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Tod den Faringi

Der Palast Nena Sahibs zu Bithoor im Audh, jetzt von den Engländern zerstört, war ein prächtiges, langgedehntes Gebäude in halb europäischem, halb indischem Stil. Das Erdgeschoß war von Steinen erbaut, eine Reihe massiver Pfeiler, die Hallen und Gänge bildeten, in denen sich die zahllosen Diener des Haushalts und der Gäste aufhielten. Die steinerne Unterlage bildete ein großes, nach hinten geöffnetes Viereck, das einen herrlichen Garten enthielt. Dreißig Springbrunnen schmückten diesen, mit chinesischen Pavillons, riesigen Volieren und künstlichen Felsengrotten versehenen Raum, in dem eine große Anzahl von Bildsäulen europäischer Herkunft auf seltsame Weise von dem goldenen und farbigen Luxus der indischen Dekorationen abstach. Auf dem steinernen Untergeschoß erhob sich der leichte hölzerne Bau der Hauptetage, eine Reihe von Sälen, die mit europäischer Kunst und indischer Verschwendung ausgestattet waren. Die kostbarsten Teppiche der englischen Fabriken wechselten hier mit den dicken Geweben Turkistans und Persiens und dem Mosaikparkett der kunstfertigen chinesischen Holzarbeiter. Große Kristall- und Broncelüstres hingen von den gemalten Decken, und wertvolle Gemälde, neben wertlosen Kopieen, die betrügerische Spekulation dem Hausherrn aufgedrängt, bedeckten die vergoldeten Wände. Doch fehlte dem Ganzen nicht eine gewisse Symmetrie; es herrschte nicht das geschmacklose Durcheinander, wie man es in den Palästen der reichen Hindus in Kalkutta und Madras zu finden gewohnt ist. Eine ordnende Hand, ein gebildeter Geschmack schien System in die verschwenderische Ausstattung gebracht zu haben und sie zu überwachen.

Rund um die Außenseite dieser Säle lief auf dem vorspringenden untern Geschoß eine von Säulen getragene Veranda mit breitem Zeltdach, mit wohlriechenden Gewächsen, mit Diwans und Teppichen dekoriert, während auf der innern Seite der schmalere Gang einer Rampe sich an den bis zum Boden reichenden Jalousiefenstern entlang zog, von der fünf breite Marmortreppen hinab in den Garten führten.

Nach orientalischer Sitte, die es für unwürdig erachtet, daß über der Wohnung des Gebieters sich andere Räume befinden, erhob sich unmittelbar über dem Hauptgeschoß das Dach.

Die vierte Seite des prächtigen Bauwerks war, wie erwähnt, offen und durch ein hohes und dichtes Bronzegitter, das nur in der Mitte eine wohlverschlossene Thür hatte, von einem zweiten Garten getrennt, der zwar eine Fortsetzung des ersteren schien, aber ganz anders geartet war. Eine dichte Wand von hohen Mangos versperrte die Aussicht in das Innere dieser Abteilung.

Hier stand, mit der Front nach dem Ufer des Ganges gekehrt, das indische Haus, das der Adoptivsohn des verstorbenen Peischwa bewohnte, gleich vielen seiner Landsleute den prächtigen Palast mit seiner halbeuropäischen Einrichtung nur für Feste und den Verkehr mit den Weißen benutzend, für gewöhnlich aber ganz nach den Gebräuchen seiner Heimat lebend. Die einzige Abweichung von altindischer Sitte in diesem seinem Hause war, daß dasselbe nicht so streng durch Mauern und Höfe von der Außenwelt abgesondert wurde. Rechts und links von dem Oblongum des Palastes, in einiger Entfernung und durch mächtige Bäume verborgen, befanden sich auf der einen Seite die Ställe für die Elefanten, Dromedare und Lasttiere, auf der anderen die für die zahlreichen edlen Rosse des Maharadschah, der ein eben so großer Freund des Turfs wie der Jagd war. Hier waren auch die Wohnungen der Diener und Anhänger des Fürsten, jener eigentümlichen Leibwache indischer und europäischer Abenteurer, die er sich nach und nach gebildet, und die mit blinder Ergebenheit seinem Willen gehorchte.

Ein langes Eisengitter mit Thüren und Einfahrten schloß den Vorplatz des Hauses von der Straße ab, während ein breiter Kanal, vom Ganges hergeleitet, bis an diesen Vorplatz sich erstreckte und dem Besitzer somit erlaubte, aus einem Säulengang direkt den Fuß in seine Barke zu setzen.

Die Umgebung des Palastes war gewöhnlich bis spät in die Nacht von einem Haufen von Müßiggängern, lungernden Dienern aller Art, indischen und mohammedanischen religiösen Bettlern, Tänzern und Gauklern belagert; denn die Freigebigkeit und Großmut des Maharadschah war durch ganz Indien berühmt. Die bedeutenden Schätze, die ihm der Peischwa hinterlassen, reichten auch ohne die ihm verweigerte Apanage der Kompagnie hin, einen fast königlichen Aufwand zu unterhalten, und er verteilte seine Wohlthaten ohne Rücksicht auf das religiöse Bekenntnis seiner Anhänger und Gäste.

Seit drei Monaten jedoch, eben seit den zuletzt erzählten Begebenheiten, schien Freude und Lust aus den glänzenden Hallen des Palastes zu Bithoor verschwunden. Nicht den Schein von tausend Kerzen ließen die Fenster mehr hinaus in die Nacht flammen, nicht das Gelärm der Palankinträger, der Mahouds und Pferdehalter und der unendlichen Dienerschar, nicht der Ruf der Fakire und das Geräusch ab- und zuströmender Gäste erklang mehr am Hauptthor des Palastes. Einsam und schweigend lag das prächtige Gebäude, und nur aus den Zweigen der Tamarinden erklang der liebliche Gesang der Bulbul oder indischen Nachtigall, der Hazardasitana oder des Vogels mit tausend Liedern, wie ihn die Sprache des Landes nennt.

Seit dem rätselhaften Verschwinden des geliebten Weibes, von dem die eifrigsten Nachforschungen des Maharadschah auch nicht die geringste Spur hatten ermitteln können, lag es wie ein finsterer Schleier auf der Seele des Fürsten. Er hielt sich größtenteils in seine innersten Gemächer eingeschlossen, sah nur wenige Menschen und verbrachte seine Zeit in stummem Brüten. Gibson war der einzige, mit dem er sich besprach. Der Bote, den er bald nach seiner Rückkehr nach Jhansi gesandt, sich nach dem Zustand O'Sullivans zu erkundigen, hatte die Nachricht gebracht, daß dieser an den Folgen der furchtbaren Operation gestorben war. Selbst das Äußere des Maharadschah hatte der in seinem Innern tobende Schmerz, der glühende Durst nach Rache, ohne daß er wußte, wen sie treffen solle, verändert in der kurzen Zeit. Der volle, lebenskräftige, Genuß und Gefahren liebende Mann war ein finsterer Fanatiker geworden, aus dessen Augen verzehrendes Feuer brannte. Der unheimliche Blick, der früher in Momenten der höchsten Aufregung aus seinen Augen zu blitzen pflegte, aber alsbald wieder unter einer gewissen Lethargie verschwand, brach jetzt öfter als je hervor und scheuchte seine Umgebung zurück.

Die Regenzeit war vorüber, und der erquickende Himmelshauch der gemäßigten Jahreszeit lag über der prächtigen Gegend. In diese Zeit, da der lange Regen, die Üppigkeit der mächtigen Vegetation noch erhöht hat, fällt das poetische Fest der Wasserlichter.

Bei diesem Feste strömen, wenn die Natur sich erfrischt und die Sonne sich ihrem Untergang zuneigt, die Frauen und Mädchen der Hindus, oft aus weiter Ferne, zu den Ufern des Ganges, des heiligen Stromes. Jede hält in der Hand ein aus Holz oder Borke geschnitztes, reich verziertes Kähnchen. Wenn die Sonne am Horizont versunken ist und die Dämmerung sich in die sternengoldene Tropennacht verwandelt, sieht man, so weit das Auge reicht, Tausender weißer Gestalten ihre Kähnchen, auf denen sich eine brennende Lampe befindet, in den Fluß setzen. Jede verfolgt mit ängstlicher Spannung das von den Wellen geschaukelte Schiffchen mit ihrem Hoffnungslichte, an dessen Erhaltung irgend ein Wunsch sich knüpft. Bleibt es so lange sichtbar, als das Auge es zu verfolgen vermag, dann wird der dem heiligen Strom anvertraute Wunsch erfüllt, erlischt es aber früher, so ist auch die gehegte Hoffnung untergegangen. Und obgleich oft tausend solcher kleinen Lämpchen von den Wellen bergauf bergab geschaukelt werden, so weiß doch jede das ihre bis in die weite Ferne genau zu unterscheiden.

Auch am Abend dieses 18. Oktober drängten sich die Gestalten der Frauen und Mädchen mit ihren wallenden Gewändern zu den Ufern des Stromes, und bald blinkten unter heiterm Gelächter und Gesang zahllose kleine Flämmchen.

Alle Bewohner der vielen Ortschaften in der Nähe des Stroms waren in Bewegung und bildeten ein buntes Volksgedränge an den Ufern, denn Tanz und Spiel schließt das Fest und der Jubel dauert bis spät in die Nacht.

Die indischen Diener des Maharadschah waren bei dem Fest, der Gebieter hatte ihnen die Erlaubnis gegeben, den Abend und die Nacht allein ihrem Vergnügen zu widmen.

Aber auch das Bungalow des Bahadurs war nicht, wie es schien, in Einsamkeit und Stille versenkt. Im Vorhof des Gebäudes lehnten dunkle Gestalten an den Zugängen, Wache haltend gegen jede Überraschung: die Prätorianer des Maharadschah, die Mitglieder jener Cohorte, die er sich gebildet.

Wenn auch die Front des Gebäudes dunkel war, so glänzte doch Licht durch die Jalousieen der hinteren Gemächer, die Pforte, die beide Gärten verband, war geöffnet, und der Kanadier Adlerblick stand hier auf Wache.

In einem nach indischer Sitte dekorierten Gemach schritt finster der Maharadschah auf und nieder. Er trug die Kleidung eines Sepoys, einen weiten indischen Mantel darüber geschlagen, in dem Gürtel Pistolen und einen gekrümmten Malayendolch. Cordillier und Vaillant in ähnlicher Tracht wie der Gebieter, Ralph, der Bärenjäger, die riesige Gestalt in die eines englischen Matrosen gesteckt, lehnten an den Wänden des Gemaches.

An der Thür stand der Schotte Mac-Scott. Sein Antlitz, das seit wenigen Monaten schwer gealtert, drückte Kummer und Schmerz aus, so oft sein Auge auf den Gebieter fiel. Der Zorn des Bahadur hatte sich ungerechter Weise auf seinen alten Erzieher geworfen und ließ diesen den Verlust Margarethens entgelten, da er die Sorge um sie bei der Reise nach Bombay ihm auf die Seele gebunden. Der unglückliche Zufall, der den tapferen Tigerjäger an jenem verhängnisvollen Morgen entfernt gehabt, schien ihn alles Vertrauens beraubt zu haben, und wenn auch selbst die argwöhnische Seele des Indiers keinen Verdacht gegen ihn hegen konnte, herrschte doch durch das Fehlschlagen jeder Mühe zur Auffindung einer Spur ein tiefer Groll in ihm vor, der sich in der rauhen Weise kundgab, mit der er den früheren Liebling behandelte.

»Hoheit,« sagte endlich der Schotte, »es ist Zeit, daß wir aufbrechen. Eine Stunde nach Sonnenuntergang sollte der Doktor zu dem Prinzen gerufen werden, und wir müssen zur Stelle sein, die Flüchtigen zu empfangen.«

Der Maharadschah fuhr aus seinem Sinnen empor. »Laß die Pferde vorführen. Sind die Frauen vom heiligen Strom zurück?«

»Noch nicht, Hoheit. Gibson ist mit ihnen und sorgt für ihre Sicherheit.«

»So bitte sie, wenn sie zurückkommen, sich sogleich in ihre Gemächer zu begeben und sie nicht zu verlassen, bis ich ihnen Botschaft sende. Wie lange ist es her, daß der Khan und sein Begleiter voraus nach Cawnpur sind?«

»Eine Stunde, Hoheit. Aber ich glaubte, ich sollte Dich begleiten? Es wäre das erste Mal, daß Mac-Scott an der Seite des Nena fehlt in der Stunde der Gefahr.«

»Bei Yama, dem Unterirdischen! hättest Du nie an der Seite der gefehlt, die Deiner Sorge vertraut war, es stände besser um Dich und mich! Du wirst hier bleiben und mit Gibson alles zur ungesäumten Fortsetzung der Flucht bereiten. Ist Joaquin Alamas auf seinem Posten?«

»Er harrt mit den Pferden.«

»Wohl! So laßt uns aufbrechen!«

Er winkte dem Schotten, voran zu gehen, und verließ, gefolgt von seinen Getreuen, das Gemach. Vor der Veranda hielt der Mexikaner die Zügel von sechs Vollblutrennern, die ungeduldig den Boden stampften. Der Maharadschah sprang in den Sattel. Die übrigen hatten alsbald gleichfalls ihre Pferde bestiegen, und nachdem sie vorsichtig ein Seitenthor passiert und sich möglichst im Dunkel haltend eine Strecke weit geritten waren, setzten sie ihre Rosse in Galopp und jagten auf der Straße nach Cawnpur weiter.

Ein ziemlich dichtes Wäldchen von Kokospalmen und Tamarinden zieht sich auf der Mitte des Weges die Militärstraße entlang, die sich bald vom Ufer des Ganges abwendet.

Als sie sich der unglücklichen Stelle näherten, an welcher seine Gattin geraubt worden, ließ der Maharadschah sein edles Pferd langsamer gehen, und indem er seinen Gefährten befahl voranzureiten und ihn vor den Thoren der Stadt zu erwarten, ließ er seinem Roß die Zügel hängen und versank in düstere Träumerei.

Plötzlich erfaßte eine Hand den Zügel des Pferdes, und zwei dunkle Gestalten erhoben sich vor ihm auf dem Wege im Schatten der mächtigen Tamarinden.

»Wenn der Tiger auf Beute streicht,« sagte eine tiefe Stimme, »ist er nicht gewohnt, die Augen zu schließen. Der Peischwa von Bithoor möge sich erinnern, daß seine Feinde wach sind.«

Der Maharadschah, obschon ihm der Ton dieser Stimme nicht unbekannt schien, faßte nach dem Pistol im Gürtel und war mit einer raschen Bewegung im Nu wieder Herr seines Pferdes.

»Wer seid Ihr?« Was wollt Ihr in der Stunde der Nacht?«

Der Fremde lachte heiser. »Ist es so weit gekommen, daß Srinath Bahadur seine Freunde fürchtet, wenn sie an der Stelle zu ihm treten, deren Erinnerung aus ihm wieder einen Mann machen sollte? – Dreimal erst hat der Glanz des Mondes sich erneut, seit ich Dir sagte, daß die Stunde kommen werde, wo Du bedauern würdest, die Hand der Rächer zurückgestoßen zu haben.«

Der Strahl des Mondes fiel bei einer Bewegung auf den Sprechenden.

»Tantia-Topi?«

»Ich selbst, Bahadur. Sollen die Gäste, die Dein Haus in diesem Augenblick verbirgt, nicht vollzählig sein?«

Ein Grauen überflog den Indierfürsten, als er sich der Erzählung des deutschen Arztes und seines eigenen Verdachts gegen diesen Mann erinnerte, und unwillkürlich behielt er die Hand am Griff der Pistole.

»Wo kommst Du her, Serdar? Was ist Deine Absicht?«

»Wo ich herkomme, Nena? Tukallah ist überall und bald wird man von einem Ende Indiens bis zum andern seine Stimme vernehmen. Meinst Du, daß ich in den Einöden der Thur nicht erfahren, daß der tolle Versuch des Delhi-Prinzen, den Sohn der Maharani aus Firozpur vor seinem Nebenbuhler zu entführen, mißglückt sei und die Versetzung des gefangenen Knaben nach Cawnpur zur Folge gehabt? Was ich will? Die Nacht der Lichter am heiligen Strom ist wichtiger für uns alle, Srinath Bahadur, als Du denkst. Einen jungen Adler, der in den Fesseln der Faringi schmachtet, will ich Dir befreien helfen und dem Tiger des Audh seine Krallen und seine Zähne wiedergeben mit dem Reh, das man ihm geraubt.«

Der Bahadur prallte zurück. »Was bedeuten die Worte, Serdar? Bei Deinem und meinem Leben, spiele nicht mit dem Herzen Srinath Bahadurs!«

Der Mahratte lachte verächtlich. »Frage diesen da, er wird Dir Antwort geben.«

Der Fürst betrachtete den Begleiter Tukallahs. Es war eine hohe Gestalt mit ernstem, stolzem Gesicht, das ein ergrauender Bart umrahmte. Die hohe Kegelmütze der religiösen Bettler bedeckte sein Haupt, ihr brauner, zerlumpter Mantel hüllte seinen Leib ein.

»Wer bist Du?«

»Dein Gläubiger!«

»Jeder heilige Derwisch oder Fakir hat das Recht auf die Habe Srinath Bahadurs und noch nimmer ist ein solcher, ohne daß die Schuld bezahlt worden, von seiner Schwelle gegangen.«

»Du irrst! ich komme nicht, bei Dir zu bitten. Ich bringe Dir ein Geschenk.«

»Welches?«

»Die Gewißheit und die Rache!«

»Höre, Mensch, ich bin nicht gewohnt, mit mir in Worten spielen zu lassen. Nochmals – wer bist Du?«

»Meiner Namen sind vielerlei. Die Bewohner des Dekan nennen mich den Derwisch Sofi. In meiner Heimat –«

»Nun?«

»Kennst Du die Säule, die aus der Esplanada von Kalkutta vor dem Palast des General-Gouverneurs, Eures Herrn und Gebieters, steht?«

»Der General-Gouverneur ist nicht mein Herr, sondern die Königin von England. Die Säule kennt jedes Kind in Indien. Es ist das Denkmal General Ochterlonys.«

»Wohl, Bahadur. In den Adern dessen, der vor Dir steht, fließt dasselbe Blut, das vergossen ward für die Eroberung dieses Landes. Aber es ist geschändet durch die Schläge der Peitsche, vertrocknet in den Wüsten Australiens, und dennoch zum Katarakt geschwollen, dessen Fluten Deine und meine Feinde begraben sollen. Nenne den Namen der Säule und Du nennst den Namen dessen, der sie stürzen wird.«

»Kapitän Ochterlony

»Ich bin's!«

Der Maharadschah warf sich mit einem Sprunge vom Pferde und umarmte herzlich den Wiedergefundenen.

»Seien Sie mir willkommen, Kapitän, von ganzer Seele,« sagte er. »Viel hab' ich von Ihnen, von diesem Manne und dem Franken-Arzte gehört, der mit Ihnen am Sterbelager meines unglücklichen Verwandten stand. Lassen Sie mich die Freundeshand auf die schlimmen Wunden legen, die das Leben Ihnen geschlagen. Das Erbe Dyces Sombres liegt bereit für Sie – lassen Sie uns umkehren und Sie als teuern Gast über meine Schwelle führen.«

»Das Unheil, Prinz,« entgegnete ernst der ehemalige Kapitän, »wird auch ohne mich schnell genug über jene Schwelle schreiten. Sie haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, die thränengeröteten Augen einer Mutter und einer Schwester können ohne Ihren Beistand nicht getrocknet werden. Und haben Sie nicht gehört, Prinz, daß ich eine noch wichtigere Sendung zu beenden habe?«

»Welche?«

»Sie der Rache wiederzugeben.«

»Reden Sie klar, ich beschwöre Sie!«

»Wohlan denn! Eine ernste Stunde, ein Wendepunkt Ihres Lebens ist Ihnen nahe. Ich weiß, oder glaube zu wissen, wo Lady Margarethe, Ihre Gemahlin, sich befindet.«

Der Bahadur fuhr zusammen. »Rede, Mann! Wo, wo ist sie? – Nimm alles, was ich habe, für ein Wort Gewißheit.«

»Beantworten Sie die eine Frage – was werden Sie denen thun, die sie Ihnen geraubt?«

»Wollen Sie die Tigerkatze fragen, was sie denen thut, die ihr das Junge geraubt? Rächen will ich mich, vertilgen die Brut von der Erde, die es gewagt, an mein Liebstes zu tasten!«

»Und wenn es nicht gemeine Diebe und Mörder, wie Ihr Land sie erzeugt, wenn es die Gebieter desselben, die Faringi selbst wären?«

»Tod dann allen Faringi, Männern, Müttern und Kindern! Tod dem verfluchten Geschlecht!«

»Wohl Prinz, – ehe zwei Stunden vergehen, werden Sie die Gewißheit haben. Zu Rosse, Prinz, und nach Cawnpur, Ihr Werk zu thun. Wir vollenden das unsere und wenn das Weib Ihres Herzens noch unter den Lebendigen, sollen Ihre Arme es umfangen oder Ihre Hand die Mörder bestrafen.«

Und plötzlich, wie sie gekommen, waren beide Gestalten im Schatten der Bäume verschwunden, und der Ruf des Inderfürsten verhallte ohne Antwort in der Einsamkeit der Nacht.

Er gab seinem Rosse die Sporen und jagte nach Cawnpur.


In das am nördlichen Ende, in geringer Entfernung vom Ufer des Stroms gelegene kleine aber ziemlich feste Fort des englischen Waffenplatzes Cawnpur hatte man nach dem mißglückten ersten Befreiungsversuch Dhulip-Singh, den jungen Thronerben von Lahore, gebracht, da Firozpur zu nahe der Grenze seiner Heimat lag und man daher neue und kühnere Versuche der Bewohner des Pendschab, seiner ehemaligen Unterthanen, fürchten mußte. Er genoß selbst innerhalb des Forts wenige Freiheit, und wurde streng von allem Verkehr mit der Außenwelt, namentlich mit den Eingeborenen, abgesondert gehalten.

Auch hier war das Ufer des heiligen Stroms an diesem Abend von vielen tausend Menschen belebt.

Es war ein Festtag für die ganze Stadt, Indier wie Europäer, denn auch diese zogen schaulustig und plaudernd in der Menge umher.

Eine Gruppe englischer Damen, von mehreren Offizieren begleitet, kam den Abhang des Ufers herab in der Nähe der Schiffbrücke, die auf die Straße nach Lucknow mündet, und nahte sich dem Rande des Wassers. Heiteres Gelächter und Scherz tönte aus der Mitte der Gesellschaft. Die meisten der Damen hatten gleichfalls zierliche Schiffchen in der Hand oder ließen sie von den Kavalieren tragen.

»Darf man wissen,« fragte die spöttische Stimme eines Offiziers, »was Miß Wheeler mit diesem famosen Dreimaster für Wünsche nach dem Ocean senden will?«

»Bewahre, Sir, das wäre allzu neugierig,« lachte die junge Dame. »Man sagt, Major Rivers habe selbst der Geheimnisse so viele, daß er wohl die anderer zu achten verpflichtet sei!«

Die Abfertigung war zu deutlich, um mißverstanden zu werden und ein Gelächter der anderen Offiziere folgte ihr.

»Auf meine Ehre,« sagte Leutnant Halliday, – »ich würde mich glücklich schätzen, mein Lämpchen auf den Bug der Fregatte Miß Soldies pflanzen zu dürfen. Auch ich habe meine Wünsche im verborgenen.«

»So lassen Sie dieselben allein flott werden,« rief die muntere Tochter des Generals, ihrer Freundin zu Hilfe kommend. »Es ist nicht mehr als billig, daß so ein tapferer Offizier und Jäger sich auch als Seemann bewähre. Außerdem gehören die Fluten des Ganges diesmal uns Frauen, und wenn die Herren sich in das Spiel mischen, treiben sie Piraterie.«

»Ich engagiere mich als Schiffsarzt,« erklärte Doktor Todd-Brice, »aber ich bin zweifelhaft, welches Segel ich in dem Convoi wählen soll. Das Admiralschiff führt mir zu starke Batterieen von Witz und Bosheit, Miß Soldie hat zwei Kaper in ihrem Fahrwasser,« er warf einen schalkhaften Blick auf den Leutnant und Kapitän Forbes, von denen der eine das Schiff, der andere das Tuch der Dame trug, »und Miß Higson, unsere Heldin, hat ein für allemal Kompaß und Steuerruder den Händen ihres Retters aus der Höhle der Thugs anvertraut, als daß auf einen Platz in ihrer Schiffs-Equipage zu hoffen wäre. Was meinen Sie, Toby, mein guter Bursch, da wir beide allein von allen diesen schönen Damen ausgeschlossen sind, wollen wir dem Laskar dort, der die ganze Flotte feil bietet, seine beste Barke abkaufen und uns mit unseren Wünschen für besseres Glück bei den Damen darauf einschiffen?«

Der lange Fähnrich warf dem ewigen Quäler einen bitterbösen Blick zu. »Ich fürchte, Doktor, die Proviantkammer auf einem solchen Schiffe würde nicht hinreichen für Sie!«

»Diesmal,« lachte der Resident, »hat er's Ihnen gegeben, Brice.«

»Ein Kieselstein sprüht Funken, wenn er geschlagen wird,« meinte der Walliser, »warum nicht eine Fähnrichsseele, die im Punkte der Liebe kein Kieselherz, sondern weich wie Butter ist. Der Henker soll mich holen, wenn ich mein Schiff anders befrachte, als mit der Frage an das Schicksal, ob Ihr Koch, Miß, uns heute eine Suppe von Schildkröten und von Vogelnestern vorsetzen wird, da Seine Excellenz, Ihr Papa, einmal die Thorheit begangen, uns einzuladen.«

»Vogelnester, Doktorchen, Vogelnester sollen Sie haben, eine ganze chinesische Schiffsladung voll und Ihr Lieblingsgericht, das abscheuliche Guaven-Gelee,« scherzte die Tochter des Generals.

»Dann bedaur' ich Sanders, der jour hat, und nichts davon abbekommt,« sagte der Arzt, indem er sich lüstern die Mundwinkel wischte. »Ich bin ein kluger Mann und habe mich bei Zeiten von allem Dienst losgemacht. Bekommt irgend einer unserer braunen Halunken Zahnschmerzen oder Leibgrimmen, mag mein Assistent oder Kollege Clifford ihn in den Schoß Brahmas spedieren. Ich kenne den Dry-Madeira Ihres verehrten Papas, und kein Ding in der Welt soll mich dabei stören.«

»Ihr Kollege ist ein trauriger Gesellschafter auch an der Meßtafel, Doktor,« bemerkte Kapitän Lowe. »Wäre nicht sein Verdienst um die Rettung Miß Higsons und unseres wackeren Kameraden, sowie die warme Empfehlung Nena Sahibs, wir protestierten gegen sein Patent bei dem lustigen Zweiunddreißigsten.«

»Schade, daß der Prinz noch immer um jene irländische Dame so verzweifelt trauern soll,« meinte eine junge Miß, »erinnern Sie sich, Arabella, im vorigen Jahre gab er uns an diesem Abend eines seiner Zauberfeste in seinem prächtigen Palast zu Bithoor.«

»Armer Mann! Je mehr er sie geliebt hat, desto grausamer muß sein Verlust sein!«

»Pah! Es ist ja nur ein Indier und sein Glaube gestattet ihm reichen Ersatz.«

Edith Higson wandte sich von Halliday, dem herzlosen Sprecher, und stützte beim Hinabsteigen von der Böschung des Ufers ihre Hand auf den Arm des Leutnant Sanders. Ihre Blicke begegneten sich dabei.

»Teure Editha!«

Der Druck ihrer Hand gab ihm die Erwiderung. »Wie traurig, daß Sie diesen Abend nicht in unserer Gesellschaft sein können!«

»Sie wissen, der General, Ihr Oheim, hält streng auf den Dienst. Ich darf seine gute Meinung nicht verscherzen, wo ich bald ein teures Kleinod von seiner Hand begehren will. Er behandelt mich wie einen Sohn, und ich muß seiner Güte würdig sein.«

In der That galt der junge Offizier bereits, wenigstens im Kreise ihrer Bekannten, für den begünstigten Verehrer der schönen Nichte des Generals und halb als ihr Verlobter.

Seine Flucht war damals mit Hilfe der Bayadere ziemlich ohne weitere Schwierigkeit gelungen. Erst an der Grenze des Gebietes der Kompagnie, in Firozpur, hatte Anarkalli ihren Schützling verlassen. Sie sagte ihm, daß sie immer in seiner Nähe sein, daß ihre Liebe ihn schirmend umschweben werde. Der Sinnenrausch, der ihn in jene furchtbare Gefahr gestürzt und ihn in ihrer Nähe wieder alles andere vergessen gemacht, vereint mit der Dankbarkeit, die er ihr schuldete, ließ ihn ihr aufs neue seine Liebe beteuern und sie bitten, mit ihm zu gehen, ein Verlangen, dem das Mädchen trotz ihrer Leidenschaft widerstand, um ihm nicht neue Gefahren zu bringen. Noch in der Stunde, da sie sich trennten, ermahnte sie ihn, seinen Schwur des Schweigens zu halten und nicht treulos gegen ihre Liebe zu werden. Denn die Töchter einer heißen Sonne wüßten gebrochene Eide schrecklich zu rächen.

Da Walding an der Grenze der Wüste mit einem Teil des Gefolges des von Angst und Besorgnis unaufhaltsam vorwärts getriebenen Maharadschah zurückgeblieben war, so wurde es leicht, ohne das bisher so wohl bewahrte Geheimnis zu verraten, die Rolle der beiden Mädchen zu vertauschen. Anarkalli, die Tänzerin, trat an die Stelle Edithas, und diese wurde von Agra aus durch den Offizier nach Cawnpur und in die Arme ihrer Familie geleitet, die sie längst verloren geglaubt.

Die Abenteuer des Offiziers und der Engländerin konnten natürlich nicht verschwiegen bleiben, ohnehin war die Miß nicht durch dasselbe Versprechen gebunden, wie ihr Schicksalsgefährte. Da bei ihrem erst so kurzen Aufenthalt in Indien ihr jedoch die Sitten und die Sprache des Landes gänzlich fremd, die bronzenen Physiognomieen kaum unterscheidbar waren, und sie nicht die geringste Idee von der Lage und dem Namen der Orte hatte, in denen ihr ein so schreckliches Los gedroht, da ferner ihr Retter sie absichtlich darüber und über den Charakter der Karawane, mit der sie den Weg durch die Wüste gemacht, im Unklaren gelassen, so konnten ihre Aussagen nur geringe Spuren geben.

Leutnant Sanders selbst kannte weder den Namen noch die Lage und das Aussehen der Burg der Thugs. Überdies band ihn sein Ehrenwort, alles zu verschweigen, was die Personen, die bei seiner Rettung mitgewirkt, kompromittieren konnte. Da nun Doktor Walding in Firozpur mit dem Khan und der Bayadere zurückgeblieben war, konnten die Behörden aus den Aussagen des Offiziers und der Dame nur die Thatsache entnehmen, daß die indische Wüste eine oder mehrere Hauptsammelplätze der furchtbaren Würgerbande barg. Diese Thatsache aber stand längst unumstößlich fest; denn es befanden sich in den Gefängnissen der Präsidentschaften zu jener Zeit über 700 Personen, die der Teilnahme an dem Bunde der Mörder verdächtig und angeklagt waren.

So mußte man sich begnügen, ein Dutzend Verurteilte zur Warnung aufzuhängen und die von Major Sleemann im Jahre 1851 begonnenen Maßregeln zur Verfolgung der Sekte mit neuer Strenge wieder aufzunehmen.

Als Walding einen Monat später unter dem Namen eines Doktor Clifford in Cawnpur eintraf, war das Interesse an der Untersuchung zum Teil schon durch neue Eindrücke geschwächt. Die Auskunft, die er über seinen Anteil an der Rettung des Offiziers und der Lady erteilte, beschränkte sich auf die Aufgabe, daß er gleichfalls Gefangener in den Händen der Thugs und nur durch dritte ihm unbekannte Personen gerettet und in den Stand gesetzt worden, auch zur Rettung seiner Schicksalsgefährten beizutragen. Dagegen sicherte sie ihm den Schutz des Generals Wheeler, und durch dessen und des Maharadschah Protektion wurde ihm die Stelle des während der Regenzeit an der Cholera verstorbenen Oberarztes des 32. Regiments interimistisch übertragen.

Mit dem Gefühl schmerzlicher Täuschung mußte Walding jedoch bald die Erfahrung machen, daß die Hoffnung, die ihn nach Cawnpur begleitet, eine vergebliche gewesen. Leutnant Stuart Sanders war kaum dem Zauberrausch entronnen, mit dem die glühende Leidenschaftlichkeit der Tänzerin ihn umfangen, als ein gewisses Grauen sein Herz erkaltete und das Bild Editha Higsons seine Seele mehr und mehr einnahm. Die ritterliche Art und Weise, wie er sie in der Höhle der Thugs verteidigt und die eigene Rettung zurückgewiesen, wenn sie, die Fremde, nicht an ihr teilhaben könne, hatten tiefen Eindruck auf das Herz des Mädchens gemacht. Für Walding, oder Clifford, wie er auch für sie und Stuart Sanders hieß, fühlte sie wohl eine warme Dankbarkeit und Freundschaft, aber die zartere Blüte ihres Herzens gehörte dem jüngeren Mann. – –

Editha sah zu dem Geliebten empor. »Sie haben recht, Stuart,« bemerkte sie auf seine frühere Entgegnung, »aber der Abend wird mir traurig vergehen, da Sie entfernt bleiben.«

»So lassen Sie mich jetzt wenigstens das Glück genießen, in Ihrer Nähe zu bleiben und zusammen mit Ihnen das Orakel für unsere Wünsche versuchen, das tausende von gläubigen Herzen hier versammelt hält. Schauen Sie die sehnsüchtigen und ängstlichen Blicke, mit denen diese Schar von Mädchen und Frauen das Spiel verfolgt, als gälte es wirklich die Zukunft und die Entscheidung ihres Lebens.«

»Und warum wollen Sie so ungläubig zweifeln,« sagte das Mädchen, indem ihre Hand sich leicht auf seinen Arm legte, »daß in diesem Lande der Wunder ein Jahrtausende alter Brauch nicht wirklich das Vertrauen rechtfertigt, das so viele Herzen auf ihn setzen? So gut wie das Schicksal der Menschen nach dem Glauben der Vorzeit in dem ewigen Buch der Sterne geschrieben stehen soll, so gut mögen die Fluten dieses Flusses der bangen Menschenseele Hoffnung oder Trauer deuten können. Steuert nicht das Lebensschiff jedes Menschen hinaus in die unbekannte dunkle Flut, und keiner weiß, an welcher Küste es landen, an welcher Klippe es zerschellen wird.«

»Für das unsere liegen die Klippen und Stürme hoffentlich hinter uns,« entgegnete feurig der junge Offizier, »und wir schiffen den blumigen Auen einer Vereinigung entgegen, die mein höchstes Glück sein wird. Sehen Sie dahin – Miß Soldie und Halliday haben soeben ihre Dreimaster vom Stapel gelassen, Rivers und ihre schöne Cousine verfolgen bereits die ihren mit dem Operngucker, und hier kommt Lowe mit zwei brennenden Lampen, die seine Galanterie uns überlassen wird.«

»Ich weiß nicht,« sagte die Lady, »ich empfinde eine gewisse Bangnis vor dem Spiel, man sollte nie mit der Zukunft freveln.«

»Thorheit, Editha,« riet ihre Cousine, »Du darfst keine Ausnahme von uns allen machen. Nur keine Unterschleife, Leutnant Sanders, und paßt hübsch auf Eure Schiffchen auf, denn es ist wahrhaftig nicht leicht für unsere europäischen Augen, diese Glühwürmer des Schicksals unter der schwimmenden Illumination zu verfolgen.«

Editha und der Offizier setzten jetzt gleichzeitig von dem Floß, auf das sie getreten, sich niederbeugend ihre Schiffe in die dunklen Wellen des Stromes.

Ihre Blicke begegneten sich dabei – beide erfüllte derselbe Gedanke.

»Seht, wie hübsch das Pärchen schwimmt,« rief die heitere Tochter des Generals, die längst die mühsame Verfolgung des eigenen Fahrzeuges aufgegeben, indem sie in die Hände klatschte, »wie zwei Turteltäubchen, die zu Nest fliegen, oder zwei der kleinen Papageien, die nicht von einander weichen. Sir Stuart, Ihr Lebenslauf wird künftig ein sehr friedlicher sein, ich sehe Sie schon im Schlafrock und Pantoffeln als Nabob auf den Lorbeeren Ihrer Jugend ruhen.«

In der That schaukelten die beiden Schiffchen, bereits mehrere Schritte vom Ufer entfernt, leicht und zierlich auf dem sanften Wellenzug, kaum eine Spanne voneinander getrennt, und die Lämpchen in ihnen brannten hell und munter.

Plötzlich drängte sich eine weiße Gestalt, eine indische Frau in ihren wallenden Gewändern, durch die vornehme, hochgeborene Gesellschaft und glitt an das Ufer nieder. Sie hielt in ihrer Hand die zierliche Nachbildung einer Praua in Miniatur, auf deren Vorderteil eine Lampe aus wohlriechendem Harz brannte, sprang einige Schritte in den Fluß vor und setzte ihr Schiff kaum ein Meter weit hinter denen des Offiziers und der Lady auf den Spiegel des Wassers.

Obschon der Vorfall ganz unbedeutend und bei der Menschenmenge am Ufer und dem Eifer der Eingeborenen, sich an dem Spiel zu beteiligen, leicht erklärlich war, erregte doch die Dreistigkeit der Frau bei der sonst so großen Demut und Schüchternheit der Hindus im Verkehr mit ihren weißen Gebietern einige Aufmerksamkeit, und Miß Editha klammerte sich unwillkürlich, von einer ihr selbst unerklärlichen Besorgnis befangen, an den Arm ihres Geliebten und flüsterte: »mein Schiff, mein Schiff!«

In der That: war es die Bewegung, welche der Sprung der Hindu in das Wasser in diesem hervorgebracht, war es ein zufälliger Wellenschlag, der vom Ufer zurückprallte – der Kamm einer Welle erhob sich aus der dunklen Flut und trug das Schiff der Fremden wie in lustiger Jagd hinter den beiden Fahrzeugen der Liebenden drein.

Einen Augenblick noch, dann fuhr der leichte Rindenkahn der Hindu zwischen die beiden kleinen Nachen und trennte sie. Von dem Anprall schwankten die drei Fahrzeuge, die Lampen zischten von dem spritzenden Wasser und dann war Nacht und Dunkel an der Stelle, wo noch wenige Minuten vorher die prophetischen Leuchtfeuer des Glückes dreier Menschen geglüht hatten.

Ein leiser Schrei, ein schadenfrohes Gelächter des Residenten, in das sich ein ähnliches, nur schriller, boshafter, mischte – Editha schwankte in den Arm ihrer Cousine.

»Um Gottes willen, Miß Higson ist ohnmächtig! Ihr Flacon, meine Damen!«

Zwischen dem besorgten Liebenden und der erschreckten Dame seines Herzens tauchte, wie der Erde entwachsen, die Gestalt der Indierin empor, die Hand nach dem Fluß hin ausgestreckt, wo die prophetischen Lichter verschwunden waren.

Ihre Linke hob den verhüllenden Yaschmack zur Seite und das glänzende dunkle Auge Anarkallis flammte mit dem Ausdruck leidenschaftlicher Eifersucht ihm entgegen.

Der Name der Tänzerin, die er weit entfernt glaubte und von der er bereits zu hoffen gelernt, daß sie sich nicht nach Cawnpur begeben werde, erstarb auf seinen Lippen. Ohne ein Wort zu sagen, hob die Bayadere die Hand drohend und warnend gegen ihn, und verschwand ebenso rasch und geheimnisvoll, wie sie gekommen. –

Es war zwei Stunden später. Das nächtliche Fest war in vollem Gange. Vor den Pagoden und Tempeln tanzten die Bayaderen; Gaukler und Märchenerzähler hatten an den Ufern des Flusses ihre wandernde Bühne, oft nur aus einem Teppich bestehend, aufgeschlagen. Die öffentlichen Garköche hielten in ihren Buden feil, und an einzelnen Herden bereiteten die Mitglieder der verschiedenen Kasten ihr abgesondertes Mahl. Feuerwerke wurden abgebrannt, Freudenschüsse knallten rings umher, und mit jener kindischen Lust, der sich der Hindu so leicht hingiebt, erschallten auf allen Seiten die eintönigen Gesänge des Volkes und überall war die Freude und das Vergnügen in vollem Gange.

Auch in den Häusern der Vornehmen und Reichen waren Festlichkeiten aller Art und an den Thüren der Höfe wurden den Bettlern und Kranken Lebensmittel ausgeteilt. Wir haben bereits erwähnt, daß auch im Landhaus des Gouverneurs, General Wheeler, ein kleines Fest stattfand und dem entsprechend überließ sich die ganze Garnison der Freiheit und dem Vergnügen. Man sah die trotzig anmaßenden, selbstgefälligen Gestalten der englischen Soldaten und Sergeanten mit dem Hochmut gegenüber den eingeborenen Rassen, der selbst den geringsten Europäer in diesem Lande charakterisiert, durch die Menge der verschiedensten Nationalitäten daherschreiten, während die Sepoys, die nach dem Dienst ihre Uniform abgelegt hatten, in ihren weiten indischen Gewändern mit den Abzeichen ihrer Kaste, mit ihren Familien vor den Baracken saßen, oder an den allgemeinen Festlichkeiten teilnahmen.

Hindu und Mohammedaner, Laskaren, Malayen, Parsis, Chinesen und Araber, alle die unzähligen Stämme des Orients bewegten sich hier in buntem Gewühl und füllten die Gänge der geöffneten Bazars.

Es war in der zehnten Stunde, oder nach indischer Rechnung, die Nacht und Tag in zwei Hälften, und jede dieser Hälften wieder in Gharys von je 24 Minuten Dauer scheidet, im achten Ghary der Nacht, als Doktor Walding oder vielmehr Clifford mit seinem indischen Diener, der einen Arzneikasten unter dem Arme trug, durch das Thor des Forts schritt. Auf dem Platz vor demselben, auf dem die Alarmkanone stand, vergnügten sich die müßigen Sepoys und Soldaten im Zuschauen der Künste einer Gauklerbande und der Tänze einer Gesellschaft Bayaderen, und die Nachricht, daß Anarkalli, die berühmteste Tänzerin Indiens, sich darunter befände, lockte selbst die Offiziere und die Schildwachen näher.

Die Citadelle stammte aus der Zeit der Herrschaft der Großmogule und bestand zum Teil noch aus den alten Türmen und Mauern, die mit Anlagen und Einrichtungen der neueren Kriegskunst verstärkt waren. Das obere Stockwerk eines dieser Türme war Dhulip-Singh, dem Erben der Herrscher von Lahore, zur Wohnung und zum Gefängnis angewiesen. Der unglückliche Jüngling wurde hier seit dem mißlungenen Fluchtversuch in Firozpur mit großer Strenge bewacht, ein Posten stand vor der Thür seines Gemachs, dessen mit Eisenstäben vergittertes Fenster wohl 16 Meter über dem darunter herlaufenden Wall sich erhob, und nur in Begleitung eines britischen Sergeanten durfte er sich eine Stunde in den Höfen oder auf den Wällen der kleinen Veste ergehen.

Dennoch hatten alle Vorsichtsmaßregeln nicht verhindern können, daß die Freunde des Gefangenen aufs neue mit ihm Verbindungen anknüpften. Ein Zettel, den ihm ein indischer Soldat zusteckte, hatte ihm empfohlen, sich schon am Tage vor dem Fest der schwimmenden Lichter krank zu stellen und die Hilfe eines Arztes zu verlangen. Dies traf den Hospitalarzt und dessen Funktionen vertrat zur Zeit Walding.

Auf seine Meldung beim wachhabenden Offizier führte ein alter Sergeant, der seit länger als 20 Jahren in Indien diente, den Arzt und seinen Begleiter die Treppen hinauf und schloß die Thür auf, vor der ein Posten – wie der prüfende Blick des Arztes zu seinem Leidwesen bemerkte: ein Europäer stand.

»Der Herr hat seine Geißel über den ungläubigen Heiden geschwungen,« sagte der Sergeant Gately, der zu den strengen Presbyterianern gehörte, während er öffnete. »Als ich vorhin bei ihm war, schnaubte er in wildem Fieber wie das Streitroß der Amalekiter, und es that meiner Seele weh, obschon er zu denen gehört, welche die Höhen des Baal gebauet im Thal Ben-Hinnom, daß sie ihre Söhne und Töchter dem Moloch verbrannten.«

»Der Jüngling hat ein heftiges Fieber, ich werde ihn zur Ader lassen und habe deshalb einen Diener mitgebracht, um mir den nötigen Beistand zu leisten.«

Der Sergeant sah mit Verachtung und Widerwillen auf den Hindu. »Die Kinder Israels sollten sich nicht mit den Aussätzigen vermischen. Ich darf diesen Sohn Satans nicht in das Gemach des Heiden lassen. Es ist strenger Befehl.«

»Aber ich brauche seine Hilfe zu den ärztlichen Verrichtungen!«

»Diese Hand wird die Hilfe des Gottlosen ersetzen, Doktor. Es ist besser, daß der Leib verderbe, als daß die Seele in Gefahr komme. Treten Sie ein, und Du, schwarzer Sohn des Teufels, bleibe unter der Aufsicht dieser Streiter des Herrn zurück.« Er schlug Kassim die Thür vor der Nase zu, nachdem er ihm das Kästchen mit den Instrumenten abgenommen.

In dem Gemach, das der Arzt und der Sergeant betraten, waren nur geringe Bequemlichkeiten für den verwöhnten, an die Bedienung von hundert Händen gewöhnten Fürstensohn Indiens vorhanden. Dhulip-Singh, in sein Obergewand gehüllt, lag auf einem Rohrdiwan, und schaute, auf den Arm gestützt, vor sich hin. Eine fieberhafte Röte war auf seinem hübschen jugendlichen Gesicht und seine schwarzen Augen funkelten wie im Delirium.

Der Arzt trat zu ihm, ergriff seine Hand und fühlte den Puls. Er befand sich in der größten Verlegenheit, denn der alte fanatische Platzsergeant, an dessen Stelle sonst ein gewöhnlicher Unteroffizier der jedesmaligen Wache als Begleiter kommandiert zu werden pflegte, drohte den ganzen Entweichungsplan zu nichte zu machen.

Er fühlte jedoch, daß es einen raschen Entschluß galt und daß Geistesgegenwart vielleicht dennoch die Gefahr wenden und das Spiel zu einem glücklichen Erfolg umkehren könne. Es galt vor allem, einige Augenblicke mit dem Gefangenen allein zu sein.

»Das Fieber ist im Zunehmen,« erklärte der Doktor, »ich muß den Aderlaß vornehmen und einige beruhigende Mittel anwenden. Vermögen Sie sich zu erheben, Hoheit, und auf diesen Stuhl zu setzen? Es würde mir die Operation erleichtern.«

Der Prinz sah ihn mit wirren, erstaunten Blicken an, während der Doktor Verbandzeug und Instrumente aus seinem Kasten suchte.

»Ich fühle mich sehr krank und weiß nicht, ob Dein Thun meinen Leiden Linderung geben wird, weiser Hakim,« murmelte der Gefangene, »aber ich habe Vertrauen zu Dir, und die Götter mögen Deine Freundlichkeit lohnen, besser, als ich es kann.«

»Sprich nicht zu ehrbaren Christen von Deinen falschen Götzen, schwarzer Heide,« brummte der Sergeant. »Wende Dein Herz zu dem allein wahren Gott. Denn siehe, der Herr kommt gewaltiglich und sein Arm wird herrschen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm, und seine Vergeltung ist vor ihm.«

»Holen Sie frisches Wasser, Sergeant,« unterbrach seinen Bibeleifer mit strenger Stimme der Arzt, »da Sie doch meinem Diener die Hilfeleistung nicht gestatten wollen. Haben Sie wohl acht, daß es mit Eis gekühlt ist, und besorgen Sie zugleich noch etwas Charpie – ich sehe, daß Kassim vergessen hat, sie mitzubringen.«

Der Schließer murmelte einige Worte des Widerspruchs, wagte aber doch nicht, dem Geheiß ungehorsam zu sein und verließ das Gemach. Dagegen hörten sie ihn draußen die Riegel sorgfältig vorschieben und der Schildwache anempfehlen, den indischen Diener der Thür nicht nahe kommen zu lassen.

Seine Schritte waren kaum verhallt, als der Arzt, der aufmerksam an der Thür gelauscht, sich zu dem Gefangenen wandte.

»Rasch den Ärmel Ihres Rockes hinauf, Prinz, wir müssen den Mann täuschen, als sei Ihnen wirklich zur Ader gelassen. Unser Plan ist gescheitert an dem unglücklichen Umstand, daß dieser Murrkopf mich nur allein das Gemach betreten lassen will und mit Argusaugen uns bewacht. Sie sollten sich in die Gewänder Kassims, meines Dieners hüllen, und dieser an Ihrer Stelle zurückbleiben und dann die Flucht versuchen. Bei der allgemeinen Unruhe und dem Lärm des Festes durfte ich hoffen, Sie unerkannt aus dem Thor der Citadelle zu bringen.«

»Ich bin zum Unglück geboren – Lakschmi hält ihre Augen verschlossen gegen mich,« jammerte der Jüngling. »O Mahe Tschund, meine unglückliche Mutter und Du Mahana, arme Schwester! Mein Auge wird Euch niemals wieder sehen!«

Walding hatte indes eine Schale ergriffen und leerte ein Fläschchen mit Hühnerblut da hinein, das er in der Tasche seines Rockes mitgebracht. »Noch ist nichts verloren, Prinz, wenn Sie den Mut und die Kraft haben, die Rolle selbst zu übernehmen, die Kassim bei Ihrer Flucht zugedacht war. Haben Sie gethan, was der Zettel Ihnen anempfahl, den ich Ihnen gestern zusteckte?«

»Es ist geschehen; ich habe mit der Flüssigkeit, die Sie mir als Medizin zurückließen, die Gitterstäbe des Fensters alle Stunden befeuchtet.«

»So muß das Scheidewasser seine Schuldigkeit gethan haben und die Eisenstangen werden einer mäßigen Kraftanstrengung weichen. Diese Binde, die ich um Ihren Arm wickle, ist eigens dazu gefertigt und von doppeltem Linnen, das in der Mitte ein starkes Seidenband enthält; sie kann eine Last, zweifach so schwer, wie die Ihre, tragen und ist lang genug, um doppelt bis zum Boden zu reichen, denn Sie müssen sie mit fortnehmen, um keine Spur der Flucht zurückzulassen.«

»Aber es steht ein Posten am Fuße des Turmes auf dem Wall?«

»Der Mann ist einer der unseren, ein Hindu-Sepoy, den der Haik Beni-Mahib, seit der Beschimpfung durch einen jungen Offizier ein wütender Feind der Engländer, dahin gestellt hat. Er wird Ihre Flucht unterstützen, Hoheit, und Sie über die Bastionen geleiten. Es handelt sich nur darum, daß Sie den Mut haben, das Wagestück sogleich nach meiner Entfernung und mit so wenig Geräusch auszuführen, daß der englische Posten vor Ihrer Thür keinen Verdacht schöpft.«

Man hörte Schritte eines Nahenden. »Stellen Sie sich erschöpft und verlangen Sie ungestört zu sein; der Glaube, daß ich Ihnen zur Ader gelassen, wird das Geheimnis Ihrer Flucht erhöhen.«

Die Thür öffnete sich, und der mürrische Sergeant trat mit einer Kanne Wasser und dem verlangten Leinenzeug ein, während der Doktor eifrig die mit Blut befeuchtete Binde um den Arm des Gefangenen wand, dessen Seelenaufregung und Unruhe die Simulation des Fiebers erleichterten.

»Das Blut der Gottlosen und der Heiden ist ein wohlgefälliges Opfer dem Gott Zebaoth,« sagte der Zelot, »wie ich sehe, Sir, habt Ihr bereits das Messer in das Fleisch dieses Kindes der Finsternis gesenkt!«

»Ich durfte nicht länger zögern, Sergeant, der Zustand des Kranken scheint mir ziemlich gefährlich, oder ich müßte mich sehr täuschen. Reicht das Gefäß mit dem Eiswasser her, daß ich die Binde befeuchte und das Blut von dem Arm wische.« Der Sergeant that das Geheißene, während Dhulip-Singh den Zustand eines Schwerkranken nachahmte und ungestört zu ruhen verlangte.

Walding erklärte das für das beste, was geschehen könnte, und nachdem er versprochen, am anderen Tage nach dem Befinden des Patienten sehen zu wollen, verließ er ihn mit dem Sergeanten.

Vor der Thür erwartete ihn Kassim, sein wildes blutgieriges Auge traf bedeutungsvoll auf das seines Mayadar, während seine Hand unter das Gewand nach dem Griff des dort verborgenen vergifteten Malayendolches faßte. Es hätte nur eines Winkes des Arztes bedurft und der wilde, über die Vereitelung seiner Aufgabe erbitterte Thug hätte sich auf die Schildwacht und den Kerkermeister gestürzt und beide erdolcht. Aber der Doktor sah ihn warnend an, und ein unbemerkliches Zeichen empfahl ihm Ruhe und Vorsicht.

So stiegen sie die Treppe des Turmes hinab, an dessen Thür Walding den Sergeanten entließ. Als er aus dem Thor der Citadelle trat und über den mit Fackeln erhellten Vorplatz schritt, kam Anarkalli mit dem Tambourin auf ihn zu, wie eine Gabe heischend, während ihr Auge forschend einen Moment auf seinem Begleiter ruhte. Der Arzt schüttelte bedeutungsvoll den Kopf, und indem er ihr einige Anahs reichte, flüsterte er ihr den Rat zu, noch kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Soldaten zu beschäftigen. –

In einiger Entfernung von dem Thor der Citadelle warteten im Schatten eines alten Gemäuers mehrere Personen in der Tracht der Sepoys oder indischen Laskaren. Hierhin wendete hastig der Arzt seine Schritte, gefolgt von Kassim. Ein unterdrückter Freudenruf begrüßte ihn, aber alsbald erkannten die Harrenden, daß sie sich getäuscht.

Es war der Nena mit zwei seiner abenteuerlichen Trabanten, der hier des Gelingens der Unternehmung harrte, während die anderen Mitglieder seiner Truppe teils in einer entfernten Vorstadt mit den Pferden warteten, teils auf der anderen Seite der Citadelle den Weg bewachten, den Kassim einschlagen sollte, wenn die Rettung des jungen Prinzen durch den Wechsel der Kleidung und der Personen ausgeführt worden wäre.

Mit eiligen Worten berichtete Walding das Hindernis, das die Rettung zu vereiteln drohte, und daß der Prinz sich entschlossen habe, selbst das schwierige Wagnis zu versuchen, daß sie ihn also auf der anderen Seite am Fuß des Walles zu erwarten hätten.

Der Maharadschah winkte dem Kanadier, der seine treue und bewährte Gefährtin, das lange Gewehr, im Arm hielt und deutete nach dem Eingang des Forts, wo die Lärmkanone postiert war.

»Es mögen etwa 300 Schritt bis zu jenem Geschütz sein,« sagte er, »getraust Du Dich, auf diese Entfernung sicher im Dunkel Dein Ziel zu treffen?«

Adlerblick verzog den breiten Mund zu einem verächtlichen Grinsen. » Partinus!« murrte er, »ich habe am Colorado in einer Nacht fünf Apachenkrieger erschossen, die so dunkle Häute hatten, wie die Schatten ihrer Berge. Ich werde heute ein Ziel nicht fehlen, wo die Nacht fast so hell ist wie der Tag von den Fackeln und Feuern, die sie angezündet.«

»Du siehst die Kanone. Wenn es irgend ein Soldat wagt, die Lunte zu erheben, um sie abzufeuern, so schieße den Schurken nieder, ehe seine Hand das Zündloch erreicht, und mach' Dich aus dem Staube.«

»Ist es Ihr Feind, Hoheit?«

»Ja.«

»Dann ist es auch der meine, und ich habe nichts dawider. Andernfalls wäre die Sache nicht viel besser, als ein kleiner Mord, obschon man sich hier zu Lande an manches gewöhnt.«

Der Trapper untersuchte sein Gewehr, setzte ein neues Zündhütchen auf und richtete sein Auge nach der entfernten Kanone.

Der Maharadschah, ohne seiner Bemerkung zu achten, und des Gehorsams gewiß, verließ den Mann, befahl seinen Gefährten, in einiger Entfernung sich auf die Lauer gegen die Kasernements hinzustellen, und näherte sich dann dem vorspringenden Winkel der Bastion, von dem aus man das Gefängnis des jungen Prinzen beobachten konnte.

Die dunkle Gestalt einer Schildwache schritt auf der Höhe des Walles auf und nieder.

Der Maharadschah ahmte dreimal den Zischlaut einer Schlange nach, und aus dem Schatten eines Oleandergebüsches erhoben sich zwei dunkle Gestalten und näherten sich ihm vorsichtig. Es waren Murad-Khan und Alamos, der Mexikaner.

»Hat der Hakim mit dem Prinzen das Thor glücklich verlassen?« fragte ungeduldig der Khan, dem der Maharadschah eben deshalb den entferntesten Posten angewiesen, um eine Unbesonnenheit zu verhindern.

»Es ist ein unglücklicher Zufall eingetreten,« erwiderte der Fürst, den die Teilnahme an dem Abenteuer aus seinem finstern Brüten gerissen und zur Thätigkeit angeregt hatte, »Freund Walding hat das Gemach des Prinzen allein betreten müssen; seinem Diener Kassim wurde der Eintritt verweigert. Dhulip-Singh wird die Flucht durch das Fenster versuchen. Halten wir uns bereit, sie zu unterstützen. Dein Gewehr, Bursche!«

Er nahm dem Mexikaner die Waffe ab.

»Was willst Du thun, Hoheit?«

»Bei der ersten verdächtigen Bewegung jenem Burschen dort, der die Wache auf dem Wall hat, eine Kugel durch den Kopf schießen. Man muß darauf gefaßt sein, daß auch hier ein tückischer Zufall uns einen Possen spielt. Du kennst den Weg zu der Stelle, wo der Kahn unterhalb der Brücke Eurer harrt, Alamos?«

»Mit verbundenen Augen würde ich ihn finden.«

»Der indische Diener wird am jenseitigen Ufer mit den Pferden zur Stelle sein. Du darfst den Prinzen nicht verlassen, Khan, bis er in völliger Sicherheit ist.«

»Und Mahana und ihre Mutter?«

»Sie werden Euch unter sicherer Begleitung noch diese Nacht folgen und in Audh mit Euch zusammentreffen. Die Begum wird Euch dort die Mittel zur weitern Flucht verschaffen. Bis dahin würde jede Gemeinschaft Euch verraten.«

»Still!« – Die Hand des Mexikaners deutete nach dem Turme.

Der Maharadschah hob das Gewehr und nahm den Sepoy aufs Korn. Der jedoch that, als ginge das, was sich über ihm ereignete, ihn nichts an, und schritt nach der andern Seite des Turmes.

Jetzt sah man in dem matten Licht der Sternennacht deutlich einen dunklen Gegenstand aus dem obern Fenster dieses Turmes sich schwingen und rasch an der Mauer niedergleiten.

Einen Augenblick nachher erschienen zwei Gestalten auf der Höhe des Walles – dieser Moment war die gefährliche Krisis, denn er mußte entscheiden, ob die Schildwacht Freund oder Feind war.

Zum Glück für den Erfolg des Unternehmens gehörte der wachehaltende Sepoy wirklich zu denen, die sich bereits in geheime Konspirationen gegen die Engländer eingelassen. Der Gefangene hatte nicht so bald den Boden erreicht, als jener Gewehr und Tschako wegwarf und ihm zurief, daß Beistand in der Nähe sei. Beide eilten jetzt an den Rand des Walles, nachdem sie das Doppelband, an dem sich der Prinz aus seinem Kerker herabgelassen, an sich gezogen.

»Kannst Du schwimmen?« fragte der Sepoy den Flüchtling.

»Nein.«

»So laß Dich ruhig in das Wasser des Grabens gleiten und halte Dich an meinem Gürtel fest. – Still! ich höre Schritte – das ist der Offizier der Ronde! – schnell, schnell, oder wir sind verloren!«

Während der Sepoy und der Flüchtling an dem Wall hinabglitten, kam ein Mann aus dem innern Rundgang um den Vorsprung des Turmes gerade auf die Stelle zu, die jene so eben verlassen hatten.

Der Offizier, denn ein solcher war es, und zwar Leutnant Stuart Sanders, blieb einen Augenblick erstaunt stehen, als er die Schildwache nicht auf ihrem Posten sah und keine Spur von dem Manne entdeckte; hierauf hörten die Lauscher auf dem andern Ufer des Wallgrabens deutlich seinen Anruf:

»Schildwacht! Schildwacht!«

Dann, als keine Antwort erfolgte, sprang er vor und sah das Gewehr und den Tschako des Sepoys am Boden liegen.

Zugleich vernahm er ein lautes Plätschern in dem Wallgraben, das durch das ungeschickte Hinabgleiten des jungen Mannes entstand.

»Halt! – Wer da?« Der Offizier bückte sich, das weggeworfene Gewehr zu ergreifen. Diese Bewegung rettete sein Leben, denn im selben Augenblick knallte die Büchse des Maharadschah und die Kugel schlug gegen die Wand des Turmes.

»Verrat!« In dem hellen Schimmer der Nacht sah der junge Krieger deutlich zwei Gestalten den Wasserspiegel des Grabens teilen, und die Überzeugung, daß nicht die bloße Desertion eines Postens, sondern ein anderes Vergehen – wahrscheinlich die Flucht des Gefangenen – vorliege, schoß ihm durch den Kopf.

» Stop! oder ich gebe Feuer!«

Die Flüchtigen waren bereits an der andern Seite des Grabens, aber die Böschung war hier so steil, oder der Sepoy hatte gerade eine der tieferen Stellen gewählt, daß er, von dem Gewicht des Prinzen belästigt, nicht emporzuklimmen vermochte.

»Ich ertrinke! Zu Hilfe! zu Hilfe!« stöhnte die Stimme Dhulip-Singhs.

Der Maharadschah, Murad Khan und der Mexikaner sprangen herbei, ohne Rücksicht auf die Gefahr, der sie sich bloßstellten.

In einem Augenblick der Stille hörte man den Offizier abdrücken. Aber der Hahn schlug nutzlos auf das Piston; der Sepoy hatte weislich die Ladung aus dem Gewehr gezogen.

»Den Lasso! den Lasso hinunter, sonst sind sie verloren!« befahl der Bahadur. »Dort kommen die gottverdammten Schurken!«

In der That, obschon der Schuß des Maharadschah bei dem fortwährenden Knallen der Freudensalven und Raketen wenig Aufmerksamkeit erregt hatte, eilten jetzt auf den Ruf des Offiziers: »Wache herbei! Verrat!« mehrere Posten herzu und schossen aufs Geratewohl ihre Gewehre ab.

Der Sepoy hatte unterdes im Graben den zugeworfenen Lederstrick des Mexikaners glücklich erfaßt und die Schlinge über den Prinzen gezogen. Die Kraft der drei Männer hob die Last leicht über den Rand – mit ihr zugleich schwang sich der Soldat in die Höhe.

»Jetzt, Khan, mach' daß Du fortkommst mit dem Jüngling,« flüsterte der Fürst, »in der Eile allein liegt Eure Rettung. Ich werde die Rotröcke aufhalten, so lange es geht – zunächst jenen dort.«

Er deutete nach dem englischen Offizier, der, als er sah, daß die Flüchtlinge sich glücklich aus dem Graben gerettet, sofort erkannte, daß hier nichts zu thun blieb, als das Alarmzeichen zu geben und sich durch die Herbeikommenden drängend, den Wall entlang nach dem Hauptthore der Citadelle flog.

Ohne sich weiter um seine Gefährten zu kümmern, eilte der Maharadschah nach der Stelle zurück, wo er den Kanadier Adlerblick zurückgelassen.

In demselben Augenblicke, wo er den ehemaligen Trapper erreichte, erschien Leutnant Sanders unter dem Bogen des Thors und sprang über die Zugbrücke vorwärts nach dem freien Platz, wo die Kanone, von einem Posten bewacht, stand, und noch eine Menge Personen um die Gaukler versammelt waren, die bei dem entstehenden Lärm ihre Künste unterbrachen und sich neugierig nach der Citadelle drängten.

Neben Adlerblick und dem Franzosen Cordillier fand der Maharadschah die Bayadere.

»Aufgepaßt, Mann! Schieß den Faringi nieder, wenn er sich der Kanone zu nahen wagt.«

Die lange, niemals ihr Ziel fehlende Büchse des Kanadiers lag im Anschlag.

Der englische Offizier hatte jetzt das Geschütz erreicht. Er riß, ohne erst die Schildwacht herbeizurufen, die Lunte von dem Gestell, schwang sie durch die Luft, um sie neu anzufachen, und senkte sie nach dem Zündloch.

»Bei allen Dämonen – Feuer!« befahl der Hindu.

Ein gellender Angstschrei ertönte – mit ihm warf sich die Bayadere vor die Mündung der Flinte und schlug den Lauf in die Höhe. Der Schuß ging los und das Pulver verbrannte das Gesicht der Tänzerin, während die Kugel die Flechten ihres reichen Haares zerriß.

In demselben Augenblick donnerte der Alarmschuß des Geschützes. Die Kugel des Trappers hatte einen der unglücklichen Hindu-Gaukler getroffen und getötet.

»Wahnsinnige Thörin,« zürnte der Fürst, »das Signal hetzt uns vor der Zeit die ganze Garnison auf den Hals und fordert zur Verfolgung der Deserteure auf. Suche jeder, so gut er kann, den Sammelplatz zu erreichen, wo die Pferde stehen.«

Der Wirbel der Alarmtrommeln aus dem Fort und den naheliegenden Kasernen, und der ferne, rasch näherschwellende Ruf: »Feuer! Feuer!« unterbrach ihn.

Kapitän Cordillier faßte den Arm seines Gebieters und deutete nach rückwärts, wo man durch die Zwischenräume der Bäume, vom Strom abwärts, die Reihe der Bungalows sich ziehen sah.

Eine rotglühende Feuersäule erhob sich über das dunkle Laub und wälzte sich weithin am nächtlichen Horizont.

»Sie werden andere Dinge zu thun haben, als uns zu verfolgen, Hoheit,« sagte er. »Wenn mich die Richtung nicht trügt, ist es das Landhaus des Residenten, das in Flammen steht, oder eins der zunächst gelegenen Bungalows.«

»Das rettet uns und den Prinzen,« flüsterte der Fürst. »Aber nun fort und nehmt jenes thörichte Weib mit Euch, das, einen Faringi zu retten, seine Brüder verrät.«

Er wandte sich nach der Tänzerin um, aber Anarkalli war verschwunden.


Obschon ein Brand in einer orientalischen Stadt selten viel Aufmerksamkeit erregt, da die Sache bei der leichten feuergefährlichen Bauart zu oft vorkommt und häufig ganze Quartiere binnen wenig Stunden in Asche gelegt werden, veranlaßte doch das Gerücht, daß das Landhaus des viel gefürchteten und wenig beliebten Residenten in vollen Flammen stand, ein mehr als gewöhnliches Zusammenströmen der Volksmenge. Die Nachricht von dem Brand traf zugleich mit der von der Flucht des Sikh-Prinzen im Salon des Gouverneurs ein und störte das Fest. Der General vermutete sogleich, daß beide Ereignisse in Zusammenhang ständen und erteilte zugleich seine Befehle zur Verfolgung der Flüchtigen und zur Löschung des Brandes. Der Generalmarsch wirbelte durch die Straßen und Bazars, die Signalhörner riefen zum Sammeln, und von allen Seiten eilten die unter der Bevölkerung zerstreuten Sepoys nach ihren Alarmplätzen, während die Pompier-Kompagnieen bereits nach dem Ort des Brandes marschierten.

Eine dichtgedrängte Menschenmasse umgab die Stätte und ihr höhnisches Geschrei, ihr Widerwille, den Dienern des Hauses irgend eine Handreichung zur Hilfe zu thun, außer etwa um die Gelegenheit zum Raub zu benutzen, bewies klar, wie verhaßt Major Rivers unter der Bevölkerung war.

Das Feuer war, während der größte Teil der Dienerschaft sich an den Ufern des Flusses umhertrieb, plötzlich in den vorderen Räumen des Bungalow ausgebrochen. Die Flamme schlug kaum in die Höhe, und die wenigen zurückgebliebenen Diener rannten schreiend und ratlos umher, als wie aus der Erde emporgestiegen mehrere fremde Gestalten auf dem Schauplatz erschienen, die Diener zurückstießen und teils in das Innere des Bungalows drangen, teils mit Gewalt die Gitter der Umzäunung öffneten, um dem zuflutenden Pöbel ungehinderten Einlaß zu gewähren. Eine gewisse Übereinstimmung schien in allem, was sie thaten, zu liegen. Ein Mann, in die Lumpen eines Fakirs gehüllt, sprach in fanatischen Worten die sich sammelnde Menge an, verkündete, daß die Feuersbrunst eine Strafe der Götter gegen die tyrannischen Unterdrücker sei, und forderte sie auf, dem Gericht des Himmels freien Lauf zu lassen.

Das Geheul des Pöbels zeigte, welche Sympathieen die fanatische Rede in ihm erweckte. Dichter und dichter schloß sich die Volksmenge und verhinderte durch ihren passiven Widerstand, daß die Verständigeren sich hindurchdrängen und zum Löschen der Feuersbrunst thätig sein konnten.

Drei Männer waren es, welche während dessen, unbekümmert um die sprühenden Funken und stürzenden Balken, in das Innere der Villa eingedrungen. Der eine, der den Führer zu machen schien, war ein kleiner, alter Mann in indischer Kleidung, von dessen Turban ein kurzer das Gesicht verbergender Schleier herabhing. Die beiden anderen trugen die Tracht der Laskaren oder indischen Bootsleute; der ältere war in einen weiten arabischen Mantel gehüllt, des zweiten Gesichtszüge trugen, obschon von der Sonne heißer Zonen gebräunt und von Leiden entstellt, offenbar das europäische Gepräge. Seine Hand schwang eine schwere Spitzaxt, die sie so leicht wie eine Feder regierte.

Der Greis voran, eilten sie durch die Reihe der Gemächer, in denen wir einige Monate vorher, vor dem Abzug zu jener schrecklichen Tigerjagd, Eduard O'Sullivan und seine beiden Gefährten sich für die nächtliche Orgie vorbereiten sahen. Rauch und Glut erfüllte bereits diese Räume, denn die Flammen verbreiteten sich an dem trockenen Bambusgebälk und dem andern leichten Baumaterial mit großer Schnelligkeit.

Die Absicht, an den Kostbarkeiten und wertvollen Gegenständen, welche diese Gemächer schmückten, sich zu bereichern, schien den drei Eindringenden vollständig fern zu liegen. Ohne sie im geringsten zu beobachten, durcheilten sie die Räume und richteten, von dem Alten geführt, ihre Schritte nach jenem langen, mit Blumen dekorierten Korridor, der das Hauptgebäude des Bungalow mit der Reihe von Pavillons und Kiosks verband, die, wie das Gerücht sagte und wie wir aus den früheren Scenen unserer Erzählung wissen, den Harem des Residenten barg.

Die Gefahr der Feuersbrunst war noch nicht bis hierher gekommen, obschon der Lärm derselben auch in diesen Teil des weitläufigen Gebäudes gedrungen sein und die Bewohner erschreckt haben mußte.

Sie hatten kaum den Gang betreten, als ihnen Hassan, der Oberaufseher des Residenten, abwehrend entgegenstürzte.

»Zurück, Unglückliche! kein fremder Fuß darf die Zenanah betreten! Wir bedürfen Eurer Hilfe nicht, um hier zu retten!«

»Fort mit Dir selbst, schändlicher Kuppler!« kreischte die Stimme des Alten, und: »Nurjesan! Nurjesan! wo bist Du?« klang sein Ruf.

In dem Ringen mit dem Aufseher fiel zugleich dem Greise der Turban vom Haupt und enthüllte seine Züge.

»Tippo Singh, der Babu! Fürchtet die Rache des Sahib!«

»Nimmer soll Dein Mund verraten, was Dein Auge gesehen, feiger Sklave,« zürnte der beraubte Vater und stieß seinen Dolch in den Leib des Mannes. »Möge Yama Deine Thaten richten, wie er Deinen Gebieter richten wird.«

Der Unglückliche stürzte mit Geschrei zu Boden und über seinen Todeskampf hinweg sprangen die drei vorwärts.

Durch den Lärm von außen drang ihnen das Gekreisch der Weiber entgegen, die aus den verschlossenen und wohl gesicherten Räumen des Harems von dem Tumult und der ungewöhnlichen, durch das offene Dach der früher beschriebenen Rotunde hereindringenden Helle erschreckt, vergeblich einen Ausgang suchten, von innen an die Thür ihres glänzenden Kerkers schlugen und Auskunft und Beistand verlangten.

Vor dieser Thür zeigte sich ein neues Hindernis. Hier hielt der schwarze Eunuch des Residenten Wache und seine funkelnden Augen, seine drohenden Gebärden bewiesen, daß er nicht gutwillig seinen Posten verlassen und den Eingang öffnen werde.

»Laßt mich voran,« befahl der ältere der beiden Laskaren, als er die Zögerung des Babu beim Anblick des drohend geschwungenen Säbels des Schwarzen bemerkte, »ich will mit dem Schurken fertig werden, bevor seine geschlitzte Zunge einen Laut zu stammeln vermag. Öffne jene Thür, Bursche, und mach' Dich davon, ehe das Feuer Dich noch schwärzer bratet, als die Natur Dich geschaffen.«

Der Neger fletschte grimmig die Zähne, stieß ein heiseres Geschrei aus und holte zu einem Streich aus.

Mit Blitzesschnelle hatte der Rais der Praua, denn unser alter Bekannter, der Uskoke Danilos von der albanesischen Küste war es, den die Rani von Jhansi auf die Spur des Residenten gehetzt, und der jetzt in die Geheimnisse seines Hauses einbrach. – Der Gefahr begegnend, den weiten arabischen Mantel um seinen linken Arm geschlungen, und diesen schützend über seinen Kopf erhebend, unterlief er den Mohren, fing mit dem dicken Gewebe den Hieb des Säbels auf und gab seinem Gegner zugleich einen heftigen Tritt gegen die Schienbeine, den verwundbarsten Teil der Schwarzen. Heulend vor Schmerz beugte dieser sich nieder, der Uskoke aber entriß ihm die Waffe, und ohne eine eigene zu berühren, führte er mit dem Griff des Säbels einen so mächtigen Schlag gegen den Wollkopf des Negers, daß jeder andere menschliche Schädel davon zerschmettert worden wäre und selbst der Schwarze völlig betäubt zu Boden stürzte. Ohne den gefällten Feind weiter zu beachten, entriß der Rais seinem Gürtel den Schlüssel und öffnete die Thür.

Als die Odalisken das Aufschließen derselben vernahmen, waren sie halb beruhigt und zugleich ängstlich, ihre rauhen Wächter zu erzürnen, in das Gemach zurückgewichen und harrten zitternd des Ausgangs des Lärms.

Einen Augenblick blieben die Eindringenden wie geblendet von so viel Reichtum und Glanz auf der Schwelle stehen und starrten auf das Bild vor sich, das an die goldenen Gärten der ewig jungen Houris im Paradiese der Mohammedaner erinnerte. Die zehn Mädchen, noch reizender durch die Unordnung ihrer Bekleidung und die Angst und Besorgnis, die aus ihren Mienen sprach, drängten sich wie eine Herde um die alte Hexe, die Aya, ihre Hüterin, die bei dem Anblick der fremden Männer ein Zetergeschrei erhob und sie mit dem Zorn ihres Sahibs bedrohte.

Mit dem Rufe: »Nurjesan! mein Kind!« stürzte der Babu auf eine der zierlichen Gestalten zu und preßte sie in seine Arme. Bestürzt wankte das Hindumädchen zurück und verhüllte ihr Gesicht mit dem Schleier, indem sie das Gefühl ihrer Schande, die sie bereits liebgewonnen, mit Gewalt bei dem unerwarteten Anblick ihres Vaters überkam. Schluchzend warf sie sich auf den Diwan, während der alte Mann vor ihr kniete und mit Schmeichelworten sie zu beruhigen suchte.

Während dessen hatten die Blicke des Uskoken die Schar der Odalisken gemustert, als suchten sie nach einem bestimmten Gegenstand, den sie nicht aufzufinden vermochten.

»Der Schuft von Schobedar hat mich getäuscht,« murmelte er zwischen den Zähnen, »unter diesen Weibern ist keine einzige, die einer Europäerin ähnlich sieht, es müßte denn jene dort sein.« Seine Hand wies unwillkürlich auf Narika, die schöne Kashmirerin, deren zarter und weißer Teint und edle kaukasische Gesichtsbildung sie von ihren Gefährtinnen unterschied. »Was sagst Du, Mann, ist es die Gesuchte?«

»Unmöglich,« antwortete sein Gefährte, der bisher bei der ganzen wilden Scene sich schweigend verhalten hatte, obschon seine Augen gleich wie in rachsüchtiger Glut funkelten, seine festgepreßten Lippen den Entschluß energischer That bekundeten. »Das ist die Lady nicht – laß uns suchen nach ihr, Kapitän, denn dieser Mann hat der schwarzen Verstecke genug in seinem Herzen, warum sollte er sie nicht in seinem Hause haben, wo er die Folgen seiner schwarzen That zu fürchten hat?«

»Du hast recht, und jenes Mädchen, das ich zuerst für die Gesuchte hielt, muß diejenige sein, die uns Auskunft über sie geben kann. Bewache die Thür, indes ich handle.«

Er sprang vor in das Gemach unter dem Gekreisch der Weiber, die ihre Stimmen jetzt mit dem Gezeter der Alten vereinten.

»Schweigt!« befahl er mit donnernder Stimme. »Tod und Verderben sind über Euch; ich komme, Euch zu retten. Aber keine soll den Flammen entrinnen, die bereits das Haus Eures schändlichen Herrn erfaßt, ehe ich nicht weiß, wo die Engländerin, die vor drei Monaten geraubt und hierher gebracht worden ist, gefangen gehalten wird.«

Die Weiber fielen auf die Kniee und jammerten und beteuerten, daß sie von nichts wüßten, nur die Kashmirerin blieb aufrecht stehen und gab ein Zeichen, als wolle sie sprechen. Aber die alte Hexe machte eine wütende Bewegung gegen sie, um ihr den Mund zu verschließen.

»Dein Name ist Narika, Mädchen?« fragte der Rais.

Die Kashmirerin sah ihn erstaunt an und bewegte das Haupt zur Bejahung.

»Im Namen des jungen Faringi, der Dich geliebt, im Namen des Mannes, der Dir den Ring geschenkt, den Du hier am Finger trägst, und den Dein Herr ins Verderben gestürzt – kannst Du mir sagen, wo die Gefangene, seine Schwester ist? Wir wissen, daß sie heimlich in diesen Aufenthalt der Schande gebracht worden.«

Das Auge des armen, den Lüsten ihres Gebieters und seiner Genossen dienenden Mädchens funkelte bei der Erinnerung an den Mann, der ihr in dem Sinnenrausch der Orgien eine gewisse Neigung, eine Bevorzugung gezeigt und die Gefühle ihres jungen feurigen Herzens für sich erweckt hatte.

»Sie wird mich töten, wenn ich es sage,« flüsterte sie, indem sie auf die Alte deutete, die vor Schreck und Wut knirschend nach einem Messer in ihrem Gürtel griff.

»Bei der Panagia, sei unbesorgt, Mädchen! Niemand soll Dir ein Haar krümmen, am wenigsten die alte Vettel, die ich eher zur Hölle schicken will, wohin sie gehört.« Ein rascher Griff von ihm entriß der Hand der Alten das Messer, das sie nach dem Mädchen zuckte und warf sie auf die Kissen. Einen Augenblick darauf hatte er ihr die Hände und Füße geknebelt und den Mund verstopft.

»Jetzt rede! aber rasch – denn das Feuer dringt näher und unsere Augenblicke sind gezählt.«

»Ich weiß nur, daß ein weißes Weib, eine Faringi, hier gefangen gehalten wird. Sie allein,« sie deutete auf die Aya, »kann sagen, wo sie ist, denn nur sie und der Moslem Hassan sahen sie.«

»Das ist sie; das muß sie sein. Antwort, Du Scheusal: wo ist die Gattin des Nena?« Er hatte ihren Mund von dem Knebel befreit, aber die Alte fletschte grimmig ihre wenigen Zähne und spie mit einer Verwünschung nach ihm.

»Um Gottes Willen, Kapitän, rasch, rasch!« schrie von der Thür her, die er geöffnet, der Gefährte des Albanesen auf englisch. »Das Feuer hat den Korridor erreicht und ich höre den Generalmarsch der Soldaten.«

»Willst Du reden, Canaglia!«

Nur ein grimmiger Blick aus den grünfunkelnden Augen der Alten und der Versuch, sich loszuwinden, antworteten ihm.

Im Nu hatte Danilos von seinem Halse eine dünne, aber feste Schnur geknüpft, an der er ein Amulett trug und sie um die Stirn des Weibes gebunden. Dann steckte er den Griff seines Dolches zwischen die Schnur und begann sie zusammen zu drehen.

Ein entsetzliches, gellendes Geschrei erfüllte das Gemach, das Knistern der Flammen, das Geheul des draußen versammelten Pöbels übertäubend.

»Willst Du reden?«

Seine Hand drehte den Dolch – die Augen schienen sich aus ihren Höhlen zu drängen, der Anblick ihres verzerrten runzelvollen Gesichtes war furchtbar.

»Erbarmen, Sahib! ich will bekennen, alles, alles, was Du willst!«

»Befindet sich die Gattin des Maharadschah von Bithoor in dieser Höhle des Lasters?«

»Der Sahib Resident hat sie entführen lassen. Sie ist hier, aber –«

»Wo ist sie?«

»Im geheimen Gemach unter dem Boden des nächsten Kiosk; sie ist –«

»Wo ist der Eingang! Sprich, Hexe, oder stirb!«

»Erbarmen! In der Wand jenes Gemaches« – ihre Augen deuteten nach einem der mit wollüstiger Pracht eingerichteten Seitenkabinette – »befindet sich eine verborgene Thür zum nächsten Kiosk. Unter dem Teppich in seiner Mitte führt die Fallthür hinab in das Gefängnis der Faringi!«

»Die Schlüssel, wo sind die Schlüssel?«

»Ich habe sie nicht; der Sahib Resident allein besitzt sie!«

Wiederum, heftiger als zuvor, schnitt die Schnur das Fleisch bis auf die Knochen durch. »Barmherzigkeit bei der Mutter, die Dich geboren,« heulte die Alte. »Möge ich ewig verdammt sein, wenn ich Dir Lügen sagte.«

Der Uskoke sprang empor. »Es ist kein Augenblick zu verlieren. Suche die Thür und schlage sie ein, Enrico!«

Sein jüngerer Gefährte war bereits in dem Kabinett und untersuchte die Wände. Gleich darauf donnerten die Hiebe seiner Spitzaxt in das Holz und rissen breite Splitter heraus.

»Hier ist die Thür; die Hexe sprach die Wahrheit!«

Unter seinen gewaltigen Schlägen brach die verborgene Tapetenthür in Stücken, ein frischer Luftstrom drang in das Gemach, aber zugleich dröhnte von der anderen Seite her das Gekrach der zusammenstürzenden Balken, das Glas der Bedachung sprang von der sengenden Hitze und der Rauch der immer näher rasenden Flamme drang durch den vordern Eingang.

Die Frauen erhoben ein gellendes Hilfegeschrei.

Danilos riß den Babu empor. »Fort mit Dir, Mann, wenn Du Dich und Dein Kind retten willst. Dort hinaus muß ein Ausgang nach dem Garten sein, ich fühle es an dem Luftzug. Ihr alle flieht, wenn Euch das Leben lieb ist, denn in wenig Minuten wird all diese Herrlichkeit ein Raub der Flammen sein, und bei der Panagia, Ihr seid zu schön, um zu verbrennen!«

Er sprang durch die Öffnung der eingeschlagenen Thür; in wilder Hast folgten ihm der Babu mit seiner Tochter und die Odalisken, ohne auf das Jammergeschrei des alten Weibes zu achten, das sie anflehte, sie nicht hilflos dem Flammentode zu überlassen.

Der Raum, den sie durch die eingeschlagene Thür betraten, war zunächst wieder ein kurzer Korridor, der zu einem anderen Pavillon führte. Einige Axthiebe des Laskaren zertrümmerten die verschließenden Jalousieen und die Todesangst der Frauen erweiterte mit Gewalt die Öffnung, durch die sie sich ins Freie und die dichten Bosketts des Gartens stürzten, der durch die Glut des Brandes mit Tageshelle übergossen war.

Der Uskoke und sein Gefährte dagegen stießen die Thür des zweiten Pavillons ein und betraten das genügend von dem Feuerschein erleuchtete Innere.

Es war auf das Kostbarste geschmückt, aber leer. Ein rascher Blick umher zeigte den beiden, daß die Fenster mit engen und starken vergoldeten Bronzegittern verschlossen waren.

»Wo ist der Eingang – was sagte die Alte?«

»Hier unter dem Teppich in der Mitte!« beantwortete eine dritte Stimme die Frage. Umschauend sah der Uskoke das Mädchen aus Kashmir vor sich stehen.

»Was thust Du hier? warum bist Du nicht geflohen mit Deinen Gefährtinnen?«

Die Schöne machte die unnachahmbare Bewegung der Orientalen mit der Hand vom Munde, wodurch sie ihre Gleichgültigkeit ausdrücken. »Wallah – warum sollte Narika fliehen? Sie kann hier eben so gut sterben, wie anderswo. Ich habe niemand, der für mich sorgen würde und mein Herz ist leer, seit der Sahib mit den goldenen Haaren nicht mehr zu mir kommt.«

»Du sollst uns begleiten, Mädchen,« entschied der Rais, »überdies bedürfen wir vielleicht Deiner Hilfe. Schiebe den Teppich beiseite, der den Zugang bedecken soll. Rasch, rasch, denn die Hitze dringt schon hierher!«

Die Matte war bereits zur Seite gezogen. Der Fußboden war von chinesischer Holzmosaik, aber keine Spur einer Öffnung darin!«

»Hölle und Teufel! Die alte Vettel hat uns betrogen; möge dafür das Feuer ihr Glied für Glied vom Leibe sengen! Fort mit uns!«

»Halt! halt!« rief das Mädchen, »hier ist die Fallthür!« Ihr scharfes Auge hatte in dem Gefüg des Getäfels die Spur entdeckt. Da ist ein Ring eingesenkt und hier ist das Schloß!«

»Brauche die Axt, Enrico, als gälte es Dein Leben!«

Der andere sah ihn mit flammenden Blicken an. »Besseres stählt meinen Arm, Kapitän! die Gewißheit der Rache!«

Vor seinen wütenden Schlägen sprangen die Planken; wenige Augenblicke: das Schloß der Fallthür zersprang und die Axt hob die schwere Last in ihren Angeln. Eine viereckige Öffnung gähnte ihnen entgegen, die Stufen einer Treppe führten hinab – Lichtschimmer glänzte aus der Tiefe.

»Mein Bräut'gam war ein schöner Mann,
Er saß gar stolz zu Roß!
Am hohen Fels von Karnogan
Da steht sein gold'nes Schloß!«

tönte es in der melancholischen Melodie einer irischen Volksballade herauf, und die zitternden Töne klangen so deutlich und traurig, daß selbst der wilde Uskoke erschüttert zauderte.

Im nächsten Augenblick aber hatte er den Eindruck überwunden und sprang die Stufen hinab, von Narika gefolgt, während der Mann, den er mit dem Namen Enrico benannt, auf seinen Befehl an der Fallthür zurückblieb.

Der Anblick, der sich dem Uskoken und der Kashmirerin bot, wirkte noch erschütternder, als der seltsame Gesang, den sie gehört.

Der Raum, in den die Treppe mündete, war ein unterirdisches Gewölbe von runder Form. Die Mauern waren mit weichen Bastmatten ausgeschlagen, die das Geräusch dämpften und zugleich einige vergitterte Öffnungen in der Höhe bargen, durch welche die nötige Luft in dies Gemach gelangte. Eine eiserne Lampe hing in Ketten von der Decke und verbreitete ihren trüben Schein.

Auf dem Boden in der Mitte dieses Raumes auf einem Haufen Reisstroh kauerte eine weibliche Gestalt in reicher, aber jetzt von der Feuchtigkeit, die während der Regenzeit das Erdreich und so auch das unterirdische Gewölbe durchdrungen hatte, modernder, zerstörter und an mehreren Stellen zerrissener, orientalischer Kleidung.

Ihr langes blondes Haar hing fessellos in ungeregelten Strähnen und Locken um ihren Kopf und bedeckte mit seinen Spitzen den Boden.

Das Gesicht, mager und eingefallen, zeigte dennoch Schönheit und feinen Reiz, aber der ängstlich leidende Ausdruck der einst so schönen und kühnen Augen, die hohl unter der Stirn hervorschauten, gab ihm etwas Gespenstiges.

Die junge Frau wiegte sinnend im Takt den Kopf; als sie aber den Mann und das Mädchen eintreten sah, streckte sie ihnen mit einem Schrei die hageren Hände wie zur Abwehr entgegen.

»Rührt mich nicht an! rührt mich nicht an!« bat sie mit ängstlichem Ton. »Wißt Ihr nicht, daß ich die Tigerbraut bin? Barmherziger Gott, er wird Euch und mich zerreißen! Thut keinen Schritt weiter – ich rufe den Nena!« Wieder begann sie ihr trauriges Lied.

Den rohen Uskoken schauderte. »Sie ist es; wir können nicht zweifeln. Aber beim Acheron, hier ist ein traurigeres Unheil noch, als wir gefürchtet.«

Narika hatte zwar die englisch gesprochenen Worte des unglücklichen Wesens vor ihnen nicht verstanden, aber sie begriff das Entsetzliche.

»Allah hat ihre Seele mit Nacht bedeckt,« sagte sie. »Was auch ihr Los hier gewesen – sie gehört zu den Unschuldigen.«

»Ihr seid gut, Ihr seid keine Faringi, ich kenne Euch!« flüsterte die junge Frau. »Sagt nicht der Glaube Eures Landes, daß die Flammen den Leib rein brennen zu neuem Leben? Ich will rein sein, ich gehöre ihm allein! Wo ist die Sotti? Ich höre die Flammen knistern.«

»Mylady, ermannt Euch! Wir sind hier, Euch zu befreien. Das Haus steht in Brand, wir müssen flüchten.«

»Seht Ihr, wie er in die Arena springt, das Eisen flammt in seiner Hand; meine Seele war die seine – er ist gerettet! – Hei – ich bin die Tigerbraut! Aber ein anderer Tiger hat mich gefaßt – er reißt die Kleider von meinem Leib – er erstickt meine Stimme – Nena, rette Dein Weib!

Der Räuber frönt der Lust und dann
Höhnt er das Liebchen fein.
Jetzt magst Du, Held von Karnogan,
Die Buhlerin Dir frei'n.«

»Herauf, herauf! ich höre die Signale der Soldaten!« tönte von oben her der Warnungsruf des Laskaren.

»Wir müssen Gewalt brauchen,« murmelte der Uskoke, als die Unglückliche vor seiner Annäherung aufspringend floh und ein Angstgeschrei erhob. »Bei dem Namen Eures Bruders, Mylady, wir sind Freunde und kommen. Euch zu retten. Eduard O'Sullivan –«

Die Unglückliche sprang aus ihn zu. »Eduard sagst Du? Wer schrieb den Brief? Barmherziger Gott, der Brief!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht – diesen Augenblick nahm der Albanese wahr und hob sie in seinen Armen empor. Sie leistete keinen Widerstand, nur ein leises Wimmern drang aus ihrer keuchenden Brust.

So trug er sie die Treppe hinauf. Feurige Glut umgab den Pavillon, an dem leichten Holz der Wände des verbindenden Ganges leckte bereits die tausendzüngige Flamme in die Höhe – der Kiosk, dessen üppige Pracht sie vor wenig Minuten verlassen hatten, krachte zusammen und begrub das Angstgeheul der Aya.

Von der Front des brennenden Bungalow her rasselten die Trommeln der anrückenden Militärwache, die den Pöbel durchbrach, tönte das Kommando, der Ruf der Pompiers.

»Nimm sie in Deine Arme, hülle ihr Haupt in den Shawl, Mädchen!« befahl der Rais, »und nun mir nach!« Er entriß die Axt seinem Gefährten und drang zurück in den Rauch und die Flammen. Sein jüngerer Gefährte, die Gerettete auf seinen Armen, folgte ihm, hinter diesem die Odaliske.

»Hier, hier hinaus! Springt hinab!« Der Uskoke gab ihnen das Beispiel und sprang durch die durchbrochene Jalousie in den Garten. Im nächsten Augenblick flohen sie durch die Gebüsche nach der Mauer zu, die den Garten nach der Seite des Flusses umgab.

Jetzt hatten sie die Mauer erreicht, durch welche eine Pforte ins Freie führte. Der Albanese wollte sich eben ihr nähern, um mit Gewalt sie zu öffnen, als sie von außen her aufgeschlossen wurde und der Resident in Begleitung des Lancier-Kapitäns Mowbray und einiger Diener in den Garten stürzte.

Die Nachricht von dem Brande seines Hauses hatte ihn bei dem Fest des Gouverneurs getroffen; wütend über das Unheil, das sein ränkevoller Geist sofort nicht als Zufall, sondern als das Werk eines Feindes betrachtete, war er nach der Brandstätte geeilt und betrat dieselbe jetzt, statt sich durch die Volksmenge am vordern Eingang zu drängen, mit seinem Vertrauten von der Gartenseite.

Sein Blick hatte sofort die Laskaren und die Last entdeckt, die der jüngere trug.

»Steht, Diebe! nieder mit dem gestohlenen Gut! Bewacht die Thür, daß sie nicht entwischen können!«

Der Uskoke warf sich, die Axt schwingend, die er noch in der Hand trug, gegen den Kapitän und die Diener, und erreichte die Pforte, durch die er Narika ins Freie stieß, dann sie offen haltend für den Gefährten, indem seine schwere Waffe die Gegner in respektvoller Entfernung hielt.

Jenem hatte sich unterdes der Resident entgegengeworfen und ihn am Arm gefaßt.

»Was trägst Du hier, Schurke?«

»Die Rache für die Toten!«

Die Hand des Residenten riß den großen, verhüllenden Schleier herab, in den Narika die unglückliche Gefangene gehüllt. Von ihrem bleichen, hagern Gesicht hob sich sein Auge voll Furcht auf das Antlitz ihres Retters.

Zwei funkelnde Augen blitzten ihm entgegen im Schein der nahen Feuersbrunst.

Wie von dem Zahn einer Schlange getroffen, fuhr er jäh zurück.

» Hendrik Prätorius! – Verflucht!«

Der unglückliche Geliebte der geopferten Luise hob mit grellem, wilden Hohnlachen die leichte Gestalt der Wahnsinnigen wieder in die Höhe. »Kennst du mich jetzt? Dann weißt Du, warum ich diese aus den Flammen geholt, Bösewicht! Deine Stunde ist nahe!«

Und an dem unwillkürlich Zurückweichenden vorüber sprang er vorwärts und erreichte mit seiner Last die Pforte.

»Auf Wiedersehen, Kapitän Rivers!« scholl die Stimme des Todfeindes, dann fiel die Thür krachend ins Schloß und die Flüchtigen waren mit ihrer Beute glücklich entkommen.

Der Südwind blähte helfend das dreieckige Segel einer Praua, die mit aller Kraft von sechs Ruderern stromaufwärts getrieben ward.

Am Steuer stand der junge, aus seiner Heimat vertriebene Boor, jetzt der erste Maat oder Gehilfe des albanesischen Korsaren auf den indischen Gewässern, während an das niedere Bollwerk des Fahrzeuges gelehnt der Schiffsherr selbst mit Tantiah-Topi oder Tukallah, dem Mahratten-Serdar, und dem graubärtigen Fakir, der dem Nena im Hain die Rückkehr der Geliebten verkündet und bei dem Brande das Volk angeredet hatte, die Gruppe am Fuß des kleinen Mastes des Fahrzeuges mit schweigender Trauer betrachtete.

Am Fuß des Mastes saßen zwei Frauen: das Mädchen aus Kashmir, und die Gattin des Nena, das bleiche Haupt an jener Brust gelehnt und mit glanzlosen Augen vor sich hinstarrend.

Vor den beiden Frauen aber hockte, in einen weiten arabischen Mantel gehüllt, ein Mann.

Sein Gesicht war noch jung, obschon hohl und eingefallen, und bekundete den Europäer, aber sein verwilderter Bart und sein Haar waren vollständig ergraut.

Aus diesen toten, glanzlosen Augen sprach, wie aus denen der unglücklichen Irländerin, der Irrsinn.

»Das ist schön, daß Du wiedergekommen bist, Helene,« murmelte der Mann, »ich glaubte schon, die böse Schlange habe auch Dich gefressen wie mich und den kleinen Eduard. Wenn ›Rookeby‹, mein edles Pferd, wieder bei Kräften ist, wollen wir auf und davon, wie Du gesagt hast, zu Lady Margareth, der schönen Gattin des großen Nena von Bithoor. Sie wird uns beschützen vor unseren Feinden, der Schlange und Deinem Gatten. Hei! wie wird er uns vergeblich suchen. ›Rookeby‹ ist ein schnelles Roß!«

Selbst in den Irrträumen des Wahnsinns gedachte der Unglückliche des treuen Tieres.

Die Gattin des Nena blickte ihn starr an. »Du bist nicht Laertes, mein Bruder! Auch nicht Eduard; der Furchtbare hat mir gesagt, daß Eduard tot ist. Die Tiger verschlingen alle O'Sullivans.«

Der Irre lächelte und nickte stillfreundlich vor sich hin. »Du hast recht, Kind, ich bin längst tot. Die Schlange hat mich gefressen und Dich der Tiger. Es war doch schön, als wir noch jung und tugendhaft waren.«

Wild faßte sie seinen Arm und blickte ihm mit fieberhafter Glut ins Auge.

»Tugend? Weißt Du nicht, daß Frauentugend die Treue ist, hartherziger Engländer? Mordest Du die Treue mit Deinem Gift, das die Sinne und Glieder betäubt, und willst von Tugend reden? –

»Wo ist die Weide? Wo ist der Kranz? Das entehrte Weib gehört ins Wasser oder ins Feuer!«

»Furchtbares Schicksal!« sagte der Derwisch zu seinem Gefährten, »es wird sein Herz brechen, das so sehr an ihr gehangen!«

»So ist es die Strafe dafür, daß sie ihm mehr galt als Heimat und Glauben. Fluch seiner Gleichgültigkeit gegen das Wehe des eigenen Landes! Wer Schmach säet, der wird die Schmach ernten.«

»Doch wird er den Schlag ertragen? Wird er sein, was wir von ihm hoffen?«

»Wenig kennst Du den Nena, wenn Du fürchtest, die Wunde, die man ihm geschlagen, werde seine Kraft erlahmen. Wenn die Tigerin ihr Junges rächt, schwillt die Kraft ihrer Muskeln. Schiwa, der Zerstörer hat den Geist dieses Weibes genommen, damit der des Mannes frei werde von den Fesseln, die ihn banden; die Rache des Maharadschah wird alles verderben, dem er bisher angehangen.«

»So möge es sein!« meinte der Derwisch. »Wir brauchen seinen Namen und seine Schätze, um das Duab und das Audh in Flammen zu setzen. Wird nichts den Weg verraten, den wir zu ihm genommen?«

»Wenn die Flucht des Sikh-Prinzen gelungen, muß der Nena längst nach Bithoor zurück sein. So groß auch die Macht und die Bosheit des Faringi ist, er darf es nicht wagen, sein Opfer in das Haus des Nena zu verfolgen, und wenn der Morgen graut, wird diese Praua unter den tausend ähnlichen Schiffen verborgen sein, die den heiligen Strom bedecken.«

»Ich spotte ihrer Verfolgung,« sagte der Uskoke. »Viele Mittel hab' ich, ihre Augen zu täuschen; doch seht, dort schwimmen die Lichter von Bithoor, und jene dunkle Masse, die sich über die Wipfel der Tamarinden erhebt, ist der Palast des Maharadschah. Herum mit dem Steuer, Enrico, und wende das Schiff nach dem Ufer. Soll ich das Zeichen geben?«

Der Serdar bejahte, und im nächsten Augenblick zischte eine Rakete von der Praua in die Höhe und ließ hoch am Himmelsbogen ihre blauen Sterne durch das Dunkel schwimmen.

Sogleich antwortete vom Ufer her das Aufsteigen einer anderen Rakete mit rotem Licht.

»Baber-Dutt ist auf seinem Posten,« erklärte Tukallah, »lege die Praua an der Stelle gegen das Ufer, Freund, wo das rote Licht leuchtet und laß das Boot in Bereitschaft setzen; Dein Werk ist gethan und die Rani soll erfahren, daß es gut gethan wurde.«

Der Derwisch war, während das Boot wendete, zu den beiden Unglücklichen getreten und auf sein ernstes und strenges Gesicht lagerte sich ein tiefes und inniges Mitleid.

»Arme Wesen, unglücklich durch eigene und fremde Schuld,« murmelte er, »muß Euer Elend zum Mittel werden, die Freiheit zu fördern? Welch schreckliche Saat wird aus dem Schrecklichen entspringen! Ja, Fluch, Fluch ihnen, deren Härte und deren Egoismus Euer Verderben herbeigeführt! Die Dämonen sind entfesselt – aber wehe! ich zweifle, daß dies die Hand ist, der sie gehorchen werden!«

Und die Stirn an den Mast gelehnt, horchte er traurig auf den leisen Gesang der Irren, während die Prana unfern des Bithoor-Palastes Anker warf.

In dem großen Gemach des Bungalow, in dem bei Beginn des Festes der Wasserlichter – dessen nächtlicher Jubel noch immer die Stille der Nacht unterbrach – der Nena mit seinen Getreuen der Stunde des Aufbruchs entgegen geharrt, befanden sich fast dieselben Personen wieder versammelt, nur daß statt Murad Khan die Gestalten zweier Frauen seine Stelle auf dem Diwan eingenommen: Mahe Tschund, die entthronte Königin von Lahore und ihre Tochter.

Bleiern waren die Stunden langen Harrens ihnen verflossen, bis die Rückkehr des Nena ihnen Kunde gebracht, daß der Khan mit dem Befreiten bereits weit auf dem Wege nach Audh sei. Die stolze hohe Frau wollte sich zu den Füßen des Maharadschah werfen, aber dieser lehnte den Dank ab, und als das junge, liebliche Mädchen mit Thränen der Freude seine Hand an ihre Stirn, an ihre Brust und Lippen führte, leuchtete ein Strahl warmen Mitgefühls aus seinem Auge und quollen Worte der Ermunterung und der Hoffnung von seinem Mund.

Der Geist des Maharadschah war auch, nachdem die Aufregung des nächtlichen Abenteuers vorüber, noch immer erregt und unruhig, denn die seltsame Begegnung auf der Straße nach Cawnpur, und das geheimnisvolle Versprechen des Fakirs ließ ihn nicht in den Zustand stumpfer Leiden zurückversinken, der so lange seinen kräftigen Geist umnachtet.

Man hatte die weiteren Schritte beraten, und es war beschlossen worden, daß am nächsten Morgen die beiden Frauen verkleidet unter dem Schutz einiger Jäger des Maharadschah aufbrechen und die Straße nach Audh einschlagen sollten, um dort mit Dhulip Singh zusammen zu treffen. Unter der Menge der von dem Fest an den Ufern des heiligen Flusses Heimkehrenden war keine Gefahr vor Entdeckung zu besorgen, und nachdem der Nena genaue Befehle erteilt hatte, war er im Begriff, sie selbst durch den Garten des Bungalow nach den Gemächern zurückzugeleiten, die sie heimlich seit mehreren Tagen in dem jetzt so öden Palast bewohnten, als plötzlich drei Schläge an die Thür, die nach der Veranda des Kanals führte, seinen Fuß an den Boden fesselten.

Der erste Gedanke war Verrat und Überraschung, da keiner der Wächter das Nahen Fremder verkündet hatte, und die Hand des Nena fuhr nach dem Säbel an seiner Seite. Bald aber hatte er seine Ruhe und Entschlossenheit wiedergewonnen, und seine Umgebung zur Ruhe winkend, näherte er sich selbst der Thür.

»Wer wagt es, zu dieser Stunde die Ruhe des Maharadschah von Bithoor zu stören?«

»Freunde des Peischwa!«

»Die Worte sind leicht auf der Zunge der Menschen. Freunde sind selten, und sie kommen beim Lichte des Tages!«

»Der Peischwa weiß,« entgegnete die Stimme des Einlaßbegehrenden, »daß Freunde auch ungerufen im Dunkel der Nacht erscheinen. Er selbst hat es erfahren an diesem Abend unter dem Schatten der Tamarinden auf dem Weg nach Cawnpur. Er möge uns öffnen und das Geschenk entgegennehmen, das seine Freundin von Jhansi ihm sendet.«

Der Nena erbebte. Er erkannte die Stimme, und die Worte, die der verkleidete Fakir vor wenig Stunden auf dem Wege nach Cawnpur zu ihm gesprochen, erfüllten seine Seele.

In seiner Brust kämpften Angst und Glück – erst nach einigen Augenblicken, die ihm Jahre dünkten, hatte er die Fassung gewonnen, zu handeln.

Er trat einen Schritt zurück, in die Mitte des Gemaches, während aller Blicke an ihm hingen, und die ungewohnte Aufregung in seinem Wesen beobachteten.

Dann streckte er die Hand aus nach der Thür und befahl mit gepreßter Stimme:

»Öffnet!«

Die Thür flog auf – zwei Männer erschienen in ihrem Rahmen, eine ganz von einem weiten indischen Shawl verhüllte Gestalt in ihrer Mitte führend; hinter ihnen erblickte der Nena das ernste und traurige Antlitz eines dritten; Baber-Dutts, seines Bruders, den er während mehrerer Tage nicht gesehen.

Die beiden Männer waren Tantiah-Topi, der Mahratten-Serdar, das Haupt der Verschwörung gegen die Faringi, und der geheimnisvolle Derwisch.

Der Nena erzitterte – das Blut schien aus seinen Adern zu verschwinden, als sein Auge auf der verhüllten Gestalt in ihrer Mitte ruhte.

Die seltsame Gruppe trat vor in das Gemach und blieb wenige Schritte vor dem Herrn des Hauses stehen.

Auf einen Wink Baber-Dutts schloß Gibson die Thür, durch welche sie eingetreten, und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.

»Sei willkommen, edler Serdar, Du und Deine Begleiter, in dem Hause Srinat Bahadurs,« sagte der Nena mit zitternder Stimme, »möge Lakschmi Deinen Eintritt über diese Schwelle begleiten!«

Man sah bei dem Ton seiner Stimme die verhüllte Gestalt erbeben, und dann vernahm man durch die Decke des Shawls ein leises Singen:

»Mein Bräutigam war ein schöner Mann,
Und saß gar stolz zu Roß!
Am hohen Fels von Karnogan …«

Die Augen des Nena erweiterten sich und begannen jenen furchtbaren, geheimnisvollen Ausdruck anzunehmen, den sie im Kampf gegen den Tiger und am Sarkophag in der Pagode Schiwas gezeigt, als die Verschworenen ihn hindern wollten, sie zu verlassen.

»Bei der Dreieinigkeit der Götter – rede Mann, was soll jene Gestalt bedeuten? was bringst Du mir?«

»Das Geschenk der Rani von Jhansi, das Dich zum Manne machen soll. – Nur Du allein hast das Recht, diese Hülle zu heben.«

Der Nena trat hastig auf sie zu; als er sich näherte, wichen der Mahratte und der Derwisch zurück und er stand allein in der Mitte des Gemaches vor der verhüllten Gestalt.

»Jetzt magst Du, stolzer Karnogan,
Die Buhlerin Dir frei'n!

»Kapitän Ochterlony,« sagte der Maharadschah zagend, »bei der Mutter, die Sie geboren – bei dem Gott, zu dem Sie beten – geben Sie mir Antwort – was soll dies alles bedeuten?«

»Mut, Prinz, sehen Sie selbst, und – seien Sie ein Mann, der das Unvermeidliche zu tragen versteht.«

Als hätte er einen verzweifelten Entschluß gefaßt, ergriff die Hand des Maharadschah hastig den Shawl und riß ihn herab.

Starr, einer Marmorstatue ähnlich, das hohle Auge ausdruckslos umherschweifend, stand die Gestalt der Irländerin, ohne sich zu rühren, auf der Stelle, wo ihre Führer sie hingestellt.

»Margarete!«

Der Schrei des Maharadschah zuckte so grell durch das Gemach, daß Schauder durch die Adern der Hörer bebte.

Er schlug an das Ohr der Frau, der es galt, und eine leichte Röte zeigte sich aus ihren Wangen. Dann wandten sich ihre Augen auf den Mann, der sie so unendlich geliebt, und ein ängstliches, verlegenes Lachen entstellte ihr abgehärmtes Gesicht.

»Ich bitte Dich, Freund,« sagte sie im Flüsterton, »sprich dem Nena nicht davon, daß Margaretas Bruder sie ins Verderben gelockt, und daß sie das Bett eines anderen Mannes geteilt hat. Der Nena hat eine böse Natur, ich kenne ihn; sie schläft nur unter der Liebe zur schönen Margaret' und könnte uns alle vernichten!«

»Margarete – Weib – Geliebte meiner Seele – kennst Du mich nicht?«

»Ophelia hat ihren Kranz zerrissen, Hamlet, der Dänenprinz, mag sie nicht. Und dennoch –

– er liebt Ophelia, vierzigtausend Brüder
Mit ihrem ganzen Maß voll Liebe hätten
Nicht seine Summ' erreicht!«

Der Nena wischte den kalten Schweiß von seiner Stirn, die Farbe seines Angesichts war fahl, das erst so blitzende Auge irrte stier, gleich dem des unglücklichen Wesens vor ihm, umher von einem zum andern.

Es war so totenstill im Gemach, daß man das steigende Keuchen seiner Brust hörte.

»Baber-Dutt, mein Bruder, sprich zu mir. Ende das Spiel – –«

»Husch! husch! Da läuft sie hin, die Treue, als hätte sie tausend Beine. Ich weiß es wohl, es war Feuer in meinen Adern und Blei in meinem Gehirn, als ich sie brach; aber der Nena wird's nicht glauben. Ich bitte Dich, sag' ihm nichts davon, dem falschen Verwalter, der seines Herrn Tochter stahl.«

»Erbarmen! Erbarmen! Äffen mich Dämonen? Ist dies das Weib meines Herzens? Ist sie –«

Die Hand des Kapitäns Ochterlony legte sich auf seine Schulter. »Gott im Himmel allein weiß, was uns frommt. Seine Hand hat die Schleier des Wahnsinns über die Verzweiflung dieser Ärmsten gedeckt.«

Ein dröhnender Schall – der Maharadschah stürzte zu Boden – alle eilten hinzu, ihm beizustehen.

In diesem entsetzlichen Augenblick vernahm man ein neues heftiges Klopfen am Eingang des Bungalow, und gleich darauf öffnete sich eine der inneren Thüren und Ralvy, der Bärenjäger, der am Thor die Wache gehabt, trat hastig ein.

»Wo ist der Maharadschah?«

Mac Scott, Gibson und die Rani knieten neben dem anscheinend Bewußtlosen und rieben seine Schläfe und seine Stirn mit Essenzen, während Mahana, das junge unschuldige Mädchen, obschon sie nur wenig von der schrecklichen Scene verstanden hatte, der armen Wahnsinnigen sich näherte, und indem sie ihre Hand ergriff, sie zum Diwan zu führen versuchte.

Kapitän Ochterlony machte seinem finstern Gefährten Vorwürfe, daß er darauf bestanden, dem unglücklichen Fürsten so ohne alle Vorbereitung das Schreckliche zu verkünden.

»Wo ist der Maharadschah?« wiederholte der Riese die Frage.

Baber-Dutt trat ihm entgegen. »Siehst Du nicht, Mann, daß der Nena erkrankt ist? Was willst Du von ihm, was ist geschehen?«

»Ein Läufer von Cawnpur bringt dies Blatt. Er sagt, es gälte Tod und Leben!«

Baber-Dutt riß das Papier auf. Es enthielt eine einzige Zeile:

»Die Geier folgen dem Fluge der Schwalbe in das Nest des Adlers!«

»Tod und Verdammnis über die rotröckigen Schurken! Was ist zu thun?«

In diesem Augenblick erhob sich der Maharadschah. Sein Aussehen glich dem eines Toten, aber sein Auge starr, fest und unheimlich, zeigte, daß er jetzt vollkommen wieder Herr seiner Sinne war.

Ohne ein Wort zu sprechen, stieß er ruhig die Personen zurück, die ihn helfend umgaben, und stand auf.

Das Äußere des Nena zeigte sich in diesen wichtigen Augenblicken vollständig verändert.

Er schien zehn Jahr älter geworden zu sein!

Zwischen den Brauen lag eine tiefe Falte furchtbarer, unheilverkündender Entschlossenheit. Um den Mund grub sich ein häßlicher, böser Hohn, ein Ausdruck grausamer Gier, der die Oberlippe hob, und die spitzen, weißen Zähne wie das Gebiß eines Raubtiers erscheinen ließ.

Der Nena glich einem Tiger, der sich, von dem Ruf der Jäger getroffen, von seinem Lager erhebt, um den Feinden entgegen zu gehen.

Niemand wagte, ihn anzusprechen, jeder unterlag dem Eindruck dieser so schnellen Veränderung.

Langsamen Schrittes trat der Maharadschah zu der Irren, hob sie in seinen Armen empor und trug sie zu den Kissen des nächsten Diwans, auf die er sie sorgsam niederlegte, indem er sie, wie die Mutter ein Kind, in den weiten Shawl einhüllte.

Ruhig, ohne Bewegung, nur ihre wirren Lieder leise vor sich hin summend, ließ die Unglückliche alles mit sich geschehen.

Baber-Dutt fühlte, daß jeder Augenblick kostbar war. »Mein Bruder,« sagte er, indem er auf den Nena zutrat, – »dieser Brief …«

Der Maharadschah winkte ihm mit der Hand Schweigen. »Ich weiß, ich hörte es. Mac Scott, die Thore des Gitters geöffnet, daß die Faringi-Häscher kein Hindernis finden! Cordillier, sorge dafür, daß alle Leute sich zurückziehen, aber bewaffnet in der Nähe bleiben, um auf das erste Zeichen zum Kampf bereit zu sein. Nichts darf verraten, daß wir benachrichtigt sind. Ralph und Adlerblick werden diese Thüren bewachen, und niemandem, der dies Gemach betritt, ohne meinen Befehl es zu verlassen gestatten. – Hoheit, ich weiß nicht, wie weit der Verrat der Faringi sich erstreckt. Du und die Prinzessin werden hier in meiner unmittelbaren Nähe sicherer sein, als in Euren Gemächern. Aber es ist notwendig, daß Ihr als die Dienerinnen des Hauses erscheint und Euch mit dieser Unglücklichen zu schaffen macht.«

Die entthronte Königin begriff sofort die Zweckmäßigkeit des Rates und mit der Gewandtheit einer Frau, die an Gefahren gewöhnt ist, entfernte sie aus ihrer und ihrer Tochter Kleidung verschiedene Gegenstände, die Verdacht hätten erregen können, und ordnete Turban und Schleier nach der einfachen Art der niederen Hindufrauen.

Der Mahratte wendete sich jetzt zu dem Nena, der alle diese Befehle so ruhig und sicher erteilt hatte, als wären seine Nerven von Eisen, als hätte nicht eben der entsetzliche Schlag seine Seele in ihren Tiefen zerrissen.

»Was beschließest Du über uns? Sollen wir fliehen oder uns verbergen?«

»Keiner, der als Gast die Schwelle Srinath Bahadurs überschritten, hat hier etwas zu fürchten. Wie seid Ihr hierher gekommen, mit – mit jener dort?«

»Auf dem Ganges in der Praua eines arabischen Rais, unseres Vertrauten. Dein Bruder erwartete uns.«

»Wo ist das Schiff und das Boot, das Euch brachte?«

»Das letztere ist zurückgekehrt zur Praua. Diese liegt in einiger Entfernung vom Ufer, gegenüber dem Bungalow und soll uns morgen den Strom hinauf führen.«

Der Nena hatte die Hand des verkleideten Derwisch ergriffen, der mit Erstaunen und Teilnahme das Gebahren des Hindufürsten, die erhabene aber mehr noch furchtbare Entwickelung dieses Charakters verfolgte.

»Freund meines Freundes,« sagte er mit fester Stimme, »ich bitte Dich, wäge die Worte, die Du sprichst, ehe Du meine Frage beantwortest, denn das Schicksal von Tausenden hängt an dem Hauch Deines Mundes. Wo fandet ihr das Weib Srinath Bahadurs?«

»Bei dem Gotte der Christen! bei meiner Ehre! in dem Harem eines der Tyrannen Deines Landes, eines Engländers, der sie entführt und entehrt. So wenigstens lassen die Klagen ihres zerstörten Geistes glauben.«

Die Augen des Bahadurs schlossen sich einen Moment. Der Kapitän sah, wie Schweiß sein bleiches Gesicht bedeckte, wie die krampfhaft geballte Faust erzitterte.

Dann zuckte es durch diesen Leib wie das gewaltige Ringen nach Fassung, sein Auge öffnete sich und suchte umher.

»Baber-Dutt!«

»Was befiehlst Du, mein Bruder?«

»Sind die Ruder in der Barke an der Wasserpforte?«

»Ich werde dafür sorgen.«

»So geh' und wirf Dich in den Strom. Schwimm nach der Praua dieser Männer und befiehl dem Rais, seine Anker zu lichten und stromaufwärts zu fahren ohne einen Augenblick der Zögerung, eine Stunde weit, bis zur Stelle, wo die Sandbank von Osten weit hinaus in den Fluß tritt. Du bleibst auf dem Schiff. Erhält der Rais bis morgen eine Stunde nach Sonnenuntergang keine Nachricht, so möge er zurückkehren an das Ufer von Bithoor. Geh' – und niemand erblicke Dich auf Deinem Wege.«

»Er ist gefährlich; die Krokodile …«

Der Bahadur lächelte verächtlich. »Die Krokodile werden es nicht wagen, den Boten des Tigers von Bithoor anzutasten. Geh' und thu', wie ich Dir befahl.«

Und sich, während Baber-Dutt das Gemach verließ, wieder zu dem Kapitän wendend, fragte er:

»Den Namen des Faringi? sage mir den Namen!«

»Du mußt das Haus in Flammen gesehen haben, ehe Du Cawnpur verlassen hast, angezündet von der Hand der Rächer, um Dein Weib zu befreien.«

»Rivers – der Resident?«

Der Kapitän nickte schweigend.

»Rivers, der Freund und Gefährte ihres und meines Bruders? Der Haß spricht aus Dir und jenem finstern Mann dort! Nimmer hätte es der Faringi gewagt, seine Hand an das Weib Srinath Bahadurs zu legen!«

»Rivers selbst trieb den Unglücklichen zum Kampf mit dem Tiger, um ihn von der Schwester zu entfernen.«

Der Nena preßte die geballten Hände an die pochenden Schläfe. »Du lügst! Du lügst! Er war der erste, der den Tod O'Sullivans beklagte!«

»Die Gräber werden sich öffnen. Dir die Wahrheit meiner Worte zu beweisen. Zwei Menschen hat jener Mann lebendig begraben, den Bruder und die Schwester! Aber die Hand Gottes hat sie erhalten zu rächenden Zeugen von dem Verbrechen der Tyrannen Indiens!«

Der Nena starrte ihn verwirrt an: »Eduard O'Sullivan?«

»Er ist tot und dennoch lebendig!«

»Und sie – sie –«

»Der Rais der Praua und ein Mann, dem der Verbrecher im fernen Lande gleichfalls die Braut geraubt, holten sie aus dem unterirdischen Kerker seines Harems vom faulenden Stroh, wo das Opfer seiner Lüste begraben war, um nimmer wieder das Tageslicht zu schauen und die Rächer zu rufen.«

»So sei er verflucht! verflucht! und mit ihm das Volk, das ihn geboren! Das Kind im Leibe der weißen Mutter soll büßen für die Thaten seines Erzeugers! Der Strom des Jammers soll über ihre Geschlechter kommen und sie vertilgen vom Angesicht der Erde! Die Dunkeläugige soll ihre Seelen zerreißen und sie tauchen in den dunklen Strom der Vernichtung! Mögen die Geister meiner Väter Schmach häufen auf das Gedächtnis Srinath Bahadurs, wenn der Tiger von Bithoor nicht badet in einem Meer vom Blute der Weißen! Fluch und Tod den Faringi!«


Vor dem Bungalow rasselte der Hufschlag vieler Pferde, Waffen klangen, das Kommando eines britischen Offiziers.



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