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Die ersten Schatten der Abenddämmerung grauten über der endlosen, melancholischen Einöde, durch die sich, vom Missouri her, die Handelsstraße nach Santa Fé – dem Stapelplatz für das ganze nordöstliche Mexiko – in mäandrischem Zickzack hinschlängelt.
Man darf sich diese »Handelsstraße« nicht nach dem Bilde einer europäischen Chaussee ausmalen! Wie fast all die Verkehrslinien des amerikanischen Westens, ward auch die hier in Rede stehende ursprünglich von den gehörnten Ingenieuren dieser grandiosen Wildnis gebaut – oder richtiger gesagt, gestampft: von den Büffeln, die weiland diese Gründe in hellen Haufen durchschweiften. Die von Osten herdrängende Kultur hat seitdem die Bisons ausgerottet oder doch immer weiter und weiter gegen Sonnenuntergang zurückgescheucht. Ihre Wege und Stege aber sind geblieben. Der Mensch hat sie benutzt, fortgeführt und miteinander verbunden; wo einstmals die zottige Herde zur Tränke oder zur Salzlecke wanderte, da zieht jetzt das hochbepackte Saumroß des Pedlars oder der knarrende Ochsenwagen des Squatters.
Solche Handelsstraßen, oder – wie der Amerikaner sie nennt – » Routes« entbehren selbstverständlich jeder Nachhilfe der Kunst oder Zivilisation. Während sie in den offenen Prärien und Savannen sich oft zu einer Breite von mehreren Meilen ausdehnen, schrumpfen sie wiederum in den Wäldern und Niederungen manchmal zu einem Engpaß zusammen, durch den sich die Fuhrwerke nur mühsam fortzuschrauben vermögen. Die Huftritte der Pferde und Ochsen, die Geleise der Räder, da und dort wettergebleichte Knochen – das sind die Leuchttürme in dem unendlichen Grasozean, das sind die Wahrzeichen dieser primitiven Kommunikationsmittel des westlichen Amerikas. Berge werden von den Karawanen erklettert, Flüsse und Bäche in Furten überschritten, durchschwommen oder auch auf flüchtig gezimmerten Flößen durchschifft. Dämmert der Abend, so macht die Kolonne Halt; die Zug-, Last- und Reittiere werden ausgespannt und abgesattelt, die Zelte aufgeschlagen, manchmal aber auch kurzweg unter freiem Himmel biwakiert. Einige schultern die Flinten, um sich nach einem Braten umzusehen, andere zünden ein mächtiges Feuer an; der Teekessel singt seine monotone Weise, die Branntweinflasche kreist in der Runde und die Stummelpfeife, gestopft mit duftigem »Kinne-Kinnek«, qualmt. So bricht die Nacht ein. Nochmals wird das Lagerfeuer aufgeschürt und die nötige Wache ausgestellt; in den Teppich gewickelt, die Füße gegen das Feuer gekehrt, die Büchse schußfertig im Arm und das Messer in der Scheide gelockert, schläft jeder ein, um beim geisterhaften Rauschen des Urwaldes oder dem schwermütigen Geflüster des Präriegrases zu träumen und frische Kräfte für die Strapazen des kommenden Marsches zu sammeln. So geht es Tag um Tag in trostloser, geisttötender Eintönigkeit weiter und weiter – vor sich den endlosen Horizont, unter sich das ewige, graubraune Präriegras oder den nackten Moorboden und über sich den weiten Himmel, an welchem heute trübe Sturmwolken flattern, morgen die Sonne in versengender Glut ihre Strahlen sprüht.
* * *
Von einem terrassenförmigen Hochplateau schlängelte sich ein Zug Wagen und Reiter in die Niederung hinab. Die Grassteppe machte dem Walde Platz. Der bisher breite Weg gestattete den schwerbeladenen Wagen kaum noch den Durchgang. Während sich die Reiter schweigend zu zwei und zwei rangierten, drängte sich die Vorhut, die bisher der Haupttruppe ziemlich weit voraus gewesen war, dichter auf die Kolonne zurück. Gerade in diesem Defilee war drei oder vier Jahre zuvor eine ganze Handelskarawane von den Shawnees-Indianern überfallen und aufgerieben worden. Ein morsches Kreuz bezeichnete den düstern Platz. Die Erde hatte längst das Blut getrunken, der Wind längst den letzten Todesschrei verweht. Nur hier und da blieben jetzt die Hunde, die den Handelszug begleiteten, stehen und beschnüffelten einen durch Wind und Wetter gebleichten Schädel oder Knochen.
»Haltet die Gucklöcher offen, Jungens?« mahnte mit halblautem Rufe ein schon älterer Mann, der, in Schußweite hinter dem Vortrab, dem übrigen Zuge voranritt und der »Foreman« zu sein schien.
Die Karawane bestand aus einem Dutzend achtspänniger Ochsenwagen und einigen fünfzig Packpferden; die Eskorte bildeten etwa dreißig Reiter, die schweigsam, die Büchse oder den Karabiner schußfertig in der Faust, mit scharfem Auge und Ohre jeden Zoll Terrain sondierten. Ein Nachtrab von drei Reisigen deckte den Zug, der langsam wie ein Wandelbild im Waldesdunkel verschwand. Der Strichregen, der kurz zuvor gefallen war, hatte sich verzogen; aus den grauen Wolken, die am Himmel hinflogen, brach jählings die Sonne durch und warf, tief aus Westen her, noch einmal ihr verklärendes Licht wie einen flammenden Scheidegruß auf diese jungfräuliche Wildnis … Die derben, in Wind und Wetter gestählten Gesellen scharten sich kampfbereit um ihr Hab und Gut. Ihr Anzug war der, wie ihn so ziemlich alle Westreisenden tragen: ein grauer Schlapphut, ein grüner Jagdkittel und hohe Reitstiefel von Büffelleder, an die schwere Eisensporen geschnallt waren. Im Leibgurt steckten der sechsläufige Revolver und das breite, zweischneidige Bowiemesser. Der Regenmantel war, da das Unwetter sich aufgeklärt hatte, über den Sattelknopf gerollt.
In der Mitte dieser Kavalkade bewegte sich ein Reiter, dem man, trotz seiner äußerlichen Konformität mit den andern, dennoch anmerken konnte, daß ihn mancherlei von seinen Reisegenossen unterschied. Ein zweiter Blick ließ an ihm den germanischen Typus erkennen. Das blonde, leichtgelockte Haar, die blauen Augen und die gedrungene, muskulöse Figur bildeten einen eigenartigen Gegensatz zu den hagern Formen und dem galliggelben Teint der übrigen Gesellschaft. Man hätte das Gesicht dieses Mannes hübsch nennen dürfen, wenn nicht die durch einen Stoß oder Schlag mißstaltete Nase, ein eigentümlicher Zug von tückischem Trotz um die Lippen und ein düsteres, katzenartiges Leuchten im Auge ein allzu störendes Gegengewicht gewesen wären. Noch ein weiteres Merkmal sonderte ihn von seinen Kameraden ab: eine an die Eitelkeit streifende Sorgfalt, die er, mitten in dieser kulturlosen Wildnis, seiner persönlichen Erscheinung zuwandte. Um den Hals hatte er ein rotseidenes Tuch geschlungen, dessen Fransenzipfel kokett über die Schultern zurückgeworfen waren; an seinen Fingern funkelte ein bunter Mischmasch von Ringen. Auch seine übrige Equipierung war ungleich prunkvoller als die seiner Kameraden. Diese Gesuchtheit in Toilette und Armatur erstreckte sich bis auf die Sporen, die bei ihm, statt von Eisen, von jener Metallkomposition waren, die der Amerikaner » German silver« nennt …
Eben war der Vortrab der Karawane an eine Stelle gelangt, von wo sich die Hauptstraße links in einen engen Wildpfad abzweigte, als die Spitzreiter plötzlich die Pferde anhielten und wie auf ein Kommando die Büchsen an die Wangen rissen, während die Hunde knurrend in die Luft schnupperten … »Was gibt's, Jungens?« rief der Vormann, indem er sich dabei in seinen Steigbügeln spähend aufrichtete. Im selben Moment trat aus dem Seitenpfade ein Mann hervor – hinter ihm ein Weib, das ein Kind auf dem Rücken trug, ein Indianer und ein Hund. Erstaunt und mißtrauisch musterten die Reiter die so unerwartet auftauchende Gruppe. Während das Weib und der Indianer stehen blieben, trat ihr Begleiter noch einige Schritte vor, dann stützte er die Hände auf seine wuchtige Kentuckybüchse und heftete seinerseits einen ebenso prüfenden Blick auf die Fremdlinge … »Wer seid Ihr?« fragte der Vormann mit barscher Stimme und spornte seinen Gaul nach dem Nomaden hin.
»Ein Jäger und ein ehrlicher Mann!« antwortete dieser in englischer, aber fremdartig akzentuierter Sprache und furchtlos parierte sein Auge den drohenden Blick des Amerikaners.
Die Zeit war damals eine kritische und rechtfertigte den inquisitorischen Ton, den der Vormann gegen den Waldläufer angeschlagen hatte.
Seit jenem blutigen Gemetzel, wo, wie schon erwähnt, eine ganze Karawane unter den Messern und Beilen der Shawnees den Tod fand, waren neuerdings verschiedene Handelszüge angegriffen worden, wobei man unter den Rothäuten auch Weiße bemerkt hatte: Strolche, die offenbar die triftigsten Gründe dazu haben mochten, sich in diese gesetzlosen Regionen zurückzuziehen und die dann bei diesen räuberischen Handstreichen mit den Indianern gemeinsame Sache gemacht hatten. – – Der Jäger war ein schlanker, hochgewachsener Mann im Anfang der dreißiger Jahre. Seine Kleidung war die, wie sie die Trapper und Hinterwäldler des amerikanischen Westens tragen: ein schmuckloser, aber zweckmäßiger Anzug aus gegerbter Hirschhaut. Unter der Mütze von Otterfell wölbte sich eine breite Stirn, aus welcher zwei ausdrucksvolle, dunkelbraune Augen hervorblitzten. Ein dichter Bart umrahmte die untere Hälfte des Gesichtes, über dessen linke Wange eine tiefe, dunkelrote Narbe hinlief. Noch ein weiteres eigentümliches Merkmal hatte der Jäger aufzuweisen – an seiner Hand, welche die Büchse umspannt hielt, starrte ein Stumpffinger …
Das Weib, das den Waldmann begleitete, schien einige Jahre jünger zu sein und war gewiß einmal ein liebliches Mädchenbild gewesen, denn selbst das rauhe Wanderleben in Busch und Prärie, bei Wind und Wetter, hatte ihre Reize nur teilweise zerstören können. Noch unter dem groben, abgebleichten Tuch, das sie mantelartig übergeworfen hatte, traten die feinen, elastischen Formen ihres Leibes hervor, an dem alles symmetrisch war bis zur kleinen, leichtgebräunten Hand und dem schmalen, nervigen Fuß, der in zierlich gearbeiteten und bunt garnierten Mokassins steckte …
Der Indianer, der sich dem Paare beigesellt hatte, gehörte seinem Abzeichen nach zu dem Stamme der Pottawatamies, die sich zwischen den Cherokees und den Shawnees vom Osagefluß bis zum kleinen Arkansas herumtreiben und als furchtlose Krieger bekannt sind. Seine schlanke, geschmeidige Figur wie aus Kupfer modelliert, trug in jeder Bewegung den Stempel eines naturwüchsigen Adels. Er mochte vielleicht fünfundzwanzig Jahre zählen und sein Gesicht, nicht entstellt durch die wild groteske Malerei für den »Kriegspfad«, zeigte den halb semitischen Typus seiner Rasse in den edelsten Konturen und war von einem so stolzen und ernsten Ausdruck, daß es der Majestät eines europäischen Fürsten von Gottes Gnaden Ehre gemacht hätte.
Der schmal und scharf geschnittene Kopf war unbedeckt und glattrasiert bis auf die lange Skalplocke in der Mitte des Schädels; zwei Adlerfedern schmückten diesen glänzend schwarzen Haarstrang. Eine bunt gestreifte Wolldecke drapierte leicht in pittoreskem Faltenwurf den rothäutigen Weidmann, während seine breite, gewölbte Brust aus dem geöffneten, hirschledernen Hemde hervorschaute. Graziös über die Achsel hingeworfen, trug der junge Indianer einen Karabiner von altspanischer Arbeit und am Leibgürtel das furchtbare Wurfbeil – die traditionelle Urwaffe seines Volkes.
Zwischen die Baumkronen hindurch warf soeben die Abendsonne einen flammenden Strahl auf den Waldläufer, der die barsche Frage des Karawanenführers ebenso kurz und bündig mit der Erklärung abgefertigt hatte: »Ich bin ein Jäger und ein ehrlicher Mann.« Die Narbe, die, wie schon erwähnt, seine linke Wange durchpflügte, trat in der grellen Beleuchtung doppelt auffällig hervor.
Der Reiter mit dem germanischen Typus hatte gleich im ersten Moment der Begegnung den Jäger scharf ins Auge gefaßt: ein mächtiges Staunen, fast ein bebendes Erschrecken war über sein Gesicht geglitten und seine Sporen gruben sich unbewußt in die Weichen seines eisengrauen Mustangs, daß das kleine, feurige Tier schnaubend in die Höhe stieg. Noch musterten sich gegenseitig die Parteien, die der Zufall hier zusammengeführt hatte. Flüchtig war das Auge des Jägers über den finstern Reiter hinweggeschweift, der, scheinbar an seiner Satteltasche nestelnd, sich auf den Hals seines Pferdes herabgebogen hatte. Auch das Weib, das den Jäger begleitete, wandte dem Handelsmann einen gleichgültigen Blick zu – – mit einemmal zogen sich ihre Brauen leicht zusammen, durch ihre schlanke Gestalt zuckte es hin wie ein elektrischer Funken! Nochmals ließ sie ihr blaues Auge prüfend an dem Reiter hinaufsteigen, dann neigte sie sich hastig vor und flüsterte dem Jäger einige Worte zu. Auch der fuhr jählings zurück, als sei er auf eine Schlange getreten, dann aber richtete er sich in seiner vollen Höhe auf; sein blitzendes Auge fixierte durchbohrend den Fremden da drüben und einen seiner Finger in die tiefe Narbe seiner Wange legend, rief er in deutscher Sprache und eigentümlicher Betonung: » Gerhard!«
Doch der also Angeredete rührte keine Muskel seines Gesichtes und blickte kaltblütig in das flammende Auge des Jägers.
Dieser bog sich wie fragend zu dem Weibe zurück. Leise den Kopf schüttelnd, strich sie mit der Hand über die Stirn, als wolle sie ein Trugbild verwischen, das neckend vor ihren Augen aufgetaucht war.
»Was sucht ihr hier?« hatte inzwischen der Vormann der Karawane sein peinliches Verhör fortgesetzt, indem er dabei argwöhnisch in die dunkelnde Tiefe des Waldpfades hineinspähte.
»Zum Henker! Was sucht denn ihr hier?« gab der Jäger trotzig zurück und ein innerer Unwillen rötete sein männliches Antlitz.
» Well! Wir sind Handelsleute, die unbehelligt ihres Weges ziehen wollen,« betonte der andere und ließ dabei bedeutsam den Hahn seiner Büchse knackend spielen.
Ein spöttisches Lächeln kräuselte die Lippen des Jägers. »Und ich bin auf dem Wege nach dem Osage, um dort meine Biberfallen zu stellen; bedarf es also euerer unnützen Drohungen, um einen schlichten Trapper, ein Weib und eine Rothaut einzuschüchtern?«
»Wir fürchten nicht euch drei,« entgegnete ebenso ironisch der Vormann: »es handelt sich aber um die, welche vielleicht hinter euch stehen und sich nicht so leicht zählen lassen.«
In aufloderndem Zorn warf der Jäger seine Büchse über die Achsel.
»Dann zieht eueres Weges!« entschied er kurz: »Ihr traut mir nicht – so will ich auch euch mißtrauen!« Ohne eine weitere Entgegnung seines Beleidigers abzuwarten, wandte er sich zum Gehen.
» Well, nicht so hitzig, Mann!« lenkte der Vormann ein: »laßt mal erst ein vernünftiges Wort mit Euch reden.«
Zögernd machte der Jäger Halt.
»Wißt Ihr vielleicht hierherum eine gute Lagerstätte für Mensch und Vieh?« brach der Vormann das momentane Schweigen.
»Ich weiß mehr wie eine!« nickte der Trapper trocken.
»Wollt Ihr uns führen? Ihr sollt es nicht umsonst tun.«
»Ich verlange und erwarte keine Bezahlung, wenn ich Euch oder jedem andern Nebenmenschen einen Dienst erweisen will!« erklärte mit edlem Stolz der Jäger.
» Well spoken!« lobte der Amerikaner. »Aber Ihr sollt es trotzdem nicht umsonst tun!« protestierte er: »Pulver und Blei braucht der Waldmann zu jeder Zeit, und für Euer Frauchen dahinten wird ein buntes Tuch oder sonst ein Putzstück, wie die Weiber es lieben, auch nicht so ganz übel sein.«
»Wie Ihr wollt,« gab der Jäger leichthin zurück: »wenn Ihr aber den Wunsch habt, noch rechtzeitig an Ort und Stelle zu kommen, so laßt uns aufbrechen, denn die Nacht wird uns bald überfallen.«
»Vorwärts also!« rief der Vormann: »aber halt! Ich sehe, Ihr seid ein ehrlicher Kerl und ich hab' Euch weh getan … Also her mit der Hand und – da …« Er nestelte seine Korbflasche los und hielt sie dem Jäger hin.
»Laßt Euer Weib und die Rothaut da hinten auch einen Schluck tun,« bemerkte der Amerikaner in seiner naturwüchsigen Galanterie.
»Ich trinke keinen Brandy, Sir!« dankte mit melodisch klingender Stimme in gebrochenem Englisch die junge Frau und mit einer leichten Kopfbewegung wies sie die Flasche zurück.
» Never mind! Ich hab' auch Euch, liebes Frauchen, gekränkt, denn Mann und Weib sind, wie der heilige Paulus sagt, ein Leib: wascht also mir zu Gefallen den erlittenen Schimpf mit einem Schluck echten Mononghahela-Whisky ab und laßt dann alles vergessen sein.«
Also polterte der Missouri-Mann in seinem gutmütigen Eifer.
Die Flasche an die Lippen setzend, leistete die junge Frau der Bitte scheinbar Folge, dann reichte sie das Gefäß dem Indianer, der es kunstgerecht an die Gurgel brachte, während ein wohliges Lächeln seine düstern Züge verklärte. Mit einer Bewegung voll natürlicher Grandezza, wie sie seiner Rasse so eigen ist, ließ er die Flasche an ihren Besitzer zurückgehen.
Mit humoristischem Augenzwinkern hatte der Vormann das Mienenspiel des Indianers beobachtet. »He, Rothaut, das schmeckt?«
»Feuerwasser gut – immer gut!« nickte der Pottawatamie lakonisch.
»Vorwärts!« mahnte, nach dem Sonnenstand deutend, der Trapper.
» Go ahead!« sagte, die Flasche in der Satteltasche bergend, der Vormann und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
Mittlerweile war die Dämmerung mehr und mehr hereingebrochen; während nur noch die höchsten Baumwipfel im erbleichenden Abendrot leuchteten, senkten sich tiefe Schlagschatten auf die Niederung hin: wallende Nebelschleier, unter denen Büsche, Menschen und Tiere zu einer grauen Masse verschwammen. Schweigend folgte die Karawane ihrem Wegweiser, der sich in jenem Gangmaß bewegte, wie es den Waldläufern des amerikanischen Westens eigen ist. – – – – In finsteres Brüten verloren, zügelte der Trader Handelsmann oder hier wohl bezeichnender: Wanderkrämer., dem der Jäger den Namen » Gerhard« entgegengerufen hatte, sein Pferd durch die dämmernde Wildnis. Während sein Leib sich mechanisch im Sattel wiegte, war sein Geist weit, weit weg: der war auf den luftigen Zauberschwingen der Erinnerung über Berg und Meer geflogen in ein stilles, grünes Tal des südlichen Deutschlands. Und er gedachte einer Nacht, gerade wie die, welche jetzt ihre Schatten auf die Erde auszustreuen begann. Er hatte damals hinter einer mächtigen Tanne gestanden, deren Geäste sich bis auf den Boden herabsenkte. Ringsum gespenstige Stille – nur manchmal regte sich in den Hecken ein träumender Vogel oder strich ein scheues Reh durch das Dickicht. Ringsum Ruhe und Gottesfrieden – – aber dort in der Menschenbrust, die sich zuckend an den Tannenstamm drückte, Sturm und wilder Aufruhr! Der Mond, der durch die grünen Tannennadeln brach, beschien ein dämonisch verzerrtes Mannesantlitz und einen funkelnden Flintenlauf. Horch! mit einem Mal nahten auf dem Waldweg leichte elastische Schritte – – rasch duckte sich der düstere Träumer nieder, wie ein Tiger, der zum mörderischen Sprunge ausholt. Näher und näher kamen die Schritte: den schwarzen Baumschatten entstieg eine Gestalt in der Uniform eines Forstmannes. Ahnungslos trat er in den vollen Mondschein heraus – – da blitzt es seitwärts mit einem Mal auf! Ein Feuerstrahl flammt zwischen den Tannen hervor und donnernd kracht ein Schuß durch die Nacht … Nur um wenige Finger breit war die Kugel des meuchlerischen Schützen fehlgeschlagen, denn wirbelnd flog die grüne Mütze vom Kopfe des Försters. Schon aber stürzte mit hochgeschwungener Flinte der Wegelagerer aus seinem Hinterhalt hervor und ehe der halbbetäubte Forstmann Zeit fand, sich zur Wehr zu setzen, sauste der wuchtige Kolbenstreich auf ihn herab. Seinem Schädel hatte der tödliche Schlag gegolten: nur eine flinke Wendung lenkte den Kolben von seinem eigentlichen Ziele ab und ließ ihn auf die Schulter niederklatschen. Stöhnend knickte der Förster zusammen, aber schon im nächsten Moment suchte er sich wieder aufzuraffen und dem Feinde das Gewehr zu entringen. Da riß der Mordgeselle in blinder Raserei sein Messer aus der Tasche – – unter der scharfen Klinge zischte ein Blutstrom empor und lautlos sank der Förster rücklings in das Gras.
Mit einem heisern Schrei, einem teuflischen Lachen vergleichbar, schwirrte ein Nachtvogel über die Blutstätte hin … »Mörder!« schrillte es in das Ohr des zusammenbebenden Verbrechers, wie der Klang eines Armsünderglöckleins. »Mörder!« rauschte es aus den Kronen der Tannen. Das blutige Messer weit wegschleudernd, floh er durch den Wald, als sause eine wilde Geisterjagd hinter ihm drein. »Mörder! Mörder!« läutete das Glöcklein, als er atemlos den Zaun eines Gartens überstieg und scheu wie ein Dieb in ein stattliches Bauernhaus schlich. Mit zuckenden Händen raffte er ein Bündel Kleider und einiges Geld zusammen, dann verließ er auf dem gleichen Wege das Haus und hastete die stille Dorfgasse hinab. Fast am Ende stand ein bescheidenes Häuschen; hier hemmte er seine flüchtigen Schritte und schaute zu einem Fensterlein empor, dessen Scheiben hinter Levkojen und Balsaminen schier verschwanden. Trotz der späten Nachtstunde war es noch erleuchtet: ein Schatten bewegte sich an der niedern Decke des Stübchens geschäftig hin und her. Die Hände auf die keuchende Brust gedrückt, starrte der Flüchtling mit glühenden Augen zu dem Fenster hinauf. Schritte und Stimmen, die des Weges kamen, scheuchten den düstern Träumer in die grausige Wirklichkeit zurück. »Mörder! Mörder!« schauerte es wie ein Geisterruf durch seine Seele. Mit der Hand, die noch vom Blute seines Widersachers gerötet war, winkte er einen stummen Gruß zu dem kleinen Fenster hinauf, hinter dessen Scheiben im selben Moment das Licht erlosch. Näher und näher kamen die Schritte und Stimmen: sein Bündel aufraffend, stürzte sich der Verbrecher quer über die Felder. – – – Gerhard (so hieß der Flüchtling) war der einzige Sohn wohlbegüterter Bauersleute. Durch Verziehung hatte sich aus dem eigensinnigen Knaben ein trotziger Jüngling und zuletzt ein Mann entwickelt, der seinem herrischen Willen alles unterwerfen zu müssen glaubte, der keine Mittel scheute, um seine wilden Leidenschaften zu befriedigen und schließlich, von jedem gefürchtet und gemieden, nur noch von seiner schwachen Mutter geliebt wurde, obgleich er ihre Zärtlichkeit mit ebenso finsterer Herzlosigkeit vergalt. War ja hier der Apfel nicht weit vom Stamme gefallen, denn schon Gerhards Vater genoß den Ruf eines zuchtlosen, streitsüchtigen Mannes, dem man am liebsten aus dem Wege ging. Der Alte hatte lange mit dem Fiskus in einem hitzigen Prozesse gelegen wegen eines Streifens Land, von dem er behauptete, derselbe gehöre zu seiner Feldmark, während andererseits die Forstverwaltung die gleichen Ansprüche erhob. Nach erbittertem Hin- und Herplädieren ward zuletzt in höchster Instanz die Streitfrage zugunsten der Behörde entschieden und Gerhards Vater zum Verlust der betreffenden Grundparzelle, gleichzeitig auch zu den bedeutenden Gerichtskosten verurteilt. Ein furchtbarer Ausbruch von Wut zersprengte ein Blutgefäß in der Brust des Bauern und wenige Tage nach dem Austrag des Prozesses ward er schon begraben.
Das Forstamt aber bestellte den so heiß erstrittenen Grund und Boden mit Tannensamen. Die junge Saat war bereits lustig emporgeschossen, als der Schlaghüter sie eines Morgens von ruchloser Hand teils geknickt, teils entwurzelt fand. Der allgemeine Verdacht richtete sich freilich sofort auf Gerhard – doch die strafrechtlichen Beweise mangelten und das Forstamt konnte nichts weiter tun, als die Kultur von neuem zu bestellen.
Aber in einer Nacht kam wiederum der Feind und seiner erbarmungslosen Zerstörungslust entging jetzt ebensowenig eines der unschuldigen Gewächse. Diesmal war jedoch das Forstamt gesonnen, den Frevler nicht so leichten Kaufes loszulassen: Gerhard ward in Untersuchung gezogen, es ergaben sich auch mancherlei Indizien, die auf seine Spur führten, aber die Justiz hatte es hier mit einem ebenso dreisten als schlauen Gegner zu tun und das Resultat war, daß die Untersuchung als erfolglos niedergeschlagen werden mußte. Zum zweiten Male besserte das Forstamt den erlittenen Schaden aus und eine Weile mochte es scheinen, als habe der Übeltäter seiner Rachsucht Genüge getan, denn ungestört grünte die Saat empor. Der Waffenstillstand war aber nur ein trügerischer gewesen: eines Morgens gab die verwüstete Kultur abermals stumme Kunde von der unersättlichen Bosheit ihres Todfeindes. Von Mund zu Mund ging wiederum der Richtspruch, daß Gerhard und nur er der Frevler gewesen sei; die ergrimmte Forstbehörde leitete eine neue Untersuchung wider ihn ein – doch ebenso wenig wie das erstemal gelang es, den bezichtigten Inquisiten gesetzkräftig seiner Schuld zu überführen. Es war, als wache der Geist seines Vaters als finsterer Schutzengel über ihm, um noch jenseits des Grabes im Genuß einer schadenfrohen Rache zu schwelgen! – – Es läßt sich begreifen, daß die Forstbehörde nicht minder nach Genugtuung lechzte. Das betreffende Revieramt wurde um einen weitern Gehilfen verstärkt. Dem jungen Forstmann – Robert hieß er – war dieser kritische Posten mit gutem Bedacht zugewiesen worden, denn bereits auf seiner bisherigen Station hatte er im Kampfe gegen die Wilderer einen ungewöhnlichen Mut und Scharfsinn an den Tag gelegt. Und auch hier gelang ihm, was keinem seiner Amtsgenossen bis jetzt geglückt war: durch seine unermüdliche Wachsamkeit überraschte er endlich mitten in der Zerstörungsarbeit den – oder wie es sich jetzt zeigte, die so lange straflos gebliebenen Unholde: Gerhard und einen seiner Knechte. Der Bursche konnte noch rechtzeitig in den angrenzenden Wald entspringen und sich dadurch zunächst seiner Verhaftung entziehen; Gerhard wollte auf sein Gewehr losstürzen, das er für alle Fälle schußfertig an einen Baum gelehnt hatte: doch ein donnernder Haltruf und das Knacken eines Flintenhahnes bannten ihn auf dem Platze fest, wutknirschend mußte er sich ergeben und unter der Eskorte seines Bezwingers den Weg nach dem Forsthause antreten. Der Schädiger ward zu einer schweren Geldbuße verurteilt; dazu sollte sich noch eine nicht minder empfindliche Leibeshaft gesellen, doch in Anbetracht, daß die kränkliche Mutter des Sträflings zur Bewirtschaftung des ausgedehnten Bauerngutes einer vertrauten Stütze bedurfte, ließ das Gericht Gnade vor Recht ergehen und reduzierte die Sühne auf drei Monate Gefängnis. Bei Eröffnung des Urteilsspruches blieb Gerhards Mund stumm – nur aus seinen Augen flammte ein unheimlicher Blitz nach dem jungen, pflichtgetreuen Forstmann hin, den die Nemesis zu ihrem Sachwalter erkoren hatte …
Im Herbst feierte das Dorf seine Kirchweihe.
Gerhard, der kurz zuvor aus seiner Haft entlassen worden war, ging zur Tanzmusik. Er wollte zeigen, daß er nach wie vor der stolze Herr von Haus und Hof sei und daß seine Mittel ihm erlaubten, der öffentlichen Meinung Trotz zu bieten. Ohne das Geflüster und spöttische Lächeln der anwesenden Gäste scheinbar zu beachten, wandte er sich an Eva, die Tochter des verstorbenen Schulmeisters, der ihn vormals in die Geheimnisse des ABC eingeweiht hatte. Schon seit längerer Zeit waren die schöne Gestalt und die sittige Art des Mädchens für Gerhard ein Gegenstand heimlichen Wohlgefallens gewesen; er liebte die anmutige Jungfrau mit all der Macht seiner wilden, leidenschaftlichen Natur – doch jeder Zeit hatte sie seine Huldigungen sanft, aber entschieden zurückgewiesen. Es war, wie wenn ein scheues Reh die Annäherung des Wolfes flieht.
Doppelt peinlich berührte es sie jetzt, als Gerhard vor sie hintrat, um sie zum Tanze aufzufordern; am liebsten hätte sie seine Anfrage kurzweg verneint, aber gerade vor so vielen schadenfrohen Augenzeugen wollte sie ihm nicht weh tun und so reichte sie dem unerbetenen Tänzer die Hand. Er fühlte das innere Widerstreben, womit sie ihm folgte und all sein Trotz vermochte nicht ihn zu wappnen gegen das unterdrückte Gekicher der übrigen Paare. Mit dem letzten Aufgebot seines Stolzes geleitete er nach beendigtem Tanze Eva an ihren Platz zurück, er selber setzte sich ins Nebenzimmer und stürzte in düsterm Brüten einen Schoppen Wein um den andern hinunter. Noch eine viel herbere Demütigung aber war ihm Vorbehalten. Gegen Abend betrat mit einemmal Robert das Lokal und schon das strahlende Lächeln, womit Eva den schmucken Forstmann begrüßte, war für Gerhard der niederschmetternde Beweis, daß hier Neigung und Erwiderung sich zusammengefunden hatten. Gleich darauf sah er das gegen ihn so spröde Mädchen in dem Armen des verhaßten Grünrockes selig durch den Saal wirbeln. Die Hölle mit all ihren Flammen verzehrte Gerhards Herz.
Dort der triumphierende Sieger hatte ihm die Schmach des Gefängnisses erwirkt – – sollte er jetzt auch auf anderm Kampfplatze die Partie gewinnen? … »Vergeltung!« schrie es in seiner gestachelten Seele auf. »Die Rache ist dein!« klang's zurück wie ein dämonisches Echo.
Das blutige Nachtbild im Walde ist bereits an unsern Augen vorübergezogen.
Holzhauer fanden am folgenden Morgen den gemeuchelten Forstmann in das Gras hingestreckt. Der Messerstich, der seinem Herzen gegolten hatte, war durch eine glückliche Fügung an dem Riemen der Jagdtasche abgeglitten und somit in seiner mörderischen Wirkung abgeschwächt worden. Ein zweiter Messerstoß des blindwütigen Angreifers hatte die ganze linke Wange Roberts aufgeschlitzt. Aber die kräftige Natur des jungen Forstmannes siegte; Evas Liebe tat das übrige und er genas. Nur die Stichnarbe auf seiner Wange blieb ihm als unverwischbarer Denkzettel zurück. Gerhard war seit jener Nacht spurlos verschwunden: der Gruß, den wir ihn zu dem blumenumrankten Fenster hinaufwinken sahen, war ein stummes Lebewohl an Eva gewesen. – – –
Die Zeit ging ihren ewigen Gang weiter.
Bald nach seiner Genesung hatte sich Robert mit dem Mädchen verlobt; die Heirat sollte stattfinden, sowie das Dienstavancement dem Pärchen eine angemessene Existenz bot. Doch es kam anders.
Eines Tages erhielt Robert durch einen Freund ein Zeitungsblatt zugeschickt, in dessen Inseratenteil der Absender mit Rotstift eine Annonce angestrichen hatte. Dieselbe trug die Überschrift: »Für Forstleute!« Der Inhalt des Inserates war folgender: Ein seit Jahren in Amerika ansässiger deutscher Spekulant hatte im westlichen Arkansas einen meilenweiten Urwald-Komplex erworben, der jetzt abgeholzt werden sollte. Statt aber nach üblichem Brauch den Bestand kurzweg zusammenschlagen zu lassen, gedachte der profitsüchtige Besitzer nach den Regeln einer rationellern Wirtschaftslehre zu verfahren und die brutale Axt unter das Kommando eines fachkundigen Leiters zu stellen. Der Mann war von Geburt ein Angehöriger des gleichen deutschen Staates, dem Robert diente und damit mochte es wohl auch zusammenhängen, daß der Aufruf sich ausschließlich an die vaterländische Forstbeamtenschaft richtete. Die Direktorstelle, die der Waldbesitzer zur Konkurrenz ausschrieb, war mit einem nach deutschen Begriffen brillanten Gehalt verbunden, außerdem noch ein erklecklicher Tantiemengewinn und freie Überfahrt zugesichert. Die Annonce schloß mit dem Bemerken, daß das Bankhaus K. & Co. in der Landesresidenz gern bereit sei, über die Persönlichkeit und Vertrauenswürdigkeit des Inserenten die nötige Auskunft zu erteilen, überhaupt jede weitere Anfrage zu beantworten; zugleich habe die betreffende Firma die Bevollmächtigung, einen eventuellen Vertrag abzuschließen und ergehe deshalb an die etwaigen Bewerber das Ersuchen, sich mit ihren Qualifikationsattesten persönlich dem Chef des bezeichneten Bankhauses vorzustellen.
Wie ein elektrischer Funken durchzuckte dieses Inserat den jungen Forstmann: war es ja ein lockender Appell an seine Tatkraft und zugleich an seine stete Sehnsucht, die Welt kennen zu lernen!
Ohne zunächst Eva unnützerweise zu beunruhigen, erwirkte er sich für ein paar Tage Urlaub und fuhr nach der Residenz. Schon Roberts Vater hatte der grünen Farbe gedient; ein Freund und ein einstiger Studiengenosse des Verstorbenen bekleidete im Forstkollegium eine hohe Stelle. Robert suchte den alten Herrn auf und trug ihm sein Anliegen vor. Wie sich leicht denken läßt, erblickte der nüchterne Bureaukrat in dem absonderlichen Vorhaben eine romantische Grille, die er mit den ernstesten Worten dem jungen Mann aus dem Kopf zu treiben suchte, wenn er auch andererseits willig einräumte, daß die Aspekten, die zurzeit der Staat einem strebsamen jungen Forstmann biete, durchaus keine glänzenden seien. Die weiteren Erörterungen endeten damit, daß der alte Herr zu seinem Gaste sagte: »Nun, des Menschen Wille ist sein Himmelreich und wenn der amerikanische Urwald es Ihnen angetan hat, so folgen Sie in Gottes Namen seinem Ruf! Ich werde Sie aber wenigstens zu dem Bankier begleiten, um, so weit hier mein Verständnis reicht, die Solidität der Offerte zu prüfen.«
Mit freudigem Dank akzeptierte Robert den Beistand des väterlichen Freundes. Der Bankier empfing die beiden Herren äußerst zuvorkommend und setzte in ausführlichster Weise die leitenden Gesichtspunkte des Unternehmens auseinander, das dem gesuchten Dirigenten mindestens auf fünf bis sechs Jahre Beschäftigung biete. »Was die individuelle Respektabilität des Unternehmens anbelangt,« bemerkte der Bankier, so bin ich bereit, dafür die vollste Bürgschaft zu leisten, denn ich kenne den Herrn persönlich und stehe schon seit Jahren mit ihm in Geschäftsverbindung … Es haben sich mir schon einige Bewerber vorgestellt,« setzte er hinzu: »nichtsdestoweniger,« er verneigte sich artig gegen Roberts Begleiter hin, »genügt mir die bloße Befürwortung aus so kompetentem Munde, um sofort den Vertrag abzuschließen.«
»Nun, wie steht's, Herr Urwäldler?« wandte sich halb wehmütig, halb scherzend der Ministerialrat an seinen europamüden Schützling.
»Ich bin bereit, den Kontrakt zu unterzeichnen,« antwortete Robert und eine freudige Erregung rötete sein männliches, durch Wind und Wetter gebräuntes Angesicht. Er hätte in diesem Moment die ganze Welt umarmen und nach allen Himmelsgegenden hin sein Glück verkünden mögen!
Der Ministerialrat übernahm es, Roberts Dienstentlassung in kürzester Zeit zu erwirken und damit waren die entscheidenden Würfel gefallen … Noch am gleichen Tage dampfte der »neue Lederstrumpf« – wie der launige Rat ihn bezeichnete – nach seiner Station zurück, welcher er in Bälde ein so unverhofftes Valet sagen sollte.
Man kann sich ein Bild davon machen, welchen Eindruck das verblüffende Resultat seiner Reise auf die ahnungslose Eva hervorrief; zum herzbrechenden Schmerz aber steigerte sich ihr Schrecken, als sie hörte, daß der Geliebte die Fahrt allein antreten und zunächst eine Häuslichkeit gründen werde, in die ihm dann die Braut nachfolgen sollte. Fast hätte er dem ergreifenden Flehen des Mädchens nachgegeben – – aber gerade die zärtliche Sorge um Evas Wohl ließ ihn bei seinem Entschluß verharren und verlieh ihm die Kraft, sich von der gramgebeugten Braut loszureißen.
Nach wenigen wehmutsvollen Wochen kam der Tag der Abreise und des Scheidens: seine Liebe und seine Hoffnung im Herzen, steuerte Robert der neuen Welt und dem erträumten Eldorado entgegen. Der Hafen, in welchem er landen sollte, war New-Orleans. Herr Kirchner – so hieß der Waldeigentümer – hatte hier seinen Wohnsitz. Roberts Instruktion lautete dahin, sich gleich nach seiner Ankunft bei seinem neuen Chef zu melden, worauf beide sich nach Arkansas begeben wollten, um an Ort und Stelle die nächsten Maßnahmen zu vereinbaren … Nach einer ereignislosen Meerfahrt erreichte das Schiff, das unsern Helden trug, die Mündung des Mississippi und ein Dampfer schleppte es vollends den Riesenstrom herauf. In einem von einem Deutschen geführten Gasthaus, der »Levee« – dem Hafendamm – gerade gegenüber, nahm Robert sein Absteigequartier. Nachmittags war er gelandet; am folgenden Morgen wollte er sich Herrn Kirchner vorstellen. Unten im Speisesaal lag bei noch andern Zeitungen auch ein in deutscher Sprache redigiertes Lokalblatt. In begreiflicher Neugierde nahm er die Nummer zur Hand, um zu ersehen, was alles sich, während er zwischen Himmel und Wasser geschwebt hatte, diesseits und jenseits des Ozeans ereignet habe. Mit einemmal zuckte er unwillkürlich zusammen, denn an der Spitze der Tages-Chronik las er das Schreckenswort: »Das gelbe Fieber.« Unter Hinweis auf die amtlich festgestellten Todesfälle konstatierte der Artikel, daß » Yellow Jack« Der »gelbe Jakob«. Mit diesem Titel bezeichnet der amerikanische Humor gemeinhin dieses Schreckgespenst des Südens, diese furchtbare Gottesgeißel der südlichen Unionsstaaten, auch wieder einmal in New-Orleans seine Visitenkarte abgegeben habe; zwar sei sein Auftreten bis jetzt noch ein verhältnismäßig gelindes, dennoch aber ergebe sich aus den vorliegenden Ziffern eine stete Zunahme der Erkrankungsfälle. »Wie immer« – so schloß der Artikel – »rekrutiert der alte Mörder auch diesmal seine Todesopfer mit Vorliebe unter den frisch eingewanderten Europäern und Eingeborenen der nördlichen Freistaaten.« – – Der Eindruck, den dieser Artikel mit seiner lakonischen Schlußglosse bei Robert hervorrief, läßt sich leicht genug begreifen, galten ja seine Todesbetrachtungen ungleich mehr der in Deutschland auf Kunde harrenden Braut, als seiner eigenen Person! Verstimmt zog er sich in sein Zimmer zurück, um in einem langen Briefe an Eva seinen Trübsinn zu verscheuchen. – – – Am folgenden Morgen begab er sich auf den Weg, um Herrn Kirchner seine Aufwartung zu machen. Gleich in den nächsten Straßen, in welche die Droschke einbog, konnte sich Robert davon überzeugen, daß es mit dem Zeitungsartikel seine Richtigkeit hatte: der Menschenverkehr verriet eine sichtliche Unruhe und Verstörung, vor vielen Häusern hielten Fuhrwerke, die eilfertig mit Koffern und sonstigem Gepäck beladen wurden, weiterhin tauchten, nur von ein paar halbbetrunkenen Negern geleitet, schmucklose Leichenwagen auf, denen das Publikum scheu auswich. In einer seelischen Aufregung, die jeder gewaltsamen Bemeisterung spottete, erreichte Robert die Wohnung seines zukünftigen Chefs. Das im elegantesten Villenstil aufgeführte, von reizenden Gartenanlagen umgrünte Bauwerk kündete auf den ersten Blick, daß hier ein Krösus seinen opulenten Haushalt führe. An allen Fenstern waren die Jalousien herabgelassen – auch sonst zeigte sich in der nächsten Umgebung des Hauses kein geschäftliches Regen und Bewegen. Das dominierende Gefühl, endlich an Ort und Stelle zu sein, ließ aber in Robert keine weiteren Reflexionen aufkommen und in gehobener Stimmung schritt er dem gleichfalls verschlossenen Tore entgegen. Unter dem Druck seiner Hand ertönte in vibrierendem Klang eine Glocke. Erst nach einer Weile öffnete sich die Pforte und in dem Spalt zeigte sich, tief in Schwarz gekleidet, die Gestalt eines älteren Mannes, der in seinen Gesichtszügen den unverkennbaren Stempel seiner deutschen Abstammung trug. Mit der dunkeln Kleidung harmonierte der trübe Schatten, der auf dem Antlitz des Alten lag. Auch er hatte seinerseits in dem Ankömmling sofort den Landsmann entdeckt und so fragte er in deutscher Sprache nach dessen Begehr.
Mit kurzen Worten gab Robert die nötige Erklärung, beifügend, ob Herr Kirchner wohl zu sprechen sei. Ein wehmütiges Lächeln zuckte für einen Moment über das Gesicht des Pförtners hin. »Hier nicht mehr!« antwortete er: »vorgestern ist Herr Kirchner am gelben Fieber gestorben und noch am gleichen Tage beerdigt worden« …
Wie ein Donnerschlag dröhnte diese verhängnisvolle Kunde in Roberts Ohr! Er hatte das Gefühl, als klirre sein ganzes Lebensglück in Scherben vor seine Füße nieder … »Gestorben!« murmelte er wie in einem Traum vor sich hin und seine Hand, unbewußt einen Halt suchend, griff nach dem Torpfeiler. »Der jähe Todesfall wird gar mancherlei Veränderungen nach sich ziehen,« seufzte, das Schweigen brechend, der alte Pförtner.
»Was soll ich anfangen, fremd und mittellos, wie ich es bin?!« frug Robert zurück und strich sich über die heiße Stirn.
Der Alte wollte wohl mit einer trostsamen Redensart antworten – im selben Moment aber deutete er nach der Straße hin, auf welcher ein leichtes, mit einem flotten Ohio-Traber bespanntes Cab heranrollte.
»Da kommt Herr Wittig!« erklärte er: »er war der Geschäftsführer unseres seligen Herrn und kann Ihnen also die beste Auskunft über Ihre Angelegenheit erteilen.« Dienstfertig stieß der Alte das Tor auf und pflanzte sich daneben als alter Soldat in strammer Haltung auf.
Die Schützenjoppe und der weidmännisch geschmückte Hut Roberts hatten offenbar in Herrn Wittig sofort eine Ahnung aufdämmern lassen, denn kaum dem Gefährt entstiegen, erwiderte er den Gruß des jungen Forstmannes mit der Frage: »Sie sind wohl der Herr, den uns das Bankhaus K. & Co. avisiert hat?« Robert machte eine bejahende Verbeugung. »Bitte, verehrter Herr, treten Sie gefälligst näher!« Mit diesen im Ton abgezirkelter Höflichkeit gesprochenen Worten lud der Geschäftsführer den jungen Mann ein, ihm in das Empfangszimmer zu folgen. Hier angelangt, überreichte Robert zunächst seine Beglaubigungsschreiben. Flüchtig prüfte der Prokurist dieselben, dann räusperte er sich in sichtlicher Verlegenheit.
»Mein Herr,« unterbrach er das unerquickliche Schweigen, »Sie werden wohl schon erfahren haben, welch herber Verlust uns getroffen hat?« Ohne eine Entgegnung abzuwarten, sprach er weiter: »Wie Sie leicht ermessen können, hat dieser ganz und gar unvorhergesehene Todesfall nicht nur für die Familie des Verstorbenen, sondern zugleich auch für seine geschäftlichen Unternehmungen und Projekte eine Situation hervorgerufen, die auf wesentlich veränderten Faktoren basiert.« … Wie dann der Prokurist seinem deprimierten Zuhörer kurz auseinandersetzte, lagen die Dinge folgendermaßen: Kirchner war zweimal verheiratet gewesen und aus beiden Ehen existierten Kinder, die teilweise noch im minderjährigen Alter standen. Daraus resultierte zunächst die gesetzliche Regulierung der verschiedenen Erbschaftsansprüche: der Zeitpunkt, bis wann diese weitschichtige Abwickelung beendigt sein konnte, entzog sich begreiflicherweise jeder nähern Schätzung – erst dann aber konnte die Frage zur Erörterung gelangen, ob der Erbe des Waldkomplexes überhaupt noch gesonnen sei, die Ausbeutung des Holzbestandes im Sinn und Vorhaben des Verstorbenen zu bewerkstelligen. Mit einem Wort: die Perspektive, die sich dem jungen Forstmann eröffnete, verlor sich in nebelgrauer Ferne … In einer Art von dumpfem Traumwachen war Robert den trockenen Explikationen des Prokuristen gefolgt. Was sollte er tun? In dem Vertrag, den er abgeschlossen hatte, war die Möglichkeit des jetzt eingetretenen Sterbefalles gar nicht in Betracht gezogen – also auch kein dieser Eventualität Rechnung tragender Paragraph vereinbart worden. Ohne Jurist zu sein, begriff Robert, daß jeder Entschädigungsanspruch rein der Noblesse und dem guten Willen der Kirchnerschen Erben anheimgegeben sei. Der Prokurist schien den Gedankengang des so herb geprüften jungen Mannes zu erraten, denn er sagte: »Ihre Lage, werter Herr, erweckt mein innigstes Mitgefühl, und dennoch bin ich absolut außer stande, mehr für Sie tun zu können, als Ihr unverschuldetes Mißgeschick der billigen Rücksichtsnahme des Erb-Konsortiums zu empfehlen. Ich will heute noch die Angelegenheit zu bereinigen suchen, damit Sie wenigstens so rasch wie möglich mit heiler Haut aus New-Orleans wegkommen, bevor vielleicht auch Ihnen, als unakklimatisiertem Neuling, die gelbe Bestie an die Gurgel fährt« …
Noch am gleichen Tage empfing Robert ein Abfindungsgeld von fünfhundert Dollars – zugleich den magern Kanzleitrost, daß möglicherweise das von dem Verstorbenen projektierte Abholzungssystem doch noch zur Ausführung gelangen könne; wolle unter den vorliegenden Umständen Robert überhaupt in Amerika verbleiben und die eventuelle Entscheidung abwarten, so dürfte er des fraglichen Postens versichert sein.
Es war gewiß eine mehr als klägliche Entschädigung für eine hingeopferte Lebensstellung – – und trotzdem durfte Robert in seiner momentanen Lage für das knappe Almosen dankbar sein, denn es ermöglichte ihm wenigstens die Flucht aus dieser grausigen Todeshöhle und die Subsidenz für die nächste Zeit. Noch in derselben Nacht schüttelte er den Staub der unheimlichen, für ihn so verhängnisvollen Crescent-City Die »Halbmondstadt«. So bezeichnen die Amerikaner New Orleans, weil es sich in einem weiten Bogen am Ufer des Mississippi hinstreckt. von seinen Füßen. Ein Dampfer, vollgepfropft mit noch andern Flüchtlingen, trug ihn stromaufwärts.
Unentschieden, was er eigentlich beginnen wolle, zunächst nur dem Selbsterhaltungstrieb gehorchend, war Robert an Bord gestiegen.
Ein eigener Zufall sollte bestimmend in sein Geschick eingreifen.
Statt in der dunstigen Kajüte zu weilen, hatte er es vorgezogen, die Nacht an Deck zu verbringen. Morgens bei Sonnenaufgang lehnte er eben, tief in seine Gedanken verloren, an der Brüstung des Schiffes, als sich ihm mit einem Mal eine Hand auf die Schulter legte. Rasch blickte er sich um: vor ihm stand eine abenteuerliche, verwetterte Figur – auch ohne das kennzeichnende Jagdzeug und die zwei magern Hunde, die er an der Leine führte, das charakteristische Bild des amerikanischen Waldläufers.
»Freund, du bist doch wohl ein Deutscher?« redete ohne jedes weitere Zeremoniell der Weidgeselle den schwermütigen Träumer an.
Robert, wenn auch einigermaßen durch diese formlose Annäherung unangenehm berührt, bejahte die in deutscher Sprache gestellte Frage.
»Ich hab' dich schon eine Weile aufs Korn genommen, Landsmann!« erklärte der Hinterwäldler: »Du scheinst mir ein frisch herübergekommenes Grünhorn Die populäre Bezeichnung für einen frischgelandeten Einwanderer. zu sein und an Heimweh oder sonst einem Herzeleid zu laborieren; wenn ich dir irgendwie mit Rat oder Tat, soweit meine Kräfte reichen, helfen kann, so soll es gern geschehen, denn ich hab' noch nicht vergessen, wie ich selber einmal froh gewesen wäre, wenn mir in meinem Elend ein ehrlicher Kerl ein Trostwort gegeben hätte!«
Die warme Teilnahme des rauhborstigen Alten – er mochte ein Mann von fünfzig und einigen Jahren sein – verdiente keine kühle Abweisung und ein zweiter Berührungspunkt lag in dem Umstand, daß Robert ja in dem Waldläufer einen wenn auch nicht ganz legitimen Zunftgenossen erblicken durfte. Ohne Umschweife berichtete er also sein Mißgeschick. »Das heißt allerdings Pech!« nickte der Alte lakonisch: »das meinige ist übrigens einmal nicht kleiner gewesen.« Der mit englischen Brocken verquickte Dialekt, den er sprach, hatte sofort den Sachsen verraten. Wie er jetzt seinerseits erzählte, war er ehedem beim sächsischen Schützen-Regiment Sergeant gewesen. Das »tolle« Jahr 48 sollte für ihn wie für so viele andere noch, zu einem verhängnisvollen Wendepunkt werden. Der revolutionäre Geist spukte damals auch in den Kasernen und unser Zischwitz – so hieß der Sergeant – ließ sich von bürgerlichen Bekannten dazu animieren, den Versammlungen eines demokratischen Klubs wiederholt beizuwohnen. Als »Volkssoldat, der nicht auf seine Brüder schießen will«, ward er weidlich mit Zigarren, Bier und Kalbsbraten traktiert und so bedurfte es nur noch der Brandreden, die von der Tribüne her in sein Ohr donnerten, um ihn vollends herumzukriegen. Kurz gesagt: eines schönen Tages desertierte der Sergeant und trat in den Dienst der Insurrektion. In den blutigen Maitagen 1849 kommandierte er zu Dresden, einen riesigen Kalabreser auf dem Kopfe, die Verteidigungsmannschaft einer Barrikade. Ein eigener Zufall fügte es, daß gerade das Regiment, dem er fahnenflüchtig geworden war, zum Sturm auf die Barrikade vorging. Schon im voraus konnte er sich also den Empfang ausmalen, wenn er lebend in die Hände seiner vormaligen Waffenbrüder fiel. Die aus Sandsäcken, Pflastersteinen und Trottoirplatten erbaute, bis zum ersten Stockwerk der angrenzenden Häuser reichende Barrikade bildete eine regelrechte Schanze mit schrägen Böschungen und Brustwehren; die Rebellen, die sehr wohl wußten, daß sie keine Gnade zu erwarten hatten, waren entschlossen, den höchsten Preis für ihre Haut zu fordern und unter ihren mörderischen Salven mußte die stürmende Truppe mehrmals zurückweichen. Auf die Spitze ihres Bollwerkes hatten die Insurgenten eine schwarz-rot-goldene Fahne gepflanzt; eine feindliche Kugel zersplitterte die Stange und unter dem schadenfrohen Hallo der Soldaten knickte das meuterische Banner zusammen. Der Exsergeant wollte ihnen zeigen, daß ihr Jubel allzu voreilig sei: flink erkletterte er den Gipfel der Barrikade, raffte die zertrümmerte Fahne auf und verband mit ein paar ihm dargereichten Taschentüchern die Bruchteile – – dann trat er frei bis an die Böschung vor, schwenkte die zusammengeflickte Standarte und pflanzte sie von neuem auf. Seinen Kalabreser lüftend, grüßte er spöttisch zu seinen ehemaligen Kameraden hinüber und zog sich dann wieder ebenso kaltblütig zurück, wunderbarer Weise von keiner einzigen der Kugeln getroffen, die links und rechts an ihm vorbeipfiffen. Verschiedene seiner früheren Regimentsgenossen hatten den treubrüchigen Sergeanten erkannt und sein eigener Hauptmann rief ihm zu: »Zischwitz, das hast du gut gemacht! Wenn ich dich aber kriege, laß ich dich an der nächsten Laterne aufknüpfen!« Nochmals ging die ergrimmte Truppe vor und wiederum mußte sie unter dem verheerenden Bleihagel des gedeckten Feindes retirieren. Mit einemmal verstummte das triumphierende Hurra der Insurgenten: in sausendem Galopp rasselten zwei Geschütze heran, um mit ihrem Brummbaß zu sekundieren. Die Situation sollte sich aber noch kritischer zuspitzen, denn fast im gleichen Moment näherte sich im Rücken der Freischar dumpfer Trommelschlag und knatterndes Gewehrfeuer. Kein Zweifel – das Militär hatte sich dort Bahn gebrochen und avancierte tambour battant, um die eingekeilte Barrikadenbesatzung zwischen Tür und Angel zu pressen. Und schon donnerten auch auf der andern Seite die beiden Geschütze ihren eisernen Gruß herüber, daß die Splitter und Fetzen in der Luft umherflogen. In wilder Flucht stob der Haufen auseinander, nur noch von dem einzigen Gedanken beseelt, sich aus der zermalmenden Umklammerung zu retten, bevor es zu spät war …
Vergebens warf sich der Sergeant den Flüchtlingen entgegen, um sie zum Halt zu bringen: Hals über Kopf stürzten sie in die nächsten Häuser, um hier ein Versteck oder einen glücklichen Ausweg zu suchen. Und während drüben die Schützenhörner gellend zum letzten Ansturm auf die wankende Verschanzung riefen, dröhnte jenseits der Trommelschlag immer näher und näher heran. Keine Sekunde mehr durfte der allein zurückgebliebene Sergeant zaudern, wenn er nicht geradezu wie ein Opferstier den Todesstoß erwarten wollte. Staub und Pulverrauch verschleierten den nächsten Umkreis. Dem Beispiel der übrigen folgend, gedachte Zischwitz eben in einem der angrenzenden Häuser gleichfalls sein Heil zu suchen, als sein Blick mit einemmal einen andern und wohl auch zuverlässigerer Schlupfwinkel erspähte. Mit den zum Bau der Barrikade bestimmten Pflastersteinen war nämlich auch die Deckplatte eines Schachtes aufgerissen worden, der in den unter der Straße sich hinziehenden Abzugskanal hinabführte. Ohne langes Besinnen zwängte sich der Sergeant in den Spalt und ließ sich auf gut Glück hin in die dunkle Tiefe hinuntergleiten. Er trug ein Paar geladene Pistolen bei sich und war fest entschlossen, sich lieber eine Kugel durch den Kopf zu jagen, als lebend in die Gewalt des Feindes zu geraten. Sein Schutzgeist mochte ihm diesen Rettungsweg gezeigt haben, denn die andern Insurgenten, die ziellos in den verwinkelten Häusern umherirrten, wurden von dem eindringenden Militär fast samt und sonders niedergemacht …
Streckenweise bis an den Bauch in den Schlamm einsinkend, watete der Flüchtling durch die Kloake, die sich bald mit andern Kanälen kreuzte. Als Raucher führte er ein Streichfeuerzeug bei sich; von Zeit zu Zeit erhellte er mit einem der Zündhölzchen flüchtig die ägyptische Finsternis, die ihn umgab.
Der Kampf hatte in der sogenannten Altstadt gespielt, die mit ihren engen und krummen Gassen ja überhaupt dem ganzen Aufstand zum Theater diente. Von der Barrikade war es nicht sehr weit zur Elbe gewesen: wenn also der Sergeant einigermaßen die Richtung einhielt, so durfte er hoffen, da oder dort den Fluß zu erreichen, in welchen der Kanalzug ausmündete. Trotz der feuchten Kälte, die in dem Gewölbe herrschte, pulsierte eine Fieberglut durch seine Adern; zu wiederholten Malen hörte er über seinem Haupte den dumpfen Taktschritt marschierender Infanterie-Abteilungen, das Rollen und Hufegeklapper der hin- und herjagenden Batterien und Schwadronen und dazwischen, bald näher, bald ferner das Krachen vereinzelter Salven.
Schon eine gute Weile war der neue Theseus durch das unsaubere Labyrinth gepatscht, als plötzlich ein schwacher Dämmerschein das bisherige Dunkel lichtete. Mit frischen Kräften arbeitete er sich dem winkenden Hoffnungsstrahl entgegen; mehr und mehr nahm die Helle zu – noch ein letzter Parademarsch durch den aromatischen Brei – – dann stand er am erlösenden Ausweg: draußen, einige Fuß tief unter dem Niveau der Kanalsohle, strömte die Elbe!
Unbewußt falteten sich die Hände des vorläufig dem Tod entronnenen Mannes zum Gebet. Ein Mauervorsprung bot ihm einen Sitz dar und nun galt es, einen weitern Entschluß zu fassen …
Zähneklappernd vor Frost lauerte er auf den Einbruch der Abenddämmerung. Endlich – endlich dunkelte die Nacht herab. Schon vorher hatte er sich durch einen Umblick orientiert. Er war ein ausgezeichneter Schwimmer. Behutsam ließ er sich in den Fluß hinabgleiten und von der Strömung weitertreiben. Ein glückliches Fügen begünstigte ihn. Hart am Wasser lag der Werkplatz eines Zimmermeisters. Derselbe war bei der sogenannten Kommunalgarde Hauptmann gewesen, der Sergeant hatte der aus Gevatter Schneider und Handschuhmacher zusammengewürfelten Kompagnie die nötigsten Griffe und Schwenkungen eingepaukt und auf diese Weise die nähere Bekanntschaft des neugebackenen Gardekapitäns gemacht. Am Biertisch gerierte sich der Mann als ein arger Krakehler – doch die Weltgeschichte lehrt, daß die Herren Bürgerwehrkommandeure gewöhnlich ihren Abschied nehmen, sobald der Rummel bedenklich zu werden anfängt. Auch der da zog sich rechtzeitig zurück, bevor die Klappe zufiel. Unbeschadet seiner problematischen Heldennatur war er übrigens eine biedere Haut und darauf stützte jetzt der Flüchtling seine ganze Rechnung. Unbehelligt war er schon eine Strecke geschwommen, als ihm ein mit Pionieren bemannter Ponton in die Quere kam. Bei Annäherung des Bootes hatte er sich wohlweislich seitwärts gedrückt, irgendein Lichtreflex vom Ufer her mochte aber zum Verräter geworden sein, denn mit einemmal rief in dem Fahrzeug eine Stimme: »Hallo, dort treibt etwas!«
Schon war jedoch der Sergeant flink wie ein Otter untergetaucht und die Soldaten ruderten weiter. Ohne sonstige Anfechtungen erreichte er das Ziel seiner unerquicklichen Schwimmpartie und ebenso unbemerkt entstieg er dem Wasser. Gleich neben dem Werkplatz stand das Wohnhaus des Zimmermeisters. Sich schüttelnd wie ein begossener Pudel, holte der nächtliche Gast eine Weile Atem – dann schlich er mit aller Vorsicht dem erhofften Asyl entgegen. Und nochmals sollte dem zwischen Tod und Leben gestellten Überläufer ein gnädiger Glücksstern leuchten!
Behutsam das Haus umkreisend, erblickte er in einem erhellten Zimmer des Erdgeschosses den Retter, der ihn aus der Klemme ziehen sollte. An einem Tische saß der Exhauptmann und durchblätterte seine Geschäftsbücher. Leise klopfte der Flüchtling an das Fenster: einen Moment darauf prallte der ahnungslose Hausherr erschrocken zurück, als ihm ein leichenblasses, von Wasser triefendes Gesicht entgegenstarrte. Flüsternd gab sich der Sergeant zu erkennen und erklärte in wenigen Worten den Zweck und den Weg, der ihn hierher geführt hatte. Der erste Impuls des Bürgerwehrkapitäns a. D. war, den nichts weniger als ergötzlichen Besuch zum Teufel zu schicken; hatte er ja, angesichts seiner eigenen revolutionären Präzedentien doppelt Ursache, sich vom alten Sauerteig zu reinigen! Dann aber fiel sein Blick auf den bleichen, vor Kälte und Ermattung zitternden Mann, für den, im Fall seiner Ergreifung, aller Wahrscheinlichkeit nach die Standrechtskugel gegossen war und der jetzt mit seinen geisterhaft glühenden Augen einen raschen Bescheid forderte. Den Mann abweisen, hieß sein Schicksal besiegeln, denn die Straßen wimmelten von Soldaten und schon die Freischärlerbluse, die der Flüchtling trug, mußte ihn sofort verraten …
Noch einen Moment schwankte der Meister – dann gab sein Herz die Antwort. Mit all der Vorsicht, die der kritische Kasus erheischte, geleitete er den unerbetenen Gast ins Haus; gleich darauf lag dieser schon in einem guten Bette und trank den heißen Tee, der ihm die Erkältung aus den Knochen treiben sollte.
Schon nach ein paar Tagen stand, dank seiner zähen Konstitution, der Sergeant wieder auf den Beinen, an ein Hervorwagen aus seinem Versteck durfte er aber zunächst nicht denken, denn nicht nur auf den Bahnhöfen ward die schärfste Kontrolle geübt, sondern auch zugleich die ganze Umgegend von Militär- und Gendarmeriepatrouillen durchstreift, um die zersprengten Insurgenten abzufangen. Und jetzt entwickelte der Exhauptmann einen, wenn nicht kriegerischen, so doch menschlichen Heldenmut, denn er beherbergte, allen Konsequenzen trotzend, seinen heikeln Gast so lange, bis der erste Jagdeifer der Polizei verbraust war. Jetzt ließ sich das Weiterkommen des Flüchtlings ermöglichen. Eine gute Gelegenheit begünstigte noch das Unternehmen. Im Harz fand nämlich eine Holzversteigerung statt und der Meister, der ein ausgedehntes Geschäft betrieb, wollte der Auktion beiwohnen. Sein Bruder – der in den Plan eingeweiht war – hatte so ungefähr die Figur des Sergeanten. Mit einem auf diesen Bruder ausgestellten Paß sollte der Flüchtling den Meister begleiten. Dem der Legitimation beigefügten Signalement gemäß hatte sich der falsche Demetrius seinen Bart zurechtgestutzt und so durfte er hoffen, unangefochten die sächsische Grenze zu überschreiten. Ebenso unbehelligt passierte er die Kontrolle der preußisch-hannöverschen Bahnpolizei. Auf einer Zweigstation trennten sich die Wege der beiden Reisenden: der eine lenkte nach dem Harze ab – das Ziel des andern war Holland. Ohne seinem Schützling etwas davon mitzuteilen, hatte kurz vor der Abfahrt der Zimmermeister in einem vertrauten Kreise von Gesinnungsgenossen eine Kollekte angeregt, die, um das Rettungswerk vollends zu krönen, dem schwer gravierten Soldaten das Reisegeld nach Amerika gewähren sollte.
Mit seinem eigenen Beitrag brachte der Exhauptmann zirka zweihundert Taler zusammen, die er jetzt beim Scheiden dem freudig überraschten Zwangstouristen in die Tasche schob. Tränen erstickten die Stimme des Flüchtlings; in überquellender Rührung drückte er zum letzten Dank und Lebewohl die Hand des warmherzigen Mannes an seine Lippen …
Ohne weitere Gefährnisse betrat der Sergeant den holländischen Grund und Boden und trotz seines Passes atmete er doch erst jetzt frei auf. Zu Rotterdam fand er ein Schiff, das gerade nach New York unter Segel ging.
In der neuen Welt blühten ihm aber keine Rosen. Ein Handwerk hatte er nicht erlernt, denn schon vor der Rekrutierung war er, bisher Schreibgehilfe bei einem Notar, freiwillig unter die Soldaten gegangen. Er wollte in die amerikanische Bundesarmee eintreten – aber der Gedanke, daß er, der alte Unteroffizier, wiederum als Gemeiner anfangen und als solcher sich herumhunzen lassen solle, empörte seinen Stolz und so suchte er die leidige Magenfrage auf anderm Wege zu lösen. In den verschiedensten Hilfsstellungen fristete er mühsam sein Dasein, bis ihn eines Tages eine plötzliche Idee erleuchtete. Bei seinem Regiment war er einer der trefflichsten Schützen gewesen: was hinderte ihn, diese Geschicklichkeit jetzt praktisch zu verwerten? Die Wildbahn in ganz Amerika stand ihm offen und das Bild eines freien Jägerlebens hatte seine verlockenden Farben. Zunächst handelte es sich aber um die Ausrüstung des neuen Nimrods! Zu einem Kanalbau in der Umgegend von New York wurden just einige Hundert »Hände« gesucht; als Karrenschieber fand er Arbeit und ersparte sich in ein paar Monaten so viel, daß er sich ein einfaches Jagdgewehr und die sonstigen Requisiten anschaffen konnte. Den Schlapphut aufs Ohr gepflanzt und die Flinte über die Achsel geworfen, gab er seinem Karren einen schnöden Abschiedstritt und machte sich auf den Weg, um fortan die Wälder und die Auen als Freischütz zu durchpürschen. Was da kreucht und fleucht – kunterbunt knallte er es zusammen, sowie es ihm vor das Rohr kam: die erzielte Beute machte er in der nächsten Stadt zu Geld. Der Gewinn bedeutete allerdings nur sehr wenig – was aber die Hauptsache war: in dieser Vorschule und in der zeitweiligen Gesellschaft anderer geübter Jäger bildete er sich mehr und mehr zum – nach dortigen Begriffen und Erfordernissen – regelrechten Weid- und Waldmann aus. So rückte er immer weiter westwärts, denn dort erschloß sich ja erst die eigentliche Jagdzone.
In Gesellschaft eines kanadischen Waldläufers, der ihm auf der Grenzscheide von Ohio und Indiana in die Quere kam, erreichte der Sergeant, möge er für uns diesen Titel kurz und gut weiterführen, endlich Saint-Louis, wo die beiden Abenteurer in den Dienst eines Handelshauses traten, das durch ein über hundert Mann starkes Jägerkorps draußen in der Prärie die Büffelherden (der Häute wegen) methodisch zusammenschießen ließ. Jahrelang durchstreifte der Sergeant die endlosen Grassteppen und verwilderte nach und nach, im steten Umgange mit seinen rauhborstigen Kameraden, zum richtigen Naturburschen. Er hatte sich zu einem der gewandtesten Bisonjäger eingeschossen und das Handelshaus, dem er diente, wußte sein mörderisches Rohr gebührend zu schätzen; schließlich bekam er aber diese ewige Büffelhetze doch satt und so erklärte er dem die Expeditionen leitenden Faktor, er wolle sich Amerika mal auch »aus einem andern Fenster begucken«. Im Zickzack schlängelte er sich südwärts in die nicht minder wildreichen Grenzgebiete von Arkansas und Texas. Ein spekulativer Yankee, dem er eines Tages hier begegnete, gab der Tätigkeit des Sergeanten eine bestimmte Richtung und konzentrierte seinen Blick auf eine eigene Spezialität. Der Yankee betrieb nämlich zu New Orleans einen schwungvollen Handel mit Tieren, Vögeln und Schlangen, die er nach Europa exportierte und dort durch weitere Vermittelung an zoologische Gärten, Menagerieen und sonstige Liebhaber absetzte. Zu diesem Behuf bereiste der Biedermann von Zeit zu Zeit die von der Kultur noch unbeleckten Territorien, um sich nach geeigneten Lieferanten für seinen Tierpark umzusehen und so kam ihm bei einer solchen Schnüffeltour durch die Grenzansiedelungen auch der Sergeant in den Wurf. Der Handelsvertrag zwischen den beiden war bald abgeschlossen und damit begann für unsern Mann ein neues Kapitel. Ein halbverfallenes Blockhaus, das er sich einigermaßen wieder wohnlich herrichtete, bildete den Zentralpunkt des weiten Umkreises, in welchem er seine Fallen und Schlingen legte. Eine alte Negerin, die weiland von einer Mississippiplantage entlaufen war und sich in die Grenzansiedelungen geflüchtet hatte, repräsentierte die »Dame des Hauses« und verpflegte nebenbei die verschiedenartigen Gefangenen, die der Sergeant von der Streife heimbrachte und die er in Kästen und Käfigen so lange ansammelte, bis ein lohnender Transport beisammen war. Die Gelegenheit benützend, wenn irgend eine Gesellschaft von Grenzbauern nach einem der östlichen Stapelplätze fuhr, lud der Sergeant seine bunte Kollektion als Beifracht auf; einer der Dampfer, welche die Nebenflüsse des Mississippi befahren, brachte ihn mit seinem Getier vollends ans Ziel.
Mehrmals im Jahr – je nachdem ihm das Jagdglück lächelte – besuchte er auf diese Weise New Orleans und er hätte sich dabei ein ganz hübsches Sümmchen ersparen können; kam er aber aus seiner nüchternen Waldeinsamkeit nach der üppigen Metropole, so erging es ihm wie einem Seemann, der nach monatelanger Abstinenz den Hafen mit seinen lustigen Kneipen und leichtgeschürzten Sirenen erreicht. Eine toll verjubelte Woche verschlang so ziemlich den ganzen Erlös und mit den letzten geretteten Dollars und einem riesigen Katzenjammer verabschiedete sich der alte Knabe, um wieder zu seiner schwarzhäutigen Vogelscheuche heimzukehren, die sich inzwischen in dem öden Blockhaus mit Schlafen und Tabakrauchen die Zeit vertrieb …
Wiederum war der Sergeant mit einem ganzen Quodlibet von Waschbären, Stinktieren, Beutelratten, Vögeln und Schlangen den Mississippi herabgekommen; schon unterwegs hatte er aber die Kunde vernommen, daß zu New Orleans der »gelbe Jakob« spuke und die Leichenwagen, die ihm gleich bei seiner Landung begegneten, gaben ihm den guten Rat, für diesmal auf die obligate Jubelwoche zu verzichten. Ungesäumt versilberte er sein Viehzeug und noch am selben Abend bestieg er, um jeder Versuchung aus dem Weg zu gehen, den stromaufwärts steuernden Dampfer, auf welchem auch Robert kummervoll die ungastliche Halbmondstadt verließ.
* * *
»Wenn du sonst nichts besseres zu tun weißt, Landsmann, so will ich dir einen Vorschlag machen: begleite mich nach meinem Wigwam und bleibe mein Gast, so lange es dir gefällt. Als Forstmann muß es dich ja doppelt interessieren, Amerikas Wald und Wild kennen zu lernen.«
Mit diesen Worten rief der abenteuerliche Alte seinen Reisegenossen in die Gegenwart zurück und nach kurzem Besinnen akzeptierte Robert die Einladung. Gerade unter den vorliegenden Verhältnissen sträubte sich sein Stolz, gleich mit dem nächsten Schiff wieder nach Deutschland heimzusegeln und dort sich als der Peter auslachen zu lassen, dem schon der erste Kreuzweg die Kourage abkaufen konnte! Jetzt war er einmal drüben und ein schlechter Hubertusjäger hätt' er sein müssen, wenn er die sich ihm so günstig darbietende Gelegenheit zurückgewiesen hätte.
Auf einer der nächsten Stationen verließen beide den Dampfer, denn um seinem Gaste gleich die Knochen geschmeidig zu machen, wollte der Sergeant jagend den Washitafluß entlangziehen und auf diesem Wege über Sumpf und Stumpf seinen »Philosophenwinkel« – wie er humoristisch seine an die äußersten Grenzmarken der Kultur vorgeschobene Blockhütte benannte – erreichen. Bevor aber Robert den wildromantischen Marsch antrat, schrieb er an Eva einen langen Brief, worin er ihr seine glückliche Ankunft in der neuen Welt meldete, sein weiteres Mißgeschick jedoch verschwieg, denn statt das arme Mädchen zwecklos zu alarmieren, wollte er zunächst seine Gedanken sammeln und die Frage erwägen, was für seine Zukunft am gedeihlichsten sei.
Am andern Morgen brachen die beiden Freischützen auf und mit dem ganzen Enthusiasmus des Forstmannes überschritt Robert die Schwelle des Urwaldes, aus dessen dunkeln Tiefen es ihm entgegenwehte wie der geisterhafte Atemzug einer titanischen, schrankenlosen Natur.
Schon daheim in Deutschland ein ausgezeichneter Weidmann, bedurfte es kaum der Winke und Anleitungen des Sergeanten, um seinen Gast auch mit den Griffen und Pfiffen des amerikanischen Trappers in kürzester Zeit vertraut zu machen. Der Postkurier, der von Osten her die verschiedenen Grenzgarnisonen besuchte, vermittelte zugleich die Korrespondenz zwischen Robert und Eva. Von heißer Sehnsucht erfüllt, war unterdessen Robert zu einem Entschluß gelangt. Er schrieb an die Geliebte, sie solle herüberkommen, in New Orleans werde er sie empfangen und es ganz ihrer Wahl überlassen, ob sie in der Stadt oder draußen in den Ansiedelungen leben wolle. Die Antwort des Mädchens vertagte das erträumte Wiedersehen bis auf weiteres. Seit dem frühzeitigen Tod ihrer Eltern hatte Eva bei einer alten Base ein Unterkommen gefunden. Bald nach Roberts Abreise war die Matrone, eine einsam und kinderlos dastehende Witwe, ernstlich erkrankt und nach Aussage des Arztes ging sie ihrer unabwendbaren Auflösung entgegen. Das edelmütige Mädchen erachtete es als eine heilige Verpflichtung, die hinsiechende Wohltäterin bis zu wissens selbst den Ruf des Geliebten, zu dem es sie doch wie mit tausend Geisterhänden hinzog, unterzuordnen. »Laß mich« so schrieb sie an Robert, »der hilflosen alten Frau vergelten, was sie dereinst für mich getan hat, laß mich ihr die müden Augen zudrücken, dann wird uns dieser Aufschub zum Segen gereichen und mit Frieden in der Seele kann ich scheiden, um Dir bis an der Welt Ende nachzufolgen« … In dem selbst so ritterlichen Sinn Roberts fanden diese schlichten Zeilen ihren vollen Widerhall: gaben sie ihm ja zugleich die Bürgschaft, daß diese ernste Treue sich auch einmal an ihm bewähren würde.
Dem Sergeanten hatte seine jetzige Profession eine gewisse Seßhaftigkeit auferlegt, denn da es sich bei ihm, wie schon erwähnt, um den Fang lebender Tiere handelte, so konnte er, des Transportes halber, einen bestimmten Umkreis nicht überschreiten. Robert war ihm dabei eine Zeitlang behilflich gewesen – dann aber regte sich in ihm die Lust, seine Streifzüge auch weiter auszudehnen; der Sergeant, den ja selber einmal der gleiche Wandertrieb beseelt hatte, begriff diesen Drang nach Veränderung und sorgte dafür, daß sein Landsmann Anschluß an einen »Ring« von erprobten Weidgesellen fand. Bei einer dieser wild abenteuerlichen Jagdpartien, die sich tief bis in das Indianergebiet erstreckten, glückte es Robert, einen armen Teufel von Rothaut aus den Klauen einer feindlichen Horde zu befreien und von dieser Stunde an blieb Kehe-Paha – der »hüpfende Hirsch« – sein unzertrennlicher Begleiter. Von einem seiner Streifzüge zurückkehrend, fand Robert bei dem Sergeanten einen Brief Evas vor: die alte Frau war gestorben und dadurch die letzte trennende Schranke gefallen.
Zu New Orleans erwartete der ungeduldige Bräutigam das Schiff, das die liebliche Braut übers Meer trug. Gleich am Tage nach der Landung traute der Pastor der deutschen Gemeinde das Paar. Robert erklärte, er werde sein Jägerleben jetzt aufgeben und – wie er mit wehmütigem Humor bemerkte – sich nach einem Schlafrock und einem Paar Pantoffeln umsehen; das feine Gefühl Evas erriet aber, was dabei den passionierten Weidmann innerlich bewegte und ihr praktischer Blick übersah zugleich die Schwierigkeiten, die sich dem Vorhaben Roberts entgegenstellten. Lächelnd sagte sie: »Führe du mich nur in dein Reich, du alter Waldteufel – das wird für uns zwei das Beste sein« …
Robert wollte übrigens New Orleans nicht verlassen, ohne sich zuvor zu erkundigen, wie es mit der Kirchnerschen Erbschaftsangelegenheit stehe. Er suchte Herrn Wittig auf und fand den freundlichsten Empfang; der Prokurist teilte ihm mit, daß Kirchners ursprüngliches Projekt höchst wahrscheinlich doch noch zur Ausführung gelangen werde und daß dann selbstverständlich Robert auf den Direktorsposten rechnen dürfe. Mit Hinterlassung seiner Adresse – die dem Blockhaus des Sergeanten zunächstliegende Poststation – verabschiedete sich der junge Ehemann in hoffnungsvollster Stimmung. Einige Tage darauf trat das Paar seine romantische Hochzeitsreise in den Urwald an – selig und fröhlich, als führe der Weg nach einem traulichen Forsthaus in der deutschen Heimat.
Robert wollte sein Weibchen bei einem befreundeten Grenzbauer »in Pension geben« und in der nähern Umgegend seinem Gewerbe obliegen, doch Eva erklärte kurz und fest: »Als amerikanische Jägersfrau weiß ich, was ich zu tun habe und wo du bist, da will auch ich sein, in guten wie in schlimmen Stunden.«
Alle Vorstellungen Roberts waren umsonst und so ließ er es denn endlich geschehen, daß ihn die heroische junge Gattin auf seinen Streifzügen begleitete und unverzagt alle Strapazen und Gefahren mit ihm teilte. Auch als sie Mutter geworden war, beharrte sie darauf, an der Seite des heißgeliebten Lebensgefährten zu bleiben; ihr Kind nach indianischem Brauch eingebündelt und auf den Rücken gehängt, marschierte sie in gleichem Schritt und Tritt durch Regen und Sonnenschein und so sahen wir die Handelskarawane sich mit dem Nomadenpaar kreuzen, das, von dem treuen Kehe-Paha begleitet, auf dem Weg nach dem Stromgebiet des Osage war, wo Robert Biber und Bisamratten jagen wollte.
* * *
Mehr und mehr dunkelte die Nacht auf den Zug von Wagen und Reitern herab, der unter Roberts Führung in möglichst rascher Gangart der erwünschten Lagerstelle entgegenstrebte. Schon eine Weile hatte der ortskundige Jäger von der Straße in eine Lichtung abgelenkt, die sich allgemach zu einem kleinen Talkessel vertiefte. » Stop!« rief er mit heller Stimme und ließ zum Zeichen, daß das Ziel erreicht sei, seine Büchse von der Schulter zu Boden gleiten. » Stop! – Stop!« pflanzte sich der Haltruf wie ein Echo weiter und im gleichen Moment stockte wie auf einen Ruck jede Bewegung.
Ein rascher Umblick zeigte den Handelsleuten, daß ihr Führer seine Zusage in befriedigendster Weise erfüllt hatte. Ein Bächlein durchmurmelte den Wiesengrund, den die Ausläufer des Waldes wie mit einem natürlichen Rahmen umschlangen. So mangelte es nicht an den drei großen Bedürfnissen der kampierenden Schar: Brennholz, Wasser und Grasweide.
Flink hatten sich die Reiter aus dem Sattel geschwungen, die Packwagen wurden im Viereck aufgefahren und ausgespannt; die Beine mit Sprungriemen gefesselt, um ein etwaiges Ausreißen zu verhindern, ließ man die Pferde und Ochsen sich nach Belieben ihr Futter suchen. Ein rühriges Tun und Treiben entfaltete sich. Die einen schlugen für die Nacht die Zelte auf, andere trugen aus den Wagen trockenes, sorgsam mitgeführtes Holz herbei, um für das Lagerfeuer einen Zündsatz zu gewinnen, an dem der Widerstand des nachfolgenden frischgefällten Brennmaterials sich brechen sollte. Bald brodelte über den knisternden Flammen der Teekessel und am Spieß schmorte das saftige Rumpfstück eines Elk-Bullen, den einer der Handelsleute im Verlaufe des Tages erlegt hatte. Seitwärts beschäftigte sich eine weitere Gruppe mit einer eigentümlichen Arbeit: aus Teer und Baumwollsamen kneteten sie Kugeln von der Größe einer Kartoffel. Ein Ausdruck von unverhohlenem Widerwillen verfinsterte die Gesichtszüge Roberts, als er diese Zurüstungen bemerkte. Der Vormann der Karawane erriet offenbar die Gedanken seines Gastes, denn in gewissermaßen entschuldigendem Tone sagte er: » Well, ich weiß, ihr Wildschützen von Profession haltet die Feuerjagd für einen schimpflichen Tiermord und ich selber will das Ding nicht weiter zu beschönigen suchen. Aber seht, Mann, Not kennt kein Gebot! Wir brauchen Fleisch und unser nächster Weg führt durch einen Landstrich, wo sich infolge des starken Verkehres kaum noch eine Hirschklaue blicken läßt.«
» To be sure!« gab kühl, fast schroff der Trapper zurück: »Ihr seid kein Jäger von Beruf und so will ich auch mit Euch nicht rechten! Euch mag es einerlei sein, wie und wodurch Ihr zu dem Fleische kommt – ein zünftiger Schütze aber muß unter allen Umständen die Feuerjagd als einen Verstoß gegen Recht und Billigkeit verdammen, denn auch das Tier in Wald und Feld darf einen ehrlichen Tod beanspruchen.« Verstimmt wandte er sich ab, während der Vormann, durch die herbe Moralpredigt einigermaßen verblüfft, sich ohne weitere Entgegnung in den Kreis seiner Genossen mischte …
Die Feuerjagd – besonders in Texas und den angrenzenden Territorien zur Anwendung gebracht – besteht in folgendem Verfahren. Rings um eine gewöhnliche Bratpfanne wird ein 6-8 Zoll hoher Blechrand festgenietet und das auf diese Art hergestellte Gefäß mit fünf oder sechs der bereits erwähnten, aus Teer und Baumwollsamen verfertigten Kugeln gefüllt. Der Pfannenstiel wird durch einen darangebundenen starken Stock verlängert, den der »Feuerjäger« derart auf der linken Schulter trägt, daß das Pfannenbecken mit den zuvor in Brand gesetzten Teerkugeln sich etwa eine Elle weit hinter seinem Kopfe befindet. Im linken Arm die lodernde Pfanne, im rechten das gespannte Gewehr, durchstreift nach eingebrochener Nacht (der Mond muß dabei aus dem Spiele bleiben) der Jäger langsam und möglichst geräuschlos den Wald, um seinen mörderischen Sport zu beginnen – oder wie der gebräuchliche Ausdruck lautet, »nach Augen auszuschauen«. Der von der Pfanne ausstrahlende Feuerschein lockt die Hirsche aus weiter Entfernung herbei und verblüfft oder bezaubert sie dergestalt, daß bei günstiger Windrichtung der tückische Feind sich ihnen oft bis auf zwanzig Schritte nähern kann. Neugierig und regungslos den Kopf dem Lichte zukehrend, glänzen im Reflexe desselben die Augen des Wildes wie ein paar Karfunkelsteine und verraten, selbst im dichtesten Gebüsch, dem spähenden Jäger den Standort der erlisteten Beute. Im gleichen Moment, wo er die Augen leuchten sieht, macht er Halt und zieht – die Pfanne immer auf der linken Schulter – das im rechten Arm ruhende, gespannte Gewehr langsam in die Höhe, bis er es im Anschlag hat. Ebenso behutsam gibt der über den Pfannenstiel gebogene linke Arm dem Flintenlauf den nötigen Stützpunkt – ein rasches Zielen nach den flimmernden Augen – dann kracht der Schuß. Meistens bezahlt das aufs Korn genommene Opfer seinen Vorwitz mit dem Leben, während seine Kameraden – oft drängt sich ein ganzes Rudel auf einer Stelle zusammen, um das Lichtspiel der Pfanne zu beobachten – in wilder Flucht auseinanderstäuben. Die Begleiter des Jägers schaffen das erlegte Wild beiseite. (Gewöhnlich wird dasselbe, um es nicht durch Raubtiere anfressen zu lassen, kurzweg mit einem Strick an einem Baume aufgeknüpft und dann am andern Morgen abgeholt.) Der Jäger aber, nachdem er sein Gewehr von neuem geladen hat, setzt seinen meuchlerischen Streifgang weiter; weiß er ja, daß seine qualmende Pfanne einen dämonischen Bann ausübt, der bald wieder die Flüchtlinge zum Stehen bringen und abermals bestricken wird.
Bis zur Morgendämmerung läßt sich dieser ebenso mühe- als würdelose Sport betreiben und der Leser wird es begreiflich finden, daß unter günstigen Umständen ein Feuerjäger in einer Nacht leicht seine zehn, zwölf und noch mehr Stück zusammenknallen kann. Wie schon bemerkt: die Feuerjagd ist ein blanker Meuchelmord, zu dem sich in Amerika ein ehrlicher Weidmann nicht hergibt und der daher auch nur von Bauern und sonstigem unzünftigem Volk, das sich rücksichtslos mit Fleisch versorgen will, zur Anwendung gebracht wird. Und das war es, was Robert, den regelrechten, prinzipienstrengen Schützen, in Empörung versetzte, als er die Kaufleute ihre im Gesetzbuch des Jägers verpönten Zurüstungen treffen sah.
Der Anblick des so rasch improvisierten Nachtlagers bot einen malerischen Anblick. Um das Feuer gelagert, in phantastischer Beleuchtung, die mehr oder minder abenteuerlichen Figuren der essenden, trinkenden und rauchenden Handelsleute; neben dem auf einem Packsattel thronenden Vormann der Karawane als Ehrengäste Robert und Eva. Ihr Kind auf dem Schoße wiegend, ein deutsches Schlummerlied vor sich hinsummend, blickte die junge Jägersfrau träumerisch in das Feuer, das, vom Luftzug bewegt, in wechselndem Spiel hin und her zuckte und knisternd und knatternd an den ihm zum Fraß hingeworfenen Holzscheiten emporzüngelte. Hinter dem Ehepaar zeigte sich das düstere Bild Kehe-Pahas; sein Calumet – die indianische Tonpfeife – rauchend, kauerte der Pottawatamie regungslos am Boden, während seine tiefschwarzen Augen in die weite Nacht hinausstarrten mit jenem unbeschreiblichen Ausdruck von dumpfer Trauer und zielloser Sehnsucht, wie er der Rothaut im Moment der Ruhe so eigen ist.
Im Schattenstrich, den einer der Packwagen quer über den Lichtkreis des Feuers warf, lagerte der Handelsmann, dessen plötzliches Auftauchen bei Robert und Eva eine so trübe Reminiszenz wachgerufen hatte. Wohl waren die beiden durch die gleichmütige Haltung, die der Mann ihren forschenden Blicken und dem Zuruf »Gerhard« entgegensetzte, zunächst wieder von ihrem ersten Gedanken abgelenkt worden; der unmittelbare Eindruck wollte sich aber, besonders bei Eva, dennoch nicht verscheuchen lassen und während die zwei an der Spitze des Zuges vorausschritten, beschäftigte sie von neuem die unerquickliche Frage, ob hier Täuschung oder trotzdem Wirklichkeit vorliege. Gewiß konnte der Gegenstand ihres Grübelns in seiner allgemeinen Erscheinung lebhaft an Gerhard erinnern; andererseits waren aber der mächtige Bart, die fremdartige Kleidung und besonders die durch einen Stoß oder Schlag mißstaltete Nase ebensoviele Vexierstriche, die das Bild des ehemaligen Störenfrieds wieder verwischten, oder doch mindestens in seinen charakteristischen Grundzügen verschoben. Und noch ein weiteres Moment trat hinzu: einige Zeit nach Gerhards Verschwinden war die Nachricht in das Tal gelangt, drüben über der Landesgrenze sei in einem Teiche ein Leichnam gefunden worden, der, so viel sein Zustand noch erkennen ließ, mit dem Signalement des Flüchtlings auffällig übereinstimmte. Was einen Selbstmord Gerhards noch glaubwürdiger machte, war, daß er seit jener Nacht verschollen blieb.
Dieses ganze Durcheinander vor Für und Wider beschäftigte das Ehepaar und schließlich erübrigte nur noch eine letzte Instanz, die möglicherweise alle Zweifel lösen konnte. Gleich nach dem Eintreffen auf der Lagerstelle hatte demzufolge Robert eine passende Gelegenheit benützt, um sich bei dem Vormann der Handelsgesellschaft nach Namen und Herkunft jener problematischen Persönlichkeit zu erkundigen. Der Zugführer wußte aber nicht viel mehr zu sagen, als daß bei ihm und seinen Handelsgenossen der fragliche Passagier kurzweg unter dem Namen »Stephen« figuriere, daß derselbe allem Anschein nach ein Dutchman und auf der Reise nach Mexiko begriffen sei. Im Fort Madison – einem der Militärposten an der Indianergrenze – wo die Karawane Rasttag gemacht hatte, sei der Mann zu ihnen gestoßen und habe, wie dies hier in einer so unwirtlichen Region als alter Brauch gelte, ohne weitere Umstände sich der Gesellschaft angeschlossen, um unter ihrem Schutze bis nach Santa Fé mitzureisen. » He seems to be a queer fellow, anyhow,« Jedenfalls scheint er mir ein wunderlicher Kauz zu sein. bemerkte leichthin der Vormann, der ja keine Ahnung hatte, was die an ihn gestellte Frage eigentlich bezwecken sollte.
Im selben Moment schritt der Gegenstand ihres Gespräches an ihnen vorüber.
»He, Stephen,« rief der Vormann: »Kommt mal her!«
Ruhig wandte sich der Mann um.
» Why, Stephen,« fuhr der Zugführer weiter fort: »sagt mal, was seid Ihr denn eigentlich für ein Landsmann?«
Die plötzliche Frage schien den Angeredeten in keinerlei Weise zu verblüffen.
»Ich bin ein Holländer, Sir,« antwortete er gleichfalls in englischer Sprache. »Aus der Gegend von Utrecht« – setzte er zur näheren Erklärung hinzu.
»Der Teufel soll meine Seele fressen, wenn ich jetzt klüger bin wie zuvor!« lachte der Amerikaner: »weiß ich ja kaum wo Holland liegt – viel weniger also das verdammte Nest, das Ihr Utrecht nennt! Ich hab' Euch übrigens auch nur gefragt, weil ich dachte, Ihr wäret vielleicht ein Landsmann von unserm Gaste hier, der mir vorhin gesagt hat, er sei ein Deutscher.«
» No, Sir,« gab der Examinand trocken zurück: »in diesem Falle können wir keine Landsleute sein.« Und ruhig kreuzte sich sein Auge mit dem scharfen Blick, den der Jäger auf ihn gerichtet hielt; sein Sattelzeug aufraffend, das er bei dem Anruf des Vormannes niedergelegt hatte, ging er gleichmütig weiter, während ihm Robert kopfschüttelnd nachblickte und dann zu Eva zurückkehrte, um ihr mitzuteilen, daß es sich, wie er jetzt überzeugt sei, bei dem Manne nur um eine allerdings merkwürdige Ähnlichkeit mit Gerhard handeln könne. Das erlösende Gefühl, bloß einem Doppelgänger ihres einstigen Widersachers begegnet zu sein, befreite das Ehepaar wie von einem beklemmenden Alpdruck.
Wie schon erwähnt, warf einer der Packwagen seinen Schatten über die Stelle hin, auf welcher jetzt der angebliche Holländer sich einen Sitz zurecht gemacht hatte. Von seinem Platze aus konnte er den Jäger und dessen Gattin im grellen Widerschein des Lagerfeuers genau beobachten, während ihn selber das Halbdunkel schützte und einer gegenseitigen Observation entzog. Nach einer Weile erhob er sich und wandte sich zu den Zelten, die den Hintergrund abschlossen.
» Well, Stephen,« frug ihn einer seiner Nebenleute, die just um einen Krug Brandy würfeln wollten: »Ihr legt Euch gar schon aufs Ohr?«
»Ich fühle mich unwohl,« antwortete er und ein Fieberfrost schien seinen Leib zu schütteln, während er mit der Hand über seine Stirne strich.
»Werdet Euch erkältet haben,« meinte ein anderer leichthin: »schluckt ein paar Chinin-Pillen, dann wird's schon wieder besser werden.«
Schweigend entfernte sich der Patient und niemand kümmerte sich weiter um ihn, denn kein tieferes Interesse verband ja die Handelsleute mit dem Fremdling, der als Nichtamerikaner ihnen nur noch gleichgültiger war.
Unterdessen hatte sich Stephen in dem Zelte auf die Teppiche und Büffelhäute hingeworfen, die sein Lager bildeten. Durch einen Spalt des Vorhanges konnte er die rings um das Feuer gruppierte Gesellschaft überblicken. Den Kopf in beide Hände gestützt, heftete er seine unheimlich glühenden Augen auf den Jäger und das junge Weib an dessen Seite. So mag ein Tiger, in seiner Höhle lauernd, einen Sprung planen – einen Sprung auf Leben oder Tod! …
Es ist bereits gesagt worden, daß der Vormann der Karawane das Ehepaar als seine Ehrengäste betrachtete. Unter der rauhborstigen Schale des Alten barg sich ein gemütlicher Kern und es war ihm geradezu ein Bedürfnis, die Kränkung, die er in seinem wenn auch verzeihlichen Mißtrauen dem Waldläufer zugefügt hatte, um jeden Preis wieder gut und vergessen zu machen. In diesem Bestreben hatte er aus seinem Packwagen allerlei Leckerbissen und Liköre herbeigeholt, womit er in gutmütigem Eifer die Teller und Gläser des Trios füllte, denn auch dem rothäutigen Begleiter des Ehepaares gebührte ja ein Teil dieser Satisfaktion. Dergestalt in Anspruch genommen, hatten Robert und Eva gar keine Zeit, sich ihren wachgerufenen Erinnerungen an Gerhard weiter hinzugeben; auch das Verschwinden des Holländers hatten sie nicht bemerkt. Die Feuergeister, die der wohlgelaunte Wirt entkorkte, animierten mehr und mehr den engern Kreis, der sich um den Waldläufer und seine tapfere Lebensgenossin gebildet hatte; allerlei Schnurren und Schnacken, wie sie der Humor des Amerikaners liebt und ersinnt, wurden losgelassen und belacht. Auch Robert sollte von seinen Abenteuern in Wald und Prärie etwas zum Besten geben und bereitwillig kam er der Aufforderung entgegen. Der Vormann füllte die Gläser frisch auf und reichte ein Bündel Zigarren herum. Dann richteten sich alle Blicke nach dem Erzähler hin, der sinnend seinen Bart strich.
* * *
Meine Frau – so begann er und lächelte dabei seiner treuen Gefährtin zärtlich zu – befand sich damals noch drüben in der Heimat und ich hauste draußen an der Grenze mit einem Landsmann, einem ehemaligen Regimentssergeanten. Ich wollte aber, da ich nun einmal in Amerika war, auch anderswärts Land und Leute kennen lernen und durch Vermittelung des Sergeanten fand ich Anschluß an einen Trupp Jäger und Pelzhändler, die einen Streifzug bis nach Oregon unternehmen wollten. Es handelte sich also um einen weiten und gefahrvollen Marsch. – Ich selber war damals nach amerikanischem Maßstab noch ein ziemlich grüner Rekrut und mußte mich demzufolge fragen, ob ich im Hinblick auf meine in Deutschland harrende Braut, zugleich aber auch im Interesse meiner eigenen Haut nicht besser daran täte, auf diesen Spaziergang zu verzichten. Der Teufel malte mir jedoch das Vergnügen mit so lockenden Farben aus, daß ich schließlich trotzdem mitging. Unter mancherlei Erlebnissen und Begebnissen erreichten wir den Ump-qua – den nächst dem Kolumbia-River bedeutendsten Fluß im Oregongebiete. Hier wollten wir einen längeren Halt machen und von diesem Mittelpunkte aus eine Reihe von Jagden, hauptsächlich auf Pelztiere, veranstalten. Schon am ersten Tage nach unserer Ankunft brachten wir in Erfahrung, daß in der Umgegend unseres Lagers verschiedene Indianerhorden hausten und diese Wahrnehmung mahnte uns, auf der Hut zu sein, denn wenn auch der Oregon-Indianer im allgemeinen ein feiger Tropf ist, so machen ihn seine Arglist und Tücke desto gefährlicher und als Dieb ist er geradezu ein Virtuose. Bei den Besuchen, die sie unserm Lager abstatteten, um Tabak und Branntwein zu erbetteln, eskamotierten, trotz aller Überwachung, die fingerfertigen Schufte fast regelmäßig irgendeine Kleinigkeit – und wenn es nur der wertloseste alte Wischlappen war …
Zu unserm Trupp zählte ein französischer Kanadier. Pierre – so hieß der kleine zapplige Bursche – war ein großer Schwätzer und Aufschneider, der kein größeres Vergnügen kannte, als uns abends am Lagerfeuer mit der Schilderung seiner außerordentlichen Erlebnisse und Abenteuer zu regalieren. Sein unverfrorenes Jägerlatein ergötzte uns und ein Körnchen Wahrheit mochte ja immerhin zwischen der hohlen Spreu stecken, denn unstreitig war er schon weit und breit herumgekommen und dabei ein höchst gewandter Schütze. Nebenbei besaß er, trotz seiner kleinen Statur, eine wirklich phänomenale Muskelkraft und kaum einer unter uns wäre wohl imstande gewesen, es im Ringkampfe mit ihm aufzunehmen. Übrigens konnte er auch in sichtbarer Form nachweisen, daß er sich allerdings schon in Situationen befunden hatte, wo seine Haut wohlfeil genug gewesen war, denn die verschiedenen Narben, die er uns als Dokumente vorzeigte, mußte selbst der ungläubigste Thomas als ungelogen gelten lassen. Item – trotz seines Geflunkers imponierte mir der kleine Kerl und da er seinerseits auch an mir Gefallen zu finden schien, so traten wir uns näher …
Etwa sechs oder acht (englische) Meilen von unserm Lager stromaufwärts nahm der Ump-qua den Conewago, einen seiner Seitenflüsse, auf und hier an der Einmündung kampierte zurzeit eine Gesellschaft Holzschläger. Die Leute standen im Dienst einer Handelsfirma, welche die schönsten Bäume fällen und stoßweise den Strom hinabschaffen ließ, von wo dann die Stämme als Schiffsbauholz ihrer weitern Bestimmung entgegengingen.
Wir unterhielten mit unsern Nachbarn einen freundschaftlichen Verkehr und verlebten die Ruhetage meistens gemeinsam – entweder in unserm Lager, oder droben auf der Insel, denn um sich die umherstrolchenden Rothäute besser vom Leibe zu halten, hatten unsere Kameraden ihr Quartier auf ein kleines Eiland verlegt, das sich wie eine natürliche Zitadelle vor den Zusammenfluß des Ump-qua und des Conewago hinschob.
Bei diesen gegenseitigen Besuchen entdeckte ich unter den Holzfällern einen Landsmann. Toby Die amerikanische Abkürzung von Tobias. – wie ihn seine Genossen kurzweg nannten – war von Geburt ein Deutscher, aber schon als kleines Kind aus seinem schwäbischen Dorfe nach Amerika herübergekommen. Rasch nacheinander starben ihm hier seine Eltern weg, der Junge kam unter fremde Leute und amerikanisierte sich so vollständig, daß er seine Muttersprache bis auf ein paar Worte verlernte. Nichtsdestoweniger bewahrte er dem Lande seiner Väter ein treues Andenken und jeder ehrliche Deutsche, der ihm in den Weg kam, rief bei Toby einen nationalen Anklang wach. Auch mir wandte er sofort seine Gunst zu, obgleich er mich dies nur indirekt merken ließ, denn bei all seiner Gemütstiefe war er eine lakonische Natur, die möglichst wenige Worte machte und in ihrer Schweigsamkeit das strikte Gegenstück zu Pierres unermüdlicher Zunge bildete.
Bei den Zusammenkünften mit unsern Nachbaren kam begreiflicher Weise das Gespräch auf allerlei Dinge und so auch auf die lokalen Verhältnisse des den »Bleichgesichtern« damals kaum erschlossenen Oregon-Territoriums. Die Holzfäller erzählten uns, daß auch sie noch nicht tiefer in die jungfräuliche Wildnis vorgedrungen seien und stellten dabei die Behauptung auf, daß höchst wahrscheinlich noch gar kein weißer Mann an den Ufern des Ump-qua und des Conewago weiter hinaufgekommen sei. – – Gleich am andern Morgen nahm mich Pierre beiseite, um mir im Vertrauen zu eröffnen, daß er es sich in den Kopf gesetzt habe, den geheimnisvollen Schleier zu lüften, der bis zur Stunde auf diesem Stromgebiet ruhe und daß er zunächst den Conewago zum Gegenstand seiner Erforschungen machen wolle. Ob ich Lust hätte, ihn zu begleiten? …
Ich merkte sofort, daß der eitle, ruhmredige Bursche mit seinem Vorhaben keinen andern Zweck verfolgte, als die Chronik seiner Heldentaten um ein weiteres Sensationskapitel zu bereichern; da er aber, wenn er den Plan ausführen wollte, seinen erträumten Siegeslorbeer wohl oder übel mit einem Bundesgenossen teilen mußte, so gönnte er noch am liebsten mir bescheidenem Neuling eine Dividende seines Triumphes. Die Handlanger-Rolle, die er mir in seinem Egoismus zudachte, wäre nun allerdings für mich der letzte Beweggrund gewesen, meine Haut in die Schanze zu schlagen; das Projekt appellierte aber an meine ureigne Neugierde, denn mich selber reizte ja der Gedanke, was sich wohl hinter jenem dunkeln Vorhang berge, den, wie die Holzfäller meinten, seit Entdeckung der neuen Welt vielleicht noch kein einziger Angehöriger der weißen Rasse gelüftet hatte. Und dieser magische Drang, der mit der prahlerischen Effekthascherei Pierres nichts gemein hatte, verlockte mich, eine zusagende Antwort zu geben. Wir waren beide die Herren unseres eigenen Willens und konnten also, der übrigen Gesellschaft gegenüber, tun oder lassen was uns beliebte; nichtsdestoweniger wußte Pierre mir einzureden, daß wir alle etwaigen Einwände am einfachsten dadurch abschnitten, indem wir uns stillschweigend auf den Weg machten. Wie uns bekannt, blieb der Trupp noch mindestens eine Woche in dem bisherigen Jagdrevier und so hatten wir es ganz in der Hand, rechtzeitig wieder zurückzukehren. Schon am nächsten Tag sollte unsere Expedition ins Werk gesetzt werden und demgemäß trafen wir unsere Vorbereitungen.
Als in der Morgenfrühe unsere Kameraden zum gewohnten Streifzug aufbrachen, erklärte Pierre in doppelsinniger Weise, er werde heute mit mir einen besondern Weg nehmen. Keinem der selber so kurz angebundenen Gesellen fiel es ein, eine weitere Frage zu stellen. Die Flößer, die das geschlagene Holz den Strom hinabschafften und dann in Kähnen wieder nach der Insel zurückkamen, hatten uns für eine Pfeife Tabak, wie man zu sagen pflegt, einige ihrer Fahrzeuge überlassen. Das leichteste dieser Böte bestimmte jetzt Pierre für unsere Entdeckungsfahrt, denn wie aus dem Gerede der Holzfäller hervorgegangen war (die es ihrerseits von den Indianern gehört hatten), bildete der Conewago in seinem Lauf verschiedene Wasserfälle – also ebensoviele »Portages« oder Tragestellen, wo wir uns ausschiffen und den Kahn zu Lande über die Stromschnellen hinaufschleppen mußten … Gegen Mittag machten wir uns reisefertig: ein paar Wolldecken und Kochtöpfe, Gewehr und Munition machten unsre ganze Bagage aus. Trotzdem wir beschlossen hatten, die Fahrt in aller Stille anzutreten, erschien es mir bei näherm Überlegen doch nicht korrekt, so wie ein Duckmäuser davonzuschleichen und ich schrieb daher einige erklärende Worte auf einen Zettel, den ich, von Pierre unbemerkt, dergestalt an einen Baum heftete, daß das Papier unsern Genossen bei ihrer Heimkehr in die Augen fallen mußte. Den beiden Negern, die das Lager hüteten und den Kochdienst besorgten, ein kurzes Good bye zunickend, wandten wir uns nach der Bucht, in welcher die Kähne stationierten. Wir banden das von Pierre auserwählte Boot los und ein Dutzend Ruderschläge brachte uns in das offene Fahrwasser hinaus. Stramm darauf losarbeitend, erreichten wir das Eiland, auf welchem unsre Nachbaren, die Holzfäller, kampierten. In seinem Feuereifer wollte Pierre ohne jeden Aufenthalt in den Conewago einbiegen und soweit stromaufwärts plätschern, als dies die Tageshelle gestattete; für die Nacht sollte dann auf einer passenden Haltestelle biwakiert werden. Nun hatte ich mir aber vorgenommen, Toby en passant zu begrüßen und ihm unsern Fahrplan mitzuteilen, denn der kundige Hinterwäldler wußte mir ja vielleicht den einen oder andern ersprießlichen Wink zu geben. Mit einem ärgerlichen Fluch fügte sich Pierre meinem kategorischen Verlangen, das ihn um so unangenehmer berührte, als just zwischen ihm und meinem Landsmann eine instinktive Abneigung bestand. Erst mit einbrechender Dämmerung kehrte Toby von seinem Tageswerke heim und herzlich wie immer reichte er mir seine schwielige Hand. Ohne Umschweife berichtete ich ihm den Grund meines Hierseins. »Bob,« sagte er im Ton einer bei ihm ungewohnten Lebhaftigkeit: »Lasse du von dieser Geschichte die Pfoten weg! Mag dort der Oui – Oui« – er deutete nach dem Franko-Kanadier – »die Suppe allein auslöffeln und sich die Zunge daran verbrennen.«
»Ich kann nicht mehr zurück,« wandte ich ein; »drunten im Lager würden sie mich nicht schlecht auslachen, wenn ich wie ein begossener Pudel angetrottelt käme.«
» Well,« gab er kurz zurück: »es wird besser sein, du läßt dich auslachen, als dir vielleicht die Perücke über die Ohren ziehen.« Mit dem Finger rings um seinen Kopf fahrend, markierte er den Zirkelschnitt des indianischen Skalpiermessers.
»Aber Pierre ist doch« – – – –
»Ein Maulheld und ein Windbeutel!« unterbrach mich Toby. Er legte seine wuchtige Hand auf meine Schulter. »Bob, ich sag' dir nochmals, laß die Finger weg! Wirst sonst an meine Warnung denken müssen, wenn's vielleicht zu spät ist! Jetzt komm' herein und sei mein Gast.« Er wandte sich dem Blockhause entgegen, das ihn und seine Arbeitsgenossen beherbergte; verstimmt folgte ich ihm nach.
Desto wohlgelaunter schien Pierre zu sein. Wie fast immer, so machte er sich auch diesmal zum Mittelpunkt der Gesellschaft und ergötzte seine Zuhörer durch ein buntes Quodlibet von Abenteuern, die er zu Wasser und zu Land bestanden haben wollte. Ohne sich mit einem einzigen Worte in die Unterhaltung zu mischen, rauchte Toby gedankenvoll seine Stummelpfeife – dann klopfte er sie an seiner Stiefelsohle aus, erhob sich und sagte zu mir: »Bin müde und hab' das Geplapper dieses Lügenmaules satt! Auch dir wird's genug sein – also komm mit und verschlaf' deinen verrückten Einfall.« Wir legten uns nieder. » Good night, Bob!« nickte mir mein Bettgenosse zu und drehte mir den Rücken hin; schon nach ein paar Minuten schnarchte er wie eine Baumsäge, während ich noch stundenlang wachte und dachte.
Bereits vor Tagesanbruch rüttelte mich Toby aus dem unruhigen Schlummer, in den ich zuletzt verfallen war. »Wie steht's, Bob?« hub er an: »Hast du auch jetzt noch Lust?« Ohne den Satz abzuschließen, machte er mit seinem Kopfe eine bezeichnende Bewegung nach dem Flusse hin. Aus dem Ton, in welchem er diese Frage stellte, klang eine gewisse Ironie hervor – wenigstens faßte ich es so auf – und das packte mich beim Ehrenzipfel. »Ja!« antwortete ich und der Laut entfuhr meinen Lippen trotziger, als es mir eigentlich zumute war.
» Very well!« gab er in aller Ruhe zurück und griff nach seinen Kleidern: »dann steh' aber auf und wecke deinen Kameraden, denn es wird gut sein, wenn ihr so still wie möglich von hier fortkommt.« Mit diesen bedeutsamen Worten wandte er sich der Feuerstelle zu, um ein Frühstück für uns zurecht zu machen. – – Noch umflorten die letzten Schatten der Nacht Wald und Wasser, als wir beiden Naturforscher schon mit Sack und Pack unserm Boote entgegenschritten.
Am Ufer zog mich Toby beiseite. » Well, Bob,« sagte er so leise, daß der andere es nicht verstehen konnte: »Du willst deine Haut wohlfeil machen und so hab' ich dir nur noch einen letzten Rat zu geben – halt' die Ohren steif und die Augen offen, denn glaub' es mir, wenn die indianischen Halunken euch wittern, so geht's euch um Kopf und Schopf. Es sind feige Hunde und von vorn werden sie schwerlich beißen, desto gefährlicher aber sind sie von hinten her. Und noch eines: Sei du selber dein bester Freund, denn ich will mich hängen lassen, wenn in der Not dort der verlogene Windbeutel mehr wiegt als ein Lot« … Er blickte einen Moment sinnend vor sich hin. »Unter den rothäutigen Tagdieben, die hier umherlungern, kenn' ich einen, der um ein Haar besser ist, als seine Kameraden. Werd' dem Kerl eine Pinte Schnaps in die Gurgel schütten und« – – –
Ein ungeduldiger Zuruf Pierres, der bereits im Boote saß, unterbrach Toby. Der rauhe Waldmensch ergriff meine Hand und in dem Druck seiner durch die Axt steinhart gewordenen Finger fühlte ich die innere Gemütsbewegung heraus, die er gewaltsam zu bemeistern suchte. » Farewell, Bob!« sagte er kurzab und ohne den Kanadier eines Wortes oder Blickes zu würdigen, gab er dem Boote mit seinem Fuß einen Stoß, daß das leichte Fahrzeug ein paar Ellen weit in das Wasser hinausschnellte.
Dieser Fußtritt war der letzte Scheidegruß des goldtreuen Naturburschen.
* * *
Durch den Zuhörerkreis, der sich in wachsender Spannung an den Erzähler herandrängte, lief ein unwillkürlich sich Luft machendes Gemurmel und der Vormann traf den Nagel auf den Kopf, als er sein Glas schwang zu dem huldigenden Toaste: »Toby soll leben!« – » Heave up!« scholl's im vollen Chor und klirrend und klingend stießen die Becher zusammen.
»Ja, er soll leben!« nickte der deutsche Jäger … »Wenn er überhaupt noch unter den Lebenden weilt,« – setzte er leiser hinzu und seine Augen schimmerten in einem feuchten Glanze.
Der kühle Stoizismus des Amerikaners ist für derlei Gemütsaufwallungen wenig empfänglich; dennoch ehrte das rauhe fahrende Volk die wehmütige Gedankenwendung des Gastes durch ein momentanes Schweigen. Dann aber rief eine ungeduldige Stimme: » Go on, Bob!«
» Yes, reel off!« sekundierte der ganze auf die weitere Entwicklung lauernde Kreis und durch diesen Ruck schob sich die allseitige Situation wieder ins Gleichgewicht. Das Recht der Gegenwart war gerettet.
* * *
Die schäumenden Wirbel – so erzählte der Jäger weiter – die der Zusammenprall der beiden Wasserläufe erzeugte, waren unsre Richtmarke und unter harter Arbeit schraubten wir das Boot in den Conewago hinein. Der Morgenwind blies uns frisch in den Rücken und so beschlossen wir, unser kleines Segel aufzusetzen. Ein Baum, den die Herbststürme entwurzelt haben mochten, neigte sich über den Fluß herein und wir ruderten auf ihn los, um an einem seiner Äste unser Boot zu befestigten. Während Pierre sich damit beschäftigte, die Maststange aufzurichten und das Segel klar zu machen, ließ ich meine Augen über das Ufergelände hinschweifen. Mit einemmal blitzt, rechts von uns, in der Tiefe des Waldes ein Licht auf! Ich hatte kaum Zeit, meinem Begleiter einen Ruck zu geben, als der unheimliche Schein auch schon wieder erlosch.
»Was ist das?« entfuhr es meinen Lippen.
»Pah, irgendeine schuftige Rothaut, sans doute!« antwortete in seinem Mischmasch von Englisch und Französisch der Kanadier und auf die Ruderbank springend, stieß er einen gellenden Spottruf aus, den das Echo gespenstig zurückgab. In aufloderndem Zorn riß ich den frechen Narren so unsanft von der Bank herunter, daß das Boot fast umkippte … »Bob, du willst deine Haut wohlfeil machen,« hatte Toby zu mir gesagt und nun war schon gleich der Anfang durch diesen wahnwitzigen Prahlhans hier der Kaufhandel bestens eingeleitet! Es zuckte mir durch Arm und Hand, als müss' ich ihm mit der Ruderschaufel das unselige Maul plattklopfen! Wohl zu unserm beiderseitigen Glück sühnte er seine sträfliche Torheit wenigstens soweit, daß er der Wut, die in mir kochte, durch keinerlei Gegenrede neue Nahrung gab. Wär ich wirklich ein Feigling zu nennen gewesen, wenn ich in diesem Moment dem frevelhaften Tollkopf kurzab erklärt hätte: Geh du allein – Ich kehre um! … »Nein, du wärest kein Feigling, sondern nur ein vernünftiger Mann gewesen,« beantwort' ich mir jetzt bei ruhigem Blute diese Frage. Wenn aber der Mensch gleich in der ersten Hitze ein Ehrengericht über sich selber abhält, da ist auch flugs der Hochmutsteufel bei der Hand, rückt sich einen Stuhl an den Beratungstisch, kreuzt die Arme übereinander und sagt höhnisch zu dem Menschen: »So, jetzt blamier dich, so gut du es kannst!«
So geschah es damals auch mir. Ich sah Toby mit den Augen zwinkern und hörte ihn in seiner trockenen Art fragen: » Well, Bob, schon wieder zurück?«
Und gar drunten im Jägerlager das Hihihi, das den so rasch abgekühlten Naturforscher erwartete! »Duld' allerhand – nur nicht die Schand'!« So lautete der Wahlspruch meines seligen Vaters und dieses Gebot verdrehte mir noch vollends den Kopf. »Nur nicht die Schand'« klang es wie ein Geisterruf in mein Ohr und mit einem grimmigen Riß löste ich den Strick, der unser Boot festhielt. Unter dem Drucke des geblähten Segels tanzte das leichte Fahrzeug stromaufwärts. Mein Gewehr schußfertig zur Seite, lenkte ich das Steuer, während Pierre, halb trutzig, halb zerknirscht, vorn im Bug kauerte.
So ward es nach und nach heller Tag. Von Indianern nirgends eine Spur – über Wald und Wasser die traumvolle Ruhe einer jungfräulichen Urnatur.
Der heitere Sonnenschein, der die letzten Nebelschleier aufrollte, verscheuchte zugleich auch mehr und mehr den Unmut in meiner Brust und nach einer nochmaligen derben Strafpredigt reichte ich dem unverbesserlichen Schreihals die Hand der Versöhnung. – – Gegen Mittag hin sprang der Wind um und wir mußten zum Ruder greifen. Nach strammer, mehrstündiger Arbeit beschlossen wir, für heute Feierabend zu machen; an der nächsten passenden Haltestelle landeten wir und trafen die nötigen Zurüstungen für unser Biwak. Ganze Schwärme von wilden Gänsen, Enten und sonstigem Wassergevögel strichen am Ufer hin und ein einziger Schrotschuß mitten in das Gewimmel füllte unsre Bratpfanne. Kaum hatten wir unsre Mahlzeit beendet, als es unter dem dichten Laubdach der Bäume auch schon zu dunkeln begann. Der Tag mit seiner Arbeit und seinen wechselnden Erscheinungen war für mich eine Zerstreuung gewesen – die hereinbrechende Nacht dagegen drängte meine Gedanken mehr und mehr zusammen und erinnerte mich an Tobys ernstes Mahnwort: »Halt' die Ohren steif und die Augen offen und sei du selber dein bester Freund!«
Trotz meiner Ermüdung beschloß ich die gefährlichen Stunden der Finsternis zu durchwachen. Auch Pierre blieb noch eine Zeitlang munter, dann aber ward ihm die Geschichte zu unschmackhaft; trotz all meiner Vorstellungen wickelte er sich in seine Decke und als richtiger Leichtfuß, der er war, schlief er ein, wie wenn eine Legion von Schutzengeln neben seinem Lager stände. Seine Zuversicht hatte ihn übrigens diesmal nicht betrogen, denn ungestört ging die Nacht dahin. Als der Morgen graute, weckte ich den schlafenden Jünger, um mich nun selber einem kurzen Schlummer hinzugeben. Nach eingenommenem Frühstück schifften wir uns ein, um mit frischen Kräften unsre Entdeckungsfahrt weiter fortzusetzen. Mit bestem Recht ließ sich unser Unternehmen als ein »Schwimmen gegen den Strom« bezeichnen. Die Wasserfälle, die der Conewago bildet, waren offenbar nicht mehr fern, denn jeder Ruderschlag, den wir taten, hatte mit einem mehr und mehr wachsenden Widerstand zu kämpfen. Die ungünstige Windrichtung machte unser Segel nutzlos.
Unter diesen Umständen blühte uns eine wahre Hundearbeit. Mit allen Mitteln suchten wir vorwärts zu kommen: bald zogen wir uns Hand über Hand von einem Baumast zum andern am Ufer entlang, dann nahmen wir wieder an lichten Stellen die Schleppleine zu Hilfe und bugsierten das Boot weiter – wo das Wasser seicht genug war, sprangen wir über Bord und schoben den Kahn vor uns her …
Aber auch die Szenerie, die uns umgab, schien mit dem sich immer wilder und wilder geberdenden Strome gleichen Schritt halten zu wollen: stufenweise wurden die Uferwände immer schroffer und zerklüfteter, Schirlingstannen und Schwarzpappeln warfen ihren finstern Schatten über das strudelnde Wasser hin und das heisere Krächzen eines Geiers, den wir aufscheuchten, scholl wie der zornige Schrei eines Elementargeistes, der sein einsames Reich bedroht sieht. – – Mühselig hatten wir uns eben um eine Krümmung des Flusses herumgehaspelt, als plötzlich ein unerwarteter Anblick unsre Augen fesselte.
»Ein Indianerdorf!« Mit diesem Ausruf unsre momentane Verblüffung lösend, deutete ich nach einem Hügel, der sich vor uns auf der linken Uferseite erhob. Der steile Abhang desselben war gegen das Wasser hin gänzlich abgeholzt und terrassenförmig mit eigentümlichen Bauten gespickt, die, aus der Entfernung gesehen, von einem Neuling, wie ich es ja war, sehr wohl für Hütten gehalten werden konnten. Das ungleich kundigere Auge Pierres hatte aber inzwischen schon das Problem gelöst. » Pas du tout!« sagte er in seinem selbstbewußten Tone: »ist kein Dorf, ist ein indianisches Totenfeld.«
»Ein Totenfeld?« fragte ich nicht weniger verwundert.
» Mais oui!« gab er zurück und griff wieder zu seinem Ruder.
Nach harter Arbeit gelang es uns, die reißende Strömung quer zu durchschneiden und das linke Ufer zu erreichen. »Schwerlich wird uns hier eine Rothaut in den Weg laufen,« erklärte mir Pierre, während er das Boot sorgsam an einem Baum festband: »die Halunken fürchten, ein böser Geist könne ihnen in den Nacken fahren und drücken sich demzufolge, wenn nicht gerade ein Begräbnis sie dazu zwingt, in einem weiten Bogen an ihren Beerdigungsplätzen vorbei.«
Trotz dieses beruhigenden Umstandes hielt ich dafür, daß Vorsicht auf keinen Fall schaden könne, und auch Pierre räumte schließlich selber ein, daß es keine Regel ohne Ausnahme gäbe. Das Gewehr schußfertig im Arm, rückten wir mit aller Behutsamkeit auf den seltsamen, mitten in der Wildnis angelegten Friedhof los. Ringsum gespenstiges Schweigen! Ein Flug Aasvögel, der kreischend den Hügel umkreiste, war der einzige Pulsschlag, der den öden Leichenacker belebte. Was ich für Hütten gehalten hatte, erwies sich in der Tat als ein Konglomerat von Steinhaufen, die – an die rohe Form heidnischer Opferaltäre erinnernd – über jedem einzelnen Grabe aufgeschichtet waren. Oben auf der Fläche dieser Steinwürfel hatten die Anverwandten des Verstorbenen dessen Gewaffe, Kanoe und Fischnetz aufgestapelt, damit der Schläfer dereinst bei seiner Auferstehung in den glücklichen Jagdgründen des Indianerhimmels gleich gerüstet sei, sich dem Zug der pirschenden Geister anzuschließen. Um aber die für das Jenseits bestimmte Armatur von profaner Räuberhand möglichst zu sichern, sind die Angehörigen des Verstorbenen darauf bedacht, jedes einzelne Stück dieses Grabschmuckes irgendwie zu beschädigen und zwar in dem Glauben, die momentane Unbrauchbarkeit des betreffenden Gegenstandes werde für den Dieb eine Mahnung sein, von seinem ruchlosen Beginnen abzustehen und die Ruhe der Toten zu ehren. Dieser Anschauungsweise zufolge war an den Kähnen da oder dort eine Planke herausgebrochen, an den Waffen und Netzen das eine oder andere Bindeglied hinweggenommen … Nachdem wir uns diese wunderliche Totenstadt sattsam betrachtet hatten, traten wir den Rückweg an und erreichten ebenso unangefochten wieder unser Boot. Wir genossen unser Mittagsmahl und gestatteten uns unter dem Schutze der indianischen Gespensterfurcht ein Schläfchen. Dann ging's wieder von neuem an die sauere Arbeit.
Schon begann der Abend heranzudämmern, als ein dumpfes Tosen und Rauschen uns verkündete, daß der erste der Wasserfälle, in denen der Conewago sich aus dem Hochland herabstürzt, jetzt unmittelbar vor uns liege. Mit frischer Kraft schraubten wir uns dem Ziel unsrer heutigen Etappe entgegen und nach einem letzten Ringkampf mit den grimmigen Nixen war der Sieg erfochten. Die Skala der obern Wasserfälle abschließend, hatte dieser hier, als unterste Treppenstufe, nur noch eine Höhe von vielleicht zwei Ellen, aber die zu einer engen Schleuse sich zusammenschiebenden Uferwände gaben der abwärts drängenden Wassermasse einen desto gewaltigern Spanndruck. Der Fall selber bildete, sozusagen, drei Gassen: die mittlere war begreiflicherweise die bedeutendste, im Vergleich zu ihr konnte man die beiden andern Abzweigungen eigentlich mehr als Rinnsale bezeichnen.
Angesichts dieses von der Natur uns in den Weg geworfenen Gedankenstriches hätten wir füglich sagen dürfen: »Bis hierher und nicht weiter.« Auch der Hinblick auf die furchtbaren Strapazen, die sich bei einer Fortsetzung unserer Fahrt mehr und mehr steigern mußten, wäre wohl geeignet gewesen, uns zur Umkehr zu veranlassen. Blieb uns ja auch so das Bewußtsein, daß wir aller Wahrscheinlichkeit nach, seit Entdeckung Amerikas die ersten »Bleichgesichter« waren, die der Conewago auf seinem Rücken trug!
Unbeschadet unsrer Ehre hätten wir also unser Boot umwenden dürfen – aber ein Magnet hielt uns fest. Das indianische Totenfeld hatte uns nämlich wie mit einem Zauber umstrickt und uns in eine, ich möchte sagen: Märchenstimmung versetzt, die uns, vergleichbar den altspanischen Glücksrittern in Mexiko, hinter jedem Berge eine neue und immer wunderbarere Entdeckung wittern ließ. »Wer weiß, ob uns am Ende nicht noch ein von den Rothäuten seit Jahrhunderten aufgespeicherter Gold- und Silberschatz in die Klauen fällt,« meinte Pierre lachend und dennoch funkelten dabei seine kleinen schwarzen Augen wie in einem fieberhaften Glanze …
Daß wir unter allen Umständen über den vor uns liegenden Wasserfall hinaus mußten, stand bei uns in stillschweigender Übereinkunft fest – aber sogar heute noch sollte es geschehen! Einer las es im Auge des andern. Wir sprangen ans Land, um ohne Säumen unser Boot tragfertig zu machen. Mit einemmal schüttelte Pierre den Kopf und ich verstand, was er sagen wollte. Auf einigermaßen gangbarem Wege hätten wir beide den Kahn auf unsern Schultern ohne besondere Anstrengung über die kritische Stelle hinausgetragen – hier aber schien uns ein schadenfroher Dämon mit allen zehn Fingern ein Schnippchen schlagen zu wollen, denn eine nähere Prüfung des Terrains überzeugte uns, daß zwei Männer (und wären es die stärksten gewesen) den Transport absolut nicht zu bewerkstelligen vermochten. Die Uferwände bildeten ein förmliches Chaos von Felszacken, die der stäubende Gischt des Wasserfalles nach und nach spiegelglatt poliert hatte – über die hinwegzuturnen also schon an und für sich keine leichte Aufgabe war. Wie sollten wir auf dieser schlüpfrigen Basis nun gar noch das Boot hinüberschaffen! Ein einziger Fehltritt und wir kollerten mit unsrer Last in den tobenden Strom hinab, der uns dann kaum noch lebend aus seinen Strudeln auftauchen ließ.
Irgendeinen letzten Ausweg aus dieser verwünschten Klemme suchend, wandte sich mein Auge unwillkürlich zu dem Flusse selber zurück.
Der Wasserfall, wie schon bemerkt, teilte sich in drei Zinken; auf den mittlern konzentrierte sich die Hauptwucht der Strömung, während der Schwall nach den beiden Seitenkanälen hin kaum den Druck eines starkgespannten Mühlenwehrs zu übersteigen schien. Ob sich nicht hier der Hebel ansetzen ließ? In kurzen Worten entwickelte ich meinen Plan.
»Ich hab' mir's auch schon überlegt,« nickte Pierre: »ich glaube aber, daß es nicht gehen wird.« Und nochmals maß er mit prüfendem Blick das in Frage stehende Stück Arbeit. »Versuchen wir es immerhin,« meinte ich: »haben wir uns soweit abgeschunden, so kann es jetzt auf eine Plackerei mehr oder weniger auch nicht ankommen.« » Eh bien«, entschied er nach kurzem Sinnen: »sehen wir zu, wer von uns beiden Recht hat!«
Unsere Jacken abwerfend, gingen wir sofort an die Ausführung unsres Vorhabens, das darin bestand, am Ufer entlang den Kahn in den schwächsten der drei Wasserstränge hineinzulotsen und ihn dann direkt bergauf zu ziehen. Zunächst schafften wir unser bißchen Bagage ans Land. Wir hatten zwei Schleppleinen, die aus Utahhanf gedreht waren – also aus dem zuverlässigsten Material, das es für Tauwerk gibt. Das eine Ende der zusammengeknüpften Leinen schlangen wir um die vordere Ruderbank des Bootes; mit dem andern Ende in der Hand, kletterte ich über die Felszacken hinweg und wand das Seil um den Stamm einer Fichte, die sich mitten zwischen den Klippen ihren Stand ertrotzt hatte. Pierre, der zur Vorsicht unten bei dem Boote zurückgeblieben war, folgte mir jetzt nach und den Fichtenstamm als Haspel benützend, begannen wir unser Schifflein ruckweise gegen den Strom zu bugsieren. Um es kurz zu sagen – es war eine Höllenarbeit und wir glaubten, das Boot, das sich gebärdete wie ein an der Harpune zappelndes Seekalb, müsse uns die Arme aus dem Leibe reißen. Aber wir hielten trotzig fest – unsre Leine tat es auch – und keuchend rangen wir dem störrigen Elemente Zoll um Zoll ab. Schon hob sich der Bug unsres Bootes über den Scheitelpunkt hinaus.
» Encore un coup de main!« jubelte Pierre in das Brausen des Kataraktes hinein und die letzte Muskelfaser zum entscheidenden Schwung aufbietend, schnellten wir den Kahn vollends über die Barre hinweg – – im gleichen Moment erstickte aber auch in unsern Kehlen der Triumphruf, womit wir, von einem und demselben Drang durchzuckt, den so heiß erstrittenen Sieg begrüßen wollten! Unter unserm allzu derben Ruck war die Ruderbank, um die wir das Schlepptau geschlungen hatten, krachend aus ihren Bolzen gesprungen – das zügellose Boot selber aber durch den jähen Rückprall seitwärts mitten in den Strom hineingeschleudert worden.
Der Rest der Katastrophe spielte sich vor unsern Augen ab, bevor wir nur Zeit fanden, den verblüffenden Teufelsstreich in seiner ganzen Tragweite zu erfassen. Wie den Leichnam irgendeines abenteuerlichen Wassertieres sahen wir den Kahn in dem sprühenden Gischt ein paar Mal im Kreise herumwirbeln – – dann schoß er kopfüber den Fall hinab und gerade zwischen die Klippen hinein, die aus dem wilden Strudel emporstarrten.
Schon im nächsten Moment warf der rachelechzende Flußgott das zermalmte Boot hoch in die Luft, als woll' er uns höhnisch zurufen: »Wer zuletzt lacht, lacht am besten« … Unwillkürlich kreuzten sich unsre Augen zu einer stummen Frage. Pierre brach zuerst das finstere Schweigen. »Da sitzen wir nun wie weiland die Juden an den Wassern von Babylon!« sagte er, sich zu einem erzwungenen Galgenhumor aufraffend: »das Boot ist beim Teufel, und der Heimweg über Stock und Stein wird uns verdammt wenig Spaß bereiten.« Mit einem grimmigen Fluch wischte er sich über seine schweißtriefende Stirne und zog seine Pfeife hervor, um in ihrem Qualm Trost und guten Rat zu suchen. Auch ich blickte in düsterm Unmut zu dem Strome hinab, der so tückisch unser Schifflein verschlungen hatte. Und dennoch mußte ich mir dabei sagen, daß das Unheil durch mein eigenes Verschulden insofern herbeigeführt worden war, als ich Pierres Bedenken allzu leichtfertig aus dem Felde geschlagen hatte. »Können wir uns nicht ein Floß zurechtzimmern?« wandte ich mich etwas kleinlaut an den Mitbüßer meines Eigensinnes.
» Pourquoi pas?« brummte er unwirsch: »dann mache dich jedoch nur gleich auf ein paar hundert unfreiwillige Bäder gefaßt, denn der Teufel soll auf diesem verdammten Wasser ein so ungelenkes Fuhrwerk regieren!« Mit einer Handbewegung unterbrach er sich. » Enfin, das ist ein Kapitel für morgen – jetzt heißt es, einen Lagerplatz suchen, bevor uns die Nacht auf den Hals kommt.« Wir kletterten über das Felsengerölle zurück und rafften unsre sieben Sachen zusammen. Unterhalb des Wasserfalles, eine Strecke waldeinwärts fanden wir für unser Biwak eine geeignete Stelle. Es war eine kleine Bodenmulde; das Gebüsch, das wie ein natürlicher Zaun diesen Kessel umsäumte, bot zugleich einen willkommenen Schirm gegen den kühlen Nachtwind. Bald loderte unser Lagerfeuer hell auf, und wir machten uns zunächst an die Arbeit, ein paar Enten zu rupfen, die wir im Verlaufe des Tages geschossen hatten … Merkwürdigerweise schien Pierre den Verlust unsres Bootes viel tragischer aufzufassen als ich selber. Sonst geschwätzig wie eine Elster, war er jetzt so wortkarg wie nur Toby in seinen schweigsamsten Momenten. Sein verdrossenes Wesen machte zuletzt auch mich stumm und wie zwei mürrische Möpse würgten wir unsre Enten hinunter. Mitten im Kauen sprang Pierre plötzlich in die Höhe und seinen Bratvogel bei den Flügeln schwingend, tanzte er auf einem Bein im Kreise herum. Erschrocken schnellte auch ich empor, denn ich mußte, angesichts dieses ganz und gar unmotivierten Heiterkeitsausbruches allen Ernstes glauben, der arme Kerl sei Knall und Fall verrückt geworden! Und wie ein richtiges Narrengekicher scholl es auch, als er, beide Hände in die Hüften stemmend, mich anlachte, daß ihm die Tränen an den Backen herunterliefen. »Zwei Esel, die vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen!« gluckste er und mit einem nochmaligen »Hihihi« ließ er sich atemlos auf seinen Sitz zurückfallen. »Mensch, bist du toll geworden?« rief ich in wachsender Unruhe und schüttelte ihn am Arm.
» Mais mon dieu!« ächzte er und ein neuer Lachkitzel schien ihn packen zu wollen; »da jammern und wehklagen wir um unser verlorenes Boot und dort« – – – mit dem Zeigefinger sich vor die Stirne tippend, deutete er dann mit einer theatralisch-pathetischen Geste stromabwärts.
Ein helles Gelächter – diesmal ein doppeltes – ergänzte den Satz …
Heute noch ist es mir rein unbegreiflich, wie wir über den Stein der Weisen, der gewissermaßen gerade vor unsern Füßen lag, so blind hatten hinwegstolpern können. Dort auf den Gräbern des indianischen Totenfeldes war ja eine ganze Flottille von Kähnen aufgeschichtet, unter denen wir nur zu wählen brauchten! Und um uns die Ausführung noch bequemer zu machen, so lag obendrein der Friedhof an demselben Flußufer, auf dem wir uns befanden.
Ein Marsch von ein paar Stunden ließ uns die Schädelstätte der Wilden erreichen und schon morgen abend konnten wir drunten auf der Insel wieder im Kreise unserer Gastfreunde sitzen und ihnen von unsern Abenteuern berichten. Der Gedanke an eine Weiterfahrt war uns ja durch unser Mißgeschick verleidet worden. Den Weg vom Indianerfriedhof bis zum Wasserfall nochmals in seiner ganzen wilden Hetze zu erkämpfen, um dann am Ziele vielleicht abermals um den Lohn geprellt zu werden – dieser Dämpfer überwog denn doch unsern Drang nach fernern Entdeckungen und riet uns, mit dem gewonnenen Resultate zufrieden zu sein: um so mehr zwar, als, wie schon erwähnt, unsre Kameraden in den nächsten Tagen das bisherige Standquartier zu verlassen gedachten …
Das Gefühl, jeder weitern Sorge um unsre Rückfahrt überhoben zu sein, ließ uns den in die Brüche gegangenen Humor wiederfinden und in lustigster Stimmung vollendeten wir unser so trübselig begonnenes Mahl. Erst jetzt im Zustand der Ruhe empfanden wir aber, wie uns der erbitterte Ringkampf mit dem reißenden Strome ermüdet hatte; die behagliche Wärme unseres Wachtfeuers förderte die physische Abspannung nur noch mehr und unbewußt; mit der Pfeife zwischen den Zähnen, nickten wir beide sanft und selig ein. Mit einem Mal fuhr ich aus meinem Dusel auf. Noch bevor meine schlaftrunkenen Augen sich in dem Gemisch von Licht und Dunkel zurechtfanden, stach mir ein eigentümlicher Geruch in die Nase – eines jener spezifischen Arome, denen man im Leben nur einmal begegnet zu sein braucht, um sie sofort wieder zu erkennen. Kurz gesagt: es war der unbeschreibliche Geruch der Pomade, womit die Ump-qua-Indianer ihr Haupthaar zu salben pflegen.
Diese Pomade ist eine Schmiere von Fischtran und verschiedenen Tierfetten, die, noch obendrein mit dem Kopfschweiß in Verbindung gebracht, einen wahren Teufelsgestank abgibt. Bekanntlich sind penetrante Gerüche imstande, einen Menschen aus dem Schlafe zu wecken und dies mag wohl auch bei mir zunächst der Fall gewesen sein. Genug: ich war wach geworden und das bleibt ja die Hauptsache, auf die es hier ankommt. Die Arme über die Brust gekreuzt, mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt – so war ich eingenickt und so saß ich jetzt noch da. Pierre dagegen, der auf der andern Seite des Feuers seinen Platz hatte, lag der Länge nach auf seinen Teppich hingestreckt und schnarchte, als ruh' er in Abrahams Schoß. Über den ahnungslosen Schläfer aber beugte sich wie ein schnüffelndes Raubtier die fast nackte Gestalt eines Indianers hin! Der zuckende Flammenschein unseres niedergebrannten Feuers beleuchtete in gespenstigem Spiel den schleichenden Mörder, der uns offenbar schon während unserer Mahlzeit beobachtet hatte und jetzt im Begriffe stand, zuerst Pierre und dann mich meuchlings niederzustoßen.
Nur ein blitzschnelles Handeln konnte das Messer ablenken, das sich vielleicht schon in der nächsten Sekunde in die Brust des dem Tode geweihten Schlachtopfers bohrte. »Pierre!« schrie ich auf, daß es gellend durch die Nacht hallte und im gleichen Atemzug stürzte ich auf mein Gewehr los. Was ich bezwecken wollte, war erreicht, denn auf meinen plötzlichen Schrei hin fuhr der Wilde, der mir halb den Rücken zukehrte, in jäher Verblüffung wie auf einer Drehscheibe herum und nun hatte er an seine eigene Haut zu denken.
Die Ump-qua-Indianer, wie schon erwähnt, gehören nicht allein zu den tückischsten, sondern zugleich auch feigsten Stämmen des roten Volkes und Toby hatte sie ganz richtig charakterisiert als »schofle Hunde, die von vorn nur im Notfall zubeißen, desto gefährlicher aber von hintenher sind.« Das bewährte sich auch hier. Kaum überblickte der meuchlerische Wicht die veränderte Situation, als er auch schon Fersengeld gab und mit ein paar Sprüngen zwischen den Büschen verschwand. So windschnell geschah dies, daß ich dem langbeinigen Strolche nur aufs Geradewohl eine Kugel nachjagen konnte.
Erst durch den krachenden Schuß kam Pierre vollends zu sich und in aller Hast berichtete ich ihm, wie nahe ihm das Messer an der Kehle gesessen hatte. Mit einer komischen Grimasse strich er sich über seinen Kopf hin, als wolle er sich davon überzeugen, ob der Pelz wirklich noch festsitze. » Foudre!« nickte er bedenklich vor sich hin: »Das wäre doch eine ganz verfluchte Geschichte gewesen, wenn uns der Schuft so mitten im Schlaf kaltgemacht und uns den Skalp über die Ohren gezogen hätte! Jetzt aber wollen wir vor allem zusehen, ob du den roten Halunken getroffen hast« … Ein brennendes Holzscheit in der einen – das Gewehr in der andern Hand, machten wir uns auf die Suche; einen Angriff brauchten wir für jetzt ja kaum mehr zu besorgen, denn die Eingeborenen dieses entlegenen Landstriches, deren Armatur damals noch in Pfeil und Bogen oder höchstens in einer alten Steinschloßflinte bestand, hatten, durch schlimme Erfahrungen gewitzigt, einen höllischen Respekt vor den überlegenen Schußwaffen der Bleichgesichter. – Unsere Streife blieb ohne Erfolg; der Flüchtling, wie seine Spuren es zeigten, hatte sich in die Tiefe des Waldes geschlagen. Übrigens war der Raubmord von ihm allein geplant gewesen, denn die Fußstapfen seiner etwaigen Begleiter hätten sich jedenfalls in dem weichen Moorboden ebenso abdrücken müssen wie die seinigen …
Daß wir für den Rest der Nacht die Augen sperrweit offen hielten, wird kaum zu bemerken sein. Nichts aber rührte oder regte sich.
Mit dem ersten Tagesschimmer machten wir – jetzt natürlich unter strengster Beobachtung all der Marschregeln, die der Buschkrieg vorschreibt – uns auf den Weg. Es galt, so rasch wie möglich das indianische Totenfeld zu erreichen, respektive einen der dort aufgestapelten Kähne als Rettungsboot zu besteigen, denn wehe uns, wenn wir heute, bevor die Sonne unterging, nicht im sichern Kreise unserer Kameraden drunten auf der Insel waren! Im andern Fall – das prophezeite uns eine innere Stimme – durften wir für die kommende Nacht, ob wachend oder schlafend, unsre Seelen Gott empfehlen. Bei der roten Teufelsbande gab es kein Erbarmen!
Ein Gefühl der Erlösung überkam uns, als endlich der Gräberberg vor unsern Augen auftauchte. Auch diesmal ringsum feierliche, geisterhafte Stille. Wir waren aber nicht in der Stimmung, uns empfindsamen Betrachtungen über Tod und Ewigkeit hinzugeben und so machten wir uns ohne alle Umstände an unser frevelhaftes Werk. Mehr als hundert Kanoes von jeder Größe und Gestalt boten sich uns zur Auswahl – aber mit der Wahl hatten wir auch zugleich die Qual, denn nicht ein einziger der Kähne, die wir von Grab zu Grab musterten, erwies sich in seinem momentanen Zustande als schwimmfähig. Wenn uns also eines dieser wracken Kanoes etwas nützen sollte, so mußten wir zuvor seine Schäden ausbessern. Und das kostete Zeit, während doch an jeder verlorenen Minute unser Leben hing.
Den Schabernack, den uns die vorsichtigen Rothäute spielten, in den tiefsten Abgrund der Hölle verfluchend, wandten wir uns der letzten Gräberreihe zu, in der schwachen Hoffnung, vielleicht noch ein Boot zu finden, das sich wenigstens am leichtesten flott machen lasse. Plötzlich winkte mir Pierre freudig zu und mit ein paar Sprüngen stand ich an seiner Seite. Mit aller Kraft zerrte er an einem Fahrzeuge, um es von seinem Sockel herabzureißen. »Pack an, Bob, daß wir den verdammten Klotz herunterkriegen!« Er lachte hell auf. » Mille cornes du diable! Werden die drunten auf der Insel Augen machen, wenn wir in diesem Schweinetrog angeschwommen kommen!«
Mit einem vereinten Ruck wippten wir den allerdings seltsamen Fund von seinem Postamente herab. Ein prüfender Blick erklärte mir die Freude Pierres: merkwürdigerweise war nämlich dieses Boot ganz und gar unversehrt. Mitten aus dem Stamm einer riesigen Zeder herausgehöhlt, glich das schwerfällige Vehikel, von dem Baustil des nordamerikanischen Indianerkanoes durchaus abweichend, viel eher den vorzeitigen Piroguen der westindischen Karaiben. Bug und Stern schweiften sich zu einem krausen Schnitzwerk aus; aber auch die Seitenwände hatte der naturwüchsige Zimmermeister zum Tummelplatz seiner Phantasie und seines Meißels gemacht und ringsum mit den grotesk-abenteuerlichen Gebilden von Menschen, Tieren und Pflanzen geschmückt. So plump und roh die Ausführung war, so bewunderungswürdig blieb die Geduld, die offenbar mit dem armseligsten Werkzeug dem spröden Material Das Holz der Oregon-Zeder ist hart wie Stein. einen solchen Gehorsam abgerungen hatte. Ohne Zweifel war die Pirogue weiland die Staatsbarke irgendeines ruhmreichen und mächtigen »Tyhe« Oberhäuptling. gewesen und teils scheue Ehrfurcht, teils das instinktive Widerstreben, ein solches Meisterwerk nationaler Kunst zu verstümmeln, hatte wohl die Stammesgenossen veranlaßt, hier von der gebräuchlichen Schadhaftmachung abzusehen. Trotzdem wäre unter minder günstigen Umständen das schwere Boot für uns unbrauchbar gewesen, denn sein Transport hätte unsere Kräfte weit überstiegen. Hier aber kam uns die Ortslage als helfende Bundesgenossin entgegen. Wie bereits erwähnt, war der Gräberhügel, der sich ziemlich steil gegen den Fluß hinabsenkte, gerade auf dieser Seite von den Indianern ganz und gar abgeholzt worden, so daß sich uns der kahle Abhang jetzt als eine prächtige Rutschbahn darbot, auf welcher sich das Fahrzeug mühelos hinabschaffen ließ. Wir hatten dabei nichts weiter zu tun, als mittels der Bugsierleine dafür zu sorgen, daß uns unsere Beute nicht entschlüpfe und dann in allzu stürmischem Tempo bergab kollerte.
Kurz und gut – binnen kaum einer halben Stunde schaukelte sich die Staatsbarke des hochseligen »Tyhe« lustig in dem Elemente, das sie seit wer weiß wie vielen Jahren nicht mehr geschmeckt hatte.
In nicht minder lustiger Stimmung schwangen wir uns an Bord, denn nach unserer Berechnung konnten wir lange vor Sonnenuntergang die Insel und das gastliche Dach unserer Freunde erreichen. Flink glitt die Pirogue mit der starken Strömung flußabwärts und wir brauchten sie nur im Kurs zu halten. Während Pierre am Steuer saß, kauerte ich, den Finger am Drücker meines Gewehres, vorn im Bug und ließ meine Augen links und rechts schweifen. Anfänglich waren wir darauf vorbereitet gewesen, von Minute zu Minute mit den Fischfressern Die weißen Ansiedler bezeichnen mit diesem geringschätzigen Beinamen die Ump-qua-Indianer, die sich tatsächlich zumeist von Fischen ernähren. zusammenzustoßen – doch nirgends eine Spur von ihnen! Über Wald und Strom brütete die gleiche feierliche, traumvolle Ruhe, die uns schon bei der Auffahrt mit ihrem geisterhaften Bann umstrickt hatte. Mehr und mehr befestigte sich in uns der Glauben, daß wir überhaupt keine Anfechtung zu besorgen brauchten. Vielleicht hatte meine Kugel den nächtlichen Marodeur dennoch getroffen und es ihm unmöglich gemacht, das Lager seiner Stammesgenossen zu erreichen; aber auch im entgegengesetzten Fall gab uns jetzt unser Boot einen weiten Vorsprung, denn während wir selber die glatte Wasserbahn vor uns hatten, so mußte der verfolgende Feind auf dem Uferwege die verschiedensten Hemmnisse überwinden.
Noch ein dritter Hoffnungsstrahl leuchtete uns.
Am Morgen unserer Abfahrt von der Insel hatte bekanntlich Toby noch im letzten Moment zu mir gesagt, daß er unter den Fischfressern einen kenne, der nicht ganz aus dem gleichen Galgenholz geschnitzt sei, wie seine übrigen Stammesgenossen. »Werd' dem Kerl eine Pinte Schnaps in die Gurgel schütten« – hatte Toby hinzugefügt. Er wollte sich noch näher erklären, aber Pierre war ihm in die Rede gefahren und somit ließ Toby es bei seiner Andeutung bewenden. Offenbar hatte er jenen Indianer dazu auserkoren, uns gegenüber die Rolle eines heimlichen Schutzengels zu spielen. Toby stand bei den Rothäuten in hohem Ansehen. Sie nannten ihn » Mis-ha-wau-ki« – die blanke Axt – und mit diesem sinnreichen Wortspiel wollten sie nicht bloß seine Beschäftigung, sondern zugleich auch seine kühl bedachtsame, im rechten Moment aber desto schneidigere und schlagfertigere Art charakterisieren.
Vielleicht (so schoß mir der Gedanke durch den Kopf) hatte er, weniger um Pierres, als um meinetwillen, durch jenen Indianer sogar dem ganzen Stamme eine Drohnote zukommen lassen, die für jedes Haar, das uns gekrümmt werde, blutige Abrechnung ankündigte. Und in diesem Fall durften die Rothäute wissen, daß mit der »blanken Axt« nicht zu scherzen war, denn auf das Wort des zähen Schwaben ließ sich ein Haus bauen … All diese Vermutungen und Konjekturen beschäftigten mich, während wir rasch und unbehelligt flußabwärts glitten. Was die Fahrt auf dem Conewago sehr erschwert, sind seine vielen und meistens scharfen Krümmungen, die zugleich mehr oder minder heftige Wirbel und Strudel bilden. An diesen Haken heißt es aufgepaßt und wir mit unserem trogartigen, unbotmäßigen Fuhrwerk hatten doppelt und dreifach bei der Hand zu sein. Doch Pierre – selbst sein Verächter Toby hätte es anerkennen müssen – war ein geübter Steuermann und mit eiserner Faust hielt er die störrische Barke im Zaum. Wohl schon ein Dutzend dieser kritischen Stellen hatten wir glücklich passiert, als uns die tückischen Wassergeister eine neue Schlinge in den Weg warfen. Wild übereinandergeschobene Felsmassen dämmten nämlich hier den Fluß fast zur Hälfte seiner bisherigen Breite ein und zwangen ihn, beinahe unter einem rechten Winkel von seinem Laufe abzubiegen. Die reißende Strömung, die sich aus dieser Spannung ergab, kannten wir von der Auffahrt her sattsam und schon hier hätte unsere Expedition ihr Ende erreichen müssen, wenn es uns nicht gelungen wäre, das Boot zu Land über die Schranke hinauszuschaffen. Jetzt natürlich lag die Sache für uns ungleich günstiger, denn wir schwammen ja diesmal mit dem Strome; aber auch die Gefahr war um so viel größer. Doch wir hatten keine Zeit, längere Betrachtungen anzustellen, denn schon schoß unsere Barke pfeilschnell in die unheimliche Wassergasse hinein. Während Pierre sich mit voller Wucht auf die Steuerpinne stemmte, machte auch ich die Arme straff, um im entscheidenden Moment mit meiner Ruderschaufel einzugreifen, denn wehe uns, wenn wir die Mitte des Fahrwassers und zugleich die Basis verloren, um in einem glatten Bogen um die verhängnisvolle Ecke herumzuschwenken!
» Jarnidieu – hold fast, Bob!« schrie mir, das Brausen der Wellen überbietend, Pierre in seinem französisch-englischen Kauderwelsch zu und schon in der nächsten Minute fegten wir wirbelnd an dem den Drehpunkt bildenden Riff vorüber, das wie ein auf der Lauer liegendes Raubtier nach uns zu schnappen schien. Triumphierend schwang Pierre seinen form- und farblosen Schlapphut, auch mir fuhr unwillkürlich ein Jubelruf aus der Kehle, denn nun lag das Schlimmste glücklich hinter uns und was die übrige Fahrstrecke noch an Schwierigkeiten und Plackereien bot, war verhältnismäßig leichte Arbeit. Mit einemmal – – –
* * *
Den Faden seiner Erzählung kurz abreißend, überblickte der Jäger mit einem humoristischen Lächeln den Zuhörerring, der sich allmählich immer enger und enger an ihn herangedrängt hatte. Er mochte sich vielleicht wie so ein altes Großmütterchen vorkommen, das irgendwo in einem Winkel des lieben Deutschlands abends beim flackernden Herdfeuer den atemlos horchenden Enkelkindern ein Gruselmärchen erzählt und ein schelmisches Behagen daran findet, just im Moment der höchsten Erwartung eine neckische Kunstpause eintreten zu lassen. Wohl war unter diesen Handelsleuten, die dem Erlebnis ihres Gastes so gespannt lauschten, kaum einer, der auf seinen Wanderfahrten durch diese gesetzlose Wildnis nicht schon selber ein Abenteuer auf Leben oder Tod bestanden hatte; aber gerade die eigene Erprobung setzte sie in den Stand, die Fatalitäten eines andern desto besser würdigen zu können und die schlichte Wahrheit, die aus jedem Wort des deutschen Jägers sprach, ließ sie erkennen, daß sie es hier nicht mit den Aufschneidereien eines Maulhelden zu tun hatten.
Die Geschichte – dies war schon längst das Vorgefühl des ganzen Zuhörerkreises – konnte sich schwerlich glatt abspinnen und jetzt, gerade an der Stelle, wo die Katastrophe, sozusagen, auf Spitze und Knopf schwebte, ließ der Erzähler in einem Anflug von schalkhafter Laune sein Auditorium mitten in der Luft zappeln! Schon wollte die Ungeduld sich in einem einstimmigen Murren entladen – doch mit einer Handbewegung zügelte der Gast die rebellierende Runde und auf seinen Gesichtszügen lag wieder der gewohnte Ausdruck von tiefem Ernst, als er weiterfortfuhr: »… Mit einem Male ließ Pierre, der eben noch lustig seinen Hut geschwungen hatte, den Arm sinken, als sei er jählings von einem Schlage gerührt worden! Im selben Moment stockte aber auch in meinen eigenen Adern das Blut!
Zum besseren Verständnis der Situation muß ich hier eine kurze topographische Erläuterung vorausschicken.
Der Stromlauf, wie schon bemerkt, bildete an dieser Stelle beinahe einen rechten Winkel und demzufolge war uns der Ausblick auf das jenseits der Biegung liegende Ufergelände nicht eher ermöglicht gewesen, als bis wir die scharf vorspringende Ecke umschifft hatten. Gleich hinter dieser Krümmung sackte sich das rechtsseitige Gestade des Flusses zu einer schmalen, aber ziemlich tiefen Bucht aus; eine Hügelwand schloß im Hintergrund dieses natürliche Hafenbecken ab … Nach dieser flüchtigen Ortsbeschreibung knüpfe ich wieder an den Moment an, der mir unvergeßlich bleiben wird – und wenn ich ein Alter von hundert Jahren erreichen sollte.« Sinnend nickte er vor sich hin. »Möge meinetwegen ein anderer behaupten, daß er dazu gelacht haben würde, wenn ihm, so wie es uns beiden geschah, plötzlich ein Geheul entgegengeschollen wäre, das aus dem Abgrund der Hölle emporzugellen schien! Ein betäubendes Konzert von siebzig – achtzig Indianerkehlen, Mann, Weib und Kind wild durcheinander – – dann eine sekundenlange Pause – – und dann stürmte, von neuem aufheulend, das volle Rudel in tollen Wolfssprüngen den Hügel herab und nach der Bucht hin, in welcher eine ganze Flottille von Kanoes lag … Augenscheinlich war die Überraschung eine gegenseitige gewesen, denn noch in demselben Moment, wo wir ahnungslos um die Stromecke bogen, hatte die Horde ebenso unvorbereitet im Grase gelagert. Das Weitere spielte sich in dem Zeitraum von kaum mehr als einer Minute ab. In stummer Verblüffung war zunächst die ganze Sippe auf die Beine geschnellt: im gleichen Augenblick hatten sie aber auch schon die geheiligte Barke ihres hochseligen »Tyhe« erkannt und ihr Wutgeheul ließ uns am besten erraten, wie sehr ihnen die schmachvolle Grabschändung zu Herzen ging. Der am Ump-qua und dessen Nebenflüssen hausende Stamm der Fischfresser gehört, wie schon mehrfach bemerkt, zu den feigsten Repräsentanten der roten Nation und ich glaube, daß die ganze Horde, die dort heulend und zähnefletschend den Hügel herabstürmte, sich unter gewöhnlichen Umständen kaum zu einem offenen und direkten Angriff auf uns beide ermannt haben würde, denn zu ihrer allgemeinen Mutlosigkeit gesellte sich ja noch ein ganz besonderer Respekt vor den mörderischen Feuerwaffen der Bleichgesichter. Hier aber war es der religiöse Fanatismus, der sie zu blinder Todesverachtung entflammte.
Dort schwamm die so frevelhaft geraubte Barke, die nicht nur als monumentales Kunst- und Wunderwerk den höchsten Stolz des Stammes bildete, sondern mehr noch – deren Verlust es dem Geiste des »Tyhe« geradezu unmöglich machte, beim dereinstigen Weckruf Manitous seine glorreiche Auferstehung zu feiern! – – So erklärte sich die an Raserei grenzende Erbitterung, womit Mann und Weib auf die in der Bucht liegenden Kanoes losstürzte, um das so schnöd entweihte Palladium zurück zu erobern.
Man hätte glauben dürfen, der wilde Grimm der Bande werde sich zunächst in einem Hagel von Geschossen entladen – doch nein! Weder Pfeil noch Kugel kam zu uns herübergeflogen und aus diesem Verzicht auf die einfachste und kürzeste Abrechnung ließ sich nur allzu gut erraten, was uns zwei Grabschänder eigentlich erwartete: der Marterpfahl mit all seinen grausigen Schinderspäßen, wie sie nur so ein Kollegium von rothäutigen Teufeln aushecken kann! Soweit ging der Rachedurst der in ihren heiligsten Gefühlen verletzten Horde, daß, während der Hauptklumpen sich zu unserer Verfolgung in die Kanoes warf, einzelne Hals über Kopf in den Fluß sprangen, um uns schwimmend nachzusetzen …
Das alles nun, was sich im Munde des Erzählers breitspurig anhört, war in seinem tatsächlichen Verlauf das Werk einer Zeitspanne gewesen, in welcher sich kaum ein Vaterunser beten läßt und noch glotzten Pierre und ich in einer Art von Betäubung uns gegenseitig an, als auch schon die ersten Kanoes, vollgepfropft mit der plärrenden, blutlechzenden Satansbrut, aus der Bucht hervorschossen und dann wie auf ein Kommando auseinanderflogen, um uns nach allen Seiten hin den Weg abzuschneiden.«
» Bless my soul!« rief eine Stimme aus dem Kreise der Zuhörer: »sagt, Bob, an was habt Ihr denn in jenem höllischen Moment eigentlich gedacht?« Die ernsten Augen des Jägers blickten nach der Stelle hin, von woher die interpellierende Stimme erschollen war. »Ihr wollt wissen, an was ich in dieser schwülen Pause zwischen Leben und Tod gedacht habe?« Er lächelte leicht vor sich hin, dann antwortete er in seiner schlichten Art: »Wenn ich ein Lügner – oder was so ziemlich auf das Gleiche herauskommt: wenn ich ein Romanschreiber wäre, so würd' ich mir jetzt nachträglich allerlei Gefühle und Empfindungen andichten, von denen ich damals in Wirklichkeit nichts verspürte. Wie aber die Fischfresser – als Ruderer und Bootsführer sind sie geradezu Virtuosen – in ihren leichten, schmalleibigen Kanoes links und rechts herangeflogen kamen, um uns in die Mitte zu nehmen – da mußt' ich mit einem Mal an Toby denken und ich glaubte ihn vor mir zu sehen mit all den Gepflogenheiten seiner knorrig-gemütlichen Natur: die Hände in den Hosentaschen, die Stummelpfeife im Mundwinkel und in den zwinkernden Augen die trocken humoristische Frage: ›Nanu, Junge, wie steht's jetzt?!‹« … Mit solch komischem Ton und Gesichtsausdruck hatte Robert die Sprechweise Tobys markiert, daß die zuhörenden Gesellen unwillkürlich laut auflachen mußten. Und schon griffen sie nach Glas und Flasche, um Toby – in dessen biderbem Wesen sich ja gleichsam ihre eigene kurzstielige Art spiegelte – durch eine zweite feuchte Ovation zu ehren: da drehten sich plötzlich, wie von einem elektrischen Funken durchzuckt, alle Köpfe nach einer und derselben Richtung hin – –
Im nächsten Moment stand schon die ganze Mannschaft auf den Füßen.
* * *
Quer über den Talgrund kam's herangesaust wie der dumpfe Hufschlag eines galoppierenden Geschwaders.
Die Shawnee-Indianer, deren Jagdgebiet, wie schon an anderer Stelle erwähnt, in diesem Landstrich liegt, sind ein Reitervolk und so war es in der ersten Verblüffung für die Handelsleute der nächste Gedanke, daß dort ein Schwarm dieser ebenso kühnen wie erbarmungslosen Steppenräuber herantollte, um sich nach altem Brauch wie eine Wetterwolke auf den überrumpelten Feind zu stürzen. Doch solche an Nervenproben aller Art gewöhnte Kumpane, wie der Vormann und sein Partner es waren, konnten sich nur für einen Augenblick verdutzen lassen – – dann stand schon jeder der stahlharten Kerle auf seinem Posten, und selbst einem alten preußischen Soldaten wäre wohl ein Wort der Bewunderung entfahren, wenn er gesehen hätte, wie – ohne Kommando, nur einem instinktiven Appell folgend – diese eben noch so harmlosen »Zivilisten« im Hui ein Carré formierten, fest gleich einem Gemäuer von Granit und bereit, nach jeder Flanke hin Donner und Blitz zu entladen. Diese angeborne Schlagfertigkeit ist einer der frappantesten Züge des amerikanischen Volkscharakters und äußert sich im größten wie im kleinsten. Die Erklärung liegt wohl darin, daß bei Bruder Jonathan der nationale Wahlspruch »Hilf dir selber« förmlich in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Kaum hatten sich zu Schutz und Trutz die alarmierten Handelsleute im Viereck aufgepflanzt, als auch schon die vermeintliche rothäutige Kavallerie aus dem Dunkel hervorbrach – – aber statt einer krachenden Salve scholl dem stutzenden Feinde ein homerisches Gelächter entgegen.
Ein Rudel Hirsche war's, das beim Anblick der gefoppten Phalanx nicht minder verblüfft zurückprallte, dann aber in wildester Flucht rechtsum machte und wie ein Wirbelwind wieder waldeinwärts stürmte. Der ausreißenden Gesellschaft eine Portion blaue Bohnen nachzuschicken, verbot zunächst schon die Rücksicht auf das im Talgrund weidende Zugvieh und die ausgestellten Wachtposten.
Auch Robert und Eva stimmten in die allgemeine Heiterkeit ein: sie dachten wohl an die famosen sieben Schwaben, die weiland ja gleichfalls in grimmiger Todesverachtung gegen einen aufspringenden Hasen ihren Spieß fällten.
Selbst Kehe-Paha ließ sich von der Komik dieses Intermezzos für einen Moment bewältigen, denn ein leichtes Lächeln glitt über die düstern, ehernen Gesichtszüge des jungen Pottawatamie.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die auf die Feuerjagd ausgegangenen Schützen das Hirschrudel zu seiner tollen Galoppade veranlaßt; immerhin aber blieb die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der plötzliche Ansturm des Wildes durch eine andere Ursache hervorgerufen worden war. Jedenfalls galt es, sich Gewißheit zu verschaffen, und sofort schickte der Vormann einige Patrouillen aus, um die Wachtposten zu revidieren und den näheren Umkreis des Lagers zu durchstreifen. Unter diesen Umständen dachte keiner mehr an eine Fortsetzung von Roberts Geschichte, und nicht minder war auch bei dem Erzähler selber die Stimmung verflogen. Die Rückkehr der Feuerjäger rief bald darauf den ganzen Troß vollends in die Gegenwart zurück und erinnerte zugleich daran, daß es Zeit sei, sich zur Ruhe zu begeben … Schon zuvor war Kehe-Paha bedacht gewesen, aus Zweigen eine Hütte für Robert und Eva zu erbauen, doch der Vormann der Karawane hatte dem treubesorgten Architekten sofort Einhalt geboten, indem er erklärte, er werde dem Ehepaar sein eigenes Zelt einräumen. Galant geleitete er denn auch jetzt seine Gäste zu ihrem so behaglich wie nur möglich hergerichteten Obdach, und ihren Dank schnitt er mit einem kordialen » Sleep well« kurz ab.
Wenige Minuten darauf war es in dem Lager still geworden. Auch dem Indianer hatte der gastfreundliche Vormann einen Unterschlupf in irgendeinem Zelte verschaffen wollen, doch ein stummes Kopfschütteln war Kehe-Pahas Antwort gewesen und mit einer Handbewegung hatte er zugleich angedeutet, daß er beim Feuer kampieren werde. In seinen Teppich gehüllt, die Füße der wärmenden Glut zugekehrt, bettete er sich in das feuchte Gras, als sei es ein Eiderdaunenpfühl. Auf die Wachsamkeit der ausgestellten Vorposten vertrauend, schlossen sich rings die müden Augen. Von den Bäumen rieselten in einförmigen Kadenzen schwere Tropfen, aus dem Gebüsch, das den Bach einsäumte, trillerte des Loons wunderlich verschnörkelter Lockruf, tief im Gras zirpte die Zikade ihren monotonen Singsang und vom Walde her flötete der Whipporwill, der melodischste aller nordamerikanischen Vögel, seine schmelzenden Noten, die in der Seele des Zuhörers unbewußt ein schwermütiges Echo erwecken. Mit diesen Stimmen der Nacht mischte sich zeitweise das kurze Wiehern oder Blöken der weidenden Pferde und Ochsen. Sonst geisterhafte Ruhe über diese ganze Urnatur hin!
Alles schlief. Von der Feuerstelle her tremolierte der schwere Atemzug Kehe-Pahas: ist es ja ein charakteristisches Merkmal, daß keine andere Rasse einen scheinbar so dumpfen Schlaf hat, wie eben die indianische.
Alles schlief. Doch nein! Einer wachte. In seinem Zelte, dessen Vorhang halb beiseite geschoben war, lag er auf den Rücken hingestreckt, und mit starren Augen brütete er zum Himmel hinauf, an dem die zerrissenen Wetterwolken in wilder Hast dahinflatterten, kaum da und dort eine schmale Lücke bietend für ein einsam flimmerndes Sternlein. Von dem frischen Steppenwind umspielt, verzehrte sich allgemach das Lagerfeuer – – da kroch eine dunkle Gestalt gegen das Zelt hin, in welchem der deutsche Jäger mit Weib und Kind der Ruhe pflog. Im Schatten eines Sassafrasstrauches richtete sich der scheue Schleicher empor; einen Moment horchend, hob er eben den Fuß, um sich weiterzuschieben, doch ebenso rasch duckte er sich wieder hinter den schützenden Strauch, denn in dem Zelte des Jägers hatte sich der Hund knurrend geregt. Erst nach einer Weile reckte sich der unheimliche Nachtwandler wieder behutsam in die Höhe – im selben Moment legte sich eine Hand auf seine Schulter. Erschrocken fuhr er herum: vor ihm stand Kehe-Paha, der bei den ersten Lauten des Hundes, wie von einem elektrischen Schlage berührt, auf seine Füße geschnellt war. »Was sucht mein blasser Bruder?« fragte er in seinem gebrochenen Englisch und in dem Flüstertone, der, unbekannten oder verdächtigen Personen gegenüber, dem Indianer so eigen ist.
»Was kümmert's dich, Rothaut?« gab der andere, der inzwischen seine Fassung wiedergefunden hatte, unwirsch zurück. »Ich will mir einen Trunk Wasser holen,« warf er erklärend hin und deutete dabei auf die Korbflasche an seiner Seite. »Fließt das Wasser in dem Wigwam des bleichen Mannes?« entgegnete mit leisem Spott der Pottawatamie und seine scharfen Adleraugen fixierten forschend den nächtlichen Ruhestörer. Sein Finger wies nach dem Bache hinüber. »Ist das Ohr meines Bruders mit dem Wachs der wilden Biene verklebt, daß es nicht hören kann die rufende Stimme Nagi-Nagas Wörtlich: »der nasse Geist«. Also ein Anklang an den Wassernix, wie er in der Dämonologie der germanischen Völker eine so wundersame Rolle spielt.?«
Wortlos wandte sich der andere dem Bache zu. Ebenso still, wie er aufgetaucht war, verschwand Kehe-Paha im Dunkel der Zeltgasse …
Als Stephen, der ruhelose Nachtwandler, vom Bache nach seinem Zelte zurückkehrte, ließ er seinen Blick suchend umherschweifen: dort am verglimmenden Feuer lag, in seinen Teppich eingewickelt, der Indianer wie ein harmloses Lamm. Er schien schon wieder fest zu schlafen.
* * *
Kaum graute im Osten der Tag, als auch schon der dröhnende Weckruf, den der Vormann einem Büffelhorn entlockte, das ganze Lager alarmierte. An die Stelle der bisherigen Ruhe trat ein geschäftiges Durcheinander. Die Zelte wurden abgebrochen und die über den Talgrund hin zerstreuten Pferde und Ochsen zusammengetrieben. Andere wiederum belebten das niedergebrannte Feuer zu neuer Glut und machten sich an die Zubereitung des Frühstückes. Mit scharfem Auge das bunte Getriebe überwachend, hatte der Vormann bald da, bald dort mit Wink und Wort einzugreifen.
»Zum Teufel, wo steckt denn der Dutchman?« wandte er sich mit einemmal an einige der Handelsgenossen, die ihm gerade in den Weg kamen.
Nach einem kleinen Zelte hindeutend, das mitten in dem allgemeinen Aufbruch noch unberührt dastand, gab einer der Kaufleute eine kurze Antwort.
»Wie? was?« rief erstaunt der Vormann: »Stephen ist krank geworden? Er war doch gestern noch ganz gesund und wohlauf!«
Sam Jenkins, ein Tuchhändler aus Connecticut, zuckte gleichmütig die Achsel und entgegnete: »Well, dort liegt er in seinem Zelte und klappert mit den Zähnen. Schon gestern abend hat er über Fieberfrost geklagt und in der Nacht muß er wohl auch phantasiert haben, denn seine Nachbarn hörten, wie er sich auf seinem Lager umherwarf und dabei wirr vor sich hinredete.«
Ohne sich mit weiteren Fragen aufzuhalten, schritt der Vormann nach dem Zelte hin, in welchem der Kranke ruhte. Den Vorhang emporhebend, streckte er seinen Kopf in den Spalt. »Na, Stephen,« sagte er teilnahmsvoll: »wie ich höre, seid Ihr unpaß geworden!«
Ein mattes Nicken war die stumme Antwort des Patienten, der sich bis zur Nasenspitze in seine Decken verkrochen hatte.
»Ist 'ne verfluchte Geschichte!« brummte der Vormann in seinen Bart hinein: »Auf dem Sattel könnt Ihr Euch in diesem Zustande nicht halten, und so wird wohl nichts zu tun sein, als Euch in einen der Packwagen zu betten.«
Mit einer abwehrenden Bewegung unterbrach der Kranke den besorgten Helfer. »Habt Dank, Sir, für Eure Freundlichkeit!« murmelte er: »laßt mich aber ruhig hier liegen, denn die Fahrt auf dem holprigen Waldwege würde mir eine Höllenqual bereiten. In meinem Gehirn sticht und brennt es« – – ächzend preßte er die Hand auf seine Stirne.
»Zum Henker!« eiferte der gutmütige Vormann: »Ihr könnt doch nicht mutterseelenallein hier mitten in der Wildnis liegen bleiben.«
»Da wird zu helfen sein!« ertönte eine Stimme.
Der Vormann wandte sich um und gewahrte den deutschen Jäger, der gleichfalls das Gerücht von der plötzlichen Erkrankung des Holländers vernommen und sich aufgemacht hatte, um das Nähere zu erfahren.
»Laßt den Mann getrost zurück, wenn es sein Wille so ist,« sagte er zu dem Chef der Handelstruppe: »Ich verspreche Euch, daß er von mir nach besten Kräften verpflegt werden soll.«
Ein verdrießlicher Ausdruck malte sich in dem verwitterten Gesicht des alten Kauffahrers, dann winkte er den Jäger beiseite. » Why, Bob,« brummte er in vorwurfsvollem Tone: »Ihr machtet mir gestern abend doch selber das Anerbieten, heute nochmals unser Führer sein und uns auf kürzestem Wege durch den Wald bringen zu wollen. Nun aber nehmt Ihr mit einemmal Euer Wort zurück und« – – –
» Never mind, Sir!« unterbrach der Jäger den verstimmten Alten: »was ich Euch zugesagt habe, werd' ich auch getreulich halten, unbeschadet meiner Erklärung, daß ich Euern kranken Kameraden nicht eher verlassen will, als bis er imstande ist. Euch nachzufolgen.«
»Am Ende versteht Ihr gar die Kunst, Euch in zwei Hälften zu teilen?« lachte der versöhnte Vormann.
» Why not?« meinte in gleich scherzhafter Weise der Jäger: »Kehe-Paha wird mein Stellvertreter sein und der Tausch braucht Euch keine Sorge zu machen, denn der Pottawatamie kennt hier herum jeden Weg und Steg ebenso genau, wie ich selber.«
» Goodness gracious!« wandte der Alte bedenklich ein: »Stephen kann Euch aber doch nicht zumuten, daß Ihr hier Tage, vielleicht Wochen lang sitzen bleibt und abwartet, bis der Mann wieder gesund ist.«
»So lange soll die Kur auch nicht dauern,« beruhigte der Jäger den wohlmeinenden Chef der Handelskolonne: »Ich weiß ein prächtiges Rezept für das Fieber, und da die nötigen Arzneimittel hier in Hülle und Fülle wachsen, so will ich sogleich meine Apothekerkünste versuchen, und Ihr sollt mich einen schlechten Mann nennen, wenn ich Euern Kameraden nicht binnen vierundzwanzig Stunden auf die Beine stelle, so daß er Euch gesund und munter wieder nachzureiten vermag. Und den Weg kann er nicht verfehlen, denn er braucht sich ja nur an die Spur der Räder und Pferdehufe zu halten.«
»Bob, Ihr seid nicht nur ein Ehrenmann, sondern auch ein Christenmensch durch und durch!« sprach der Alte, und in der Erinnerung an den beleidigenden Empfang, den er am Abend zuvor dem Jäger hatte zuteil werden lassen, drückte er jetzt dem wackeren Deutschen in desto tieferer Gemütsstimmung die Hand. » Very well, Bob! very well!« polterte er, um seine innere Zerknirschung zu maskieren, und hastig wandte er sich wieder dem Zelte zu, in welchem der Kranke lag. In kurzen Worten teilte er diesem mit, daß er jetzt getrost zurückbleiben könne. »Stephen,« schloß er und deutete nach dem Jäger hin: »ewigen Dank schuldet Ihr diesem braven Manne hier, denn ohne ihn müßtet Ihr Euch auf Leben und Tod weiterschleppen lassen, oder aber in dieser öden Wildnis wahrscheinlich elend umkommen. Mit dem besten Willen könnten wir keine Stunde uns um Euretwegen aufhalten, denn wir haben uns so wie so gehörig zu sputen, wenn wir noch rechtzeitig zur Messe in Santa Fé eintreffen wollen.«
»Bleibt nur ruhig liegen und faßt guten Mut«, wandte sich der Jäger freundlich an den kranken Mann: »sowie Eure Kameraden aufgebrochen sind, werd' ich Euch eine Arznei zurechtmachen und morgen schon – das versprech' ich Euch – könnt Ihr aufstehen und im Trab und Galopp Euren Kameraden nachreiten.«
Ein mattes Lächeln glitt über das Gesicht des Holländers hin und mit leiser Stimme murmelte er einige Worte des Dankes. – –
Kaum war das Frühstück eingenommen, als die Kolonne sich auch schon in ihre gewohnte Marschordnung rangierte: die Packwagen in der Mitte, vorn und hinten gedeckt durch die Reiter. »Lebt wohl, Bob! Lebt wohl, Frauchen!« rief, seinen Gaul nochmals umwendend, der Vormann dem treuherzigen Ehepaar zu und auch die übrigen Handelsleute nickten wie auf ein stilles Kommando einen letzten Gruß herüber. Dann setzte sich, den Indianer als Wegweiser an der Spitze, die Karawane in Bewegung und bald war sie im Dunkel des Waldes verschwunden. Noch eine Weile trug der Morgenwind das Knarren der schwerfälligen Räder oder ein helles Wiehern der frischgekräftigten Pferde aus der Ferne her. Immer leiser und leiser – – dann erstarb der letzte Ton und über der so flüchtig belebten Wildnis brütete wieder jene geisterhafte Ruhe, die in den Elegien des amerikanischen Dichters Longfellow einen so tief ergreifenden Ausdruck gefunden hat … Wenn sonst keine Hindernisse dazwischentraten, konnte Kehe-Paha gegen Abend wieder auf der Lagerstelle eintreffen, denn der Rückweg gestattete ihm ja eine ungleich raschere Gangart. Seinem nächtlichen Intermezzo mit Stephen hatte der Pottawatamie keine weitere Bedeutung beigelegt und darum auch, noch dazu im geschäftigen Durcheinander des Aufbruchs, es als interesselos erachtet, den an und für sich ja so unwichtigen Vorfall zur Kenntnis Roberts zu bringen. Die gleichgültige Auffassung Kehe-Pahas erklärt sich übrigens leicht genug. Der angebliche Durst, der den Holländer von seinem Lager aufgescheucht hatte, war ein so natürlicher Beweisgrund gewesen, daß ihm gegenüber das anfängliche Mißtrauen des Indianers jeden vernünftigen Halt verlieren mußte; die am Morgen sich verbreitende Kunde von der schweren Erkrankung Stephens rechtfertigte vollends sein Verlangen nach einem kühlenden Trunke. Die um die Person des fragwürdigen Doppelgängers sich drehende Unterredung zwischen Robert und Eva war aber, da in deutscher Sprache geführt, für Kehe-Paha begreiflicherweise unverständlich geblieben.
* * *
Gleich nach dem Abmarsch der Karawane hatte sich Robert aufgemacht, um die Arzneipflanzen zusammen zu suchen, die durch einen energischen Schnellprozeß dem zurückgebliebenen Patienten schon am nächsten Tage die Weiterreise ermöglichen sollten. Das Glück begünstigte den Jäger bei seinem Samaritergeschäfte und in kurzer Zeit erbeutete er die verschiedenen Gewächse, die er zur Herstellung seines Elixiers benötigte. Wohlgemut lenkte er seine Schritte nach dem Zelte des kranken Mannes, um diesem, gewissermaßen zur trostsamen Vorkur, das heilkräftige Kräuterbündel zu zeigen und zugleich nach seinen etwaigen Wünschen zu fragen. Der Patient versuchte sich mühsam von seinem Lager aufzurichten. »Ich ersticke hier in diesem dumpfen Zelte,« stöhnte er in englischer Sprache: »bringt mich hinaus ins Freie.«
Dienstwillig bog sich Robert nieder, um seinem Pflegling stützend unter die Arme zu greifen: da schnellte, jäh wie ein Blitz, der vermeintliche Kranke auf seine Beine – von einem Faustschlag getroffen, taumelte der so tückisch überfallene Jäger rücklings in eine Ecke des Zeltes – er will sich aufraffen – – – noch rascher aber schwirrt in der Hand des andern die blanke Messerklinge herab und bohrt sich bis ans Heft in die Brust des so schmählich gelohnten Wohltäters. In weitem Bogen zischt aus der klaffenden Todeswunde ein Blutstrahl empor. Mit wildem Hohngelächter beugt sich der elende Mörder über sein Opfer hin. »Kennst du mich jetzt? Kennst du jetzt den Gerhard, den du damals ins Zuchthaus und um die Eva gebracht hast?«
Röchelnd suchte sich der Unglückliche aufzurichten, doch mit einem brutalen Fußtritt streckte ihn der erbarmungslose Mörder wieder zu Boden. »Und jetzt ist die Eva dennoch mein!« Mit glühenden Augen verfolgte er den Todeskampf seines einstigen Widersachers.
»Gnade, Gerhard! Gnade für Eva! sie ist – –«
Ein Blutsturz erstickte die weitern Worte des sterbenden Mannes. »Gnade?!« spottete der Mörder: »Gnade?! Hast auch du die gekannt, als du mich an die Kette brachtest? Hat auch Eva Gnade gekannt, als sie mich wie einen räudigen Hund von sich stieß?« Ein Lachen, wie aus dem tiefsten Abgrund der Hölle, entrang sich den Lippen Gerhards.
»Ich habe nur meine Pflicht getan,« röchelte mit brechender Stimme der Jäger: »aber Eva – Eva – sie und mein Kind – – –«
»Robert!« rief's hell aus der Ferne her und der Mörder erbebte unwillkürlich, während die erlöschenden Augen des gemeuchelten Mannes sich mit einem geisterhaften Ausdruck der Richtung des Rufes zuwandten.
»Robert!« scholl es nochmals wie im Drang einer plötzlichen seelischen Unruhe. Rasch goß sich Gerhard den Inhalt seiner Feldflasche über die Hände, um die Blutspuren zu entfernen: noch einen Blick voll satanischen Triumphes warf er auf sein in den letzten Todeszuckungen sich ausatmendes Opfer – – dann verließ er das Zelt und schritt dem Weibe entgegen, das er soeben zur Witwe gemacht hatte.
Bei seiner Annäherung wich die junge Frau unwillkürlich einen Schritt zurück. Auch Gerhard blieb stehen; die Arme über die Brust kreuzend, fixierte er mit einem unbeschreiblichen Blick voll Hohn und verzehrender Glut zugleich das Idol seines einstigen wildleidenschaftlichen Werbens. »Eva, kennst du mich jetzt?« Er frug's in der Mundart ihrer gemeinschaftlichen Heimat. Erbleichend schauerte sie zusammen, denn in demselben Moment hatte sie an seinem Kleide Blutspuren entdeckt.
»Wo ist mein Robert?« stieß sie hervor.
»Der ist im Himmel – oder in der Hölle!« antwortete der Meuchelmörder mit dumpfer Stimme.
»So bist du doch der Gerhard?« schrie die junge Frau auf und taumelnd griff sie mit den Händen in die Luft, als suche sie nach einem Halt.
»Ja, ich bin der Gerhard!« Er trat auf sie zu.
»Zurück, Mörder!« Und mit gespenstig leuchtenden Augen haschte das eben noch betäubte Weib nach der Büchse des Gatten, die seitwärts an einem Baume lehnte.
»Eva, fühlst du kein Erbarmen mit mir?« Die Stimme des Verbrechers zitterte. Er deutete rückwärts nach dem Zelte hin. »Wär' mir der dort aus dem Wege geblieben, so hätt' es anders kommen können! Eva, ich hab' dich geliebt wie keiner, und dein Name wird einmal mein letzter Todesseufzer sein … Eva« – quoll es in wachsender Erregung über seine Lippen – »in deiner Gewalt hätte es gelegen, aus dem wilden Gerhard einen guten, glücklichen Mann zu machen. Aber du hast es nicht gewollt. Denkst du noch daran, wie der stolze Gerhard, der sich vor keinem Kaiser und König gebeugt hätte, um ein freundliches Wort von dir bettelte, wie ein Hund um ein Stückchen Brot? Aber kalt und erbarmungslos hast du mich zurückgewiesen.«
In ihrer körperlichen und seelischen Lähmung hatte Eva regungslos die stürmische Anklage Gerhards hingenommen. Mit einemmal schien sie aus ihrer dumpfen, weltentrückten Erstarrung zu erwachen – – schon im nächsten Moment knackte der Hahn der auf den Mörder gerichteten Büchse. »Ich könnte dich jetzt töten, wie du mir den Gatten getötet hast!« Langsam ließ sie die vergeltende Waffe sinken. »Nein! Ziehe deines fluchbeladenen Weges! Meine Rache übertrage ich dem Himmel.«
Wie eine überirdische Erscheinung stand sie vor dem bleichen Mörder. Die Morgensonne verklärte die durch den Schmerz geheiligte Frauengestalt mit einer magischen Glorie. Zu ihren Füßen schlummerte in ahnungsloser Unschuld ihr Kind – das Ebenbild seines gemeuchelten Vaters. »Eva, Eva, erbarme dich meiner!« Mit gebeugtem Knie, in den glühenden Augen den dämonischen Aufruhr seiner Seele, blickte der elende Mann zu dem Gegenstand seiner unseligen Leidenschaft empor. »Erbarmen, Eva! Stoße mich nicht zurück! Laß mich wenigstens dein Knecht sein!« Er preßte seine zuckenden Lippen auf den Saum ihres Gewandes.
Entsetzt wich sie zurück, als habe eine giftige Schlange sie berührt. Er umklammerte ihre Füße. »Was willst du hier beginnen, Eva – hier in dieser ungeheuren Einsamkeit?«
Sie deutete nach der Himmelsrichtung, die der reisige Zug eingeschlagen hatte. »Dort liegt dein Weg – laß mich den meinigen wandeln.« Sie bog sich nieder, um ihr Kind aufzuheben.
Mit einem heisern Schrei fuhr der Mörder in die Höhe, in eisernem Griff umklammerte seine Hand den Arm des jungen Weibes. Wilder, grausamer Trotz sprühte aus seinen Augen. Er war wieder ganz der alte Gerhard, der nur zweierlei kannte: Biegen oder Brechen. »Mag Gott oder der Teufel mein Richter sein!« knirschte er: »Weib, ich habe dich mit Blut erkauft und jetzt bist du mein!«
Mit übernatürlicher Kraft riß sich Eva los – schon in der nächsten Sekunde funkelte in ihrer Hand ein Messer. »Feiger Mörder, vollende dein teuflisches Werk!« Sie schleuderte ihm das Messer vor die Füße. »Schlachte auch mich und mein Kind ab, denn was soll für uns das Leben noch bedeuten?« Es war, als breche der eben noch so gewalttätige Mann jählings in sich selber zusammen. »O, Eva!« murmelte er mit tonloser Stimme: »Dein Bild ist mir gefolgt aus der deutschen Heimat bis über das Meer; bei meinen Wanderungen auf diesem Erdteil war es der Stern, der meine Nacht erhellte … Robert ist tot. Er – oder ich! Einer von uns beiden war zu viel! Werde mein Weib, Eva, und ich will dein Sklave – dein Hund sein!« Sein Gesicht in die Hände vergrabend, brach der zuchtlose Mann in ein krampfhaftes Weinen aus. Schweigend, wie in einem dumpfen Traume heftete sie ihren Blick auf den Unseligen: dann flog ihr starres Auge über die einsame, unermeßliche Wildnis hinaus – gegen Sonnenaufgang, gegen die deutsche Heimat. Sie berührte die Schulter Gerhards.
Leichenblässe bedeckte ihre Züge und ein leises Zittern ging durch ihre Stimme, als sie sagte:
»Unseliger, kannst du Liebe verlangen, wo du Haß gesäet hast? Verwirrt der Wahnsinn dir dermaßen den Kopf, daß du zu einem Weibe von Liebe und Hingebung zu sprechen wagst, dem du den Gatten und Beschützer ermordet, feige, meuchlerisch ermordet hast!?«
Gerhard war unter der Berührung von Evas Hand wie elektrisiert aufgesprungen. Seine glühenden Augen bohrten sich förmlich in die ihren, als wolle er in ihrer Seele lesen, ob nur ein Funke von Gewährung darin aufzuglimmen im Begriff sei. Gute Genien der Reue, der Liebe berührten mit ihrer Friedenspalme für einen Augenblick das Haupt des rohen, verwilderten Mannes, ein Strahl freudiger Hoffnung zuckte in ihm auf und wer weiß, welche Wandlung der Charakter Gerhards erfahren hätte, wenn Eva seinen stürmischen Bitten Gehör gegeben hätte und die Seine geworden wäre. Doch dieses Wunder – und wie anders hätte man es wohl bezeichnen mögen, wenn die Urwaldbäume das Schauspiel hätten erleben müssen, daß Eva den Mörder ihres Gatten liebend in die Arme schloß – dieses Wunder sollte nicht eintreten, um das Herz Gerhards zu wenden. Die guten Engel flatterten scheu zurück und das Verhängnis sollte seinen Fortgang nehmen.
Gewährung, Liebe war es wahrlich nicht, was Gerhard in den fest auf ihn gerichteten Augen Evas lesen konnte, auch aus ihren Worten klang sie nicht heraus und der Mörder schlug wie ein beschämter Schulknabe vor dem Feuerblick einer schwachen, hilflosen Frau die Augen zu Boden.
Gerhard erfaßte Eva mit hastigem, leidenschaftlichem Griffe am Handgelenk und drückte es in seiner Erregung so fest zwischen seinen rauhen Fingern zusammen, daß sich ein leichter Schmerzensschrei den Lippen der jungen Frau entrang.
»Eva,« stöhnte er, »ich beschwöre dich, denke an unsere Jugend, denke an unser Heim im deutschen Vaterlande! Wir sind Kinder einer Stadt, wir sind zusammen aufgewachsen und haben zusammen gespielt. Du weißt, daß ich nicht schlecht bin von Natur. Die Menschen haben mich schlecht gemacht. Und du – du selbst, Eva, – trägst die Hauptschuld daran. O Eva, wenn du wüßtest, wie glühend ich dich geliebt habe, wie meine Augen dir auf allen deinen Wegen folgten, von den Tagen an, da wir zusammen auf derselben Schulbank von deinem Vater unterrichtet wurden! – Hättest du zu rechter Zeit den – den da drinnen im Zelte« – ein leichter Fieberschauer schien bei diesen Worten den Körper Gerhards zu schütteln – »aufgegeben, hättest du mir, mir deine Hand gereicht, – beim allmächtigen Gott, ich wäre ein anderer Mensch geworden und du säßest vielleicht jetzt daheim ruhig und zufrieden, inmitten all der Umgebung, an die du von Jugend auf gewohnt warst, und –«
»Und hätte täglich, stündlich die Qual, in dein Gesicht blicken zu müssen!« unterbrach ihn Eva mit zornbebender Stimme, indem sie mit raschem und heftigem Rucke ihren Arm aus seinem Griffe befreite. »Nein, nein, tausendmal nein! Lieber tot, wie mein Robert, als in deiner Nähe! O Gott, warum mußten auch hier, wo Raum für Millionen von Menschen ist, unsere Wege sich kreuzen!«
Es sprach ein solch unendlicher Widerwillen, ein solch bitterer Haß gegen Gerhard aus den in der heftigsten Erregung ausgestoßenen Worten des unglücklichen Weibes, daß der Mörder vor Zorn die Fäuste ballte und sich auf die Lippen biß, daß sie bluteten. Und der Zorn riß ihn zu blinder Leidenschaft fort. Ein unheimliches Feuer brannte in seinen Augen und seine Brust wogte in furchtbarer Erregung auf und nieder.
»Eva, Eva, du mußt mein werden, du mußt!« rief er mit heiserer Stimme. Im Nu hatten seine Arme den schlanken Körper Evas umschlungen, die Dämone der wildesten Gier leuchteten in seinen Augen auf, die Unglückliche hörte das wilde Keuchen seiner Brust dicht an ihrem Ohre, sein glühender Atem streifte ihre Wange – und ringsum war alles still, kein menschliches Wesen in der Nähe, keine Hilfe für das arme, bedauernswerte Weib, das dicht bei dem Leichnam ihres gemordeten Gatten im verzweifelten Ringkampfe ihre Frauenehre gegen die Angriffe des im Sinnenrausch halb wahnwitzigen Mörders verteidigte.
Das Kind war aufgewacht und schrie laut und kläglich. Die Stimme des hilflosen kleinen Wesens gab Eva neue Kraft. Mit lauter, gellender Stimme, welche in dem stillen Walde, der den Schauplatz dieser furchtbaren Szene umsäumte, einen grausen Widerhall fand, schrie sie:
»Gerhard, Gerhard – denke an Gottes Strafgericht. Ich – ich – trage ein Kind unter meinem Herzen!«
Einen Augenblick bedeckte fahle Blässe das von wildester Erregung gerötete Gesicht des Mörders. Es zuckte wie ein plötzliches Erschrecken durch seine Züge und der feste Griff, mit welchem er den Leib Evas umschlungen hielt, lockerte sich ein wenig. Behende benützte Eva diesen Augenblick. Mit Blitzesschnelle hatte sie ihren schlanken, elastischen Körper den Armen Gerhards entwunden, ein kräftiger Stoß von der kleinen, aber in harter Arbeit gestählten Hand ließ ihn einige Schritte zurücktaumeln und ehe er es verhindern konnte, war Eva auf das schreiende Kind, von dem sie sich während des furchtbaren Ringens entfernt hatte, zugestürzt und hatte dasselbe aufgerafft. Sie drückte es fest an ihre Brust, als wolle sie von dem heiligen Engel der Unschuld, der in der Brust des kleinen Wesens lebte, Hilfe gegen den Unmenschen erflehen. Und in diesem Augenblicke verließ sie auch ihre physische Kraft. Während Gerhard noch momentan verblüfft über seine augenblickliche Niederlage mit fliegendem Atem, die Augen wild im Kopfe rollend, auf der Stelle gebannt stand und mit halb irrem Ausdrucke auf Eva starrte, war diese auf die Knie niedergestürzt und – ein Strom von Tränen machte ihrem gequälten Herzen Luft. Das zu Tode geängstete Weib hatte in ihr Überhand gewonnen über die ihre Frauenehre verteidigende Heldin, und, während ein krampfhaftes Weinen jede Muskel ihres Körpers erschütterte, hob sie das kleine Kind hoch empor zum tiefblauen Morgenhimmel, der so unbegreiflich heiter und ruhig auf die grauenhafte Szene herablächelte und mit bebenden Lippen, mit vor Schluchzen halberstickter Stimme stieß sie hervor:
»Gott, Gott – allgütiger Gott, rette mich, oder laß mich tot zu Boden sinken und nimm auch das arme Wesen zu dir, das ich in meinen Armen halt! Robert – Robert« – und ihre Stimme nahm hier einen fast kreischenden Ton an, der grauenhaft mit der ringsum herrschenden Stille kontrastierte. »Du siehst auf mich und das Haupt deines unschuldigen Kindes herab. So wahr du guter, treuer, edler Mann jetzt vor Gottes Thron stehst, flehe ihn an um ein Wunder, das uns rettet, ach – – nur ein Wunder kann uns retten! – – Hilf, hilf Robert!«
Was war das? Weshalb überzog Totenblässe das Gesicht des feigen Mörders in diesem Augenblicke? Was war's, was sein Blut von wahnsinnigem Entsetzen in den Adern gerinnen machte? Was jagte den Todesschreck durch seine Glieder, daß sie flogen wie Espenlaub? – –
»Eva – Eva« – – –
War das eine Stimme aus dem Geisterreiche?! Sie klang so hohl, so schauerlich. Und wieder ächzte es: »Eva – Eva!« Ein leises Rascheln im Laube von der Stelle her, wo die Leiche des Ermordeten still und stumm im Zelte lag.
Mit einem gellenden Schrei hatte Eva das Kind, das sie noch im Arme hielt, auf den Boden niedergelegt und ihre Augen der Stelle zugewandt, von welcher die ebenso unheimlichen, wie unerwarteten Laute erschollen. Auch Gerhard blickte in derselben Richtung und seine Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen in stummem Entsetzen.
Der Anblick, den beide hatten, war in der Tat grauenhaft genug, um selbst hartbesaitete Seelen zu erschrecken. Die Öffnung des Zeltes hatte sich geteilt. Ein Haufen von dem trockenen Laube, das den Boden desselben bedeckte, schien von menschlicher Hand vorgeschoben worden zu sein. Das Laub war getränkt mit Blut. Dicht über demselben erhob sich der Kopf eines Menschen, dessen Oberkörper halb aus der zurückgeschlagenen Leinwand der Zeltöffnung hervorsah. Es schien der Kopf eines Leichnams zu sein, so blaß, so fahlgelb war die Farbe des Gesichtes, so grauenhaft verzerrt die Züge, so starr die Augen, so eingesunken die Lippen des halbgeöffneten Mundes. Und doch – die Augen schienen noch zu leben, denn sie bewegten sich in den Lidern, und die Lippen zuckten, als wollten sie sprechen.
Ja, zittere nur, feiger, ruchloser Mörder – – die Toten stehen auf. Eile, eile, Eva, knie nieder an der Seite deines unglücklichen Mannes! Vielleicht läßt sich der Blutstrom noch hemmen, der über die Brust des in knieender Stellung aus dem Zelte hervorlugenden Mannes herabfließt. Eile, eile und küsse die bleichen Lippen, presse deine Hand auf die klaffende Wunde, lege das Haupt des geliebten Mannes wieder auf das von seinem Blute gefärbte Laub und wasche sein blutiges Antlitz mit deinen Schmerzenstränen. Vielleicht ist's noch Zeit. Vielleicht traf der Stahl des Mörders nicht tief genug, vielleicht ist dir und dem bleichen Manne, der jetzt elend in seinem Blute liegt, von einem freundlichen Geschick noch vergönnt, daß ihr gemeinsam durch Wälder und Prärien schweifen sollt, wie in kaum vergangenen, glücklichen Tagen, daß ihr wie früher in stillen Abendstunden zu dem klaren, südlichen Sternenhimmel emporblicken sollt, lauschend dem Liede des Spottvogels und des melancholischen Whipporwill, träumend von den Abenden unter der heimischen Linde, wo der Nachthimmel zwar nicht so klar gewesen, doch wo der süße Zauber der Heimat jeden Gegenstand so wonnig verklärt!
Nein – die Wege des Geschickes sind unerforschlich und das Schicksal fragt nicht nach brechendem Herzen und tränenden Augen. Arme Eva – es war zu spät! Noch einmal richteten sich die Augen Roberts, welcher nach der ersten Betäubung noch Kraft gefunden hatte, wie wir gesehen haben, sich an den Eingang des Zeltes zu schleppen, mit unendlicher Liebe auf das schöne Gesicht seines treuen Weibes, noch einmal legte sich die erkaltende Hand auf das Köpfchen des Kindes, welches die schluchzende Eva herbeigeholt und vor dem Sterbenden niedergelegt hatte, dann wandte sich das Gesicht Roberts mit einem furchtbaren Ausdrucke auf den immer noch, wie zu Eis erstarrt, auf derselben Stelle stehenden Gerhard zu. Die matten Augen, welche der Todeskampf schon beinahe halb geschlossen hatte, leuchteten noch einmal im alten Feuer auf und die rechte Hand erhob sich, wie beschwörend, gen Himmel. Der Anblick war in der Tat ein so furchtbarer, daß Eva schaudernd ihr Gesicht mit den Händen bedeckte und Gerhard sich abwandte, unfähig dem furchtbaren Zornesblicke des Sterbenden zu begegnen, dessen Rechte den Fluch des Himmels auf den Mörder herabzuflehen schien.
Evas kleine Hand strich die Falten des Zornes aus dem Antlitz des Gemordeten, und unter ihrer Berührung legte sich ein friedliches Lächeln auf seine Züge. Ein leichter Windhauch ging lispelnd durch die Urwaldbäume, während die Seele des braven Jägers emporschwebte zu den »ewigen Jagdgründen«, gleich als wollte er ihm ein wehmütiges Abschiedslied singen, wie er es in seinen Lebenstagen so gern und so oft gehört.
Der Bann, der Gerhard gefesselt gehalten, war gelöst. Mit einem wilden Blicke der Angst, der Reue, der Verzweiflung auf die Leiche Roberts, sprang er auf sein Pferd zu, schwang sich in den Sattel und jagte mit verhängten Zügeln von dannen.
Der Fluch des Gemordeten heftete sich an seine Spuren und folgte ihm auf seinen Wegen – ein bleicher, unheildrohender Schatten.
* * *
Evas Lage war in der Tat eine verzweifelte, abgesehen selbst von der tiefen, schmerzvollen Wunde, die der Verlust ihres treuen, wackern Gatten ihrem Herzen geschlagen. Denn wie innig sie ihn geliebt, dafür gibt es wohl keinen schlagenderen Beweis, als den Umstand, daß sie für ihn Heimat und eine ruhige, geregelte Existenz aufgegeben, um mit ihm das aufreibende Leben eines Trappers in der amerikanischen Wildnis zu teilen. Aber nicht minder drohend trat die Frage an sie heran, was jetzt aus ihr und ihrem Kinde werden sollte. Ein so willensstarkes, mutiges Weib auch die junge Jägersfrau war, so hätte es doch fast übermenschlicher Energie bedurft, um in dieser furchtbaren Situation mit tränenlosem Auge und zuversichtlichem Herzen in die Zukunft zu blicken.
»Kehe-Paha,« flüsterte die Unglückliche mit leiser Stimme vor sich hin, während sie, neben der Leiche Roberts niederkauernd, ihr tränenüberströmtes Antlitz in den Händen barg. Wie ein leiser Schimmer von Hoffnung zitterte es durch ihre Seele, als dieser Name sich ihren Lippen entrang. Eva hatte in der Tat allen Grund, ihr volles Vertrauen auf den treuen und anhänglichen Indianer zu setzen, der mit jener, der Rothaut eigenen, zähen Ausdauer den Jäger und sein junges Weib auf Schritt und Tritt auf allen ihren Wanderschaften begleitet, und dessen gute Feuerwaffe – ein Geschenk Roberts – so manchmal schon das drohende Skalpmesser von den Häuptern der kleinen Jägerfamilie abgewehrt hatte.
Allein Kehe-Paha war fern, es konnte ein Tag, ja es konnte noch längere Zeit vergehen, ehe er zurückkehrte, da wohl vorauszusehen war, daß der schlaue Karawanenführer sich die Begleitung des pfadkundigen Indianers auf eine möglichst weite Strecke hinaus sichern werde, und daß der Indianer seinerseits, im guten Glauben, Robert sei munter und wohlauf bei seinem Samariterwerk beschäftigt, sich mit seiner Rückkehr nicht besonders beeilen werde. Und inzwischen – – wenn Gerhard zurückkehrte, angespornt von dem Feuer seiner rohen, wilden Leidenschaften, das hilflose Weib angriff?! – – Eva wagte den furchtbaren Gedanken nicht auszudenken, und mechanisch griff sie nach dem Dolchmesser, welches sie bei der stürmischen Begegnung mit Gerhard zu Boden geworfen, instinktiv umklammerte sie das Heft desselben mit festem Griffe und ein Blick wilder Entschlossenheit machte für einen Augenblick dem Ausdrucke des namenlosen Schmerzes in ihren Zügen Platz. Hätte Gerhard sie in diesem Augenblicke gesehen, so hätte er erkennen müssen, daß Eva nimmermehr lebendig in seine Hände fallen würde!
Es war ein melancholisches Schauspiel, dessen Zeugen die hohen Urwaldbäume waren, die auf das Zelt herniederblickten. Das Kind war, nachdem es sein klägliches Schreien beendet, in sanften Schlaf gefallen; mit tränendem Auge häufte Eva trockenes Laub unter das Köpfchen ihres Lieblings, küßte ihn auf die Stirn und wandte sich dann wieder zu dem Leichnam ihres ermordeten Mannes. Der Quell ihrer Tränen war versiegt. Kein Klagelaut kam über ihre bleichen, fest zusammengepreßten Lippen, doch um so tieferes, stummes Weh sprach aus den starren, glanzlosen Augen, während sie sorgfältig die furchtbare Todeswunde Roberts und seine blutbesudelte Kleidung mit frischem Wasser, das sie aus einem nahen Bache herbeiholte, abwusch. Behutsam schloß sie die starren, weit offenen Augen des Toten, faltete seine bleichen Hände über der Brust zusammen, räumte all das blutgetränkte Laub unter ihm hinweg, bettete ihn auf ein neues, frisches Lager, deckte sorgfältig eine Decke über ihn, als sei es ein schlummernder Kranker, an dessen Lager sie wachte, und strich ihm zuweilen liebkosend mit der Hand über die bleichen Wangen. Nachdem sie diese traurige Arbeit vollendet, ging sie hinüber zu dem Laublager, auf welchem sie ihr Kind gebettet, nahm es behutsam in ihre Arme, ohne es in seinem süßen Schlummer zu stören, und setzte sich mit dem Kleinen an der Seite der Leiche auf den Boden nieder, wortlos tränenlos, bald das schlafende Kind, bald den im ewigen Schlummer ruhenden Gatten betrachtend.
Und die Sonne ging ihre Bahn dahin. Stunde auf Stunde enteilte, Waldvögel und hier und da ein keckes Opossum blickten neugierig aus dem Schatten der Bäume von Zeit zu Zeit auf das feierlich stille Bild hin. Fast immer fanden sie es unverändert, fast bei jeder erneuten Betrachtung sahen sie die Jägersfrau stumm und bleich an der Seite ihres toten Mannes sitzen; ob sie betete, ob Verzweiflung, ob Rachegedanken ihre Seele erfüllten, ob eine geistige Lähmung dem in ihr tobenden Schmerze Platz gemacht, – nur Gott vermag's zu sagen, auf Evas starren Zügen war nichts, gar nichts zu lesen. Einmal nur erhob sie sich während des Tages, um das Kind, das nach Nahrung verlangte, zu befriedigen, dann setzte sie sich wieder nieder auf ihren alten Platz, erfaßte die kalte Hand des Toten und blickte ihm träumend ins bleiche Antlitz. So brachen die Schatten des Abends herein und die letzten Strahlen der sinkenden Sonne fanden Eva noch immer in derselben Stellung, bis endlich die Natur, ihr Recht verlangend, den süßen Tröster Schlaf herbeirief, der das Haupt des armen Weibes freundlich berührte. Es sank allmählich auf die Brust des toten Jägers hernieder, die Brudergenien des zeitlichen und des ewigen Schlummers reichten sich die Hände und hüllten wie in einen Schleier feierlicher Ruhe die ganze umgebende Natur.
Horch – dort knistert und kracht es in den Büschen, deren Saftgrün unter dem bleichen Mondlichte in gespenstischem Grau erscheint. Ist es ein neugieriges Waldtier, das sich der traurigen Gruppe dort beim Zelte nähern will? Nein – deutlich genug erscheint die Gestalt eines Menschen am Saume des Waldes, die Züge des Gesichtes sind in dem unsicheren, fahlen Lichte kaum zu erkennen. Der nächtliche Gast blickt sich vorsichtig nach allen Seiten um, dann richtet er seine Augen forschend auf das Zelt. Die Gestalt trägt einen Karabiner im Arme, doch sie läßt denselben nachlässig an der Seite herabhängen und nichts deutet darauf hin, daß der Unbekannte denselben schußfertig machen wolle. Einen Augenblick noch bleibt er am Rande des Waldes stehen, dann schreitet er mit elastischem, fast lautlosem Schritte, den Oberkörper, wie spähend, ein wenig vorgebeugt, auf die andere Seite der Lichtung zu, wo das Zelt Roberts steht.
Die Gruppe vor dem Zelte war noch unverändert dieselbe. Das Licht des Mondes, über dessen Leuchtfläche hin und wieder verdunkelte Wolken dahinzogen, machte es nahezu unmöglich, mit einem Blicke die ganze Furchtbarkeit, den melancholischen Ernst der Szene zu erkennen. Die drei Menschen – der Tote mit seinem Weibe und Kinde – sie sahen wie eine Gruppe friedlich Schlummernder aus, welche nach hartem Tagewerke in dem Schutze der hohen Urwaldzypressen rasteten. Dennoch schien der vor dieser Gruppe Stehende schärfere Augen zu haben, als andere Menschenkinder. Wenigstens sah es aus, als ob Zweifel irgendwelcher Art über die Szene, welche er vor sich sah, in ihm aufstiegen. Immer und immer wieder beugte er sich über die auf dem Boden Liegenden, als sei er unschlüssig über irgendein Vorhaben. Endlich kniete er nieder und berührte leise die Schulter des Toten. – – Nichts regte sich. Er beugte sein Gesicht noch weiter herab und war eben im Begriffe den Arm des scheinbar Schlummernden zu erfassen, als das Kind, infolge des leisen Geräusches, das des Unbekannten Bewegungen verursacht hatten, erwachte und laut zu weinen begann. Mit einem Rucke war Eva aufgesprungen. Sie blickte wild um sich, offenbar in diesem Augenblicke völlig unklar über die Lage, in der sie sich befand, über ihre Umgebung und über die schrecklichen Vorgänge der jüngst verflossenen Stunden. Sie hatte ihr Kind fest umklammert. Da fiel ihr Auge auf die Gestalt des Fremden und zugleich auf den zu ihren Füßen liegenden Leichnam. Im Nu stand die ganze Situation ihr wieder klar vor Augen. Mit einem wilden Aufschrei bückte sie sich nach dem vor ihr liegenden Dolchmesser. »Gerhard!« rief sie, »Mörder! Bist du es?«
Die Gestalt des Mannes stand jetzt hochaufgerichtet vor ihr und blickte ihr ins Gesicht. Sie ließ den Dolch sinken; wie ein schwacher Blitz der Freude zuckte es über ihre Züge und ihre Hände streckten sich unwillkürlich nach der vor ihr stehenden Gestalt aus.
»Kehe-Paha!« flüsterte sie. »Gott sei gedankt, ein Freund, ein Beschützer!«
Ein sonderbarer, gutturaler Laut entrang sich der Kehle des Indianers, – denn dieser war es in der Tat, der in später Stunde von seiner Expedition heimkehrte, um sich Robert und Eva wieder anzuschließen.
»Hat meine Schwester einen bösen Traum gehabt? Schläft mein bleicher Bruder?« fragte er in seiner ruhigen Weise, ohne daß sein Gesicht auch nur eine Spur von Neugierde oder Erregung verriet. »Wo ist der fremde Freund meines Bruders, der krank in jenem Zelte lag?«
Diese Fragen genügten, um Eva die furchtbare Wirklichkeit, welcher der Schlaf sie auf wenige Stunden entrückt, in ihrem ganzen Umfange wieder zu vergegenwärtigen und zugleich die volle Wucht ihres Schmerzes aufs neue zum Ausbruch kommen zu lassen. Unter heftigem Schluchzen und in abgebrochenen, hastig hervorgestoßenen Sätzen machte sie den treuen Kehe-Paha mit den entsetzensvollen Vorgängen des verflossenen Tages bekannt. Kein Wort kam über die Lippen des mit gespannter Aufmerksamkeit lauschenden Indianers, nur zuweilen entrang sich jenes, der roten Rasse charakteristische dumpfe »Ugh« seiner Kehle, und jedesmal griff alsdann seine linke Hand krampfhaft nach dem in seinem Gürtel befestigten Tomahawk, während seine Rechte den Lauf der Flinte fester umspannte.
Eine kleine Pause entstand, nachdem Eva geendet, und nun völlig fassungslos neben der Leiche ihres Mannes in die Knie gesunken war. Endlich sagte Kehe-Paha mit derselben stoischen Ruhe, die er, äußerlich wenigstens, ununterbrochen bewahrt hatte:
»Kehe-Paha weiß die Spur des weißen Mannes zu finden. Unser Freund mit den vielen Wagen hat die Waldbäume noch nicht weit hinter sich. Er und seine Leute wollten lange Rast halten. Kehe-Paha hat ein flinkes Roß, das ihm der weiße Mann gegeben. Es grast nicht weit von hier. Will meine Schwester mir folgen, so können wir wohl bei den Wagen sein, wenn der Whipporwill sein Morgenlied singt!«
»Und Robert – mein Robert?« rief Eva.
Der Pottawatamie zeigte gen Himmel und sagte mit ernster Stimme: »Der große Geist hat ihm die ewigen Jagdgründe seiner weißen Brüder erschlossen und er ist glücklich. Seinen Leib bedecken wir mit Laub und Kehe-Paha kehrt bald hierher zurück, dann bedeckt er seinen weißen Bruder mit Erde!«
»Kehe-Paha,« erwiderte Eva, welche sich inzwischen aufgerichtet hatte und dem Indianer ängstlich forschend ins Gesicht blickte. »Du willst mich zur Karawane bringen und dann zu den Brüdern deines Stammes zurückkehren!?«
Zum erstenmal zeigte sich eine Spur von Erregung in den wie aus dunklem Marmor gemeißelten Zügen des jungen Indianers. Ein heißer Glutstrahl schoß auf einen Moment aus seinen Augen auf das vor ihm stehende hübsche Weib und er preßte die Lippen fest aufeinander, als gälte es einen heftigen Schmerz zu verbeißen oder eine aufwallende Regung niederzukämpfen. Doch ebenso rasch verschwand dieser Ausdruck und machte der Miene stillen Mitleides Platz. Mit einem an dem phlegmatischen Indianer selten wahrnehmbaren Ausdrucke der Wehmut blickte er auf Eva und ihr Kind und sagte:
»Will meine Schwester Kehe-Paha immer an ihrer Seite dulden, so lange sie nicht zu den Wohnungen ihrer weißen Brüder und Schwestern zurückkehrt?«
Stumm reichte Eva dem treuen Indianer beide Hände. Dieser drückte sie mit fast stürmischer Heftigkeit und nickte mehrmals, wie befriedigt, mit dem Kopfe.
»Die Wigwams der Pottawatamie werden nicht eher Kehe-Paha wiedersehen, als bis meine weiße Taube in Sicherheit ist,« sagte er in herzlichem Tone. »Doch ich weiß jetzt nicht besseres Obdach für sie und ihr Kind, als bei den Wagen unseres weißen Freundes. Viele Betten, viele Decken und Felle dort, und viele Büchsen zum Schutze und meine Schwester kann dort gut und sicher ruhen. Kehe-Paha muß ja doch hin zu dem weißen Manne, denn die Spuren des Mannes mit dem schwarzen Herzen und den blutigen Händen führen dorthin!«
»Kehe-Paha – was willst du mit dem entsetzlichen Menschen tun!? Laß Gott Rache an ihm nehmen und begib dich nicht in Gefahr!« rief Eva mit eindringlicher Stimme, in dem sie die Hand auf die Schulter des Indianers legte.
»Gut, gut, meine Schwester!« erwiderte Kehe-Paha ruhig. »Du bist ein Weib und sprichst wie ein Weib. Kehe-Paha ist ein Mann und ein Krieger und er wird tun, was die Stimme Manitous ihm befiehlt!«
Es sprach eine solche unerschütterliche Entschlossenheit aus den Worten Kehe-Pahas, daß Eva keinen Einwand weiter zu machen wagte. War sie doch auch jetzt vollständig auf den Schutz des Indianers angewiesen. Letzterer ging in den Wald zurück, um das Pferd zu holen, das ihm der biedere Karawanenführer aus Dankbarkeit für die erwiesenen Dienste für Robert mitgegeben. Inzwischen raffte Eva alles Laub auf, das sie mit ihren Armen erfassen konnte, und schickte sich an, den Leichnam Roberts zu bedecken – eine neue traurige Pflicht, welche dieser furchtbare Tag ihr brachte.
Kehe-Paha kehrte, das Pferd am Zügel führend, zurück, und mit seiner Hilfe vollendete Eva ihr Bestattungswerk. Eigentümlich war hierbei das Benehmen Kehe-Pahas. Als Eva sich entfernt hatte, um neues Laub vom Walde herbeizuholen, blickte ihr der Indianer einen Moment nach, dann beugte er sich rasch auf den noch nicht ganz bedeckten Leichnam nieder und machte sich mit seinem Jagdmesser etwas an ihm zu schaffen. Gleich darauf ertönte ein eigentümlicher knackender Laut und Kehe-Paha barg einen Gegenstand eilig in seiner Jagdtasche; doch als Eva zurückkehrte, war der Oberkörper des Toten fast völlig bedeckt und der Indianer stand unbeweglich an seiner Seite. Keine Muskel regte sich in seinem braunen Gesichte. Auf Kehe-Pahas Vorschlag wurde dann noch das Zelt abgebrochen und das Zelttuch über das Laubgrab ausgebreitet, worauf der Indianer letzteres wiederum mit Blättern und Reisig so bedeckte, daß es wohl kaum irgendeinem wandernden Trapper, selbst nicht einer mit feinerem Spürsinn begabten Rothaut möglich gewesen wäre, unter dem Laubhügel am Rande des Waldes einen im Todesschlummer ruhenden Menschen zu vermuten.
Noch einmal kniete Eva an der Stätte nieder, wo Robert, im Laub weich gebettet, ruhte, noch einmal hörten die Bäume ringsum und die Waldtiere das herzzerbrechende Schluchzen, das so oft an diesem Tage die Naturlaute der Wildnis begleitet hatte – dann ergriff sie ihr Kind, Kehe-Paha schwang sich aufs Pferd, hob Eva zu sich empor und – alsbald verklang der Hufschlag fern in der Stille der Nacht.
Durch die hohen Bäume aber, welche die Lichtung umsäumten, klang ein Rauschen und Säuseln. Die alten Wipfelkronen, welche auf das einsame Grab herniederblickten, sangen dem Toten ein Lied von ewiger Ruhe.
* * *
Etwa zu derselben Zeit, als Eva mit dem Pottawatamie dem braven Jäger an seinem Laubgrabe die letzten Ehren erwiesen, lagerte die Karawane unseres Freundes Bob an einer durch Bäume und eine waldige Hügelkette einigermaßen geschützten Stelle der Handelsstraße, auf welch letztere am Mittag desselben Tages der wegkundige Indianer sie geleitet hatte. Es bot sich so ziemlich dasselbe Bild dar, wie an dem Abende zuvor in jener Lichtung, die der Schauplatz der soeben beschriebenen blutigen Szene geworden war. Doch Bob war bei weitem nicht so guter Laune, wie an jenem Abend.
» Bless my soul!« sagte er zu dem neben ihm nachlässig im Grase ausgestreckten Sam Jenkins, »'s ist mir gerade, als wenn ich mit dem braven Dutchman schon Jahre lang durchs Land getrampt sei und wir uns nun zum erstenmal nach langer Zeit getrennt hätten. Ich will mein Lebtag nichts wie Hominy mit Molasses Maisgrütze mit Syrup, ein in den Südstaaten sehr populäres Hausmannsgericht. essen, wenn ich nicht ordentlich Sehnsucht danach hätte, daß der prächtige Junge mit seinem allerliebsten blauäugigen Weibchen hier bei uns säße und uns die Geschichte von den rothäutigen Teufeln im Conowago und dem windigen Franzosen zu Ende erzählte. Der Gottseibeiuns selbst muß dem Stephen das Fieber in den Leib gejagt haben. War's nicht um den, hätten uns vielleicht noch alle drei bis hierher begleitet!«
Und er sandte den schwärzlichen Rest eines echten Virginia-Primchens mit jener unnachahmlichen Spuck-Virtuosität, welche dem Yankee eigen, über den Kopf seines Nachbars weg, mit so ärgerlicher Miene, als gälte dieses nikotinhaltige Wurfgeschoß tatsächlich dem erwähnten Gottseibeiuns, welcher Stephen mit dem Fieber beglückt hatte, lediglich um Bobs Vergnügen zu stören und ihn der Gesellschaft des deutschen Jägers zu berauben.
In diesem Augenblick entstand eine Bewegung am anderen Ende des ziemlich weit ausgedehnten Lagerplatzes. Die schläfrigen Pferde wieherten ungewöhnlich laut auf, und es klang nebenher, als ob die aufgestellten Wachtposten – deren bedurfte es stets gegen etwaige Indianerüberfälle – die Hähne ihrer Jagdkarabiner spannten. Gleich darauf ertönten Stimmen und Gelächter.
» What in the wide world is the matter?« rief der »Vormann« aufspringend und eiligen Schrittes auf die Stelle zugehend, von welcher der zur Raststunde so ungewöhnliche Lärm hertönte.
Ein Kreis von Männern umstand einen offenbar soeben eingetroffenen späten Gast. Der Kreis teilte sich sofort bei der Annäherung Bobs und einer der Kaufleute wies lachend auf den in der Mitte Stehenden, indem er ausrief:
» Here goes the perfect cure!« »Hier läuft der glänzend Kurierte! Dies ist der Refrain eines auf englischen und angloamerikanischen Theatern und im Volksmunde einst sehr beliebten Couplets.
»Alle Wetter!« rief der Vormann im höchsten Erstaunen. »Seid Ihr's wirklich, Stephen, oder ist's Euer Geist, den das Fieber Euch aus dem Leibe herausgetrieben hat?«
Allerdings war's Stephen, oder Gerhard, wie wir richtiger sagen müssen, bleich und abgezehrt, sichtlich von Seelenqualen gefoltert. Man konnte dieses hagere, abgezehrte Gesicht recht Wohl für das einem Fieber-Rekonvaleszenten gehörige betrachten. Natürlich spendete ihm denn auch der harmlose Missourier in seiner grobkörnigen Yankeeweise alles erdenkliche Mitleid.
»Allen Respekt,« rief er am Schlusse seiner Expektorationen aus, »allen Respekt vor dem Dutchman! Sollte, meiner Seel, Professor bei einem eurer gelehrten ›Medical Colleges‹ werden. Habe doch schon manchen, den es so gepackt hatte, wie Euch, Stephen, im weichen Spitalbett unter den Augen von drei bis vier dieser superklugen Doktors zugrunde gehen sehen. Und Ihr in einem Tage auf den Beinen! Na, elend seht Ihr noch aus, das weiß der Himmel! Kommt und nehmt einen Schluck alten Rye; Rye-Whiskey ist der beste aus Roggen dargestellte Branntwein. der wird Euch den letzten Rest von Fieber aus den Knochen sagen.«
Mechanisch folgte Gerhard der Aufforderung des gutmütigen Handelsmannes. Seine Antworten waren einsilbig, und einem weniger arglosen Beobachter, als es Bob war, hätte es auffallen müssen, daß die blutunterlaufenen Augen des Mörders ängstlich suchend das Lager durchschweiften.
Wunderbares Walten der Nemesis, das der Kriminalist fast in jedem Falle zu beobachten Gelegenheit hat! Eine unsichtbare Macht zieht den Verbrecher blindlings und gegen sein eigenes Wollen über kurz oder lang gerade dahin, wo er am wenigsten sicher ist – in die Gesellschaft von Menschen, von arglosen Menschen, deren Seelenruhe mit den in seinem Herzen tobenden Gewissensqualen seltsam kontrastiert. Warum war Gerhard, als er den Schauplatz seiner furchtbaren Tat in wildem Grausen verließ, nicht in die Wildnis hinausgesprengt, weit, weit weg aus dem Bereiche des strafenden Armes der Gerechtigkeit und Rache? Er selbst wußte sich diese Frage wohl kaum zu beantworten. Er fürchtete sich, mit sich selbst allein zu sein, er mußte Menschen, plaudernde, lachende, harmlose Menschen um sich herum haben, deren Laute die Stimme des Gewissens in ihm wenigstens zeitweise zu übertönen vermochten.
»Der Indianer ist nicht mehr unter euch, wie ich sehe,« fragte er, nachdem er sich an der Seite des Vormannes im Grase niedergelassen.
» I bet you not, mein Junge,« erwiderte Bob lachend. »Der flinke Kerl wird wohl wieder wie ein treuer Hund den Spuren seiner Herrschaft folgen. Mit sechs Beinen wird er schneller zurückgekehrt sein, als er mit uns aus dem Walde herausgekommen ist!«
»Mit sechs Beinen?« fragte Gerhard erstaunt.
»Ha, ha, ha, kalkuliere, Ihr denkt, Bob sei übergeschnappt. Habe der ehrlichen Rothaut ein Pferd für Mister Robert mitgegeben. – – Alle Teufel, Mann, was ficht Euch an? Kriegt Ihr eine Ohnmacht, oder kommt das Fieber von neuem?«
Gerhards Gesicht war leichenblaß geworden; doch er erholte sich rasch.
»Nichts, nichts!« rief er ärgerlich. »Ein bißchen Schwäche, that's all! Hört, da fällt mir ein, daß dieser Ort eigentlich zu schlecht geschützt ist, um hier Nachtrast zu halten!
»Schlecht geschützt? Nonsense! Ist vielleicht der beste Platz auf zwanzig Meilen in der Runde. Habt Ihr Angst vor den Rothäuten? Oder wollt Ihr jede Nacht so ein gemütliches Versteck haben, wie es uns der deutsche Jäger gestern verschafft hat?«
Gerhard fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er einen quälenden Gedanken verwischen.
»Freilich, freilich,« murmelte er. »Heute abend ist's auch zu spät, um weiter zu wandern. Aber Ihr brecht doch beizeiten morgen wieder auf? Vor Sonnenaufgang wandert sich's am besten und ich wäre je eher, je lieber in Santa Fé.«
» Holy Moses, Stephen, was Ihr es auf einmal eilig habt,« rief der Vormann spöttisch. »Ist ja gerade als hättet Ihr den Teufel auf den Fersen sitzen, oder ein sweet heart Liebchen. in Santa Fé. Wenn wir Kaufleute mit unseren Waren Zeit und Geduld haben, Stephen, so werdet Ihr, der ins Blaue hinein reist, wie Ihr mir sagtet, wohl erst recht Euch gedulden können. Oder fürchtet Ihr Euch? Habt Ihr irgendwo Indianerpomade gerochen und ist eine Rothaut mit ihrem Skalpmesser auf Eurer Spur?«
» Hell and fire!« rief Gerhard erregt und ein Blitz der Wut aus feinen Augen traf den scherzenden Bob. »Vor wem sollte ich mich fürchten! Haltet Ihr mich für ein altes Weib?«
»Alle Wetter, Stephen, das Fieber hat Euch aber knotig gemacht. Geht und schlaft Eure schlechte Laune aus und wartet ruhig, bis Euch morgen mein Büffelhorn weckt. Dauert's Euch zu lange, so galoppiert meinethalben allein nach Santa Fé, mir kann's recht sein. Und nun gute Nacht! Jenkins wird Euch einen Platz in seinem Zelte einräumen.«
Mit diesen Worten drehte der Karawanenführer, etwas ärgerlich über die Einsilbigkeit und Empfindlichkeit Gerhards, letzterem den Rücken und schritt pfeifend seinem Zelte zu.
Gerhard erklärte seinem designierten Schlafgenossen Jenkins, daß er es vorzöge, in der freien Luft, draußen bei den Wagen zu schlafen, weil ihm der Kopf von heute morgen noch schwer sei und er hoffe, daß ihm die Nachtluft wohl tun werde. Achselzuckend erwiderte Jenkins, der von vornherein keine große Sympathie für Gerhard gehegt hatte und sich auch oft genug dem Vormann der Karawane gegenüber dahin geäußert hatte, daß in den Augen Stephens der Teufel säße, er möge es mit dem Schlafen halten wie er wolle und schlenderte langsam seinem Zelte zu, etwas von »Abenteurer« und »Gauner« in seinen Bart murmelnd.
Einen Augenblick blieb Gerhard sinnend stehen. Er ging mit sich zu Rate, ob er dem, freilich nur spottweise gegebenen Rate des Vormannes folgen und sich so rasch wie möglich allein aus und davon machen sollte. Doch er war müde, gebrochen an Leib und Seele, und wenn er auch kaum hoffen konnte, daß in dieser Nacht Schlaf in seine Augen kommen würde, vor denen beständig das Bild der bleichen, zum Himmel emporgestreckten Totenhand stand, so sehnte er sich doch danach, seine Glieder wenigstens ausstrecken, wenige Stunden wenigstens ruhen zu können.
»Pah,« murmelte er mit finsterem Trotze vor sich hin, indem er auf die Wagen zuschritt, welche zwischen zwei die eine Seite des Lagerplatzes begrenzenden Hügeln aufgestellt waren. »Und wenn der rote Schuft jetzt unter uns träte, was könnte er mir beweisen? Er könnte nur einen Verdacht aussprechen, und das wäre Anlaß genug für mich, ihm in aller Eile eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Schlimmsten Falls ruhe ich wenige Stunden und reite dann doch vor Sonnenaufgang allein fort.«
Unter diesen und ähnlichen Meditationen legte sich Gerhard in der Nähe seines Pferdes auf eine auf dem Boden ausgebreitete Decke nieder und hüllte sich in dieselbe ein. Seine Augen schlossen sich freilich nicht zu friedlichem Schlummer, sondern blickten starr zum sternenbesäeten Nachthimmel empor, während wechselnde Bilder, liebliche und grauenhafte, quälend an seinem Geiste vorbei zogen, er hörte ab und zu das Wiehern und Stampfen der Pferde, er hörte den Wind durch die nahen Bäume streichen, er hörte hier und da das laute Schnarchen seiner ermüdeten Reisegefährten und das leise Flüstern und Lachen der ringsum aufgestellten Wachen, die sich mit dem Rauchen ihrer kurzen Tonpfeifen und gelegentlichen Tröstungen aus ihren kleinen Korbfläschchen die Zeit vertrieben, und – so verging Stunde auf Stunde, bis plötzlich all die Bilder und Erinnerungen und Laute im Geiste Gerhards zu einem wilden, verworrenen Chaos zusammenflossen und der Schlaf, der Unparteilichste aller Samariter, sich auf seine Lider senkte, bleischwer freilich und durchwoben von wilden, phantastischen Träumen.
Der Vormann der Handels-Karawane schlief und schnarchte mit der Seelenruhe eines von seinem Tagewerke befriedigten, ermüdeten Wanderers in seinem Zelte. Für ihn gab es weder störende Naturstimmen, noch peinigende Gewissensstimmen, und es hätte wohl eines energischen Peletonfeuers seitens der improvisierten Vorpostenkette bedurft, um ihn in diesem Augenblicke aus den Armen des Schlafes zu reißen. Ein greller Kontrast zu dem bleichen Manne dort am andern Ende des Lagerplatzes, dessen Lippen im bleischweren Schlummer zuckten, als spräche er im Schlafe mit den schrecklichen Traumgestalten, die drohend sein Lager umschwebten!
Allein Stunde um Stunde verrann und nichts störte den festen Schlummer des Missouriers. Der Himmel begann schon jene fahle Färbung anzunehmen, welche dem Eintritte der Morgendämmerung vorauszugehen pflegt, und hier und da begann schon eines der ungeduldigen Wagenpferde zu stampfen und zu wiehern, während die Vorposten, in ihrer Wachsamkeit nachlassend, ihre Pfeifen nach und nach ausgehen ließen und sich fester in ihre Mäntel wickelten, um die in jenen Landstrichen auffällig empfindliche Morgenkühle in einem kleinen Schläfchen zu vergessen.
Da warf sich der Karawanenführer unruhig auf die Seite. Es war ihm, als habe er eine Hand auf seiner Schulter gefühlt, und einen Moment öffnete er auch die Augen, um sie jedoch gleich wieder schlaftrunken zu schließen. Allein mit der Ruhe Bobs sollte es für heute nichts mehr werden. Abermals fühlte er, und zwar heftiger als vorher, ein Rütteln an seiner Schulter, und nun erwachte auch das echte amerikanische Pflichtgefühl in ihm, das stets auch den süßesten Schlaf verjagt, wenn » business« ruft. Mit einem Sprunge stand er auf den Füßen, ergriff den neben ihm liegenden geladenen Karabiner und suchte mit den Augen das in dem Zelte noch herrschende Dunkel zu durchdringen, während er mit barscher Stimme das übliche: » What the devil is the matter?« rief.
In demselben Moment sah er auch deutlich die glänzenden Augen eines Indianers vor sich und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre der Karabinerkolben des für seinen Skalp besorgten Bob auf den Schädel des nächtlichen Ruhestörers herniedergesaust, hätte dieser nicht wie besänftigend die eine Hand auf Bobs Schulter gelegt, während er mit der andern Hand seinen Tomahawk ergriff und zum Zeichen seiner Friedensliebe zu Boden warf.
»Der weiße Häuptling mit den vielen Wagen sieht einen Freund!« tönte es dem verblüfften und noch etwas schlaftrunkenen Missourier entgegen. »Es ist Kehe-Paha, vom Stamme der tapferen Pottawatamies, der vor ihm steht. Sein Skalpmesser steckt im Gürtel und das Kriegsbeil liegt auf dem Boden.«
» Du bist es, mein rothäutiger Freund?« rief Bob erstaunt, indem er den Karabiner zu Boden warf. »Nun, da ist mein Skalp freilich so sicher, als säße ich zuhause in St. Louis hinterm Ofen. Aber was zum Teufel,« setzte er mit gutmütigem Lachen hinzu, »schleichst du hier herum, wie ein Gespenst bei nachtschlafender Zeit? Kalkulierte, du seist längst wieder mit meinem deutschen Freunde und seinem hübschen Weibe auf dem Jagdzuge!«
»Kehe-Paha bittet seinen weißen Freund, seine Stimme nicht weiter tönen zu lassen, als bis zu den Wänden dieses Zeltes,« erwiderte der Indianer, indem er vorsichtig den durch seinen offenbar »auf allen Vieren« erfolgten Eintritt etwas derangierten Zeltvorhang wieder schloß. »Ist der Mann hier, den ich suche, so dürfen seine Ohren unsere Stimmen nicht hören und seine Augen dürfen Kehe-Paha nicht sehen, bis es Zeit ist.«
Befremdet blickte Bob dem Indianer ins Gesicht.
»Sage mal, alter Freund, hast du diese Nacht dicht bei einem Fasse Feuerwasser geschlafen?« rief er endlich lächelnd. »Wie soll ich denn das Kauderwelsch verstehen, das du sprichst? Kalkuliere, es wäre besser, du sprächest ein wenig mehr United States Etwa unser: »Deutsch Reden«.; aber ihr Rothäute geht immer wie die Katzen um den heißen Brei herum, wenn ihr etwas erzählt. Wen in aller Welt suchst du denn hier? Ist dir dein Herr abhanden gekommen?«
Der Indianer setzte dem Spott, welcher in den Worten des Missouriers lag, seine gewöhnliche stoische Ruhe entgegen.
»Ist der Mann mit dem Gesichte, das der böse Geist gezeichnet hat, in den Wigwams meines Freundes?« lautete die im ruhigsten Tone gestellte Gegenfrage.
» Goodness gracious!« rief der Handelsmann halb belustigt, halb verzweifelt, indem er sich, wie zu längerer Rast, auf seinem Lager wieder ausstreckte. »Wenn du so weiter redest, mein tapferer Pottawatamie, dann kommen wir nicht vom Fleck, ehe die Sonne hoch am Himmel steht. Will mich, meiner Treu, skalpieren lassen, wenn ich weiß, von wem du sprichst und was du meinst. Ist mir mein Lebtag kein Mensch vorgekommen, den irgendein böser Geist gezeichnet hätte, außer etwa der Geist, der in der Rumflasche steckt. Und dagegen hilft nichts besser, als kleinere Schlucke nehmen!«
Und bei diesen Worten griff Bob lachend nach seiner Feldflasche, stärkte sich durch einen kräftigen Morgentrunk und reichte sie dann dem Indianer mit freundlichem Blinzeln, indem er rief:
»Da, alter Freund! Bist ja dem Feuerwasser auch nicht gram, und vielleicht löst dir ein guter Schluck die Zunge, so daß du nachher verständlicher reden kannst!«
Doch zum größten Erstaunen des gutmütigen Handelsmann wies der junge Pottawatamie mit der den Indianern so trefflich zu Gesichte stehenden ruhigen Grandezza die Feldflasche von sich.
»Kehe-Paha ist auf dem Kriegspfade,« sagte er, »und Feuerwasser ist ein Teufel für den Krieger. Es verwirrt seinen Sinn. Kehe-Paha liebt das Feuerwasser, wenn sein Kriegsbeil begraben ist. Kennt mein weißer Bruder dieses hier?«
Mit diesen Worten griff er in die an seiner Seite hängende Ledertasche, und warf einen kleinen, unheimlich aussehenden, blutigen Gegenstand dem vor ihm liegenden Handelsmann in den Schoß. Bob fuhr unwillkürlich auf seinem Lager zurück, und blickte halb erstaunt, halb mit Grauen auf das furchtbare corpus delicti.
Es war der abgeschnittene Finger eines Menschen! Der sichtlich aus dem Gelenke gebrochene Knorpel am unteren Ende stand ein wenig hervor, das obere Ende war verstümmelt und vernarbt, und ließ erkennen, daß es ein Stumpffinger war.
Mit einem Rufe des Schreckens sprang der Missourier auf und warf den entsetzlichen Zeugen der blutigen Tat weit von sich. Jeder Funke jenes fast unverwüstlichen Humors, der ihn charakterisierte, war aus seinem Gesichte geschwunden. Er hatte den Karabiner mit festem Griffe umspannt, und blickte dem Indianer mit einem aus Grauen, Mißtrauen und Zorn gemischten Ausdrucke ins Gesicht.
»Was soll das heißen, roter Teufel? Das ist der Stumpffinger des deutschen Jägers! Keinen Schritt kommst du aus diesem Zelte, ehe du mir gesagt, was du mit dem Deutschen angegeben hast. Sprich – oder mein Karabiner saust auf deinen indianischen Hartschädel nieder! Aber sprich kurz und deutlich!«
Kehe-Paha setzte diesem Zornausbruche die vollkommenste Ruhe entgegen. Er streckte den Arm, wie besänftigend, aus, und rief mit fast verächtlicher Miene: »Ugh! Hält mein weißer Bruder mich für den Mörder des Mannes, der sein Leben gerettet? Der Indianer mordet den nicht, der ihm Gutes getan. Lasse deine Augen in den Wigwams deiner weißen Brüder umherschweifen und du wirst die feige Katze finden, welche ihre Krallen ausgestreckt gegen den, der ihr Milch gegeben und sie geliebkost hat. Hilf mir, daß ich den Skalp des weißen Mannes, der den Geliebten der jungen, weißen Taube gemordet hat, an meinen Gürtel bekomme, und ich werde mein Haupt unter deine Füße legen.«
In seinem gebrochenen und phrasenreichen Englisch erzählte er nun dem ihn oft mit Lauten des Entsetzens und der Wut unterbrechenden Bob die blutigen Vorgänge des verflossenen Tages, und schilderte ihm die traurige Szene am Abend, bei welcher er teils Zuschauer, teils Mithandelnder gewesen war.
Bobs Zorn gegen Gerhard – denn er zweifelte natürlich keinen Augenblick mehr an der Richtigkeit der Angaben des Indianers – kannte keine Grenzen, und, hätte der schlauere und vorsichtigere Kehe-Paha ihn nicht zurückgehalten, er wäre sogleich nach dem Zelte seines Reisegenossen Jenkins gestürzt, wo er Gerhard schlafend vermutete, um den Mörder in Sicherheit zu bringen. Es gelang jedoch dem Indianer, dem erregten Manne klar zu machen, daß jede allzu rasche Tat, vor allem jeder Lärm, nur dazu dienen würde, dem Spitzbuben zur Flucht zu verhelfen. Auf die Frage des Karawanenführers, ob Kehe-Paha die junge Frau des Jägers auf den Schauplatz der Bluttat zurückgelassen, erklärte dieser, daß dieselbe unfern von dem Lagerplatze in der einige hundert Schritte östlich von der Landstraße beginnenden Fichtenwaldung Rast halte, und sich standhaft geweigert habe, den Lagerplatz so lange zu betreten, bis es sich herausgestellt, ob Gerhard wirklich zur Karawane gestoßen sei, oder nicht. Begreiflicherweise schauderte das unglückliche Weib bei dem Gedanken, ihre Blicke nochmals auf den Mörder ihres Gatten richten zu müssen, auch widerstrebte es ihrem echt weiblichen Gefühle, welches selbst das wilde Jägerleben ihr nicht hatte rauben können, Zeugin der Rache zu sein, welche Kehe-Paha, wie sie mit Bestimmtheit voraussetzte, an Gerhard nehmen würde.
Der weiße und der rote Mann schlichen, die Karabiner schußfertig in der Hand, leisen Schrittes auf das Zelt Jenkins zu. In dem bleichen Lichte der Morgendämmerung boten beide Gestalten, wie sie, vorsichtig umherspähend, mit katzenartigen Schritten das kleine Zeltlager durchschritten, einen unheimlichen Anblick dar, welcher sicherlich jeden der Wächter, hätten sie die Augen offen gehalten, veranlaßt haben würde, sofort Alarm zu schlagen. Der Indianer ließ sich, seiner nationalen Kriegstaktik gemäß, als sie nahe bei dem Zelte Jenkins' angelangt waren, auf den Boden nieder, und vollendete die kurze Strecke bis zu dem Zelte in striktester Nachahmung eines seine Beute beschleichenden Panthers – nämlich »auf allen Vieren«. Ein rascher Blick hinter den vorsichtig zurückgeschlagenen Zeltvorhang, seine Indianeraugen fanden sich auch in dem im Innern herrschenden Halbdunkel ganz trefflich zurecht, belehrte ihn, daß Jenkins in aller Einsamkeit schlief und schnarchte, und daß keine Spur von Gerhard-Stephen in seiner Nähe zu finden war.
Mit einem leisen Ausruf der Erstaunens, der Enttäuschung und der Wut wandte er sich nach dem in atemloser Spannung ihm zur Seite stehenden Missourier um. Letzterer wußte das Mienenspiel des Indianers sofort zu deuten.
» Damned be bis soul!« rief er mit gedämpfter Stimme. »Der Teufel ist entwischt. Rasch, rasch, laß uns Jenkins wecken, vielleicht kann der uns Auskunft geben, wie lange der son of a bitch » Sohn einer Hündin«, ein in der Vulgär-Sprache der Vereinigten Staaten außerordentlich gebräuchliches Schimpfwort. fort ist.«
Dieser Plan war so rasch ausgeführt, als dies Gott Morpheus, welcher den braven Jenkins in sehr inniger und fester Umarmung zu halten schien, gestattete. Natürlich klärte sich alsdann sofort die Angelegenheit auf. Die beiden Häscher erfuhren, daß der Mörder das Zelt Jenkins' verschmäht und ein Nachtlager unter freiem Himmel vorgezogen habe. Freilich nur ein schwacher Trost. Alle drei waren sehr geneigt, anzunehmen, daß sich Stephen überhaupt nicht sicher genug unter den Handelsleuten gefühlt und schon am Abend das Weite gesucht habe. In diesem Augenblick stieß der Indianer, welcher seine scharfen Augen unablässig durch das in das Dämmerlicht des Morgens gehüllte Lager hatte schweifen lassen, einen unwillkürlichen Ruf der Überraschung aus.
»Das Pferd! Das Pferd!« rief er mit mehr Erregung, als man bei den rothäutigen Natursöhnen für gewöhnlich zu sehen pflegt, und noch ehe die beiden Yankees vollständig klar darüber waren, welches Pferd den Indianer in solche Aufregung versetzt, hatte derselbe sich auf seine Knie niedergelassen und kroch mit der Gelenkigkeit und Lautlosigkeit einer Katze dem entgegengesetzten Ende des Lagerplatzes zu. Die beiden anderen folgten ihm vorsichtig und in höchster Spannung.
Der Mörder war soeben erwacht. Die frische Morgenluft strich ihm über die heiße Stirn, und vor seinem noch schlaftrunkenen Geiste entfaltete sich plötzlich das unklare Schreckbild einer ihm drohenden Gefahr. Seine Sinne waren noch so verwirrt, daß er selbst sich nicht genau zu sagen vermochte, was es war, das seine Kehle wie in Todesangst zusammenschnürte. Ein dunkler Schatten tauchte vor ihm auf, ein Alp legte sich schwer und drückend auf seine Brust. War es die Fortsetzung der furchtbaren Träume dieser Nacht? Doch nein – die Morgendämmerung war ja schon da. Blitzartig rasch stand die ganze Wirklichkeit vor seinem Geiste. Mörder! rief eine drohende Stimme in ihm. Mörder! schien der Morgenwind zu lispeln. Fort, fort, – hinaus in die Wildnis, weit weg aus dem Bereiche der Tat, wo aus jedem Baume, aus jedem Strauche Legionen blutiger, schrecklicher Phantome gleichsam hervorzuquellen schienen und in wildem, sinnverwirrendem Reigen ihn umgaukelten.
Ein dumpfer, brüllender Laut, wie aus der Kehle des Raubtieres, das sich blutgierig auf seine Beute stürzt. Ein lauter Aufschrei des wahnsinnigsten Entsetzens. Zwei dunkle Gestalten wälzen sich ringend auf dem Boden. Kein Schrei, auch nicht der leiseste Laut außer dem dumpfen Aufschlagen der Körper der beiden Kämpfenden auf den Boden, ist mehr zu hören. Doch jener laute Angstschrei hat die schlummernden Wächter alarmiert und die Bewohner der wenigen, dem Schauplatze der aufregenden Szene zunächst liegenden Zelte aus dem Schlafe gescheucht. Die Männer eilen von allen Seiten herbei. Schon stehen der »Vormann« und Jenkins dicht vor der ringenden Gruppe. Eben hat sich einer der Kämpfenden ein wenig aufgerichtet, sein Knie drückt sich fest auf die Brust des Gegners, dessen blutunterlaufene Augen halb in Angst, halb in maßlosem Hasse auf den ersteren gerichtet sind. Eben fällt der erste Strahl der aufgehenden Sonne auf die Gruppe, er beleuchtet den glänzenden Stahl eines Tomahawks, der mit voller Wucht auf das Haupt des rücklings auf dem Boden Liegenden herniedersaust. – – – Mit einem lauten Ausrufe sprang Bob, der Missourier, dazwischen.
»In des Teufels Namen, du roter Schuft, halt ein!« donnerte seine mächtige Stimme, während der Kolben seines Karabiners klirrend den Griff des Tomahawks zur Seite schlug, »In unserm Kamp wird nicht gemordet und skalpiert. Wenn du nicht sofort dein Hackbeil wegwirfst, so jage ich dir eine Karabinerkugel durch das rote Fell, ehe du dich umsehen kannst!«
Der Sprecher schien es vollständig ernst mit seinen Worten zu meinen, denn er legte seine Waffe schußfertig an die Wange, so daß der Indianer, ihn erstaunt anblickend, unwillkürlich seinen Mordstahl zu Boden senkte, ohne jedoch den unter ihm liegenden Gerhard aus seinem eisernen Griffe zu befreien.
»Will mein weißer Freund den Mörder schützen?« fragte er, nachdem er sich von der ersten Überraschung erholt hatte. »Wenn der Mann mit blutigen Händen diesen Ort verläßt, so wird Kehe-Paha ihm so lange folgen, bis der Skalp des weißen Mannes in seinem Wigwam trocknet!«
Eben wollte der Karawanenführer, über dessen Züge bei den Worten des Indianers ein leises Lächeln ging, antworten, als unter den die Szene umstehenden Männern ein Gemurmel entstand, das lauter und immer lauter werdend, schließlich zu lautem Toben und Schreien anschwoll. Sämtliche Handelsleute waren jetzt auf den Beinen, und mit Blitzesschnelle hatte sich unter ihnen die Kunde über die Ursache des Kampfes zwischen dem Indianer und dem Weißen verbreitet. Blicke des Hasses, der tiefsten Verachtung, der Rache richteten sich drohend auf den in ohnmächtiger Wut, zähneknirschend am Boden liegenden Meuchelmörder. Fäuste erhoben sich gegen ihn, Revolver richteten sich gegen sein Haupt, Flüche wurden drohend ausgestoßen, bis endlich das halblaut gemurmelte Wort » Lynch!« das Signal zu lautem, tobenden Geschrei gab. » Lynch him! lynch him!« tönte es von allen Seiten; lynch him! lynch him! hallte das Echo aus dem nahen Walde zurück.
Der Karawanenführer wandte sich mit ernstem Blicke um und wies auf die erregten Männer:
»Hörst du es, Kehe-Paha? Weißt du, was dieser Ruf unter den freien, weißen Söhnen unseres Landes bedeutet? Die Männer erinnern an das grausame, aber gerechte Gesetz der Prärie: Aug' um Auge, Zahn um Zahn! Mord wollen wir und werden wir nicht dulden, aber – so wahr ein Gott im Himmel lebt – das Blut deines weißen Lebensretters und Freundes soll nicht ungerächt bleiben. Auf, ihr Männer und Freunde, ergreift den Halunken! Laß ab, Kehe-Paha, die Gerechtigkeit will ihren regelrechten Lauf haben!«
Die markigen, ruhigen Worte des Führers hatten den Sturm besänftigt. Still und wortlos schritten drei der Umstehenden auf Gerhard zu, welcher noch immer keuchend und wild mit den Augen rollend unter der Faust des Indianers sich am Boden wand. Der Indianer sah, daß aus den ernsten Mienen dieser Männer nichts zu lesen war, was wie Nachsicht und Vergebung aussah. Er ließ daher seinen Gefangenen bereitwillig los und überließ ihn den Handelsleuten, die über ihn herstürzten und ihm Hände und Füße mit Stricken zusammenschnürten. Gerhard stöhnte, er wehrte sich, er fluchte. »Seid ihr alle wahnsinnig geworden? Was wollt ihr von mir?« schrie er mit heiserer Stimme. » Lynch him! lynch him!« tönte im Chor die unbarmherzige Antwort.
Der Führer war zu Kehe-Paha getreten und sprach in flüsterndem Tone mit ihm. Der Indianer schüttelte ernst den Kopf und wies, wie abwehrend, auf den Wald zurück.
» Hell and damnation, Mann,« rief der Führer ärgerlich, »wir müssen doch aber Zeugen haben. Der Richter Lynch mordet nicht. Er hört, urteilt und richtet!«
Stumm wies der Indianer auf seine Jagdtasche. Bob schien ihn zu verstehen. Er nickte nachdenklich mit dem Kopfe. Dann wandte er sich an seine Wandergenossen und rief:
»Nun, meine Freunde und Mitbürger! Ihr verlangt, daß dieser Mann hier, der des feigen Meuchelmordes an seinem Landsmanne, dem braven, deutschen Jäger, beschuldigt ist, nach dem Gesetze der Prärie gerichtet werde. Euer Wille soll geschehen, und bis das Urteil gesprochen ist, steht dieser Mann unter meinem Schutz. Eine Kugel aus meiner Büchse würde jeden zur Hölle senden, Jungens, der es wagte, diesen Menschen zu berühren. Kommt her, zwölf der Vordersten von euch. Ihr mögt die Jury bilden. Ihr andern tretet ein wenig zurück. Steht auf, Mann, in des Teufels Namen!« fügte er zu Gerhard gewendet hinzu. »Richter Lynch verlangt so gut Respekt vom Angeklagten wie der Supreme Court in Washington-City!«
»Löst die Fesseln von meinen Gliedern!« knirschte Gerhard. »Ihr habt kein Recht, den Gefangenen zu fesseln, ehe ihr wißt, ob er schuldig ist!«
» All right, Bursche. Scheinst dich auf Recht und Gesetz zu verstehen. Wäre verteufelt gut gewesen, wenn du immer etwas an Recht und Gesetz gedacht hättest!« erwiderte der Vormann mit einem Anfluge von seinem alten Humor. »Bindet den Mann los, aber stellt euch neben ihn. Drei von euch so, daß er nicht entwischen kann.«
Da stand er aufrecht, der Mörder. Schreckensbleich an dem Rad eines Planenwagens lehnend, mit schlotternden Gliedern, aschfarbenem Antlitz, gebrochen an Leib und Seele, ein erschütterndes und zugleich abschreckendes Bild der Todesangst und Feigheit. Und doch – noch klammerte sich der Feigling an die Lüge. Er mied die dreizehn Augenpaare seiner Richter und der improvisierten »Jury«, die unverwandt und durchbohrend auf ihn gerichtet waren. Seine Blicke hefteten sich auf den Boden, trotzdem hatte er Mut genug, die ernste Frage des Vormannes, ob er schuldig sei, mit einem festen, fast trotzigen Nein zu beantworten. Da trat auf einen Wink des Missouriers der Indianer vor und warf dem Mörder dasselbe schauerliche corpus delicti vor die Füße, das den Vormann kurz vorher im Zelte so gewaltig erschreckt hatte. Mit einem Blicke des Entsetzens prallte der Mörder zurück und bedeckte sein bleiches Gesicht mit beiden Händen. Die Widerstandskraft seiner eisernen Natur war gebrochen. »Eva, Eva,« rang es sich leise von seinen Lippen und – er wäre zusammengebrochen, hätten seine Wächter ihn nicht gehalten.
Die Stimme des Prärie-Richters klang um eine kleine Ton-Nüance milder, als er nochmals fragte, ob der Angeklagte sich schuldig bekenne. Und – nun war der Bann des Trotzes und der Lüge gebrochen. Mit bleichem Gesichte und unheimlich funkelnden Augen, aber mit fester Stimme, in hastigen, abgebrochenen und doch durch die Erregung eindringlich gemachten Worten schilderte Gerhard den mit ernsten Mienen lauschenden Männern sein ganzes früheres Leben, bis zu dem Augenblicke, wo er den Mordstahl auf Robert gezückt. Seine rauhe Stimme nahm einen weicheren Klang an, wenn er Evas Namen erwähnte, und der Ausdruck, mit dem er seine Liebe zu dem Mädchen schilderte, diese unselige Liebe, welche ihn auch zum Mörder gemacht, grenzte fast an Begeisterung. Alle Todesfurcht schien von ihm geschwunden zu sein.
»Ich weiß, ihr Leute, daß mein Leben verwirkt ist!« schloß er seine Rede mit ruhiger und fester Stimme. »Wohlan, es sei. Da ich Eva doch nicht erringen kann, so liegt mir auch am Leben nicht das Geringste mehr. Tut mit mir, was ihr wollt, und Ihr, Kehe-Paha, wenn Ihr wieder mit – mit Eva zusammenkommt, so bringt ihr die Grüße des Mannes, den sie hätte zu einem guten Menschen machen können, wenn sie gewollt hätte. Doch nein – nein! Dieser Gedanke möchte sie quälen. Sagt das lieber nicht. Sagt ihr einfach, ich sei mit ihrem Namen auf den Lippen gestorben. Hört Ihr's, mit ihrem, mit Evas Namen!«
Er schwieg erschöpft und lehnte sich, das Gesicht wiederum mit den Händen bedeckend, an den hinter ihm stehenden Wagen.
Das Gericht war ein kurzes. Die Jury gab ihr »Verdikt« ab: schuldig des Mordes, und Bob, der Vorsitzende dieses summarischen Gerichtes, trat vor den Mörder hin, mit bleichem und ernstem Gesichte. Alle Anwesenden entblößten das Haupt.
»Stephen, oder Gerhard, wie du sagst, daß dein eigentlicher Name sei, der Gerichtshof der Prärie kennt keine großen Formalitäten, und ich selbst habe keine Advokatenzunge, um viel und gewandt zu dir zu sprechen. Die Jury hat dich für schuldig befunden. Du selbst bist der furchtbaren Tat geständig, so bleibt mir nichts anderes übrig, als dir zu sagen, daß das Gesetz der Prärie deinen Tod fordert. Ja, Stephen, Aug' um Auge, Zahn um Zahn! Doch du hast, wie gesagt, deine Schuld gestanden, und ich sehe, daß die unselige Liebe zu dem blauäugigen Weibchen – Gott schütze sie! – dir das Hirn verwirrt hat. Und darum will ich Gnade in einem Sinne üben. Deiner wartet eigentlich der Strick. Doch du sollst durch Pulver und Blei sterben. Das ist Ehre genug für den Meuchelmörder, kalkuliere ich. Und nun, Jungens – stand back! Sechs von euch mögen sich bereit machen zur Exekution. Du, Gerhard, sprich dein Gebet, wenn du beten kannst. Fünfzehn Minuten gehören noch dir und – Gott sei deiner Seele gnädig!«
Fünfzehn Minuten später stand am Waldessaume ein bleicher Mann, aufrecht und mit unverbundenen Augen, den Rücken einem Baume zuwendend, an dessen Fuß eine flache Grube ausgeschaufelt war. Zwanzig Schritte von ihm standen schußfertig, die Karabiner an der Schulter, sechs von den Handelsleuten, ihnen zur Seite Bob und der Indianer. Tiefe Stille ringsum. Da rief der Missourier mit lauter Stimme:
»Stephen, hast du noch etwas zu sagen?«
»Schießt, wenn ich dreimal ›Eva‹ gerufen habe!« lautete die in festem Tone gegebene Antwort.
» Granted!« rief Bob. »Nun, Jungens – macht euch fertig. Das Gesetz der Prärie soll erfüllt werden. Go on, Stephen!«
»Eva,« tönte es leise. Und lauter: »Eva – Eva!!«
Sechs Schüsse – wie aus einem Rohre! Pulverdampf hüllte die Szene ein. Als er sich verzogen, schien die klare Sonne auf den Leichnam des Gerichteten nieder, und als Bob seine Augen nach dem stillen Gebet, das er gesprochen, erhob, da entfuhr ihm ein Laut der Überraschung. – Die hohe, schlanke Gestalt eines blonden Weibes mit einem kleinen Kinde im Arme stand am Waldessaume und hob die Rechte gen Himmel.
War es der Engel der Rache, der die Seele des Mörders von den Pforten des Paradieses abwehrte? War es der freundliche Genius der Vergebung, der dem letzten Rufe des Sterbenden gefolgt?
Eva wandte bleich und mit tränendem Auge ihr Antlitz von dem Leichnam des Gerichteten. Der Karawanenführer war zu ihr herangetreten und drückte ihr ernsten Blickes die Hand.
»Kommt mit uns, armes, junges Weib,« sagte er mit fast weicher Stimme. »Die Welt ist groß und, by Jove, es müßte wunderlich zugehen, wenn Euch nicht bald das Glück wieder blühen sollte. Seht dort« – und er wies mit der Hand auf den immer höher emporrollenden Sonnenball – »die da oben hat ihren Weg auch durch die dunkle Nacht gemacht, und – I bet you – die Tage werden kommen, wo Eure blauen Augen just so hell wieder strahlen werden, wie die alte Sonne dort oben!«
Und Eva mit ihrem Kinde betrat gesenkten Hauptes das Lager, mit freundlichen Blicken und Grüßen von den strammen, bärtigen Gestalten empfangen.
Wo wird diese liebliche Frauengestalt in unserer romantischen Chronik des Völkerkampfes unseren Weg wieder kreuzen?
Schluß des zweiten Bandes.
* * *
Herrosé & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.