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Im Pontus.

I. Gefangen!

Durch die Wogen des Pontus brauste der » Wladimir«, im langen Strom den dunklen Dampf des Schornsteins hinter sich drein ziehend. Das Meer ging ziemlich unruhig, in jenen, dem Pontus eigentümlichen gefürchteten kurzen Stoßwellen, denn am Tage vorher hatte der Novembersturm über die Fläche gefegt.

Das Schiff – eine Dampffregatte vom russischen Geschwader des Schwarzen Meeres – kam von der türkischen Küste und hatte vor Varna gekreuzt. Es geschah trotz der Kriegserklärung mehr als einmal, daß russische Schiffe sich bis in die Bucht von Varna wagten und unter den Batterieen ihre Beobachtungen vornahmen.

Auf dem »Wladimir«, der von Sebastopol ausgelaufen, hatte der General-Adjutant, Vize-Admiral Korniloff, selbst die türkische Küste zwischen der Sulina und Burgas rekognosziert und wandte sich nun, da keine feindlichen Schiffe sich blicken ließen, gegen die anatolische Küste, an der die Eskadre des Vize-Admirals Nachimoff kreuzte.

Auf dem Hinterdeck standen und saßen um den Kommandierenden Kapitän-Leutnant Butakow, die meisten Offiziere des Schiffes, Fürst Barjatinski, der Zweitkommandierende, und die Leutnants Dobrowalski und Iljinski nebst zwei Schiffs-Fähnrichen, während die nicht im Dienst befindliche Mannschaft an den Bollwerken in allen Stellungen herumlungerte oder mit leichten Arbeiten beschäftigt war. Die Wetterseite des großen und Vorderdecks maß mit langen Schritten der wachthabende Leutnant Popandopulo, zuweilen am Bugspriet einen der Hühnerkästen ersteigend und hinaus schauend auf die weite Wasserwüste, die im dunkelbezogenen Himmel bleifarben wogte.

»Nun, Schelesnow,« fragte der erste Leutnant einen jungen Offizier, der eben die Treppe des Pavillons heraufstieg, »was meint Seine Exzellenz, sollen wir wenden?«

Der Offizier erwiderte die Frage nicht, sondern wandte sich salutierend an den Kommandierenden.

»Seine Exzellenz lassen bitten, nach dem Fahrzeug abzuhalten, dessen Rauch sich am Horizont zeigt; es wäre von höchster Wichtigkeit, Nachrichten aus dem Bosporus zu erhalten.«

Der Kapitän erwiderte den Gruß und wandte sich an den Fürsten.

»Wollen Sie die nötigen Befehle erteilen, Herr Leutnant?«

Damit kehrten alle unbekümmert zu ihren Zigarren und der begonnenen Plauderei zurück.

»Steuerbord umlegen! – Halten Sie auf das Fahrzeug ab, das in Sicht.«

Die Befehle gingen durch das Schiff und der Lauf desselben wandte sich nach Süden.

»Wache dort oben! welche Richtung steuert der Dampfer in Sicht?«

»West-Nord-West, Euer Wohlgeboren, er kommt auf uns zu.«

»Es muß ein Türke sein,« sagte der Kapitän bedächtig; »die Eskadre des Admirals kann unmöglich in dieser Gegend sein. Hinauf in den Mastkorb und wohl ausgelugt.«

Der Fähnrich, dem der Befehl erteilt, eilte, das Fernrohr um den Hals, an der Leiter des großen Mastes empor.

»Der Dampfer gibt ein Signal,« lautete nach kurzer Zeit die Meldung.

»Flagge auf! Geben Sie das Privat-Signal, Popandopulo!«

Die weiß-blaue Flagge flatterte lustig im Winde, darunter das Fähnchen, das die Signalfarben zeigte.

»Er zieht die Flagge auf, es ist einer der Unseren.«

Die Offiziere und Mannschaften wandten sich verdrießlich ab, – für einen Seemann auf blauer Flut ist der Anblick der feindlichen Farben willkommener, als der eines Freundes.

»Können Sie die Nummer des Signals noch nicht erkennen? Sehen Sie scharf zu, Bitschesko, Sie haben sonst ja gute Augen.«

»Sogleich Kapitän. Schorte wos mi! (Hol mich der Teufel!) Das Schiff schwankt wie ein wandernder Kirchturm. Halt, ich hab ihn – Nr. 86.«

»Es ist die ›Bessarabia‹, ich weiß die Namen auswendig,« sagte der Kapitän. »Melden Sie es Seiner Exzellenz, Herr Adjutant.«

Schelesnow ging hinunter. – Die Schiffe näherten sich jetzt rasch, in Zeit von einer halben Stunde konnten die Signale deutlich spielen.

Das Dampfschiff schlug jetzt die Richtung nach Südost ein und telegraphierte das Signal: »Anschließen.«

»Der Bursche hat offenbar etwas im Schilde,« sagte der Kapitän. »Er hält auf Kap Kerempe ab und das ist zum Glück bis auf zwei Strich im Winde unsere eigene Richtung. In einer Viertelstunde werden wir näheres wissen.«

Während die beiden Schiffe in der angegebenen Richtung ihren Lauf fortsetzten, kamen sie einander immer näher und waren bereits in Rufweite, als der Lugmann aus dem Mastkorbe meldete:

»Zwei Dampfer in Sicht!«

»Welchen Kurs?«

»Der eine Ost zu Süd, der andere weiter nach Norden.«

Der Admiral war jetzt auf das Verdeck gekommen. Der kleine weiße Wimpel am Flaggentau des Fockmastes zeigte seine Anwesenheit auf dem Schiff und der kleinere Dampfer setzte bereits sein Boot aus, um den kommandierenden Offizier an Bord der Fregatte zu schaffen.

»Ah, Sie sind es, Kapitän Glasemann,« sagte der Admiral, sich über das Bollwerk lehnend; »kommen Sie geschwind herauf und bringen Sie mir Neuigkeiten. Diese Herren verlangen sehnlichst danach.«

Einige Augenblicke nachher war der Kapitän-Leutnant der Bessarabia auf dem Deck und begrüßte ehrerbietig seinen Vorgesetzten. –

»Was haben Sie, Kapitän? Woher kommen Sie? wo befindet sich die Eskadre?«

»Admiral Nachimoff, Exzellenz, ist auf der Rückkehr nach Sebastopol begriffen. Ich hatte Befehl, zu kreuzen, und erfuhr durch Schiffer, daß ein egyptisches Kriegsdampfboot den Weg nach der abchasischen Küste genommen hat, und war im Begriff, ihm zu folgen, als ich Euer Exzellenz fand.«

»Ist eines der Schiffe, die in Sicht sind, der Egypter?«

»Ich hoffe es.«

»Haben Sie irgend einen Verdacht, wer der zweite Bursche ist, der nach Norden steht?«

»Ich wüßte nicht, wenn es nicht etwa das Passagierboot des Lloyd sein sollte, oder ein Franzose, obschon ich sichere Nachricht habe, daß die englisch-französische Flotte noch vollständig im Bosporus ankert und keines ihrer Schiffe Numili-Kawak (das thracische Kastell am Meereseingang des Bosporus) überschritten hat.«

»Jop fcoe mat! (russische Redensart) so weit kommen die Österreicher nicht. Aber Du kannst Recht haben, Söhnchen, es mag eines der Transportboote sein, doch ein türkisches. In jedem Falle wollen wir uns die Bursche näher besehen. Lassen Sie die Maschinen ihre Schuldigkeit tun, Kapitän Butakow, und zeigen, was der Wladimir kann. Sie, Kapitän Glasemann, werden die Höhe gewinnen und dem Fremden den Rückzug abschneiden.«

Ein solcher schien jedoch keineswegs in der Absicht der entfernten Schiffe zu liegen, vielmehr ging diese offenbar dahin, die anatolische Küste zu gewinnen.

Das Ufer war bereits in Sicht getreten, man befand sich zwischen dem Hafen von Amastro und dem Kap Kerempe, als die weiter auf der Höhe befindliche Bessarabia signalisierte: »Flotte in Sicht. Weite in Fernsignal,« und gleich darauf die Frage: »Weiter Jagd machen?« was offenbar andeutete, daß man die unbekannten Schiffe in dieser Nähe des Eskadre unmöglich für feindliche ansehen könne.

Auch auf dem Wladimir machte sich diese Überzeugung geltend und schon wollte der Admiral den Befehl erteilen lassen, die Jagd aufzugeben und den Kurs nach der Eskadre zu richten, als die beiden fremden Dampfer Signale wechselten, dann plötzlich einschlugen. Dieser schwankende Lauf war jedenfalls verdächtig und konnte nur durch das Erblicken des Geschwaders veranlaßt sein. Namentlich war das Dampfschiff vor dem Wladimir sichtlich bemüht, eine Begegnung zu vermeiden, und änderte jetzt mehrfach seinen Kurs.

Um 9¼ Uhr wurde daher auf der Fregatte das Privatsignal aufgehißt und eine Kanone gelöst, es erfolgte jedoch keine Antwort; darauf wurde die russische Flagge aufgezogen und der Befehl erteilt: »Fertig zum Gefecht!«

Alsbald löste sich die aufregende Neugier, die bisher Offiziere und Mannschaften auf dem Deck und an den Bollwerken gehalten hatte, in rasche Tätigkeit; die Kanonen wurden losgemacht, die Pulverkästen geöffnet, die Sandsäcke um die Maschinen gehäuft und alle jene hundert Vorbereitungen getroffen, welche auf einem Kriegsschiff dem Kampfe voran gehen und keine Vorsicht und Notwendigkeit aus den Augen lassen.

Die Mannschaft stand bei ihren Geschützen, auf den Kugelkästen saßen die Pulverjungen, der Wundarzt mit seinen Gehilfen im Unterraum, die Deckmeister machten mit dem Zimmermann die Runde, die Marinesoldaten standen auf den Gangwegen, und die Offiziere mit gezogenem Degen auf ihren Posten, die Befehle erwartend.

Eine Viertelstunde später richtete das verfolgte Dampfschiff seinen Lauf gerade gegen den Wladimir und zeigte die türkische Flagge, den weißen Halbmond mit dem Stern im roten Felde. Bald darauf änderte es nochmals seinen Lauf; die Schiffe waren jedoch einander bereits so nahe, daß bei der starken Maschine der russischen Fregatte an ein Entkommen nicht zu denken war. Da Admiral Korniloff sah, daß das feindliche Schiff schwächer war, als der Wladimir, befahl er nach der Seeseite, ihm eine Kugel vor dem Bugspriet vorbeizusenden, als Aufforderung, sich zu ergeben.

Der Türke antwortete mit einer vollen Seitenladung, die jedoch der noch vorhandenen Entfernung wegen ganz unschädlich blieb. Damit war das Gefecht provoziert, und der Befehl zum: »Fertig zum Feuern!« durchlief das russische Deck.

Unterdes dampften die Schiffe parallel mit einander fort und kamen einander bald so nahe, daß die Kugeln und Granaten des fortwährend seine Breitseite abfeuernden Türken über den Wladimir weggingen und die Takelage desselben beschädigten. Bereits waren ein Mann gefallen und drei verwundet.

Da die Kommandierenden jedoch erkannten, daß das feindliche Schiff keine Spiegel-Kanonen führte, beschloß man, es von hinten zu bestreichen und so zur Übergabe zu zwingen. Kapitän Butakow, welcher das Manöver leitete, gab seine Befehle mit einer Ruhe und Sicherheit, als ob es einer Schiffsübung gelte.

Der »Wladimir« fiel alsbald ab und in das Kielwasser des türkischen Schiffes, das er mit seinen Bug-Kanonen der Länge nach bestrich. Hierdurch wurde der Gegner genötigt, fortwährend beizulegen, um eine Salve geben zu können und dann wieder eine neue Richtung zu steuern.

Die »Bessarabia« verfolgte unterdes das zweite Dampfschiff, das durch Anwesenheit der »Eskadre« unter dem Winde verhindert war, seine Richtung nach dem Osten zu nehmen, und die hohe See zu halten strebte. –

Der Kampf hatte auf diese Weise bereits drei Stunden gedauert. Obschon es dem »Wladimir« leicht gewesen wäre, ihn fortzusetzen, die Bemannung des Gegners niederzuschmettern und seinen Rumpf zu durchlöchern, ohne selbst erheblichen Schaden zu nehmen, da die Breitseiten des Türken beim Beilegen über das russische Schiff hinweggingen, – so beschloß der Admiral doch, nunmehr dem Spiel ein Ende zu machen und auf Kartätschenschußweite heran zu gehen.

Die Befehle wurden erteilt, die Fregatte wandte und schoß dann mit voller Kraft der Maschine an der Seite des Feindes auf und gab ihm eine volle Kugellage.

Der Erfolg war in dieser Nähe furchtbar und die Maschine des Feindes hörte sofort auf zu arbeiten.

Dennoch setzte er sich noch zur Wehr und gab eine neue Salve. Eine Granate zerschmetterte die Brust des Leutnants Schelesnow, dem der Admiral eben einen Befehl erteilte.

Der Wladimir umfuhr den türkischen Dampfer. Zwei weitere Lagen, die eine mit Kartätschen, durchlöcherten den Rumpf und säuberten die Verdecke.

Jetzt senkte der Moslem seine Flagge; der erste Seesieg in diesem Kriege war erfochten.

Das genommene Schiff war der egyptische Dampfer »Pervas Bachri« von 220 Pferdekraft und mit 10 Kanonen bewaffnet. Von seiner Mannschaft waren der Kapitän, 2 Offiziere und 19 Matrosen getötet, 18 verwundet und 134 Mann wurden gefangen genommen. Der Rumpf des Schiffes war so durchlöchert, daß es zu sinken drohte. Es bedurfte einer vierstündigen Arbeit, um es in Stand zu setzen, dem Wladimir nach Sebastopol zu folgen, wo beide am anderen Tage eintrafen.


Das Schiff, das während dieses Kampfes die »Bessarabia« jagte, war der »Djerib«, ein türkisches Passagier-Dampfboot, das von Varna kam und nach Sinope bestimmt war, Passagiere, Kupfer und Pulver an Bord hatte und eine wertvolle Beute war.

Das Schiffsvolk und die Reisenden hatten sich auf dem Verdeck zusammengedrängt und beobachteten eifrig das sich in der Ferne entspinnende Gefecht. Auf dem Deck, in der Nähe des Steuers saß der Kapitän, ein dicker, behäbiger Türke mit grauem Bart, auf der Bank, den Schibuk im Munde, den einer der Schiffsjungen sorgfältig in Brand hielt, um nicht gepeitscht zu werden. Viel Sauberkeit und Ordnung war auf dem Schiffe nicht zu finden; einige türkische Offiziere mit ihren Mannschaften, die nach Anatolien gingen, armenische und syrische Handelsleute, mehrere Juden, und zwei Kurden mit ihren Sklaven, die einen Trupp Pferde nach Varna geliefert hatten, diese bildeten die überwiegende Zahl der Reisenden. An den Radkästen des Schiffes waren in langen Reihen die Knoblauch- und Zwiebelstränge aufgehängt, mit jenen Gurken und Früchten, welche die Hauptnahrung der genügsamen Orientalen sind, aber die Luft keineswegs mit besonderem Wohlgeruch erfüllen. Zuweilen tauchten aus den Luken zu den unteren Kajüten tief verhüllte Frauen auf, sich ängstlich umschauend oder über das Verdeck zum Herde des Kochs schlürfend, um ihr Tandur mit neuen Kohlen zu füllen; doch waltete hier offenbar schon die orientalische Abschließung des weiblichen Geschlechts in weit höherem Maße ob, als auf den Schiffen im Ägäischen Meer und im Bosporus. Man befand sich an der Küste Asiens, fern vom Verkehr der europäischen Völker.

Einer der Passagiere nur erregte und verdiente besondere Aufmerksamkeit. Es war ein hoher, schlanker Mann von schönem, etwas hartem Gesicht und hochblonden Haaren. Er trug reiche orientalische Kleidung, doch hätte ein aufmerksamer Beobachter leicht bemerkt, daß sie ihm ungewohnt saß. Auch sprach er nur mit zwei Männern, die offenbar seine Diener waren, einem Griechen und einem Mann, dem die orientalische Tracht noch ungefügiger saß, als dem Herrn. Dieser ging mit sichtlicher Unruhe auf dem Verdeck auf und ab, häufig nach der Treppe der großen Kajüte blickend, aus der von Zeit zu Zeit eine ältere Frau heraufstieg, und ihm eine kurze Botschaft zu bringen schien.

Der Passagier war Sir Maubridge, der sich mit Diona, einer Griechin zu ihrer Aufwartung, und zwei Dienern in Varna eingeschifft hatte, um sich nach der anatolischen Küste zu begeben und dort die Niederkunft seiner Geliebten abzuwarten, für die er eine zärtlichere Liebe empfand, als er den Drohungen des Bruders gegenüber zugestanden. Um weniger Aufmerksamkeit zu erregen, hatten alle die orientalische Kleidung angelegt.

Sir Maubridge war von lebhafter Besorgnis bewegt, weil Diona, schon von der Seefahrt angegriffen, im Schreck über die plötzlich hereinbrechende Gefahr erkrankt war. Unmutig trat er bereits zum zehnten Male zu dem Kapitän, um ihn zu fragen, ob Aussicht vorhanden, dem russischen Kreuzer zu entgehen. Der bequeme Moslem aber tat, als verstehe er weder das Italienisch, noch die wenigen türkischen Worte des Engländers und schüttelte nur mit seinem ewigen »Bismallah« bedächtig den Kopf.

Ungeduldig rief der Baronet endlich seinen griechischen Diener herbei, um mit dessen dolmetschender Hilfe das begonnene Gespräch fortzusetzen.

»Frage dieses Faultier von einem Menschen,« befahl er ärgerlich, »ob es nicht möglich ist, die Schnelligkeit unserer Fahrt zu verstärken? Mich dünkt, die Entfernung hätte sich schon bedeutend verringert!«

Der Grieche wiederholte die Frage auf türkisch. Der Kapitän aber blies den blauen Rauch in die Luft.

»Was kann ich tun? – Ein Schiff ist ein Schiff, und diese Russen haben den Teufel im Leibe. Bak alum, wir werden sehen!«

Aber er sah nicht, sondern blieb ruhig sitzen.

Der Engländer ballte entrüstet die Faust.

»Sie werden uns nach Sebastopol schleppen!«

»Inshallah! wie Gott will. Es ist unser Kismet, Effendi mou!«

»Frage das türkische Vieh, ob er sich denn nicht zu verteidigen gedenkt? Wir haben vier Kanonen an Bord und Hände in Menge!«

»Der Beisädih (Sohn eines Lord) ist toll,« meinte der Kapitän auf die etwas höflicher übersetzte Frage. »Ich habe den Vätern und den Müttern des Moskows das nötige erwiesen; wir sind keine Kriegsleute, um zu sagen: Puf!«

Er hörte mit Gleichmut, freilich ohne sie zu verstehen, die Ehrentitel an, die der erzürnte Brite ihm gab, der überzeugt war, daß das schöne in England gebaute Schiff bei nur einiger Anstrengung und guter Leitung leicht den Russen entgehen könne, und der nun einer, wenn auch kurzen, doch unangenehmen Gefangenschaft entgegen sah.

Die Bessarabia war unterdes immer näher gekommen und ein scharfer Schuß an dem Bug des Djerid vorbei mahnte die Türken, beizulegen. Indessen zeigte sich auch hier die Zähigkeit und Sorglosigkeit des National-Charakters, denn statt dem eisernen Winke Folge zu leisten, setzte das Schiff nach wie vor seinen Weg fort.

Eine Hand berührte jetzt den Arm des Baronets, es war das griechische Weib, Dionas Dienerin.

»Herr,« sagte sie, »der Schrecken hat über Eure Dame das Wehe der schweren Stunde gebracht. Sie windet sich in den Schmerzen, die dem Weibe süß sind.«

Maubridge fuhr auf.

»Verstehe ich Euch recht, sie sieht einer Niederkunft entgegen, einer zu frühen Geburt?«

Die Frau bejahte.

»Ich will zu ihr.«

»Halt, Herr! Ihr würdet das Harem verletzen und die Moslems sind streng darin.«

»Was kümmern mich die Narren,« sagte der Brite aufgeregt. »Ich will zu meinem Weibe!« Alle die vom Stolz und Trotz unterdrückte Liebe zu dem Mädchen brach in der vollen Kraft durch die Schranke, die sie so lange eingeschlossen.

Mit zwei Sätzen, während ein zweiter Schuß des russischen Dampfers donnerte, und die Kugel durch die Takelage des Djerid schlug, sprang der Baronet die Treppe zum Pavillon hinab und wollte die Tür desselben aufreißen, als eine kräftige Faust ihn zurückstieß.

»Bosch! Was willst Du?«

»Atsch! – öffne! Ich muß hinein!«

»Das ist der Haremlik meines Herrn, kein Mann darf ihn betreten!«

Die drohende Gebärde, mit welcher der schwarze Sklave sich vor die Tür warf, zeigte besser als die ihm unverständliche Sprache das Verbot.

Zugleich suchte flehend die ihm nachgeeilte Griechin sich zwischen ihn und die Tür zu drängen.

»Ihr wißt nicht, was Ihr tut, Herr; die Türken ermorden Euch!«

Auf den türkischen Schiffen ist eine der Kajüten ausschließlich für die Frauen bestimmt und wird gleich dem Haremlik geachtet. Kein Mann darf ihn betreten. Hierzu kam, daß einer der anatolischen Kaufleute, ein strenger Moslem, zur Sicherung seiner mitgeführten Weiber den Sklaven an die Tür postiert hatte.

Der Streit rief Neugierige herbei; wie ein Lauffeuer ging die Nachricht durch das Schiff: ein Mann verletzt den Schutz des Haremliks. Die Moslems drängten sich heran; denn der drohende Frevel gegen die geheiligte Stätte bewegte sie mehr, als die Gefahr von außen, die ja in Allahs Hand stand.

»Wer ist der Hund, daß wir ihm das seine tun? Seid Ihr ein Kind des Teufels, daß Ihr es wagt, uns in den Bart zu speien?«

Wilde Drohungen umtobten den Briten, Waffen erhoben sich gegen ihn und vergeblich versuchte sein englischer Diener sich und ihm Platz zu machen.

Auch der Kapitän war herbeigekommen.

»Tut ihm nichts zu leide, er ist ein Beisädih! Was wissen diese Inglis von Gott und dem Propheten! Sie sind Tolle! sie haben Frauen und Pferde, aber sie lassen die einen nackend umherlaufen, und machen die anderen alle zu Bequirs (Wallachen) und schneiden ihnen die Schwänze ab, so wahr Allah groß ist.«

»Ein Dschaur (Giaur, Ungläubiger) in der Kleidung der Moslems? was will das ungläubige Schwein unter uns? Er ist an allem Unglück schuld, er hat uns die Moskows über den Hals gebracht. Tötet den Franken!«

Der Baronet, der noch immer vergeblich um den Eingang rang, schwebte in der größten Gefahr, ein Opfer des unvorsichtig erregten Fanatismus zu werden. Da donnerte und krachte es über und neben ihnen, und eine schwere Kugel prasselte, die Splitter umherstäubend, durch das Holzwerk und fuhr durch die Frauen-Kajüte.

Die Splitter hatten mehrere verwundet; in Todesfurcht stürzten die Frauen aus der Kajüte. Alles floh in blindem Schrecken, sich in den unteren Räumen des Schiffes zu verbergen, und im Augenblick sah sich Maubridge allein mit seinem Diener auf dem behaupteten Kampfplatze. Er drang schnell in die Kajüte, die mit Staub und Trümmern gefüllt war. In der hinteren offenen Kabine auf dem Schmerzenslager allein lag Diona. Er stürzte an ihre Seite, er verschwendete tausend Zärtlichkeiten an sie, indem er zugleich seinem Diener befahl, nötigen Falls mit Gewalt die griechische Dienerin herbeizuschaffen. Dazwischen donnerte draußen über die Wogen her Schuß auf Schuß und die Kugeln fuhren durch Takelwerk und Rumpf.

Die Mannschaft hatte den Kopf verloren und vermochte nicht einmal die feurigen Grüße zu beantworten oder die Flagge zu streichen, bis endlich einer der Maschinisten, ein Italiener, aus dem Raume sprang und das Flaggentau durchschnitt. Der rote Wimpel mit dem Halbmond flatterte ins Meer und ein Jubelruf erhob sich am Bord des russischen Schiffes, das bereits fast längsseit lag, und während die Maschine des türkischen Schiffes zu arbeiten aufhörte, seine Haken an den feindlichen Bord warf. Wenige Augenblicke später sprangen die russischen Offiziere, den Degen in der Faust, über die Bollwerke, und im Nu war das Verdeck des Djerid mit Mannschaften überflutet.

Aber Widerstand war nirgends zu finden, die Weiber jammerten und schrieen, die Moslems krochen geduldig hervor und ergaben sich in das unvermeidliche Kismet, während der Kapitän von dem ersten Leutnant der Bessarabia genötigt wurde, die Papiere über Ladung und Passagiere vorzulegen.

In Angst und Besorgnis saß der englische Baronet am Eingang der Kabine, in der Diona, von der griechischen Dienerin unterstützt, mit den Schmerzen rang, die das werdende Leben begleiteten. Seine ganze kalte, harte Natur schien sich umgewandelt zu haben in zärtliche Sorge um das junge Wesen, dessen Wimmern und Schmerzensruf wie glühender Stahl sein Herz durchbohrte. Was kümmerte ihn der Kampf umher, er hatte jetzt nur Augen für die Geliebte.

Da legte eine Hand sich auf seine Schulter und eine Stimme befahl ihm barsch, aufzustehen. Als er emporfuhr und die Angreifer zurückstoßen wollte, fielen diese, zwei russische Matrosen über ihn her und schnürten ihm die Arme zusammen. Ein Offizier mit dem türkischen Kapitän trat eben in die Kajüte. Auf den ersteren sprang Maubridge zu und verlangte mit ungestümen Worten, sofort freigelassen zu werden, und Schutz für sich und seine Leute.

Der Offizier sah ihn groß an.

»Ich bin ein Brite. Unser Gesandter in Konstantinopel wird Rechenschaft fordern für jede Beleidigung, die mir widerfährt.«

Der Offizier lächelte malitiös.

»Ein Engländer in türkischer Kleidung? Wahrscheinlich ein türkischer Spion, um unsere Häfen zu inspizieren. Ihre Papiere, mein Herr!«

Der Baronet erbleichte vor stolzer Wut.

»Ihre Leute haben mich gebunden. Lassen Sie mein Portefeuille aus der Tasche nehmen, meine Papiere befinden sich darin. Ich hoffe, Sie werden die Banknoten dabei schonen!«

Der Russe befahl kalt, ihn zu durchsuchen, öffnete am Tisch die Brieftasche, während Maubridge zähneknirschend daneben stand.

»Ein Paß für den Baron Maubridge und seinen Diener. Das wäre richtig. Sieh' da, Briefe an Churschid-Pascha (der frühere Insurgenten-General Guyon) und Selim-Pascha, also ins feindliche Lager. Und hier, ein solcher an Schamyl. – Das ist kein übler Fang!«

»Herr, Sie haben kein Recht, sich an meinen Briefen zu vergreifen!«

»Einem Engländer trauen wir alles zu und mit einem Spion machen wir nicht viel Umstände. Bringt den Mann zu den anderen Gefangenen.«

Ein Schmerzensruf erscholl aus der Kabine, deren Tür halb geschlossen war.

Der Baronet überwand seine Wut und seinen Stolz.

»Sie werden menschlich sein, mein Herr, und in diesem Augenblick mich nicht von der Frau da drinnen trennen, die jeden Moment ihre Niederkunft erwartet.«

»Wer ist das Weib?«

»Eine Griechin. Sie gehört zu meiner Begleitung.«

»Davon steht nichts in dem Paß. Pflegen die Herren Briten vielleicht auch schon ihre Harems mit sich zu führen?«

»Sie ist« – er zögerte einen Augenblick – »ich bitte, die Dame als meine Gattin zu achten!«

»Skotina, (Dummkopf) wer's glaubt! – Fort mit dem Burschen, die Weiber werden hier besser am Platze sein, wie er. Sie können in diese Kajüte gesperrt werden.«

Die Russen faßten den Baronet und zerrten ihn fort. Da – an der Tür klang ihm zum letzten Male der schneidende Wehruf des Mädchens ins Herz – dann ein anderer Laut, – er war Vater!


II. Zwing-Pontus.

Es war am dritten Morgen nachher, als ein einfacher Trauerzug aus dem Quarantänegebäude der russischen Pontus-Festung Sebastopol sich nach dem nahen, am Ende des Quarantänehafens befindlichen Kirchhof bewegte.

Ein russischer Geistlicher ging dem Sarge voran, der nach griechischer Sitte offen und niedrig getragen wurde. Nur wenige Personen hatten sich dem Zuge angeschlossen, einige Diener aus dem Hospital der Quarantäne, eine griechische Frau und ein Mann in orientalischer Kleidung zwischen zwei russischen Marine-Soldaten.

Der Mann war Edward Maubridge, der Baronet; im offenen Sarge, den Rosmarin in den dunklen Locken und auf der Brust, lag Diona Grivas, die Schwester des Caraiskakis.

In der Nacht nach der Geburt war sie gestorben – sie hatte das allzufrühe Leben des Kindes mit dem ihren erkauft. Ihr Verführer war fern von dem Sterbebette, an dem nur der Pope der Fregatte Wladimir und die in Varna geworbene Dienerin mit den gefangenen türkischen Weibern stand. Dennoch war sein Name im Tode auf ihren Lippen, Vergebung in ihrem Herzen. Sie ließ sich das Kind, einen Knaben bringen, segnete ihn und übergab ihn dem Geistlichen ihres Glaubens mit dem Geschmeide, das sie von ihrer Mutter geerbt.

Erst am anderen Morgen erfuhr der Baronet den Tod der Griechin. Die Nachricht erschütterte den trotzigen Mann im innersten.

Er ließ dem Kommandierenden des Schiffes die dringende Bitte stellen, zu der Leiche geführt zu werden, und als ihm gewillfahrt worden, verließ er dieselbe nicht mehr, bis das Schiff in der Nacht auf der Rhede von Sebastopol Anker warf. Am nächsten Morgen lieferten die russischen Dampfer ihre Beute im Quarantänehafen ab, und die Gefangenen wurden in ein, zu ihrer Aufnahme bestimmtes Gebäude, die Leiche aber nach dem Hospital gebracht, von wo aus das Begräbnis am nächsten Tage erfolgte. Durch freigebige Anwendung seines Goldes erlangte der Baronet die Erlaubnis, die Tote bis zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten.

In finsterem Brüten vergingen ihm die nächsten Tage. Er ließ einen Bildhauer aus der Stadt kommen und gab ihm den Auftrag zu einem schlichen Marmorstein für das Grab des griechischen Mädchens. Um sein eigenes Schicksal schien er wenig bekümmert.

Am fünften Tage nach der Ankunft der Gefangenen war ihre Quarantäne zu Ende und sie wurden in die Stadt gebracht. Hier ward der Baronet, trotz seiner Protestationen, von der griechischen Dienerin und dem Kinde getrennt und erhielt seinen Aufenthalt im Fort Sankt Nikolas angewiesen, wo er in strenger Absonderung mit seinem englischen Diener gehalten wurde.

Nur der Grieche durfte ab und zu gehen und sorgte für ihre Bedürfnisse.

Durch ihn erfuhr Maubridge, daß die Wärterin mit dem Kinde in der Familie des Geistlichen vom Wladimir, die in Sebastopol wohnte, Aufnahme gefunden hatte.

Ein buntes Leben herrschte in der prächtigen Seefestung, und der Brite schien recht eigentlich diese Wohnung zu dem Zwecke erhalten zu haben, um sich von der Macht und Unbesiegbarkeit dieser Vormauer des russischen Kolosses im Süden, von der aus seine Flotten das Meer beherrschten und Konstantinopel in ewiger Bedrohung hielten, zu überzeugen. Die mächtigen granitnen Wälle des Forts und Bastionen starrten von schweren Geschützen, die ein Kreuzfeuer über die Bucht zu eröffnen vermochten, das jeden eindringenden Feind in den Grund bohren mußte. Auf den breiten Quais um die prachtvollen Werfte bewegte sich eine dichte Bevölkerung von Seeleuten und Soldaten; kolossale Marine- und Artillerievorräte waren überall angehäuft und wurden durch die fortwährend von Odessa und Nikolajew eintreffenden Transportschiffe vermehrt. Dampfer gingen täglich ab und zu, und im Hafen selbst und draußen auf der Rhede lag zum Auslaufen bereit die prächtige russische Südflotte um das riesige Admiralschiff ankernd, das den Namen des General-Admirals, des zweiten Sohnes des kaiserlichen Herrn, Großfürst Konstantin, trug.

Dies ganze prächtige und großartige Schauspiel lag unter den Augen des Gefangenen, doch betrachtete er es mit Gleichgiltigkeit. Mit dem Tode Dionas war eine auffallende Veränderung in seinem Wesen und Charakter vorgegangen; er fühlte, daß er das Mädchen mit der ganzen Kraft seiner Seele geliebt und dennoch unehrenhaft an ihr gehandelt hatte. Das machte seinen hochmütigen Sinn noch erbitterter, heftiger, abgeschlossener. All sein Gefühl, sein Denken und seine Entschlüsse konzentrierten sich jetzt auf das Kind, das er das seine nannte. Täglich mußte der griechische Diener zum Hause des Popen wandern, um ihm Nachricht von dem Knaben zu bringen, und eine bedeutende Summe sandte er für seine Pflege.

So verstrichen mehr als zwei Wochen. All seine Beschwerden, Aufforderungen und Drohungen, ihn in Freiheit zu setzen, waren von den russischen Behörden unbeachtet geblieben, er erhielt nicht einmal eine Antwort, und die Offiziere des Forts vermieden ihn, wenn er die Erlaubnis hatte, auf den Wällen spazieren zu gehen.

Es war am Nachmittage des 26. November, als er am Fenster seiner Zelle saß und mit finsterem Brüten gedankenlos dem Fluge der Möven zuschaute, die über die Bucht strichen, mit ihrem ängstlichen Geschrei eine Erneuerung des Sturmes verkündend, der bereits mit kurzen Unterbrechungen seit zwei Tagen getobt hatte, als seine Aufmerksamkeit durch ein kleines Dampfschiff geweckt wurde, das von der Höhe der See, ohne, wie die gewöhnliche Vorschrift erheischte, vor den Eingangs-Forts beizulegen, mit aufgehißten Signalen in die Bucht schoß und am Fort Nikolas beilegte. Sogleich wurde ein Boot herabgelassen und mehrere Personen fuhren zum Ufer. Es war dem Baronet, als sei ihm eine derselben nicht unbekannt, doch war die Entfernung zu groß, um genaueres zu erkennen.

Die Dämmerung begann unterdes einzutreten und mit dem Abend sich der Wind aufs neue zu erheben. Regen und Hagel peitschten gegen das Fenster der Zelle, an welchem der Gefangene noch immer saß, in den beginnenden Kampf der Elemente hinausstarrend. Plötzlich donnerten nach einander drei Signalschüsse von der vorderen Bastion des Forts und Maubridge konnte bemerken, daß Signale mit bunten Laternen aufgezogen wurden, die bald darauf von den Schiffen in der Bucht und auf der Rhede am Eingang erwidert wurden. Ein lebendiger, rascher Verkehr schien sich trotz der unruhigen See zwischen der Flotte und dem Ufer zu erheben, Boote, schwer mit Mannschaft beladen gingen und kamen, und die ankernden Dampfer begannen zu heizen.

Eine wichtige Nachricht mußte eingetroffen sein, das zeigte auch die Bewegung im Fort selbst und die Unruhe auf den nächstliegenden Straßen.

Es mochte gegen 9 Uhr abends sein, als Tritte sich seiner Tür näherten und ein Offizier, in Begleitung zweier Marinesoldaten mit aufgepflanztem Bajonett, eintrat, während vier russische Matrosen an dem Zugang stehen blieben.

»Ich habe Ordre, mein Herr,« sagte der Offizier, »Sie sofort zum Kommandanten zu geleiten. Zugleich ersuche ich Sie, Ihren Leuten Anweisung zum Packen ihrer Effekten und zur Überweisung derselben an diese Männer zu geben, die sie befördern werden.«

»So bin ich meiner Haft entlassen und kann abreisen?«

»Ich bin außer Stande, Ihnen Antwort zu geben,« erklärte der Offizier; »ich erfülle die Befehle meiner Vorgesetzten und bitte Sie, sich fertig zu machen, um mir zu folgen.«

Der Baronet war zu stolz, um weiter zu fragen, und nach einigen Befehlen an seine Diener alsbald bereit. Der Russe riet ihm höflich, seinen Regenmantel zu nehmen, da draußen das Wetter immer heftiger tobte, und führte ihn dann in Begleitung der Wachen durch die Gänge und Höfe des Forts. Zum Erstaunen des Briten schlug der Offizier den Weg zu dem Tor ein, gab dort die Parole und verließ mit ihm die Zitadelle.

Auf den Straßen war, trotz der üblen Witterung, reges Leben und Treiben, Licht an allen Fenstern, Matrosen und Marinesoldaten kamen und gingen in Trupps aus und nach den Magazinen, Offiziere eilten, in ihre grauen Schiffsmäntel gehüllt dahin, und vor dem großen Eingang des Admiralitätsgebäudes, der Wohnung des Ober-Befehlshabers Admiral Berg und zur Zeit des Fürsten Menschikoff, brannten große Pechfackeln und war ein lebendiges Gedränge von Offizieren, Beamten und schaulustigem Volk.

Der Baronet wurde in ein Vorzimmer des ersten Stockes geführt und nach wenigen Minuten winkte ihm der begleitende Offizier, in den anstoßenden Saal einzutreten.

Dieser war von Offizieren und Marinebeamten gefüllt. An einer großen Tafel, auf der große Seekarten ausgebreitet lagen, waren mehrere höhere Flottenoffiziere eifrig beschäftigt und in einer Debatte begriffen.

Der Wind war unterdes immer heftiger geworden und gestaltete sich zum Sturm, der in einzelnen langen Stößen durch die Bergschluchten fegte und die hohen Fenster des Saales erklirren ließ.

»Es wird kaum möglich sein, Nowossilsky, daß Sie die Anker lichten können und die hohe See erreichen in diesem Wetter,« sagte ein alter Offizier in der Admiralsuniform, der an der Mitte des Tisches saß. »Warten Sie bis morgen.«

»Wir würden höchstens das Tageslicht zum Gewinn haben, Exzellenz,« entgegnete ein Mann von kühnem, seemännischen Aussehen, der Kommandant der vierten Flotten-Division, Contre-Admiral Nowossilsky. »Sie kennen unsere Stürme und wissen, daß sie ihre Zeit haben müssen. Die englisch-französische Flotte könnte leicht Nachricht erhalten haben, und uns aus dem sicheren Bosporus herauskommen. Nachimoff hätte dann das Nachsehen.«

»Nun, wie Sie wollen. Kapitän Tschigiri, haben Sie die Ordre bereit?«

Der Offizier du Jour reichte das Papier und Admiral Berg unterzeichnete es.

»Die ›Paris‹ und ›Tri-Sswjatitelja‹ liegen bereits auf der Rhede,« fuhr der Contre-Admiral fort. »Ich werde mich durch die ›Bessarabia‹ hinausbugsieren lassen. Wann erwarten Sie Korniloff zurück?«

»Morgen. Sie werden die ›Bessarabia‹ kommandieren, ihm entgegen zu fahren.«

»Nun, ich hoffe, daß er nicht mehr zur rechten Zeit ankommt und uns anderen auch etwas übrig läßt. Er hat jetzt bereits drei Dampfer den Türken genommen, während wir kaum das Bugspriet aus dem Nest gesteckt haben. Doch wie steht es mit dem Passagier, Exzellenz, den Sie mir mitgeben wollten? Die Zeit drängt.«

»Haben Sie den Engländer hier, Rogula?«

Der zweite Hafen-Kommandant, an den die Frage gerichtet war, sah nach der Gruppe an der Tür. »Der Gefangene soll vortreten.«

Maubridge trat mit finsterem Blick bis zu dem Tisch und stützte die Hand darauf.

»Wer von den Herren,« fragte er, ohne die Anrede abzuwarten, »ist Fürst Menschikoff? Ich wünsche ihn zu sprechen«.

Der greise Offizier winkte.

»Der Fürst ist abwesend. Ich bin Admiral Berg, der Oberkommandant der Festung, und Sie werden sich mit mir begnügen müssen.«

»Dann lege ich Protest bei Ihnen ein im Namen der britischen Nation, wegen der unwürdigen Behandlung und rechtswidrigen Haft, die mir hier geworden ist. Ich werde mich bei unserem Gesandten in Petersburg beschweren.«

Der Admiral schien die Phrase nicht zu beachten.

»Sie heißen?«

»Edward Maubridge, Baronet.«

»Nach dem Bericht des Kapitän Juschkin sind Sie am 6. auf dem türkischen Dampfboot Djerid gefangen genommen worden auf dem Wege nach Sinope. Man hat bei Ihnen Briefe an die türkischen Befehlshaber in Anatolien und selbst in Schamyl gefunden, die beweisen, daß Sie mit den Feinden Rußlands in Verbindung stehen.«

»Ich bin Engländer und habe niemandem Rechenschaft zu geben, wohin ich gehe und mit wem ich in Verbindung stehe. England ist bei Ihrem Kriege eine neutrale Macht.«

Der Admiral lächelte.

»Wie mans nehmen will! Ich habe jedoch nicht Zeit, mich mit Ihnen in eine politische Kontroverse einzulassen. Ich will Sie, trotz jener Verbindungen, als Reisenden gelten lassen, und wir werden Sie an den Ort schaffen, wohin Sie gehen wollten. Sie haben sich demnach nur über eine Haft zu beklagen, die durch die Umstände geboten war. Unser Geschwader geht in einer Stunde nach Sinope ab und wird Sie dort mit Ihren Dienern ans Land setzen. Treten Sie ab.«

»Einen Augenblick mein Herr – ich will alles vergessen, aber ich kann diese Stadt nicht verlassen ohne mein Kind! Lassen Sie mein Kind holen mit seiner Wärterin.«

»Ihr Kind? – Meinetwegen. Doch sehe ich nichts von einem Kinde in Ihrem Paß erwähnt. Was ist damit, Kapitän Juschkin?«

Der Kapitän der »Bessarabia« trat vor.

»Ein griechisches Weib, Exzellenz, ist nach dem Gefecht eines Knaben genesen, den Pope Alexowitsch in seine Pflege nahm, da die Frau starb.«

»Welches Recht haben Sie an dem Kinde?«

»Es ist das meine, die Verstorbene war Lady Diona Maubridge.«

»Lügner!« gellte es durch den Saal von den Lippen eines bleichen Mannes, der im Haufen der Umstehenden bis jetzt mit atemloser Spannung dem Verhör und der Verhandlung beigewohnt hatte, das Auge voll Haß keinen Moment von dem Briten abwendend. »Lügner! Beweise Dein Anrecht an Diona Grivas, die Du gemordet, Dein Recht, das Du selbst mit Füßen getreten und verläugnet hast!«

Der Baronet stand bleich, – ihm gegenüber der Bruder und Rächer des toten Mädchens, Gregor Caraiskakis.

»Euer Exzellenz,« sagte der Grieche, und Schmerz und Zorn erstickten fast seine Stimme, als er sich zu dem Admiral wandte, »wenn der Dienst, den ich Ihnen geleistet, wenn Eifer und Treue für die Sache Rußlands eine Anerkennung verdienen, so gewähren Sie mir Gerechtigkeit gegen diesen Mann. Zweimal entführte er meine Schwester durch heuchlerische Künste und entehrte sie, indem er sie durch ein spitzbübisches Spiel glauben machte, sie sei seine angetraute Gattin. Als ich ihr Recht von ihm forderte, leugnete er es, und Diona Grivas, die Schwester der Caraiskakis, wurde durch seinen Trug zu seiner Maitresse erniedrigt. In diesem Augenblick erfahre ich, der Bruder, aus seinem Munde, dessen Spur ich bis Varna verfolgte, den Tod der Unglücklichen, und ich segne ihn, denn er deckt ihre und unsere Schande. Aber das Kind, das Kind aus dem Blute meiner Schwester, soll der falsche Engländer nimmer besitzen und sollte ich es ihm mit dem Leben entreißen!«

Die verächtlichen drohenden Blicke der Offiziere ringsum hafteten auf dem Briten, der bleich und trotzig im Kreise umher schaute.

»Das Kind ist mein, ich nehme das Recht des Vaters und Engländers in Anspruch!«

»Herr Caraiskakis,« sagte der Admiral ernst, indem er sich erhob, »wir sind Ihnen verpflichtet durch den Dienst, den Sie uns erwiesen haben, indem Sie keine Gefahr scheuten, um Admiral Nachimoff und dann uns Nachricht zu bringen von dem verräterischen Unternehmen des türkischen Geschwaders. Wir möchten Ihnen gern Gerechtigkeit gewähren an diesem Mann, doch – das Recht des Vaters ist ein heiliges, und als solcher kam er in unsere Gewalt.«

»Einen Augenblick, Exzellenz,« unterbrach der Vize-Admiral Rogula den Greis. »Wenn ich Kapitän-Leutnant Juschkin recht verstanden habe, erfolgte die Entbindung des Mädchens erst nach der Wegnahme des Schiffes?«

»So ist es,« bestätigte der Kapitän.

»Dann, mein Herr,« sagte mit Würde der Admiral, »ist das Kind unter russischer Flagge geboren und genießt russischen Schutz, bis Ihre Ansprüche bewiesen sind, was durch den Tod der Mutter unmöglich sein dürfte.«

Der Baronet stampfte mit dem Fuße auf. »Ich will mein Kind!«

Ein Sturmstoß erschütterte das Gebäude, daß es in seinen Grundvesten zu erbeben schien.

»Hören Sie die Stimme des Allmächtigen, Herr,« sprach streng der Greis, »der mit seinem Sturmwind über jene Wogen fährt, denen bald Ihr Leben anvertraut sein wird. – Fort mit ihm, und Sie, Nowossilsky, zu Schiffe, zu Schiffe, damit Sie die hohe See erreichen, ehe der Sturm nach Süden umsetzt!«

Er reichte dem Kontre-Admiral die Hand und die Schiffs-Offiziere verließen eilig den Saal und die Admiralität. Knirschend fügte sich der stolze Brite in die Befehle, da einige deutliche Winke ihn belehrten, daß er sonst mit Gewalt an Bord geschleppt werden würde.

Als er am Quai stand und auf das Boot harrte, legte sich eine Hand auf deine Schulter, und sich umwendend, schaute er wieder in das vor Haß glühende Auge des Griechen.

»Ich hoffe,« sagte dieser mit zischendem Tone, »wir werden uns wieder begegnen, wenn Sie nicht unter'm Schutz der Gefangenschaft stehen. Holen Sie Ihr Kind, Mylord, wenn Sie den Mut dazu haben!«

»Ich werde es holen! Goddam!« Er sprang ins Boot und die dunklen Wellen trennten die Gegner. –

Während der ausbrechende Sturm bereits das Land und Meer peitschte, begleitete die »Bessarabia« das Admiralschiff »Großfürst Konstantin« aus der Bucht, auf deren Höhe die beiden anderen Linienschiffe es erwarteten. Eine Stunde darauf waren die Anker gelichtet und das Geschwader stach unter Sturmsegeln glücklich hinaus in See.


III. Sinope.

Die russische Pontus-Flotte hatte bisher ungehindert auf dem Schwarzen Meere und bis dicht an die rumelischen und anatolischen Küsten gekreuzt und bereits mehrere türkische Dampfschiffe, darunter noch während der von Omer-Pascha dem russischen Oberbefehlshaber in den Fürstentümern gestellten Frist den »Medari Tidjaret«, genommen. Die türkisch-egyptische Flotte ankerte während dessen noch im Bosporus in der Bucht von Beykos. Das französisch-englische Geschwader war am 8. und 9. vor Konstantinopel eingetroffen, wobei wieder verschiedene kleine Szenen von Rivalität zwischen den beiden Nationen stattgefunden hatten. Ihre mächtigen Schiffe lagen jetzt vom Eingang des Goldenen Horns bis Bujukdere hinauf an dem europäischen Ufer des Bosporus und ihre Mannschaften füllten die Straßen von Konstantinopel, wobei das anständige und freundliche Benehmen der französischen Matrosen einen grellen Gegensatz gegen das brutale und rohe Treiben der englischen Seeleute bildete, die auf den Straßen Schlägereien mit den türkischen Wachen anfingen, Weiber insultierten, die Bevölkerung verhöhnten und sich so viehisch betranken, daß täglich abends die Gassen in Galata und Tophana voll Sinnloser lagen, die sich im Kot wälzten. Es blieb zuletzt dem Seraskier nichts mehr übrig, als jeden Morgen die betrunkenen Matrosen von den Straßen auflesen und sie in großen Booten an Bord des englischen Wachtschiffes abliefern zu lassen.

Die Feindseligkeiten in Asien zwischen Russen und Türken hatten unterdes einen ausgedehnteren Gang und größere Bedeutung gewonnen, so daß die Unterstützung der beiderseitigen Flotten nötig wurde.

Am 28. Oktober hatte Selim-Pascha, der Oberbefehlshaber der türkischen Truppen in Anatolien, das Fort Nikolajowst (Scheffekil), den ersten russischen Posten an der südlichsten Spitze der Küste von Kaukasien zwischen Batum und Redutkale, überfallen und nach siebenstündigem Kampfe eingenommen. Der Posten war nur durch die großen Proviantvorräte von Bedeutung, die hier lagerten. Der Kommandant der Truppen in Grusien, Oberst Karganow, versuchte zwar, denselben wieder zu nehmen, wurde jedoch zurückgedrängt. Der Verlust auf beiden Seiten war erheblich. Die türkische Armee überschritt hierauf auch an anderen Punkten die russische Grenze und nahm einige kleine Posten weg, bis Fürst Bariatinsky dem Feinde in der vorteilhaften Stellung bei Gümri (Alexandropol) am 14. November eine bedeutende Niederlage beibrachte, bei welcher zirka 1000 Türken zu Gefangenen gemacht wurden. Bald darauf, am 26., erfocht Fürst Andronikoff einen zweiten glänzenden Sieg über das türkische Korps, das Achalzik (Akiska) eingenommen hatte und die Festung belagerte. Die Türken verloren hier an 5000 Mann, 12 Kanonen, 7 Fahnen, die ganze Bagage und große Munitionsvorräte.

Es ist eine bekannte Sache, daß die tscherkessischen Stämme in ihrem Kampfe gegen Rußland seit Jahren im stillen von England unterstützt wurden.

Bei Beginn der orientalischen Verwickelungen war daher eines der ersten Mittel, was die sogenannte neutrale Intervention ins Auge faßte, die Aufreizung Schamyls zu einem Angriff gegen die russischen Forts an der abchasischen Küste und die ganze Stellung am Kaukasus. Man hoffte dabei offenbar auf einen Aufstand aller mingrelischen Stämme, um damit eine Schutzwehr für Anatolien zu erlangen. Die Politik der Westmächte, die bis zum letzten Augenblick den Schein einer abwartenden und ausgleichenden Stellung zu bewahren suchte, schob natürlich bei Verfolgung dieser Intrigue das türkische Kabinett vor. Es wurde im Divan eine Expedition an die abchasische Küste beschlossen, um den Bergvölkern Geld, Waffen und Truppen zuzuführen, und alsbald ins Werk gesetzt. Mit dem Kommando des Geschwaders ward, auf die Einwirkung des Kapudan-Pascha, dieses zweiten Führers der Kriegspartei, der 61jährige Osman-Pascha betraut. Derselbe empfahl sich wenigstens durch einen 41jährigen Seedienst. Indes hat die Erfahrung gelehrt, daß auch jetzt eben noch wie früher die türkische Marine, trotz der in England gebauten Schiffe, keineswegs den Ruf verdiente. Die Türken sind nie tüchtige Seeleute gewesen, und die türkische Flotte war bis zum Beginn des Krieges zum großen Teil mit griechischen Matrosen bemannt, die, bei der allgemeinen fanatischen Stimmung unter der griechischen Bevölkerung, ihren Dienst verließen, so daß nur eine ziemlich undisziplinierte Mannschaft zurückblieb. Noch trauriger war es auf der egyptischen Flotte bestellt, die, mit Ausnahme der Dampfschiffe, aus so jämmerlichen, alten und morschen Fahrzeugen bestand, daß beim Auslaufen dieser Hilfseskadre aus Alexandrien im Sommer das Admiralschiff alsbald gesunken war, und die Flagge schleunig auf einem zweiten Schiffe aufgehißt werden mußte.

Das Geschwader, mit dem Osman-Pascha in der ersten Hälfte des November Befehl erhielt, unter Segel zu gehen, bestand aus 7 Fregatten, 2 Korvetten, 1 Sloop und 2 Transportschiffen.

Es hatte über 5000 Landtruppen, unter Kommando Mustapha-Pascha's, zur Ausschiffung an der tscherkessischen Küste an Bord, so wie 20 Millionen Piaster in englischem Gold, nebst bedeutenden Vorräten an Waffen und Munition. Mehrere englische Offiziere und Ingenieure, so wie eine Anzahl politischer Flüchtlinge, befanden sich auf den Schiffen.

Dies war die wichtige Nachricht der russischen Agenten in Konstantinopel, welche Caraiskakis von Varna aus, indem er ein auf der Höhe der Bucht kreuzendes Schiff erreichte, dem Geschwader des Vize-Admirals Nachimoff, des Kommandierenden der fünften Flotten-Division, und von diesem mit der Bessarabia nach Sebastopol überbracht hatte.

Am 24. erblickte Vize-Admiral Nachimoff, in der Aufsuchung des türkischen Geschwaders begriffen, dasselbe im Hafen von Sinope, wohin sich Osman-Pascha, der am 16. von Trapezunt abgesegelt war, zurückgezogen hatte, teils um Schutz vor den Stürmen zu suchen, teils um abzuwarten, daß die an der abchasischen Küste kreuzenden russischen Schiffe sich zurückzögen. Die Türken glaubten sich auf der Rhede von Sinope vollkommen sicher vor jedem Angriff.

Am folgenden Tage verhinderte ein heftiger Sturm aus Westen den Admiral, sich Sinope zu nähern, und er sandte sofort die »Bessarabia« ab, indem er mit den Linienschiffen »Kaiserin Maria« von 120, »Tschesme« und »Rosstisslaw« von 84 Kanonen und den Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« die Rhede blockierte.

Die Stadt Sinope liegt auf einer weit ins Meer vorspringenden Landzunge, die einen sicheren Hafen bildet. Von ihren berühmten Tempeln, Lyceen und Porticis ist nichts mehr zu sehen, aber die großen Fundgruben altertümlicher Reste sind die Mauern, welche die ärmlich erbaute neue Stadt und die Zitadelle umgeben. Die Stadt zählt etwa 10 000 Einwohner.

Die türkische Eskadre war bogenförmig längs dem Ufer aufgestellt, mit seitwärts ausgeworfenen Wurfankern, um bei jedem Winde eine Linie bilden zu können. Am Ufer waren, den Zwischenräumen der Schiffe gegenüber, doch ziemlich ungeschickt, fünf Batterieen errichtet.

In der Nacht zum 28. machte der Vize-Admiral Nachimoff seine Dispositionen, um beim ersten günstigen Winde den Feind anzugreifen. Dies sollte in zwei Kolonnen geschehen, deren rechte der Admiral führen wollte. Sein Flaggenschiff war die »Kaiserin Maria«; die Schiffe »Großfürst Konstantin« und »Tschesme« sollten ihm folgen. Die linke Angriffskolonne unter Befehl des Kontre-Admirals Nowossilski bestand aus den Schiffen »Paris«, »Tri-Sswjatitelja« und »Rosstisslaw«.

Die Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« sollten unter Segel auf der Reede bleiben, um, falls einige feindliche Schiffe sich durch die Flucht zu retten versuchen sollten, sie daran zu verhindern.

Die Russen ersehnten eifrig den günstigen Wind, während die Türken unter dem Schutze der Batterieen an die Unmöglichkeit eines Angriffes zu glauben schienen.

Endlich am Morgen des 30., Mittwoch, setzte der Wind um, und es trat ein leichter, günstiger Ost-Nord-Ost ein. Um 10 Uhr morgens gab der Admiral das Zeichen, sich zum Kampfe fertig zu machen.

Am Tage vorher war Sir Maubridge mit seinen beiden Dienern durch ein Boot in der Nähe der Stadt ans Land gesetzt worden.

Während sich die beiden Kolonnen unter Leesegeln dem Feinde näherten, herrschte so starker Nebel und Regen, daß die feindlichen Schiffe kaum in der Entfernung einer halben Stunde deutlich sichtbar waren.

Die »Kaiserin Maria« ging auf ungefähr 250 Faden weit an zwei türkische Fregatten heran, deren eine von 74 Kanonen die Flagge des Bahrielivaki (Vize-Admiral) Osman-Pascha zeigte und hinter deren Spiegel am Ufer sich eine Batterie von 12 Kanonen befand, und warf in dieser Entfernung Anker und Wurfanker.

Zugleich legte sich auf dem linken Flügel das Flaggenschiff des Kontre-Admirals Nowossilski, »Paris«, noch näher an den Feind, und die anderen Schiffe nahmen ihre ihnen angewiesene Stellung ein, der »Tschesme« auf dem äußersten rechten, der »Tri-Sswjatitelja« auf dem linken Flügel.

Die russischen Schiffe hatten kaum Anker geworfen, so begannen die türkischen Batterieen und Fregatten ihr Feuer.

Admiral Nachimoff hatte mit seinen Offizieren auf der Schanze der »Maria« seinen Platz genommen und beobachtete mit dem Fernrohr die beginnende Schlacht. Die Kugeln der Batterieen, namentlich die des Forts Sinope, taten dem Masten- und Spierenwerk des Schiffes großen Schaden, und auch auf dem »Konstantin« bemerkte man deutlich denselben Übelstand.

»Lassen Sie die Geschütze der oberen Batterie zunächst gegen das Kastell richten, Kapitän Budischtew«, befahl der Admiral, »wir müssen dasselbe zum Schweigen bringen, sonst behalten wir keine Stange an Bord. Mit den Fregatten wollen wir alsdann schon fertig werden.«

Leutnant Roßtißlaw führte den Befehl auf dem ersten Deck. An seinen Geschützen arbeiteten die später durch ihren Heldentod so berühmt gewordenen Matrosen Boltnika, Schweschenko und Koschka mit ihren Kameraden, alle bis zum Gürtel entblößt, auf den ersten Wink zum Beginn des Feuers harrend.

Der Kapitän ging selbst durch die Batterieen und ordnete die Richtung der Geschütze, während die türkischen Kugeln durch das Takelwerk pfiffen und hin und wieder in die Wände des Schiffes prasselten. Nachdem alles geordnet war, erfolgte der Befehl zur Eröffnung des Feuers, und von diesem Augenblick an spie die »Maria« ohne Unterbrechung ihre Breitseite gegen das Ufer.

»Sehen Sie den ›Konstantin‹ an, Exzellenz,« bemerkte Buditschew, »wie er mit der Batterie dort umspringt; wahrhaftig, Kapitän Rakoskoi rasiert sie, ehe die Türken dreimal zum Laden kommen.«

In der Tat war fünf Minuten später die Batterie völlig demontiert und das Linienschiff konnte unbehindert seine Bombenkanonen des unteren Decks gegen die gegenüberstehende Fregatte wenden.

»Das Feuer auf dem linken Flügel scheint heftig,« sagte der Admiral; »der ›Rosstisslaw‹ scheint von den kleinen Schiffen, die sich an ihn gehangen, und den Batterieen zu leiden. Geben Sie dem ›Kagul‹ das Signal, sich anzuschließen.«

»Die Bomben der ›Paris‹ haben die Stadt in Brand geschossen, ich sehe eine Feuersäule aufsteigen,« meldete der Leutnant Birjulew.

»In welchem Teil?«

»Nach den Minarets ist es das türkische Viertel.«

»Ha! – was ist das? Tscherti tjebie by wsali! da geht sie wahrhaftig in die Höh'!«

Ein donnerndes Geprassel überdröhnte das Brüllen der Kanonen, – die Fregatte, welche dem »Konstantin« gegenüber gestanden, flog in die Luft, ihre Trümmer fielen weit ringsum und entzündeten die Flamme an einer zweiten Stelle der Türkenstadt.

Lustig arbeiteten die Kanonen auf den drei Decks der »Maria«, dichter Pulverdampf hüllte sie fast in undurchdringlichen Nebel, daß kaum die Mannschaften der Geschütze nebeneinander sich sehen konnten. Nur der ermunternde Zuruf der Offiziere, das Ächzen der Verwundeten unterbrach die stille Arbeit an den Kanonen.

Da prasselte es durch das obere Deck und eine Bombe schlug mitten zwischen die Batterie.

»Nieder! zu Boden!«

Der Ruf des Leutnants wurde nur von wenigen vernommen, die, gewohnt an blinden, augenblicklichen Gehorsam, sich auf das Deck warfen. Einer der Matrosen des nächsten Schiffes aber war, mit dem Rücken gegen den Offizier gekehrt, eben mit der Visierung seiner Kanone beschäftigt und hörte den Befehl oder achtete der Gefahr nicht.

Leutnant Roßtißlaw, im Begriff, sich niederzuwerfen, bemerkte den Mann. Im selben Augenblick auch erfaßte er ihn bei den Beinen und riß ihn schwer zu Boden, daß der Matrose hart mit dem Schädel gegen das Geschützrad schlug und sein Gesicht sich mit Blut bedeckte. Im nächsten Moment platzte die Bombe und ihre Tod und Verderben bringenden Splitter sprühten umher.

Zehn verstümmelte Leichen bedeckten den Boden, als der Offizier wieder in die Höhe sprang, schweres Ächzen belehrte ihn, daß noch mehrere verwundet waren.

»Der Teufel hole die Kugel, sie kostet uns ein Dutzend der besten Leute! Was, auch mein braver Schewtschenko? – Warum hörtest Du nicht auf meinen Befehl, Sukiensyn!« (Hundesohn).

»Hollah, Euer Gnaden,« sagte der Matrose, den der Leutnant eben bedauerte und welcher derselbe war, den er zu Boden gerissen, »die Bombe hat mir nichts getan, Euer Gnaden haben mich nur etwas unsanft angepackt. Aber jetzt weiß ich warum, und schorte wos mi, wenn ichs Euer Gnaden vergesse!«

Ein Adjutant des Generals sprang die Leiter herunter.

»Vielen Verlust, Roßtißlaw, von der Bombe?«

»Zehn tot, sechs verwundet!«

»Teufel, das wird den Alten ärgern! Ans Werk, Jungens und richten Sie die Geschütze jetzt gegen das Admiralschiff. Wir müssen die Flagge haben.«

Die Kanonen donnerten, die Männer arbeiteten, von Blut, Dampf, Staub und Schweiß bedeckt, wie die Teufel ausschauend, wie die Teufel tätig in diesem Meer von Donner und Flammen.

Eine neue Explosion erfolgte: die türkische Fregatte, welche der »Paris« gegenüberlag, flog in die Luft. Die See war weit umher von Trümmern, Leichen und Schwimmenden bedeckt.

»Die Wurf-Ankertaue sind durchschossen!« ließ der im Vorderkastell kommandierende Offizier der »Maria« dem Kapitän melden. »Das Schiff fällt ab.«

»Auf der Barkasse den Wurfanker! Herunter mit dem Kabeltau!«

Unter dem heftigsten Feuer wurde das Schiff wieder festgelegt. Der »Tri-Sswjatiteljah« war in gleicher Verlegenheit gewesen.

Eine Stunde hatte das Feuer in voller Heftigkeit gedauert, als es auf türkischer Seite zu ermatten begann. Die Boote der Schiffe, die noch See halten konnten, bedeckten, mit Flüchtenden gefüllt, den Raum nach dem Ufer. Hunderte warfen sich ins Wasser, um schwimmend ihre Rettung zu versuchen.

Um 2 Uhr hörte das Feuer von den türkischen Fahrzeugen fast ganz auf; drei Fregatten, darunter die des türkischen Admirals, standen in Flammen, und von den zwei durch die Kugeln durchbohrten und gesunkenen Transportschiffen waren nur die Masten sichtbar. Eine der Korvetten war gleichfalls von den herbeigekommenen Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« in Grund gebohrt, die andere Korvette und die Sloop kampfunfähig. Die drei Schiffe hatten dem »Rosstisslaw« arg zugesetzt.

Um 2½ Uhr gab Admiral Nachimoff das Signal, das Feuer einzustellen. Zugleich wurde Leutnant Birjulef mit der Parlamentärflagge nach der Stadt gesandt, um den türkischen Behörden anzuzeigen, daß, wenn noch ein Schuß von den Batterien oder vom Ufer aus fallen sollte, der Admiral von Grund aus die Stadt zerstören oder abbrennen werde.

Der Offizier verweilte fast eine Stunde unbehindert am Ufer, ohne eine obrigkeitliche Person auffinden zu können. Ein panischer Schrecken hatte sich der Moslems bemächtigt und die türkische Bevölkerung sich sämtlich in die nächsten Dörfer geflüchtet. –

Während die Schlacht im Hafen von Sinope wütete, hatte sich auf der See jenseits der einbuchtenden Landzunge eine andere Kampfszene ereignet.

Am 29., sobald der General-Adjutant, Vize-Admiral Korniloff, den die »Bessarabia« aufgesucht hatte, mit einem Dampfgeschwader, bestehend aus den Dampfschiffen »Odessa«, »Krim« und »Chersones«, in Sebastopol eingetroffen und die Schiffe zum Auslaufen wieder bereit waren, ging er zur Escadre Nachimoffs ab. Am 30., bald nach 12 Uhr, bemerkte man auf dem Dampfer, der sich bereits der anatolischen Küste genähert hatte, über die Landzunge von Sinope hinweg, daß die Schlacht begonnen, und die Dampfschiffe beschleunigten alsbald ihren Lauf so sehr als möglich, um die Reede zu erreichen. Als sie am Vorgebirge von Sinope vorübergingen, wurde ihnen die türkische Dampf-Fregatte »Taîf«, von 20 Kanonen, sichtbar, die, auf dem linken Flügel der türkischen Stellung postiert, weniger gelitten und bereits vor Beginn des Kampfes geheizt hatte und jetzt bemüht war, durch die Flucht der allgemeinen Vernichtung zu entgehen.

Der Vize-Admiral Korniloff befahl alsbald, seine Flagge aufzuziehen und dem türkischen Dampfschiffe, das nach der hohen See steuerte, den Kurs abzuschneiden. Der »Taîf«, obschon er fast drei Mal stärker war als die »Odessa«, änderte jedoch, sobald er das russische Manöver gewahr wurde, seine frühere Richtung und lief längs dem Ufer hin. Als das Dampfschiff »Odessa« sich bis auf Kanonenschußweite genähert, eröffnete es das Feuer aus dem langen Neunpfünder auf seinem Vorderteil.

»Bei Gott,« sagte der Admiral, »die Schurken werden den Kampf nicht annehmen, sondern verlassen sich auf die stärkere Maschine. Wir müssen zu dem letzten Mittel greifen, sie zum Fechten zu zwingen. Lassen Sie die Enterhaken bereit machen, Kapitän Stanißlaw, und die nötige Mannschaft an die Schanzverkleidungen treten. Wir wollen versuchen, ihn im Vorbeikommen anzulaufen, die Enterhaken an seinen Bord zu werfen und ihm dabei eine Salve zu geben.«

In wenigen Augenblicken waren die Vorbereitungen getroffen und die Schiffe näherten sich rasch einander, denn der Kapitän des »Taîf« sah ein, daß er dem russischen Dampfer nicht ausweichen könne, ohne auf die Klippen des Ufers zu geraten. Die Besorgnis einer Enterung oder eines Zusammenstoßes dagegen war eine weit geringere, da wie erwähnt, das türkische Schiff noch ein Mal so groß war wie die »Odessa« und nur in dem Kampfe mit allen drei Dampfern Gefahr vorlag, der beim Gelingen einer Enterung unvermeidlich gewesen wäre.

Die Mannschaften beider Schiffe standen auf den Decks, die Türken mit Rudern und Stangen bewaffnet, um das feindliche Schiff abzuhalten. Auf den Radkästen und an den Seiten der »Odessa« waren die Enterer postiert, Kapitän Stanißlaw auf der Brücke über der Maschine, um die Kommandos für die Bewegung zu geben.

»Was tun Sie hier, mein Herr?« sagte einer der Offiziere zu einem Manne in einem der grauen russischen Militär-Capots und darunter in Zivilkleidung, der, das Glas am Auge, einen Säbel in der Faust, am Bugspriet des Dampfers auf einer der gefährdetsten Stellen sich aufhielt. »Sie gehören nicht zur Equipage und setzen sich hier unnütz der Gefahr aus.«

Der Angeredete verwandte kein Auge von dem heranbrausenden Gegner.

»Bitte, lassen Sie mich hier,« sagte er dringend, »ich habe von dem Admiral die Erlaubnis erhalten, den Kampf mitzufechten, und bin begierig, Ihnen zu zeigen, daß mein Volk die Gefahren seiner Beschützer zu teilen wünscht.«

Es war keine Zeit zu langem Streit, denn die Schiffe waren etwa nur noch 20-30 Faden weit auseinander, und Gregor Caraiskakis, – denn er war es, der an der Brustwehr stand, und welcher, nachdem er in Sebastopol verschiedene Verfügungen über das Kind seiner Schwester getroffen hatte, auf seine ausdrückliche Bitte auf dem Schiff des Vize-Admirals aufgenommen worden war, um seinem Gegner nach Sinope zu folgen, – behielt seinen Platz.

Während der »Taîf« in gerader Linie seinen Lauf fortsetzte, schoß die »Odessa« in einem spitzen Winkel gegen ihn heran. In der Entfernung von etwa einer halben Seemeile eilten die beiden anderen Dampfschiffe herbei.

Es war die Absicht des Admirals, das Bugspriet des kleinen Dampfers womöglich in den Radkasten der türkischen Fregatte aufzurennen, die Enterhaken zu werfen und die Türken so im Kampf festzuhalten, bis die beiden anderen Dampfer herankommen konnten.

Auf dem türkischen Schiff war diese Absicht offenbar erkannt, denn auch dort füllten sich die Radkästen und alle höheren Stellen mit Männern.

Die »Odessa« schoß wie ein schnaubendes Dampfroß heran, und ihr Vorderteil berührte beinahe die Flanke des »Taîf«, als dieser im selben Augenblick wendete, so daß der Vorderteil des russischen Schiffes an dem Radkasten vorüberschoß und nur das hohe Hinterkastell der Fregatte traf. Die Enterhaken wurden zwar geworfen, fanden hier aber wenig Halt, und ein kurzer Kampf entspann sich auf den Decks, während der Dampfer von dem Anstoß sich langsam herumschwenkte und seitslängs der Fregatte legte.

Einige der russischen Matrosen versuchten an der höheren Brüstung des türkischen Schiffes empor zu klettern, wurden aber zurückgeworfen oder ins Wasser gestürzt. Unter denen, welche vergeblich sich damit bemühten, befand sich auch Caraiskakis. Er hatte mit der Linken sich an eine der herabhängenden Bootketten festgeklammert und war im Begriff, sich über den feindlichen Bord zu schwingen, als ein donnerndes Krachen verkündete, daß die »Odessa« die vier kleinen Kanonen gelöst, die ihre Breitseite bildeten. Die Schwere der Geschütze war zu gering, um selbst in dieser Nähe eine gefährliche Wirkung auf die Fregatte auszuüben; der Rückstoß der Salve bewirkte jedoch, daß die Schiffe von einander prallten und einige Ketten der geworfenen Enterhaken sprangen, während andere von dem türkischen Schiffsvolk gelöst wurden. Zugleich schoß die Fregatte mit aller Kraft der Maschinen vorwärts und war im nächsten Augenblick schon mehrere Schritte an der »Odessa« vorbei.

Ein wilder Ruf des Schreckens ertönte von den Lippen derer, die noch an dem türkischen Schiff hingen und vergeblich jetzt wieder an den eigenen Bord zu gelangen suchten. Einige ließen sofort los und vertrauten sich den Wellen an, andere wurden von den Türken heruntergestoßen.

Caraiskakis, der zu spät die Schanze des russischen Schiffes unter seinen Füßen weichen fühlte, wurde, ehe er noch einen Entschluß fassen konnte, hart von einem Türken bedroht, gegen den er sich, so gut er es in dieser Lage vermochte, mit dem Säbel verteidigte.

Schon wollte er den schwankenden Halt aufgeben und sich gleichfalls ins Meer stürzen, als er sich von hinten am Kragen ergriffen und von einer kräftigen Faust emporgehoben und über Bord geschwungen fühlte. Im nächsten Augenblick, als er sich emporraffte, starrte er seinem Besieger ins Antlitz, der ruhig die Moslems von dem Gefangenen zurückwehrte, – es war Sir Maubridge. –

Die »Odessa« verlor mehrere Minuten mit dem Auflesen ihrer Leute und dem Wenden. Als sie die Verfolgung des »Taîf« wieder aufnahm, war dieser bereits eine ziemliche Strecke entfernt, und obschon die Maschine aufs höchste angespannt wurde, zeigte es sich doch bald, daß der Lauf der Fregatte zu überlegen war, um ein Einholen möglich zu machen. Sobald diese daher außer Schußweite gekommen war, befahl der Admiral, die Jagd einzustellen, und die drei Dampfer wandten sich eilig nach der Richtung von Sinope, um dort ihren Teil am Kampfe zu nehmen.

Aber sie kamen hier zu spät.

Auf der Reede von Sinope war die Schlacht beendet. Die eintreffenden Dampfer »Krim« und »Chersones« erhielten sofort die Ordre, die russischen Schiffe aus der Schußweite der noch kampffähigen Uferbatterien zu bugsieren für den Fall, daß es dem Feinde einfallen sollte, in der Nacht sein Feuer zu erneuern. Die »Odessa« aber wurde beordert, die türkische Fregatte »Damiette«, welche am wenigsten von den Kugeln gelitten hatte, in Besitz zu nehmen und vom Ufer fortzuführen.

Dies geschah ohne Widerstand. Man fand auf der Fregatte kaum noch 100 Mann der Besatzung und etwa 50 Verwundete. Der Kommandeur und die Offiziere hatten das Schiff schon im Anfange der Schlacht verlassen, indem sie sich mit sämtlichen Ruderbooten in schimpflicher Flucht ans Ufer retteten.

Mehrere der türkischen Schiffe standen noch in vollen Flammen und gewährten in dem einsinkenden Dunkel des Abends ein furchtbar schönes Schauspiel, indem sie aus den glühend gewordenen Geschützen ihre Kugeln weit hinaus über die Reede versendeten. Als das Feuer die Pulverkammer erreichte, flogen sie endlich in die Luft, und die brennenden Trümmer verbreiteten sich über die am Ufer entlang liegende Türkenstadt, so daß diese aufs neue in Brand geriet. Gegen Mitternacht stand der ganze, von einer steinernen Mauer umgebene Raum in Flammen; die Griechenstadt blieb jedoch von dem Feuer verschont.

Am 1. Dezember bei Tagesanbruch waren von den 12 Fahrzeugen, aus denen die türkische Eskadre bestanden hatte, auf der Reede nur noch die Fregatte »Damiette« im Schlepptau der »Odessa«, die »Sloop« und die zweite Korvette ganz zerschossen auf dem Strande am Südufer der Bucht zu erblicken. Nach aufmerksamer Besichtigung erwies es sich, daß die »Damiette« 17 Kugeln unter der Wasserlinie erhalten hatte; der ganze Rumpf unter dem Wasser, die Masten und die Takelage waren in dem Grade beschädigt, daß ohne bedeutende Reparaturen, die viel Zeit gekostet hätten, es unmöglich gewesen wäre, sie bis Sebastopol zu bringen. Es wurde demnach befohlen, sie ans Ufer zu werfen und gleichfalls in Brand zu stecken.

Mit gleichem Befehl bemächtigten sich die Boote der Fregatte »Kagul«, der Sloop und der Korvette. Die mit dem Auftrag betrauten Offiziere fanden auf der Sloop den Kommandanten der türkischen Eskadre, den Bahrielivaki (Vize-Admiral) Osman-Pascha, den Kapitän der Fregatte »Raphael«, den Kommandeur der Sloop und 80 Matrosen. Osman-Pascha war bald nach der Eröffnung des Feuers am rechten Bein verwundet worden, indem eine Kugel den Knochen zerschmetterte. Das Admiralschiff war das zweite, das von den Bomben der Russen in Brand geschossen worden, und die zügellose Mannschaft hatte sich alsbald in die Boote geworfen, indem sie ihren Admiral obenein ausplünderte, ihn seiner Uhr und seiner Kleidung beraubte und ihn hilflos und entblößt auf dem Deck liegen ließ. Ein Boot der Sloop, das der brennenden Fregatte zu Hilfe eilte, hatte ihn aufgenommen.

Die türkischen Offiziere wurden auf das Dampfschiff »Odessa«, die gefangenen Mannschaften auf das Schiff »Tschesme« gebracht. Am Abend des 1. Dezembers fand sich auf der Reede von Sinope kein türkisches Fahrzeug mehr auf dem Wasser.

Die Beschädigungen der russischen Schiffe beschränkten sich größtenteils auf die Masten und Takelage; am meisten hatten in ihrer Armierung die Schiffe »Kaiserin Maria«, »Tri-Sswjatitelja«, »Großfürst Konstantin« und »Rosstisslaw« gelitten. Die Mannschaften gingen, trotz der Ermüdung vom Kampfe, eilig an die Ausbesserung.

Am 2. Dezember lichtete die Eskadre des Vize-Admirals Nachimoff Anker und verließ die Reede von Sinope, indem die beschädigten Fahrzeuge von den Dampfern bugsiert wurden.

Schon am 4. langten die drei am schwersten beschädigten Schiffe auf der Reede von Sebastopol an.

Der »Taîf« brachte die Kunde von der Vernichtung des türkischen Geschwaders nach Konstantinopel, und die Verwirrung über die unerwartete Botschaft war um so größer, als niemand an die Möglichkeit eines solchen Schlages geglaubt hatte. Von den zehn Fregatten und sechs Korvetten der türkischen Flotte waren sechs und zwei vernichtet, und die Moslems begannen zum ersten Male bedenklich zu werden über den vielgepriesenen Schutz der Westmächte.

Im Raume des »Taîf« langte in Fesseln Gregor Caraiskakis, der einzige Gefangene, wieder in Konstantinopel an.



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