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Am Bosporus.

Wo jenes prachtvolle, seit Jahrtausenden berühmte Meeresbecken, das Marmarameer – Propontis der Alten – im Nordosten wieder die Ufer zweier Weltteile zusammentreten läßt, liegen einige liebliche Eilande, die Prinzen-Inseln.

Das Meer scheint sich gleichsam hier in drei Arme zu teilen: nach Nordwesten die Bosporusstraße, im Süden der weite Blick auf das offene Marmarameer, gegen Westen eine prächtige, zwischen zwei Vorgebirge des europäischen Ufers sich eindrängende Meeresbucht, das goldene Horn.

Auf dem Ufervorsprung zwischen diesem und der Buchtung des Marmarameeres liegt die Sieben-Hügel-Stadt des Ostens Byzanz, – Konstantinopel – Stambul! – Die drei Namen umfassen ihre Geschichte.

Gegenüber auf der nördlichen Seite des Goldenen Hornes, dessen Ufer sich hier schroffer und steiler emporheben, liegen die neueren, zum Teil von den Genuesen und Venetianern gegründeten Stadtteile; um die äußere Spitze Tophana, daran stoßend am inneren Ufer des Hornes Galata, über beiden terrassenförmig aus der Berghöhe Pera, die Frankenstadt.

Auf der Höhe des Berges umziehen die Vorstädte Cassim-Pascha und St. Demetri die Frankenstadt Pera. Stambul selbst wird außerhalb der großen verfallenen Ringmauer, die es noch aus der Griechenzeit her einschließt, von den Vorstädten Ejoub (zunächst am Goldenen Horn) und Daoud-Pascha umgeben. Gegenüber dem Eingang des Goldenen Horns auf dem asiatischen Ufer liegt in prächtiger, sanft aufsteigender Terrasse Scutari, das gleichfalls als Vorstadt Konstantinopels gilt. Als solche werden auch die fortlaufenden zusammenhängenden Ortschaften entlang der beiden Seiten des Bosporus angesehen, die hauptsächlich durch die Paläste und Villen der vornehmen Türken und Europäer gebildet werden.

Ein blauer, durchsichtiger Himmel wölbt seinen ewig heiteren Bogen über die leicht bewegte Flut, deren Ultramarin die Orientalen mit dem Namen Giök-su – das ist: Himmelswasser – getauft haben. Auf mehrere Meilen weit durchdringt das Auge diese klare, reine Luft so deutlich und sicher, wie in nordischen Landen kaum auf die Entfernung einer Viertelstunde. Am leicht aufsteigenden Berghange, der sich in sieben Hügel gruppiert, hebt sich die riesige Stadt, ein Meer von achtzigtausend Häusern – Byzanz – Konstantinopel Stambul – mit jenen tausendjährigen Erinnerungen des alten Thraciens, des mächtigen Römerreiches – der Kreuzzüge – des Jahrhunderte langen Kampfes des Kreuzes gegen den Halbmond, des Christenreiches gegen die Moslems; mit jenen Erinnerungen an Ströme von Blut, an jene Siege des Halbmondes, der von hier aus Europa bedrängte und seine Roßschweife vor die Tore Wiens trug.

Und da links – über die Kiosks und Bleidächer von seltener Form, die zwischen Platanen und dunklen Zypressen von der Landseite des Horns das Auge fesseln, über das Serail – eine Stadt in der Stadt – hinweg hebt sich auch ein Dom, riesig und mächtig, ein Meisterwerk von Menschenhänden, wie die Erde kein zweites hat! – des großen Justinian heiliger Gedanke an Gott, – die Sophien-Kirche – jetzt die Aja Sophia, eine türkische Moschee, über deren Gigantenkuppel ein riesiger Halbmond sich in die Luft streckt, als Wahrzeichen, daß Europa ja nicht vergessen möge seiner feigen Herzlosigkeit, ja nicht vergessen möge, daß es hier den Christenglauben von dem Moslem mit Füßen treten ließ!

Aus dem Meer von Häusern, alle klein, alle eintönig in ihrer rotbraunen Farbe, tauchen Paläste und die bleiglänzenden Kuppeln der beiden Bazars und zahlloser Moscheen empor, schießen die schlanken, säulengleichen Minarets in die Höhe, mit den schmalen Rundgängen und den grünen, hohen Spitzen, wie tausend Fingerzeige nach oben. Dazwischen wechselt das Grün der Platanen, das dunklere der Zypressen von den Gärten und weiten Kirchhöfen auf der Höhe der Berge; der riesige Palast der Hohen Pforte streckt seine lange Front auf dem einzigen freien Platz zwischen den Häuserreihen, der Turm des Seraskiers, der Feuerturm, von dessen Höhe Tag und Nacht Wächter die weite Stadt überschauen, um alsbald den Ausbruch der gefährdenden Flamme verkünden zu können, hebt sich wie eine Warte des romantischen Mittelalters in die Luft. Und drüben auf der andern Seite des Goldenen Horns – Chrysokeras, wie die Griechen wegen seiner vorteilhaften Lage und seines Reichtums an Fischen diesen schönsten aller Meeresarme nannten – da wo die Mauer von Galata Pera durchschneidet, hebt sich eine wirkliche Warte aus jener Zeit, der alte Genueser-Turm, mächtig und frei von dem Berge ab, zu gleichem Zweck dienend wie der jüngere Gefährte am Seraskiat. Von der Spitze beider weht die rote Fahne mit dem weißen Halbmond und den weißen Sternen.

Das Bergufer an der Nordseite des Goldenen Hornes steigt steiler empor als das der Türkenstadt, und hier kann man die Straßen und Gassen leichter verfolgen. Massive Gebäude sind hier häufiger, während bei den Türkenhäusern nur das Erdgeschoß von Mauerwerk, der Aufsatz aber von Holz ist. Die Paläste der Gesandten, darunter das große, nach der Seite von Tophana abfallende russische Gesandtschaftshotel, zeichnen sich aus. Am Ufer des Bosporus liegt die große Geschützgießerei Tophana, von der der Stadtteil seinen Namen hat. Zwischen dem europäischen und asiatischen Ufer, doch näher an Scutari, erhebt sich eine kleine Felseninsel aus dem Meere, wie Kaub im Rhein, der Turm des Leander mit seinem Wasserschloß. Scutari erscheint, selbst aus der Ferne gesehen, weit freundlicher und lichter als die europäische Stadt. Nach dem Marmara-Meer zu erstreckt sich dort, dicht am Meeresstrand, die neu erbaute kolossale Kaserne, weiß und rot angestrichen, die mehrere Regimenter fassen kann. Auf der Höhe des Berges Burgulu, an dessen Senkung sich die Stadt ausbreitet, dehnen sich die meilenlangen, großen Friedhöfe aus, die größten des Orients, denn auch aus Stambul lassen sich viele Türken hier begraben, um in der heimatlichen Erde der Mutter der Völker Asiens zu ruhen.

Drei große schöne Schiffbrücken führen über das Goldene Horn, diesen prächtigsten und größten Hafen der alten Welt. Jede enthält zwei Bogen zum Durchlaß der Schiffe, und die Meeresbucht ist so tief, daß selbst die größten Linienschiffe sie durchkreuzen und bis dicht ans Ufer anlegen können. Hunderte und Aberhunderte großer Schiffe jeder Art wiegen sich auf den blauen Wellen dieses Hafens und am Eingange desselben riesige Linienschiffe, Fregatten, Kriegsdampfer, dazwischen die Unzahl der Handelsfahrzeuge jeder Form, aus allen Gegenden und Zonen der Erde. Tausende von Kaiks, diesen Schwalben des Bosporus, leichte, schlanke, schmale, auf beiden Seiten spitze Boote, so eng und leicht gebaut, daß sie gewöhnlich außer dem Fanarioten oder Moslem, der das Ruder führt, nur eine Person tragen, die auf dem Boden des zierlich mit Schnitzwerk und Teppich gezierten Fahrzeuges kauern muß, kreuzen und schießen in allen Richtungen mit wunderbarer Schnelligkeit umher, gleich leuchtenden, bunten Pfeilen über die Flut. Alles kreuzt geschäftig oder in müßigem Vergnügen von Ufer zu Ufer und in der Meeresstadt umher, deren Häuser und Straßen die Schiffe aller Nationen bilden. Es soll dieser Kaiks über 80 000 in Konstantinopel geben, und der größte Teil derselben ist fortwährend in Bewegung. Die Großen und Reichen haben deren in Menge von den verschiedensten Größen mit reichen Vergoldungen; die zahlreichen Bootschuppen am Ufer des Hornes zwischen der Moschee der Sultanin Valide und dem Serail bergen einen großen Teil.

Über die Brücken und durch die Gassen wogt fortwährend ein Gedräng von Menschen, wie kaum die belebtesten Straßen von London es bieten, unvergleichlich in seinem bunten, immer wechselnden Anblick.

Dennoch bewegt sich die ungeheure, ewig ab- und zuströmende Masse, wenn auch nicht stiller – denn es herrscht durchgängig durch die zahlreichen Ausrufer und die Handelsleute ein bedeutendes Lärmen, – doch weit sicherer und geordneter als bei uns. Kein Wagen, keine Equipage sprengt den Strom der Fußgänger auseinander, nur selten fährt langsam ein von einem oder zwei vor einander gespannten Pferden – in den Umgebungen der Stadt auch von Ochsen – gezogener Araba daher. Es ist dies ein im Rokokostil des Abendlandes gebauter Wagen mit rot angestrichenem und reichvergoldetem Kasten von fast dreieckiger Form, die Spitze nach unten, der in Riemen zwischen hohen Rädern hängt oder fest aufsitzt, und in dem die Frauen der reichen und vornehmen Türken mit einer oder zwei Sklavinnen durch die Straßen fahren, um ihrer Neugier zu fröhnen und die Läden zu beschauen. Ein Eunuch oder Sklave führt das Pferd und wahrt die in den abscheulichen Yaschmak verhüllten Frauen vor jeder Berührung mit den Männern.

Sobald man das Ufer betritt, schwindet alle Herrlichkeit des schönen Bildes, und die Faulheit, Unordnung und der Schmutz des Orients bieten sich in ihrer vollen Widrigkeit dem Blick des Europäers.

Außer vor dem Arsenal Tershana und vor dem Hofe der Geschützgießerei in Tophana gibt es um das ganze so trefflich geeignete Ufer des Goldenen Horns keine Spur eines so notwendigen und schönen Quais, wie die europäischen Seestädte sie bieten. Wo das Schiff oder Boot ans Ufer legt, da tritt der Fuß in Schlamm oder Schmutz; jedes Gäßchen, jedes Haus läuft unmittelbar an den Meeresstrand aus, und nicht hundert Schritt kann man an demselben entlang gehen. Die Straßen aber, wie überall im Orient eng und krumm und meistens Gäßchen, in denen oft kaum ein Fußgänger dem anderen ausweichen kann. Selbst in Pera und Galata herrscht diese Bauart, und die große Perastraße ist nur sechs Schritt breit. Die Straßen sind nur zum Teil, und das so jämmerlich, gepflastert, daß es die Unbequemlichkeit erhöht. In der Mitte läuft die Gosse – wo eine solche existiert. Die Stadtteile an der nördlichen Bergwand, also Galata, Tophana, Pera usw., laufen so steil in die Höhe, daß der Weg ein bloßes Steigen und Klimmen ist. Die Häuser sind hier meist von Stein gebaut, mit europäischen Einrichtungen, die indeß wenig dem Klima entsprechen; die Hotels der Gesandtschaften sind große, prachtvolle Gebäude, ohne doch den Stadtteil zu zieren, da sie in hohe Mauern eingeschlossen oder durch enge und finstere Stiegen und Gäßchen abgesondert sind. Die Perastraße bietet eine Menge europäischer Läden, mit dem Kram gefüllt, der in Europa als zurückgelegte Ware betrachtet wird. Galata ist der Hauptplatz des Verkehrs, halb türkisch, halb fränkisch. Die Kaufleute und zahlreichen Bankiers haben hier ihre Läden und Gewölbe, ebenso der türkische Handwerker, der in offener Bude an der Straße sein Geschäft übt. Der Verkehr ist nach der Hornseite zu enorm.

Erreicht man über die erste Schiffsbrücke das Ufer von Stambul, so tritt man alsbald ins volle türkische Leben. Über niedrige Häuser, deren Wände vom Boden bis zum Dach mit Hühnerkörben gefüllt sind, ragen die Kuppeln und Minarets der Moschee der Sultanin Valide empor, und man vertieft sich in die zahllosen Gassen und Gäßchen, die zum großen Bazar, zum alten Serail, zum Palast der Pforte, zum Hippodrom, zur Suleimania Die schönste Moschee Konstantinopels, im äußeren Anblick selbst großartiger und symmetrischer als die Sophia, 1550-56 von dem Baumeister Sinan erbaut. und der Zahl reicher Prachtbauten der anderen Moscheen führen. Die Bauart der türkischen Privathäuser ist höchst dürftig: ein Viereck, das nach dem inneren Hof oder Garten zu geöffnet ist, während nach der Straße hin entweder die Hofmauer es ganz absondert oder doch nur Erker und wenige Fenster hinausgehen, die mit grünen Holzjalousieen oder vergoldeten Stäben vergittert und verschlossen sind. Das untere Stockwerk ist von Steinen erbaut, die oberen, höchstens zwei Etagen, sind von Holz und Fachwerk und laufen bei der großen Vorliebe der Türken für Balkons, Erker und Vorsprünge, in denen sie behaglich sitzen können, die eine über die andere auf Balkenunterlagen hinaus. Der Anstrich des Hauses ist gewöhnlich rotbraun, das Dach flach, mit niederen Mauern oder Wänden umgeben, so daß die Familie ungesehen von den Nachbarn auf seiner Höhe sitzen kann.

Das große Serail – Serail Burnu – das in der Abgrenzung der umgebenden Mauern einen Flächeninhalt wie etwa die innere Stadt Wien einnimmt, war der eigentliche Palast und Wohnsitz der ottomanischen Herrscher und der Schauplatz aller jener Revolutionen und Bluttaten, die so häufig die Thronfolge änderten. Dennoch sind der gegenwärtige Sultan und seine Söhne die direkten Abkömmlinge Ottomans, des Gründers der Monarchie, und gehören demnach zu den ältesten Herrschergeschlechtern der Monarchieen. Der Vater Abdul Medjids, der politische Reformator Mahmud II., der die Janitscharen opferte und das Tansimat gab, verlegte die Residenz aus dem Serail, das noch von dem Blute seines am 28. Juli 1808 ermordeten Bruders und Sultans rauchte, nach den Bosporus-Palästen, um mit den Erinnerungen zu brechen, die sich für sein Geschlecht an jene Mauern knüpften. Zahlreiche Kiosks und Schlösser auf beiden Seiten des Bosporus und seinen zauberischen Höhen dienen außerdem zum wechselnden Aufenthalt des Sultans. Das ganze europäische Ufer des Bosporus bis Bajukdere hin ist bedeckt von Palästen und Landhäusern, die teils den türkischen Großen, teils den Gesandten und reichen Kaufleuten Konstantinopels gehören, wo dieselben zur Zeit des Frühjahrs, Sommers und Herbstes wohnen. Während die Vorderfront der Häuser und Villen die Wellen des Bosporus bespülen, strecken sich auf der Rückseite prächtige Gartenterrassen an der steilen Bergwand in die Höhe.

Das Verhältnis und die Lage der Frauen des Orients wird in Europa noch vielfach falsch aufgefaßt, und die Meinung der Menge glaubt jeden Moslem im Besitz eines kleineren oder größeren Harems und die Frauen des Orients als gänzlich willenlose, untergeordnete, dem Herrn des Hauses knechtisch gehorchende Wesen.

Das ist keineswegs der Fall. Die meisten Staats- und Privatintriguen entspinnen sich im Harem und werden dort geleitet. Der Moslem, bis zum Sultan hinauf, steht so gut unterm Pantoffel wie der Abendländer, und die Macht der Freiheit der Frauen ist – wenn auch außer dem Hause ziemlich beschränkt – im Innern eine desto größere.

Es ist dem Mohamedaner erlaubt, vier Frauen zu heiraten, und dieselben gelten als seine rechtmäßigen Gattinnen; die Zahl der Frauen des Sultans kann sich auf sieben belaufen; doch ist es selten, daß dieser wirklich auch nur mit einer die gesetzliche Zeremonie der Heirat vollzieht. Jeder Türke hat dagegen das Recht, so viele Sklavinnen zu halten, als er will und seine Verhältnisse erlauben. Zum Verkauf auf dem Sklavenmarkt kommen jetzt nur noch, und auch diese nicht öffentlich, die schwarzen Sklavinnen. Der Preis für dieselben wechselt von 1000-6000 Piastern (10 bis 60 Napoleond'ors). Die weißen Sklavinnen, die von den Sklavenhändlern in Circassien und Georgien oft noch als Kinder von den Eltern gekauft werden, haben gewöhnlich schon ihre Bestimmung, ehe sie Konstantinopel erreichen, und werden je nach ihrer Schönheit und ihren buhlerischen Talenten oft mit 100 000-120 000 Piastern (1000 bis 1200 Napoleond'ors) bezahlt. Sie werden immer noch in großer Zahl nach Konstantinopel gebracht, und da Rußland im Jahre 1842 diesen Mädchenhandel aus jenen Ländern verbot und die türkischen Schiffe streng kontrollierte, wurde der Transport von Trapezunt aus gewöhnlich durch englische Dampfer vermittelt. England verfolgt bekanntlich auf anderen Meeren den Sklavenhandel. Dieselben sind dann die Dienerinnen seiner rechtmäßigen Frauen, wenn er solche hat, oder seine Odalisken, und während ihre Reize ihm gehören, – wozu jedoch ihre freie Einwilligung gehört – haben sie keinerlei Rechte der Gattinnen. Die Geburt eines Kindes von ihrem Herrn, gleichviel ob Knabe oder Mädchen, macht die Sklavin und das Kind jedoch frei.

Dies ist einer der Gründe, weswegen trotz der erlaubten Vielweiberei und des übermäßigen Genusses des geschlechtlichen Umganges die Zahl der türkischen Bevölkerung so gering ist und von Jahr zu Jahr abnimmt.

Um dem durch die Fruchtbarkeit drohenden Verlust der Sklavinnen zu entgehen, existieren jene empörenden Geheimnisse des Harems, welche die Frucht im Mutterleibe ersticken, oder das Weib zu seiner erhabenen natürlichen Bestimmung unfähig machen.

Der allgemeine Gebrauch dieser schändlichen Mittel ist teils ein gezwungener, teils ein freiwilliger. Denn selbst die angetrauten Frauen scheuen sich dessen nicht, und in den Harems der Reichen wird er häufig als Mittel betrachtet, den Vorzug über die Nebenbuhlerinnen zu gewinnen, und gerade hierin liegt der zweite Grund zu jener Erschlaffung des osmanischen Geschlechts. Da dem Muselmann die Liebe nur ein sinnlicher Begriff ist, sucht die Frau oder Odaliske jedes Mittel auf, alle die Sinnlichkeit des Mannes fesselnden Reize so lange als möglich zu bewahren, und benutzt eben dazu jene Mittel, sobald sie ihm ein Kind geboren hat. Daher kommt es, daß, während im christlichen Europa die Kinderzahl in den Familien eine durchschnittlich bedeutende, namentlich bei den unteren Ständen ist, in der Türkei bei den Familien der mittleren und unteren Stände selten mehr als ein oder zwei Kinder gefunden werden.

Es ist eine in politischer und physischer Hinsicht anerkannte Tatsache, daß eine gänzliche Abschneidung der Zufuhr von Frauen aus Georgien und Circassien und der darauf basierten Regeneration des Blutes der Türkei den Lebensnerv ihrer gegenwärtigen Einrichtungen abschneiden würde. Daher jenes vorerwähnte russische Verbot.

Verschiedene Anordnungen des Korans beschränken die Gewalt über die Sklavinnen und Sklaven, deren Verhältnis übrigens in der Türkei mehr das von zur Familie gehörenden Hausdienern ist. Überhaupt ist der Türke in seinem gewöhnlichen Leben, wenn nicht besondere Leidenschaften ihn erregen, milde und gerecht. Es kommt häufig vor, daß die Sklaven nach einer längeren oder kürzeren treuen Dienstzeit frei gelassen oder von dem Herrn ausgestattet, ja, mit einer Tochter der Familie verheiratet werden. Viele der ersten türkischen Würdenträger selbst der Neuzeit waren und sind solche freigelassene Sklaven. Z. B. Chosrew-Pascha. Selbst Mehemed Ali-Paschah, der Schwager des Sultans, war ein circassischer Sklave.

Der Moslem schenkt oder verheiratet oft eine seiner Sklavinnen seinem Sohne, doch darf sie in einem solchen Falle nicht des Vaters Konkubine gewesen sein, und wird durch die Heirat frei.

Die durch den Umgang mit Sklavinnen erzeugten Kinder werden als legitim betrachtet. Die Scheidung von einer Frau ist sehr leicht, obschon selten.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Herrschaft der rechtmäßigen Frau im Innern des Hauses eine eben so große ist wie im kultivierten Europa, und sie duldet ebenso wenig eine Nebenbuhlerin in ihrer Nähe. Daher ist denn auch das Recht zur Heirat von vier Frauen im allgemeinen ein sehr problematisches und wird nur von denen ausgeübt, die reich genug sind, einen großen Harem oder jeder der Frauen eine besondere Wohnung zu halten. Der Neid und die Eifersucht in den Harems sind überaus heftig und arten häufig in Tätlichkeiten, ja in geheime und offene Verbrechen aus.

Die Abgeschiedenheit der Frauen außer dem Hause ist noch immer sehr groß. Während im Haremlik Ein Teil des Hauses, in dem die Frauen wohnen; Selamlik, die Wohnung der Männer. ihr Anzug und ihre Sitte eine übertrieben freie ist, obschon sie auch da nur vor dem Mann, den Kindern, den Eunuchen und Frauenbesuchen unverschleiert erscheinen, ist jeder Verkehr mit anderen Männern auf das strengste verpönt. Seit der Regierung des vorigen Sultans haben sie zwar größtenteils die Freiheit des Ausgehens und Ausfahrens, und man sieht, wie erwähnt, in den Straßen und Läden Konstantinopels Frauen in Menge, doch immer streng verhüllt und verschleiert, und kein Muselmann übertritt die Sitte und schaut ihnen, wie es bei uns geschieht, in das Gesicht. Selbst der Mann würde es für unschicklich halten, wenn er seine Frau, die ihm begegnet, durch ein Zeichen merken ließe, daß er sie erkannt. Daß bei der Langeweile des Harems und des orientalischen Lebens im weiblichen Geschlecht sich auch alle Schwächen ihrer freier situierten Schwestern oft in erhöhtem Grade geltend machen, und Eitelkeit und Sinnlichkeit sie sehr häufig zum Kokettieren mit fremden Männern und zum Eingehen von gefährlichen Liebeshändeln führen, ist natürlich. Dergleichen Verhältnisse sind in Konstantinopel gar nichts Seltenes, sowohl mit jungen, türkischen Effendis, als mit Franken. Die Eitelkeit der Frauen hat übrigens den garstigen Yaschmak, der früher nur die Augen frei ließ, bereits bis zur Nasenspitze herabgedrückt, und wo sich die Gelegenheit findet, fällt derselbe bei den Jungen und Schönen oft noch tiefer. Die französischen Hilfstruppen haben in dieser Beziehung Wunder getan.

Die Verhältnisse im Harem des Großherrn sind natürlich in vielen Beziehungen andere. Der Harem des damaligen Sultans bestand im Sommer 1853 aus etwa 700 Odalisken, den schönsten Sklavinnen aus verschiedenen Ländern, welche die im Frühjahr desselben Jahres verstorbene Sultana Valide zum größten Teil selbst ausgewählt. Alles, was an Schönheit und Reiz der weiblichen Formen, auf die der Asiate so viel gibt, sich in den verschiedenen Abstufungen der Farben findet, war hier versammelt, selbst die Europäerin, namentlich aus den südlichen Staaten, Italien, Spanien, Sizilien usw.; denn obschon die Geheimnisse des Harems ziemlich unzugänglich sind, verlautet doch gar vieles daraus und es ist bekannt, daß der Harem des vorigen und des gegenwärtigen Sultans viele Europäerinnen enthalten. Die Frauen, die der Sultan aus der Zahl der Odalisken zur Teilung seines Lagers wählt, heißen Kadinen, und die erste derselben, die dem Padischah einen männlichen Erben schenkt, gilt als die Favorit-Sultana und ihr Einfluß ist sehr bedeutend. Sobald ihr Sohn zur Regierung kommt, führt sie den Titel Sultanin Valide. – Der Sultan entläßt und wechselt übrigens, mit Ausnahme der Mütter seiner Kinder, seine Kadinen nach Belieben, und häufig werden sie und die Odalisken mit Würdenträgern des Reiches vermählt oder ihnen geschenkt. Das salische Gesetz hat in der Türkei volle Geltung, denn die Thronfolge erbt nie auf die Töchter fort und nur in der männlichen Linie weiter. Ein furchtbarer Gebrauch in der regierenden Familie vom Stamme Omans und ein Regierungsprinzip ist es, daß weder die Brüder noch die Söhne des Sultans überhaupt Nachkommenschaft, ihre Schwestern aber nur weibliche haben dürfen. Die Söhne derselben werden sofort nach der Geburt erdrosselt.

Das ist auch eines jener dunklen Geheimnisse des Harems.

Die Kadinen eines verstorbenen Sultans dürfen nicht wieder heiraten und werden nach dem Eski-Serail – dem alten Serail, in der Mitte von Stambul belegen, – gebracht; der Harem des regierenden Sultans bewohnt gegenwärtig den nördlichen Flügel des Palastes von Tschiragan und folgt seinem Herrn ganz oder zum Teil nach den verschiedenen Schlössern, in welchen er seinen Aufenthalt nimmt. Der Harem des Sultans wird bei weitem strenger überwacht als der Harem eines Privatmannes. Die große Zahl der jugendlich kräftigen Frauen bleibt fortwährend in den Gemächern eingeschlossen und ihre einzige Erholung in frischer Luft ist, wenn – was höchstens drei bis vier Mal im Jahre geschieht – der Sultan die Erlaubnis gibt, daß sie die kaiserlichen Gärten von Dolmabaghdsche betreten dürfen.

Diese – von hohen Mauern umgeben und jedem anderen Auge – als dem der Eunuchen – versperrt, sind dann der Schauplatz einer solchen Ausgelassenheit und eines so unbeschränkten, tobenden Genusses der kurzen Freiheit, daß die europäischen Gärtner des Großherrn, wenn ihnen ein solcher Besuch angekündigt wird, sorgfältig alle Früchte und Blumen vorher entfernen, denn kaum ein Blatt bleibt ungebrochen von dem Mutwillen der entfesselten Lebenskraft. Außerdem besuchen zuweilen unter strenger und zahlreicher Überwachung der Eunuchen die Kadinen und Odalisken in kleinerer Zahl die süßen Gewässer von Asien und Europa, diese Lieblingsorte der Frauen von Stambul. –

Wenn man das erste der sieben Vorgebirge, die den Lauf des Bosporus bilden, auf der europäischen Seite – Tophana – das alte Metopon, hinter sich hat, fährt der Kaik in die schöne Bucht von Dolmabaghdsche ein, an dem Ufer entlang, an dem früher ein Altar des Ajax und der Tempel des Ptolomäus Philadelphus stand, dem die Lateiner göttliche Ehre erwiesen. Auf dieser Rhede, dem Pentecontoricon: der Rhede für die fünfzigrudrigen Schiffe, ließ der Scythe Taurus auf dem Wege nach Kreta seine Fahrzeuge ankern. Am Ufer liegt die Moschee Auni-Effendi und weiter hinauf am Ufer, gegenüber der Stelle, wo er seine Flotten zu sammeln pflegte, um den Schrecken an die Küsten des Mittelländischen Meeres zu tragen, steht das einfach malerische Denkmal Hairaddin Barbarossas, des berühmtesten türkischen Seehelden.

Am Ufer streckt hier der Palast Tschiragan seine lange Fronte von Stein- und Holzbau mit Arabesken und Stuckaturen hin. An den höheren Mittelbau schließen sich zwei Flügel, die wiederum von vorspringenden Seitengebäuden flankiert werden. Ein schmaler Quai von schönen Marmorquadern, in den das Wassertor für die Kaiks des Großherrn einmündet, scheidet das Palais von dem Spiegel des Bosporus, auf den nach beiden Seiten hin die Fenster und Erker des Gebäudes eine prächtige Aussicht haben. Der nördliche Seitenflügel enthält das Haremlik des Padischah; vergoldete Fenstergitter scheiden es von der Außenwelt und schützen es gegen zudringliche Blicke, während sie den neugierigen Augen der Frauen volle Freiheit lassen, umherzuschweifen. –

Die Sonne neigte sich zum Untergang und der kühle Seewind strich vom Pontus her durch die Engen des Bosporus. Die Fenster des Kiosks Diesen Namen führen die nachbeschriebenen größeren Zimmer in den türkischen Wohnungen. im zweiten Stockwerke des Haremlik waren geöffnet und ließen die trotz der Herbstzeit warme, angenehme Luft in das Gemach. Dasselbe bildete ein großes Quadrat, dem sich am unteren Ende ein ähnliches anschloß, dessen von feinen Hölzern getäfelter Fußboden jedoch eine Stufe tiefer lag als der des oberen Zimmers und von diesem außerdem durch ein Geländer von Cedernholz geschieden war, das in der Mitte einen Durchgang ließ. Das obere Ende des so entstandenen großen Oblongums enthielt die Fenster, und zwar vier dicht aneinanderschließende auf jeder der drei Seiten, so daß eine Art von Glaspavillon gebildet wurde, auf dem die Aussicht nach allen Seiten unbehindert war. Der erhöhte Oberteil des Raumes enthielt rund um die drei Wände einen etwa anderthalb Fuß hohen und vier Fuß breiten Divan von rotem Tuch, dessen Goldfranzen auf den Boden niederhingen. Über den Fenstern lief durch das ganze Gemach ein Karnies, von dem faltenreiche Vorhänge von grüner, golddurchwirkter Seide, durch vergoldete Bronzehalter aufgenommen, niederfielen. Über diesem Karnies lag eine zweite Reihe von Fenstern mit doppelten Scheiben von gefärbtem Glase und zwischen diesen und der Decke war die sonst einfach in weißgrauer Farbe gestrichene Wand mit Blumen, Früchten und Waffenarabesken bemalt. Die gleichfalls schön gemalte und verzierte Decke war in zwei Teile gesondert, von denen der über dem unteren Raum niedriger und flacher war als der erste. Einzelne Koffer und schön gemalte, vergoldete und ausgelegte Kisten von wohlriechendem Holz standen an den Seitenwänden des Unterteils, oder an dem Geländer, das die beiden Räume schied. In der Mitte des Vorgemachs sprudelte aus einem Marmorbecken fortwährend ein Fontänenstrahl, zuweilen von den Sklavinnen mit Rosen- oder Orangenwasser vermischt und einen starken Duft verbreitend. In der Ecke befand sich das Tandur, der in der Türkei gebräuchliche tragbare Herd mit den Holzkohlen, teils für die alle Augenblicke sich wiederholende Kaffeebereitung, teils für das Anzünden der Schibuks und Nargilehs bestimmt.

Vor dem rechten Ecksitz an den Fenstern, dem Ehrenplatz in türkischen Gemächern, lag der Schilteh, das dünne, viereckige Kissen, welches das Schaffell des Turkomanenzeltes vorstellen soll, dem die Nation entsprossen.

Im Unterteil führten zwei mit schweren Teppichen verhangene Türen aus der Querwand und eine eben solche aus der Seitenwand nach dem Gebäude hin in die Divan-Hane, die große Mittelhalle des Hauses, welche den freien Zugang zu allen Gemächern bildet. Ausnahmsweise – da sonst in den türkischen Zimmern nur ein Eingang zu sein pflegt, – befand sich auf derselben Seite auch eine gleiche Tür im Oberteil.

Ein dicker persischer Teppich bedeckte den Fußboden vor den Fenstern. Obschon viele Personen und Gruppen in dem Gemach versammelt waren, blieb der Ehrensitz und sein nächster Umkreis doch frei.

Es befanden sich ungefähr zwanzig Frauen in dem Oberteil des Gemachs, während eine gleiche Anzahl von Dienerinnen den unteren in verschiedenen Beschäftigungen einnahm. Zwei Schwarze von unförmig dicker Figur, unglückliche Geschöpfe, die für die Gebräuche des Despotismus schon als Kinder ihrer Mannheit beraubt worden, in weiten orientalischen Kleidern von schreiend roter Farbe, standen an den beiden Eingangstüren, teils als Wache, teils um Ordnung zu halten unter den oft sehr aufrührerischen Odalisken.

In der linken Ecke des Kiosk, dem Ehrenplatz gegenüber, schien sich die Hauptgruppe der Drei versammelt zu haben, welche das Oberteil einnahmen.

Auf den Kissen des Divans saßen zwei Frauen in überaus reicher Kleidung, während eine dritte auf der Decke vor ihnen kauerte, alle drei im eifrigen, obschon leise geführten Gespräch.

Zwei junge Mohrinnen, Mädchen von etwa 12 bis 13 Jahren, bedienten sie, indem sie von Zeit zu Zeit mit einer silbernen Zange eine frische Kohle auf den duftenden Tabak von Schiraz legten, der im vergoldeten Kopf des Nargileh brannte. Häufig nahm dabei die eine oder die andere der Frauen einen Löffel von dem süßen Eingemachten, das, aus Rosenblättern, Mastix, Limonen und Weichsel bestehend, in vergoldeten Schalen auf einem gleichen Präsentierbrett von den Sklavinnen ihnen gereicht wurde, und dessen häufiger Genuß, jedes Mal mit einem Schluck Wasser, nächst dem Naschen des Zuckerwerks und dem Kaffee zu den Liebhabereien der türkischen Frauen gehört.

Die eine der Damen auf dem Divan war eine hohe und trotz des weichlichen Lebens ebenmäßige Figur, zwar über die Frauenjugend hinaus und anscheinend bereits im Anfang der dreißiger Jahre, aber keineswegs schon verblüht, was so häufig bei den orientalischen Frauen in einem Alter der Fall ist, das bei uns Nordländern erst vollkommen die Frauenschönheit zu entwickeln pflegt. Ihre Gesichtszüge zeigten den reinen, klassischen Typus der kaukasischen Rasse, belebt durch ein feuriges Auge, aus dem Stolz und Herrschsucht sprachen. Das dunkle Haupthaar war in zahllose Flechten gelegt, die, mit Goldmünzen und Perlen durchwunden, zu beiden Seiten des Gesichts und im Nacken herunterhingen, während ein gelbseidenes Tuch um den Scheitel geschlungen und dort mit großen Brillantnadeln festgehalten war. Eine dicke, dreimal umgelegte Perlenschnur umgab den vollen, ebenmäßigen Hals und fiel auf den Busen herab, der fast gänzlich entblößt gelassen wurde. Weite Beinkleider von Purpurseide aus Brussa, aus denen die nackten, auf den Zehen mit goldenen Ringen geschmückten Füße hervorsahen, bildeten die untere Bekleidung. Auch die Arme waren fast bis an die Schulter entblößt, von der ein offener Ärmel von Goldstoff niederhing. Schwere Ohrgehänge von jenen großen Türkisen, die allein in den Minen von Nischnapur in Indien gefunden werden, und eine Unzahl goldener Armbänder um beide Handknöchel vollendeten den Putz.

Ebenso reich, obschon weniger frei, waren die beiden anderen Damen, namentlich die zweite, gleichfalls auf dem Divan sitzende gekleidet. Das reiche Geschmeide dieser überstrahlte sogar an Glanz und Wert bei weitem den Schmuck der Ersteren. Diamanten und Smaragden waren sowohl an ihrem turbanartigen Kopfputz, als an der Stickerei ihres dunkelroten Mieders verschwendet, über welches ein mit schwarzem Pelz verbrämtes, kaftanartiges Oberkleid von gelber Seide fiel. Die gestickten, gelbledernen Socken an ihren Füßen, welche die Türkinnen statt der Strümpfe tragen, und die beiden Yaschmaks, welche neben ihnen lagen, der eine mit goldenen Sternen gestickt, bewiesen, daß die beiden nicht in den Harem gehörten und nur zum Besuch dort waren. Die zweite der Damen war eine türkische Schönheit von etwa 27 Jahren, deren männliche Züge stark an den verstorbenen Sultan Mahmud I., namentlich in den buschigen Augenbrauen und der vollen, kräftigen Bildung des Mundes und Kinnes erinnerten; die dritte auf dem Teppich Kauernde dagegen mochte bereits an Vierzig zählen, und in ihrem Gesicht sprach sich ein hoher Grad von Verschlagenheit, Lust und Fähigkeit zur Intrigue aus.

Etwas entfernt von der Gruppe, nach der Seitentür zu, die an der Balustrade des Oberteils zu den inneren Gemächern führte, befand sich eine zahlreichere Gesellschaft von jungen und schönen Frauen, im Genre der erst erwähnten Dame, ähnlich üppig und womöglich noch freier gekleidet, obschon nur zwei unter ihnen durch besonderen Schmuck sich auszeichneten und dadurch dem kundigen Auge bewiesen, daß sie unter der Schar der Odalisken zu Kadinen des Padischah sich durch die Macht ihrer Reize emporgeschwungen hatten. Alle hockten in den verschiedensten Stellungen und mit dem Ausdruck einer kindischen Neugier und Lüsternheit um den großen Kasten mit Schmuck- und Bijouteriesachen und Schönheitsmitteln, den eine Frau von demütiger Haltung, aber überaus gewandter Zunge, in der einfachen Kleidung einer orientalischen Jüdin vor ihnen ausgekramt hatte. Der Handel war in vollem Gange und der Inhalt des Kastens wanderte Stück für Stück durch die an Fingerspitzen und Nägeln mit Hennah gefärbten Hände, während das wirre Geschnatter und Geschwätz der Beschauerinnen kaum das eigene Wort verstehen ließ.

Dieser Gruppe gegenüber, auf der Ecke des Divans, welcher zum Ehrensitz fortlief, lehnte eine dritte Gruppe, doch nur aus zwei Personen bestehend, beide der Typus einer auffallenden und doch sehr verschiedenartigen Schönheit, Herrin und Dienerin. Die erste war ein junges Mädchen von kaum siebzehn Jahren, nicht nach gewöhnlicher türkischer Sitte auf dem Divan mit untergeschlagenen Füßen hockend, sondern halb liegend in die weichen Polster gelehnt.

Ein zartes, blasses Gesicht von überaus schöner Form, von den im Orient so ungewöhnlichen aschblonden Haaren umgeben, die in einem reichen Lockenwald auf Hals und Brust fielen, erhielt durch die bei dieser Farbe so seltene Zierde schwarzer Augen, in denen eine gewisse melancholische Schwärmerei lag, einen wunderbaren Reiz. Die Züge dieses Gesichts waren edel, verständig und harmonisch, die Figur unter Mittelgröße, zart und schlank, und obschon die Schöne, die den Kopf in die rechte Hand gestützt, sinnend und teilnahmslos vor sich hinschaute, in orientalische Gewänder gekleidet war, hatte alles an ihr doch den Typus einer Züchtigkeit und Scham, der offenkundig der Kleidung der anderen Frauen fehlte. Vor ihr kniete, mit ihren Locken spielend und von Zeit zu Zeit ihr allerlei Erfrischungen anbietend, eine junge Mohrin von wahrhaft junonischem Wuchs und dem schönsten Ebenmaß der Körperformen.

Sie war in ein weißes Gewand gekleidet, das die dunkle Bronzefarbe noch mehr hervorhob, während breite, goldene Reife den nackten Hals, die Arme und Knöchel zierten.

Eine fast antike Kopfbildung bewies, daß sie zu einem der Stämme Abessyniens gehörte, die sich durch ihre Körperschönheit vor allen Schwarzen so sehr auszeichnen, daß sie kaum zu den Negergeschlechtern gezählt werden dürfen.

Einige Jahre älter als die Herrin auf dem Divan, schien sie mit einer wahrhaft mütterlichen Liebe an dieser zu hängen und für sie zu sorgen, denn selbst der lockende Anblick des reichen Schmucks, der auf der anderen Seite ausgelegt wurde, und das neugierige Zudrängen der Dienerinnen aus dem unteren Raum veranlaßte sie höchstens von Zeit zu Zeit die schöne Odaliske durch eine Bemerkung aus dem Nachsinnen zu stören und darauf aufmerksam zu machen.

Im unteren Teile des Gemachs um den Springbrunnen waren in ihrem trägen Schlendrian mehrere Dienerinnen und schwarze und weiße Eunuchen beschäftigt, oder pflegten selbst des Käff, jenes dolce far niente der Moslems; denn im Orient besteht die Sitte, daß in einem nur einigermaßen zahlreichen Haushalt jeder Diener und jede Dienerin ihr einzelnes, bestimmtes Geschäft verrichtet und nie die Hand zu einem anderen anlegt. Dazwischen gingen mit jenem unhörbaren Schritt und jener Ruhe, welche die asiatische Dienerschaft auszeichnet, einzelne durch die Teppiche des Eingangs ab und zu. – – – – – – – – – –

»Mashallah,« sagte die zweite Dame der Gruppe in der oberen Ecke des Gemachs aufgeregt zu ihrer Gefährtin, »ist der Padischah, mein Bruder, ein Esel oder bist Du nicht die Sultana seines Harems und die Mutter des Thronerben, daß Du nicht die Macht haben solltest, einen Mann zu dem zu bewegen, was uns das Beste dünkt?«

»Ich küsse Deine Augen, Sultana Adilé,« entgegnete die Circassierin, »Allah und die Zuflucht der Welt Alem Penah, einer der Titel des Großherrn. haben es gewollt, daß ich die erste Frau seines Herzens bin, aber Dein Bruder ist veränderlich und die Sonne seiner Gunst ist auf ein Geschöpf gefallen, von dem ich glaube, daß sie unsere Feindin ist.«

Die Augen der drei Frauen wandten sich bei dieser Erwähnung einen Moment lang auf die blonde Odaliske am Ende des Divans, die in ihren Träumen nicht bemerkte, daß von ihr die Rede war.

»Haif! Haif! Schande! Schande! Eine verkehrte Stunde hat sie hierher und vor den Großherrn gebracht. Wir werden es Ali-Pascha gedenken, der sie ihm zum Geschenk gemacht hat. Sie ist offenbar eine Moskow. Moskow, ein Moskowite, ein Russe. Aber ich müßte die Sultana nicht kennen, wenn ich glauben sollte, sie werde ohne ihre Erlaubnis eine Kadine werden und ihm ein Kind gebären.«

»Wallah! Haltet Ihr mich für eine turkomanische Kuh? Ich habe Augen in meinem Kopfe und sie sind offen.«

Ein rascher Blick verständigte beide.

»Es ist gut. Doch laßt uns von dem Geschäft reden, um das Mehemed Ali-Pascha, mein Mann, mich hierher gesandt.«

»Allah behüte Euch, Ihr redet Wahrheit, Sultana,« mengte sich die ältere Frau in die Unterhaltung, »und Mehemed-Pascha ist der wahre Hort der Gläubigen. Hier ist das Schreiben meines Herrn, des Sirdar, eines so guten Moslems, wie nur je einer das Antlitz des Padischah geschaut hat, obgleich sein Vater und seine Mutter als Ungläubige verdammt sind. Omer meldet darin, daß er am zwanzigsten Tage des Muharem (24. Oktober) den Krieg gegen die Ungläubigen beginnen wolle. Wir zählen heut den gesegneten Tag des siebzehnten, und es gilt vor allem zu verhindern, daß der Sirdar keinen Gegenbefehl vom Schatten Gottes Zil Allah, Titel des Sultans. erhalte.«

»Du weißt, was geschehen ist heute Morgen im Rat, Sultana?«

»Mashalla, was werde ich nicht? Für was habe ich Augen und eine Zunge im Munde? Ist der Kapu Agassi Das Oberhaupt der weißen Verschnittenen und der major domo des Palastes. ein Mann, der auf die Stimme der Sultanin nicht zu hören wagt?«

»Die Inglis und Franken sind Leute, welche die ganze Welt in dem Winkel ihres Auges tragen und eine gespaltene Zunge haben. Sie haben den Padischah gebeten, daß er ihre großen Schiffe unter seine Obhut nehme und das Kaik mit dem Rauch ist heute nach Dardanelli gefahren, um sie zu holen. Sie sind Giaurs, aber sie sind mächtig.«

»Jock! Nichts! Was sind sie in Rum? (die Welt.) Der Padischah ist alles.«

»Das ist es nicht, was uns den Stein der Sorge aufs Herz legt,« fuhr beharrlich die Gattin Mehemeds, des Hauptes der alttürkischen Partei, fort.

»Aber man hat auf das Verlangen der Christen im Divan heute beraten und beschlossen, daß Dein Mann, o Khanum, noch zögern solle, den rebellischen Vasallen in Moskau die Schärfe des Schwertes fühlen zu lassen.«

»Fluch über die Feiglinge!« sagte eifrig die Khanum; »die das geraten, sind Söhne eines Hundes, ihre Väter sind Hunde und ihre Mütter sind Hündinnen. Sie verunreinigen mit ihrem Atem den Ruhm des Großherrn.«

»Allah bilir, Gott allein weiß es!« stimmte die Schwester des Padischah bei. »Wer wird unsere Schulden an diese Armenier und Juden bezahlen, wenn es nicht zum Kriege kommt und unsere Männer Geld verdienen? Ai gusum, sieh mich an, Licht meiner Augen, Sultana Fatima, Du mußt es verhindern!«

Die Circassierin wiegte schlau den Kopf.

»Der Padischah ist unser aller Herr. Wie kann ich tun, was Du sagst, ich bin nichts als ein Weib.«

Die erste Khanum des türkischen Heerführers, eine frühere Dienerin des Palastes, durch deren Intriguen Omer hauptsächlich seine rasche Karriere gemacht hat, verstand jedoch in ihren Augen zu lesen.

»Allah erbarme sich! Wo wäre unsere große Sultana, wenn sie nicht für jede Gefahr ein Mittel hätte. Ich weiß, was ich weiß.«

»Wieviel Sonnen braucht ein Tatar (türkischer Courier), um zu Deinem Gatten zu kommen?«

»Der Sirdar ist in Rustschuk. In drei Tagen macht der Tatar den Weg, wenn die Balkanpässe offen sind.«

»Pek äji, sehr wohl. Wißt Ihr, ob die Botschaft schon abgesandt ist?«

»Was soll ich sagen? Mein Gatte Mehemed fürchtet es.«

»Ein Mann ist ein blindes Tier; er sieht bosch, nichts. Der Padischah hat sie in der Tasche behalten.«

»Adschaid! Wunderbar!«

Beide Frauen hoben die Hände in die Höhe.

»Ihr seid keine Eselinnen, Euer Witz ist gut; wißt Ihr, warum?«

»Wir sind Staub unter Deinen Füßen,« liebedienerte die Khanum, »wir wissen nichts.«

»Bak, seht.«

Der Finger wies wiederum auf die blonde Sklavin, die in dem Augenblick halb aufgerichtet, aufmerksam auf die Jüdin schaute.

»Ne olda!« (Was gibt es).

»Wenn wir ihn fern von dieser halten können, wird auch die Botschaft gar nicht abgesandt werden. Wir brauchen nur zwei Tage Zeit. Hafiz sagt: Der Wille eines Mannes ist Wachs in der Hand eines Weibes, das sein Lager teilt.«

Die Frau des Sirdars nickte verstehend.

»Wird der Herrscher der Gläubigen die Nacht in diesem Harem zubringen?«

»Ich glaube es. Es ist unsere Reihe und er hat mir seinen Besuch verkünden lassen.«

»Die Macht Deiner Reize ist groß, Sultana, sie blühen wie die Rosen von Schiraz. Aber warum hast Du denn diese Schlange hier behalten?«

»Du redest Torheit! Das böse Auge der Buhlerin hat den Padischah bezaubert und wenn er sie nicht hier wüßte, würde er zu den anderen Kadinen gegangen sein, oder zu ihr allein. Glaubst Du, daß diese da mir schaden werden?« Sie wies nach den beiden Frauen in der Gruppe um die Jüdin. »Bah, sie sind der Hauch meines Odems!«

Die schlaue Circassierin hatte wohl berechnet die beiden jüngsten und schönsten der Kadinen in ihre Umgebung gezogen und in die Abteilung des Harems, die sie bewohnte.

Ebenso hatte sie zu vermitteln gewußt, daß die junge blonde Odaliske, die erst seit kurzem den Harem des Großherrn zierte, von diesem aber die auffallendsten Beweise großer Zuneigung erhielt, in ihrem Haremlik blieb.

»So wird die Sultana selbst das Lager der Zuflucht der Welt besteigen und seinen Willen einschläfern auf den Kissen ihres Busens?«

»Nicht ich, Effendi, Der Titel Effendi wird selbst Frauen gegeben. auch jene nicht, obschon ich ihnen vertrauen kann. Der Padischah soll eine Überraschung erhalten, die seinen Geist während der nächsten Tage in den siebenten Himmel des Propheten setzt. Hört!«

Sie klatschte zweimal stark in die Hände, und augenblicklich näherte sich ihr aus dem Unterteil eine so widerwärtig scheußliche Figur, wie sie eben nur in dem Harem von Moslems geduldet werden kann, die eine ganz besondere Vorliebe für Verwachsene und Zwerge zeigen. Auf einem kleinen, breiten Körper mit Säbelbeinen hockte ein unförmiger, kürbisartiger Kopf mit einem Munde, der förmlich das Gesicht in zwei Hälften schnitt. Aus den Augen leuchteten Bosheit und List, und die rote Kleidung bewies, daß er zu den Eunuchen des Harems gehörte, und die Peitsche an seinem Gürtel, daß er einer der Aufseher über die Sklavinnen war.

Der Zwerg verbeugte sich tief vor der Sultana und blieb, die Hände über die Brust gekreuzt, in gebückter Stellung vor ihr stehen.

»Hast Du Nachricht für mich, Sohn eines Zwerges und einer Hündin?« fragte die Sultanin. »Ist neues vorgefallen?«

»Ich küsse den Staub Deiner Sohlen; bosch – es ist nichts.«

»So können wir auf den Sir Kiatib Der Sekretär des Sultans. und seine Versicherung rechnen, daß der Ferman noch nicht abgesandt ist?«

»Bei meinen Augen, Herrin. Er lag zur Unterschrift des Padischah bereit, aber der heilige Scheik ul Islam Der oberste Geistliche und Richter. hat das Versprechen des Schattens Gottes, daß die Sache nochmals beraten werden solle. Der heilige Mann und der Saderel Azan Titel des Großwessirs. Mustapha gehörte zur Friedenspartei. haben sich böse Worte gesagt.«

»Er ist unser Feind,« warf die Schwägerin der Sultana ein; »möge seine Leber schwarz werden.«

»Ist alles geschehen, wie ich befohlen? Sind die Almen (Tänzerinnen) bereit und das Spiel? Haben die Weiber die Sklavin vorbereitet und sie gesalbt?«

»Möge das Licht Deiner Augen auf Deinen Sklaven fallen. Das Mädchen hat soeben das letzte Bad erhalten, und ihre Schönheit strahlt wie der Abendstern neben der Sonne der Sultana.«

»Es ist gut! Laßt uns das Ende erwarten. Allah möge uns beistehen.«

Der durchdringende, helle Klang zweier zusammengeschlagenen Becken unterbrach das Gespräch.

»Der Padischah!« – – – – – – – – – –

Während am Ende des Oberteils die Weiberintrigue im Interesse der alttürkischen Partei sich schürzte, um den Ausbruch des Krieges herbeizuführen, war unfern der Gruppe eine andere geheimnisvolle Szene vor sich gegangen.

Der Leser wird sich erinnern, daß in dem Augenblick, als die Favoritin auf die blonde Odaliske deutete, diese mit aufmerksamerem Blick als bisher die Gruppe gegenüber zu betrachten begann, die sich um den Schmuckkasten der jüdischen Juwelenhändlerin drängte. Die Ursache hiervon war diese selbst, indem sie in einem Augenblick, als zufällig das Auge des jungen Mädchens auf sie fiel, ein rasches Zeichen machte und den Zeigefinger der linken Hand auf die Lippen legte.

Die Odaliske wandte der Verkäuferin nun ihre volle Aufmerksamkeit zu, und als ein zweiter und deutlicherer Wink der Augen ihr gezeigt, daß die Jüdin ihr etwas mitzuteilen habe, aber vor den bewachenden Augen der Sultaninnen sich nicht selbst ihr zu nahen wage, erhob sie sich langsam und trat wie gleichfalls neugierig zu der Gruppe ihrer Gefährtinnen heran und nahm einen oder den anderen der Gegenstände in die Hand. Die gewandte Jüdin ergriff sofort den Moment.

»Aï, Herrin,« sagte sie, indem ihr Blick die Odaliske bedeutete, aufzupassen, »der Gott Abrahams segne Eure Schönheit. Wollt Ihr nicht dieses Halsband versuchen? Es sind reine Amethysten aus dem kalten Lande der Moskowiten, unserer Feinde, wo der Schnee das ganze Jahr lang auf der Erde liegt, obschon ich mir habe sagen lassen, daß die Sonne die Hälfte der Zeit dort nicht untergeht und die andere Hälfte Nacht ist. Sibirien, woher die schönsten Amethyste kommen. Nehmt, Effendi, und prüft es an dem Elfenbein Eures Halses.«

Sie drängte der Odaliske das Halsband auf, und diese fühlte zugleich, daß aus dem weiten Ärmel der Jüdin ein anderer Gegenstand mit in ihre Hand glitt. Besonnen trat sie vor einen der großen Spiegel, die, meist Geschenke europäischer Fürsten, in prachtvollen Rahmen an der Wand des Kiosk ohne alle Regelmäßigkeit aufgehängt, eine Lebensnotwendigkeit für die eitlen und putzsüchtigen Haremsbewohnerinnen sind, und legte das Halsband wie prüfend um, indem sie geschickt dabei den zusammengerollten Streifen Pergament, den sie zugleich erhalten, in das süße Versteck aller Frauen, den Busen, gleiten ließ.

Dann gab sie ablehnend den Schmuck wieder zurück und wandte sich nach ihrem Platz. Noch ehe sie diesen erreicht, erscholl das Zeichen, welches den Besuch des Großherrn verkündete. Wie mit einem Zauberschlage änderte sich das Bild. Die Jüdin raffte ihre Sachen eilfertig zusammen, warf der Odaliske noch einen raschen, bedeutsamen Blick zu und wurde von den Verschnittenen aus dem Gemach getrieben. Auch die erste Khanum Omer-Paschas schlug ihren Yaschmak um das Haupt und barg sich nach einigen rasch mit der Favoritin gewechselten Worten unter den Dienerinnen im Unterhause des Gemaches.

Während die beiden Kadinen zu der Sultana traten, stellten sich die Odalisken in zwei Reihen entlang des Divans auf, die Hände über die Brust gekreuzt und die Augen zu Boden gesenkt, ebenso die Dienerinnen und Eunuchen im Unterteil.

In der Bewegung, die dieser Anordnung voranging, gelang es Mariam, der blonden Odaliske, den Zettel in der hohlen Hand zu lesen. Derselbe enthielt die Worte:

»An die Khanum Mariam. – Die Verschiebung des Angriffs um zehn Tage ist heute zwar im Divan auf den scheinbaren Rat des englischen Eltschi (Gesandter) beschlossen, heimlich aber drängt man den Sultan, die Absendung des Befehls zu verzögern. Erlange um jeden Preis seine Unterschrift und die Absendung des Fermans, noch womöglich in dieser Nacht, denn morgen wachen die Feinde. Im Namen des Gottes, den Du im Herzen verehrst. Die Sache ist wichtig!«

Sie bog den Pergamentstreif zusammen und verbarg ihn im Gewande, denn der Zug des Sultans nahete, wie das Zusammenschlagen der silbernen Becken verkündete.

Einen Augenblick hielt er vor dem großen Eingang des Gemaches, während die mit entblößten Säbeln Wache haltenden Eunuchen den Vorhang zu beiden Seiten emporhielten.

Zunächst traten vier Itschoklans (Pagen) – schon in ihrer Jugend verstümmelte Kinder – ein und schritten bis zu dem Aufgang des Oberteils vor. Ihnen folgte eine gleiche Anzahl schwarzer Eunuchen, die Becken schlagend, und darauf der Tschannador-Aga, Der Zweite unter den schwarzen Verschnittenen. Kislar-Aga, das Haupt derselben, einer der einflußreichsten Posten. den großen Pfauenwedel tragend, womit die Pagen dem Großherrn Kühlung zufächeln. Hinter ihnen kamen die beiden Schwertträger des Sultans und dann dieser selbst, auf den Arm des Kislar-Aga gestützt. Der Kapu-Aga (Agassi) oder das Oberhaupt der weißen Verschnittenen schloß den Zug, an der Spitze von vier mit blanken Säbeln bewaffneten circassischen Sklaven.

Der Großherr – Abdul-Medjid-Khan – zur Zeit unserer Erzählung im einunddreißigsten Jahre stehend, war eine große Gestalt mit vollem, fleischigem, aber blassem Gesicht, das zwar unverkennbar einen Zug von Gutmütigkeit trug, aber – offenbar von dem frühen Genuß der Haremsfreuden, zu denen ihn seine ehrgeizige Mutter verleitete – den Ausdruck des Schlaffen, Teilnahmslosen hatte. Alles innere Leben schien aus diesem Gesicht verschwunden, das durch die breite, offene Stirn und die edle Form der Nase hätte selbst schön sein können, wenn das große, dunkelbraune Auge mehr Feuer und nicht jenen melancholischen Blick der Seelenapathie gezeigt hätte. Es war gewöhnlich zu Boden geschlagen, oder wenn erhoben, starr und kalt; nur selten sprühte ein Blitz der Leidenschaft oder des Bewußtseins der Macht daraus hervor, und dann ward es dem scharfen, wilden Auge seines großen Vaters ähnlich.

Der Sultan trug die halbeuropäische Kleidung; weiße Pantalons, darüber einen zugeknöpften, indigoblauen Rock mit steifem Kragen und dem roten Fez, statt der gewöhnlichen, schwarzen, lackierten Stiefeln jedoch gelbe Pantoffeln. Die einzige Auszeichnung, die ihn schmückte, war ein mit großen Diamanten besetztes Brustschild, da wo der Rockkragen sich schloß. Alle seine Begleiter trugen gleichfalls den abscheulichen Fez, diese unkleidsame und zweckwidrige Tracht, welche die Reform des verstorbenen Sultans für die Zivilbeamten und das Militär eingeführt hatte. Mit dem letzten Janitscharen sank die malerische Kleidung der türkischen Krieger.

Als der Großherr über die Schwelle des inneren Gemachs trat, fiel die Reihe der Dienerinnen und Eunuchen knieend zu Boden, mit der Stirn fast die Erde berührend; auch die Odalisken beugten sich tief und verharrten, alle das »Salem aleikum« (der türkische Gruß) murmelnd, in dieser Stellung, bis der Sultan, der nie den Gruß eines Untertanen erwidern darf, durch ihre Reihen hin und zu dem Ehrensitz in der Ecke geschritten war, auf dem er Platz nahm. Ein rascher, kurzer Seitenblick, als er an Mariam vorüberging, der nicht nur von dieser, sondern auch von den beiden Sultaninnen sehr wohl bemerkt worden war, bewies, daß er, trotz seiner äußeren Gleichgültigkeit, auf seine Umgebung achtete.

Der Großherr hatte, wie gesagt, in seinem Wesen keineswegs das Entschlossene, Gebietende des Despoten, was man wohl an dem unumschränkten Herrscher des Orients erwartet und was in den meisten Gliedern seiner Familie ausgeprägt war. Vielmehr lag etwas Schüchternes, Unentschlossenes in seinem Wesen und er war nicht einmal der Gebieter in seinem Harem. Die Erfahrungen seiner Jugend mochten daran Schuld sein, zuerst der Druck seines despotischen, keinen Willen neben dem seinen duldenden Vaters, und die Erziehung nicht im Feldlager, sondern im Harem, in dessen Genüssen er bereits mit seinem dreizehnten Jahre eingeweiht wurde. Etwa anderthalb Jahre vor seinem Tode (2. 7. 1839) schenkte ihm Sultan Mahmud eine wunderschöne Circassierin, zu welcher der Jüngling eine heftige Liebe faßte, die bald auch Folgen hatte. Wir haben oben bereits das unnatürliche Regierungsprinzip erwähnt, daß die Söhne und Brüder des Sultans bei seinen Lebzeiten keine Kinder haben dürfen. Die Circassierin weigerte sich, eines jener abscheulichen Mittel anzuwenden, welches das Kind unter ihrem Herzen töten sollte, und der Prinz konnte sich nicht entschließen, sie dazu zu zwingen. Er rechnete auf den Tod des Sultans, der sich bekanntlich dem Trunke ergeben und schon mehrere Anfälle des Delirium tremens gehabt hatte, um dann als Herr und Gebieter die Sklavin und ihr Kind anzuerkennen. Bis dahin suchten beide auf alle mögliche Weise die Schwangerschaft zu verbergen. Aber der Neid der Odalisken brachte sie an den Tag, und der Sultan stellte die grauenvolle Wahl, daß entweder das neugeborene Kind oder die Sklavin geopfert werden müsse. Die Geliebte des Prinzen weigerte auch jetzt noch standhaft das Verbrechen gegen die Natur, und als der junge Abdul zwei Abende darauf zum Harem kam, war sie verschwunden, – man hatte sie erdrosselt.

Vier Wochen nachher starb Sultan Mahmud am Delirium in seinem Kiosk auf den Höhen von Goksu am asiatischen Ufer des Bosporus.

Abdul Medjid gelangte mit sechszehn Jahren zum Sultanat; doch hatte er damit kaum den Herrn gewechselt, denn die Sultanin Valide, seine Mutter, und die Intriguen des alten Chosrew-Pascha hielten ihn unter ihrem Druck, bis unter ihnen selbst Feindschaft ausbrach. Auch nachher noch gönnte er seiner Mutter einen großen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte, bis sie im Frühjahr des Jahres 1853 starb.

Kurz vorher, ehe sie erkrankte, hatte der Sultan von Ali-Pascha, dem Gouverneur von Brussa, die Odaliske Mariam zum Geschenk erhalten und ihr alsbald eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da sie seiner gemordeten Geliebten auffallend ähnlich sein sollte. Dieser Vorzug hatte natürlich unter den Frauen des Harems bedeutende Aufregung und Eifersucht hervorgerufen, und ihre Intriguen und die Herrschsucht der Mutter des Thronfolgers erschwerten den Umgang des Sultans mit seiner neuen Geliebten auf alle mögliche Weise. Man sah in ihr nicht nur die gefährliche Nebenbuhlerin um die persönliche Gunst des Sultans, sondern auch um den politischen Einfluß, und es ging das Gerücht im Harem, daß sie eine heimliche Christin und von der russischen Partei in den Harem gebracht sei. Wir haben bereits angedeutet, daß man einer Schwangerschaft zuvorgekommen war, da sie die Geburt eines Kindes den Sultaninnen mindestens gleichgestellt hätte, während die Unfruchtbarkeit der Kadinen für eine Schmach gehalten wird und diese ohne Rechte nur in der Lage einer begünstigten Sklavin verbleiben läßt. Selbst der Wille und die Macht des Sultans vermochten sie kaum genügend gegen die Angriffe ihrer Feindinnen zu schützen.

Wir haben oben die eigentümliche Schönheit der jungen Odaliske beschrieben. Sie war eine Mingrelierin von Geburt, mit ihrer Mutter – einer Russin – als Kind in die Hände kurdischer Räuber gefallen und später unter den Schutz Ali-Paschas gekommen, der sie dem Harem seines Gebieters bei passender Gelegenheit zum Geschenk machte. Näheres wußte und erfuhr man nicht von ihr, doch war es bald offenbar, daß sie, dankbar für die Gunst des Großherrn, diesem mit ganzem Herzen anhing und ihn hingebend liebte.

Ein Schlag der Silberbecken, die während des Ganges durch das Gemach geschwiegen hatten, verkündete, daß der Großherr Platz genommen, und auf dieses Zeichen erhoben alle das Haupt und es bildete sich eine Gruppe um den Padischah. Die Favorit-Sultana und die Schwester des Großherrn nahmen auf Kissen am Boden an seiner Seite Platz und neben ihnen die beiden anderen Kadinen, während die Odalisken jenseits der Fenster an den Wänden entlang auf dem Divan sich reihten. Neben den Kadinen nahmen der Kislar-Aga und der Kapu-Agassi ihre Stelle ein, während der Tschannador alsbald eine mit Edelsteinen reich verzierte Pfeife mit einem Rohr von Jasminholz, das mindestens sieben Fuß lang war, auf dem Mittelfinger der rechten Hand wiegend, feierlich heranschritt. Ein anderer Offizier brachte in der silbernen Zange, welche die meisten Türken in einem Futteral am Gürtel tragen, aus dem Tandur die brennende Holzkohle für den Tabak, und dann erst, als die Pfeife in Brand war und er mehrere Züge des duftigen Dampfes getan, wandte sich der Sultan zu seiner Schwester und der Sultana und begann das Gespräch mit der üblichen Formel: »Kosch dscheldin« Ihr seid willkommen. und der Frage: »Kiefiniz aji me: Ist Eure Laune gut?«

Die Sonne war unterdeß am Horizont verschwunden, und dies ist die Zeit, wo die meisten Bekenner des Propheten die einzige oder wenigstens die Hauptmahlzeit des Tages zu sich nehmen. In den Gängen des Palastes erscholl zugleich der Ezan, der Ruf des Imams zum Gebet, und sofort kniete der Sultan mit dem Gesicht nach Mekka auf dem Teppich nieder, während alle Anwesenden sich zu Boden warfen, und verrichtete das Abendgebet. Erst als der Padischah wieder Platz genommen, erhoben sich die anderen. Alsbald wurde der Kaffee dem Sultan gebracht und während sich die Sultana Adilé verabschiedete und rückwärts schreitend von ihrer Schwägerin bis an die Tür der Frauengemächer geleitet, ihren kurzen Heimweg im Kaik nach dem Harem Mehemed-Ali-Paschas antrat, wurde das Gemach mit einer Unzahl von Wachskerzen erhellt, worauf die Baltahgies, die Köche des Harems, eintraten und auf einem Tisch vor dem Großherrn die zahlreichen Gerichte ordneten. Diese bestanden – wie stets, wenn der Großherr im Harem speist – aus türkischen Speisen, der Thorba oder Fischsuppe, Dolmas: Reis mit Fleischkugeln in Weinblätter gewickelt, Kaftas: farziertem Fleisch, einem gebratenen Lamm in einem Berge von gekochtem Reis, und Halvas oder Zuckerfrüchten und Eingemachtem, von denen eine Unmasse kleiner, silberner Schüsseln aufgesetzt wurden.

Der Padischah speiste allein, von den Pagen knieend bedient, da es nicht erlaubt ist, daß ein Mann und noch weniger eine Frau seine Mahlzeit teilt. Doch sandte er häufig durch einen Wink an die Pagen einer oder der anderen der Frauen, darunter auch Mariam, eine silberne Schale mit eingemachten Früchten und Leckereien. Während der Mahlzeit, die schweigend vollbracht wurde, verrichtete am Eingange des Oberteils die Massaldschi (Märchenerzählerin) ihr Amt, indem sie in eintönigem Gesang eines jener phantastischen Märchen erzählte, deren Anhören in den Kaffeehäusern, auf den Straßen und in den Harems einer der größten Genüsse der Moslems ist. Die Erzählung, mit den ausschweifendsten Farben das Liebesglück schildernd, wurde fortgesetzt, während die Sultana dem Großherrn aus einer goldenen Kanne Wasser über die Hände goß, indes einer der Pagen knieend das Becken von gleichem Metall hielt, in dem der Padischah die vom Koran vorgeschriebenen Abwaschungen vollführte. Alsdann wurde mit gleichen Zeremonien wie vor der Mahlzeit dem Gebieter der Kaffee und eine neue Pfeife gebracht. Die Zeremonien der Überreichung des Kaffees in den vornehmen Häusern auch bei den Besuchen sind so charakteristisch, daß eine kurze Beschreibung nicht uninteressant sein wird. Nach dem Befehle »Cave Smarla« erscheint der Kafidschi – der Kaffeebereiter – im Unterteil des Zimmers, an der Stufe, auf beiden flachen Händen in der Höhe der Brust ein schmales Präsentierbrett haltend, worauf die von einer reichen Decke ganz verhüllten kleinen Kaffeekannen und Tassen stehen. Sofort drängen sich die Diener um ihn, die verhüllende Decke wird abgenommen und dem Kafidschi über Kopf und Schultern gelegt. Wenn jeder Diener – für jeden Gast ein besonderer – mit seinen Tassen in Ordnung ist, drehen sie sich zugleich um und gehen langsamen Schrittes auf die verschiedenen Gäste zu. Die kleinen, kaum wie ein halbes Ei großen Tassen (Flindschan) stehen in silbernen Untertassen (Zarf) von derselben Form wie die Obertassen, nur am Boden etwas weiter; sie bestehen aus durchbrochener Silberarbeit oder Filigran, auch aus Gold und Edelsteinen oder aus feinem Porzellan. Die Diener tragen sie zwischen den Fingerspitzen und dem Daumen mit leicht gebogenem Arme vor sich her. Sind sie nahe an die Gäste hingetreten, so machen sie eine Sekunde Halt, strecken die Arme aus und bringen die Tassen mit einer Art leichten Schwunges in die Mundnähe der Gäste, welche so dieselben hinnehmen können, ohne Gefahr zu laufen, den Inhalt zu vergießen oder die Hand des Domestiken zu berühren. So klein und zerbrechlich diese Tassen auch zu sein scheinen, werden sie doch niemals verschüttet oder zerbrochen. Die Diener gleiten mit so leisen, aalgleichen Bewegungen dahin, daß man beim Kaffepräsentieren, obgleich lange Pfeifen und die gewundenen Röhren des Nargileh's den Boden bedecken, niemals einen Unfall sieht; und dennoch ist die Schwierigkeit durch das Rückwärtsgehen vermehrt, weil die Diener den Gästen immer das Antlitz zukehren müssen. Dem Sultan wird alles knieend dargeboten. Wenn der Kaffee überreicht ist, ziehen sich die Diener nach dem unteren Teil des Gemaches zurück, wo sie mit gekreuzten Armen stehen bleiben und jeder die Tasse, die er präsentiert hat, beobachtet, bis er sie wieder zurücknehmen kann. Alsdann hält, damit nicht die Finger des Dieners berührt werden, der Gast die Tasse in der Unterschale vor sich, der Diener hält eine offene Hand darunter, legt dann die andere auf den Rand der Tasse, der Gast läßt los und der Diener zieht sich rückwärts zurück.

Der »Herr der Welt« erlaubte jetzt durch seinen Wink den begünstigten Frauen, gleichfalls ihre Nargileh zu nehmen, da die Unterhaltungen des Abends beginnen sollten.

Die Dienerinnen nahten sich ihren Gebieterinnen und Nursädih, die schwarze Sklavin Mariams, tat dasselbe. Die Gelegenheit benutzte die Odaliske zu einem raschen Gespräch mit ihr.

»Ist Dein Bruder Jussuf, der Courier, im Palast?«

»Du sagst es, Herrin.«

»Wohl. Höre meine Worte. Laß ihn sich bereit halten zu einer Reise nach dem Lager des Sirdar. Er soll das schnellste Pferd nehmen, was ihm zu Gebote steht und nicht rasten unterwegs.«

»Du kennst seine Schnelligkeit, o Khanum. Der Pfeil vom Bogen verfolgt seinen Weg nicht gerader als er.«

»Der Padischah, mein Gebieter, wird mich zu seiner Kadina wählen an diesem gesegneten Abend, sein Auge sagte es mir. Nun merke auf. Zu welcher Stunde der Nacht es auch geschehe, daß ich Dich rufe, so sei zur Hand und laß Deinen Bruder den Fuß im Bügel halten.«

»Auf mein Haupt komme es.« – –

Die Favorit-Sultana klatschte in die Hände und eine Musik von Zithern und Triangeln erschallte aus dem Unterteil des Gemaches. Mit ihren ersten Takten traten die Almen, die vor dem Padischah ihre Tänze aufführen sollten, herein. Die Sultana hatte für diesen Abend die jungen Mädchen – Kinder sollten wir sagen – gewählt, die von zartem Alter an im Harem für dessen Zwecke ausgebildet und erzogen werden. Wenn auch nicht im Serail des Großherrn, wo dessen Person der alleinige Zweck und Mittelpunkt ist, um den sich alles dreht, so doch in vielen anderen Harems spekulieren die Frauen förmlich in den jungen Mädchen, die sie als Kinder ankaufen, erziehen und in den verschiedensten Künsten unterrichten lassen, um sie dann, wenn sie mannbar geworden sind, oft mit großem Vorteil an alte Lüstlinge zu verhandeln.

Die Almen der Sultana waren Mädchen von 10 bis 14 Jahren, ein Alter, wo unter diesem Himmelsstrich bereits die jungfräulichen Formen vollständig sich entwickeln. Sie betraten den oberen Raum an der Barriere zwischen den Sitzen der Odalisken und stellten sich – sechs an der Zahl – in einem Halbkreis auf, worauf sie zugleich auf die Kniee sanken und mit der Stirn zum Zeichen des Grußes den Boden berührten.

Das Kostüm oder vielmehr die Ausstellung dieser jungen Geschöpfe war so lüstern und schamlos, wie sie eben nur für die Zwecke sinnlicher Aufregung dienen kann. Der obere Teil des Leibes von den Hüften aufwärts war gänzlich unbekleidet, Arme und Hals waren mit Goldspangen und Perlenschnüren umgeben, und nur die über der Brust gekreuzten Hände verbargen den emporschwellenden jugendlichen Busen. Eine Kappe von eigentümlicher Form aus Goldbrokat bedeckte das Haupt, von dem wohl in zehn mit Perlen und Bändern durchwundenen Flechten und Zöpfen das Haar herunter hing. Türkische Beinkleider von roter Seide gingen bis zum Knie, von wo ab das Bein wieder nackt war, indes der Fuß in goldgestickten, niederen Schuhen von gleicher Farbe wie die Beinkleider steckte.

Nach dem eintönigen Takt der Musik begann hierauf der Tanz, indem sie drei lange Shawls von farbiger Seide zu allerlei Draperien und Dekorationen verschlangen, erst langsam, dann immer rascher und wilder bis zu den üppigsten Bewegungen der Flucht und der Hingebung. Die jungen, kaum erschlossenen Körper wanden sich in Geberden und Stellungen des Verlangens und der Verführung, einer Leidenschaft, die ihnen noch unbekannt war, während die nackten Glieder in hundert Bewegungen und Verschlingungen sich kreuzten.

Der Tanz dauerte wohl eine halbe Stunde, während der die Sultana die Blicke häufig auf das Antlitz des Großherrn beobachtend gerichtet hielt. Doch vergebens suchte sie den gewünschten Ausdruck – die Augen des Padischah blieben schlaff auf das gewohnte Schauspiel geheftet, es vermochte nicht, seine Nerven zu erregen, und als jetzt, nach einem Zeichen der Sultana, den Tanz zu enden, die Älteste der Almen näher trat und knieend dem Padischah eine silberne Schale vorhielt, warf er mit derselben Gleichgültigkeit einige Geldmünzen hinein. Mit Wut und Erbitterung nahm die Favoritin wahr, daß dabei der Blick des Sultans immer wieder nach der Stelle sich wandte, wo Mariam auf dem Divan saß.

Auf ein zweites Zeichen der Sultana ließen jetzt die Eunuchen von der Decke des Unterraums einen straffgezogenen Leinwandvorhang fallen, die Lichter im oberen Teil diesseits des Vorhanges wurden ausgelöscht und die Musik, verstärkt durch mehrere Tambourins und Handtrommeln, eröffnete eine neue Melodie.

Es folgte nunmehr in Form eines Schattenspiels eines jener scheußlichen Schauspiele, halb Pantomime, halb Dialog, die in Stambul die Stelle unserer Arlequinaden und Hanswurst-Theater ersetzen. Die Hauptfigur derselben, Karagoïs genannt, ist eine Art komischer Don Juan oder frivoler Hanswurst, der in verschiedene Liebesabenteuer gerät, wobei namentlich Griechen und Griechinnen fungieren. Der Dialog wimmelt, wozu die türkische Sprache leicht Gelegenheit gibt, von den infamsten Zweideutigkeiten; die Aktionen und Szenen sind aber der Art, daß die »Sittlichkeit« der europäischen Bordelle davor erröten würde.

Diese Sorte von Schauspielen ist nicht allein unter dem Volk in Stambul eine der beliebtesten Unterhaltungen und findet öffentlich gegen Entree statt, wobei ein großer Teil des Publikums aus Kindern besteht, sondern sie sind ein eben so gesuchtes Amüsement in den Harems der Reichen, und viele der Würdenträger halten sich besondere Darsteller.

Namentlich erpicht sind die Frauen auf diese Schauspiele, und es gibt für dieselben auch besondere öffentliche Theater, in denen sie in Gitterlogen sitzen.

Die Variationen derselben sind sehr mannigfaltig. Was die ausschweifendste, aller Scham bare Phantasie erdenken kann, ist durchgängig der Gegenstand nicht nur der Worte, sondern der Aktionen, um die physische Erschlaffung aufzustacheln. Unter solchen Verhältnissen wird es der Leser dem Autor erlassen, auf eine nähere Beschreibung des angedeuteten Schauspiels einzugehen.

Es hatte wohl eine Stunde gedauert, als der Padischah selbst das Zeichen zu seiner Beendigung gab. Die Schauspieler und der Vorhang verschwanden, die Kerzen wurden aufs neue angezündet und Kaffee und Zuckerwerk gebracht.

Diesmal sah die Sultana ihre Arrangements von einem Erfolge begleitet. Die Stirn des Großherrn zeigte eine leichte Röte, seine Augen hatten sich belebt, und als der Glanz der Lichter das Gemach wieder durchstrahlte, irrten sie über den Reizen seiner Odalisken umher und blieben dann auf Mariam, der Mingrelierin, mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit und Feuer haften, dessen Bedeutung nicht zu verkennen war, und den das Mädchen mit gleicher Sehnsucht erwiderte.

Der Padischah machte eine Bewegung nach dem Kislar-Aga, zu dessen Vorrechten es gehört, der begünstigten Kadine oder Odaliske die ihr zugedachte Auszeichnung zu verkünden, als die Sultana dem Befehl zuvorkam und sich vor dem Großherrn auf die Kniee warf.

»Möge das Licht der Welt«, sagte sie schmeichelnd, »seiner Sklavin noch einige Augenblicke seiner kostbaren Zeit gewähren und seine Augen auf ein Geschenk werfen, das sie für ihn bereit hält.«

»Was ist es, o Khanum? Du weißt, daß ich der Mutter meines Sohnes ihr Recht nicht verweigere,« sagte der Sultan sich setzend.

Die Sultana verneigte sich. Als sie sich erhob, streifte ihr Blick mit dem Vorgefühl des Triumphes über die getäuschte Nebenbuhlerin hin, die mit einiger Beunruhigung auf den unerwarteten Zwischenvorgang sah. Dann klatschte sie zweimal in die Hände und alsbald öffnete sich der Vorhang der unteren Seitentür nochmals, und von zwei schwarzen Sklavinnen geführt, trat eine ganz in einen weiten Schleier und braunen Feredschi gehüllte weibliche Gestalt ein, die langsam – während ihre Begleiterinnen zurückblieben – die Stufe herauf und bis in die Mitte des Oberteils vorschritt, wo sie sich vor dem Sultan zur Erde verneigte und dann in ihre Gewänder gehüllt, gleich einer Statue stehen blieb.

Erstaunt schaute der Großherr auf die ungewohnte Erscheinung und dann fragend auf die schlaue Sultana.

Diese zögerte – wie um die Neugier zu reizen – einen Augenblick, dann gab sie das zweite Zeichen.

Im Nu flogen die Gewänder und der Schleier zur Seite und ein reizendes Bild stand vor den Augen des Herrn.

Es war eine Tänzerin, halb europäisch, halb orientalisch gekleidet, in raffinierter Berechnung auf die Erregung der Sinne, – ein griechisches Mädchen von wunderbarer Schönheit, – Nausika, die geraubte Tochter des Räubers und Mörders Janos, des Kameeltreibers, die Tochter des blutigen Feindes der Moslems, dessen kühne Tat einst die Gräuel von Chios gerächt hatte!

Der Leser wird sich erinnern, daß der Musselim von Tschardak das sechszehnjährige Mädchen kurz vor ihrer Hochzeit aus dem Hause ihres abwesenden Vaters mit Gewalt geraubt hatte, um sie seinem Gönner, Mehemed Ali in Stambul zum Geschenk zu machen und daß dieser Raub es war, der Janos aufs neue zum Krieg gegen die Moslems trieb und ihn zum Schrecken Smyrnas machte. Mehemed, dessen Haus die Schwester des Sultans streng beherrschte, hatte diese reizende Sklavin durch seine Frau der Sultana für den Harem seines Schwagers übergeben lassen, und diese hatte beschlossen, sich in der Sklavin eine Anhängerin und beim Verblühen der eigenen Reize ein Mittel zu schaffen, auf die Sinne des Sultans zu wirken und seine Neigung in der Gewalt ihrer eigenen Interessen zu behalten.

Zugleich war sie klug genug, einzusehen, daß hier selbst bei aller Schönheit des Mädchens das Gewohnte nicht fesseln und reizen könne, da der Harem der schönen Frauen so viele barg, sondern es galt, einen außergewöhnlichen Eindruck auf die Sinne des Gebieters hervorzubringen. Sie fiel auf den Gedanken, die griechische Sklavin während ihrer Gewöhnung zu den Sitten des Harems durch einen italienischen Tänzer ausbilden zu lassen und diesem war es gelungen, in der Frist eines Jahres aus dem bildsamen Mädchen eine üppige orientalische Pepita zu schaffen. Zugleich vergaß in den Lockungen des Ehrgeizes und Wohllebens die Griechin Familie, Glauben und Vaterland, gleich der ersten Liebe zu dem entrissenen Bräutigam, und während ihr Vater auf den Bergen Anatoliens mit blutiger Hand ihren Raub an den Bekennern des Propheten rächte, war die Tochter bereits die gefügige Odaliske des Harems, die sinneberauschende Alme geworden, die – bisher sorgsam vor den Augen des Großherrn verborgen – heute ihr erstes Debüt machen sollte.

Mit der Raffinerie der Wollust war die junge Tänzerin gekleidet, umhüllend und entblößend – lockend und verheißend! Um das dunkelbraune, fessellos über den Nacken fallende Haar, worin lange Schnüre von kleinen Goldmünzen eingeflochten glänzten, war ein duftender Kranz von Damascener Rosen geschlungen. Große blaue Augen unter dunklen Brauen und der üppig aufgeworfene Mund predigten Lüsternheit und Sinnenrausch. Die antik schöne Nase und das Oval des Gesichts mit seinem reizenden weiß- und roten Teint bildeten ein äußerst liebliches Bild des Kopfes, der auf schlankem Hals und üppig geformter Büste saß, die von einem weit bis zur Herzgrube ausgeschnittenen Mieder von drap d'argent gegen die legère orientalische Sitte zur schlanken Taille eingeschnürt war. Um die breiten, beweglichen Hüften bauschte ein schwarzer, spanischer Seidenrock, kaum bis zum Knie reichend, während aus der Hülle der zahlreichen weiten Unterkleider von weißem Spitzengrund die klassische Form des völlig nackten Beines sich hervorstahl, dessen zierlicher Fuß allein mit fleischfarbenen Seidenschuhen bekleidet war. Ebenso von der Achsel ab, wo sie eine kurze, schwarze Spitzendraperie einschloß, entblößt waren die Arme, an den Handgelenken mit breiten, goldenen Bracelets geziert. Ein Strauß frischer Blumen, Rosen und Kamelien, schmückte und schloß den Ausschnitt des Busens.

Die rechte Hand mit der Kastagnette über das reizende Haupt erhoben, die linke stolz auf die Hüfte gestemmt, stand die Tänzerin in der malerischen Stellung einige Augenblicke vor den erstaunten Augen des Großherrn. Dann erklangen die rauschenden Töne eines spanischen Tanzes, von Flöte und Violinen vorgetragen, die draußen im Divan-Hane, dem Vorzimmer, postiert waren, durch die Vorhänge der Türen herein dringend und in keckem Sprunge flog die Alme auf den Padischa zu, den einen Fuß aus der neidischen Hülle üppig graziös den von den unerwarteten Reizen entflammten Augen entgegenwerfend. Dann in jenen Windungen und Geberden, die so reizend das wollüstige Verlangen und Empfinden des spanischen und italienischen Tanzes ausdrücken, – in denen der Oberkörper schmachtet und lockt, während von der Taille ab der untere Teil in glühendem Feuer sich zu erschöpfen scheint, oder in den Sprüngen bacchantischer Lust tobt und rast, – bald dem Padischah nahend, bald sich wieder von ihm nach dem frischen, aufregenden Takt der Musik entfernend, schien die Tänzerin alle Leidenschaften herauszufordern und ihr keckes Spiel mit ihnen zu treiben, bis zuletzt mit der endenden Musik sie in einer reizend lockenden Attitüde zu Boden knieete.

Der Padischah war bei dem Ende des Tanzes emporgesprungen; seine sonst so teilnahmslosen Augen flammten mit verzehrendem Blick auf die schöne Erscheinung. Selbst die verachteten Halbmänner an seiner Seite schienen neu ermannte Wesen voll Verlangen und Erregung. – Mit raschem Schritt – vom glühenden Triumph strahlenden Blick der Sultana verfolgt – trat er auf die Knieende zu und hob das seidene Schnupftuch, um selbst mit eigener Hand das Amt des Kislar-Aga zu vollziehen und ihr Haupt damit zu bedecken, das Zeichen, daß die Wahl auf sie gefallen, an diesem Abend sein Lager zu teilen.

Da scholl ein schmerzlich gellender Schrei, wie aus zerrissenem Herzen, grell durch das Gemach und fesselte seine Hand.

Auf dem Divan lag marmorbleich die schöne Gestalt Mariams in Ohnmacht.

Während die Frauen mit Nursädih herbeieilten und sich um die Mingrelierin drängten, stand der Sultan einige Augenblicke stumm und unentschlossen. – Sein Blick hatte die Geliebte erkannt, – dann legte er die Hand wie sinnend an die Stirn, die Röte verließ das Antlitz, die leidenschaftliche Glut der sinnlichen Erregung das Auge, und er wandte sich, ohne weiter einen Blick auf sie zu wagen, von der verführerischen neuen Bereicherung seines Harems und trat zu der um Mariam beschäftigten Gruppe, die ihm scheu Platz machte. Es war, als fühle die bleiche Odaliske seine Nähe; denn alsbald öffnete sie ihre Augen und ihr Blick wandte sich zärtlich und flehend auf den des Sultans, während sie ihm wie Schutz suchend die Arme entgegenstreckte. Der Großherr beugte sich zu ihr, flüsterte ihr einige Worte zu und legte der Errötenden das Tuch auf das bleiche Gesicht.

Auf ein Zeichen des Tschannador schlugen sogleich die Silberbecken wieder zusammen, und der Kapu-Agassi umgab mit seinen Verschnittenen alsbald die Glückliche, der sofort ein grüner Feredschi über Gestalt und Kopf geworfen wurde, während der Großherr, in Begleitung des Kislar-Aga und der Pagen, sich nach der Tür wandte, die in der Seitenwand des Oberteils in die Schlafgemächer des Harems führt. Aber hier warf sich ihm die Favoritin, von den beiden anderen Kadinen assistiert, in den Weg, wutblitzenden Auges, die Adern der Stirn vor Zorn geschwollen.

»Haif! Will der Padischah ein Mann sein und tut seinen Frauen die Schmach an, daß er auf das Geschrei einer Kuh von Kreuzträgerin hört? Mashalla! Er ist ein Lügner in seinen eigenen Bart, und ein Weib in seinem Hause nicht besser als dies Tier von einem Halbmann!« wobei sie verächtlich mit der Fläche der rechten Hand sich auf den linken Ellenbogen schlug, das Zeichen der tiefsten Geringschätzung.

»Haif! Haif!« (Schande! Schande!) schrieen dazu die anderen Weiber, sich um die Verfechterin drängend und den Eunuchen die gespreizten Finger in das Gesicht streckend.

Der arme Sultan schien dergleichen Pantoffelauftritte gewöhnt; denn ohne ein Wort zu entgegnen, suchte er stillschweigend durch ein Manöver die barrikadierte Tür zu gewinnen, während der Kislar-Aga und sein Tschannador sich zwischen die wütende Frau und ihren Herrn warfen. Aber diese Pflichterfüllung sollte ihnen schlecht bekommen, denn die Sultana war eine böse Gegnerin und die Schärfe ihrer Nägel so gut wie die ihrer Zunge im ganzen Serail bekannt und gefürchtet.

»Bah!« schrie die Erbitterte, als der Aga, dessen Gesicht die blutigen Male der bösen Finger zeigte, unwillkürlich nach dem Handjar im Gürtel griff und die Augen grimmig rollte, »was soll das heißen, Du ägyptisches Vieh? Meinst Du, ich fürchte mich vor einem Manne, der kein Mann ist? Wallah! Der schlechteste Knecht ist besser als Du, und ich will dem Grabe Deines Vaters antun, was ihm gebührt. Ist dies der Bluttrinker (Titel des Sultans) oder ist er Deinesgleichen? Für was bin ich seine Bujuk-Khanum, (die erste Frau) wenn er meine Sklavin verschmäht? Bana bak, sieh mich an, bin ich bosch, nichts? Der Padischah ist eine blinde Kuh, und seine Agas sind Esel! Haiwan der, es sind Tiere!«

»Aman! Aman!« (Jammer! Jammer!) schrieen die Weiber. »Allah bila versin.« (Gott sende ihnen Unglück).

Die Eunuchen drängten jetzt mit Gewalt die Tobenden zurück, während es dem Sultan gelang, durch die Tür zu entwischen. Sein letztes Wort an den mißhandelten Aga war: »Awret der: Es ist ein Weib! Delhi der: Es sind Tolle!« Der hohe Beamte aber war mit dieser Entschuldigung wenig zufrieden, denn kaum war der Vorhang hinter seinem Gebieter wieder herabgefallen, als er seinem Zorn freien Lauf ließ, nach der Peitsche in seinem Gürtel griff und ohne Unterschied auf die tobenden Frauen losschlug, die alsbald das Feld räumten und sich eilig auf ihre Divans zurückflüchteten.

Mariam war unterdessen von den weißen Eunuchen der Eifersucht der Odalisken entzogen und hinausgeführt worden, um den alten Frauen übergeben zu werden, welche die Schönen für das Lager des Sultans vorbereiten, und die Beamten zogen sich nun eilig zurück, im Stillen über die Schwäche ihres Gebieters grollend. Zur wutkeuchenden Sultana aber, die eben das griechische Mädchen, das ihr nahte, erbittert mit dem Fuße von sich stieß, eilte die Khanum des Sirdars tröstend und beratend herbei.

»Was nun, o Sultana?«

»Fluch über die Christin! Mögen ihre Augen verdorren und meine Torheit mir Unglück bringen, daß ich sie so lange geschont. Unser Plan ist ein Rauch, bosch! – Die hunderttausend Piaster,« setzte sie flüsternd zur Freundin hinzu, »die mir der Eltschie von Frangistan hat versprechen lassen, sind Wind. Ne apalum! Was kann ich tun?«

Die intrigante Gattin des Sirdar sann nach.

»Mashallah!« sagte eine der Kadinen, »ich habe da einen Talisman bei der Moskowitin gefunden, als sie in Schwachheit lag und wir ihr helfen wollten. Was weiß ich? Vielleicht ist es der Zauber, den sie gegen den Padischah anwendet.«

Sie brachte den Pergamentstreif zum Vorschein, den sie im Busen der Unglücklichen gefunden.

Die Khanum nahm ihn schnell und überflog die Schrift, da sie die Einzige war, die in der Versammlung lesen konnte. »Allah kerim: Gott ist groß!« rief sie. »Wir haben das Verderben der Moskau in dieser unserer Hand. Ich eile zu Fuad-Effendi, er ist ein schlauer Mann und wird uns raten!«

Die lebhaft erregte Neugier der Odalisken mußte sich jedoch mit diesen Worten begnügen, denn nach einem kurzen, heimlichen Gespräch mit der Sultana, das diese hoch zu erfreuen schien, verließ die Vertraute hastig den Harem. – –

Kaum zehn Minuten darauf strich ihr Kaik, von zwei Ruderern getrieben, eilig über die Fluten des Bosporus und nahm seinen Weg stromaufwärts nach Kura-Tschesme, wo das Landhaus des Sirdars liegt. Anstatt aber dort anzuhalten, befahl sie plötzlich den Ruderern, quer über den Bosporus die für die kleineren Kaiks nicht ganz ungefährliche Fahrt zu machen und nach Kandili am asiatischen Ufer sich zu wenden. Hier hielt das Boot am Wassertor einer einfachen, mehr im europäischen Geschmack erbauten Villa und die Khanum schickte einen der Ruderer in das Haus mit einer Botschaft für dessen Herrn.

Schon nach wenigen Augenblicken erschien derselbe, ein Mann von etwa 30-35 Jahren, großer körperlicher Schönheit und höchst eleganten französischen Manieren. Es war Fuad-Effendi, der junge Staatsmann.

Schon früher, als Fuad seine Erziehung in den Salons von Paris und auf den Missionen nach London, Madrid und Lissabon vollendete, richteten sich die Augen der europäischen Diplomaten auf sein Talent, und als er zuerst, damals Großreferendar des Divans, nach dem Ausbruch der Revolution in Bukarest und der Vertreibung des Fürsten Bibesco im Jahre 1848 als Kommissarius der Pforte in den Fürstentümern auftrat, um, unterstützt durch das Besatzungsheer Omer-Paschas, die Fehler Solimans wieder gut zu machen und zugleich der russischen Einmischung die Wage zu halten, entwickelte sich seine spätere Stellung. Weder den russischen Diplomaten General Du Hamel und Herr von Kotzebue., welche die gleiche Sendung erhalten, noch den russischen Generalen Das russische Besatzungskorps wurde damals vom General-Adjutanten General Lüders kommandiert. gelang es, mit der eleganten, schlangengleichen Gewandtheit Fuad Effendis in die Schranken zu treten, und die Brutalität Menschikoffs, mit der er später diese Niederlage in Konstantinopel selbst rächte, kann die Tatsache nicht verwischen.

Als später (1849) Fuad-Effendi als Gesandter nach Petersburg ging, während der Muschir selbst die Verwaltung der Fürstentümer übernahm, lernte das Petersburger Kabinett die volle Gefährlichkeit des jungen Diplomaten kennen, der die Lage seines Vaterlandes und die drohende Suprematie Rußlands sehr wohl zu würdigen verstand, und als später alle Versuche scheiterten, ihn in Konstantinopel für die russischen Interessen zu gewinnen, er vielmehr einer der Hauptbeförderer des englischen und französischen Einflusses und zugleich Minister des Auswärtigen wurde, war seine Entfernung aus dem Kabinett eine der ersten Bedingungen, die Fürst Menschikoff stellte und durchsetzte.

Fuad zog sich bei seinem Rücktritt nach Kandili zurück, wo er dem Mittelpunkt der Intrigue nahe genug war, um täglich in das Spiel eingreifen zu können.

Dies war der Mann, der zu der Khanum ans Ufer trat, worauf diese das Boot verließ und beide sich abseits eine kurze Zeit besprachen. Dann führte der Effendi die Dame höflich wieder zu ihrem Sitz zurück.

»Sei versichert,« sprach er zum Abschied, »ein Geschäft, das Fuad übernimmt, wird er auch zu Ende führen. Der Ferman soll, beim Propheten, Deinen Gatten, den Sirdar, nicht an dem Übergang über die Donau hindern! Morgen erhältst Du Botschaft.«

Während der Kaïk der Dame seinen Weg nach dem europäischen Ufer zurücknahm, gab der frühere Minister der Dienerschaft seine Befehle und ehe zehn Minuten vergingen, fuhr er in einem vierrudrigen Boot mit der Schnelligkeit eines Dampfers durch das Dunkel der Nacht auf Stambul zu. – – –

Pera und die fränkische Bevölkerung hat zwei öffentliche Vergnügungsorte, wo sie im Freien die Kühle des Abends genießt; der eine ist die Promenade am kleinen Campo Campo santo, Begräbnisplatz. zwischen Pera und Thersana, eine etwa 200 Schritt lange Art von holpriger Esplanade, 30 Schritt breit, auf der einen Seite durch ein eisernes Gitter von dem Begräbnisplatze geschieden, auf der anderen von hohen, steinernen Häusern begrenzt, in deren Parterre einige Kaffeestuben und Konditoreien sind.

Hierhin wandelt Jahr aus Jahr ein jeden Abend der fränkische Kaufmann, der Fremde, der Beamte, und atmet nach des Tages Arbeit, bei einer Tasse Kaffee, einem Glase Eis oder Limonade die erfrischende Abendluft ein. Alle Sprachen Europas sind hier vertreten. Über die Zypressen des den Bergabhang deckenden Campos hinweg erfaßt das Auge einen im Sonnenlicht glitzernden Streifen des Goldenen Hornes und darüber hinaus das aufsteigende Häusermeer des westlichen Stambuls mit seinen Minarets und Kuppeln und den zahllosen Lichtern. Zur Zeit des Beirams gewährt das am Abend einen prachtvollen Anblick, da die Kuppeln der Moscheen, wie die Rundgänge der Nadeln gleichen Türme dann mit Kränzen farbiger Lampen illuminiert sind.

Der andere Vergnügungsort ist ein Garten in der Verlängerung der Perastraße, auf dem Wege zum großen Campo, zwischen Häusern und Mauern versteckt und ziemlich europäisch eingerichtet. Hier findet man gegen ein kleines Entree ein nicht schlechtes Konzert von italienischen und deutschen Musikern. Trotz der verhältnismäßig großen Zahl der Europäer in Pera und Galata ist der Garten doch nur sehr mäßig besucht.

In einer Laube desselben, dem Vortrag der Ouvertüre der Lucia lauschend, saßen drei Männer, in deren einem wir Doktor Welland wiederfinden. Der zweite war eine große, aristokratische Gestalt von den Manieren eines Weltmannes, etwas Aventürier und gascognierend, aber interessant und überaus gewandt, der seiner Zeit in zwei Weltteilen und in den verschiedensten Verhältnissen vielbekannte Baron Oelsner von Montmarquet. Ein ganzes Collier von Orden an seinem Frack unterstützte den etwas zweifelhaften Titel.

Der Dritte schien ein Italiener, obschon er in der Unterhaltung geläufig deutsch sprach, ein herausforderndes, etwas unverschämtes Gesicht, seit vier bis fünf Jahren in Pera als Bankier und Geschäftsmann ansässig und überall zu finden. Eine breite Narbe an der linken Schläfe zeichnete das Antlitz aus.

Mit beiden Personen war der Doktor durch Briefe, die er an sie überbracht, bekannt geworden. Er hatte sich zum Eintritt als Arzt bei der Armee in Bulgarien im Seraskiat gemeldet, doch durch allerlei Verzögerungen war seine Anstellung bis jetzt hingehalten worden.

Das Treiben des Barons war für den Deutschen ziemlich rätselhaft, denn jener schien mit allen Parteien in Konstantinopel auf gleichem Fuß zu verkehren und von allen Vorgängen und Intriguen in der genauesten Kenntnis. Die bedeutenden Geldmittel, über die er offenbar disponierte, vermehrten diesen Einfluß, und selbst Welland hatte sich ihm nicht ganz zu entziehen vermocht, denn, nachdem er den Baron von einem jener leichten Übel durch seinen ärztlichen Rat befreit hatte, die häufig im Orient sich einstellen und nur durch Vernachlässigung gefährlich werden, hatte der Genesende ihn mit Diensten überhäuft und war sichtbar bemüht, ihn an sich zu fesseln.

Paduani, der dritte, gehörte als Lombarde zur liberalen Partei und zeigte seine Gesinnung mit einer gewissen Ostentation, die namentlich gegen Österreich Partei nahm. Dabei verkehrte er viel mit den Führern der Flüchtlinge und Emigrirten, die jetzt, von jeder Nation Konstantinopel zu überfüllen und einen ähnlichen Übermut an den Tag zu legen begannen, wie dies im Frühjahr und Sommer der Fall gewesen war. Offenbar trug dazu der Bruch des russischen und das Sinken des österreichischen Einflusses bei, während der französische und englische Schutz jetzt allgewaltig waren. Dennoch hatte Welland bald die Beobachtung gemacht, daß man dem Italiener nicht recht zu trauen schien. Da er jedoch mit den Personalverhältnissen in Konstantinopel sehr vertraut war, hielt sich der Deutsche, der erhaltenen Instruktion gemäß, in Verbindung mit ihm.

Das Gespräch drehte sich, wie jetzt überall der Fall, im Kreise der großen Tagesfragen. Die Kriegserklärung war am 26. September im großen Rat der Pforte, aus 172 Mitgliedern bestehend, beschlossen worden. Kaiser Nikolaus hatte mit dem österreichischen Kaiser vom 26. bis 28. eine Zusammenkunft im Lager von Olmütz gehabt, aus der unter Ägide des österreichischen Premiers ein neues Notenprojekt hervorgegangen war, das zwar das Wiener Kabinett in Paris, London und Wien befürwortete, doch erwies sich die Zeit den Ausgleichungsvorschlägen keineswegs mehr günstig und die Forderungen und Gegenforderungen verwickelten sich immer mehr. Während die drei Monarchen der heiligen Allianz am 3. Oktober noch eine Zusammenkunft in Warschau hielten, erließ der Sultan, von allen Seiten gedrängt, am 4. Oktober ein Manifest an sein Land mit der Kriegserklärung gegen Rußland, und Omer-Pascha richtete auf den Befehl der Regierung unterm 6. die Aufforderung an den Fürsten Gortschakoff, den Oberbefehlshaber der russischen Besatzungstruppen, die Fürstentümer bis zum fünfzehnten Tage zu räumen, widrigenfalls die Feindseligkeiten eröffnet würden. Der Fürst erwiderte in sehr gemäßigter Weise, daß er keine Vollmacht habe, Krieg zu führen, Frieden zu schließen oder die Donau-Fürstentümer zu räumen.

Während noch immer Friedensvorschläge sich von Konstantinopel, Wien, Paris und London her kreuzten, und so einer sich im anderen aufhob, drangen die Gesandten der Westmächte in den Sultan, die Flotten aus der Besika-Bai in den Bosporus zu berufen, und erlangten endlich nach langem Sträuben des Großherrn am 15. den Ferman dazu. Admiral Dundas, der Oberbefehlshaber des englischen Geschwaders, hatte zugleich die Anweisung seiner Regierung erhalten, den Admiral in Sebastopol zu benachrichtigen, daß, wenn die russische Flotte ausliefe, um Truppen auf türkisches Gebiet zu bringen oder irgend einen Akt offener Feindseligkeiten gegen die Pforte zu begehen, er den Befehl habe, die Besitzungen des Sultans gegen jeden Angriff zu schützen.

Diese Ankündigung deutete bereits klar auf die Absichten der Westmächte hin, da der türkischen Flotte keineswegs eine Reziprozität auferlegt wurde und türkische Fahrzeuge fortwährend Kriegsmaterial und selbst Zuzüge an die tscherkessischen Küsten schafften.

Kaiser Nikolaus machte noch einen persönlichen Versuch, die deutschen Kabinette für seine Interessen zu gewinnen, und traf zu diesem Ende am 3. Oktober in Sanssouci ein, seinen erlauchten Gast und Schwager, den König von Preußen dahin zurückbegleitend. Es war das letzte Mal, daß der mächtige Kaiser die fremde liebliche Stätte sah, von der er einst die Mutter seiner Kinder geholt hatte. Schon in der Nacht zum 10. trat er wieder die Rückreise nach Petersburg an. Der König von Preußen begleitete ihn – ein treuer Freund! – bis zum Stettiner Bahnhof in Berlin. Augenzeugen berichten, daß er mit Tränen dort von dem Kaiser schied. Welche Gefühle mögen beide großen Herzen bei jenem Abschied bewegt haben, wenn sie auch nicht ahnen konnten, daß es das letzte Schauen im Leben war! Zwei treue, vielgeprüfte und vielbewährte Freunde auf hohen Thronen, die letzte Mahnung des königlichen Vaters ehrend, hat nur das Grab ihr Bündnis gebrochen!

Unter dem Vielen, was das preußische Volk König Friedrich Wilhelm IV. schuldet, sind gewiß jene Tage in Sanssouci nicht das kleinste. Dem Freunde, dem Schwager, den historischen Erinnerungen und dem eigenen Herzen gegenüber blieb der preußische König fest bei seinem Entschluß, sein Volk fern zu halten von dem sich bereitenden Kampfe, dessen Veranlassung er für keine gerechte hielt, solange nicht die unumgängliche Notwendigkeit ihm das Schwert in die Hand drängen würde. Wenige wissen es, aber in den Herzen dieser Wenigen ist die Bewunderung desto tiefer eingegraben, – welche Kämpfe in jenen Tagen der König bestand, welche hohe Lockungen dem Hause Hohenzollern wurden und wie schwer der gerechte Sinn Friedrich Wilhelms damals in die Waage der Völkerschicksale fiel! – Dagegen hat er eben so treu sein Freundeswort gehalten und durch keine Drohung, kein Drängen von der anderen Seite sich bewegen lassen, sich den Feinden anzuschließen. Preußens eherne Haltung hat offenbar Rußland gerettet!

Bereits am 17. hatten die Türken eine Insel auf der Donau zwischen Kalafat und Widdin besetzt, doch war noch keine Feindseligkeit erfolgt. Omer-Pascha rechnete den 24. als den Ablauf der dem Fürsten Gortschakoff gesetzten Frist.

Am 29. beriefen Lord Stratford und Herr de Latour die Flotten nach Konstantinopel. In diesem letzten Augenblick machte der österreichische Gesandte, Baron von Bruck, noch einen Versuch und drang auf Aufschub der Feindseligkeiten. Lord Stratford interessierte sich scheinbar dafür, und in der Tat wurde im Divan durch den Einfluß der Friedenspartei der Aufschub um zehn Tage beschlossen und der Ferman an den Sirdar dem Sultan zur Unterzeichnung vorgelegt.

Für Rußland wäre dieser Aufschub von großer Wichtigkeit gewesen, da bei der verhältnismäßig geringen Zahl des Besatzungsheeres in den Fürstentümern wichtige strategische Operationen und Vorbereitungen noch im Rückstand waren.

Während Welland mit Paduani über die am Tage vorher bei dem englischen Gesandten stattgefundene Konferenz der Vertreter der vier Großmächte sich unterhielt, hörte der Baron offenbar zerstreut und mit wichtigen anderen Gedanken beschäftigt der Unterhaltung zu und blickte häufig nach dem Eingange des Gartens. Auch Paduani schien verstimmt und nachdenklich und lenkte mehrmals das Gespräch auf Vorbedeutungen und Ahnungen. »Es ist heute ein Tag unangenehmer Erinnerungen für mich,« sagte er endlich, »und ich habe mich seit dem frühen Morgen mit einer seltsamen Unruhe getragen. Glauben Sie an Ahnungen, Doktor?«

»Im allgemeinen nicht, – in einzelnen Fällen: Ja! Der Dänenprinz hat Recht, wenn er sagt: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen läßt! – Überdies leben wir ja im Lande der Vorbestimmung und dürfen also an einer Ahnung derselben nicht zweifeln.«

»Ohne Winkelzüge – sagt Ihnen Ihre Erfahrung Ja oder Nein?«

»Ich lernte in Paris einen jungen Engländer kennen, Master Morton, Kapitän bei der schottischen Garde. Er ist der jüngere Sohn der berühmten schottischen Familie der Earls von Faulconbridge, in denen das zweite Gesicht seit Jahrhunderten sich vererbt haben soll. Es wiederholte sich auch bei seinem Vater. Im Jahre 1835, gegen Ende des November, kam Lord Faulconbridge von London nach seinen Besitzungen in Schottland, wo seine Familie, darunter der Sohn, der mir die Tatsache mitgeteilt, ihn bereits erwartete. Als der vierspännige Reisewagen in die breite Ulmenallee einbog, die zum Schloßportal führte, sah der Lord dieses plötzlich mit Fackeln erleuchtet und eine Schar Männer, die in tiefer Trauer einen von der inneren Halle aus kommenden Leichenzug zu erwarten schien. Zum Tode erschrocken, befahl er zu halten, aber schon war die Vision verflogen. Weder der Postillon noch die Diener hatten etwas gesehen. Lady Faulconbridge suchte ihrem Gemahl das Ganze auszureden, aber am dritten Tage, um die Stunde des Gesichts, sank der Lord plötzlich zu Boden, als er sich mit den Seinigen eben zum Diner niederlassen wollte. Ein Nervenschlag hatte ihn getroffen. Kapitän Morton war fest überzeugt, daß auch ihm sein Tod vorher verkündet werden würde.«

Paduani hatte den Kopf in die Hand gestützt. – » Ihnen, Doktor, Ihnen – Ihre eigenen Erfahrungen?«

Der Arzt sann einige Augenblicke nach. »Zwei Erinnerungen aus meinem Leben sind es, welche mir jene unerklärlichen und doch unleugbaren Fäden nahe gebracht haben, durch die der Mensch mit der Geisterwelt in Verbindung zu stehen scheint. Ich erzähle sie Ihnen wohl ein andermal.«

»Nein, jetzt, ich bitte Sie. Sie möchten sonst keine Zeit mehr dazu haben!«

Welland schaute den Italiener bei den seltsamen Worten aufmerksam an; das Gesicht desselben hatte eine aschbleiche Farbe angenommen, er befand sich offenbar in der größten Aufregung, der er mit aller Mühe Herr zu werden suchte. Der Arzt schüttelte den Kopf, doch folgte er seinem Wunsche.

»Ich war,« erzählte er, »ein junger Mensch von 16 Jahren und in Breslau auf der Schule. Meine Eltern hatten mich bei einem Gelehrten in Pension gegeben, der in einem früheren Kloster an der Oder wohnte. Die älteste Tochter der Familie, Amalie, war eine Blondine mit herrlichen Locken, so schön, wie ich sie nie wieder im Leben gesehen, ein Madonnengesicht, die Stirn von breiten Goldflechten gleich einem Diadem eingefaßt, das erste und einzige Weib, das ich wahrhaft geliebt habe. Es war eine halb kindische Leidenschaft, denn das Mädchen war mehrere Jahre älter als ich und trug den Gram einer unglücklichen Liebe im Herzen. Ein junger, interessanter Maler war durch ihre Eltern von ihr getrennt worden und bald darauf in rätselhafter Weise verschwunden – man glaubte an einen Selbstmord, – später erwies sich, daß er im Duell gefallen und von den Sekundanten in die Oder geworfen worden war. Ein einziges Andenken war dem Mädchen aus der Zeit ihres Umganges geblieben, ihr eigenes, von dem Geliebten entworfenes, aber nicht beendetes Portrait, von dem auffallender Weise nur der Kranz der goldenen Haare vollendet, während das Gesicht nur skizziert war. – Ich war etwa ein Jahr im Hause gewesen, als Amalie plötzlich an einer nervösen Krankheit starb, – ich fand sie bei meiner Rückkehr von den Ferien als Leiche im Sarg und war untröstlich. Am Abend vor dem Begräbnis, als ich sie noch einmal besuchte, schnitt ich ihr eine der breiten Flechten ihres schönen Haares ab, um dieselbe zum Andenken zu bewahren. Es war Mitternacht, als ich ruhelos bei einem Buch in meinem Zimmer, einer ehemaligen Klosterzelle saß; hinter mir hing das vorhin beschriebene Bild an der Wand. Zufällig blickte ich vom Buch auf und in den großen Spiegel mir gegenüber. Da sah ich das Portrait sich darin spiegeln, aber – schrecklich! In veränderter Form: das klar ausgeprägte, blasse Leichengesicht, wie ich es eben verlassen, dagegen mit kahlem, aller Haare beraubtem Scheitel! Ich hatte die Kraft, mich langsam umzuwenden nach dem Bild an der Wand und – dasselbe Totengesicht ohne den Lockenschmuck starrte mich an. Mein Haar sträubte sich; ich glaubte eine Mahnung der Toten zu sehen, daß ich einen frevelhaften Raub an ihr begangen; denn selbst ihrem Geliebten hatte sie stets die Gabe ihrer Haare verweigert, auf die sie auffallend hielt. Ohne das Auge von der schrecklichen Erscheinung abwenden zu können, taumelte ich rückwärts zur Tür meines Zimmers und öffnete sie; – drüben über dem Gang hörte ich das Mädchen noch hantieren und rief dasselbe. Sie kam mit Licht, – ich bat sie, noch einmal mit mir zur Leiche zu gehen und – legte still die Flechte wieder in den Sarg, wohin sie gehörte. – Sie sehen,« sagte der Doktor nach einer kleinen Pause, »wohin die aufgereizte Phantasie führen kann.«

Der Baron war während der Erzählung aufgestanden und nach dem Eingang des Gartens zu gegangen, wo er mit einem eben Eingetretenen, der die Kleidung eines jüdischen Handelsmannes trug, eifrig sprach. Paduani hatte aufmerksam zugehört, doch schien ihn die Erzählung nicht zu befriedigen. »Und die andere, Doktor, die andere?«

»Der zweite Fall, ich muß es gestehen, ist mir selbst unerklärlicher Natur und beweist mir, allen Zweifeln gegenüber, die Gabe des zweiten Gesichts bei gewissen Personen. Während meiner Studienzeit besuchte ich von Berlin aus Verwandte in Stendal, einer Stadt in der Nähe von Magdeburg. Eines Abends waren wir in Gesellschaft und man erwähnte einer Dame, die erwartet wurde und die ich noch nie gesehen, da sie sich fast von allem Umgang zurückgezogen hatte und nur diesmal einer nicht auszuschlagenden Einladung folgen wollte. Es schien mit ihrer Person ein gewisses Geheimnis verknüpft, obschon niemand recht mit der Sprache heraus wollte, die meisten aber die Sache verspotteten. Endlich erschien die Dame, eine Frau, bereits im mittleren Alter, wahrscheinlich noch heute lebend, von blassem, feinem Aussehen, ohne alles Auffallende, und die Gesellschaft nahm ihren gewöhnlichen Gang. Plötzlich, mein Auge war gerade auf sie gerichtet, sah ich die Dame unruhig und ängstlich werden. Sie versuchte offenbar, dies Gefühl mit Gewalt zu unterdrücken, doch schien es ihr nicht möglich, denn sie entfernte sich bald darauf in ein Nebenzimmer und ließ von hier aus um Hut und Mantel bitten. Ich war gerade in dem Zimmer anwesend, als Wirt und Wirtin in die Dame, eine Verwandte von ihnen, drangen, zu bleiben, oder ihnen wenigstens den Grund ihres raschen Weggehens zu sagen. Lange weigerte sie sich, endlich sagte sie zitternd und höchst aufgeregt:

»›Sie kennen das unglückliche Geschenk, mit dem mich leider die Vorsehung ausgezeichnet und das mir schon so vielen Kummer und so viele Unannehmlichkeiten bereitet hat, daß ich mich lieber aus allen Kreisen zurückgezogen habe. Während ich vorhin unter den Fröhlichen saß, überfiel mich wieder diese schreckliche Gabe des doppelten Gesichts und ich sah ein Mitglied der Gesellschaft als Leiche vor mir auf dem Tisch liegen!‹

»Der Wirt des Hauses, etwas ungläubiger Natur und auch erst seit kurzem im Ort, suchte ihr die Grille auszureden und lachte dazu, als die Dame ihm auf sein Drängen endlich einen Herrn, einen lebenskräftigen, kerngesunden Hagestolz von einigen vierzig Jahren als denjenigen bezeichnete, den sie als Leiche gesehen. Die Dame aber war nicht zu bewegen, wieder zur Gesellschaft zurückzukehren, und ich bat daher um die Erlaubnis, sie nach Hause führen zu dürfen. Unterwegs suchte ich sie mit gleichgiltigen Gesprächen zu zerstreuen, doch blieb sie still und traurig und nahm an der Haustür unter Tränen von mir Abschied.

»›Sie werden leider erfahren, mein Herr,‹ sagte sie, ›daß ich mich nicht täusche. Die traurige Erfahrung hat mich's schon zu oft gelehrt.‹

»Als ich in die Gesellschaft zurückkehrte, fand ich, daß der Wirt nicht still geschwiegen, sondern von der Prophezeihung gesprochen hatte, und daß man sich allgemein bemühte, darüber zu lachen. Vor allem war das bezeichnete Opfer der Ungläubigste und Heiterste. Man spielte ein Pfänderspiel und wirklich war bald in der allgemeinen Lust der unangenehme Auftritt vergessen. Da – nach ungefähr zwei Stunden, während ich eben wieder im Nebenzimmer plauderte, hörte ich plötzlich einen lauten Hilferuf, Gekreisch und Geschrei. Alles stürzte herbei, – der Herr, den die Seherin bezeichnet, hatte frisch und gesund noch einen Augenblick vorher auf seinem Stuhl gesessen und sich nach der Gewohnheit vieler dabei auf den Rückbeinen desselben hin- und hergewiegt, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor und mit dem Stuhl hinten überschlug. Man legte eben in der ersten Angst den Körper auf den nämlichen Tisch, den die Dame bezeichnet: – er hatte im Zimmer den Hals gebrochen und war eine Leiche, ehe man ihn aufhob.«

»Ei, Doktor, was erzählen Sie da für Schauergeschichten,« sagte lachend der Baron, der wieder hinzugetreten war, »und ich glaube wahrhaftig, Herr Paduani läßt seine italienische Phantasie davon in Schrecken setzen. Doch kommen Sie einen Augenblick, Freund, ich möchte Sie um eine kleine medizinische Auskunft bitten.«

Er nahm den Arm des Doktors und führte ihn, offenbar sehr aufgeräumt durch eine empfangene Nachricht, in einem Spaziergang durch den Garten.

»Sie haben bereits von der infamen Sitte in diesem Lande gehört,« sagte er nach einem kurzen Bedenken, »den Lebenskeim oft im Mutterschoß zu töten. Dies geschieht nicht bloß durch fremde Bosheit. Ist es möglich, in einem solchen Falle den Folgen des Verbrechens zu begegnen, sie aufzuheben und das Opfer wieder zur erhabenen Bestimmung des Weibes zu befähigen?«

»Die Angaben sind sehr allgemein,« sagte ernst der Arzt; »zunächst müßte man wissen, welche höllischen Mittel hier angewendet sind. Es würde nötig sein, die Kranke zu sehen.«

»Das geht nicht,« antwortete der Baron ziemlich barsch; »auch ist hier von keiner Kranken die Rede. Ich frage Sie bloß, ob es in dieser Beziehung Gegengifte gibt? Im Ort, müssen Sie wissen, ist man Meister in der Giftmischerei, und unsere Haremsdamen könnten den Borgias etwas zu raten aufgeben.«

»Die Natur ist unerschöpflich, Herr Baron,« sagte Welland, etwas verletzt von dem ungewohnten Ton, »und sie produziert ewig in ihren geheimnisvollen Werkstätten, deren wunderbarste der menschliche Körper ist. Die Erfahrung lehrt, daß selbst jene Unglücklichen, die in den Höhlen des Lasters sich feil bieten und bei denen jeder Keim der Mutterkraft längst erstickt scheint, bei geordnetem Leben mit der Zeit dieselbe wiedergewinnen. Ich glaube, daß die Zeit allein heilen kann – ein Gegengift aber ist nicht möglich, wenn man das Gift selbst nicht kennt. Ich würde mich nicht entschließen, ein solches zu geben, wenn ich nicht mindestens vorher die Person gesehen habe.«

»Das ist nicht möglich, ich wiederhole es.« Seine Stirn faltete sich mißmutig. »Man muß sie aufgeben und auf andere Mittel denken,« murmelte er und reichte dem Arzt die Hand. »Leben Sie wohl, Doktor; ich habe eine Nachricht bekommen, die mir noch einige Geschäfte auflegt. Ich hoffe, wir sehen uns morgen. Bringen Sie den Italiener nach Hause, der Mann hat heute ein seltsames Wesen an sich.«

Damit schied er.

Als Welland zu der einsamen Laube zurückkehrte, fand er den Bankier mit starren Blicken vor sich hin in die Luft stierend, zuweilen mit der Hand wieder die Augen bedeckend, als wolle er einer äußeren Erscheinung entfliehen.

»Sie hatten Recht, Doktor, mit ihrer ersten Geschichte,« sagte er fröstelnd; »alle diese Bilder sind nur ein Spiel der aufgeregten Phantasie. – Und doch sehe ich ihn in diesem Augenblicke so deutlich vor mir stehen, – schauen Sie,« er wies in die leere Luft, »mit dem ausgelaufenen Auge, wo die Kugel in den Schädel gedrungen ist, und mit zwei blutigen Wunden in der Brust gerade wie sie ihn aus dem Glacis zur Morgue gebracht haben!«

Er bedeckte schaudernd wieder die Augen mit der Hand.

»Wen sehen Sie denn dort?« fragte forschend der Arzt.

»Wen? – wen anders, als den Capitano Blum, den deutschen Revolutionsmann, von dem sie törichter Weise sagen, daß ich ihn im Gefängnis verraten hätte. Die Narren! Als ob ich damals in Wien gewesen wäre. Ich heiße doch Paduani und nicht …«

Er ermannte sich.

»Ich rede irre, Doktor, ich glaube, ich bekomme ein Fieber und werde Sie morgen um Ihren Rat bitten müssen.«

»Wollen Sie nicht lieber nach Hause gehen? Ich werde Sie begleiten.«

»Nein, Signor, lassen Sie uns in frischer Luft bleiben, ich fühle, mir wird schon besser; es war ein böser Anfall, dem ich manchmal unterworfen bin, und ich menge da tolles Zeug zusammen; achten Sie nicht darauf.«

In der Tat schien er sich zum Erstaunen des Arztes auch wieder ganz zu erholen, erwähnte mit keiner Silbe mehr den wüsten Gedanken und nahm das frühere Gespräch über die politischen Ereignisse wieder auf. Nur schien er den Heimweg so lange als möglich zu verzögern, und Mitternacht war bereits nahe und der Garten längst menschenleer, als sie auf Wellands Erklärung, daß er nun die Ruhe suchen wolle, sich auf den Weg machten. Beide trugen die in Konstantinopel nach Eintritt der Dunkelheit vorgeschriebene kleine Papierlaterne, da eine öffentliche Beleuchtung nicht existiert, und scheuchten auf ihrem Wege häufig jene eigentümlichen Straßenbewohner, die zahllosen Hunde, auf, die auf allen Straßen Konstantinopels bei Tage und bei Nacht ihr Lager halten und die Sanitäts- und Reinigungspolizei der türkischen Hauptstadt bilden.

Paduani war jetzt ganz verändert und spottete selbst über seine frühere Erregung.

»Wissen Sie,« sagte er lachend zu Welland, während sie an dem Kreuzwege standen, der sie trennte, »was vorhin mir den tollen Spuk durch den Kopf jagte? Eine dumme Prophezeihung. Als ich heute Morgen eines Geschäfts wegen in St. Demetri war, begegnete mir auf dem Campo eine alte bulgarische Zigeunerin und bettelte mich an. Ich hatte zufällig keine kleine Münze bei mir und wies sie etwas barsch ab. Da hob sie drohend ihre Krücke und schrie mir nach, Azraël, der Engel des Todes, wie die Moslems sagen, halte bereits seine Fittige über mir und ehe der Tag um sei, werde ich niemandem mehr eine Gabe reichen. Der Tag ist vorbei und – auf Wiedersehen morgen!«

Er reichte ihm die Hand und bog trällernd in die Seitenstraße, in der sich sein Haus befand. Welland, der in einer Pension an der Perastraße seine Wohnung aufgeschlagen hatte, setzte seinen Weg ruhig fort; doch war er noch keine zweihundert Schritt gegangen, als er plötzlich einen entfernten Hilferuf zu hören glaubte. Er hielt inne, – ein zweiter lauter Ruf erscholl und ließ ihm über die Richtung keinen Zweifel; er kam aus der Gegend, in der Paduanis Wohnung lag. Eilig – im Laufe die lästige Laterne von sich werfend – flog er zurück und rief nach der nicht sehr entfernt einquartierten Scharwache. Am Eingang der Gasse, die zu Paduanis Wohnung führte und die er im Fluge erreicht hatte, kamen ihm im vollen Rennen zwei dunkle Gestalten entgegen. Er rief ihnen sein Halt zu, doch achtlos sprang der Erste an ihm vorüber, dem Zweiten warf er sich in den Weg und hielt ihn mit beiden Armen fest. »Diavolo!« fluchte eine wilde Stimme, und eine riesige Kraft warf ihn zu Boden. Dennoch hielt er fest und klammerte sich, laut nach Hilfe rufend, an den Fremden. Die Klinge eines Dolches blitzte im Mondlicht hoch geschwungen über ihm und ehe er selbst zu einer Waffe greifen konnte, glaubte er sie niederfahren zu sehen auf seine unbeschützte Brust – da warf sich ein dunkler Körper zwischen ihn und die morddrohende Faust, eine Hand faßte dieselbe und rang mit ihr um die Waffe, während eine jugendliche Stimme neben ihm den Hilferuf schreiend wiederholte. Der Mörder, eine kräftige Gestalt, riß den Arm los, stieß den unbekannten Helfer zur Seite und sprang an der Gruppe der herbeikommenden Scharwache vorüber, deren schwere, eisenbeschlagene Stöcke auf dem Steinpflaster rasselten. Ein Pistolenschuß knallte hinter ihm drein; aber die Kugel schlug neben ihm hin in die Häuserwand und er setzte unbehindert seine Flucht fort, alsbald in den Quergäßchen, die nach Tophana hinunter führen, verschwindend.

Unterdeß richtete der fremde Retter den Deutschen empor, – die Laternen der herbeigeeilten Wache erhellten die Szene.

» Gregor

» Welland?!«

Vor ihm stand Caraiskakis mit dem Knaben Mauro, die so seltsam der Zufall zu seinen Rettern gemacht hatte. Ein nahes Stöhnen und Wimmern verhinderte jedoch alle Fragen und Erörterungen, alle eilten die Straße hinauf und vor Paduanis Tür – den Schlüssel zum Öffnen in der Hand, – auf der eigenen Schwelle im Todeskampf sich windend, fanden sie den blutigen Körper des Italieners, von fünf Dolchstichen durchbohrt. Der Mord Paduanis ist historisch, wie – wir wiederholen es – fast alle Szenen dieses Romans wenigstens ihre historische Basis haben. – –

Es war spät in der Nacht, als Welland mit den wiedergefundenen Freunden das Haus des Ermordeten verließ, nachdem alle Bemühungen zu dessen Rettung sich als vergeblich gezeigt hatten.


Wenn man von der Perastraße am russischen Gesandtschaftshotel vorüber den Weg nach Tophana zur Moschee Kilidsch-Ali-Pascha und zur Kanonengießerei treppenartig hinuntersteigt, findet man rechts nach den belebten Teilen von Galata hin eine Menge wirrer, einsamer Quergäßchen, deren Aussehen schon keineswegs sehr viel Sicherheit verspricht.

Hier befindet sich der berüchtigtste Schlupfwinkel aller Räuber und Mörder von ganz Konstantinopel, das Malthesergäßchen, das Hauptquartier des Auswurfs aller Nationen, der hier ungestört und sicher sein Wesen treibt; denn nach Dunkelwerden wagt sich kein ehrlicher Mensch mehr in diese Umgebung, und die türkische Polizei hält höchstens einmal, wenn der Gesandte einer großen Macht wegen vorgefallener Räubereien oder Mordtaten an Untertanen Lärm erhebt, eine Razzia, die gewöhnlich zu nichts führt, als daß ein oder der andere einen Kopf kürzer gemacht wird.

Zur Zeit unserer Erzählung war die Unsicherheit in Konstantinopel auffallend im Wachsen, was offenbar mit dem Zusammenströmen der Ausgestoßenen aus allen Himmelsgegenden zusammenhing, die bei den Kriegsereignissen entweder eine Beschäftigung oder eine Gelegenheit zu Raub und Plünderung zu finden hofften. Die Kategorien, in die sich diese Gesellschaft verzweifelter Menschen teilte, waren natürlich sehr zahlreich. Welche furchtbare Szenen in diesen Spelunken der Schande und des Verbrechens mit einander wechseln, würde keine Feder genügend zu schildern vermögen.

In einen leichten Mantel gehüllt, schritt eine mittelgroße, schlanke Männergestalt in den Eingang der verrufenen Gasse; etwa dreißig Schritt hinter ihr folgten zwei Kaikschiks, kräftige Gestalten, die Faust am Kolben der Pistolen, den Handjar im Gürtel. Der kecke Fremde war noch keine drei Häuser weit in der Gasse vorgeschritten, als rechts und links zwei Männer auf ihn lossprangen und ihn an den Armen faßten. Blanke Messer blitzten im Sternenlicht, rauhbärtige, wilde Gesichter starrten ihn grimmig an.

»Dein Geld her, Bursche, oder wir machen Dich kalt!«

»Es ist ein Türke,« sagte prüfend der Zweite. »Soll ich ihm zwischen die Rippen stoßen, Stephano?«

Der Fremde wickelte, ohne ein Zeichen von Furcht, unbefangen die Hand aus den Falten des Mantels.

»Mashalla – nicht so laut, Freunde, meine Begleiter da hinten möchten Euch hören und unrecht verstehen. Die Teufelskerle schneiden einen Kopf ab, ehe Ihr sagen könnt: Kale espera! Neugriechisch: Guten Abend. Auch liebe ich's gern, daß man mir drei Schritt vom Leibe bleibt, die Kleinigkeit da ist nicht angenehm in zu großer Nähe.«

Unter dem Mantel hervor blitzte ein sechsläufiger Revolver; zugleich nahten die Schritte der beiden türkischen Diener, und das Waffenarsenal in ihren Gürteln klang verdächtig zusammen. Verdutzt und mit einer Art von Respekt fuhren die beiden Räuber in das Dunkel der Häuserschatten zurück.

»Ah, bon, so lieb' ich's,« sagte der kleine Moslem; »das ist eine respektable Entfernung. Aber lauft nicht fort, Kerls, ich habe mit Euch zu reden und Ihr sollt Euer Goldstück diesmal ehrlicher verdienen als gewöhnlich. Wo ist die Pension des Griechen Palurgos?«

»Wir wissen nicht, wer Ihr seid,« sagte nach einer Pause die rohe Stimme eines der Banditen, »und ob man Euch, ohne Verrat zu begehen, antworten darf. Gebt erst ein Losungszeichen.«

» Bestia! – wenn ich einer Deiner Kollegen wäre, würde ich nicht so lange mit Dir die Zeit vertrödeln! Kennt Ihr einen Signor Tomaso, den Magyaren?«

»Gewiß!«

»Wohl! Den muß ich sprechen, ich habe Geschäfte für ihn, und wenn ich ihn recht kenne, wird er's Euch schwerlich danken, daß Ihr mich hier unnütz aufhaltet. Bismillah! Macht voran oder ich suche den Weg allein.«

Die beiden Griechen krauten sich verlegen in den Haaren – das moralische Übergewicht des Fremden hatte sie besiegt.

»Nun wohl, Effendi, auf Eure Gefahr!«

Sie gingen vor ihm her eine kurze Strecke, dann bogen sie in einen der kaum zwei Ellen breiten Durchgänge und blieben an einer Mauer stehen.

»Aber Ihr müßt allein kommen, Eure Sklaven dürfen nicht mit.«

»Wohl, Sie bleiben hier, doch einer von Euch bei ihnen, teils um sie vor unnützem Angriff zu bewahren, teils als Bürgschaft für mich. Euer Lohn wird doppelt werden, wenn ich unbelästigt zurückkehre.«

Die Banditen besprachen sich einige Augenblicke, dann willigte der Eine in den Vorschlag, und der Osmanli sagte seinen beiden stummen Begleitern einige Worte auf Arabisch, worauf er seinem Führer andeutete, voran zu gehen.

Der Bandit klopfte vier Mal in eigentümlicher Weise mit dem Griff seines Dolches an die verschlossene Tür, worauf diese sich öffnete und beide in den Hof traten. Im matten Schein einer Laterne bemerkte der Fremde, daß ein griechischer Knabe die Pforte geöffnet hatte und hinter ihnen sorgsam wieder schloß; er hatte jedoch keine Zeit zu weiteren Betrachtungen, denn sein Führer schritt voran nach dem Hause, aus dem ein wüster Lärm ihm entgegen scholl, und öffnete die Tür, die sofort in ein großes Gemach führte. Die Szene, die sich hier den Blicken des kühnen Orientalen bot, war eine Orgie der schrecklichsten Art. Rings umher auf schmutzigen breiten Divans lag und saß eine Gesellschaft, die würdig gewesen wäre, die Hölle auszustaffieren: Schwarze und Weiße, Renegaten, Maltheser, Griechen, Italiener, in dem buntesten reichen oder zerlumpten Kostüm, – alle bewaffnet, teils spielend mit schmutzigen Karten, das blanke Messer gleich neben sich an den Boden geheftet, zum Angriff und zur Verteidigung bei entstehendem Zank, oder das Maro (italienisches Fingerspiel) haltend, – teils träg dahingestreckt, Kaffee oder Rakih (Branntwein) und andere hitzige Getränke schlürfend, plaudernd, schwörend, Zoten reißend mit zwei jüdischen Mädchen, dem Auswurf der eklen Hölle. Dazwischen fuhr der griechische Wirt umher, mit Hilfe eines größeren Knaben die lärmenden Wünsche seiner Kunden befriedigend. Die einzelnen Gruppen zu mustern, blieb dem Effendi keine Zeit, denn die meisten Insassen des Gemachs fuhren empor, als sie einen in europäischer Weise gut gekleideten Türken eintreten sahen, der ihnen allen fremd war. Einige Worte des Führers beruhigten sie jedoch und sie setzten achtlos die unterbrochene Beschäftigung fort.

»Signor Tomaso, ist er zu sprechen?«

Der Kahvedschi (Kaffeewirt) wies diensteifrig auf eine Stiege, die nach dem oberen Gemach führte.

»Wollen Exzellenza belieben, hier hinauf zu spazieren? Der General ist in seinem Zimmer.«

Der Moslem stieg die Treppe hinauf, öffnete am Ende derselben eine Tür und trat in das Gemach.

Zwei Personen saßen darin, in Wolken von Tabaksdampf eingehüllt, ein etwa fünfzigjähriger Mann von mittelhohem Wuchs und militärischer Haltung, häufig den ergrauenden, langen Schnurrbart von ungarischer Form streichend. Den magyarischen Typus zeigte auch das Gesicht, die gebogene, schmale Nase, die breiten Stirnknochen und das scharfe, blitzende Auge, in dem etwas Finsteres, Herrisches lag. Der Zweite war ein jüngerer Mann in eleganter französischer Kleidung, mit Papieren und Briefschaften eifrig beschäftigt.

»Mon Dieu – der Minister!«

»Ah Sie, Herr Dechambeau,« sagte Fuad – denn dieser war der Eintretende – mit leichtem Spott zu dem aufspringenden jüngeren Mann, »lassen Sie sich nicht stören in Ihrer Erholung von den anstrengenden Arbeiten der Redaktion. Sie haben ja gestern einen vorzüglichen Artikel im ›Spectateur‹ geliefert. Ich komme nur, um meinen Freund, den General zu besuchen, der auch so beschäftigt scheint, daß er für seine alten Bekannten keine Zeit mehr übrig hat. Wenigstens ist er seit länger als einem Monat nicht bei mir gewesen, und ich kann doch nicht glauben, daß meine gegenwärtige Entfernung aus dem Divan die Ursache sein sollte.«

Der Militär hatte sich erhoben und dem Ankommenden die Hand gereicht. »Das wissen Sie besser, Hoheit. Titel, den man höflicherweise dem Pascha gibt. Sie haben mich damals in der Walachei vom Strick gerettet, der mir bei den Oesterreichern sicher gewesen wäre, und dergleichen vergißt man ohne Not nicht, wenn man auch Revolutionär von Profession ist. Ich hätte Ihnen jedoch sicher morgen oder übermorgen meinen Besuch gemacht, da ich, aufrichtig gestanden, Ihres Einflusses für einige Anstellungen von Schützlingen in der Donau-Armee bedarf.«

»Er steht zu Ihren Diensten, General,« sagte der frühere Minister höflich. »Sie wissen, wir müssen nur die Form wahren, da wir in der Flüchtlingsfrage gegen den Wiener Hof Verpflichtungen eingegangen sind und uns trotz der englischen und französischen Zusicherungen Österreich nicht auf den Hals laden mögen. Übrigens komme ich auch nicht ohne Absicht in die abscheuliche Mördergrube, wohin Sie sich nun einmal inkognito einquartiert haben. Ich –,« sagte er mit einem leichten Zögern, »bedarf Ihrer Hilfe zu einem geheimen und schleunigen Dienst.«

»Genieren Sie sich nicht, Hoheit, – Herr Dechambeau ist mit meinen Angelegenheiten vollkommen vertraut.«

»Also zur Sache«, sagte der Moslem, der sich auf den Divan niedergelassen. »Sie haben wahrscheinlich schon gehört, daß gestern im Divan der Aufschub der Feindseligkeiten beschlossen worden ist. Der Befehl dazu wird spätestens morgen früh nach Schumla und Rustschuk abgehen.«

Der General sah ihn aufmerksam und fragend an.

»Der Tatar mit dem Ferman darf nicht ankommen, mindestens nicht vor dem 25sten. Der Sirdar hat seine Instruktionen und die Eröffnung der Feindseligkeiten darf unter keinen Umständen verhindert werden.«

»Ich verstehe, aber wie soll ich das hindern?«

»Sie haben geeignete Leute genug zur Disposition. Einer oder zwei müssen den Tataren aufhalten und ihm Ferman und Paß mit Gewalt abnehmen. Inshallah, was kommt es auf ein Tier an, wo so viel auf dem Spiele steht! Hier ist Gold, fünfzig Ghazis Türkische Goldmünze, etwa 4 Mk. 50 Pfg. für den Mann, ebensoviel erhält er, wenn er den Ferman bringt.«

»Aber wird die Sache nicht viel Aufsehen machen?«

»Die Ordre soll auch keineswegs unterschlagen werden, schon um der Einmischung der Gesandten willen nicht, sie soll nur zu spät kommen. Am zweiten Morgen sendet man dann einen anderen vertrauten Boten mit Ferman und Paß an Stelle des Beseitigten ab. Haben Sie die passenden Männer zur Stelle? – Ich werde sie in meinem Boot noch diese Nacht bis Kütschük-Tschekmedgeh bringen lassen, wo die beiden Straßen nach Adrianopel sich teilen, damit wir keine Vorsicht versäumen. Dort müssen die Leute sich in Hinterhalt legen und warten; ich denke, der Bote wird erst zwei Stunden nach Sonnenaufgang vorüber kommen, doch muß man auf der Wacht sein, unsere Gegner sind tätig und schlau und werden sicher einen zuverlässigen, entschlossenen Mann senden.«

Der General sann nach. – »Ich wüßte im Augenblick kaum, wem ich als zuverlässig den Auftrag geben könnte!«

Der Journalist, der bisher schweigend zugehört, wandte sich zu ihm. – »Sta-Lucia«, sagte er, »er weicht nie von seiner Aufgabe.«

»Ja, aber Sie wissen – –«

Ein Lärmen im unteren Gemach unterbrach ihn. Die Treppe hinauf stürmte ein schwerer Männertritt, und ehe weiter ein Wort gesprochen, stand der Ebengenannte in der Tür. Er schien erhitzt, atemlos von einem raschen Lauf, seine Kleidung war in Unordnung und Hände und Gesicht mit Blut bespritzt.

»Was ist geschehen?«

Der Bandit trat langsam bis zum Tisch vor und stieß mit gewaltiger Kraft den Dolch, den er in der Faust hielt, dicht vor dem General in die Platte, daß die breite Klinge fast zwei Zoll tief in das Holz fuhr. – »Der Schuft wird den 9. November An diesem Tage wurde an Robert Blum das Urteil des Kriegsgerichts in der Brigittenau vollstreckt. nicht mehr sehen! Ich wollte zwar warten bis zum Jahrestage seines Verrats, aber die Gelegenheit war heute günstig. Doch muß ich mit Hassan, dem Arnauten, für einige Tage fort, General, man hat uns dabei überrascht und die türkischen Hunde waren hart auf meinen Fersen.«

»Ein Verräter verdient den Tod«, sagte der General ernst, »und dieser war ein doppelter, der sein Spiel lange genug mit uns getrieben. Es trifft sich glücklich, daß ich Euch sogleich entfernen kann. Der Gefährte dieses Mannes kann, wenn es Euch genehm, Effendi, sogar den Kurierritt nach Schumla machen. Er diente früher als Tatar bei der englischen Gesandtschaft und mußte gewisser Vorgänge halber verschwinden.«

Der Minister, der mit Interesse den Banditen betrachtet hatte, nickte zustimmend, und nachdem Hassan in das obere Gemach gerufen war, wurde der Auftrag den beiden kurz auseinandergesetzt. Der Kaïk des Effendi mit den vier Ruderern sollte sie sofort an die Spitze des Schlosses der sieben Türme bringen, bis in die Bucht von Kütschük-Tschekmedegh, an deren Ufer die Straße nach Adrianopel vorüberläuft. Am Nachmittag, zu einer bestimmten Stunde, sollte der Effendi oder ein Vertrauter mit dem nötigen Gelde an dem Ufer des Lykus vor dem Tore von Adrianopel (Edrene-Kapussi) auf den Boten harren, der Nachricht über den Erfolg des Unternehmens und womöglich den Ferman zurückbringen würde.

Die Verhandlungen waren rasch geschlossen, und nachdem die Banditen das Aufgeld in Empfang genommen, verließen sie mit dem Minister zugleich die Spelunke und eilten zu dem harrenden Kaïk. Dieser setzte seinen Herrn in der Nähe des Serails in Stambul ans Land, und dann, von acht kräftigen Armen getrieben, seinen Weg entlang der Seeseite fort. – – – –

Es mochte gegen vier Uhr morgens sein, als der Teppichvorhang vor der Tür des inneren Schlafgemaches des Großherrn ein geringes zurückgeschlagen wurde und das schöne Haupt der Odaliske Mariam in der Öffnung erschien. Ihr Auge schaute forschend umher, von den beiden Verschnittenen, die, den entblößten Handjar in der Faust, auf der Schwelle des Gemaches schliefen, nach dem Divan gegenüber, auf dem es Nursädih ruhend erblickte. Ein leiser Ruf erweckte dieselbe und brachte sie vorsichtig herbei. Die Herrin reichte ihr ein in einen seidenen Beutel gehülltes Papier und eine Börse mit Gold.

»Jussuf, Dein Bruder, möge sofort den Fuß in den Bügel setzen und nicht ruhen, bis er dies in die Hände des Sirdars gelegt hat. Der Bujurulteh Türkischer Paß, offene Ordre für die Stationen, Pferde zu stellen. ist unnötig, seine Erlangung würde nur die Abreise verzögern und gefährlich machen; in dem Beutel ist Gold genug, um überall Pferde zu kaufen. Geh, und der Gott, zu dem wir alle beten, begleite Dich und ihn!«

Der Vorhang fiel zurück. – – – – – – – –

Zwei Stunden vor den Toren der Stadt, wo sich die Straße nach Adrianopel in zwei Richtungen teilt, – windet sich der Weg zwischen einem Felsufer hin, dessen Ausgang ein Gebüsch von Feigen und wilden Myrthen umgibt. Hier hatten sich seit etwa einer Stunde die beiden Banditen in Hinterhalt gelegt, ihr Opfer erst im Laufe des Vormittags erwartend, als plötzlich der nahende Galopp eines Pferdes sie aufmerksam machte.

»Diavolo!« sagte der Korse, »ob das am Ende gar schon unser Vogel ist? Leg Dich quer in den Weg, Hassan, so muß er einen Augenblick halten, und wir können uns wenigstens der Sache versichern.«

»Jawasch!« (So geschehe es) antwortete der Arnaut, indem er die Waffen in seinem Gürtel zur Hand rückte. »Ich bin nicht umsonst Tatar gewesen und kenne einen Kameraden.« Damit legte er sich mitten auf die Straße, während sein Gefährte sich im Schatten des Gebüsches verbarg.

Einige Augenblicke darauf klang der Hufschlag näher und der Reiter ritt in den Hohlweg ein.

Hassan fing an, jämmerlich zu stöhnen. Im nächsten Moment sprengte der Reiter heran; es war Jussuf, der Bote Mariam's und des Padischah.

»Gib Raum da, daß ich vorüber kann.«

»Aman! Aman! Allah sendet Euch mir zum Beistand, Effendi! Steigt ab und helft mir, ich bin ein armer Mann, der vom Pferde gefallen ist und das Bein gebrochen hat.«

»Inshalla, ich habe keine Zeit. Des Bluttrinkers Zorn sitzt hinter mir, wenn ich nicht eile. Mach' Dich zur Seite!«

»So seid Ihr ein Bote des Padischah?«

»Ich bin sein Tatar! Fort oder auf Dein Haupt komme es!« Der Mohr gab dem Pferde die Sporen und es setzte zum Sprunge an. Im Nu war der Bandit auf den Beinen und griff ihm in die Zügel, zugleich knallte aus dem Gebüsch ein Pistolenschuß und Jussuf wankte im Sattel.

»Pesewenk!« (Schurke.)

Er stürzte schwerfällig zu Boden; während Hassan das Pferd bändigte, warf sich der Korse über den Blutenden und begann ihn zu durchsuchen. Um den Hals gebunden, fand er den seidenen Beutel mit dem wichtigen Dokument, im Gürtel des Tataren die schwere Geldbörse. Der Verwundete versuchte vergebens, das anvertraute Dokument zu verteidigen, während seine großen Augen in Schmerz und Verzweiflung rollten.

»Laßt mir den Beutel, es ist ein Brief des Großherrn und nützt Euch nichts!« stöhnte er.

Sta-Lucia lachte. – »Das kannst Du nicht wissen, mein junger Rabe! Eben um den Brief war mir's zu tun. Und nun zum Teufel, wo ist Dein Bujurulteh?«

Der Mohr deutete verneinend an, daß er keinen besitze, dann aber wurde er von dem Blutverlust ohnmächtig. Die Kugel hatte ihn in die linke Seite getroffen.

»Wir haben, was wir brauchen,« sagte der Korse zu seinem Gefährten, »und mehr als das. Was tun wir mit dem Burschen da?«

»Schneid' ihm die Kehle durch und laß ihn liegen.«

»Nein, das geht nicht, man würde ihn finden und das könnte unsere Sache stören. Hilf ihn mir auf's Pferd heben, der schwarze Hallunke hat vollkommen genug und wir wollen ihn in die Schlucht am Meer werfen, an der wir vorbeikommen. Dort liegt er ungestört, bis ihn sein und Dein Prophet erwecken mag.«

Beide legten Hand an, über den Sattel geworfen, führten sie den leblosen Körper eine Strecke ins Land mit sich fort. Erst am Rande der Schlucht, als Sta-Lucia ihn in seine nervigen Arme faßte, schien dem Unglücklichen noch ein Mal das Bewußtsein wiederzukehren und seine Augen blitzten finster und drohend den Mörder an, während die Hand sich auf die Wunde preßte. Ein kräftiger Schwung – und hinunter flog der Körper über die Klippen und beide hörten seinen Fall ins Wasser.

Sta-Lucia schwang das verhängnisvolle Papier hoch in der Hand. »Hundert Ghazis gewonnen, Kamerad, außer diesem Beutel und dem Pferd! Bei allen Teufeln, das war keine schlechte Morgenarbeit! Fort nach Stambul!«


Am 23. Oktober wurde gegen russische Kriegsfahrzeuge, welche die Donau hinauffuhren, von der türkischen Festung Isakscha unterhalb der Pruthmündung das erste Feuer eröffnet. Die Russen erzwangen mit starkem Verlust die Passage.

Am 25. ging auf Befehl des Sirdars ein türkisches Korps bei Widdin über die Donau und setzte sich in Kalafat fest.

Zu spät traf der Ferman des Padischah am 27. im Hauptquartier ein; der Krieg hatte begonnen!



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