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Auf Grund des zwischen Österreich und Preußen geschlossenen Alliancetraktats zum Schutz der deutschen Interessen richtete das Wiener Kabinett nach Petersburg Sommation auf Räumung der Fürstentümer. Unterm 29. Juni antwortete Graf Nesselrode mit der Erklärung, daß die Feindseligkeiten andererseits nicht fortgesetzt würden. Rußland stimme den Grundsätzen des Protokolls vom 9. April bei und wolle über den Frieden unterhandeln: Integrität der Türkei – Räumung der Fürstentümer – Konsolidierung der Christen in der Türkei gemeinsam durch die Mächte.
Diese Note der russischen Regierung erwiderten die Kabinette von London und Paris mit folgenden vier Forderungen: 1) Europäische Garantie für die Rechte der Donau-Fürstentümer; 2) Sicherung der freien Schiffahrt an der Donaumündung; 3) Revision des Vertrages von 1841 im Interesse des europäischen Gleichgewichts und im Sinne einer Beschränkung der russischen Macht auf dem Schwarzen Meere; 4) Gemeinsame Förderung der Emanzipation der Christen, aber nur in einer mit den Souveränitätsrechten des Sultans vereinbarten Weise.
Die Forderungen waren offenbar so anmaßend und politisch gefährlich für Rußland, als unwürdig christlicher Staaten! Dennoch machte sie auch Österreich zu den seinen, während Preußen sich auf eine Vorlage in Petersburg und den Versuch beschränkte, sie mit den von Rußland vorgeschlagenen Grundbedingungen in Einklang zu bringen. Unterm 2. August verwarf Graf Nesselrode die übersandten Bedingungen, die offenbar den Zweck der Demütigung und Schwächung Rußlands zum Ziel hatten und höchstens einem durch langen Kampf geschwächten Reich geboten werden konnten. Zugleich erklärte er, daß aus strategischen Gründen die Truppen hinter den Pruth zurückgezogen seien und Rußland sich fortan völlig auf der Defensive halten werde.
In Asien waren während dieser Zeit die russischen Armeen fortwährend siegreich gegen die Türken gewesen. General Wrangel hatte ein feindliches Korps unter Selim-Pascha bei Bajazid vernichtet und beherrschte den Karawanenweg. Fürst Bebutoff schlug Zarif-Pascha bei Kurukdere aufs Haupt; aber die englischen Intriguen und englisches Gold, welche Schamyl bis unter die Mauern von Tiflis führten, nötigten die Sieger, sich gegen diesen Feind zu wenden.
Im Norden hielt unterdes die englisch-französische Flotte die Ostsee okkupiert und englische Schiffe begannen jene Plünderung und Zerstörung unbeschützter Küstenstädte, die als eine ewige, aber keineswegs vereinzelte Schande auf der britischen Kriegsgeschichte haften wird. Wir führen als einziges Beispiel der englischen Humanität an, daß die Mannschaft einer Fregatte vierzig Frauen und Mädchen von einer der Alandsinseln auf ihr Schiff brachte, acht Tage lang sie zur Fröhnung ihrer Gelüste mit umher schleppte und dann die Unglücklichen fern von ihrer Heimat wieder ans Land setzte.
Aber es waren ja bloß Russen, gegen die man sich dergleichen schon erlauben darf.
Am 16. August bombardierte die vereinigte Flotte das einem solchen Angriff keineswegs gewachsene Bomarsund und die französischen Landungstruppen unter General Baraguay d'Hilliers zwangen den Kommandanten, General Bodisco, zur Übergabe. Man zog diese einer spartanischen Aufopferung vor. – Die Befestigungen der Alandsinseln, offenbar von der russischen Politik bestimmt, später ein Zwingpontus der Ostsee zu werden, waren noch im Entstehen begriffen; die Station dieser Inseln aber, wie wir bereits bei einer früheren Gelegenheit bemerkten, galt für die Truppen in Petersburg als der nordische Kaukasus, das heißt, als eine Art Exil. Es muß anerkannt werden, daß die Zerstörung Bomarsunds und die spätere Friedensklausel, welche die Befestigung der Alandsinseln verbietet, die nordeuropäischen Staaten vor einer großen politischen Gefahr oder wenigstens Bevormundung befreien kann.
Am 20. August war eine österreichische Armee in die Walachei eingerückt, Halim-Pascha schon am 8. mit einem türkischen Korps in Bukarest angekommen. Omer-Pascha folgte ihm mit 25 000 Mann am 22., und Fürst Gortschakoff, der nach der Abreise des greisen Fürsten von Warschau wieder allein das Oberkommando führte, räumte zu Ende des Monats vollständig die Moldau.
Durch die Besetzung der Walachei nach dem Abzug der Russen verfolgte das Wiener Kabinett unter all diesen politischen Wirrnissen eine ebenso selbständige als schlaue Politik, die bei dem Streit der drei großen Nationen für die eigenen Interessen so viel wie möglich im Trüben fischte. Am 6. September zogen die Österreicher in Bukarest ein. Österreichs Verlangen an den deutschen Bundestag, ihm auch bei einem weiteren aggressiven Vorgehen den Rücken zu decken und seine Besetzung der Donau-Fürstentümer als eine deutsche Angelegenheit und für Deutschland unternommen zu schützen, scheiterte jedoch an der klaren und redlichen Politik des Königs von Preußen, der sich weigerte, den unterm 20. April geschlossenen Alliancetractat zu einer deutschen Mobilmachung gegen Rußland ausbeuten zu lassen, um von dessen Bedrängnis Zugeständnisse für Österreich zu erzwingen, und der die Fürsten des deutschen Bundes bewog, allen Drohungen der englischen und französischen Presse gegenüber sich seiner strengen Neutralität anzuschließen.
Preußens Ehrlichkeit rettete Rußland – das ist eine Tatsache, die erst die spätere Geschichte würdigen wird. Den Dank – – –
Goldener Sonnenschein lag über dem Pontus, dessen Wogen sich gleich der Brust eines Riesen hoben, bedrückt von einer ungewohnten Last.
Auf dem Hinterdeck der Fregatte »Niger«, nahe dem Steuer, stand ein bleicher Mann, die Hand auf die Wandtaue gestützt, und schaute auf das Gewühl ringsum, das den Spiegel des Meeres bedeckte, auf die flache Küste, die sich von hohen Bergplateaux im Osten und Süden her hier in Steingeröll, in das blaue Meer verlief.
Es war der dreizehnte September, der Jahrestag der Schlacht an der Moskwa; eine Armada, zahlreicher und stolzer als die des spanischen Philipp, bedeckte das Meer; die Küste vor den Augen des Mannes war die Küste von Eupatoria, die Bai von Kalamita, und der Mann mit dem kranken, bleichen Gesicht der englische Baronet Edward Maubridge.
Das Verdeck des »Niger« war dicht gefüllt von Offizieren und Soldaten des 42. englischen Infanterie-Regiments von der Brigade des Generals Campbell. Das Feldgepäck lag an den Seitenwänden hoch aufgetürmt; zwischen den dichten Gruppen der Soldaten bewegte sich oft nur mühsam das Schiffsvolk und nahm sich wenig in Acht, bei Gelegenheit durch einen Tritt oder Stoß seinen Groll an den verachteten Rotjacken und Landratten auszulassen, die sein Deck ungangbar machten. Einzelne Weiber, dieser unvermeidliche Ballast englischer Truppen, befanden sich im Vorderschiff.
Um den kranken Baron drängte und wogte es von Offizieren, die mit Kapitän Warburne über die Mittel ihrer Ausschiffung verhandelten und seinen Porter tranken.
Der Adjutant des Generals, der Befehle wegen der Ausschiffung gebracht und dessen Boot unten an der Falltreppe aus den blauen Wellen schaukelte, trat zu dem Baronet.
»Ich freue mich, Vetter,« sagte er, »Sie so weit wieder hergestellt zu sehen, daß Sie Zeuge unserer ersten Operationen sein können. Wie ich hörte, wurden Sie durch das Messer eines griechischen Banditen in der Nacht des Lazarettbrandes in Varna verwundet?«
»So ist es, Kapitän Waller. Zum Glück glitt der Stoß an den Rippen ab, nur das dazugetretene Fieber hat mich sechs Wochen ans Krankenlager gefesselt. Es ist das erste Mal, daß ich das Verdeck ohne Hilfe betrete, und wahrlich, der Anblick um mich her muß ein englisches Herz beleben.«
Er war in der Tat großartig. Die schwimmende Stadt bedeckte, in drei Linien formiert, soweit das Auge sah, das Meer. Segel an Segel, die wirbelnden Säulen von Rauch, die Flaggensignale, die tausend kreuzenden Boote gewährten ein ewig wechselndes Bild.
»Haben Sie noch einige Augenblicke Zeit, Vetter, so würden Sie mich durch eine kurze Übersicht unserer Operationen verbinden. Bei dem Treiben im Schiff war in den letzten Tagen zu keinem vernünftigen Wort zu kommen.«
»Oberst Lofter schreibt seine Antwort, und das dauert sicher noch eine Viertelstunde, die ich Ihnen sehr gern widme. Ich war zufällig gestern am Bord des ›Agamemnon‹, des Flaggenschiffs des Sir Edward Lyons, und hörte da ausführlich die Dispositionen.«
»Vor allem, wie steht's mit der Gesundheit der Truppen?«
»Im Augenblick ziemlich günstig; es war aber die höchste Zeit, daß wir in Bewegung kamen. Bis Ende Juli waren von Portsmouth, Southampton, London, Marseille und Toulon 80 000 Mann bis Varna gebracht; aber die Cholera und die schlechte Verpflegung hatten uns im August auf 65 000 reduziert. Die unglückliche Expedition nach der Dobrudscha hat die Franzosen allein 6000 Mann gekostet.«
»Ich hörte davon. Sie begann am Tage meiner Verwundung.«
»Der Zug nach der Krim war zum August schon beschlossen, nur war man über die Landungsplätze und die Operationen selbst noch nicht einig. Sie wissen, daß am 5. die Einschiffungen begannen, am 9. trafen wir die ausgegangene französische Flotte an den Schlangeninseln, und das Gros ist seitdem vereint geblieben, 150 Kriegsschiffe, einschließlich 32 Linienschiffe, 15 französische, 10 englische und 7 türkische, und 80 Dampfer, dazu 600 Transportschiffe.«
»Wer hat die letzteren geliefert?«
»Alle Welt, wir haben allein 73 Österreicher darunter.«
»Kennen Sie die Stärke unserer Truppen?«
»Ganz genau. Wir zählen 32 Bataillone, 10 Schwadronen und 24 Geschütze, etwa 26 000 Mann; die Franzosen 38 Bataillone, 4 Sappeur-Kompagnien und 72 Geschütze, dagegen an Kavallerie nur eine halbe Schwadron Spahis, im ganzen 32 000 Mann. Doch ist, wie ich höre, gestern schon ein Dampfboot nach Varna zurückgegangen, mit dem Befehl für den Aufbruch der Reserven. Unsere würdigen Schutzbefohlenen, die Türken, sind 7000 Mann stark. Die Armee führt 5000 Pferde, 80 Belagerungsgeschütze, auf 39 Tage Proviant für 65 000 Mann und 1000 Schuß für jedes Geschütz mit. Wenn Sie bedenken, daß jede dieser 14 bis 16 Batterien mit ihrer Schmiede und ihrer Munition 30 oder 31 Wagen zählt, so ergiebt dies schon an 450 Wagen mit fast 2000 Pferden Bespannung. Rechnen Sie dazu die Wagen mit Ingenieur-Gerätschaften, die Munitionswagen, die Lazarettwagen, das Gepäck und die Kavalleriepferde, so werden Sie sich einen Begriff dieses ungeheuren Transports machen, wie die Welt noch keinen zweiten gesehen.«
»Ich fürchte nur Unglück und Verwirrung.«
»Seien Sie unbesorgt, die Anstalten sind vortrefflich geordnet und, ich muß es gestehen, unsere jetzigen guten Freunde, die Franzosen, Meister in Arrangements. Die Oberbefehlshaber der Flotte, die Admirale Dundas und Hamelin, sorgen nur für die Sicherheit der Ladung. Kriegsschiffe sind daher nach allen Punkten detachiert, von denen eine Störung stattfinden könnte, selbst gegen Odessa. Vor Sebastopol kreuzen seit dem 10. die ›Vengeance‹, die ›Retribution‹ und die ›Fury‹. Jedes Dampfschiff hatte zwei Transportschiffe ins Schlepptau genommen. Sie sehen die drei Linien, welche die Schiffe drei (englische) Meilen lang bilden, links bis zum Kap Baba, rechts nach der Bai von Kalamita hin bis zu den Trümmern jenes alten genuesischen Forts, das Sie über dem tartarischen Dorf auf der Spitze des Hügels erblicken, und das morgen der Mittelpunkt der Landung sein wird. Die Avisoschiffe trafen schon vorgestern auf den Stationen von Kap Baba bis zum Kap Lukull ein, und Lyons, der die Ausschiffung leitet, untersuchte selbst die Küsten. Die erste Linie der Schiffe beherrscht mit ihrem schweren Geschütz das Ufer weithin und führt den größten Teil der Infanterie an Bord. Auf der zweiten befindet sich die Kavallerie, auf der dritten die Artillerie und das Gepäck.«
»Wann wird die Landung beginnen?«
Der Offizier sah nach seiner Uhr.
»Es muß sogleich geschehen, und wenn Sie ein erträgliches Fernrohr haben, werden Sie von hier aus sie vollständig beobachten können. Doch sollen heute nur so viele Truppen ans Land gesetzt werden, um festen Fuß in Eupatoria fassen zu können, das nicht stark besetzt scheint. Die Hauptlandung beginnt morgen weiter südlich und man hofft, jede Stunde 6-7000 Mann landen zu können.«
»Wann wird sich Lord Raglan ausschiffen?«
»Morgen. Er hat das genuesische Fort zu seinem Hauptquartier ausersehen. Marschall St. Arnaud jedoch, der sich dort an Bord der ›Ville de Paris‹ befindet, wird erst am nächsten Tage folgen. Man sagt, er sei nicht ungefährlich krank. Der Herzog von Cambridge ist bei dem Lord; Prinz Napoleon und General Canrobert sind auf dem ›Valery‹ und ›Montebello‹«.
»Wie weit ist die Ausschiffung von Sebastopol entfernt?«
»Sieben französische Meilen in gerader Linie, doch wird der Weg von zahlreichen Wasserläufen durchschnitten.«
»Werden die Russen unserer Landung keinen Widerstand entgegen setzen?«
»An dieser flachen Küste wäre er unmöglich. Die Wahl, die Sir George Brown und Canrobert auf ihrer Rekognoszierung im Juli getroffen, ist vortrefflich. Sehen Sie, Edward, da gehen die Signale vom Flaggenschiff des Admirals in die Höhe, und da kommt auch meine Depesche. Werden Sie mit ans Land gehen, Vetter?«
»Ich werde vorläufig bei Kapitän Warburne bleiben.«
»So leben Sie wohl und beeilen Sie sich mit Ihrer Genesung, um unserem Siege beiwohnen zu können.«
Er sprang ins Boot. Aller Augen und aller Interesse war jetzt von der beginnenden Ausschiffung auf dem linken Flügel in Anspruch genommen.
Man konnte durch das Fernrohr deutlich die Operation verfolgen. Die Ausschiffung des Korps von 10 000 Mann erfolgte zwischen Kap Baba und der kleinen Stadt Eupatoria. Zwei französische, zwei englische Regimenter und 3000 Türken würden in zwei Stunden ans Land gebracht. Die Boote und Fähren lagen längsseits der Schiffe, die ungefähr 1600 Ellen sich vom Ufer befanden, und an deren Bord die Mannschaften in Abteilungen geordnet standen, wie sie mit ungeladenen Gewehren in vollem Marschgepäck die Boote betreten sollten. Sobald ein solches seine Ladung hatte, setzte es sich gegen den Strand in Bewegung bis auf die Entfernung von etwa 50 Ellen, wo die Mannschaften ins flache Wasser traten und nach dem Ufer wateten, auf dem sofort die Aufstellung erfolgte. Die Pferde wurden an den Schiffswinden aus dem Raum gehoben, in See gelassen und dort von den Gurten befreit, um nach dem Ufer zu schwimmen oder zu waten, wo man sie auffing.
Das Ganze – das Vorspiel des nächsten Tages – gewährte ein überaus belebtes Schauspiel. Ein französisches Jäger- und ein englisches Rifle-Bataillon waren die ersten am Lande, Zuaven und Türken folgten. Sobald ein Bataillon festen Fuß gefaßt, wurden Tirailleurs vorgeschickt, aber nirgends zeigte sich ein Feind, bis auf einige vereinzelte Kosaken, die sich in angemessener Entfernung hielten. Man glaubte, daß sich die russische Besatzung in Eupatoria zum energischen Widerstand rüste, und General Yussuf ging mit 4000 Engländern und Türken vor, um die Stadt zu stürmen, als die Plänkler die überraschende Nachricht brachten, daß sie so gut wie verlassen wäre.
Auf die Meldung hiervon wurde beschlossen, nur ein zur Besatzung genügendes Korps, das zugleich sofort die Befestigung der Stadt beginnen sollte, hier zurückzulassen und die weitere Ausschiffung weiter südlich vorzunehmen. Während der Nacht lichteten die Schiffe die Anker und segelten an der Küste vorbei in die Bai von Kalamita. Die »Ville de Paris« legte sich um 7 Uhr morgens dem alten Fort gegenüber und die ganze Flotte in der vorhin bestimmten Ordnung um sie her. Um 8 Uhr gab der französische Admiral das Signal zur Ausschiffung, um halb 9 Uhr wehte die erste französische Flagge am Ufer; General Canrobert und der Kontre-Admiral Bouet-Villaumet pflanzten auf der Küste die drei Flaggen auf, welche die Ausschiffungspunkte für die drei Divisionen bezeichneten. Eine halbe Stunde darauf war die ganze erste Division gelandet; die Feldartillerie wurde dabei in Barken ausgeschifft. Um Mittag war die ganze französische Armee mit 20 Feldgeschützen am Ufer, am Nachmittag wurden Pferde, Kanonen und Gepäck ans Land gebracht. Sobald die Kolonnen sich formiert hatten, schickten sie Tirailleurs voran und debouchierten das Ufer hinauf.
Die Engländer begannen ihre Ausschiffung um 9¾ Uhr und setzten sie mit Bequemlichkeit fort, so daß am Abend erst die Infanterie gelandet war.
Es war der Jahrestag des Einzuges in Moskau. Wie am Tage vorher, ließ sich kein Feind sehen, um die Landung zu verhindern. Nur ein einzelner Offizier, von einigen Kosaken gefolgt, hielt ruhig und beobachtend am Strande, schien sich ausführliche Notizen zu machen und zog sich erst zurück, als die ersten Truppen landeten. Auch da sah man ihn noch mit großer Kühnheit und Ruhe in der Entfernung etwa eines Minié-Schusses verweilen und seine Beobachtungen fortsetzen. Da man noch keine Kavallerie am Ufer hatte, wurde kein Versuch zu seiner Gefangennahme gemacht.
Wir haben erwähnt, daß die Engländer ihre Landung erst begannen, nachdem bereits ein Teil der französischen Infanterie ausgeschifft war. Einer der ersten am Ufer war General Brown, und er begann sofort, mit seiner gewöhnlichen Furchtlosigkeit und Gleichgültigkeit gegen Gefahr, die Schlucht hinauf zu steigen, die den Bach ins Meer führte, und die in verschiedenen Windungen in das sich nach und nach hebende Land auslief.
In seiner Begleitung befand sich allein der General-Quartiermeister Airey, und beide waren so eifrig in ihrem Gespräch, daß sie nicht bemerkten, wie weit hinaus sie die Linie der Vorposten überschritten.
Die Flanke der französischen Vorposten nahm an dem Klippenhügel, auf dessen Höhe die Ruinen des genuesischen Kastells sich befanden, zunächst der englischen Ausschiffung, das dritte Zuaven-Regiment ein. Die Mannschaften hatten ihre Gewehre zusammengestellt, jedoch die Ordre, beisammen zu bleiben. Plänkler waren durch die Ebene zerstreut und drangen langsam vor.
Auf der halben Höhe des Hügels, der mit Offiziergruppen jeder Waffengattung besetzt war, stand der Stab des Regiments um Oberst Polkes versammelt, teils über die Ausschiffung und die nächsten Schritte der Armee verhandelnd, teils dem Landen der Engländer zuschauend; unter ihnen der Leutnant-Colonel Vicomte de Méricourt.
»Haben Sie über die Operationen Näheres gehört, Labrousse?«
Der Kommandant des ersten Bataillons zuckte die Achseln.
»Ihr Freund Sazé wird Besseres wissen. Ich sehe ihn dort den Hügel heraufkommen.«
Der Ordonnanz-Offizier des Prinzen benutzte in der Tat einen freien Augenblick, um den Freund aufzusuchen, da nur wenig Pferde erst gelandet waren und er daher keinen Dienst tat.
»So viel ich gehört,« sagte er auf die nach der Begrüßung wiederholte Frage, »liegen zwei verschiedene Systeme vor. Nach dem ersten soll die Armee nach der Landung eine Schwenkung nach links machen, nach der Landenge von Perekop marschieren, den Russen eine Schlacht liefern und dann, gegen die anrückenden Hilfskräfte gesichert, die Belagerung von Sebastopol vornehmen. Nach dem zweiten sollen wir uns rechts wenden, unverzüglich auf Sebastopol losrücken und es durch einen raschen Angriff nehmen, ehe Ersatz und Hilfe herbeizukommen vermag.«
»Was werden wir tun?«
»Das wird in dem Kriegsrat beschlossen werden, der nach der Landung der Engländer beim Marschall stattfindet.«
»Sehen Sie da, meine Herren,« sagte ein großer, hagerer Offizier mit spanischem Gesichtsschnitt, »der Russe hat wahrhaftig den Teufel im Leibe. Ich glaube, er hat es auf den englischen General abgesehen.«
»Wo? – was gibt's?«
»Seit einer Stunde schon,« antwortete der Kapitän, »beobachtet der Offizier dort, nebst seinen sieben Kosaken, der einzige Russe, der sich bis jetzt hat blicken lassen, unsere Ausschiffung. Da drüben den Hohlweg hinauf stiegen vor zehn Minuten zwei englische Generäle; die Klippen verhinderten sie, die Nähe der Feinde zu bemerken, und sie können leicht hier vor unseren Augen niedergeschossen werden. Sehen Sie – der Russe hat sie bemerkt, und trifft seine Anstalten. Er scheint ein noch sehr junger Offizier, das Gegenstück zu dem Fratzengesicht an seiner Seite, – ich kann seine Mienen deutlich erkennen.«
»Erlauben Sie mir einen Augenblick Ihr Glas, Kapitän de Lara.«
»Mit Vergnügen.«
Der Spanier reichte dem Vicomte das kurze Feldperspektiv; deutlich, mit bloßen Augen, konnten alle der Szene folgen. Man sah, wie der Kosak neben dem Offizier mit der Lanze nach der Schlucht wies, in der man die Federhüte der beiden Generäle von Zeit zu Zeit zwischen dem Gestein sich nähernd erblickte, wie dann die Russen von den Pferden stiegen, die einer hinter die vorspringenden Felsen führte, und wie sie zwischen diesen sich verbargen. Nur der junge Offizier blieb den Augen in seiner beobachtenden Stellung noch sichtbar.
Plötzlich preßte die Hand des Vicomte fest den Arm seines Freundes.
»Nehmen Sie das Glas, Sazé – blicken Sie hin – erkennen Sie ihn?«
»Die Cholera soll mich holen, wenn das nicht der Fürst ist. Die Ähnlichkeit ist übrigens merkwürdig – eben kam ich an dem Biwak Ihrer kleinen Marketenderin vorbei und betrachtete mir das blasse Gesicht ihres verrückten Gehilfen.«
Die Gefahr der englischen Oberoffiziere schien übrigens auch von vielen anderen Gruppen bemerkt worden zu sein, als von der Gruppe der Zuaven-Offiziere. Ein Adjutant des Generals d'Autemarre flog den Hügel hinunter, und einige Augenblicke darauf hörte man die Hornsignale des Bataillons der afrikanischen Jäger, das am weitesten voran stand, wie sie die Tirailleurs zum Avancieren kommandierten.
Während die Bewegung ausgeführt wurde, sah man die beiden britischen Generale auf dem Plateau erscheinen, plötzlich Halt machen und dann in vollem Lauf zurückfliehen. Zugleich knallten mehrere Flintenschüsse, und der Rauch kräuselte sich über die Felsstücke her.
Mit atemloser Spannung hing jedes Auge an dem Punkt, um die Lösung der kleinen Szene zu erkunden. Dann sah man aus dem Schutz der Steinwände den russischen Offizier mit seinen sieben Kosaken hervorjagen und quer über die Ebene auf der Straße nach Sebastopol zu an der Kette der französischen Plänkler hinsprengend, die erfolglos den kecken Reitern mehrere Schüsse nachsandten.
»Wahrhaftig! der Bursche verdient, zu entkommen! Sehen Sie, wie er auf unsere Kugeln höflich salutiert und da löst sich das Rätsel!«
Aus der Schlucht kamen verfolgend etwa ein Dutzend britische Infanteristen hervor, die unbeachtet den Generalen nachgegangen und im glücklichen Augenblick zur Stelle gekommen waren, um mit ihrem Feuer die Kosaken zurückzujagen. Einer der letzteren – Olis, der Enkel des alten Häuptlings – wurde leicht ins Bein getroffen, – das war das erste Blut, das auf dem Boden der Krim vergossen ward. Ströme sollten bald folgen!
Die Franzosen hatten am Nachmittag ihre sämtlichen Pferde und ihre Bagage ans Land gebracht, die Engländer aber gefeiert. Dieser Verzug rächte sich alsbald, denn schon am Abend änderte sich plötzlich die Witterung und von Mitternacht bis zum Morgen wüteten Windstöße und heftige Regengüsse. Die englische Armee mußte diesen Vorgeschmack des Kommenden unter freiem Himmel, ohne Obdach, ohne Zelte genießen. Die an hundert Bequemlichkeiten gewöhnten alten Generäle und Lords und die jungen Offiziere lagen im Platzregen am Ufer in durchweichten Decken, statt der Kopfkissen Salzwasserpfützen, ohne Feuer, ohne Grog, ohne Aussicht auf ein warmes Frühstück, auf einen wohltätigen Kleiderwechsel. Und rings umher zwanzigtausend pudelnasse Burschen, die sich in ihren Schiffsräumen von der Bescheerung nichts hatten träumen lassen. Sir George Brown kampierte die Nacht unter einem umgestürzten Karren; der Herzog von Cambridge hatte einen ähnlichen Schlafsalon, denn die Franzosen hatten alle Räume des kleinen Dorfes und der Ruine in Beschlag genommen. Die Verzögerung rächte sich aber noch bitterer, indem das Wetter am 15. und 16 fortdauerte, und mit der Brandung der Wellen am Ufer die Ausschiffung der Pferde und Artillerie sehr erschwerte. Viele schöne Pferde gingen dabei verloren. Das nasse Biwak übte seinen Einfluß auch auf den Gesundheitszustand aus, und einzelne Cholerafälle begannen sich wieder zu zeigen.
Der Kriegsrat am 15. hatte sich für den direkten Marsch nach Sebastopol, dessen Nordbefestigungen man im Sturm zu erobern hoffte, entschieden. Vier Tage waren jedoch infolge Zauderns der Engländer nötig, um die übrige Artillerie, die Pferde, das Gepäck, die Proviantvorräte an das Ufer zu schaffen, und um Vorbereitungen zu dem Marsch zu treffen. Diese Zeit wurde zugleich benutzt, um aus Eupatoria eine feste Stellung zu machen, in deren Schutz man nötigenfalls die Wiedereinschiffung bewirken konnte.
Dann setzte sich das Gros der Armee gegen den Almafluß in Bewegung, auf dessen Höhen, wie die tatarischen Spione meldeten, Fürst Menschikoff seine Stellung genommen.
Die Armee rückte langsam und vorsichtig vor – die Flotten begleiteten sie zur Seite.
Der General-Gouverneur von Taurien, Marineminister Fürst Menschikoff, gebot in jenem Augenblick in der Krim, außer der Flotte von Sebastopol und geringen Garnisonen in Kertsch, Baktschiserai und Perekop, nur über eine disponible Armee von 42 Bataillonen, 16 Schwadronen, 11 Sotnien (Abteilungen von hundert Mann) Kosaken, 72 Fuß- und 24 reitenden Geschützen, im ganzen etwa 35 000 Mann. Es wäre ein schwieriges, ja unmögliches Unternehmen gewesen, mit diesen geringen Kräften eine ausgedehnte Küste gegen die Landung einer so übermächtigen Armee und Flotte verteidigen zu wollen oder gar die Offensive zu ergreifen. Der Fürst beschloß daher, zur Verteidigung Sebastopols, an der ersten Wasserscheide des Weges, an dem Flüßchen Alma, auf den vorteilhaft gelegenen Höhen eine Defensivstellung zu nehmen, den Rückzug nach Sebastopol und zur Rechten nach den Höhen von Baktschiserai auf diese Weise sich sichernd.
Es ist ein unaufgeklärtes Rätsel geblieben, warum man, nach den langen Vorbereitungen der Alliierten für die Krim-Expedition, die sich von Anfang August nach der Rückkehr des französischen Korps aus der Dobrudscha nochmals bis zum September verzögerte, die Krim nicht stärker besetzt hatte, als mit einer Anzahl, die in keiner Weise dem Feinde die Spitze bieten konnte.
Man muß als Erklärung folgendes annehmen. In Petersburg herrschte zunächst der Glaube, daß, wenn ein Angriff auf Sebastopol versucht würde, dieser von der Südseite aus erfolgen werde. Hier kannte man die Stärke der Festung und wußte, daß sie wie Kronstadt den vereinigten Flotten Trotz bieten könne.
Einen Landangriff erwartete man höchstens in Bessarabien.
Außerdem hielt der Kaiser den Zustand der Kommunikationsmittel für derartig, daß leicht bedeutende Truppenmassen rasch nach der Krim geworfen werden könnten; er hielt, nachdem er seit drei Jahren nicht in Sebastopol gewesen war, die Landbefestigungen der Stadt, für die gleichfalls ungeheure Summen verwendet worden, für so stark, daß sie eine Belagerung aushalten könnten; er glaubte die Festung für ein halbes Jahr vollständig verproviantiert.
Dieser Glaube des Kaisers täuschte ihn; all' seine Strenge hatte das Trugsystem der russischen Beamten und Lieferanten nur vorsichtiger zu machen, nicht aber zu unterdrücken vermocht.
Hierzu kam, daß in diesem Augenblick die russischen Behörden in den Heerlagern der Feinde schlecht bedient waren.
In Konstantinopel war, wie wir früher gemeldet, der Hauptagent für die russischen Interessen, Baron Oelsner, entdeckt und unschädlich gemacht worden, nachdem der Sieg der Partei des Seraskiers seine Beschützer verdrängt hatte. Ein italienischer Arzt, Aska, den der Baron gewinnen wollte, verriet ihn. Baron Oelsner, der, um die türkische Polizei zu täuschen, deren eigenen Agenten spielte und dafür ein Gehalt von 1000 Piastern monatlich bezog, hatte den Plan eines allgemeinen Aufstandes der Christen und einer Massacre der Moslems in einer bestimmten Nacht entworfen. Den militärischen Teil des Aufstandes sollte der Engländer Planta, genannt Harrison, leiten, ein Mann, der im Norden Deutschlands eine seltsame und rätselhafte Rolle gespielt hat. Ein griechischer Schiffskapitän, Konstantin, ein Verwandter des griechischen Gesandten Metaxa, hatte es übernommen, vierzig andere Schiffskapitäne für die Sache zu gewinnen, auf ihren Schiffen Waffen und Munition nach Konstantinopel zu bringen, und mit sämtlichen Matrosen der vierzig Schiffe bei dem Aufstande Hilfe zu leisten. Oelsner stand durch Vermittelung des russischen Obersten Bodinianoff in Verbindung mit dem Fürsten Gortschakoff und dem Grafen Orloff, dem Freund und Günstling des Kaisers.
Wir haben gesehen, wie der Ausbruch dieser Pläne durch die Gegenwirkung der alttürkischen Partei scheiterte; durch den Verrat des italienischen Arztes wurden die Umtriebe des Barons entdeckt und er im Serail gefangen gesetzt. Aber der Schutz mächtiger Freunde sicherte sein Leben.
Ebenso haben wir gezeigt, wie der Hauptagent des Barons und der russischen Interessen in Varna, im Heerlager der Verbündeten, Gregor Caraiskakis, durch die Verkettung der Umstände aus Varna vertrieben wurde. Die Nachrichten, die seitdem das russische Gouvernement erhalten, waren schwankend und unsicher, und der trotzige, starre Sinn des General-Gouverneurs von Taurien hatte die durch Nicolas Grivas ihm überbrachte Warnung unbeachtet gelassen. – –
Daher kam es, daß 65 000 Mann ohne Kanonenschuß, ohne Schwertschlag an der Küste der Krim landen konnten, daß 65 000 Mann, von einer mächtigen Flotte flankiert, an den Höhen der Alma jetzt 35 000 Russen gegenüberstanden.
Das einzige, was die Russen bei dem Nahen der alliierten Flotte getan, war die Räumung der Gegend zwischen Eupatoria, Baktschiserai und Sebastopol von allen Hilfsmitteln, und die Alliierten fanden nicht nur wenig frischen Proviant, den ihnen einige muhamedanische Tataren der Bevölkerung zuschleppten, sondern sie litten auch großen Wassermangel.
Am 19. begann das Vorrücken der Verbündeten, die Engländer auf dem linken, die Franzosen auf dem rechten Flügel, die Türken in der Reserve. Die Kavallerie des Lords Cardigan drängte die Vorposten der russischen Stellung zurück, und es entstand ein kurzes Plänklergefecht, worauf die Verbündeten Halt machten und an dem kleinen Flüßchen Bulganak, sieben Werst Eine deutsche Meile. von der Alma entfernt, für die Nacht biwakierten.
An einem Biwakfeuer der englischen Linie saßen gegen 11 Uhr nachts noch mehrere Offiziere der schottischen Garde-Füsiliere und von Coldstream, im Gespräch über die Vorbereitungen zur Schlacht, die Rückkehr ihres Führers von dem großen Kriegsrat erwartend, der in dem Hauptquartier des Marschalls, einem tatarischen Hof gehalten wurde. Andere lagen, in ihre Mäntel gehüllt, am Boden und schliefen – vielleicht den letzten Schlaf.
Am Biwak entlang, im Nachtnebel, kam eine Reitergruppe.
»Da sind die Schotten, Herr Kamerad,« hörte man eine tiefe Stimme sagen; »der Kapitän muß dabei sein, Mac-Griffin wird Sie führen. Gute Nacht; auf glückliches Wiedersehen morgen auf jenen Höhen dort!«
Die Offiziere waren aufgesprungen, sie hatten die Stimme ihres Befehlshabers, Lord Bentik, erkannt und salutierten, während er vorüber ritt. Drei Offiziere, die sich von der Begleitung des Generals getrennt, kamen näher; zwei Franzosen waren darunter.
»Befindet sich Kapitän Morton von den Füsilieren bei Ihnen, meine Herren?« fragte der Adjutant.
»Ah, Sie sind's, Griffin! Willkommen; da werden wir hoffentlich Neuigkeiten hören.«
»Da liegt der Kapitän schon seit einer Stunde und schläft, wie es scheint, ziemlich unruhig.«
»Goddam! wie kann man so faul sein, wenn ein Dejeuner von Kanonenkugeln und kaltem Stahl uns erwartet. Der Angriff auf die Russen ist beschlossen, ich bringe bereits die Dispositionen für die Garde. Aber wecken Sie den Kapitän, hier sind zwei französische Bekannte von ihm, die ihn zu sprechen wünschen.«
Die beiden Fremden waren zu Fuß und grüßten höflich die Gesellschaft; es waren der Vicomte und der deutsche Arzt. Aber es war nicht nötig, Kapitän Morton zu wecken, denn plötzlich fuhr er, der etwas abseits lag, aus dem Schlafe empor, sprang auf und schlug mit dem Degen, den er im Arm gehabt, heftig in die Luft.
Die Offiziere umher brachen in ein lautes Gelächter aus.
»Sie träumen, Kapitän, wir fechten erst morgen gegen die Russen!«
Der eine schüttelte ihn am Arm; der Schein des Feuers beleuchtete das blasse Gesicht des Briten, der mit wirren, offenbar noch von den Phantasieen des Traumes erregten Blicken vor sich hinstarrte.
»Wo ist der Hellblaue hin? Ich – ich sah ihn deutlich, wie er das Pistol hinter mir hob – –«
»Sie haben geträumt, Kapitän, und sind hier unter lauter ehrlichen Rotjacken, bis auf die beiden Herren da, die Sie zu besuchen kommen. Selbst unsere Feinde tragen grüne Uniformen.«
Der Offizier fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, wie um seiner Sinne wieder vollständig Herr zu werden.
»Es schüttelte mich auf aus dem Schlaf – ich sah ihn so deutlich vor mir, daß es kaum möglich ist, daß ich geträumt. – Ah! Sie, Vicomte und Sie, mein alter Freund! Willkommen im Leben, das Sie für alle Leiden und Gefahren, die Sie bestanden, entschädigen möge.«
»Ich komme,« sagte der Arzt, »da mich bis jetzt immer Amt und Entfernung hinderten, Sie aufzusuchen, um Ihnen am Vorabend eines Tages, der uns leicht für immer trennen kann, meinen Dank zu sagen für die freundliche Teilnahme und Hilfe, die Sie, wie ich erfahren, meinem Schicksal gewidmet haben.«
Der Kapitän reichte ihm beide Hände.
»Ich war gewissermaßen schuld an Ihrer Verurteilung und hätte es mir nie vergeben können, wenn jenes schmähliche Urteil vollzogen worden wäre, von dessen Unrecht ich von Anfang an überzeugt war.«
»Der Prozeß unseres Freundes,« fügte der Colonel hinzu, »ist auf Betreiben des Generals Espinasse revidiert, und er ist völlig frei gesprochen worden. Sein Hauptankläger weigerte sich, nochmals gegen ihn aufzutreten.«
»Ich danke das eben Ihrer freundlichen Bemühung, Vicomte,« sagte der Arzt, »so gut wie die Bestätigung meiner Anstellung in Ihrem Regiment durch den Marschall.«
Im Kreise der Offiziere wurde zugleich der Name genannt. Der Adjutant erzählte, daß der Oberkommandant alle Vorbereitungen zum Kampfe seinem Generalstabe habe überlassen müssen. Lord Raglan und General Martimprey hätten in Gegenwart des Marschalls die Gefechtsdispositionen entworfen, wobei derselbe kaum im Stande war, durch Zeichen an der Beratung Teil zu nehmen.
»Im Kriegsrat,« fuhr er fort, »ist beschlossen worden, durch einen gleichzeitigen Frontalangriff beide Flanken des Feindes zu umgehen. Die Franzosen werden gegen den linken Flügel, wir gegen den rechten operieren. Unsere Truppen werden in doppelten, an einander stoßenden Kolonnen vorgehen, die aus zwei Divisionen bestehende Front wird von Tirailleurs und reitender Artillerie gedeckt. Die zweite Division unter Lacy Evans bildet, wo wir jetzt lagern, unsern rechten Flügel und schließt sich an die Division Napoleons. Sir George Brown nimmt den linken Flügel, Evans stützt sich auf Sir Richard England, Brown auf die Division des Herzogs von Cambridge, und Sie werden morgen mit Tagesanbruch in diese Stellung rücken, meine Herren. Cathcart und die Kavallerie unter General-Major Graf Lucan bleiben in der Reserve, um Sie gegen die feindlichen Reiter zu decken. Das sind die Dispositionen, und nun – gute Nacht, Gentlemen.«
Ferne Schüsse unterbrachen das Gespräch.
»Ich glaube, unsere Vorposten werden handgemein.«
Man vernahm nichts weiter – erst am anderen Morgen verbreitete sich die Nachricht, daß der französische Oberst-Leutnant de la Gondi bei der Rückkehr vom Herzog von Cambridge zum Prinzen im Nebel in die Hände der Kosaken gefallen war.
»Auch wir müssen scheiden,« sagte der Vicomte, »denn einige Stunden Ruhe werden uns nötig sein für die morgen bevorstehende Anstrengung. Leben Sie wohl, Kapitän; ich hoffe, Sie besuchen uns morgen Abend auf den erstürmten Höhen.«
Sir Morton hatte sie einige Schritte begleitet.
»Ich danke Ihnen für Ihren Wunsch, Kamerad,« sagte er ruhig und gefaßt, »indeß lassen Sie mich Ihnen Lebewohl sagen, beiden, für immer! Ich werde den morgenden Abend nicht sehen.«
»Was machen Sie sich für Gedanken, Kapitän! Niemand weiß den Fall der blutigen Würfel einer Schlacht, aber der Soldat darf sich nicht damit den Mut schmälern, sondern muß kühn auf Glück und Sieg vertrauen.«
»Mein Mut, Vicomte,« sagte der Engländer ruhig, »wird hoffentlich über jeden Zweifel erhaben sein. Doch, Freund, ich stamme aus dem Hochland, und Sie werden vielleicht gehört haben, daß in einigen unserer alten Familien die Gabe des zweiten Gesichtes den Mitgliedern eigen ist.«
»Ich habe davon gehört.«
»Vielleicht erinnern Sie sich, Doktor, was ich Ihnen von dem Ende meines Vaters erzählte.«
Der Arzt nickte – er gedachte der Vorbedeutung, die er vor kaum einem Jahre dem Italiener Pisani im Peragarten zu Konstantinopel mitteilte.
»Wohl – vor einer Stunde ist auch mir die Kunde meines Todes geworden. Der Blaue wird mich erschießen.«
»Sie haben lebhaft geträumt, Kapitän. Selbst die Farbe kann Sie beruhigen; unsere Gegner tragen bekanntlich grüne Uniform.«
Sir Morton schüttelte mit schmerzlich ernstem Lächeln das Haupt.
»Ich täusche mich nicht und kann meinem Schicksal nicht entgehen. Doch das ist Soldatenlos. Leben Sie wohl, meine Freunde, und gedenken Sie meiner!«
Er reichte beiden die Hand und verließ sie eilig. Sie kehrten zu ihrer Division zurück, die am Meeresufer biwakierte.
Der anbrechende Morgen zeigte einen heitern, klaren Himmel; sonnig und hell lag er über Berg, Tal und See.
Die verbündeten Truppen verließen um 6 Uhr ihre während der Nacht inne gehabte Stellung und begannen den Angriff, während die Engländer mit ihrem gewöhnlichen Phlegma erst im Aufmarsch begriffen waren. Sämtliche Dampfboote hatten sich dem Vorgebirge Lukull genähert und machten sich fertig, das Feuer zu eröffnen.
Die Position, welche der Fürst Menschikoff gewählt, lag auf dem linken Ufer der Alma etwa 12 Werst von der Nordseite Sebastopols entfernt. Die Höhen treten dort hart an den Fluß heran und erheben sich über ihm mehr als 100 Fuß. Bei dem im Grunde gelegenen tartarischen Dorfe Burlik führte eine hölzerne Brücke über den Fluß, die einzige auf der ganzen Länge desselben. Zwar konnte er an mehreren Stellen, mittelst Furten, von allen Truppengattungen leicht überschritten werden, doch ist das Flußtal durch die Abhänge und Weinberge so beengt, daß man bei einem solchen Unternehmen offenbar mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
Obschon diese verteidigende Stellung durch die günstig gelegenen Höhen manchen Vorteil gewährte, hatte sie doch auch in taktischer Beziehung ihre besonderen Nachteile. Vorerst war die Position zu ausgedehnt, um hinreichend von der geringen Anzahl der russischen Truppen besetzt werden zu können, und weiter konnte sich der linke Flügel nicht auf das Meer stützen, da er hier unter dem Kreuzfeuer der alliierten Flotte gestanden hätte.
Der Fürst hatte daher den linken Flügel 2 Werst vom Meer entfernt aufstellen müssen. Hier standen in Kompagnie-Kolonnen formiert die 5 Reserve-Bataillone des Bialystok'schen und Tarutinskischen Jäger-Regiments mit der leichten Batterie Nr. 4 des 17. Artillerie-Regiments. Die Reserve des Flügels bildete auf einer rückwärts gelegenen Höhe das Moskau'sche Infanterie-Regiment und das 2. Bataillon des Minsk'schen.
Im Zentrum standen die leichten Batterien 1 und 2 der 16. Artillerie-Brigade links von der Straße von Eupatoria, hinter ihnen das Borodin'sche Jäger-Regiment; rechts von der Straße die Batterie Nummer 1 in vorteilhafter Stellung, dahinter das Jäger-Regiment Großfürst Nikolajewitsch und das Wladimir'sche Infanterie-Regiment.
Den rechten Flügel bildete das Susdali'sche Infanterie-Regiment mit 3 leichten Batterien, weiter rückwärts das Uglitz'sche Jäger-Regiment mit 2 Batterien. Die Haupt-Reserve stand an der Straße, aus dem Wolinski'schen und 3 Bataillonen des Minsk'schen Regiments mit einer leichten Batterie gebildet.
Rechts davon hielt die Husaren-Brigade der 6. leichten Kavallerie-Division mit einer leichten reitenden Batterie. Elf Sotnien Kosaken befanden sich auf dem rechten Alma-Ufer, das 6. Schützen-Bataillon und das kombinierte halbe See-Bataillon hielten die Weinberge und die Gärten der tartarischen Dörfer Burlik und Alma-Tamak besetzt; die Sappeur-Kompagnien standen an der Brücke.
Der Marschall St. Arnaud war, trotz seiner Krankheit, am Morgen des Schlachttages zu Pferde gestiegen und hielt 13 Stunden im Sattel aus.
Von dem rechten Flügel der Verbündeten drang die Division Bosquet auf dem beschwerlichen Uferweg vor. Die Divisionen Canrobert und Prinz Napoleon rückten mit ihrer Artillerie gegen das Dorf Alma-Tamak; ihnen folgte als Reserve die 4. Division unter Forey, die Artillerie-Reserve unter Roujoux und die türkischen Truppen. Eine dichte Plänklerkette aus Zuaven, den Jägern von Vincennes und algerischen Schützen ging der Schlachtlinie voraus.
Erst um 10½ Uhr morgens begannen auch die Engländer das allgemeine Vorrücken. Die Division Evans, von einer mit Schutzbüchsen bewaffneten Schützenlinie gedeckt, marschierte gegen das Dorf Burlik; ihr zur Linken die leichte Division Brown. Die Division Cathcart, und die Kavallerie-Brigade des Lord Cardigan folgten dem linken Flügel als Reserve.
Es war gegen Mittag, als sich an den Höhen am Meere ein lebhaftes Gefecht zu entfalten begann, indem die Franzosen die Position zu stürmen suchten. Zugleich begann die Flotte ihr Feuer, und wider Erwarten der Russen erreichten die Kugeln aus den schweren Geschützen ihre Truppen.
Unterm Schutz dieses Feuers überschritt die Brigade d'Autemarre, das 3. Zuaven-Regiment an ihrer Spitze, die Alma nahe ihrer Mündung und warf sich in die Schluchten, die steil von der Höhe abfallen.
Das erste Bataillon unter Kommandant Labrousse versuchte, die Höhen zu erklimmen – das Feuer der vier russischen Bataillone warf es zurück.
Oberst de Bonnet ritt an das zweite Bataillon heran:
»Leutnant-Colonel Méricourt, Sie haben da Gelegenheit, das Patent des Kaisers einzuweihen und zu zeigen, was die Herren von der Garde können.«
Der Vicomte salutierte stumm. Dann wandte er sich zu den Reihen seiner Tapferen, die unaufhaltsam im Sturmschritt vorgingen.
»Die freiwilligen Kletterer!«
Zwölf Mann sprangen vor – zwei davon große Katzen im linken Arm, in dem zugleich das leichte Gewehr ruhte; François Bourdon, das Mitglied der Marianne, unter ihnen.
Der Führer zeigte mit der Säbelspitze nach oben; die steile, schroff abfallende Wand schien unerklimmbar. Einige Augenblicke standen die kühnen Wüstenkrieger und starrten die 100 Fuß hohe Felswand an, während die Kugeln der Russen in das Regiment schlugen. Ein bärtiger Korporal wandte sich zu dem jungen Pariser:
»Einen Kuß von Deiner hübschen Schwester, wenn ich Dir den Weg zeige?«
»Sapristi! Sie wird mich auslösen! Zeige Deine Kunst!«
Der Korporal streichelte im Kugelregen seine Katze:
»Madame Minette, Sie werden mich nicht um einen Kuß von Mademoiselle Bourdon bringen. En avant, meine Teure!«
Er warf sie gegen die Bergwand; einen Augenblick besah sich die Katze die Wand und versuchte hinauf zu klettern, dann rannte sie an dem Abhang entlang nach dem Meere zu. Ein heiteres Gelächter der ganzen Reihe und verschiedene ermunternde Zurufe begrüßten sie. Dann liefen in geübten Sprüngen die zwölf Vorkletterer ihr nach und verschwanden um eine Felswand. Gleich darauf erschien die Gestalt des jungen Parisers am Vorsprung und schwang den Fez.
»Sie haben den Weg!« rief Kapitän Parguez.
»Vorwärts, meine Braven!« kommandierte der Oberst. » Lalanne, nehmen Sie die Spitze. Vorsicht, meine Herren; Ruhe!«
Er war vom Pferde gesprungen, das Bataillon bereits an der Felswand, die nach der See abfiel. Einige tiefe Gerinne, die das Regenwasser seit Jahrhunderten hinein gerissen, gingen bis zum Plateau. Das war der Weg, den die Katze genommen. Auf der Hälfte der Höhe sah man bereits die zwölf Zuaven klettern – einen Augenblick nachher war die ganze Felswand mit dem roten Fez, den blauen Jacken der kühnen Männer bedeckt.
Das erste Bataillon hatte sich wieder gesammelt; das dritte versuchte eben den Aufgang, als sein Kommandant fiel.
»Kapitän de Lara, nehmen Sie das Kommando! Vorwärts!« befahl der General d'Autemarre.
Wie die Katzen selbst kletterte die tolle Schar an der Felswand hinauf, jeden Strauch, jeden Spalt benutzend, oft einer auf den Schultern des andern.
Erst das » Vive l'Empereur!«, das von der Meeresseite herdonnerte, belehrte die Russen, daß der unersteigbare Wall erstiegen, das Unmögliche möglich geworden war.
Die Brigade Bouat sollte die Zuaven und afrikanischen Jäger d'Autemarres unterstützen; aber sie konnte das Terrain nicht so rasch überwinden und verlor ihre Verbindung. Das dritte Zuaven- und das fünfzigste Linien-Regiment und das Bataillon der afrikanischen Jäger, welche die Höhe gewonnen, waren jetzt abgeschnitten und in schlimmer Gefahr, denn das Moskauische Regiment und zwei leichte Batterien eilten der linken Flanke der russischen Stellung zu Hilfe, und die Geschütze nahmen, trotz des heftigen Feuers der Schiffe, Stellung am Rand des Plateaus und eröffneten ihr Feuer gegen die Franzosen, während der Stoß der Infanterie-Kolonnen sie in den Abgrund zu stürzen suchte.
Der Marschall sah die Gefahr der linken Angriffs-Kolonne und sandte die Brigade Lourmel zur Unterstützung nach. Zugleich brachten die Adjutanten dem Prinzen und Canrobert den Befehl, das Dorf Alma-Tamak und die anschließenden Höhen nach dem Meere hin zu nehmen. Die Brigade d'Aurelle rückte zur Unterstützung Canroberts heran, der die Anhöhen bereits zu ersteigen begann, und die Artillerie-Reserve Roujoux eröffnete ihr Feuer.
Das schaffte den Verwegenen auf dem Plateau Luft, denn das Tarutinski'sche Regiment und die Reserve-Bataillone der Bialystok'schen und Brest'schen Infanterie mußten sich gegen den Frontalangriff wenden. Vier starke französische Divisionen, unterstützt von siebenzig Geschützen, kämpften jetzt gegen den linken russischen Flügel. Dennoch wichen die Tapferen nur Schritt um Schritt. Drei Bataillone des Minsk'schen Regiments, das Husaren-Regiment Großherzog Sachsen-Weimar und drei Batterien eilten ihnen zu Hilfe, doch vergeblich; jeder Fußbreit wurde mit dem Bajonett verteidigt – vergeblich! Die Übermacht drückte die Tapferen zurück, und die Bomben der See-Artillerie fielen Verderben sprühend mitten in ihre Haufen. Oberst Prichodyn, der Kommandant des Minsk'schen, General-Major Kurtianoff, der Führer des Moskau'schen Regiments, sanken zur Erde; fast sämtliche Bataillons- und Kompagnie-Kommandanten beider Regimenter wurden in diesem wütenden Kampfe verwundet.
Auf der Höhe an der Straße von Eupatoria hielt der Fürst mit seinem Generalstabe, die Schlacht beobachtend. Das finstere, trotzige Gesicht blieb den Engländern zugewandt, die er persönlich haßte, und deren Intriguen er seine Mißerfolge in Konstantinopel zuschrieb. Das Dorf Burliuk, von den Russen angezündet, stand in vollen Flammen, und der breite Flammengürtel verhinderte die Briten am geraden Vordringen. Zwei Regimenter der Brigade Adams forcierten eine Furt zur rechten Seite, während General-Major Pennefather mit dem 30., 55., 95. und 45. Regiment links das Dorf umging, von dem Feuer der russischen Schützen, des See- und Sappeur-Bataillons empfangen. Das Kartätschenfeuer der englischen Artillerie warf die russischen Schützen aus dem Dorfe und den Weingärten und zurück auf das linke Almaufer. Jetzt sandte der Fürst den Befehl zum Abbruch der Brücke. Die Stabs-Kapitäne Ananisch und Janizin führten ihn unter dem heftigsten Kugelregen in 32 Minuten aus.
Während so die Division Evans das Zentrum stürmte, warf sich die leichte Division General Browns auf den rechten russischen Flügel. General Codrington suchte eine Redoute zu nehmen und wurde zurückgeworfen. Das 7., 23. und 33. britische Infanterie-Regiment verloren fast die Hälfte ihrer Leute; General Buller mit der zweiten Brigade rückte zur Unterstützung an, aber ohne Erfolg; da sendet Lord Raglan die Division des Herzogs von Cambridge, und sie überschreiten den Fluß. Die Garden unter Bentinck ersteigen unter dem Kartätschenfeuer von 36 Geschützen die Höhen; vergeblich wirft der General der Infanterie, Fürst Gortschakoff, der hier kommandiert, Jäger und Artillerie in das Gefecht, die englischen Jäger besetzen die Weingärten, die Garde formiert sich in Front auf der Höhe und eröffnet ein verheerendes Bataillons-Feuer, und die Brigade Pennefather und die Highlanders (Hochländer) drängen das Zentrum zurück.
Vergeblich auch stürzen sich das Jäger-Regiment des Großfürsten Michael Nicolajewitsch und das Wladimir'sche Infanterie-Regiment drei Mal mit dem Bajonett auf den Feind; die Engländer bewahren in dieser einzigen Schlacht des orientalischen Feldzugs ihren alten Ruhm, und von den Kugeln ihrer Jäger fallen die russischen Offiziere und Kanoniere an ihren Geschützen.
Dem Fürsten Gortschakoff werden zwei Pferde unterm Leibe getötet; sein Mantel ist von Kugeln durchlöchert. Der Kommandant der 16. Division, General-Leutnant Kwizinski, beide Brigade-Kommandeure, zwei Regiments-Kommandanten sind gefährlich verwundet, fast sämtliche Bataillons- und Kompagnieführer sind getötet oder kampfunfähig; das Wladimir'sche Regiment allein hat 49 Offiziere und 1500 Mann verloren, die Artillerie muß wegen Mangels an Bedienung ihr Feuer einstellen.
Auch der Verlust der Engländer ist groß. Unter der tötlichen Kugelsaat, unter den wütenden Bajonettangriffen der Russen bleibt Kapitän Morton von der hochländischen Garde unberührt, die Russen weichen, seine Kameraden spotten über sein zweites Gesicht.
Die Übermacht der Alliierten mußte den Sieg erringen. Fürst Menschikoff, der von Sebastopol abgeschnitten zu werden fürchtete, befahl General Gortschakoff, das Zentrum und den linken Flügel nach der zwei Werst südlicher gelegenen Position an der Katscha zurückzuführen. Hier stieß auch der linke Flügel zu ihm, der bis zum Augenblick des allgemeinen Rückzugs, also fast vier Stunden lang, den Stoß der sämtlichen vier französischen Divisionen ausgehalten hatte.
Das Jäger-Regiment des Großfürsten Michael und die Trümmer des Wladimir'schen Regiments deckten den Rückzug der Artillerie. Obschon fast alle Artilleriepferde erschossen worden, blieben nur zwei Geschütze von der Batterie Nr. 1 der 16. Artillerie-Brigade in den Händen der Feinde. Der tapfere Kommandant der russischen Artillerie, General-Major Kischinski, nahm auf dem nächsten Höhenrücken mit 24 Geschützen neue Stellung; das Wolinski'sche Infanterie-Regiment marschierte in Schlachtordnung auf, und die Kosaken und die Husaren warfen sich gegen die englische Kavallerie, die fast noch gar nicht am Kampfe Teil genommen. Ebenso waren die Türken und die Division Catcart in Reserve geblieben.
Bei jener neuen Bewegung machten die Alliierten in ihrer Verfolgung Halt, und der Fürst konnte seine Truppen bis an den Katschafluß zurückziehen. Während der Nacht überschritt die russische Armee den Fluß, bezog Biwaks, ohne vom Feind beunruhigt zu werden, und passierte am Morgen die Brücke von Inkerman. Die Russen hatten 1892 Mann an Toten – darunter 1 General und 46 Offiziere, 2698 Verwundete, darunter 3 Generale und 84 Offiziere, im ganzen mit den Kontusionierten und verwundet auf dem Schlachtfelde Gebliebenen fast 6000 Mann verloren. Der Verlust der Alliierten kann ebenso hoch geschätzt werden, obschon ihn der offizielle Bericht auf nur 4301 Mann angibt, denn der Moniteur berichtete einige Wochen später, daß sich noch 2060 verwundete Engländer in den Hospitälern befänden, und der Herzog von Cambridge schrieb nach der Schlacht in einem seiner Briefe nach London, daß, wenn die Engländer noch einen solchen Sieg erfechten würden, England keine Armee mehr habe. – – – – –
Die Schlacht war zu Ende; auf den Höhen, die die britischen Garden genommen, lagerten, nahe den blutgedüngten Weingärten, die Garden des Brigade-Generals Bentinck.
Es war Abend, die Gefahr vorüber, und Kapitän Morton hatte seiner Kompagnie bereits den Befehl gegeben, die Gewehre zusammenzustellen und das Biwak zu bereiten. Mac Griffin, der Adjutant des Generals, gratulierte eben spottend dem Kapitän, daß dieser so glücklich dem Blutbade entronnen, glücklicher als er selbst, der den Arm in der Binde trug.
Plötzlich fiel ein Pistolenschuß aus einem nahen dürren Ginsterbusch, und Kapitän Morton, gerade durch das Rückgrat getroffen, sank leblos zu Boden.
Soldaten der Kompagnie stürzten erbittert hinzu – sie fanden im Ginsterbusch einen schwer verwundeten russischen Husaren in hellblauer Uniform. Er lag im Sterben und schien das Pistol mit letzter Kraft auf den verhaßten Feind abgefeuert zu haben. Zehn Bajonette durchbohrten seine Brust.
Das zweite Gesicht hatte sich erfüllt!