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Das Goldthal.

Graf Boulbon sprengte zu der Stelle zurück, wo Eisenarm und der Toyah saßen.

Obschon es der Totem des »Jaguar« war, dessen Überbringung an die stammverwandten Jäger durch Kreuzträger diesem hauptsächlich die allgemeine Bereitwilligkeit sichern half, den Verrat der Apachen zu strafen und den Bedrohten beizustehen, hatte der Toyah nach dem Erscheinen der Hilfe doch wenig mit den Materos verkehrt und sich wieder still in sich zurückgezogen. Vergeblich suchte der Trapper durch die Besprechung der Einzelnheiten des Zweikampfes ihn anzureizen und auf seinen Sieg stolz zu machen, indem er ihm weitläufig auseinandersetzte, daß es nicht erst der Kugel des Grafen bedurft hätte, den Grauen Bären zu fällen. Dies that der ehrliche Trapper, weil es ihn noch immer bedünken wollte, als hege sein junger Freund einen gewissen Widerwillen gegen den tapferen Franzosen.

Aus diesem Grunde auch erörterte er jetzt nochmals die Ansprüche des Grafen auf die Teilnahme an dem Geheimnis und den Besitz der Schätze des Goldthals.

Der Toyah unterbrach ihn unwillig.

»Mein weißer Bruder verschwendet den Hauch seines Mundes,« sagte er. »Die Offene Hand möge alles Gold der Berge nehmen – Wonodongah bedarf seiner nicht.«

»Aber er muß den Eid leisten, den wir drei einander geschworen haben, als uns der Zufall, oder vielmehr der Finger Gottes das Geheimnis entdecken ließ!«

Der Indianer lächelte mit einem gewissen Hohn. »Die weißen Männer lieben das Gold, – sie können nie dessen genug haben. Die Offene Hand wird keinem anderen menschlichen Ohr das Geheimnis des Goldthals offenbaren – Eisenarm möge dessen versichert sein.«

»Wohlan denn, so soll es geschehen – hier ist der Graf!«

Der Franzose parierte dicht vor den beiden sein Pferd und sprang zur Erde. Seine Stirn glühte, sein Auge begann zu funkeln.

»Nun, amigos, können wir aufbrechen? ich fürchte, es wird sonst spät.«

»Zuvor, Señor Conde,« sagte der Trapper, »haben wir Ihnen noch einiges zu sagen.«

»Oh, Eisenarm, Sie und unser indianischer Freund sollen gewiß mit mir zufrieden sein. Es ist natürlich nicht von den Kleinigkeiten die Rede, die Sie sich ausbedungen …«

»Sie mißverstehen uns, Señor,« sagte ernst der Trapper. »Jenes Gold gehört uns nicht mehr. Aber als wir drei zurückkehrten von dieser Offenbarung Gottes oder des Teufels in der Wüste, die leicht auch die Augen der Besten verblendet, haben wir uns zu einem Eide verbunden, daß jeder von uns unter gleicher Bedingung nur seinem Erben das Geheimnis des Weges und die Mittel der Auffindung mitteilen dürfte, bis daß mit Übereinstimmung aller drei der Placer einem der Mächtigen der Erde angeboten werden könnte!«

»Wie dem Kaiser Napoleon!« warf der Graf mit einer gewissen Bitterkeit ein.

»Wir beschlossen dies,« fuhr der Trapper ernst fort, »weil wir wußten, daß das Gold dem einzelnen nur zum Verderben gereicht, und daß es nur dann die wahre Bestimmung, die ihm Gott gegeben, erhält, wenn es einem ganzen großen Volke zu gute kommt und in tausend Quellen des Lebens verrinnt. Da wir nun in unserem einsamen und abgeschlossenen Leben keinen Mächtigeren und Größeren kannten, als den Uncle Sam und den Kaiser Napoleon jenseits des großen Wassers, entschlossen wir uns, unsern Freund José zu diesem zu senden und unser Geheimnis ihm anzubieten, da Uncle Sam schlecht, habgierig und verräterisch ist. Gott hat es nicht gewollt, daß unsere Absicht erfüllt werde; denn unser Bruder José ist auf seinem Wege verunglückt, und der Mann, der sich unseres Geheimnisses bemächtigen wollte und nun mit den verräterischen Apachen in einem Grabe liegt, hat uns gesagt, daß der Kaiser Napoleon längst gestorben ist.«

»Das ist wahr!«

»Nun waren wir bereit, dem unter uns beschlossenen Vertrage gemäß, dem Erben Josés, unseres Freundes und Bruders, seinen und unseren Anteil an der großen Bonanza Bonanza: ein Goldlager zu offener Erde; Placer: der Ort, wo es in der Erde gefunden wird. Gewöhnlich wird der letztere Ausdruck für alle Goldlager gebraucht. zu überlassen, denn Gott der Herr hat an diesem Orte sich so absonderlich offenbart, daß, was ein Mensch brauchen kann, und sei es auch noch so viel, den Reichtum der Goldhöhle kaum zu schmälern vermag. Der Mann aber, dem wir uns verpflichtet hielten, als den Erben Josés anzuerkennen und dem wir demgemäß seinen und unseren Anteil für sich gaben, hat sich als ein Lügner und Fälscher erwiesen. Gott hat ihm seinen Lohn gegeben, und wir beide wissen jetzt, daß Sie, Señor, ein Mann von hohen Eigenschaften und gewaltiger Kraft, der wahre Erbe Josés sind.«

»Da Sie es wissen,« sagte der Graf mit einem ungeduldigen Blick nach dem Stande der Sonne, »so lassen Sie uns auch nicht länger zögern.«

»Hören Sie mich erst zu Ende, Señor, ehe auch Sie, wie ich fürchte, das Goldfieber ergreift, dem nur wenige entgehen, die eine Weiße Mutter geboren hat.«

»Sie sind demnach der unbezweifelte Erbe Josés, des Gambusino und zugleich des Lügners, dem wir unseren eigenen Anteil für die Aussicht, unseren Freund und Bruder zu rächen, verkauft haben. Aber Señor, wir haben schon in San Francisco und auch später durch den Mund unverdächtiger Zeugen, wie Kreuzträger, vernommen, daß Sie beabsichtigen, einen Schwarm jener hungrigen Diebe und Abenteurer, die aus Golddurst die Einöden diesseits und jenseits der Rocky Mountains durchstreifen, den Schatz der Ynkas preiszugeben und ihn zur Goldhöhle zu führen, und wir fürchten, daß dadurch unser Gelübde, das José und ich bei der heiligen Jungfrau von Puebla und Wonodongah auf seinen Totem gethan, gebrochen werde; denn es würde alsdann viel neues Elend, viel Haß, Mord und Hader in diesem Lande verbreitet werden, dessen Bewohnern es leider ohnehin nicht an schlimmen Eigenschaften fehlt.«

»Niemals! Keiner von ihnen soll das Geheimnis erfahren! Sie sollen abgefunden werden, reichlich, mehr als sie verdienen, aber nicht einer soll auch nur in die Nähe dieses Ortes kommen!«

»Das ist Ihre Sache, Señor Conde! So leisten Sie denn den Eid, den wir selbst geschworen.«

Der Graf zog den Hirschfänger, den er als Waffe trug, stieß die Klinge in den Rasen und leistete den Eid, den ihm der Trapper vorsagte, auf das Kreuz des Griffes.

Wiederholt blickte er ungeduldig auf die Felsenwand und den Stand der Sonne.

»Jaguar,« sagte der Jäger, »hast Du die Fackeln aus den Ästen der roten Ceder bereit?«

Der Indianer wies auf fünf oder sechs Hölzer, die er zusammen gelegt hatte.

» Buen! Nimm zwei der Reatas Leinen um den Hals der Pferde. von den Pferden mit,« fuhr der Trapper fort, »denn wir sind lange nicht hier gewesen, und es dürfte nötig werden, an einer oder der anderen der gefährlichsten Stellen besondere Vorsicht zu üben, da der Señor Conde schwerlich an einen Weg gewöhnt ist, wie wir ihn zu machen haben. Sagen Sie, Graf, vermögen Sie fest und ohne daß Ihr Blut stockt und Ihnen einen Schatten vor die Augen treibt, viele hundert Fuß gerade unter sich den Abgrund zu sehen?«

»Verlassen Sie sich darauf, ich werde können, was Sie gekonnt haben!«

»Nun, ich hoffe es, und so laßt uns denn aufbrechen!«

Die beiden Wüstenjäger banden ihre Decken zusammen und befestigten sie auf dem Rücken, um in ihren Bewegungen nicht gehemmt zu sein. In ähnlicher Weise befestigten sie das Holz, das ihnen als Fackel dienen sollte. Dann legten sie ihre Waffen ab und verbargen sie in den Ruinen, der Indianer aber steckte das Bowiemesser in seinen Gürtel, mit dem der Yankee den Grafen bedroht hatte. Auch diesem empfahl Eisenarm, sich von allem zu befreien, was ihm bei dem Klettern hinderlich sein konnte, und Boulbon fügte sich, das Praktische des Rates einsehend, und legte Büchse und Hirschfänger ab.

Nachdem diese Vorbereitungen getroffen waren, betraten die drei nochmals das Innere des Tempels. Der viereckige Raum war leer, aus den Fugen der riesigen Quadern tropfte Wasser, und kein weiterer Ausgang war zu bemerken, bis Eisenarm in dem entferntesten und dunkelsten Winkel verschwand. Der Graf und Wonodongah folgten ihm auf dem Wege, den sie schon vorhin bei dem Eindringen der Apachen benutzt hatten, und der in einer engen, im Dunkel fast unbemerkbaren aufwärts führenden Treppe von Steinblöcken bestand. Ein einziger Mann hätte hier mit leichter Mühe die ganze verräterische Truppe aufhalten können, wenn ihre abergläubische Furcht sie nicht von selbst verjagt gehabt hätte.

Nach einigen Augenblicken waren alle drei auf der ersten Terrasse, auf der sich ein ähnliches Stockwerk wie das eben erstiegene, nur von geringerem Umfang pyramidalisch erhob, ohne jedoch einen Eingang zu zeigen.

»Bis hierher, Señor Conde,« sagte der Trapper, »kennen Sie bereits den Weg, und wir sannen gleichfalls, als der Zufall uns an diesen Ort geführt hatte und der Spürsinn Josés durch ein kleines Stück Gold rege geworden, das er zwischen den Steinstufen der Treppe fand, und das vor Jahrhunderten dort verloren sein mag, wie wir weiter kämen. Erst seine Barreta Der eiserne oder eisenbeschlagene Stab der Goldsucher. die wir oben finden werden und die er in die Fugen jenes Steines steckte, half uns weiter.« Er stemmte sich, als er dies sagte, mit aller Kraft gegen eine der Quadern, sie bewegte sich auf einem steinernen Zapfen und ließ den Eingang in einen Raum frei, der ähnlich wie der andere beschaffen war.

Auch hier führte in dem Winkel eine rohe Treppe zu der zweiten Terrasse, auf der sich die letzte Pyramide, dicht an die Felsenwand lehnend, erhob. In die äußere Wand dieser Pyramide waren Stufen eingehauen, auf denen die drei Männer jetzt empor stiegen, bis sie auf der engen kaum für sie Raum bietenden oberen Plattform standen.

Der Graf sah sich hier vergeblich nach einem weitern Wege um; dicht an ihnen empor stieg die durch die optische Täuschung anscheinend senkrechte ja überhängende Felswand zu schwindelnder Höhe empor, und in zahllosen Gerinnen sickerte an ihr zwischen den Moosen und Rankengewächsen, welche die Wand bedeckten, das Wasser der Quellen herab.

»Nun, Señor,« sagte lächelnd der Trapper, »vermögen Sie wohl Ihren Weg da hinauf zu finden?«

»Den Henker auch! man müßte denn Flügel haben! Aber ich sehe wirklich nicht, wie wir hier weiter kommen sollen?«

»So dachten wir anfangs auch oder hatten vielmehr keine Ahnung, daß es überhaupt einen Weg da hinauf geben könnte, als die Neugier uns hier herauf geführt hatte, bis der Gambusino mit einem Instinkt, den die Natur einmal in ihn gelegt, den Anfang des Pfades fand, und diesen dann so sicher verfolgte, wie ein Lastkarren den Weg durch die große Straße von Chihuahua. Blicken Sie her, Señor.«

Der Trapper schob eine dicke Ranke zur Seite, und es zeigte sich eine in den Felsen eingehauene Stufe, der in der Entfernung von etwa zwei Fuß, etwas höher zur Seite eine zweite, dritte und so fort folgte. Kurze Stangen von jener Mischung des Kupfers aus den Gebirgen von Zacotollan und des Zinns aus den Gruben von Tasco, deren sich die alten Mexikaner statt des Eisens bedienten, waren als Handhaben in das Gestein eingelassen und trotz des von Rost und Moos überzogenen Zustandes meist noch brauchbar und von auffallender Festigkeit.

»Das ist ein halsbrecherischer Weg,« sagte schaudernd der Graf, »den kaum ein Seiltänzer betreten kann!«

»Dennoch, Señor Conde, ist er der einzige, der zu dem Goldthale führt, und Tausende haben ihn vor uns zurückgelegt, wenn die Sage nicht trügt, obschon gerade nicht zu ihrem Glück.«

»Vorwärts denn!«

»Geh' voran, Jaguar, und zeige uns den Weg, und Sie, Señor, lehnen Sie sich nur dicht an die Felswand, und Sie werden finden, daß die Gefahr nicht so groß ist. Nur vermeiden Sie, unter sich zu blicken.«

Der Indianer hatte bereits seinen Weg begonnen, der Graf beeilte sich, ihm zu folgen, und Eisenarm machte den Beschluß. Die größte Schwierigkeit bestand in der That in der Ersteigung der ersten fünfzig Fuß. Je höher sie kamen, desto mehr löste sich die bereits erwähnte optische Täuschung, die von unten her die Felswand als senkrecht und unersteiglich erscheinen ließ. Die Steinmassen traten allerdings in noch immer schroffer Abdachung zurück, aber sie waren für einen entschlossenen und gewandten Mann mit Hilfe der eingehauenen Stufen und der metallenen Handgriffe doch zu erklimmen, und der Graf, der oft genug in den Pyrenäen den Bären, in den savoyischen Alpen das Bergschaf verfolgt hatte, vermochte nach einiger Übung ganze Strecken weit zu steigen, ohne die Handhaben zu benutzen, deren Zweck ihm der Trapper durch die schaurige Erzählung erläuterte, die er am Abend zuvor dem Yankee gegeben.

Die größte Gefahr bestand an den Stellen der Gerinne, die den seltsamen Pfad schlüpfrig machten, und hier war die größte Vorsicht und ein festes Anklammern an die Stäbe und kupfernen Ringe nötig, die vor vielen Jahrhunderten in die Steine eingelassen waren. Zweimal war der Graf trotz aller Kraft und Vorsicht in Gefahr zu straucheln, und nur der feste Griff in einen der Ringe, das andere Mal die unterstützende Hand des Trappers retteten ihn vor dem Sturz in die Tiefe.

So waren sie etwa zwei Stunden gestiegen, als nach der Meinung des Grafen ihnen ein unübersteigliches Hindernis entgegentrat. Es war dies ein aus der Bergwand hervortretender mächtiger Felsblock, der, in die Luft hinausragend, ihnen etwa sechs bis sieben Ellen hoch geradezu den Weg versperrte und der Glätte der Wände halber auch auf der Bergseite nicht zu umgehen war.

»Es muß hier früher eine besondere Vorrichtung bestanden haben, um auf den Block zu kommen,« bemerkte der Trapper, als sie sich einige Minuten ausruhten, »aber wahrscheinlich sind die dazu benutzten Seile oder Hölzer längst verfault, und wir müssen uns eben helfen wie damals, als wir mit José zum erstenmal hier waren. Aber was ist das für ein Gekreisch, Rothaut, über unseren Köpfen?«

Alle drei horchten aufmerksam; es klang wiederholt wie der heisere Ton von Vögeln.

» Caramba!« meinte der Trapper, »wir werden besser sehen, was es bedeutet, wenn wir erst oben sind. Steige auf meine Schultern, Jaguar, und wirf den Strick um jene Steinspitze.«

Der Comanche schwang sich mit der Leichtigkeit eines an körperliche Übungen gewöhnten Mannes auf die Schulter des Jägers und warf von hier aus die Schlinge der zusammengeknüpften Reatas über die vorspringende Spitze. Nachdem er die Haltbarkeit geprüft, schwang er sich mit leichter Anstrengung auf die Felsplatte.

Sein »Hugh!« verkündete sogleich, daß ein besonderer Gegenstand seine Aufmerksamkeit fesselte.

»Nun, Señor Conde,« sagte der Trapper, »ist die Reihe an Ihnen, folgen Sie dem Jaguar, der Strick hält fest.«

Der Graf nahm die gebotene Hilfe an, schwang sich auf die Schulter des Riesen und von dort auf die Höhe des Felsens. Es war ihm auffallend, daß der Indianer dabei vermied, ihm zum Beistand die Hand zu reichen, aber der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn den Umstand rasch vergessen.

Die Plattform war ziemlich eben und maß etwa acht Schritt im Geviert. In einer muldenartigen Vertiefung dicht am Abhang befand sich ein seltsamer aus Zweigen, Ästen und Laub wohl vier Fuß hoch zusammengetragener Bau, der sich bei näherer Ansicht als ein riesiges Vogelnest erwies. Knochen von Gazellen, jungen Rehen, und anderen Tieren lagen auf dem ganzen Plateau verstreut; und als der Graf neugierig zu dem Nest trat, aus welchem jenes widrige Geschrei erklang, glotzten ihn die großen Augen von drei halbnackten, nur mit braunen und grauen Haaren bedeckten jungen Vögeln, an deren hagerem Leib der Kopf der größte Teil schien, aus einer dichten Lage von Schmutz und Federn an, und ein widriger Gestank drang ihm aus den bissig auf und nieder schnappenden großen Schnäbeln entgegen.

» Carrajo!« rief ziemlich erschrocken der Trapper, der sich unterdes gleichfalls auf den Block geschwungen, »das ist in der That eine schöne Geschichte! Es ist das Nest eines Kondors, Jaguar, der sich hier niedergelassen, seit wir die Wand nicht bestiegen haben, und das ist jetzt beinahe zwei Jahre, und ich wette, daß wenigstens die eine der Bestien nicht weit entfernt ist.«

Der Indianer untersuchte das Nest. »Mein weißer Bruder kann hier die frischen Reste einer wilden Ziege sehen,« bemerkte er. »Der Kondor hat sie gestern mittag in sein Nest getragen.«

»Richtig! – wir sahen ihn kreisen, als wir unsere Schritte dem Thal der Quelle zuwandten, aber ich hatte keine Ahnung davon, daß er auf dieser Felswand und gerade mitten auf unserem Wege sein Nest aufgeschlagen haben würde.«

»Lassen Sie uns die Jungen töten und unseren Weg fortsetzen,« sagte der Graf.

»Das geht so leicht nicht! Töten müssen wir sie freilich, aber nicht ohne die Alte. Sie kennen die Gewohnheiten dieser Tiere nicht, Señor Conde, und haben sie wahrscheinlich noch nie in der Nähe gesehen. Ich wette Hundert gegen Eins, daß das Weibchen, das sich gewöhnlich in der Nähe hält, während der Kondor oft zwei, drei Tage weite Ausflüge unternimmt, uns bereits im Auge hat, das auf fabelhafte Entfernung reicht. Sobald wir wieder auf dem Wege sind, würde es uns anfallen, und obschon dieser Weg von hier aus weit besser ist als der frühere, würde es ihm ein leichtes sein, uns mit seinen gewaltigen Flügeln von der Bergwand herunterzufegen, wie einen Haufen Spreu, da wir keine Büchsen bei uns haben, um uns zu verteidigen. Was also geschehen soll, muß hier geschehen, wo wir wenigstens Raum haben, uns zu wehren.«

Es folgte hierauf eine kurze Beratung zwischen dem Trapper und dem Indianer über die zu ergreifenden Maßregeln.

Alsbald befestigten beide ihre Messer mittels der Leinen möglichst stark an die längsten Cedernäste, die sie zum Dienst als Fackeln mit sich genommen. Einen davon erhielt der Graf mit der Anweisung, sich an die Felswand zu stellen, diesen Rückhalt in keinem Fall zu verlassen und von hier aus sich etwaiger Angriffe des Vogels zu erwehren. Die zweite gleiche Waffe behielt der Trapper, Wonodongah aber legte einen dritten Ast für sich bereit.

Als dies geschehen, schlug der Trapper Feuer, zündete einiges trockenes Moos an und warf den Zunder in das Nest.

Die Wirkung ließ bei den Bestandteilen desselben nicht lange auf sich warten. Die Masse der Haare und Federn fing alsbald Feuer, die dürren Reiser loderten auf, in ein paar Minuten stand das ganze Nest in vollen Flammen und eine dicke Rauchsäule wirbelte hoch empor in den blauen Äther. Sobald das Nest in Feuer stand, schob der Indianer die Spitze seines Stockes in die Glut.

Das Gekreisch der jungen Vögel, die sich zuerst von der Hitze, dann von den Flammen angegriffen fühlten, war laut und schrillend, und es dauerte eine Weile, bis es nach und nach verstummte.

In diesem Augenblick stieß der Trapper den Grafen an und deutete auf einen im Äther schwebenden schwarzen Punkt, der mit unglaublicher Schnelle näher kam und sich vergrößerte.

»Es ist das Kondorweibchen, Señor,« sagte er hastig, »jetzt gilt es, kaltes Blut zu haben.«

Der dunkle Punkt wuchs und wuchs in der Luft, dann hörte der Graf ein gewaltiges Rauschen, das näher und näher kam, wie das Brausen des Sturmwindes, und im nächsten Augenblick stürzte sich der Kondor auf das brennende Nest.

Der Anblick war in der That furchtbar und erschütterte selbst die Nerven eines so unerschrockenen Mannes, wie der Graf es war. Der Vogel maß mit seinen ausgebreiteten Flügeln von einer Spitze zur anderen gewiß zehn volle Fuß, seine Krallen waren so stark, daß ihr Griff selbst einen Büffel hätte zu Boden werfen können, und seine großen runden Augen schienen förmlich zu leuchten. Mit so gewaltigem Flügelschlag, daß die beiden Männer an der Felswand dem Luftdruck kaum widerstehen konnten, umkreiste er das brennende Nest, schlug mit den Flügeln und den Krallen hinein, um das Feuer zu löschen und stieß dabei so wilde schrille Töne aus, daß den Hörern das Herz erbebte.

Wonodongah hatte sich glatt auf den Boden geworfen und hielt das Ende seiner Fackel noch immer in die Glut. Endlich sank diese nach der Verzehrung des leichten Brennstoffes in sich selbst zusammen, der Rauch wurde lichter und der gewaltige Vogel, der zugleich zur Erkenntnis kommen mochte, daß seine Brut tot und verloren, bekam die beiden Männer zu Gesicht.

Das Gekreisch des Schmerzes und der Angst verwandelte sich in ein solches der Wut, und er schoß mit einem neuen Schwünge der Flügel auf sie zu.

Aber seine Bewegungen waren keineswegs mehr sicher und leicht. Die Schläge in das Feuer hatten ihm die gewaltigen Schwungfedern verbrannt, und er vermochte kaum noch sich in der Luft zu halten.

»Zu Boden, Señor, zu Boden!« schrie der Trapper, während er sich selbst zur Seite warf und mit der messerbewehrten Stange nach dem Kondor stieß. Der Graf hatte kaum noch Zeit, platt auf die Steine zu fallen, als der Vogel an ihm vorüberschoß; der furchtbare Schlag des Flügels hätte ihn sonst in den Abgrund geschleudert.

Diesen Moment hatte der Indianer benutzt. Aufspringend stieß er die brennende Fackel in den Schweif des Kondors, dessen Federn sofort versengt emporflammten.

Als der Kondor an der Bergwand emporstreifen wollte, vermochte er seinen mächtigen Körper nicht mehr zu regieren und taumelte nieder auf das Felsplateau.

Hier lag der Vogel einige Augenblicke mit weit ausgebreiteten Flügeln, seine Gegner mit den großen Augen anstarrend und mit dem mächtigen Schnabel auf und nieder hauend, ehe er sie angriff. Diese kurze Frist benutzten der Jaguar und der Trapper, um die glimmenden Reste des Nestes auf ihn zu schleudern und dem Grafen zuzurufen, sich nur aus dem Bereich seines Flügelschlages zu halten.

Dann erfolgte der Kampf.

Das Plateau war, wie wir oben beschrieben haben, so eng, daß die drei Männer trotz aller Gewandtheit kaum der Wut ihres gewaltigen Feindes entgehen konnten. Der Indianer griff ihn mit seinem Feuerbrand von vorn an, weil der Kondor in dieser Richtung nur mit Schnabel und Klauenhieben sich wehren konnte, während Eisenarm und, seinem Beispiel folgend, der Graf mit ihren langen Stöcken versuchten, die Sehnen der Flügel zu durchhauen.

Endlich gelang es dem Trapper mit einem kräftigen Hieb, bei dem er freilich gleichfalls einen Schlag bekam, der ihn zu Boden warf, dem Kondor den rechten Flügel zu lähmen. Das Ungetüm, das sich nun nicht mehr nach allen Seiten zu wehren vermochte, und von den Fackelschlägen des Jaguar erblindete, versuchte noch immer wütende Hiebe auszuteilen, aber die jetzt mit größerer Sicherheit erfolgenden Messerstiche in Hals und Körper ließen allmählich seine Kraft erlahmen, und nach einer Viertelstunde lag es tot neben dem verbrannten Nest.

» Santa virgen purissima!« stöhnte Eisenarm, den Schweiß von seiner Stirn trocknend, »ich wüßte kaum, was mich seit langer Zeit so außer Atem gebracht hat! Die Bestie hat ein zähes Leben, wie ein Armadyll, das man doch stückweise zerschneiden kann, ehe es stirbt. Nun, Señor, lassen Sie uns etwas ruhen, ehe wir den Weg fortsetzen, denn die ungewohnte Arbeit wird Sie ermüdet haben!«

Wonodongah wies auf den Stand der Sonne.

»Unser Weg ist weit, und das Gestirn des Tages wird in zwei Stunden sein Antlitz hinter den Bergen verstecken,« sagte er.

»Ich denke auch, es ist das beste, wir brechen sogleich auf,« drängte der Graf.

» Carrajo! wenn Ihr's so eilig habt, meinetwegen denn! ich hoffe nur, das Kondormännchen jagt noch fünfzig Meilen entfernt und wird uns nicht belästigen. Hier, Jaguar, ist Dein Messer zurück, ich werde die Fackeln tragen, und nun vorwärts!«

Der kleine Zug brach alsbald in der früheren Ordnung wieder auf und setzte seinen Weg fort.

Dieser war von hier aus, wie der Trapper schon vorhin bemerkt hatte, weit weniger beschwerlich und glich weit mehr einem wenn auch engen und steilen, doch ohne andere Hilfe ersteigbaren Fußpfad. Der Graf bemerkte dabei, daß das Gestein der Felswand jetzt einen ganz porösen Charakter annahm, der das Durchsickern des in höheren Regionen gesammelten Wassers erklärlich machte.

So waren sie wohl noch anderthalb Stunden gestiegen, als der Indianer Halt machte.

»Der Geist der gelben Gewässer ist uns nahe,« sagte er feierlich, »es ist Zeit, daß wir ihn anrufen, ehe wir sein Gebiet betreten.«

Der Trapper zuckte die Achseln. »Es ist ein armer Heide,« bemerkte er zu dem Franzosen, »und von dem Aberglauben seines Volkes nicht abzubringen. So mache denn Deinen Hokuspokus, Jaguar, und laß uns dann weiter gehen.«

Der Indianer schlug sein Hemd zurück, so daß er bis an die Hüften ganz unbekleidet dastand. Dann bewegte er die Arme nach allen vier Himmelsgegenden in seltsamer Weise und murmelte allerlei Beschwörungen, während er Moos und Gräser aus den Felsspalten abriß und sie nach allen Seiten verstreute. Zuletzt kniete er nieder und schlug dreimal mit der Stirn auf den Boden.

Boulbon hatte den Arm des Trappers gefaßt, sein Gesicht glühte fieberhaft, seine Hände zitterten.

»So ist es denn wahr,« stammelte er, »wir sind an der Goldhöhle oder dem Goldthal, wie Sie es nennen?«

»Fassen Sie sich, Señor,« flüsterte ernst der Jäger, »und lassen Sie die Rothaut nicht sehen, daß ein tapferer weißer Mann seine Kraft und Ruhe verliert bei dem Anblick des schönen Metalls. In fünf Minuten werden Sie sehen, daß José, unser verstorbener Freund, Sie nicht getäuscht hat.«

Der Indianer hatte sich erhoben. »Es ist Zeit,« sagte er, »der Geist der gelben Gewässer erwartet uns, aber er hat nur Zweien den Eintritt gestattet!«

»Thorheit, Jaguar,« meinte der Trapper, »wir sind Christen und kümmern uns wenig um Deine Geister. Geh' voran!«

»Vorwärts, vorwärts!« drängte der Graf.

»Es sei! alles andere komme über Euer Haupt!«

Der Indianer schritt vorwärts unter feierlichem Schweigen, die beiden anderen folgten ihm.

Sie stiegen noch etwa zwanzig Schritt in die Höhe, dann wandten sie sich, dem Führer folgend, um einen Bruch der Felswand und standen auf ihrer Höhe.

»Sieh her, Fremdling,« sagte der Comanche, den Arm ausstreckend, »sieh den Gott der weißen Männer und nimm ihn!«

Vor ihnen lag das Goldthal! – – – – – – – –


Der Graf stand und schaute sprachlos in den tiefen Grund, der sich zu seinen Füßen breitete; seine Augen mit den starren Blicken schienen aus den Höhlen zu quellen, die Adern seiner Schläfe begannen aufzuschwellen.

Dann plötzlich sank er auf beide Kniee, breitete die Arme aus, und das einzige Wort, was seine Lippen zu stammeln vermochten, war: »Gold, Gold!«

Die letzten Strahlen der Sonne glühten auf dem Thal und hüllten es in einen dämonischen Glanz!

Als der Graf endlich imstande war, mit seinen Blicken die Einzelheiten zu umfassen, sah er dies:

Vor den drei Wanderern breitete sich ein muldenartiges, etwa fünfzig oder sechzig Schritte breites und etwa doppelt so langes Thal aus, von schroffen Seitenwänden aus demselben porösen Gestein begrenzt, das wie der Franzose bemerkt hatte, den obern Teil der Felswand oder gleichsam ihre Krone bildete.

Den Hintergrund dieses Thals oder Kessels schloß eine Felsenmauer aus festerem Gestein von noch größerer Höhe und Schroffheit, als die, welche sie erstiegen. Sie schien zu einem mächtigen Bergzug zu gehören und gänzlich unersteigbar.

Am Fuß dieser Wand öffnete sich ein großer höhlenartiger Spalt. Aus vielen anderen kleineren Spalten und Löchern in der Breite der Bergwand drang schmutziges Wasser, das sich in vielen Gerinnen und Tümpeln weiter durch das Thal spülte bis zu der Gegenwand, auf der der Graf mit seinen Begleitern stand, hier sich sammelte und ohne sichtbaren Abfluß blieb. Man begriff sogleich, daß es hier durch die poröse Steinwand weitersickerte, um dann auf der anderen Seite an der Felswand in klaren Strähnen niederzurinnen und am Fuße die Quellen des Flusses zu bilden.

Zahllose ältere Gerinne und Tümpel bedeckten den Boden des seltsamen Thals, jetzt ausgetrocknet oder vielmehr gefüllt von einem glänzenden Sand und Gestein.

Dieser Sand, dieses Gestein war – Gold!

Je näher der mächtigen Bergwand, an deren Fuß sich die Höhle – offenbar das frühere Bett des Wasserstromes aus dem höher liegenden Gebirge – öffnete, desto reichlicher war die Ablagerung des Goldes.

In dem Strahle der scheidenden Sonne schien das ganze Thal ein Blitz gelben Feuers. Überall brach sich das Licht an den scharfen Ecken des massiven Goldüberzuges, mit welchem Boden und Gestein bedeckt waren. Die Ablagerung des goldhaltigen Wassers seit Jahrtausenden, wahrscheinlich schon seit der letzten gewaltigen Erdrevolution, war so massenhaft, daß die einzelnen Körner zu Klumpen herangewachsen waren und offenbar das Wasser mehrfach aus seinen Gerinnen verdrängt hatten. So waren die alten Tümpel und Rinnen jetzt statt mit Wasser, mit gediegenen Goldstufen gefüllt. Dies Metall kommt nur in gediegener Form, nicht mit anderen Metallen vermischt, zutage. Auch das Wasserbecken, in dem sich zu den Füßen der Schauenden die trübe Flut sammelte, ehe sie durch das gleich einem feinen Sieb die schwere Metallmasse zurückhaltende Gestein drang, war bereits mit einem Wall ringsum krustiert.

Auf diesen ungeheuren Massen des edlen Metalls reflektierten die Strahlen des Tagesgestirns mit einem Glanz, den das Auge kaum ertragen konnte.

Dennoch waren die Wunder des Ortes damit keineswegs erschöpft.

Ein Strahl der scheidenden Sonne schien sich jetzt in das Innere der ungeheuren, mit ewigem Schnee und Eis auf ihrem Gipfel bedeckten Bergmasse zu bohren, in jene Höhle, die der Graf vorhin bemerkt hatte, und sofort in ihr eine neue Sonne hervorzurufen.

Diese ganze Höhle, das frühere Strombett, war von oben bis unten mit gediegenem Golde überzogen.

Wie in den Stalaktitenhöhlen ragten von der Decke, aus den Seiten, aus dem Boden Spitzen und Auswüchse von den seltsamsten, wunderlichsten Formen, Säulen und Klumpen, Blöcke und Rauten.

Aber alle diese Gestalten, diese Spitzen und Säulen, diese Klumpen und Rauten waren Gold, gediegenes Gold!

Der Anblick war in dem Flammenschein der versinkenden Sonne für ein Menschenauge unerträglich.

Der Graf bedeckte das seine mit der Hand und wollte, als die Schatten jetzt langsam heraufwuchsen und die wunderbare Erscheinung in Nacht hüllten, den Abhang hinabeilen, als fürchte er, daß dieser Glanz ihm für immer entschwände und er ihn festhalten müsse.

Die starke Faust Eisenarms hielt ihn zurück.

»Bleiben Sie, Señor, fassen Sie sich, und seien Sie ein Mann, oder das Goldfieber wird Sie auf immer Ihres Verstandes berauben!«

»Lassen Sie mich! ich muß hinunter! ich muß meine Hand darauf legen, ich muß fühlen, um zu glauben, daß es kein Traum ist!«

»Dann folgen Sie dem Jaguar, Sie sehen, daß er seinen Weg kennt!«

In der That stieg der Indianer auf breiten, in das Gestein gehauenen Stufen bereits hinab auf den Grund des Thales.

Der Franzose folgte ihm mit den Sprüngen eines Tigers, als dürfe er nicht gestatten, daß jener zuerst die Sohle des Thales betrete und von seinem Eigentum Besitz nehme.

Mit trübem Kopfschütteln stieg der Wüstenjäger hinterdrein. Als der Graf auf den Boden des Thales gekommen, warf er sich mit dem ganzen Körper auf den nächsten Goldhaufen und griff wie wahnwitzig mit den Händen umher. Dann sprang er auf, eilte zu einer zweiten Stelle und befühlte ebenso die Klumpen und Stücke, ja er füllte seine Taschen mit solchen, die er in der nächsten Minute wieder fortwarf, um andere einzustecken, oder er versuchte mit der Kraft seiner Hände, Spitzen und Blöcke abzubrechen, um zu prüfen, ob auch wirklich das Innere von gleichem wertvollen Gehalt sei.

Der Indianer stand bei dieser seltsamen, ja, widerwärtigen Scene in der Mitte des Thals mit gekreuzten Armen und schaute mit dem Ausdruck von Hohn und Verachtung auf das Treiben des Weißen.

»Ich sagte es im voraus,« sprach mit betrübtem Ton der Trapper, »das Goldfieber würde ihn ergreifen! Gott im Himmel, wie kann ein Mann sich doch so für ein Ding vergessen, das in der Einöde noch nicht einmal einen Trunk Wasser oder einen Bissen Nahrung wert ist! Blick hin, Jaguar, und freue Dich, daß der große Geist uns beide vernünftiger geschaffen hat!«

Die Dunkelheit war unterdes rasch auch über das auf der Höhe gelegene Thal gesunken und nur noch das Licht der aufblitzenden Sterne funkelte auf dem Goldlager.

Der Graf taumelte noch immer von einem der Haufen zum anderen, er befand sich jetzt am Eingang der tiefdunklen Höhle und genoß mit dem Sinne des Tastens und Fühlens die ungeheuren Schätze, die er nicht mehr sehen konnte. Endlich schien ihm einzufallen, daß seine Begleiter mit dem Material zu Fackeln versehen waren. Er rief Eisenarm und verlangte im Tone des Befehls, daß sie alsbald eine solche anzünden sollten.

Der Jäger that es schweigend. Er zündete die Fackel an und trug sie zu dem Grafen an den Eingang der Höhle, aus der in dem roten Schein blitzende unheimliche Reflexe brachen.

»Señor,« sagte er teilnehmend, »ich bitte Sie nochmals, lassen Sie sich nicht von diesem Gefühl beherrschen und hinreißen, kommen Sie zu sich selbst, und überlegen Sie mit uns, was am besten zu thun ist. Sie haben seit diesem Mittag nichts genossen. Wir haben eine Kürbisflasche mit frischem Wasser bei uns, denn dieses hier ist trüb und schlammig, und etwas am Feuer gedörrtes Hirschfleisch. Nehmen Sie einen Trunk und einen Bissen, das wird Sie erfrischen.«

»Ich kann nicht essen – ich kann nicht trinken!«

»Es ist das Fieber, was Sie daran hindert. Aber, carrajo! Seien Sie ein Mann! Erinnern Sie sich, daß wir versprochen haben, morgen auf der Insel mit Ihren Gefährten und den Comanchen zusammenzutreffen. Zu dem Ende müssen wir mit Sonnenuntergang aufbrechen. Wir haben einen schwierigen Weg die Felswand hinab zurückzulegen und einige Stunden Schlaf werden uns allen wohl thun.«

»Nein! nein! – laßt mich!«

»Erinnern Sie sich, Señor, ich meine es redlich. Ihre Gattin ist, wie Sie selbst sagten, von Gefahren umringt und erwartet Ihren Beistand.«

»Mein Weib – mein Sohn! – Aber Kreuzträger wird sie schützen!«

»Ich hoffe es! Wir werden sie bereits befreit finden und die Schurken von Apachen gebührend gezüchtigt. Aber bedenken Sie, daß, wenn Sie morgen nicht zu den Ihren zurückkehren, Ihre Leute aufbrechen könnten, um Sie hier aufzusuchen. Und dies, Señor – ich erinnere Sie an Ihren Schwur – würde unser gemeinsames Geheimnis gefährden.«

Der Graf fuhr wie aus einem Traum empor, seine blutunterlaufenen Augen starrten wild und unheimlich auf den Sprecher.

»Was sprichst Du da, Mensch?« rief er zornig. »Unser Geheimnis teilen? Nimmermehr! es wissen ohnehin schon mehr, als gut ist, darum! Niemals! – wir müssen fort, hin zu ihnen! Sie haben recht, Eisenarm, wir wollen uns mit Gold beladen, um sie fortzuschicken – aber hierher? in mein Eigentum? – niemals! niemals!« Er blickte forschend umher, und dann versuchte er mit seinen Händen einen Klumpen Gold aus den Wänden zu reißen, der Schweiß trat von der vergeblichen Anstrengung auf seine Stirn.

»Warum quälen Sie sich, Señor,« sagte traurig der Jäger. »Dort hinter Ihnen lehnt ja noch die Barreta Josés, die er vor zwei Jahren hier zurückließ. Aber es liegen genug lose Stücken Goldes da vorn, wenn Sie morgen einen kleinen Teil dieser Schätze mit sich nehmen wollen.«

Der Graf faßte eilig nach dem starken Eisenstabe, den er bisher nicht gesehen. »Nein, nein!« sagte er, »laßt alles liegen, ich selbst will es bestimmen, es darf nichts –« er fuhr mit der Hand über die Stirn, als wolle er einen wüsten Gedanken verscheuchen. »Sie haben recht, Eisenarm, dieses Gold verwirrt und kehrt mir das Herz in der Brust um. Es blitzt vor meinen Augen, es dringt wie eine Woge in mein Gehirn – ich kann nicht widerstehen. Aber sehen Sie hier –« und er brach mit einem gewaltigen Schlage der Barreta wohl ein 60 bis 70 Pfund schweres Stück des Metalls von der Decke nieder – »dies und mehr sollen die Männer haben, die mit mir Arbeit und Mühe geteilt, und keiner meiner Freunde soll vergessen sein. Kommen Sie geschwind, ehe mich der Taumel wieder erfaßt!«

Er schritt dem Trapper voran hastig aus der Höhle, Eisenarm hob den Goldklumpen auf und folgte ihm.

So kamen sie zu der Stelle, wo der Indianer saß. Der Graf befestigte die Fackel zwischen dem glänzenden Gestein, dann nahm er einen Trunk Wasser aus der Flasche Eisenarms, warf eine Menge Goldstufen zu einem Haufen und half sie hastig in die mitgebrachten Decken schnüren. Er sprach dabei fortwährend, wie ein Mann, der das Fieber hat, entwarf Pläne über die Bewahrung und Ausbeutung der riesigen Bonanza und bestimmte dazwischen, mit welchen Reichtümern er alle die überschütten wollte, die treu zu ihm gehalten.

Endlich wurde er still, stützte das Haupt in die Hand und schien in tiefes Nachdenken verloren.

Diese Ermattung schien der Trapper erwartet zu hoben. Er winkte dem Indianer, gleich ihm zu thun und ihren Begleiter sich selbst zu überlassen, und streckte sich lang auf den Boden, den Kopf auf den Goldblock gestützt, den die Barreta von der Stelle gelöst, an der er vielleicht durch Jahrtausende gewachsen.

Wenige Augenblicke darauf verkündete der ruhige, kräftige Zug seines Atems, daß er fest entschlafen war.

Der Toyah folgte anscheinend seinem Beispiel, streckte sich auf dem Boden nieder und blieb bewegungslos.

Tiefe Stille lag über dieser Stätte unermeßlicher Schätze. Nur das leise Geräusch der grünen Schlangen, die, von dem Schein der Fackel gelockt und erschreckt, in zahlreichen Exemplaren umherschlüpften, und der pfeifende Ruf des Choyero unterbrach diese Ruhe.

Der Graf saß noch immer auf derselben Stelle, in derselben Haltung.

Plötzlich fuhr er empor; sein Gesicht glühte dunkel, wie von nicht zu überwältigendem Andrang des Blutes. Die Fackel war fast niedergebrannt; der Graf ergriff ein frisches Holz, zündete es an und ging dann mit leisem, unhörbarem Schritt an den Schläfern vorüber, zurück nach dem Ende des Thales.

Vor der Goldhöhle blieb er stehen, sein Auge tauchte in ihre Tiefen, soweit der Strahl der Fackel reichte. Er hielt sie weit hinein und folgte ihrem Schein.

Überall Gold – Gold – Gold, das in phantastischen Schatten und Lichtern ihn anblitzte, ihm zu winken, ihn wie mit tausend Teufelsfratzen anzugrinsen schien.

Die Fackel und der Mann verloren sich in den Tiefen der Höhle, sie tauchten auf und nieder, wie die Windungen des Gewölbes es mit sich brachten, dann verschwanden sie ganz. – Erst nach langer Zeit kamen sie wieder zum Vorschein; der Träger mit schleppendem, schwerem, unsicherem Gang und bald erbleichendem, bald dunkel sich rötendem Gesicht. Der brennende Cedernspan zitterte in seiner Hand; er klemmte ihn zwischen das goldene Gestein und ließ sich erschöpft niederfallen auf einen anderen Block.

»Unermeßlich! – unermeßlich – und meinmein

Er blieb in tiefer Verzückung sitzen, nur zuweilen streckte er die Hände aus, an den Wänden umhertastend, sich überzeugend, daß dies alles Wirklichkeit.

Wilde, riesige Träume durchflogen seine Seele, dunkle, gigantische Schatten der Zukunft rauschten um sein Haupt.

Was vermochte er zu thun! – oder besser, was vermochte er nicht zu thun mit diesen Schätzen in seinem Besitz, mit diesem Reichtum, nicht im Verbrauch jährlicher winziger Millionen, sondern mit der ganzen, ganzen Wucht dieses unermeßlichen Schatzes?!

Frankreich unter einem neuen Zweige der Bourbonen – eine Kriegsmacht, wie sie kein anderes Volk der Erde schaffen und bezahlen kann – eine Krone für seinen Sohn – – – Paris, das wunderbare, verführerische Paris zu seinen Füßen – alle Gewalt, alle Schönheit, aller Genuß, alle Ehre, aller Glanz der Erde in diesem Golde, und er – sein einziger Herr! – –

Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter. Der Graf fuhr empor – Wonodongah, der Toyah, stand vor ihm.

Die Fackel war tief heruntergebrannt und warf riesige flackernde Schatten aus den Gestalten des Indianers und des Grafen an die goldenen Wände.

»Wonodongah?« sagte der Graf, »was ist geschehen, daß Du mich störst?«

»Der Große Geist hat dies Land zuerst seinen roten Kindern gegeben,« sprach der Indianer eintönig. »Das Gold, das aus den Bergen und Flüssen gewachsen ist, gehörte den Kindern des Landes. Wonodongah ist ein Häuptling, ein Krieger hat nur ein Wort. Der Jaguar hat all dies rote Gold einem Weißen versprochen, – er hat sein Wort gehalten! Ist das Langmesser, das über das salzige Wasser gekommen, mit dem, was er hier sieht, zufrieden?«

»Es ist tausendfach mehr, als ich je geträumt, und mein Dank soll Euch alle …«

Der Indianer winkte ungeduldig mit der Hand.

»Die weißen Männer haben eine rasche Zunge. Ein Häuptling ist gekommen, die ›Offene Hand‹ zu fragen, ob er sein Wort gelöst?«

»Du hast es, Jaguar, Du und Eisenarm, wie zwei Ehrenmänner!«

»Und die ›Offene Hand‹ weiß jetzt, daß sie der Herr dieses Thales ist mit allem, was darin ist?«

»Ihr habt es mir gegeben und ich habe es dankbar angenommen. Ja, ich bin der Herr dieser unermeßlichen Schätze, reicher als ein König, und Könige sollen zu meinen Füßen sein, so Gott mir das Leben erhält!«

»Wohl! Die ›Offene Hand« ist ein berühmter Krieger. Du wirst darum kämpfen. Du wirst sterben auf Deinem Eigentum!«

»Sterben – ich? jetzt? – im Besitze von Milliarden? Du bist toll, Rothaut, oder es ist Dein Scherz!«

Der Indianer hatte ruhig das Bowiemesser aus seinem Gürtel gezogen; die andere Hand hielt ein weißes Spitzentuch.

»Wonodongah hat es geschworen!« sagte er langsam, »dieses Tuch muß in das Herzblut des weißen Kriegers getaucht sein, ehe ihre Arme mich umfangen! Du mußt sterben!«

Der Graf wich zurück und griff nach der Barreta.

»Fort von hier, Wahnwitziger, oder ich zerschmettere Deinen Schädel!«

Der Indianer trat auf ihn zu, der Graf hob die schwere Eisenstange wie ein leichtes Rohr und schwang sie zum gewaltigen Schlage. Plötzlich wich das Blut aus seinen Wangen, das Auge blickte starr, Arm und Eisen blieben in der Luft – keine Muskel rührte sich mehr in dem lebenskräftigen Körper – –

Der Krampf, der schon einmal – in San Fernando – ihn gefaßt, hielt aufs neue seine Glieder gebannt.

Der Toyah stieß ihm das breite Messer ins Herz – ohne Zucken, ohne Laut fiel die mächtige Gestalt des Bourbons nieder auf sein Gold! – – – – – – –


Als der Trapper aus langem und schwerem Schlaf erwachte, – er erinnerte sich nicht, seit Jahren einen solchen gethan zu haben! – fielen die Strahlen der Morgensonne bereits auf das Thal.

Eisenarm rieb sich die Augen, sprang empor und sah sich nach seinen beiden Gefährten um, keiner von ihnen war zu sehen. Er rief Wonodongah, aber nur das Echo der Felsenwände antwortete ihm.

Als er sich näher umblickte, bemerkte er, daß die Decke des Indianers, in die man am Abend vorher einen Teil des zur Mitnahme bestimmten Goldes geknotet hatte, fehlte. Dies brachte ihn anfangs auf die Idee, daß die beiden sich voraus auf den Weg gemacht und ihn in seinem Schlafe nicht hätten stören wollen.

Nach einigem Nachdenken aber gab er diese Meinung auf und ging, sie zu suchen.

Da das Thal leicht zu übersehen und leer war, nahm er natürlich seinen Weg zur Höhle, deren Inneres noch im Dunkel lag, da die Sonnenstrahlen hierhin noch nicht reichten. Er blieb am Eingang stehen und rief, aber auch hier war das Echo seine einzige Antwort. Da erfaßte ihn die Angst, daß seine Gefährten versucht haben könnten, ohne ihn in die unerforschten Tiefen der Höhle einzudringen, und dabei verunglückt wären. Er verwünschte das Gold, das rings um ihn her aufgetürmt war, und lief zurück, um den Rest der Fackel zu holen.

Im Nu war er wieder da – in einem Augenblick war die Fackel angezündet, und er stürzte in die Höhle –

Das Haar auf seinem Haupte sträubte sich, der starke, unerschrockene Mann mußte sich an diese Wände von Gold lehnen; – vor ihm, lang ausgestreckt, die Augen groß geöffnet, lag auf diesen Blöcken von Gold die mächtige Gestalt des Grafen, starr und tot und in der breiten Brust das Bowiemesser des Yankee – des Indianers.

Der ehrliche Trapper glaubte erst seinen Augen nicht trauen zu dürfen – dann, als er sich überzeugt, daß es Wirklichkeit, warf er sich nieder neben den Körper und versuchte, ihn ins Leben zurückzurufen.

Aber das Blut, das aus der Todeswunde in langem Strom auf dies Gold sich ergossen, war längst getrocknet, der Leichnam steif und kalt – das Leben seit Stunden entflohen!

Vergebens rief er wieder nach dem Indianer, vergebens durchforschte er die Höhle bis in ihren tiefsten Schlund, nirgends, nirgends ein Leben außer den grünen Schlangen, die um seine Füße huschten, und den Vampyren, die der Schein seiner Fackel aus ihrem Morgenschlaf weckte.

So kehrte er endlich zurück, setzte sich draußen vor der Höhle nieder und bedeckte sein Gesicht mit den breiten schwieligen Händen. Dicke, schwere Thränen machten sich zwischen den Fingern Bahn und rannen nieder auf das unselige Metall! –

Nach einer Stunde etwa erhob er sich. Er hatte sich überzeugt, daß der Indianer, den er für den Mörder halten mußte, nicht mehr in dem Goldthal sein konnte; darauf wies auch das Fehlen seiner Decke. Lange hatte er darüber nachgesonnen, was er mit dem Toten machen sollte, aber es fehlten ihm alle Mittel, ihm in den felsigen metalldurchwachsenen Boden ein Grab zu graben, und so beschloß er, ihn zu lassen, wo sein trauriges und geheimnisvolles Schicksal ihn ereilt!

Er erinnerte sich, daß der Graf seine Brieftasche im Thal unter einem Stein des Gemäuers verborgen und nicht wieder zu sich gesteckt hatte. So begnügte er sich, nur einen Wappenring von dem Finger des Toten zu ziehen, um ihn als Wahrzeichen den Seinen zu überbringen.

Nachdem Eisenarm ein Paternoster und das Ave für die Seele des Toten gesprochen und das Kreuz über den Leichnam geschlagen, bereitete er sich vor, die unheimliche Stätte zu verlassen. Indem er sich der letzten Worte des Toten erinnerte, beschloß er seinen, wenn auch mehr im Fieber der Rede angedeuteten, Willen zu erfüllen und belud sich mit der Goldlast, die der Graf ihn für die Zurückgebliebenen in die Decke hatte zusammen packen lassen. Dann stieg er die Wand hinauf zur Höhe des Gesteins, warf noch einen verächtlichen und trauernden Blick zurück auf den im Sonnenlicht funkelnden und blitzenden Grund und bog um den Fels, der ihn seinem Auge entzog.

Rüstig stieg er an der Bergwand hinab, nur auf seinen Weg schauend, in tiefes Nachdenken versunken. Die Formation des Gesteins, das, je tiefer er kam, desto mehr wieder sich mit üppigen Kletterpflanzen und Büschen belaubte, gestattete ihm zwar den Blick über die Tiefe, aber nicht auf den gefährlichen Weg, den er zu machen hatte.

So war er fast bis zu dem Plateau gekommen, auf dem sie den gefährlichen Kampf mit dem Weibchen des Kondors bestanden, als er plötzlich lauschend stehen blieb.

Die Töne eines seltsamen, in drei oder vier Noten sich auf und nieder bewegenden Gesanges schlugen an sein Ohr. Er wußte, von wem sie kamen, er hatte oft genug diese traurigen Töne in früheren Jahren gehört – es war die Totenklage der Toyahs.

Einige Augenblicke blieb er stehen, um zu überlegen, wie er handeln solle – dann siegte die alte Liebe zu dem jungen Krieger und er schritt rasch vorwärts.

Noch einige Minuten und das Plateau des Felsvorsprungs lag vor ihm.

Auf dem äußersten Rand, dort, wo noch die verkohlten Überreste das Nest des riesigen Vogels bezeichneten, saß der junge Indianer, die Beine über den Abgrund hängend, den mit den Kriegsmalereien seines Stammes bedeckten Leib hin- und herwiegend nach dem Takt seines traurigen Gesanges. Auf seinem Rücken hing das Bündel mit der schweren Goldstufe.

Der Jäger trat auf den Vorsprung.

»Wonodongah!«

Der Indianer antwortete nicht, er fuhr fort in seinem Gesang.

»Wonodongah – es ist ein Freund, der Dich ruft!«

Der Indianer lachte in seltsamer, erschreckender Weise. Damit unterbrach er seinen Gesang. »Das Ohr des Jaguar ist geschlossen – es hat nur Raum für die süßen Töne der weißen Nachtigall! Wonodongah ist ein Häuptling – er giebt den weißen Männern sein Gold und nimmt ihr Herzblut!«

»Mensch – Freund – was ist mit Dir? – Stehe aus und komm' zu mir! Was geschehen, ist traurig genug, aber ich hoffe, Du wirst Antwort darüber geben können. Der Freund hat Dich gereizt – er schlug Dich in seiner Aufregung …«

Er war bei den Worten vorgetreten.

Der Toyah wandte sich zornig um. »Was willst Du? Bleib zurück! Siehst Du nicht, daß ein Häuptling auf sein Roß wartet, um zu seinem Weibe zu reiten?«

»Jaguar – um der heiligen Jungfrau willen, was ist mit Dir geschehen? Du redest irre – komm zu Dir, Freund!«

»Die roten Männer,« sagte der Indianer, »kaufen ihre Weiber. Sie geben Pferde und Decken dafür! Wonodongah ist ein Häuptling – er hat sein Hochzeitslager gekauft, die Braut ist sein! Siehst Du das Roß – es kommt!«

Er wies nach dem Äther, in dem ein schwarzer Punkt sich wiegte.

Der Trapper achtete nicht darauf, er wäre gern dem Irreredenden näher getreten, aber er fürchtete, daß jede ungestüme Bewegung den Freund in den Abgrund stürzen konnte und suchte ihn daher mit Worten zu beruhigen.

»Häuptling – ich beschwöre Dich – komm zu Dir! Komm hierher! denke daran, daß ich wie Dein Vater bin, daß wir so lange Jahre wie Brüder zusammen die Einöde durchzogen. Wende Deine Augen hierher auf einen Freund!«

»Meine Augen? meine Augen? sie sehen sie – den Leib schlank wie die Gazelle, die durch die Prairie jagt – Flammen tanzen vor ihnen – ihr Atem ist Wollust – ihre Arme sind Schlangen, die mich drücken an diese Brust – ein Weib – ein Weib! – die Nacht ist mein! – wo ist das Pferd eines Kriegers, daß es gleich dem Sturmwind ihn zu ihr trägt!«

Und wie der Sturmwind rauschte es heran mit gewaltigem Flügelschlag – entsetzt prallte der Trapper zurück zur Bergwand.

»Heiliger Gott! der Kondor! Jaguar – rette Dich!«

Der Indianer war aufgesprungen, sein Gesicht glühte in wahnsinniger Begeisterung – er breitete die Arme aus.

Erschreckt von dem Anblick der menschlichen Gestalt strich der riesige Vogel, der, eine Ziege in seinen mächtigen Klauen, heimkehrte zu seinem Nest, zu seinem Weibchen, seinen Jungen, zweimal wie suchend an der Stelle vorüber; sein gewaltiger Flügelschlag fegte daher wie eine Windsbraut, seine großen Augen glühten, seine Krallen öffneten sich und ließen die Beute fallen, wie um neue zu suchen. – – –

Zum drittenmal strich er vorüber – näher – näher – dicht an dem Felsblock hin –

»Mein Pferd!«

Der Trapper, zur Bildsäule erstarrt, sah, wie der Indianer hinaussprang in die Luft, wie seine Arme den Hals des Riesenvogels erfaßten – umklammerten – ein Kreischen – ein Schrei – eine formlose Masse wankte und schlug durch die Luft.

Vor seinen Augen versanken der Mann und der Kondor.


Eisenarm hat niemandem erzählt, wie er den gefährlichen, schwierigen Weg an der Felswand hinab zu dem Aztekentempel und dem Grunde des Thales gekommen war, denn er konnte sich dessen später selbst nicht erinnern.

Er fand die Klarheit seines Geistes erst wieder, als er neben dem Körper seines Freundes kniete.

Der Kondor war fort – seine Schwingen hatten ihn längst nach dem furchtbaren Sturz davongetragen – sie hatten ihn, und damit auch den wahnsinnigen Reiter, der sich an seinen Hals geworfen, zwar nicht im Fluge zu tragen vermocht, aber doch die Gewalt des furchtbaren Sturzes ausgehalten und beide zur Erde nieder getragen, von wo der erschreckte Vogel sich nach kurzer Betäubung wieder aufgeschwungen.

Aber er hatte eine schreckliche Spur des Kampfes, der in der Luft stattgefunden, an seinem Reiter zurückgelassen.

Als Eisenarm den Körper seines Freundes unweit der Stelle fand, an der am Morgen vorher der Kampf stattgefunden, zweifelte er nicht, einen zerschmetterten Leichnam zu sehen. Zwei Ströme Blut kamen von der Stirn des Indianers und waren zur dicken Masse geronnen. Kreuzträger sah mit Entsetzen, als er das Haupt seines Freundes in die Höhe hob, daß zwei blutige Augenhöhlen ihm begegneten statt des dunklen, ernsten Auges des jungen Häuptlings.

Die Schnäbelhiebe des Kondors hatten ihn auf immer von dem Lichte getrennt.

Ein leises Ächzen verkündeten zugleich dem Trapper, daß noch Leben in der hingestreckten Gestalt war. Er hob sie auf, er fühlte dabei, daß die Glieder ungebrochen, nur von dem Fall gequetscht, von den Krallen des Vogels blutig gerissen waren, und trug sie nach dem Ufer des Baches. Dort kühlte er zunächst die brennenden Augenwunden, wusch dem Unglücklichen das Gesicht und verband ihn mit dem duftigen Oregano, das jeder Jäger und Trapper bei sich führt.

Der Toyah hatte, auch nachdem er zum vollen Bewußtsein zurückgekehrt, die Bemühungen des Freundes schweigend geduldet. Erst nachdem Eisenarm ihn an den Stamm der Eiche gesetzt hatte und fortfuhr, mit dem frischen Wasser seine Augen zu kühlen, legte der Unglückliche die Hand auf seinen Arm.

»Die Augen eines Häuptlings werden das Angesicht eines Freundes nicht mehr sehen,« sagte er leise, »sie haben zu viel geschaut, was seinen Geist verwirrt hat. Der Manitouh Der »Große Geist« – Gott – der Indianer. der roten Männer hat ihn dafür gestraft.«

»Ich verstehe Dich nicht, Jaguar, ich weiß nur, daß ein doppeltes Unheil geschehen, das mir das Herz in der Brust umkehrt. Deine Sinne müssen verwirrt gewesen sein, armer Freund, als Du den Fremden erschlugst und Dich von dem Felsen stürztest.«

»Wonodongah ist ein Häuptling! Ein Toyah hat niemals sein Wort gebrochen. Es ist Nacht vor seinen Augen, aber die schlimmere Nacht ist von seinem Geiste gewichen. Ein Vogel hat sein Lied in mein Ohr gesungen, aber es war das Zischen der Schlange. Will Eisenarm die letzten Wünsche eines Freundes erfüllen?«

»Mein Leben gehört Dir, Jaguar; ich habe außer Dir und Comeo niemand aus der Welt.«

»Eisenarm irrt sich,« sagte der Comanche, sich halb emporrichtend. »Es lebt ein Wesen, dem seine Pflicht gehört.«

»Was meinst Du, Toyah?«

»Den Erben des Goldthals.«

»Möge der Fluch eines armen, aber redlichen Mannes auf ihm ruhen!« rief erregt der Trapper. »Ich will nichts mehr hören von diesem höllischen Ort.«

Der Indianer faßte seine Hand.

»Still!« sagte er mit gebietendem Ton. »Ein Tapferer ist gestorben von der Hand eines Häuptlings, aber der Jaguar der Comanchen und sein weißer Bruder haben gelobt, das Erbe dem Knaben zu bewahren. Er ist fortan unser Sohn. Wonodongah fühlt, daß der große Geist zur Strafe seiner Fehler ihm noch nicht gestattet, einzugehen in die Jagdgründe der Geister seiner Väter. Er wird diese Quelle nicht verlassen, und das Erbe des Knaben über dem großen Wasser bewachen, bis dieser selbst kommt, es zu holen. Eisenarm wird für einen Freund sorgen.«

»Niemals, niemals will ich Dich verlassen, und Comeo …«

»Eisenarm,« fuhr der Blinde fort, »wird mit der Sonne aufbrechen und zu den Freunden des Erschlagenen gehen. Er wird ihnen den Willen des Toten verkünden und ihnen Gold bringen. Der Jaguar wird die Windenblüte nicht Wiedersehen; sie mag mit den Materos oder ihren weißen Freunden gehen. Eisenarm wird ihnen Gold geben, daß sie die Schwester eines Häuptlings beschützen, aber niemand außer uns soll um das Geheimnis des Toten wissen.«

»Wohl, Jaguar,« sagte nach einem kurzen Bedenken der Trapper, »ich werde Deinen Willen erfüllen, sobald Deine Wunden geheilt sind.«

Der Indianer schüttelte den verbundenen Kopf. »Eisenarm wird mit der sinkenden Sonne gehen,« sagte er. »Er wird einen Blinden an diesem Wasser lassen und die Nahrung ihm zur Seite legen. Wenn der Große Geist seine Seele zu sich nehmen will, ist es gut, daß er allein stirbt. Wenn er ihn erhalten will, wird Eisenarm ihn nach zehn Sonnen geheilt finden.«

»Du redest im Fieber, Jaguar. Ich sollte Dich hilflos hier zehn Tage verlassen?«

»Eisenarm hat noch nicht alles gehört, was ein Freund von ihm verlangt.« Er faßte mühsam mit der zerschlagenen Hand in seinen Gürtel und zog ein leichtes Spitzentuch hervor, das von Blut überzogen war.

»Eisenarm erinnert sich der Herrin der Hacienda del Cerro?«

»Wie sollte ich nicht!«

»Es ist gut. Er wird von den Freunden der ›Offenen Hand‹ zu der Feuerblume gehen und ihr sagen, daß Wonodongah ihn sendet. Ein Häuptling hält seinen Schwur, dies Tuch ist gefärbt mit dem Blut zweier Krieger – der Manitouh hat das Gold und die Weiber geschaffen, um die Herzen der Tapferen zu versuchen!«

»Jaguar – verstehe ich Dich? – Die Señora …«

»Die bösen Geister der Wüste blicken aus dem Gold und den Weiberaugen. Mein Bruder ist weise, daß er beiden nicht traut. Der Große Geist hat die inneren Augen eines Häuptlings geöffnet, indem er seine äußeren schloß. Will Eisenarm seinem Freunde geloben, zu thun, wie er von ihm bittet?«

»Ich gelobe es!«

»Gut! Ein Krieger wünscht mit dem Manitouh zu reden. Sein Freund möge nach den Pferden der Apachen sehen, denn sein Weg ist weit.«

Der Indianer lehnte das Haupt zurück an den Stamm und schwieg. Kein Zucken des Gesichts, keine Bewegung der Glieder verkündete die folternden Schmerzen, die er litt.

Eine Weile stand der Trapper betrübt und stumm vor ihm; dann entfernte er sich, um die Vorbereitungen zur Erfüllung der ihm heiligen Wünsche zu treffen.

Der blinde Wächter des Schatzes der Ynkas und der Bourbonen – der besiegten Königsgeschlechter der alten und der neuen Welt! – blieb allein mit seinen Schmerzen und seinem roten Gott!



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