückt, sondern hatten ihre Absichten dabei, man sagt, es wären Verwandte von dem großen Lord Palm gewesen – hatten gewettet, binnen einer Stunde ganz Neapel auf die Beine zu bringen. Ein Schuft von Wechsler hatte ihnen einen Capo der Camorra verraten, sie ließen ihn kommen und gaben ihm fünfhundert Ducati, vielleicht war es nicht einmal ihr Geld, sondern kam von dem großen Marchese Pallavicini, der mit Gewalt König von Italien werden will – kurz, sie gaben's ihm unter der Bedingung, Neapel in Bewegung zu bringen. Der Capo setzte sich mit einem guten Freunde in zwei Corriculos, und so jagten sie den Toledo eine Stunde lang auf und nieder, bis sich viele Tausende auf der Straße und dem Platze gesammelt hatten und sich und andere fragten, was das zu bedeuten habe? Halb Neapel war auf den Beinen! Dann sagten die Malcontenti, das bedeute, das Volk wolle die Konstitution haben, und die ganze Masse zog vor den Palazzo und schrie so lange, bis der gute König Bombino erschien und ihnen sagte, sie sollten die Konstitution haben und nun ruhig nach Hause gehen. Geschichtlich.«
»Ein Volk von Kindern,« sagte Chevigné bitter und sah nach dem Prinzen, der die Zähne auf die Lippen gepreßt hatte.
»Aber Ihre eigene Beteiligung bei der Camorra, Signor Capitano?« fragte der Marquis.
» Corpo di Bacco! Die Geschichte, die ich Ihnen erzählte, gehört einer späteren Zeit an, ich kam damals nur ab und zu vom Vesuvio in die Stadt, wenn ich besondere Geschäfte hatte, einen Auftrag zu empfangen oder dergleichen; denn es war noch kein Jahr her, daß ich von San Elmo glücklich entsprungen war!« Der Bandit lachte. »Freilich ohne viel Mühe und Gefahr! – Ich war schon lange in den Bergen; seit der famosen Geschichte mit dem Ball des Grafen von Syrakus lauerten mir einige Nobili auf, denen es auf irgend eine Weise verraten worden war, vielleicht aus purer Eifersucht, ich hätte mich hinter den Gardinen der Galerie versteckt, und ich war nicht sicher, auf offener Straße einen Degenstich bei Tage oder einen Dolchstoß des Abends zwischen die dritte und vierte Rippe zu erhalten, da die Königliche Hoheit sich außer dem Bereich der erbitterten Liebhaber und Ehemänner gebracht hatte und nach England entwichen war!«
»Bitte, Capitano, erzählen Sie uns die Geschichte näher!«
Der Prinz rückte unruhig auf seinem Sessel; die Geschichte von einem seiner Verwandten, wie schlecht er sich auch bei der großen Katastrophe seines Hauses betragen haben mochte, schien ihm unangenehm, aber der Abbate, der Einzige in der Gesellschaft, der die skandaleuse Erzählung hätte verhindern können, achtete aus Malice nicht darauf, und der Erzähler selbst ahnte nicht, in wessen Gegenwart er sich befand.
» Eh ben! Da die Signori es wünschen, kann ich wohl den Spaß erzählen. Per Dio! Ich spielte damals in der Gesellschaft von Neapel keine kleine Rolle, ich war kein übler Bursche, hatte Geld genug, spielte mit den Kavalieren und tanzte mit den Damen in der Akademia reale und in San Carlo. Die Capo's der Camorra hatten es nötig gefunden, daß gewisse Personen etwas überwacht würden, und hielten mich für anstellig und gewandt genug, es zu tun. Es war da ein Principe Caracciolo, ein sehr vornehmer Herr, aber im Grunde ein schlechter Kerl, ein falscher Spieler, der mußte mich einführen und mir einen aristokratischen Namen aufhängen, und so gastierte ich, und niemand dachte daran, daß der Vater des Cavaliere Pilonetti vor zwanzig Jahren auf dem Largo del Mercate gehängt worden war, an derselben Stelle, wo, wie man mir damals zum Trost sagte, der deutsche Kaiser Conradino und der große Masaniello hingerichtet worden sind. Nun, es mochte etwa zwei Jahre vor dem Tode des guten Königs Ferdinand sein, als ein vornehmer englischer Lord das erste Mal nach Neapel kam, wie es hieß, um den König zu bewegen, den Engländern die großen Schwefelminen auf Sizilien zu verkaufen, wogegen sie ihn gegen die schändliche Revolution beschützen wollten. Aber der selige König Ferdinand haßte die Engländer und wollte nichts wissen von dem Verkauf, oder daß eine englische Besatzung nach Messina oder Palermo kommen sollte, wo die Rotröcke sich gar zu gern eingeschmuggelt hätten, gerade wie die Rothosen in Rom. Eh ben! Es war auf einem Ball in der Akademia, dem der fremde Lord mit seiner Gemahlin beiwohnte, und ich glaube, es war der tückische Caracciolo selbst, der nur einen Streich spielen wollte, weil ich ihn bei einer Dame ausgestochen hatte, der mich anreizte, der Lady einen Tanz anzutragen – der tückische Bursche stand nicht weit davon und lachte, als sie mir hochmütig den Rücken wandte und der Lord, ihr Mann, einen Burschen von der Gesandtschaft zu mir schickte und mir sagen ließ, eine Lady tanze nicht mit dem Sohn eines Gehängten! Diavolo! Ich habe mir sagen lassen, daß unter dem Adel dieser rotköpfigen Insulaner nicht eine einzige Familie existiere, von der nicht verschiedene Mitglieder schon gehängt oder geköpft worden sind; aber die Sache ärgerte mich doch, weil der Prinzipe dafür gesorgt hatte, daß die Geschichte ruchbar geworden und man überall mir die Türe vor der Nase zuschlug, wo ich mich sehen ließ. Nur der Graf von Syrakus, mein ganz besonderer Gönner, der großes Gefallen hatte an meinen lustigen Schwänken und einen alten Zahn auf den Adel von Neapel, meinte, es gäbe keinen Mann zwischen der Maddalena Die Ponte della Maddalena auf der Straße nach Portici. und dem Posilipp, der nicht den Strick schon zehnmal verdient hätte, und keine Frau, die nicht ins Bordell gehörte!«
»Kaiser Joseph II. soll dem Stadtrat von Wien einmal eine ähnliche Antwort gegeben haben,« bemerkte lachend der Deutsche.
» Eh ben! Ich mußte trotz meiner Unschuld der guten Gesellschaft den Rücken wenden! Zum Glück war bald Carneval und die Maskenfreiheit entschuldigt viel. Es war am Ende desselben, als bei einem Maskenball der Nobili im San Carlo, zu dem mir der Graf ein Eintrittsbillet geschenkt hatte, mit der Einladung in seine Loge, eine Maske viel Aufsehen machte: sie erschien als Konfettiere Zuckerbäcker. und war über und über mit den kostbarsten Bonbons und Konfitüren behängt, trug auch einen großen Korb, dessen Inhalt er unter vielen Scherzen verteilte. Die Kartonnagen waren allerliebst, Signori, und zeigten nur Liebesgötter und Amoretten, mitunter auch kleine Scherze aus dem Museo priapico, das König Bomba zum großen Verdruß der Fremden und Einheimischen geschlossen hielt. Kurz, Signori, es dauerte keine Viertelstunde, und der maskierte Konfettiere war so ratzenkahl geplündert, daß er einer gerupften Gans glich. Aber das böse Ende kam nach; denn es war noch nicht Mitternacht, die Stunde der Demaskierung, als die ganze Gesellschaft unten im Saal etwas toll und ausgelassen zu werden begann. Während der Zeit saß ich bereits mit zwei anderen Kavalieren in der Loge Seiner Hoheit bei einem solennen Souper von den kleinen Austern von Bajä, den fetten Ortolanen aus Cypern und Champagner, und wir hatten vortreffliche Operngläser, mit denen wir bis in die dunkelsten Ecken der offenen Korridore sehen konnten! Und affé, Signori, was wir zu sehen bekamen, war der Mühe wert! Ich habe viel von den Cancantänzen der Franzosen gehört, aber, was ist eine Französin gegen eine toll gewordene Frau von den Küsten des Golfs! Die Diavolinas sind ein Teufelszeug, und die Männer und Weiber wurden so toll, daß sie sprangen wie die Böcke auf den Weiden in den Abruzzen! Man hat mir erzählt, daß auf einem Berge im Norden bei den Ketzern und Barbaren die Hexen in einer Mainacht ihren Sabbath halten, und ich habe mehr als einmal in San Carlo die Opera Roberto von dem Maëstro Giacomo Meyerbeer gesehen, aber sie mußten in der Teufelsszene wenigstens grüne Trikots tragen, – basta, König Bomba hatte nun einmal den schlechten Geschmack! Aber hier, kann ich Sie versichern, trugen sie zuletzt gar keine Trikots, und wir alle, der Graf voran, wälzten uns vor Lachen, wenn wir nicht eben zusahen! Die armen Dinger, was konnten sie dafür! Es war pure Natur, und die Väter und Ehemänner und Liebhaber, die nicht von der Ware des Konfettiere genascht hatten, rauften sich die Haare vor Verzweiflung und sahen zuletzt ein, daß sie geprellt waren. Ich weiß nicht, ob wir zu arg gelacht hatten, kurzum, einige mißgünstige Narren merkten den Braten und wir hatten kaum noch Zeit, uns mit Gewalt und einigen guten Degenstößen durch die Menge zu schlagen, die sich vor unserer Logentür gesammelt, und über ein Paar verliebte Pärchen hinweg das Freie zu gewinnen! Aber, weiß der Teufel, ob der Prinz bei den Schilderungen gewisser Schönheiten, die am anderen Tage in ganz Neapel zirkulierten, den Verdacht auf sich gelenkt hatte, oder irgend wie sonst erkannt worden war – kurz, er mußte sich aus dem Staube machen, noch ehe er von Seiner Majestät den Befehl dazu erhielt, und ging aufs Schleunigste nach England.«
Der jüngere Teil der Gesellschaft wollte sich ausschütten vor Lachen. »Schade, daß Graf Lerida sie nicht gehört hat, er hat den besten Teil des Abends versäumt! Wo, zum Teufel, steckt denn unser spanischer Don Juan?«
»Die Signora Spazzoletta hat ihn abgeholt; am Ende hat sie auch von den Diavolinas genascht!«
»Puh! der Ärmste! Warum hat er ihr die Kur gemacht, wir haben es alle mit angesehen! Aber weiter, Capitano, wie ging es Ihnen?«
» Cápperi, was ist da noch viel zu sagen, ich kann Ihnen doch unmöglich all' die Schönheiten beschreiben, die ich gesehen! Was war zu tun?! Unser hoher Gastgeber wurde, wie gesagt, vorläufig ins Ausland verbannt, und Seine Majestät sind richtig über die Geschichte weggestorben; wer die beiden anderen Zuschauer gewesen, weiß ich bis heute noch nicht, hoffentlich sind sie von der Lust zum Heiraten kuriert worden, wenn sie nicht etwa vorher schon so töricht gewesen waren, mir aber war unglücklicher Weise einen Augenblick die Maske entfallen, und einer oder der andere mußte mich erkannt haben. Kurz, ich erhielt von dem Capo die Warnung, mich für einige Zeit in die Berge in Sicherheit zu bringen; denn, selbst, wenn mich Seine höchst erbitterte Majestät nicht hätte hängen lassen, so hatte doch ein unverschämter Hallunke von Offizier, der so unglücklich war, zwei bildhübsche Schwestern auf dem Ball gehabt zu haben, die eben nach vollendeter Erziehung aus dem Kloster der Ursulinerinnen gekommen, eine Belohnung auf meinen Kopf gesetzt, und es gibt immer einige schlechte Subjekte in jeder Verbindung, sodaß ich nicht sicher war, ob nicht ein guter Kamerad aus der Camorra selbst ein Lüstchen verspüren könnte, mir ein Loch in meine Jacke zu machen! So ging ich denn auf die Villeggiatura am Vesuv, bis über die Geschichte ein wenig Gras gewachsen, oder besser, bis dieser Wüthrich, der Uffiziale, in einem Duell geblieben war; wenigstens hat man ihn mit einer Pistolenkugel im Leib eines schönen Morgens unweit von San Martino gefunden. Aber es hatte mir am Vesuvio so gut gefallen, daß ich dem Capo vorschlug, mich dort zu lassen, und ihm an die Hand gab, mir nur einige kleine Winke aus den Hotels am Strande und der Chiaja zukommen zu lassen, wenn irgend eine vornehme fremde oder reiche Gesellschaft sich einmal den Krater in der Nähe besehen wollte; denn Sie müssen wissen, Signori, es gibt keinen Fremden- oder Barkenführer in Rom, der nicht gut Freund wäre mit den Leuten vom Geschäft! Pago quanto! paga Ella! Pah! – Und wenns keine Fremden gibt, es gibt immer einen fetten Bankier oder einen Nobile, der eine Villa am Fuße des Vesuv hat, abgesehen von den zahlreichen Personen, welche die Regierung, ein hungriger Erbe oder eine wittumssüchtige Frau Ursache hat, verschwinden zu lassen!«
»In der Tat, eine vortreffliche Staatseinrichtung!« meinte der deutsche Offizier.
»Landessitte!« sagte gemütlich der Bandit, indem er sich eine von dem Marquis ihm gereichte Zigarre ansteckte. »Sie müssen bedenken, daß die Absolution billig ist. Jedermann hat das Recht, sich vorzusehen, und es fragt auch niemand danach, wenn bei dem Geschäft ein armer Teufel von Bandito eine Kugel durch den Kopf bekommt; die hohe Justiz müßte denn wissen, daß sie bei einem Prozeß darüber gute Kosten in die Tasche stecken kann! Pago quanto! Paga Ellá! Die Herren Piemontesen geben sich zwar große Mühe, das Geschäft zu beschränken, wofür sie im Fegefeuer schwitzen mögen, aber sie haben sich schon mehr als einmal die Finger verbrannt. Unsere Leute sind ihnen zu schlau! Haben Sie die Geschichte gehört, Reverendissimo, von dem Principe Cicarelli und dem piemontesischen Obersten, die vor acht Tagen ganz Neapel in Bewegung gesetzt hat?«
»Erzählen Sie!«
» Eh ben! Der Principe gehört zur piemontesischen Partei, und die Herren Offiziere von General Cialdini, dem Schlächter, bis zum Leutnant verkehrten viel in seinem Palazzo, da die Principessa jung, schön und feurig sein soll, und der Principe ein sehr verständiger Gatte, der nicht sieht, was er nicht sehen will. Ein Oberst von der Cavalleggieri sollte der Glückliche sein, und man wollte wissen, daß er jeden Abend, den der Principe in seinem Klub zubrachte, bis Mitternacht bei der Principessa verweile und erst dann durch deren Zofe aus einem Pförtchen in der Terrassenmauer entlassen würde, wenn der Wagen des Principe in den Hof des Palazzo einfuhr. Gute Freunde bemühten sich, ihm dies, vielleicht aus Neid und Eifersucht, ins Ohr zu flüstern, aber er blieb der kalte, ruhige Gatte und spottete über die Gerüchte, ja, als im Klub eines Abends wieder Anspielungen gemacht wurden, erklärte er, er wollte den Verleumdungen ein Ende machen, und zwei seiner Freunde, hohe piemontesische Offiziere, sollten ihn begleiten, um sich selbst von der Grundlosigkeit der Gerüchte zu überzeugen. Seiner Leichtgläubigkeit spottend, fuhren sie mit ihm zu dem Palazzo. In der Nähe desselben ließ der Fürst den Wagen halten, befahl dem Kutscher langsam auf dem gewöhnlichen Wege weiter zu fahren und versteckte sich mit seinen Freunden in der Nähe der Terrassenpforte, durch die sein Rival allabendlich den Palast verlassen sollte. Hier waren sie kaum fünf Minuten verborgen, als sie die Tür sich öffnen sahen und eine hohe Männergestalt in den Mantel gehüllt herausschlich. Der Unbekannte – es war, wie sich nachher ergab, in der Tat der Reiteroberst – hatte kaum einige Schritte getan, als hinter dem Vorsprung der Mauer ein Mensch hervorsprang und ihm einen Dolchstoß versetzte. Mit dem Ruf: Hilfe! Mörder! sank er sterbend zu Boden, der Principe aber und seine beiden Freunde stürzten eilig herbei, den Mörder zu fangen, und der Principe, als der Nächste oder, vielleicht den Weg des Fliehenden kennend, warf sich ihm entgegen und – zerschmetterte ihm den Kopf mit einem Pistolenschuß! Als die Freunde herankamen, war der Mann – mausetot, grade wie der Liebhaber. Später will man in ihm einen berüchtigten Banditen erkannt haben. Der tote Mann konnte keine Aussage mehr machen, wer ihn gedungen, – die Principessa verließ Neapel und …«
»Nun, die Moral von der Geschichte?«
»Ja, Signori, die Signori Piemontesi hatten darüber das Nachdenken, und der Principe besucht nach wie vor seinen Klub!«
» Eh, Signor Capitano, das ist alles recht interessant, aber es ist doch noch immer nicht Ihre versprochene Geschichte vom Vesuv!«
»Meinetwegen, Sie sollen sie hören! Nur müssen Sie sich gefallen lassen, daß ich sie nach meiner Weise erzähle.«
» Optime! Optime! – Sie sind ein romantisches Gemüt! Fangen Sie an!« Und sie schenkten die Gläser voll.
» Ahi! Wer kennt die göttliche Liebe nicht! Ich mag Ihnen nicht die Schmach antun – mit Ausnahme des Reverendissimo – anzunehmen, daß Kavaliere wie Sie das erste Princip der Menschheit, die Liebe, nicht kennen sollten! Sie beglückt die Armen wie die Reichen; warum sollte sie nicht auch Ihren ganz gehorsamsten Diener beglückt haben, obschon ich freilich jetzt nur ein armer Brigant bin.
Ach, Signori, die Aniella war ein himmlisches Kind – unschuldig und sanft, wie eine Turteltaube, wenn man sie nicht etwa besonders reizte oder ihren Willen nicht tat – ein Paar schwarze Augen, schwärzer wie der Lavastein von Massa, – einen Wuchs, schlanker wie die Pinien und eine Haut, ach, so braun und sanft wie der feinste Sammet. Es war eine Freude, sie anzuschauen! Povero me! Möge San Pietro diese verdammten Schurken, die englischen Ketzer drei Mal so lange, wie andere verlorene Seelen, im Fegefeuer braten lassen!
Waren Sie je auf dem Vesuvio, Signori? Wie ich sehe, wenigstens Einige nicht! Wenn das Sprichwort sagt: Vide Napoli e mori! Obschon es hübsch ist, dann zu leben, so kann man hinzufügen: wer den Vesuv nicht bestiegen, ist niemals in Neapel gewesen.
Es war vor zwei Jahren – in demselben Frühling, als König Bomba gestorben war und unser tapferer Bombino den Thron bestiegen hatte. Man hatte zur Feier des glücklichen Ereignisses eine große Amnestie ausgeschrieben und es fehlte daher nicht an munteren und kühnen Burschen im Gebirge, obschon deren noch genug in den Kerkern und auf den Galeeren blieben – denn, Signori, das muß wahr sein, man kerkerte unter dem hochseligen König gern die Leute ein, zum Glück die Politici noch lieber und öfter als einen freien Burschen, der einmal in der Hitze das Messer gebraucht hatte oder die Kassen bestahl. Man erzählt, daß der König Ferdinand sekondo selbst sich die Taschen zuhielt, wenn ein gewisser General in seine Nähe kam. Es fehlte uns also nicht an Kameraden auf dem Vesuv, und da der Capo in Neapel mich zum Kapitano am südlichen Abhang der Somma Der ganze vulkanische Bergrücken. ernannt hatte, indem er meine militärischen Talente und meine Erziehung als Kavalier würdigte, haben wir zu jener Zeit manch schönen Streich ausgeführt und ein behagliches Leben geführt.
Sie wissen, Signori, daß der Vesuv seine Launen hat, und man stets Jahre lang vorher die Stimmen und Klagen der Verdammten im Fegefeuer aus seinem Innern hören kann, ehe das höllische Feuer sich einen Ausweg aus den Tiefen der Hölle bahnen und zu der Oberwelt emporsteigen kann. In jenem Frühjahr hatte der Berg seit zehn Jahren zum ersten Male wieder seine Wehen, grade wie er jetzt noch in seinem Innern wimmert, aber wir sind daran gewöhnt und kümmern uns nicht mehr darum, als wenn ein altes Weib Leibschmerzen hat. Aber damals machten die Zeitungsschreiber, welche die Heiligen verdammen mögen, da sie so viel unnützen Lärm machen und mit ihren Lügen ehrlichen Leuten die Polizei auf den Hals hetzen, großes Geschrei davon, und die Engländer, die eine sehr neugierige Nation sein müssen, und ihre Nasen gern in die Angelegenheiten anderer Länder stecken, und auch andere Reisende kamen in Scharen und mieteten sich in den Villen am Golf oder in den Palazzos und Hotels in der Stadt ein, um das Schauspiel, wenns losgehen sollte, anzusehen, gerade wie man eine Loge im Theater mietet. Sie konnten lange warten, die Narren, und weils ihnen langweilig wurde, haben sie unterdes eine andere Brandfackel ins Land gebracht, die noch schlimmer wütete, als das Feuer des Vesuv: die Rothemden und Piemontesi! Aber für uns vom freien Gewerbe war es eine verteufelt gute Zeit!
Es war an einem Mittag im Mai, wir lagen ausgestreckt auf dem harten, hin und wieder von wucherndem Moos überwachsenen Lavagestein des Vesuvio in einem jener Täler, die sich durch die Somma herunter senken nach Massa hin, unter dem Schatten einer mächtigen Kastanie und dachten unsere Siesta zu halten. Sechs meiner Kameraden waren bei mir, drei hatten ihre Frauen und Mädchen aus den Dörfern am Vesuv bei sich, die uns Wein, Brot und Käse gebracht hatten, und wir sprachen von den Vergnügungen in Napoli, während zu unserer Linken der alte Krater des Vesuv seine Dampfwolken in die blaue Luft sandte und zuweilen ein leises Grollen unter uns her durch die Tiefen der Erde schlich. Vor uns lag in der Mittagssonne das blaue goldene Meer. Aufgerollt lag der ganze weite Busen in seiner Pracht. Links der Felsenwand von Castellamare bis zur Punta della Campanella; vor uns die prächtigen Villen am Rande des Golfes von Portici; Herculanum, Torre del Greco bis zur Annunciata, rechts das göttliche Napoli und seine Marina, seine Gärten und Landhäuser bis zum Posilipp und im Hafen die große Zahl der Kriegsschiffe und Dampfer wie schwarze Punkte im blauen Meer, oder in lichten Streifen die Wellen durchziehend. Im goldenen Grün prangte die Campagna, Felice, Pozzuoli, dort Bayä, wo der große Cäsar, Antonius und Lepidus ihr Triumvirat bildeten, die Bäder des Nero mit dem Tempel der Venus, der Zeugenden, die Villa des Marius und die großen Fischbehälter des Hortensius, wo sie die Makrelen mit den Leibern der Sklaven mästeten. Dort bei Baccioli stieg Herkules ans Land, als er aus Spanien zurückkehrte, wo er den dreiköpfigen Riesen Geryon erschlagen. Und dann die Villa des göttlichen Lucull, der allein Feste zu bereiten verstand und Capo Miseno, wo Tiberius starb. Weiter hinaus schweift das Auge nach dem Vorgebirge von Gaëta, das Bombino und die Regina Maria so heldenmütig verteidigt haben gegen die Piemontesen, über Terracina hinaus bis zum Circello. Auf dem in Gold und Azur leuchtenden Golf schwimmen: Nisida, Procida, das schöne Ischia, das blaue Capri, Ponza und San Stefano, die Perlen, die heraufgestiegen aus den Tiefen des Tyrrhenischen Meeres zum goldenen Sonnenlicht – oh, Signori, Signori – wie schön ist mein Vaterland, das herrliche Napoli!«
Der Bandit, der mit jener Phantasie sprach, die den Improvisatores, den glücklichen Sängern des Südens, die verschwenderische Hand der Natur in ihre Wiege gelegt, schwieg einige Augenblicke, als genösse er den Triumph des Schweigens seiner Hörer, ehe er weiter sprach.
»Ich war neidisch auf das Glück meiner Kameraden, deren faules Haupt im Schoß ihrer Sposas ruhte, denn wo blieb Aniella, die doch versprochen hatte, an diesem Tage heraufzusteigen zum Vesuv. Sicher war der alte Schurke, ihr Vater, schuld, der die Locandiera hatte in Resina und vor Neid und Gift platzen wollte, wenn die Fremden im Hause des Salvatore Madonna einkehrten, um diesen zum Führer zu wählen zum Krater des Vesuvio. Denn der Salvatore, ich muß es sagen, obschon ich sein Feind bin, war ein wackerer Führer und prellte die Reisenden kaum zum dritten Teil so viel, wie die anderen bis herauf zum schuftigen Eremiten, einem der habsüchtigsten Hallunken des ganzen Vesuv. Die Augen waren mir zugefallen, denn, Signori, merken Sie sich, man sieht sich selbst an der unverhüllten Schönheit der Venus satt, wie Sie bald merken werden, wenn Sie auch nur eine halbe Stunde in der Rotonda des Museo stehen wollen, da weckte mich die Botschaft eines Knaben, der von Resina heraufgekeucht war über die Fußwege des Gerölls, und mir einen Zettel brachte von ihr, der mein Herz gehörte. »Vornehme Inglesi«, entzifferte ich die Zeilen, denn ich muß gestehen, die göttliche Aniella schrieb eine sehr schlechte Handschrift, weil sie nur wenig Zeit gehabt hatte die Klosterschule in Portici zu besuchen, »Vornehme Inglesi kommen zum Berge. Ein Mylord mit seiner hübschen Frau und ihrem Cicisbeo, dem schönsten und wackersten Kavaliere, den meine Augen bisher gesehen. Der Salvatore ist auf dem Berge, und mein Vater, der Lump, schwer betrunken, so daß ich die Fremden selbst auf dem Wege nach Abend zu geleiten werde; das weitere ist Deine Sache, und die heilige Madonna beschütze Dich, denn der junge Inglese sieht nicht aus, als ob er mit sich spaßen lassen werde. Der hübsche Bursche dauert mich!«
Corpo di Bacco! Mich dauerte er gar nicht, als ich den Brief las und meine Leute mit ein paar Fußtritten aus dem Schlaf weckte. Der kleine Bursche, der sonst die Ziegen meines künftigen Schwiegervaters hütete – ah treulose Aniella! – sagte uns, die Reisenden seien eben aufgebrochen, als er die Osteria verlassen habe, die Inglesi, ein deutscher Maler, der um die Gunst gebeten, sich ihnen anschließen zu dürfen, zwei Diener und drei Führer – wir wußten, was diese bedeuten, und kümmerten uns wenig darum, waren wir unserer auch nur sieben! Wir schickten die Weiber nach Hause und machten uns bereit.
Signori, es war um die Zeit des Vollmonds, und der Vesuvio ist dann doppelt so schön, und die Reisenden verweilen gewöhnlich bis nach Aufgang des Mondes auf dem Berge. Um 6 Uhr mußten sie auf der Stelle sein, wo wir sie zu erwarten beschlossen hatten, wenn sie, was wir annahmen, am Fuße des Kraters den Untergang der Sonne sehen wollten, der bald nach 7 Uhr erfolgen mußte, während kaum eine Stunde später der Mond aufging! Sie sehen, Signori, diese Engländer hatten ihre Zeit vortrefflich gewählt, aber wir waren auch nicht dumm; so legten wir uns denn hinter die Lavablöcke und Büsche und warteten auf die Ankunft der Reisenden, denn sie machten sicher Halt unter dem Kastanienbaum und stärkten sich an den Vorräten, die sie von Resina mitgenommen und bei denen wir uns zu Gaste laden wollten. Per Dio! Es war mir nicht ganz behaglich zu Mute, und ich mußte immer und immer wieder nach der Höhe des Berges blicken, denn, obschon der Himmel so blau wie die tiefste Grotte von Capri war, so schien doch das Meer unten an den Marinas ganz besonders unruhig und kam in langen weißen Kämmen zum Strande, und aus dem Krater des Kegels stieg ein dunklerer Strom von Rauch als gewöhnlich und breitete sich in der Höhe wie ein Regenschirm. Aber desto bestimmter durften wir auf die Ankunft der Engländer rechnen, denn – der Wahrheit die Ehre – sie haben keine Furcht, wenn es gilt, ihre Neugier zu befriedigen, oder ihre Vorteile zu verfolgen.
Schon seit einer halben Stunde hatte ich mit meinem Glase ihr Herankommen beobachten können, und bald hörten wir jetzt das Geschrei der Führer, welche die Esel antrieben und die Stimme des Malers, welcher sich mit dem Kavaliere Servente der Lady und Aniella unterhielt, die dazwischen ein munteres Lied sang, um uns ihre Nähe anzukündigen. Wie ich mir es gedacht, so geschah's, die Stelle unter der Kastanie schien den Inglesi so gut zum Ausruhen zu behagen, wie sie uns behagt hatte; auf einen Wink des Lord hielten die Führer an, die Frauen – die Lady hatte eine Kammerjungfer bei sich, – wurden von ihren Eseln gehoben, und die Führer bereiteten einen Sitz an den Wurzeln des Baumes, während die Bedienten ein Tuch auf den Boden breiteten und einen Korb mit hundert guten Dingen auspackten: das weiße Pagnotte napolitane, Feigenschnepfen von Capri, die roten Mandarinen von Palermo, das süße Ravinoli von San Chiara und dazu den köstlichen roten Falerner. Ich sage Ihnen, die Fremden schmausten und schwatzten bald in ihrem englischen Kauderwelsch und bald in schändlicher Mißhandlung unserer schönen sangreichen Sprache, und die Lady und der verteufelte Bursche – es war ihr Vetter, wie ich später gehört habe, konnten nicht müde werden, die kleine Aniella zu bitten, ihre hübschen Lieder zu singen. Dazu wandte der Engländer seine großen wasserblauen Glotzaugen kaum ab von meiner Amorosa und redete fortwährend nur mit ihr, und die Wetterhexe kokettierte mit ihm, obschon sie recht gut wußte, daß ich in der Nähe sein mußte, sodaß es mir ganz heiß unter der Weste wurde und ich mehr als einmal meinen Karabiner hob, um ihn ohne weiteres über den Haufen zu schießen.
Und wissen Sie, Signori, warum ich es nicht tat? Der erste Blick auf die Lady, als sie sich unter den Kastanien niederließ, hatte mir gezeigt, daß es dieselbe Dame war, welche mir auf dem Balle der Akademia zwei Jahre vorher einen so großen Schimpf angetan und meine Hand zum Tanz verweigert hatte, bloß weil mein Vater das Unglück gehabt, gehängt zu werden. Maledetto! Wie mir die Erinnerung durch die Adern lief, als flösse die Lava des Vesuvs darin. Dennoch verstand ich an mich zu halten, und ich hatte im Nu meinen Plan gemacht, wie ich mich rächen wollte für den Schimpf, indem ich zugleich das Interesse der Camorra wahrte. Indes kam es doch noch anders, als ich anfangs beabsichtigt.
Die Sonne näherte sich bereits dem Meere, als jenes dumpfe Rollen im Innern des Berges sich wieder hören ließ und eine jener leichten Erschütterungen des Bodens erfolgte, die zu solchen Zeiten sehr häufig in der Nähe des Kraters sich zeigen. Alle sprangen empor, und die Lady verlangte, die Rückkehr anzutreten, während die Männer erklärten, daß sie in jedem Fall den Weg fortsetzen wollten, da nach der Versicherung der Führer durchaus keine unmittelbare Gefahr vorhanden sei, und daß sie gerade deshalb den Berg bestiegen hätten, um die Zeichen seiner beginnenden Tätigkeit zu beobachten. Die Lady blieb bei ihrer Weigerung, den Weg fortzusetzen, und so einigte man sich endlich dahin, daß, da man sich kaum eine halbe Stunde von dem Atrio del Cavallo am Fuß des Aschenkegels befand, der deutsche Maler und der Vetter der Lady mit einem der Führer und Aniella den Rest des Tageslichts benutzen und den Rand des Kraters, soweit es der Schwefeldampf gestattete, ersteigen sollten, während Lord und Lady mit dem Rest der Begleitung unter den Kastanien zurückbleiben, den Sonnenuntergang bewundern und die Rückkehrenden erwarten wollten, um dann sich zum Piano della Ginestre zu wenden und in der Eremitage den Aufgang des Mondes zu sehen oder nach Umständen dort zu übernachten. Ich konnte aus meinem Versteck deutlich bemerken, wie hauptsächlich meine Amorosa den Plan vorschlug und unterstützte, da es aber ebenso gut in unserem Interesse geschehen sein konnte, um die Gesellschaft zu teilen und mir gerade so den wichtigeren Teil in die Hände zu spielen, durfte ich nicht den Argwohn hegen, daß es ihr hauptsächlich darum zu tun gewesen, den jungen Engländer in Sicherheit zu bringen.
Die Zeit zum Handeln war gekommen.
Oh, Signori, herrlich ist der Sonnenuntergang auf dem Vesuv, wenn die glänzende Scheibe hinabtaucht in den Spiegel des Meeres und tausend Strahlen von Gold und Purpur darüberhin erzittern läßt und ihre Farbengarben hinaufwirft in die lichten Wolkengebilde des Firmaments. O, göttliches Napoli! Vide Napoli e mori!
Mylord und Mylady waren freilich näher daran, als sie dachten! › Certainly – sehr schön! sehr fashionable, Mylord; meinen Sie nicht, Mylord, daß man dergleichen in England niemals zu sehen bekommt?‹
› By Jove, Mylady haben Recht, es sein sehr schön! Es sein in der Tat weit schöner, als die Dekoration in Ihrer Majestät Theater, wenn sie geben die Stumme!‹
Der zurückgebliebene alte Führer sah besorgt nach der Sonnenscheibe, die blutig rot ins Meer tauchte und scharfe rote Lichter über Wellen und Berg warf und in seltsamen Reflexen sich in der Rauchsäule zu spiegeln schien, die dem Krater immer dichter entstieg. Auch Andrea, sein jüngerer Gefährte, kraute in dem schwarzen Haar. › Santa Madonna, Freund Lazzaro, ich möchte, wir wären glücklich erst wieder in Resina. Was schwatzte die Dirne, die Aniella doch von einem Unglück, das wir haben könnten, wenn wir nicht zuerst an uns selber dächten. Ob wir den Inglese eine kleine Warnung geben, daß die gesegnete Sonne so seltsam untergeht?‹
Aber die Lady hatte ihr Glas eben wieder vor die Augen geklemmt, und Lord Pinto suchte im Murray, ob sich vielleicht dort eine Beschreibung des Sonnenuntergangs fände?
›Mylady!‹
› By Jove – sehr comfortable!‹
› Yes!‹
Eben trat ein Schatten vor die roten Lichter, die am Himmel emporschossen, und den die scheidende Sonne riesengroß über das öde Gestein warf – es konnte unmöglich die Kastanie sein, denn die stand in ihrem Rücken.
Mylady wandte sich langsam um, es war ein fremder Mann, der diesen Schatten warf, ein Mann in der bekannten Tracht der Abruzzesen, über der einen Achsel die blaue Jacke hängend, über der anderen den Karabiner – im breiten Gürtel um die rote Weste mit den Silberknöpfen Dolch und Pistole.
›Mylord!‹
›Mylady?‹
›Ich bitte, sehen Sie diesen Mann – sehr interesting! sehr romantisch!‹
Mylord hatte sich aus seiner sehr bequemen Stellung erhoben. › Goddam! Das sein mehr als interesting – ich glauben, das sein ein Bandit, ein Ladrone!‹
Ich hatte überaus höflich den Hut gezogen. ›Es wäre unhöflich,‹ sagte ich, ›Euer Herrlichkeit widersprechen zu wollen, aber ich erlaube mir. Sie darauf aufmerksam zu machen, daß man uns jetzt höflicher Briganti zu nennen pflegt, die Welt schreitet fort, Mylord, auch in den Umgangsformen.‹
Mylord Pinto sah einem Schaf ziemlich ähnlich, so starrte er mich an. »Darf ich fragen, was Ihnen beliebt, Sir?«
»Zunächst,« sagte ich, »da wir seit einer Stunde Ihrem Vesperbrot zuzusehen die Ehre hatten, ohne daß Sie so gütig waren, uns einzuladen, und ich einen gewaltigen Durst empfinde, erlauben Sie wohl!« Und ich nahm dem langen Schlingel von Bedienten die Flasche Lacrymae aus der Hand, die er abräumend eben wieder in den Korb legen wollte und tat einen tüchtigen Zug daraus. »Auf Ihr Wohlsein, Mylady!«
»Sir,« sie saß noch immer steif auf den Plaids, aus denen ihr die Führer den Sitz auf den Wurzeln der Kastanie bereitet hatten, »Sie vergessen, daß Sie mir nicht vorgestellt sind!« Und sie wandte sich verächtlich ab.
» Scusi, Mylady! Doch, bei einer früheren Gelegenheit.« Mylady wandte sich wieder zu mir und erhob etwas neugieriger ihr Augenglas. »Ich erinnere mich nicht, Sir!«
»Ich werde sogleich die Ehre haben, Mylady, Ihr Gedächtnis aufzufrischen, doch muß ich zunächst noch das letzte Tageslicht benutzen, um mit Seiner Herrlichkeit ein kleines Geschäft in Ordnung zu bringen!«
»Was für ein Geschäft, Sir?«
»Mylord sind, wie ich früher hörte, nicht so reich, wie die englischen Pairs gewöhnlich sind, und machen daher in Diplomatie. Wir wollen es daher billig tun! Was sagen Sie zu zehntausend Dukati?«
»Zehntausend Dukati, was wollen Sie damit?«
»Oh nichts anderes, Mylord, als Eurer Herrlichkeit die Nase und die Ohren ersparen; denn wenn wir Sie mit uns in die Berge führten, würden wir zu einer längeren Correspondence genötigt sein, und wenn Ihr Bankier – auf wen lautet Ihr Kreditiv?«
»Auf den Duca Bracciano!«
»Oh – der ist der Camorra gut, obschon sein Sohn ein Taugenichts ist und sicher seinen Vater in ein paar Jahren zum Bettler gemacht haben wird, wenn ihm nicht Einhalt geschieht! – Also Mylord, wenn Sie erst in den Bergen sind und Ihr Bankier unsere Forderung, die natürlich dann ganz anders lauten muß, zu honorieren zögert, so werden wir genötigt sein, zunächst eines von Eurer Herrlichkeit Ohren zur Beeilung seiner Pflicht nach Neapel zu schicken.«
Der Lord, der die Sache bisher immer noch nicht ganz für Ernst gehalten zu haben schien, wandte sich zu den beiden Dienern.
»James! George!« – » Yes Mylord!«
»Boxt den Burschen nieder!«
»Euere Herrlichkeit dürften besser tun, die Gentlemen nicht zu bemühen! Wenn es Ihnen beliebt, sich umzusehen, werden Euere Herrlichkeit die Gründe leicht begreifen!«
Der Lord blickte um sich und hatte Verstand genug, die Gründe zu sehen, die in Gestalt von sechs guten Flintenläufen sich zwischen dem Gestein hervorstreckten und auf die Gesellschaft gerichtet waren.
» Faccia in terra!« rief ich jetzt und schlug an den Kolben meines Karabiners. Die Lady sank in Ohnmacht, die Zofe kreischte und wollte davon laufen, und die beiden Führer warfen sich, dem Befehl gehorchend und der Sache gewohnt, der Länge nach auf den Boden, indem sie die langen Schlingel von Bedienten wahrscheinlich zu deren großer Genugtuung mit sich rissen, sodaß nur Mylord und ich auf den Beinen blieben.
»Da nun Verheimlichung nichts mehr helfen kann,« sagte ich, »so werden Euere Herrlichkeit nichts dawider haben, daß ich meine Kameraden herbeirufe; die armen Burschen haben lange genug in einer sehr unbequemen Stellung aushalten müssen, und es ist nicht mehr als billig, daß sie an den Genüssen eines guten Abendbrotes Teil nehmen.« Damit rief ich meinen Leuten zu, herbeizukommen, und gab dem einen Bedienten einen tüchtigen Fußtritt auf den Hintern. »Aufgestanden, Kerl, und serviere den Gentlemen hier Deinen Korb, sie sind hungrig und durstig.«
Es war wahrhaft wunderbar, wie schnell der Kerl diese lingua franca verstand. Er war rasch auf den Beinen, während meine Leute den anderen zusammenschnürten und bei Seite warfen. Dann rief ich den Führern zu: »Steht auf und packt Euch!« Sie liefen mit erstaunlicher Schnelligkeit den Berg hinab, ihre Esel und den Lord im Stich lassend, denn sie wußten, daß sie wenigstens die ersteren aus derselben Stelle wiederfinden würden.
Unterdessen hatte James den Speisekorb wieder von dem Packtier genommen und begann die Vorräte auf einen schweigenden Wink seines Herrn wieder auszubreiten, wobei ihn natürlich meine Leute vielfach aller Mühe überhoben. Die Kammerjungfer war noch immer mit der ohnmächtigen Lady beschäftigt, aber ein neues tiefes Stöhnen im Innern des Berges brachte die Dame rascher wieder auf die Beine, als alle Riechsalze der Zofe. Zugleich fühlte ich, daß es Zeit sei, der Sache ein Ende zu machen, da irgend ein Zufall uns leicht um alle Erfolge bringen konnte; denn es wurde auffallend dunkel, und ein Blick auf den kaum eine halbe Stunde in gerader Richtung entfernten Krater überzeugte mich, daß die aufsteigende Rauchsäule immer dichter wurde und sich zu röten begann.
»Mylord,« sagte ich, »wir haben noch einen weiten Weg und das Wetter gefällt mir nicht ganz, es ist sogar möglich, daß uns ein kleiner Aschen- oder Steinhagel überraschen könnte. Ich bitte also, sich entschließen zu wollen, ob Sie mit Mylady uns in die Berge begleiten, oder das Geschäft hier abmachen wollen.«
»Oh, Mylord,« jammerte Mylady – »ich bitte Sie inständigst, befreien Sie uns von diesen schrecklichen Banditen.«
»Sir,« sagte der Lord, »ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich unter dem Schutze des Völkerrechts stehe, und daß die Regierung Ihrer Majestät von dem Kabinet von Neapel eine eklatante Genugtuung fordern wird.«
»Die Königin Victoria ist weit,« sagte ich, »und die Signori hier sind Euerer Herrlichkeit mit ihren Büchsen sehr nahe.« Meine Leute hatten sich beeilt, mit dem improvisierten Imbiß fertig zu werden und natürlich nicht vergessen, die silbernen Messer und Gabeln einzustecken. Der Protest des Meister James war sehr rasch mit einem tüchtigen Kolbenstoß in die Rippen zur Ruhe verwiesen worden.
»Man wird Truppen gegen Sie aussenden!«
»Wir werden genügend Zeit haben, Euerer Herrlichkeit in unseren unzugänglichen Schlupfwinkeln die Ohren abzuschneiden.«
»So bestehen Sie in der Tat auf Ihrer Forderung, Sir?«
»Zu Befehl!«
»Aber ich habe keine zehntausend Dukati bei mir!«
»Euerer Herrlichkeit Anweisung auf die Bank Bracciano wird vollkommen genügen!«
»Ich habe hier nichts, sie zu schreiben. Ich will verpfänden mein Wort, daß Sie das Geld erhalten sollen.«
»Die Camorra, Mylord, zweifelt keineswegs an Ihrem Worte, aber wir pflegen die leichtere Art der Einkassierung vorzuziehen.«
»Aber wie soll ich hier schreiben Sir?«
Ich gab einem meiner Gefährten einen Wink, und er beeilte sich, aus seiner Ledertasche ein vollständiges Schreibzeug und einige Anweisungsformulare hervorzuziehen. Auch ein Wachslicht zündete er an, und machte dann aus seinem Rücken ein Schreibpult.
»Auf die wiederholten Bitten der Lady bequemte sich endlich Mylord zum Schreiben. Er mochte sich freuen, so wohlfeilen Kaufs loszukommen, denn er hatte sicher im Sinn, sofort nach seiner Rückkehr nach Neapel die Honorierung der Anweisung zu verhindern. Ahi poveréllo! Er kannte die Hilfsmittel der Camorra noch nicht und ahnte nicht, daß das Geld längst in unserer Tasche sein würde, ehe er sich aus den Federn erhob.
»Dank Ihnen, Mylord!« Ich hatte vorher das Papier sorgfältig geprüft, schob es sofort in ein Kuvert und gab es heimlich einem meiner Gefährten, der alsbald seine Flinte einem Kameraden überließ und sich eiligst auf die Beine machte. Lord Pinto war es wahrscheinlich unbekannt, daß gewisse Bankkomtoirs in Neapel ihre Kassen erst um Mitternacht schließen; einmal im Umlauf, konnte die Realisierung der Anweisung selbst durch das Einschreiten der Gesandtschaft oder der Regierung nicht mehr verhindert werden.
»Nun, Mylord, steht es Ihnen frei, den Platz zu verlassen oder Ihre Freunde hier zu erwarten. Wenn Sie es wünschen, soll sogar einer meiner Leute Sie auf den Weg zu dem alten Gauner, dem Eremiten, bringen, und erlauben Sie mir, Ihnen den Rat zu geben, Abendbrot und Nachtlager vorher zu akkordieren, sonst prellt er Sie auf das Abscheulichste!«
Der Lord drehte mir offenbar sehr ärgerlich den Rücken. »Wie denken Sie darüber, Mylady? Wollen wir nach Resina zurückkehren oder hier bleiben?«
»Fort, fort, Mylord! Ich will keinen Augenblick länger hier verweilen; Robert mag sehen, wie er uns nachkommt!«
Ich zog nochmals meinen Hut.
»Ihre Herrlichkeit haben ganz vergessen, daß Sie mir noch eine kleine Revanche schuldig sind!«
»Mylord John! Was will der Mann?«
»Was wollen Sie noch, Sir? Sie haben Ihr Geld!«
»Euer Herrlichkeit werden sich vielleicht eines gewissen Balles vor zwei Jahren beim österreichischen Gesandten erinnern, wo Mylady mir einen Tanz schuldig blieb! – Heda, Nicolo, Du pflegst ja wohl Dein Flautino bei Dir zu führen. Zünde ein anderer eine Fackel an!«
Die Lady sah mich mit einem gewissen Schrecken an; eine Ahnung oder Erinnerung schien in ihrem hochmütigen Geiste aufzudämmern. Der Lord trat dazwischen: »Was solls, Sir?«
»O Mylord, nichts weiter, als daß Mylady, ehe ich mich entfernen kann, die Güte haben wird, mit mir eine kleine Saltarella zu tanzen, als Revanche für die Unhöflichkeit, mit der sie damals meine Einladung auszuschlagen sich erlaubte.«
»Sie sind ein Narr, Sir, oder ein …«
»He, Sie da, Frauenzimmer,« sagte ich zu der Kammerzofe, »streifen Sie einmal Mylady diesen langen Reitrock ab, er könnte die Dame beim Tanzen genieren; denn Sie wissen wahrscheinlich, daß es bei der Saltarella allerlei Figuren gibt, wozu man den freien Gebrauch seiner Glieder nötig hat. Vorwärts, Nicolo, beginne Deine Musik.«
Der Lord schäumte vor Wut, Mylady schrie laut auf vor Angst und erklärte mich für sehr shocking, als ich der Zofe drohte, sie in den Krater werfen zu lassen, wenn sie nicht sofort meinem Befehle Folge leisten würde. Meine Kameraden hatten endlich begriffen, was ich vor hatte, zündeten noch eine zweite Fackel an und stellten sich im Kreise umher, in die Hände klatschend und Brava rufend. Es hätte übrigens kaum jener zweiten Fackel bedurft, obschon eine tiefe Finsternis mit unglaublicher Schnelle sich über Land und Meer legte; denn auf der Spitze des Kegels begannen unheimliche Blitze zu zucken und die Säule von Qualm und Rauch, die dem Krater entstieg, sich zu einem Feuerstrom zu verwandeln, der weit umher leuchtete.
Meine Kameraden begannen ängstlich und für ihre Sicherheit besorgt zu werden, obschon sie viele Nächte einem ähnlichen Schauspiel beigewohnt hatten und wußten, daß zu einem wirklichen Ausbruch des Berges noch gar viel fehlte. Der ängstliche Nicolo fiel auf die Knie und betete sein Paternoster, statt den befohlenen Tanz zu spielen. Doch ich hatte meinen Kopf aufgesetzt und blieb hart gegen alle Bitten und Vorstellungen. »Vorwärts, Feigling, oder ich will Dein Fell gerben, daß es so blau wird, wie meine Jacke. Animo, Mylady, machen Sie Ihre Toilette, oder ich will Ihnen eine andere Kammerjungfer geben! Vielleicht haben Sie dort den braunen Rinaldo lieber, er macht bereits sehr verliebte Augen auf Sie!«
Meine Kameraden hatten wieder Mut gefaßt, als sie mich so unbesorgt sahen, und jubelten und lachten, aber Mylord warf sich wie ein wütender Bär auf den Rinaldo, einen in der Tat hübschen Jungen, als dieser sich Mylady näherte, um sie zu entkleiden. Die anderen mußten ihn packen und banden ihn an einen alten verdorrten Baumstumpf, wo er schnaubte und tobte wie ein verliebter Truthahn, alle möglichen Drohungen von sich sprudelte und wohl zehn Mal dem Bedienten befahl, Mylady zu Hilfe zu eilen, der trotz ihres Sträubens und Geschreis die zitternde Camariera den unbequemen Reitrock abzuziehen begann.
Die Sache fing an, uns allen großen Spaß zu machen. Zuletzt verlegte sich Mylord auf Bitten und Versprechungen, aber ich hatte mir selbst gelobt, meinen Willen zu haben.
»Vorwärts, Mylady, Sie sollen sich überzeugen, daß Sie Unrecht gehabt haben, einen so guten Tänzer auszuschlagen. Ich schwöre Ihnen: wenn Sie noch länger zögern, lasse ich Sie bis aufs Hemd ausziehen, und Sie sollen die Saltarella dann trotz der besten Tänzerin von Sorrent im Kostüm der Mutter Eva tanzen! Heda, Ihr Schelme, nehmt ihrer zwei die Signora etwas unter die Arme und helft ihr ein wenig, sie ist noch so schüchtern, und Du, Filippo, kitzele sie sanft etwas von hinten mit Deiner Messerspitze, wenn es ihr an Feuer fehlt! Vorwärts, Nicolo!«
Unter dem schallenden Gelächter meiner Kameraden – selbst die dicken Gesichter der beiden Schufte von Bedienten grinsten – fing der Flötenbläser seine Musik an. Zuletzt beschworen Mylord und die Kammerfrau selbst auf das Flehentlichste die Lady, sich doch meinem Willen zu fügen und eine Tour mit mir zu tanzen, um dem angedrohten Übel zu entgehen, dies im Kostüm der ersten Unschuld tun zu müssen.
Weiß der Teufel, wo der Schelm, dieser Nicolo, die Melodie aufgeschnappt haben mußte; ich glaube, es war das Menuett oder die Quadrille aus dem Don Juan, den ich einmal in San Carlo gehört hatte, die er blies.
»Signori,« unterbrach der Erzähler seine lebhafte Darstellung, »ich kann Sie hier gleich auf meine Ehre versichern, es ist eine schändliche Verleumdung meiner Feinde, daß ich die Lady Pinto im Kostüm der Natur auf dem Vesuvio habe eine Saltarella tanzen lassen! Mylady hatte nur ihr Oberkleid abgelegt, das sie gehindert hätte. Ich weiß zu gut, was ein Mann wie ich den Damen schuldig ist, und überdies würde Aniella mir die Ohren gezaust haben, wenn ich mir eine solche Indiskretion erlaubt hätte. Es geschah alles in Züchten und Ehren!«
Das Gelächter, das diese Erklärung begleitete, war sicher nicht geringer, als das der würdigen Zuschauer jener Ballettszene auf dem Vesuv unter den Donnern des Berges.
»Richtig! richtig! Wir haben ja ganz Ihre Sposa, die schöne Aniella und Ihren Rivalen dabei vergessen! Bitte, erzählen Sie weiter, vortrefflichster Capitano, Sie Meister eines dezenten Kavaliers. Also, wo blieb unterdessen Signorina Aniella?«
»Wir wurden nur zu bald an sie erinnert. Ich versichere Sie, Exzellenzas, wir waren eben im besten Zuge, und Mylady hatte sich bereits in ihr Schicksal gefügt und einige recht hübsche Touren mit jener stolzen Grazie ausgeführt, die man den Engländerinnen nicht absprechen kann, als unser Vergnügen auf das Unhöflichste unterbrochen wurde. Im Augenblick, als ich Mylady die Hand reichte zu einem Balancé, knallte plötzlich ein Revolverschuß, und die Kugel riß mir den Hut vom Kopf. Ich hatte leider meine gewöhnliche Vorsicht vergessen und keine Posten ausgestellt, und wir waren alle so mit unserem Vergnügen beschäftigt, daß wir bei dem Donner des Gewitters und bei der Musik des armen Nicolo das Zurückkommen des zweiten Teils der Gesellschaft gar nicht bemerkt hatten, bis sie mitten unter uns war. Vielleicht hatte auch das frühere unverständige Zetergeschrei der Dame in einer Pause des Wetters das Ohr ihres Vetters erreicht und das Herbeikommen beschleunigt. Tatsache war, daß sie alle wie gehetzte Sauen herbeistürmten und sich in unsere Unterhaltung mischten, ehe wir auf ihren Empfang gehörig vorbereitet waren. Dieser Flegel von deutschem Maler führte einen gewaltigen Bergstock bei sich und beendete das zierliche Spiel unseres Flötenbläsers mitten in einer Kadenz mit einem so unbesonnenen Schlage auf seinen Kopf, daß es der Schädel des armen Burschen unmöglich aushalten konnte, und er wie ein Sack tot zu Boden fiel. Wie gesagt, ich habe das alles erst später erfahren; denn in der Verwirrung, die jetzt folgte, konnte ich nur wenig Übersicht behalten, obgleich sie meine Pflicht als Capitano war. Der zweiten Revolverkugel – der Bursche schoß in der Tat nicht übel! – entging ich außer durch den Schutz der Santa Madonna wahrscheinlich nur dadurch, daß ich mich gerade hinter der Lady befand. Ich ließ meine Tänzerin im Stich, sprang nach meinem Karabiner am Stamme der Kastanie und rief meinen Kameraden zu, die Kerle ohne Weiteres über den Haufen zu schießen; denn außer den beiden Freunden hatten sich jetzt auch die zwei Bedienten undankbarer Weise und selbst der Führer, den sie mit zum Krater genommen, sowie jener alte Schurke Salvatore mit mehreren Fremden, die er auf dem anderen Wege zum Krater aufwärts geführt hatte, in unsere Angelegenheit gemischt und der Lärm war um so gewaltiger, als der alte Schuft dabei schrie, man müsse eilen, die mittlere Region des Berges und die Eremitage zu erreichen, da wahrscheinlich ein Aschen- oder Steinhagel losbrechen werde. Dennoch gab ich die Sache noch keineswegs auf, einige Schüsse meiner Braven hielten die Fremden in gehöriger Entfernung, und ich hatte eben meinen Karabiner erhoben, um diesem Störenfried von Engländer eine Kugel durchs Herz zu jagen, als ich mein richtiges Ziel verlor und mein Gewehr sich in die Luft entlud. Ich weiß noch heute nicht, ob es durch einen Stoß von der Hand meiner Amorosa Aniella geschah oder durch den gewaltigen Donnerschlag, der sich über unseren Häuptern entlud, während der Boden unter uns bebte, als wolle der Berg bersten und seinem unterirdischen Feuer einen neuen Ausweg bahnen, so daß wir samt und sonders, die Lady und der deutsche Maler, die Esel und die Bedienten, Aniella und die Führer zu Boden und durcheinander geworfen wurden. Tiefe Finsternis umgab uns einige Minuten lang, die ich mir, von dem Hilferufen Mylords, ihn loszubinden wieder aus meiner Betäubung geweckt, verständiger Weise zu Nutze machte, um so rasch wie möglich mich in Sicherheit zu bringen und so schnell wie es ging auf Gefahr meiner Schienbeine durch die Lavatrümmer und Geschiebe davon zu laufen.
Aber, wie es nicht selten vorkommt, mit dem gewaltigen Donnerschlag und der Bewegung der Bergwand schien die Kraft der Eruption für diesmal gänzlich erschöpft zu sein; denn nach kaum einer halben Stunde war der Horizont ringsum ganz klar. Die Rauchsäule des Kraters war zwar noch immer dicht, aber ihre Rötung verschwand unter dem hellen Schein des Vollmonds, der sein blendendes Licht weit über Berg und Meer ergoß und jenes prachtvolle Bild vor unseren Augen entfaltete, die wir jetzt in aller Ruhe und Sicherheit am Rande einer der tieferen Schluchten an dem Abhang nach Osten hin saßen und unser Abenteuer besprachen.
Vor einer Verfolgung waren wir vorläufig sicher. Die ganze Gesellschaft, die treulose Aniella einbegriffen, hatte sich unter der Leitung des vermaledeiten Salvatore Madonna nach der Befreiung Mylords nach der Eremitage verzogen und prahlte dort wahrscheinlich mit ihren Heldentaten, während Mylady ihre angegriffenen Nerven beruhigte oder ihre Vapeurs hatte, was sie auch verhinderte, vor dem nächsten Mittag wieder Neapel zu erreichen, wo Mylord Pinto nach seiner Ankunft gewaltig Lärm schlug und eine englische Invasion verhieß, wenn nicht alle Bewohner des Vesuvs entweder gehängt oder geköpft würden wegen der Verletzung seines diplomatischen Charakters. Seine Erbitterung war um so größer, als in der Tat schon lange vor seiner Ankunft in Neapel seine Anweisung auf die lumpigen 10 000 Dukati in Kurs gesetzt und auch an der Kasse des Hauses Bracciano gebührend honoriert worden war.
Die Regierung sah sich gezwungen, eine ganze Woche lang Militärpatrouillen auf dem Berge zu stationieren und Mylord sogar das Geld zu erstatten. Aber da eigentlich fast niemandem ein besonderer Schaden geschehen und der arme Bursche Nicolo Pesce der einzige war, der mit seinem eingeschlagenen Schädel die Sache hatte ausbaden müssen, so machte die hohe Justiz nicht viel davon, vielmehr erhob Signora Pesce, die Witwe des Erschlagenen, für sich und ihre drei unerzogenen Kinder die Entschädigungsklage gegen den deutschen Lümmel, der ihren Gatten erschlagen, und er hatte von Glück zu sagen und es nur der Verwendung der englischen Gesandtschaft zu danken, daß man ihn ungehindert gehen ließ.«
»Aber Sie selbst, würdiger Capitano, und die schöne Aniella!«
» Tacéte! Schweigen Sie, und erinnern Sie mich nicht an mein Unglück. Irgendeine Kugel, wahrscheinlich aus seinem eigenen Revolver hatte sich bei der kleinen Katzbalgerei unter der Kastanie in die Schulter des Vetters verirrt – ich wünschte, es wäre die meine gewesen! – und obschon die Sache ganz ungefährlich und das Loch bei der gesunden Luft in vierzehn Tagen vollständig geheilt war, blieb er doch diese vierzehn Tage in Resina bei meinem künftigen Schwiegervater unter der Pflege meiner Sposa, so daß ich nicht einmal Gelegenheit hatte, ein Wort mit ihr zu wechseln, und als er endlich fortging, hat er die ungetreue Dirne mit sich genommen, oder sie ist dem Ketzer von selber nachgelaufen nach England – was weiß ich! Kurz, ihr Vater warf mich aus der Tür, als ich zum erstenmal nach ihr fragte und hatte noch die Unverschämtheit, seinen Anteil an den zehntausend Ducati zu verlangen!«
»Armer Capitano! Aber wie ist es mit Ihrer Gefangennahme? So viel wir wissen, wurden Sie ja wegen des Streichs zu den Galeeren verurteilt und entkamen aus San Elmo!«
»Was soll ich sagen! Es war nicht gerade wegen des Streichs, den ich das Glück gehabt, diesem Mylord zu spielen, daß man mich verurteilte. Es war vielmehr wegen eines Streites mit dem Capo der Camorra, daß ich von ihm der Justiz verraten und ins Gefängnis gebracht wurde.«
»Der Capitano,« sagte der Prinz, »ist zu bescheiden in seiner Darstellung. Ich erinnere mich der Sache recht gut, und, was man sich davon erzählte; Lord Pinto war damals bei der Thronbesteigung meines Bruders nach Neapel gekommen, um ihm im Auftrag Palmerstons im Geheimen als Gegengewicht gegen den französischen Einfluß in Rom und Turin den Schutz Englands anzubieten gegen die Abtretung der Schwefelmine in Sizilien und eines Hafens auf der Südküste der Insel. Erst als die energische Abweisung dieses schmachvollen Bündnisses seitens des Königs Ferdinand durch meinen Bruder wiederholt wurde, stellte sich die englische Politik ganz entschieden auf die Seite der Cavourschen Pläne und unterstützte offen mit Schutz und Geld die Revolution, von der sie ein leichteres Gelingen ihrer Ziele hoffte. Lord Pinto war in persönlichem Haß gegen Neapel der hauptsächlichste Agitator in Oberitalien, der das Turiner Kabinet zum völkerrechtswidrigen Einbruch in Neapel ermunterte und über die Expedition der Garibaldiner nach Sizilien verhandelte. Die Revolution in Neapel war sein und seines Herrn, Palmerstons, Werk. Niemand zweifelt mehr daran, denn wenn auch zugegeben werden muß, daß manche Übelstände dort herrschten, Handel und Wohlstand blühten unter der Regierung König Ferdinands, und das Volk haßt die Piemontesen und hätte niemals an die Vertreibung unseres Hauses gedacht, wenn nicht englisches und sardinisches Gold Treue und Redlichkeit untergraben hätten! Können Sie es unter diesen Umständen wunderbar finden, daß der Kerker des Capitano Pilone nicht fest genug war, um ihn zu halten?«
Erst durch die Worte des jungen Prinzen hatten die beiden Brigantenführer erfahren, in wessen Gegenwart sie sich befanden; denn wenn sie ihn auch mehr als einmal in Neapel gesehen haben mochten, hatten sie ihn in dieser Umgebung doch nicht wiedererkannt.
Der Mann vom Vesuv beugte mit einer theatralischen Geberde sofort sein Knie vor dem Prinzen. » Perdono, Altezza reale« rief er pathetisch, »verzeihen Sie einem Mann, dessen Zunge manchmal mit seinem Kopf davon läuft! Ich wollte sie mir lieber ausgerissen als etwas gesagt haben, was Euer Hoheit mißfallen konnte!«
Der junge Krieger von Gaëta reichte ihm die Hand zum Kuß. »Genug, genug, Capitano! Wir wissen, daß Sie zu unseren Getreuen gehören, und gestatten denen gern ein aufrichtiges Wort. Ich werde Sie und Signor Gentrilli Seiner Majestät bestens empfehlen. Es kann nicht viel schaden, wenn Sie fortfahren auf dem Vesuv die Feinde des Landes zu schädigen, nur –«
»Was befehlen Euer Hoheit?«
»Aus der Brigantaggia darf keine Birbantaggia werden, wie aus der Camorra von Neapel die Spione des Verräters Liborio Romano geworden sind.«
Leider wurde es das; der Brigantaggio fand nach kaum zwei Jahren in dem ordinären Räuberunfug seinen Untergang, und auch Meister Pilone gehörte zu denen, die mit Recht füsiliert wurden. Aber bis dahin spielte er unter den abenteuerlichsten Umständen den Don Juan des Vesuvs.
»Sagen Sie, Capitano,« fragte der Grieche, um die durch die Erkennung des Prinzen etwas gespannt gewordene Situation zu ändern, »da Sie doch gewiß auch die atmosphärischen Zustände Ihres Terrains kennen, was halten Sie von den Erscheinungen des Vesuv?«
»Exzellenza, wenn Sie mich ernstlich befragen, die Revolution des General Garibaldi ist der Natur um ein Jahr zuvor gekommen! Hätte Mylady Pinto mir achtzehn Monate später ihre Handschuhe zur Quadrille gereicht, hätten wir vielleicht direkt in die Hölle tanzen können. Der Monte ist so verteufelt erbittert über diese Spitzbubenherrschaft der Piemontesen, daß er allen Anzeichen nach sicher noch in diesem Jahre seine Lavaströme bis ins Meer ergießt. Man hat mir erzählt, daß die große Stadt Lissabon in Portugal vor hundert Jahren durch ein Erdbeben zerstört worden ist, warum sollte der Zorn des Himmels sich nicht auch gegen das göttliche und ungetreue Napoli wenden?«
Der bei dem wildleichtfertigen Charakter des Mannes jedenfalls eigentümliche Anruf an die geheimnisvollen Naturkräfte verfehlte seinen Eindruck nicht; man sprach hin und her über die vulkanischen Vorzeichen, die bereits die Aufmerksamkeit der ganzen wissenschaftlichen Welt erregten und zahllose Reisende nach Neapel führten. Die Debatte wurde jedoch plötzlich durch jenen wilden Straßenlärm unterbrochen, der auch die augenblicklichen Bewohner des ersten Stockwerks in Schrecken gesetzt hatte.
Man hörte das Geschrei einer erregten Volksmenge auf der Straße, einen Schuß dicht unter dem Fenster der Schankstube und einen Hilferuf in französischer Sprache, dann Gelächter und gellendes Zetern einer Weiberstimme zwischen all' dem Lärmen.
Die Offiziere sprangen auf; so wenig sie auch mit der napoleonischen Besatzung Roms sympathisierten, der Appell an das allgemeine Nationalgefühl verfehlte seinen Wiederhall nicht in ihren Herzen.
» Ventre samt gris! Was geht da vor?«
Auch die anderen Mitglieder der Gesellschaft hatten sich rasch erhoben, manche, wie der Prinz und der Abbate, in Besorgnis, daß sie durch ihre Anwesenheit in dieser Gesellschaft leicht kompromittiert werden könnten.
Noch war alles in Unruhe, denn der Lärm auf der Straße dauerte fort und schien sich sogar vor dem Hause zu konzentrieren, als nach einander der Spanier und Capitano Tonelletto eintraten, der erstere lachend, der andere mit ziemlich besorgter Miene.
»Kostbar! Kostbar!« rief der Spanier, »ich werde mein Lebelang das Schauspiel nicht vergessen, wie unsere kleine Wirtin mit einem Besenstiel den französischen Offizier gegen den Pöbel an ihrer Tür verteidigte, nur, weil sie hörte, daß er von einem eifersüchtigen Ehemann aus der Villa Seroja verfolgt wird!«
»Von Ruperti, dem Revolutionär?« fragte der Abbate.
»Ah, Reverendissimo! Sie kennen das Abenteuer bereits?«
Der Abbé begnügte sich, dem Briganten einen fragenden Blick zuzuwerfen, dieser nickte bejahend. »Aber es fiel ein Schuß vor dem Hause?«
»Der eifersüchtige Narr hat nach ihm geschossen und ihn leicht am Arm verletzt, die französische Wache ist eben beschäftigt, den Täter zu verhaften, was das Volk und seine Freunde nicht leiden wollen. Es scheint noch einen tüchtigen Lärm zu geben!«
»Und der Verwundete?« fragte Graf Boulbon.
»Er befindet sich in Sicherheit in der Schankstube unter den Händen der Signora Spazzoletta, die allen Haß gegen die Rothosen vergessen zu haben scheint, wo es sich um eine Liebesintrigue und einen betrogenen Ehemann handelt!«
»Ich wünschte, der Bursche wäre erschossen worden,« murmelte der Abbate. »Desto sicherer wären wir!« Er winkte dem Capitano! Die drei französischen Offiziere hatten sich nach der Schankstube führen lassen, um nach dem Verwundeten zu sehen, der Graf von Lerida sprach mit dem Irländer und dem Mönch.
»Haben die beiden Fremden das Haus verlassen?«
»Alles in Ordnung, Reverendissimo! Sie sind durch den Ausgang nach der Fontanella davon und schienen es sehr eilig zu haben, um nicht weiter erkannt zu werden, gerade als der Spektakel sich hierherwälzte.«
»Und der Mann, der Euch die Instruktionen gab?«
»Er ist in Sicherheit in demselben Keller, den wir den Herren Bankiers zugedacht, wenn sie sich nicht gefügt hätten.«
»Das eben ist der Teufel, Reverendissimo, weswegen ich komme, Ihre Befehle zu holen. Als ich zurückkam aus den Gewölben, waren die Zimmer leer und sie nirgends zu finden. Sie muß noch in dem Hause versteckt sein oder die Gelegenheit wahrgenommen haben, sich davon zu schleichen, während das tolle Weibsbild sich mit dem Wicht Ruperti und seinen Freunden herumschlug. Sie sehen, Reverendissimo, ich habe Ihre Befehle aufs beste erfüllt; für das Entweichen der Dame kann ich nichts – ihre Bewachung war mir nicht aufgetragen.«
»Es ist gut, und Sie mögen sich vor 9 Uhr im Quirinal bei mir melden, um Ihre Belohnung zu erhalten. Später bin ich verhindert. Was die Frau betrifft, so hat ihre Entfernung nicht viel auf sich; wir wissen sie zu finden. Und nun – können Sie uns unbemerkt aus dem Hause bringen, oder müssen wir noch warten?«
»Jeden Augenblick, Reverendissimo!«
»So treffen Sie die Anstalten dazu; wir gehen zu Fuß!«
Es bedurfte nur kurze Zeit, dann hatte die ganze Gesellschaft das Haus verlassen. Französische Patrouillen durchstrichen die benachbarten Straßen bis zum Corso, doch hielt niemand sie auf. Am Corso trennten sie sich.
Ehe der Abbate sich von Don Juan verabschiedete, der am spanischen Platz wohnte, nahm er ihn noch bei Seite.
»Seine Eminenz haben mir gesagt, daß Euer Exzellenza mir gestatten werden, im Lauf des morgenden Tages Ihr Schiff in Civita vecchia zu besuchen, um mit einer Dame eine Unterredung zu halten.«
»Sie meinen mit Ihrer Hoheit der Infantin Enrietta?«
Der Abbate verbeugte sich.
»Sie werden willkommen sein, ich werde morgen in aller Frühe die nötigen Befehle zu Ihrem Empfange erteilen. Der Vormittagzug geht ja wohl um 4 Uhr?«
»Um 4 Uhr 40 Minuten.«
» Ben! Ich hoffe. Sie werden befriedigt sein und Seiner Eminenz vielleicht mehr berichten können, als sie erwartet. Bis dahin gute Nacht denn und vielen Dank für die interessante Unterhaltung, die Sie uns verschafft. Ich hoffe, wir sehen uns morgen abend bei der Trauung unseres wackeren Irländers, oder genieren Sie sich, die Kapelle des englischen Konsulats zu besuchen?«
»Wenn Sie den Scherz fortsetzen, Exzellenza – an mir soll es nicht fehlen!«
»Auf Wiedersehen also! Ich beurlaube mich von Seiner Hoheit!«
Der Prinz und der Abbate setzten ihren Weg zum Quirinal fort, während die anderen zurückblieben.
»Euer Hoheit,« sagte der Abbate, »schienen mir einiges Mißtrauen zu zeigen in Betreff dieses piemontesischen Unterhändlers?«
»Ich muß gestehen, die Verheimlichung seiner Anwesenheit war wohl im Stande, mich zu befremden. Wenn der heilige Stuhl vergessen will, daß mein Bruder zum Teil gerade wegen seiner treuen Anhänglichkeit für die Interessen der Kirche seinen Thron verloren hat und es ihm unlieb ist, daß wir unser Asyl zunächst in Rom gesucht, so möge man es uns offen sagen.«
»Eure Königliche Hoheit,« entgegnete der Abbé geschmeidig, »handeln ungerecht gegen Ihre treuesten Freunde. Euere Hoheit wissen, in welcher Bedrängnis der heilige Vater selbst sich befindet, und daß es sogar im Kollegium der Kardinäle an Anfeindungen und Intriguen gegen die gerechte Sache und die Unabhängigkeit des päpstlichen Stuhls nicht fehlt. Der Herzog von Grammont und General Guyon müssen in diesem Augenblick geschont werden; denn in der Tat ist die Anwesenheit der französischen Besatzung gegenwärtig unser einziger Schutz, und ihre Vermehrung, die infolge der heutigen Exzesse zu erwarten steht, das Mittel, das die neuen Anmaßungen und Pläne Piemonts zurückweisen kann. Ich habe selbst erst kurz vor unserer Zusammenkunft heute abend das Nähere erfahren und noch keine Gelegenheit gehabt, Eure Hoheit davon in Kenntnis zu setzen. Sie haben Recht, wenn Sie annehmen, daß die Reklamation gegen die Unterstützung des Brigantaggio nur ein Vorwand der Anwesenheit dieses Unterhändlers ist; der wahre Zweck war offenbar, zu erfahren, in wie weit man bei einem weiteren Vordringen in die Camorka, ja bei einem Angriff auf Rom selbst, den ernstlichen Widerstand der französischen Besatzung zu fürchten hat. Die republikanische Partei in Rom bereitet diesen Angriff vor und die heutige Versammlung im Zirkus, die so glücklich in einen Konflikt mit den französischen Truppen verlaufen ist, sollte über den Tag der Schilderhebung verhandeln. Vielleicht werden Euer Hoheit jetzt einsehen, weshalb in diesem Augenblick so viele treue Männer aus den Gebirgen hier versammelt sind, bereit, mit ihrem Leben die Person Seiner Majestät des Königs Franz zu schützen.«
»Und Monsignore Merode hat diesen Mann wirklich empfangen?« Der Abbate zuckte die Achseln. »Zögen Eure Königliche Hoheit vielleicht vor, daß es Kardinal Antonelli getan hätte?«
»Es ist unerhört, diese Frechheit! Ich wünschte, Sie hätten den wackeren Tonelletto, der es aufrichtiger mit uns meint, als sein Vetter, nicht so sehr abgeschreckt, seine Abrechnung mit diesem Mörder meiner armen Landsleute zu schließen. Kennen Sie die Antwort des General Guyon? Nach dem perfiden Rückzug der französischen Flotte von Gaëta sind wir auf alles gefaßt!«
Der Abbate lächelte; aber er umging die direkte Antwort auf die Frage.
»Verlassen sich Eure Königliche Hoheit darauf, General Pinelli wird wenig zufrieden von seiner Mission nach Neapel zurückkehren. Die Regierung Seiner Heiligkeit muß sich natürlich, schon um des französischen Gouvernements willen, ganz aus dem Spiele halten, aber – ich fürchte, der morgende Tag wird nicht vorüber gehen, ohne daß wir einige seltsame Neuigkeiten hören. Ich bin ein ziemlich guter Beobachter und – es lag mir etwas in dem Lachen dieses spanischen Abenteurers, der ein würdiger Neffe seines Dämons von Oheim ist, was Herrn Pinelli nicht viel Gutes verspricht. Reinen Mund, Königliche Hoheit, über unseren heutigen Abend – hier sind wir am Quirinal!«
vom 15. März.
– – Der Graf von Boulbon, Kapitän in der französischen Occupations-Armee gegen China und Adjutant des kommandierenden Generals Cousin-Montauban ist als Kurier mit Depeschen aus China über die Schlacht von Palikao auf dem Wege über Suez und Brindisi hier eingetroffen und hat gestern über Civita vecchia und Marseille seine Reise nach Paris fortgesetzt. – – – – – – – –
– – – – – Infolge arger Exzesse, die am Mittwoch Abend von dem, durch die Feinde der Regierung aufgehetzten Pöbel in den Straßen des I. und IV. Rione verübt worden sind und bei denen es zu offenen Angriffen gegen Soldaten der französischen Besatzung gekommen ist, hat der Oberkommandant derselben, General Guyon, den Befehl erteilt, die Wachen zu verdoppeln, und bei Wiederholung von Straßenaufläufen die Befehligenden der Wachen und Patrouillen ermächtigt, im Falle des Widerstandes sofort von den Schußwaffen Gebrauch zu machen. – – – – – – – – –
Das Oberkommando der französischen Besatzungstruppen des römischen Gebiets hat auf die Anzeige Seiner Eminenz des Kardinal Staatssekretärs, daß die sardinischen Truppen in die zum päpstlichen Gebiet gehörige Enclave Ponte Corvo eingerückt sind, den General Fargère mit dem 1. Bataillon des 54. Linien-Regiments, einer Schwadron Husaren und 2 Geschützen abgeordnet, um die eingedrungenen sardinischen Truppen nötigenfalls mit Gewalt aus dem Gebiet von Ponte Corvo und der Campagna zu vertreiben. Eine Vermehrung der Besatzung um 2 Regimenter steht in Aussicht. – – – –
Auf eine Reklamation des Gouvernements von Neapel gegen den Übertritt zahlreicher Briganten-Banden aus römischem Gebiet in der Gegend von Subiaco, Sora und Frosinone ist der Befehl erteilt worden, die Grenzen in dieser Richtung auf das Strengste zu bewachen und alle Transporte von Waffen und Mannschaften anzuhalten und in Haft zu nehmen. – – – – – – – – –
Heute Morgen fand in der Kapelle des englischen General-Konsulats im Beisein des Konsuls Master Newton die Trauung des sehr ehrenwerten Barons Sir Terenz O'Donnell, Leutnant in der Armee Seiner Heiligkeit, mit Lady Judith Hoghborn, Tochter des ehrenwerten verstorbenen Master Elias Hoghborn aus London, nach anglikanischem Ritus statt, nachdem das Paar vorher in der Kirche des Collegio Romano eingesegnet worden, da der Bräutigam der heiligen katholischen Kirche anzugehören das Glück hat. Die Trauung verrichtete ein ehemaliger Schüler der Sapienza, der ehrwürdige Pater Rafaëlo, der bestimmt ist, eine Pfarre auf den Gütern des Bräutigams in Irland einzunehmen und dazu die Weihen erhalten hat. Brautführer waren Seine königliche Hoheit der Graf von Caserta und Seine Herrlichkeit der Graf Juan da Lerida, Viscount von Heresford, und Seine Gnaden der Marquis von Saint Brie, Offizier der Armee von Gaëta.
Wir hören, daß Seine Durchlaucht, der Herr Herzog von Grammont, Gesandter Frankreichs beim päpstlichen Stuhl, der Trauung beiwohnte und Seine Eminenz, der Herr Kardinal Staatssekretär sich dabei durch einen seiner Sekretäre, den sehr ehrwürdigen Abbate Calvati vertreten ließen. Nach der Trauung wurde ein Frühstück in der Wohnung des jungen Paares in der Colombaia, Straße Fontanella, eingenommen, dem zahlreiche Geladene beiwohnten. Seine Heiligkeit haben dem Bräutigam, der sich in dem Treffen von Castelfidardo auf das Vorteilhafteste ausgezeichnet und während des Krieges das Unglück gehabt hat, durch die Grausamkeit der Piemontesen seine Schwester zu verlieren, das Kommandeur-Kreuz des Pius-Ordens verliehen. Mit dem Nachmittagzug begab sich das neuvermählte Paar nebst seinen Freunden nach Civita vecchia und schiffte sich auf der Yacht des Conte da Lerida ein, um auf dieser die Überfahrt nach Malta zu machen, von wo es sich direkt nach Irland begibt.
Wir hören, daß der Erlauchte Graf von Lerida auf dem Wege nach dem Nil begriffen ist. In seiner Gesellschaft befindet sich ein hoher Offizier der früheren Armee der unabhängigen Indier und der Marquis von Saint Brie. – – – – – – Man hört, daß in den letzten Tagen wieder mehrfache Überfälle von Reisenden durch die Räuberbande des Matteo Fontana dicht vor den Toren Roms, namentlich in den Umgebungen der Katakomben geschehen sein sollen. Die päpstliche Polizei ist angewiesen worden, durch häufige Patrouillen der Gendarmen und Dragoner die Sicherheit der Straßen herzustellen. Auf die Ergreifung des Anführers der Räuber ist eine Belohnung von fünfhundert Lire gesetzt worden. – – – – –