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Der Derwar.

Der geschwungene Dolch fuhr nicht nieder – der gehobene Arm blieb, wie von unsichtbarer Hand gefesselt, über dem Liegenden, dann wurde das Messer zur Erde geworfen und die Hände des Mörders selbst richteten den Bedrohten auf, von dessen Haupt im gewaltigen Ringen die verhüllende Kaputze gefallen war.

»Verzeihung Deinem Knecht, Sahib,« sagte die Stimme Kassims, des Lugha, indem er augenblicklich seine eigene Verhüllung beiseite schob und sein Gesicht erkennen ließ, »ich ahnte nicht, daß Du der Versammlung der Devy beiwohnen wolltest als einer der Unseren, statt in den Armen Anarkallis die Wonnen des Lebens zu genießen. Ist diese da die Bayadere? Sie weiß, daß sie bei Todesstrafe den heiligen Raum während des Opfers nicht betreten darf.«

Er wies auf das zitternde, aber vollständig verhüllte Mädchen. Glücklicherweise hatte er, noch entfernt bei dem Erscheinen des Zwerges, den englischen Ausruf der Miß nicht gehört.

Der Arzt hatte alle seine Ruhe wieder gewonnen. Er fühlte, daß nur die höchste Kaltblütigkeit ihn zu retten vermöchte.

»Bist Du mein Mayadar oder nicht? Wagt es der Mayadar, Fragen an seinen Gebieter zu thun, oder hat er willenlos seine Befehle zu vollstrecken?«

Der Hindu legte die Hand an die Stirn und beugte schweigend sein Haupt.

»Geh voran,« befahl der Arzt, »und geleite uns in der Stille zurück zu unserem Schlafgemach. Niemand darf erfahren, daß wir dem Opfer beigewohnt. O Kaley! Ombra Nurheddin!« Die Worte, die Anarkalli ihn als Zeichen des Bundes gelehrt, überzeugten den Mörder von der Wissenschaft des Gebieters neben der Erinnerung, wie das Haupt des furchtbaren Bundes ihn gerettet und seiner Sorge übergeben, und ohne Widerrede schritt er voran, indem er die Leiche des Zwerges beiseite schob.

Walding folgte ihm, die bebende Editha unterstützend, ohne daß er es wagen konnte, ihr ermutigende und tröstende Worte zuzuflüstern, obschon das Mädchen natürlich das in indischer Sprache geführte Gespräch nicht verstanden hatte und nur aus der Haltung und dem Thun ihres Beschützers schließen konnte, daß sich ein neuer Ausweg zur Rettung zeige.

So eilten sie unter Kassims Leitung durch verschlungene Gänge, stiegen Treppen und Stufen hinauf und standen endlich vor einer festen Felswand, die ihren Weg versperrte. Der Hindu jedoch ergriff einen metallenen Ring am Boden, zog daran und im Augenblick teilten sich die Steine der Wand und bildeten einen Durchgang Walding trat mit seinen Begleitern in den geöffneten Raum und erkannte, daß er sich in dem Badezimmer befand, das auf die Terrasse ging, die zur Seite die Kiosks enthielt.

Von hier aus gelangten sie leicht nach dem Pavillon des Arztes, dessen Thür ehrerbietig der Hindu ihnen öffnete. Walding gebot ihm mit der Macht, die er über ihn gewonnen, auf der Schwelle des Kiosk zu verweilen und niemand ihn betreten zu lassen.

Bei dem knechtischen Charakter der Hindus im allgemeinen und dem religiösen Fanatismus, der hier noch den Gehorsam seines neuen Dieners verstärken mußte, brauchte der Deutsche nicht zu fürchten, daß der Thug in irgend einer Weise seine Befehle übertreten werde. Dennoch brauchte er, nachdem er mit seinem Feuerzeug die Lampe wieder angezündet, die Vorsicht, mit Teppichen und Seidendecken die innere Thür des Kiosk zu verhängen, um jedes Belauschen unmöglich zu machen.

Dann erst nahte er sich seiner jungen Schutzbefohlenen, die auf einem der Diwans zum Tode erschöpft niedergesunken war, und versuchte, ihr Mut und Hoffnung zuzusprechen.

»Der Allmächtige,« sagte er, »hat Sie auf wunderbare Weise nicht aus so schrecklichen Gefahren errettet, um uns seine Hilfe nicht auch ferner angedeihen zu lassen. Die Anweisungen der Indierin haben sich bis jetzt bewährt, ein glücklicher Zufall ist ihnen sogar zu Hilfe gekommen, lassen Sie uns ihnen auch ferner genau Folge leisten.

»Vor allem wird es nötig sein, daß Sie Ihre Kleidung und Ihr Äußeres so sehr als möglich dem der Bayadere ähnlich machen, die uns beide gerettet. Hier« – er dachte mit Erröten an den Zweck jenes Besuches und die Stunde, die er in dessen Armen zugebracht, als er auf das bleiche, unschuldsvolle Gesicht des bedrohten Mädchens schaute – »sind der Putz und die Schmucksachen der Tänzerin. Legen Sie dieselben an, Miß, und verbergen Sie Ihr Gesicht in die dichten Schleier, wenn ja jemand morgen durch einen Zufall dies Gemach betreten sollte. Hier ist die Hennah, die das Mädchen zurückgelassen hat. Es ist genug, um Ihr Gesicht, Ihren Hals, Ihre Arme und Ihre Füße zu färben, denn Sie müssen sich ihr so gleich als möglich machen.«

Das junge Mädchen errötete schamhaft. »Ich will gern alles thun, was Sie mir sagen; aber ich bitte Sie, kurze Zeit das Gemach zu verlassen.

»Verzeihen Sie, Miß, doch so gern ich wollte, ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen. Mich in die Veranda zu begeben, hieße den Argwohn Kassims wecken, und das Gemach hat keinen andern Ausgang.

»Aber das Hindumädchen muß doch …«

Sie schwieg beschämt, denn sie fühlte, daß sie unbedachtsam gesprochen, und eine tiefe Röte überzog ihr schönes Gesicht, indem sie die Augen zu Boden schlug.

Ihr Beschützer begriff sehr wohl, was sie hatte sagen wollen und seine Verlegenheit war nicht gering. »Miß,« sagte er endlich, »ich hoffe, Sie werden der Ehre eines Mannes vertrauen, der bereit ist, für die Ihre sein Leben zu opfern. Es ist unmöglich Sie zu verlassen, aber ich werde mich an die Wand stellen und durch dieses Fenster hinaus schauen, und ich verpfände Ihnen mein Wort, daß ich diese Stellung nicht verlassen werde, bis Sie selbst mich rufen. Opfern Sie das Notwendige und Nützliche nicht thörichten Bedenken der Schamhaftigkeit. Wir müssen den Rest dieser Nacht zusammen zubringen, aber Sie werden sich unter dem Schutz eines Bruders befinden.«

Miß Editha erhob sich und trat auf ihn zu. »Verzeihen Sie einem armen Mädchen,« sagte sie, indem sie ihm schüchtern, aber mit einem Ausdruck unendlichen Vertrauens die Hand reichte. »Sie sind der einzige Freund, den Editha Highson in diesem Augenblick noch besitzt und es wäre unwürdig von ihr, Ihnen nicht das vollste Zutrauen zu schenken. Bitte – erfüllen Sie Ihr Versprechen – dies Gemach ist für kurze Zeit das meine.«

Der Deutsche führte die kleine zarte Hand an seine Lippen und küßte sie ehrerbietig, dann stellte er sich an die Hinterwand des Pavillons, öffnete zur Hälfte die Jalousieen und schaute hinaus auf den Nachthimmel und auf das Thal, dessen dunkler, in Schatten gehüllter Grund gerade zu seinen Füßen lag, da unter der Wand des Kiosk senkrecht der Fels in die Tiefe stieg.

Es war für einen lebenskräftigen Mann, dessen Blut noch wenig Stunden vorher durch die üppigen Umarmungen der Bayadere in Wallung gebracht worden, in der That keine geringe Aufgabe, hier die Marmorkälte einer Statue zu bewahren, jede Bewegung, jeden Blick der eigenen Augen sorgsam zu hüten, während dicht hinter ihm eines der reizendsten Wesen, die er je gesehen, dessen erster Anblick Gefühle in ihm wach gerufen, die ihm so lange unbekannt geblieben waren, im unschuldigen Vertrauen auf sein Wort, die nach den Tagen grausamer und rücksichtsloser Gefangenschaft so notwendige Toilette vornahm, deren Geheimnisse diese züchtige Jungfrau sonst nur der tiefen Verschwiegenheit ihres gesicherten Schlafgemachs enthüllt. Er hörte das Rauschen der Gewänder, die Bewegungen des jugendlichen Körpers, ihren leisen Tritt, wie er über die Matten des Gemachs schwebte; er fühlte, daß sie verloren war, wenn er es gewollt, daß ihr Flehen, ihr Widerstand nutzlos gewesen wäre – und dennoch gewann er es über sich, treu seinem Wort zu bleiben, ihr Vertrauen zu ehren und die eigenen klopfenden Pulse mit dem Gedanken an die Unschuld des Mädchens zu bekämpfen.

Er konnte nicht ahnen, welches das Schicksal des reizenden, unschuldigen Wesens noch sein sollte, ehe ein Jahr vergangen! Wie er selbst die Würfel rollen würde, die ihr entsetzliches Los entschieden, noch schlimmer, abscheulicher, als jenes, das sie gleich der indischen Witwe auf dem Altar der greulichen Bhawani bedroht hatte!

Eine halbe Stunde war vergangen, als die leisen, züchtig geflüsterten Worte: »Ich danke Ihnen, Sir! Kommen Sie jetzt zurück!« ihm die Erlaubnis gaben, sich umzukehren.

Sein Erstaunen war groß, als er die Veränderung sah, die mit der Person der jungen Engländerin vorgegangen war. Hätten ihr Lächeln, ihr nach kaum überstandener Todesgefahr wieder so schalkhaft heiterer Blick und die englischen Worte ihn nicht eines anderen belehrt, er würde geglaubt haben, wirklich eine junge indische Tänzerin vor sich zu sehen.

Miß Editha hatte die Kleider und den Schmuck angelegt, den die »Granatblüte« bei dem Tanz am Abend getragen und ihr natürliches Schönheitsgefühl hatte sie gelehrt, die Kleidung in einer Weise zu ordnen, die mehr europäischem Schicklichkeitssinn entsprach. Gesicht, Hals und Arme waren von der Hennah mit der Farbe eines hellen Mahagoni-Braun überzogen und selbst die blonden reichen Locken des Mädchens schienen dunkler auszusehen. Walding bewunderte, mit welchem Geschick sie so eilig das Haar nach der Sitte der indischen Tänzerinnen zu ordnen verstanden hatte. Die entblößten, in zierliche Pantoffeln gesteckten Füßchen hatte sie schamhaft unter dem Saum ihres Gewandes verborgen.

»Bei Gott,« rief der Arzt, »diese Veränderung ist wunderbar. Wenn Sie den Schleier über Ihr reizendes Gesicht decken, ist es unmöglich, daß jemand in Ihnen eine Faringi ahnt. Ruhen Sie jetzt ein paar Stunden von den Schrecknissen dieser Nacht, indes ich Ihren Schlaf bewache. Ich wiederhole, Sie stehen unter dem Schutz meiner Ehre.«

Sie reichte ihm beide Hände. »O glauben Sie nicht,« sagte sie mit ernster Miene, »daß Furcht und Besorgnis mich hindert, die Ruhe zu suchen. Ich vertraue ganz Ihrem Schutz. Aber es wäre mir unmöglich, jetzt Ruhe zu finden, wo meine Gedanken noch zu der gräßlichen Lage zurückkehren, der Sie mich entrissen, und das Bild jenes furchtbaren Abgrundes vor meiner Seele steht, in den jene beiden Unglücklichen, die so viel für meine eigene Rettung gethan, sich gestürzt haben. O Gott im Himmel, was wird – was kann sein Schicksal sein, als Tod und Verderben? Niemals wird er das Licht der Sonne wieder erblicken!«

Sie verhüllte das Gesicht mit den Händen und vergoß heiße Thränen. Walding, dem die einzelne Erwähnung des jungen Offiziers nicht unbemerkt vorüber gegangen war, wagte nicht, ihr Trost zuzusprechen, denn er selbst zweifelte kaum an dem traurigen Ausgang des furchtbaren Versuchs trotz der eigentümlich sinnreichen Art, in der er unternommen worden.

»Aber nein,« fuhr die Engländerin fort, »Gott hat uns selbst so wunderbar gerettet, daß es Frevel wäre, an seiner Macht und Güte auch gegen unsere Freunde zu zweifeln. Lassen Sie uns die heilige Pflicht erfüllen, die wir schon zu lange versäumt haben, ihm danken für seinen Schutz, und für jene bitten, die ohne ihn verloren sind.«

Die Jungfrau sandte ein heißes Dankgebet aus der Tiefe ihres unschuldigen Herzens hinauf zum Thron des Allmächtigen. Überwältigt von ihrem frommen Glauben, kniete er, der Skeptiker, an ihrer Seite und betete zu dem Gott, dessen Hand ihn, ehe zweimal die Nacht gewechselt, dreimal vom Tode: aus der Schlinge der Würger, von dem Zahn der Cobra, und von dem Dolch der Mörder gerettet hatte.

Als Editha sich erhob, setzte er sich neben sie auf das Ruhebett.

»Wenn Sie denn der Ermüdung kein Gehör schenken wollen,« sagte er, »so erzählen Sie mir, auf welche Weise Sie in die Hände der Thugs geraten sind, und wohin ich Sie führen soll.«

»Sie haben bereits gehört,« berichtete das junge Mädchen mit leisem Ton, um nach dem Rat ihres Beschützers die Aufmerksamkeit des vor der Thür des Kiosk ruhenden Thugs so wenig als möglich rege zu machen, »daß ich die Nichte des General Wheeler bin. Mein Vater, Obrist-Leutnant Highson, folgte vor Jahresfrist in Kanada meiner Mutter ins Grab, und mein Oheim ließ mich, das Kind seiner einzigen Schwester, nach Indien kommen, um in seinem Hause und mit seiner eigenen Tochter zu leben. Vor etwa zwei Monaten traf ich in Kalkutta ein und benachrichtigte meinen Oheim von meiner Ankunft. Er unternahm sogleich selbst die Reise von Cawnpur zur Hauptstadt, um mich in sein Haus zu geleiten, aber leider traf statt seiner ein Brief bei mir ein, der mich benachrichtigte, daß er in Benares am Fieber erkrankt wäre, und in dem er seinen Agenten anwies, mich mit der ersten, sich bietenden Gelegenheit zu ihm zu senden.

»Es traf sich, daß die Witwe eines Offiziers die Reise nach dem Norden machte, und der Agent meines Oheims glaubte nicht besser thun zu können, als mich dem Schutz ihrer Gesellschaft anzuvertrauen. Wir machten die Reise der Hitze wegen zu Wasser, indem wir von Strecke zu Strecke eines der großen Ruderboote nahmen, die den Ganges befahren. Wir waren bereits über Patna hinausgekommen, als ich zwischen Ghazipur und Benares in einer Nacht plötzlich von einem jammervollen Schrei erwachte. Ich erkannte die Stimme der Dame, meiner Begleiterin, und wollte ihr zu Hilfe eilen, aber ich fühlte mich von rauhen Männerhänden ergriffen, meinen Hilferuf gewaltsam erstickt und mich von dem Zelt auf dem Deck, das uns zur Schlafstelle diente, fortgetragen in den untern Raum des Schiffes. Von der Zeit, die nun kommt, kann ich nur wenig erzählen. Ich wurde in einem engen Raum gefangen gehalten, obschon man mir sonst kein Leides that, und mir sogar meine Kleidung und andere Bedürfnisse brachte. Selten nur, und dann auch nur bei Nacht, wenn keine anderen Schiffe in der Nähe waren, durfte ich auf das Verdeck, um frische Luft zu schöpfen. Zu anderen Zeiten lag ich wieder in tagelangem, todesähnlichem Schlaf, und ich glaube, daß die Mörder mir dann Opium oder ein betäubendes Mittel unter der Nahrung gereicht haben müssen, um mich für die Zeit zu betäuben, wenn sie an großen Städten oder an belebten Stationen vorüberkamen. Zweimal hörte ich während der Zeit in meinem engen Kerker gleich furchtbare Schreie, wie die ersten in jener Nacht …«

»Ihre Räuber waren Flußthugs, Mitglieder der berüchtigten Mördersekte, die auf dem Ganges und der Dschumna ihr Wesen treiben,« unterbrach sie der Deutsche.

»Es mag so sein, wie Sie sagen. Ich kenne zu wenig noch das indische Leben, um meinen Vermutungen eine bestimmte Richtung geben zu können. Genug – ich habe leider von meiner Reisegefährtin und ihren Dienern nie wieder eine Spur gesehen. Vergeblich war all mein Flehen; ich verstand ihre Sprache nicht, und sie nicht die unsere oder wollten sie nicht verstehen. Die Zeit, daß ich mich auf dem Boote befand, mag zehn bis zwölf Tage gewährt haben. Als man mich auszusteigen zwang, geschah es an einem einsamen, öden Ufer. Man lud mich gleich einem Ballen Ware auf einen elenden Karren, indem man mich durch Gebärden mit dem Tode bedrohte, wenn ich einen Versuch zur Flucht oder um Hilfe zu erlangen machen sollte. So zogen meine Entführer, deren Haufe sich nach und nach immer mehr vergrößerte, fünf Nächte mit mir weiter durch öde, traurige Gegenden, die einer großen Wüste glichen, indem wir am Tage während der Hitze an versteckten Orten lagerten. Zwei Tagereisen vor diesem Orte brachte ein anderer Haufe, der sich zu uns gesellte, eine junge reichgekleidete Frau, die mein Schicksal zu teilen und mehr als ich von dem zu wissen schien, was uns erwartete, denn sie gebärdete sich verzweifelt und weinte und flehte, so oft man ihre Bande löste. Aber leider konnten wir uns nicht durch die Sprache verständigen. Man hat sie gestern aus jener schrecklichen Höhle, in die wir eingeschlossen worden, mit neun anderen weggeführt.«

Der Arzt gedachte schaudernd des furchtbaren Todes der schönen Begum, und daß dasselbe Los seiner Gesellschafterin bestimmt gewesen war, aber er hütete sich, ihr mit der Erzählung neue Schrecken zu bereiten.

»Ehe wir den Ort, wo wir uns befinden, erreichten,« fuhr die Miß fort, »versetzte man uns wieder in jenen lethargischen Schlaf, aus dem ich nur erwachte, um mich mit gefesselten Gliedern in jener schrecklichen Höhle in Gesellschaft so vieler Unglücklichen wieder zu finden. All mein Mut war gebrochen, ich wäre trostlos verzweifelt, wenn der junge Mann, der zuerst meine Bande löste und so heldenmütig für meine Rettung einstand, durch seine Worte mich nicht ermutigt und neu gekräftigt hätte, unser schreckliches Schicksal, wie es Christen und Briten zukommt, zu ertragen.«

Die Erzählung und die grausame Erinnerung schien die Kraft des armen Mädchens erschöpft zu haben, denn sie schwieg und bald bemerkte der Arzt, daß sie aus ihrem träumenden Nachsinnen in wirklichen Schlaf gefallen war. Er deckte ihr Gesicht mit dem Schleier der Tänzerin zu, löschte die Lampe und setzte sich wieder neben sie. Bald sank das Haupt der schönen Schlafenden an seine Brust, und still und unbeweglich hielt er in süßen Gedanken die reizende Last, bis die ungewohnten Anstrengungen der zurückgelegten Reise und die Eindrücke des vergangenen Tages und der Nacht auch seine Augenlider schlossen und ihn in einen leichten Schlaf versenkten.

Aber seine sorgende Seele schien ihre volle Wachsamkeit bewahrt zu haben. Denn als eine Stunde nach Sonnenaufgang Kassim leise an die Thür pochte, um ihn zu benachrichtigen, daß Fattih-Murad-Khan, der künftige Eidam der Maharani, mit den Pferden und Dienern seiner im Hofe der Burg harre, um, wie sie besprochen, dem Maharadscha von Bithoor entgegenzuziehen, war er rasch wach und auf den Füßen. Er bettete die schöne Last der Nacht bequem auf die Kissen des Diwans, verhüllte nochmals ihr Gesicht mit dem Schleier und legte ein Blatt aus seiner Brieftasche in ihre Hand, auf das er rasch einige Mahnungen zur Vorsicht geschrieben hatte. Dann öffnete er die Thür absichtlich so, daß der Hindu die Schläferin sehen konnte, und befahl ihm, indem er das Gebahren eines Eifersüchtigen nachzuahmen suchte, das Gemach bis zu seiner Rückkehr nicht zu betreten, noch von einem andern betreten zu lassen.

Sin solcher Befehl war zu sehr den Gewohnheiten des Orients entsprechend, als daß er hätte auffallen können, und Walding verließ ziemlich beruhigt über dessen Befolgung den Kiosk.

Im untern Hofraum der Burg fand er Murad Khan auf seinem edlen Renner »Zorab« nebst einem zahlreichen und glänzend ausgerüsteten Gefolge seiner harren. Auch Tukallah, der Burgherr, war bereits zu Roß, und an seiner Seite der alte General Rundschit-Sing.

Es kostete den deutschen Arzt Überwindung, dem Mann ins Auge zu sehen, den er für eines der höchsten Glieder wenn nicht für das Oberhaupt der furchtbaren Sekte halten mußte, und die von dem Blut so vieler Unschuldigen getränkte Hand zu fassen, die ihm geboten wurde. Ebenso scheu irrte sein Blick unter allen Männern umher, nicht wissend, welche von ihnen er der entsetzlichen Thaten anklagen müsse, und selbst Murad, der neu gewonnene Freund, entging dem Verdachte nicht. Mit Gewalt unterdrückte er den Schauder, der seine Adern durchrieselte, und erwiderte die höflichen Erkundigungen der Indier nach seinem Wohlsein mit den üblichen Redensarten der indischen Sprache. Keine Spur zeigte sich seinem spähenden Auge von den Schrecknissen und Wirrnissen der Nacht, und wenn er nicht gewußt, daß der Beweis der entsetzlichen Wahrheit auf den Kissen seines Kiosk ruhe, würde er geglaubt haben, daß alles ein böser Traum gewesen sei.

Die kleine Schar verließ jetzt die Burg und passierte den Felsweg, der hinunter ins Thal führte, Tukallah an ihrer Spitze. Bei dieser Gelegenheit, da die Reiter nur zwei und zwei den schmalen Pfad zusammen reiten konnten, nahm der Arzt absichtlich seinen Platz an der Seite des jungen Sikh, um das Versprechen, das er der Granatblüte gegeben, zu erfüllen.

Es galt zuerst, sich die Überzeugung zu verschaffen, daß der ritterliche junge Mann wirklich nicht zur schrecklichen Sekte der Mörder gehöre und die Nacht bei dem Opfer zugebracht habe. Walding konnte hier allein auf seine Physiognomik vertrauen, denn kein anderes Mittel blieb ihm übrig, um die Wahrheit zu erfahren.

»Hat mein junger Bruder die Nacht ungestört im süßen und festen Schlaf der Jugend zugebracht?« fragte er, sein Auge fest auf das Gesicht seines Begleiters heftend.

»Aliki, die Göttin des Traumes war bei mir. Zu Anfang meines Schlafes erschreckte mich das Bild des Ungeheuers, dessen Gift der mutige Hakim von dem Haupt der Rose von Lahore abgewendet hat. Aber die guten Geister siegten auch im Traume, und ich war der Glücklichste der Sterblichen.«

Der reine offene Geist, der in dem Auge des jungen Khans blitzte, überzeugte den seelenkundigen Forscher von der Wahrheit dieser Worte.

»Ich habe nicht so angenehme Träume gehabt,« fuhr der Arzt zur Seite blickend fort, »und ohne das Versprechen, das ich Dir, junger Freund, gegeben, wäre ich gern zurückgeblieben; denn ich bin kein Krieger, wie Ihr, und fühle mich von den letzten Anstrengungen noch angegriffen. Wie weit beabsichtigt der Serdar seinem Gast entgegen zu reiten?«

»Er hofft ihn acht Koß Indische Meilen, 33 auf einen Grad. jenseits des Grabmals der sieben Dattelpalmen am Ufer des schwarzen Flusses zu treffen.«

Der Arzt erbebte bei der zufälligen Nennung des Ortes.

»Was ist das für ein Grabmal? Ich hörte bisher weder von ihm noch von dem Flusse sprechen.«

»Du siehst jenen See in der Mitte des Thales und den Bach, der ihn tränkt?«

»Der seltsame Umstand, daß er keinen sichtbaren Abfluß hat, fiel mir schon bei unserer Ankunft auf. Ich vermute, daß er einen unterirdischen Ausgang sich gebahnt hat.«

»Du bist ein Gelehrter – Du kannst recht haben. Was weiß ich! Ich zerbreche mir den Kopf nicht mit Dingen, die ein junger Krieger nicht zu wissen braucht. Was ich weiß, ist, daß an dem Fuß dieser das Thal umgebenden Felsen nach Mittag hin aus dunkelen Klüften ein schwarzes Wasser hervorstürzt und seinen Lauf durch die Felsentrümmer in die Wüste nimmt. Zweihundert Schritte von der Stelle, wo es aus den Felsen quillt, stehen die Trümmer des heiligen Grabmals Asokas, eines Einsiedlers aus längst vergangenen Jahrhunderten, Sieben Palmen umgeben sein Grab und der Ort wird gemieden von den Stämmen der Wüste, weil die bösen Geister dort ihre Wohnung haben.«

Der Deutsche wußte genug, und er beschloß, das Gehörte zur Ausführung seines Planes zu benutzen. Die Schar galoppierte jetzt bunt unter einander gemischt durch das Thal an der Seite des Felsengrates hin, der, von der südlichen Bergwand vorspringend, die unheimliche Mahrattenburg trug. Walding hatte bereits aus den Reden seiner Begleiter vernommen, daß der südliche Felsenwall einen Aus- und Eingang in das Thal bot, wie die Nordseite, aber er war erstaunt von dem großartigen Spiel der Natur, das sich seinen Blicken bot, als sie jetzt weiter am Hang des Gebirges hinauf kamen. Ein Felsenthor öffnete sich vor den Reitern und führte zu einer Galerie von fast hundert Schritten Länge, die nur von dem Anfang und Ende her ihre Beleuchtung empfing, aber von so kolossalen Dimensionen war, daß drei Elefanten neben einander hindurch passieren konnten. Dennoch war, wie Walding sofort begriff, dieser Weg gleich dem Thor einer Festung sehr leicht gegen ein Heer zu verteidigen.

Aus dieser Wölbung heraustretend, zog sich der Weg zwischen hohen Felsenwänden in vielfachen Windungen niederwärts, ebenso sorgfältig bewacht, wie der am andern Ende des Thales, bis plötzlich aus den Bergen hervortretend, die unermeßliche rote Ebene der Thur oder Wüste vor ihren Blicken lag.

Der Zug wandte sich jetzt gegen Abend und galoppierte in die Wüste hinein, als Walding in einiger Entfernung die schlanken Stämme und wiegenden Kronen einiger Palmen über seltsam geformten Trümmern gewahrte, denen sie bereits den Rücken zuzuwenden begannen. Sofort kehrte er sich zu seinem jungen Begleiter und hemmte dessen Eile.

»Mein junger Freund möge einen Augenblick verzeihen,« sagte er mit den Zeichen großer Erschöpfung, »ich fühle wirklich, daß ich meinen Kräften zu viel zugemutet habe und den weiten Ritt durch die Einöde nicht ertragen werde. Ich will umkehren oder an einer geeigneten Stelle in der Nähe zurückbleiben, bis der Serdar mit seinem Gast zurückkehrt. Es würde mir lieb sein, den tapfern Khan in meiner Nähe zu wissen.«

Der junge Mann, von dem Vorgeben des Arztes getäuscht, erklärte sich sogleich bereit dazu, sprengte auf seinem windesschnellen Rosse dem schon vorausgeeilten Serdar nach, und benachrichtigte ihn von dem Unwohlsein seines Gastes. Sofort hielt Tukallah an, erschöpfte sich mit überschwenglichen Komplimenten im Bedauern über den Unfall und wollte den Europäer von mehreren seiner Begleiter nach der Burg zurückführen lassen. Nur mit Mühe vermochte der Arzt dies abzulehnen, indem er erklärte, daß schon die langsamere Bewegung hinreichen werde, ihn wiederherzustellen, und daß er es vorziehe, die Gelegenheit zu benutzen, am Fuß der Gebirge einige mineralogische und botanische Studien zu machen.

Der Mahrattenfürst ließ daher seinen Gast unter dem Schutz des jungen Sikhkriegers zurück, und eilte dem wichtigern Besuch entgegen. Auf die zugeflüsterte Bitte entfernte ein Wink des Khan auch die Diener, die zurückbleiben wollten, und so befanden sie sich bald allein am Fuß der Berge und in der Einöde.

Laß uns zu jenen Palmen gehen,« bat jetzt der Arzt seinen jungen Begleiter – »ich möchte die Trümmer des Grabmals sehen und mich von dem Ursprung des Flusses überzeugen.«

»Mein Bruder hat nicht bedacht, daß an jenem Orte böse Geister hausen,« bemerkte der abergläubische Indier.

Der Arzt lächelte. »Ich fürchte die Geister so wenig wie Du die Menschen, tapfrer Khan. Was jene betrifft, so nehme ich Dich unter meinen Schutz.«

Der Khan machte keine Einwendungen weiter, denn jeder europäische Arzt gilt bei den Naturkindern ohnehin für eine Art Zauberer, der die Macht hat, den Geistern zu gebieten. Langsam ritten die Freunde nach dem Ufer des Flusses.

Schon in der Entfernung war starkes Rauschen wahrnehmbar, das immer mächtiger wurde. Plötzlich um den Fuß eines Felsens biegend, sah Walding das eigentümliche und majestätische Schauspiel vor sich.

Aus einer hohen und steilen Felswand, gleich wie aus der Mauer eines unterirdischen Kanals, brach ein mächtiger Strom trüben, dunkelen Wassers, zuerst im Bogen, und dann aus dem Kessel, den er sich gewühlt, zwischen Felstrümmern und sich immer mehr verflachenden Ufern in verschiedenen Krümmungen sich fortwälzend.

An einer der letztern, an dem Ufer, auf welches der Strom stieß und eine kleine Bucht bildete, stand das Grabmal des Einsiedlers, von den schwankenden Kronen der sieben Palmen überragt.

Das Gebäude mußte einst, wie dies noch bei sehr vielen dieser interessanten Denkmäler des alten Indiens der Fall ist, sehr bedeutenden Umfang gehabt haben, denn die äußern Umfassungsmauern nahmen einen ziemlichen Raum ein. Wohl erhalten war allein noch der majestätische Bogen des Thores, dessen Wände mit den Zeichen der uralten Keilschrift und seltsamen Hieroglyphen bedeckt waren, die Waldings Aufmerksamkeit und Forschergeist gewiß in jeder andern Lage gefesselt hätten. Das viereckige Gebäude oder die Pagode, in welcher der Steinsarg des Einsiedlers stand, war gleichfalls nur Ruine, das vergoldete Dach vielleicht schon vor Jahrtausenden zusammengestürzt, und wildes Buschwerk und Schlingpflanzen, zwischen denen der Salamander und die Schlangen umherschlüpften, wucherten hoch zwischen den Steinhaufen.

Das überaus melancholische, ja unheimliche Aussehen des Ganzen, noch trauriger und phantastischer als das anderer Ruinen, wurde durch den Umstand hervorgerufen, daß das ganze Bauwerk von schwarzem Marmor aufgeführt gewesen war.

Murad Khan nahte sich nur mit dem Schauer abergläubischer Ehrfurcht dem Eingange, die noch bedeutend erhöht wurde, als der Arzt, der vergeblich einen ängstlichen und forschenden Blick über den Platz geworfen hatte, ihn einen Augenblick zurückhielt und ihm sagte: »Der junge Häuptling der Sikhs ist ein Mann von Ehre. Er möge mir sein Wort geben, daß er nie von dem erzählen wird, was sein Auge hier sehen, sein Ohr hier vernehmen könnte.«

Der junge Mann, von Furcht, aber auch von Wißbegierde bewegt, gab das geforderte Versprechen, indem er noch immer glaubte, daß es sich hier um eine überirdische Erscheinung handle, die der weise Hakim, der seine Braut vor der gefährlichsten Schlange Indiens geschützt, herauf zitieren werde.

Der Arzt, jetzt wenigstens über seinen Begleiter beruhigt, ritt, von ihm gefolgt, bis zum Ufer des Wassers und durchforschte dieses auf das genaueste mit seinen Blicken.

Aber kein Zeichen, nicht die geringste Spur von der Rettung des verwegenen Mädchens und ihres Geliebten, war zu sehen.

Ohnehin gehörte sie fast in das Reich der Unmöglichkeiten! Beide mußten auf dem furchtbaren Wege durch die Tiefen der Erde, den die Tänzerin gewählt, erstickt, oder von den tobenden Wassern an den Felsen zerschmettert worden sein. Walding stieg vom Pferde, und der Khan folgte ihm, die edlen, daran gewöhnten Rosse sich selbst überlassend.

Nachdem sie die mächtigen Palmen betrachtet, wandten sie sich zu dem Eingang des Grabmals und überstiegen die Trümmer, die ihn versperrten.

Plötzlich stieß der junge Krieger einen Schrei des Schreckens aus, und seine weitgeöffneten Augen starrten mit unverhohlenem Entsetzen auf eine Stelle, wohin seine erhobene Hand wies.

Es war der Sarkophag des Einsiedlers oder Zauberers, wie ihn die Sage der Wüstenstämme bezeichnete, von weißem Stein, und darum um so mehr hervortretend von der Farbe der Nacht, welche die ganze Umgebung trug.

Zwei dunkele Gestalten lehnten in dem dämmernden Licht, welches das Gebäude erfüllte, an diesem Sarkophag, erst mit der Unbeweglichkeit wirklicher Bildsäulen, dann als Walding auf dem hellen Hintergrund des Einganges erkennbarer wurde, traten beide vorwärts, und das Staunen des Hindu wurde noch größer, als er Walding mit einem Ruf der Freude auf sie zueilen und ihre Hände fassen sah.

Es waren in der That der junge englische Offizier und die Bayadere, die durch ein halbes Wunder die entsetzliche Fahrt zurückgelegt hatten.

Leutnant Sanders trug den rechten Arm in einem Tuch – er war bei einem Stoß an die Felsgewölbe und einem unvorsichtigen Loslassen seines Haltes gebrochen. Einige blutige Schrammen an der Stirn bildeten die anderen Verletzungen, die er davon getragen, der geschmeidige Körper des Mädchens war aber ohne alle Beschädigung geblieben. Ihre Hand hielt noch den Dolch, der ihr wichtige Dienste auf der entsetzlichen Fahrt geleistet hatte, und den sie jetzt zur Verteidigung ihres Geliebten bewahrte.

So gefährlich die seltsame Fahrt von Anfang auch erschien, sie war doch wohl möglich.

Anarkalli war es bekannt, daß die Thugs häufig kostbare Waren und Gegenstände, deren Transport aus der Burg sie verheimlichen wollten, auf dem unterirdischen Wege fortschafften, den sich der Fluß durch die Wurzeln der Berge gewühlt. Dies geschah in großen tonnenartigen Ballons von beweglichen Stahlreifen, über welche, wie bereits bei der Beschreibung der Flucht aus dem Gefängnis angedeutet worden, eine elastische aber starke Gummidecke gespannt wurde, die, sich zusammenziehend, auf solche Weise luftdicht den Raum verschloß. Durch die eingeschlossene Luft mußte das seltsame Fahrzeug selbst bei ziemlich schwerer Beladung leicht oben schwimmen, und das Material, aus dem es bestand, machte es fest und elastisch gegen die Stöße der Felsen, gegen welche die rasende Gewalt des Wassers es warf. Am Ausfluß des unterirdischen Stroms in der Bucht vor dem Grabmal des Einsiedlers wurden die Ballons dann von den harrenden Vertrauten der Häupter des Bundes aufgefangen, geöffnet und auseinander genommen, so daß sie leicht und unbemerkt wieder nach den unterirdischen Gewölben der Burg zurückgeschafft werden konnten.

Diese Umstände waren rasch von der Tänzerin erwogen worden, als Walding und der Mann, um den sie sich so großen Gefahren aussetzte, darauf bestanden, auch die junge Engländerin zu retten, und sie deshalb den Plan ihrer Flucht vollständig ändern mußte. Außerdem erfüllte sie das eifersüchtige Verlangen, den Geliebten so rasch wie möglich aus der Nähe des Weibes zu entfernen, das sie als ihre Nebenbuhlerin ansehen konnte, und ihn durch gemeinsame Gefahr und willige Aufopferung aufs neue an sich zu fesseln. Sie begriff, daß, wenn sie beide ihre Geistesgegenwart behielten und die eingeschlossene Luft für sie ausreichte, sie wahrscheinlich auf diese Weise einen Ausweg nicht bloß aus der Felsenburg, sondern auch aus dem Thal gewinnen könnten. Im schlimmsten Fall war der gemeinsame Tod mit dem Geliebten ihr Los, und ihre leidenschaftliche Liebe zog diesen dem Gedanken vor, ihn für die Rettung einer andern thätig zu wissen.

Der Offizier selbst hatte erst im Augenblick der Ausführung das furchtbare Wagnis begriffen, und auch dann falsch; er war der Überzeugung, daß die Bayadere sich und ihn für die Rettung der anderen beiden einem zweifellosen Tode und spurlosen Verschwinden weihe. Dennoch hatte er nicht gezögert, für das unglückliche Mädchen sich dem Tode zu überliefern, da er besser als sie ahnen konnte, welchem furchtbaren Schicksal sie ausgesetzt sein würde, wenn es nicht gelang, sie zu befreien. Wie sehr auch die leidenschaftliche Glut der Hindu seinen Sinn gefesselt, so hatte doch die Nähe der weißen Gefangenen ein heiligeres, reineres und tieferes Gefühl in seinem Herzen erweckt, über das er sich selbst noch keine Rechenschaft geben konnte.

Der Instinkt der Selbsterhaltung ließ ihn, als er sich in jenen Sarg versenkte, den kurzen Anweisungen der Bayadere gemäß, sich an den im Innern angebrachten Haspen festklammern, im nächsten Augenblick schlüpfte die schlanke Gestalt des Mädchens zu ihm, die Öffnung sprang zu und er fühlte sich von einem donnernden Getöse umgeben und so rasch kopfüber fortgewirbelt, daß er wohl eine Minute lang die Besinnung verlor. Als er seines Geistes wieder Herr wurde, fühlte er einen stechenden Schmerz am Arm, mit dessen Hand er den Halt im Augenblick des Sturzes losgelassen, den Körper der Tänzerin wie zum Schutz um den seinen geschlungen, und gänzliche Finsternis um sich her, in der er sich wie in den Wellen eines Stromes fortgetrieben fühlte, während ihre Lage dadurch eine ruhigere und bequemere war, daß die Schwere ihrer Körper das ungewöhnliche Fahrzeug im Gleichgewicht hielt und das Rollen jetzt verhinderte.

Dennoch war die Bewegung so furchtbar rasch, das Hin- und Herprallen des elastischen Fahrzeuges von den Felsenwänden so mächtig, daß er wie in einem Taumel befangen blieb und wenigstens kein klares Gefühl dessen hatte, was mit ihm vorging. Er fühlte nur, daß die Bayadere ihn fest umschlungen hielt, denn von einer Verständigung durch ein Wort war natürlich in diesem donnerähnlichen Toben der Gewässer nicht die Rede.

Schon nach wenigen Minuten aber begann die geringe Luftmasse um sie her schwer und dick zu werden, der belebende Sauerstoff verflüchtete sich, das Atemholen wurde schwerer und schwerer, und der junge Mann fühlte, wie ihm das Blut zu Kopfe stieg und die Adern seiner Schläfe anschwollen.

Zweimal bemerkte er durch das Gefühl, daß der Arm der Tänzerin sich hob und die Spitze des Dolches durch die elastische Decke stieß. Beide Male aber fand die Klinge Widerstand an den Felswänden des Kanals, durch den der Wasserstrom sie dahintrug.

Funken und Blitze schienen jetzt vor seinen Augen zu kreisen und sein Gehirn zu durchzucken, eine unbekannte Macht ihm die Kehle zuzuschnüren – er fühlte, daß er dem Ersticken nahe war.

In dieser Not hob sich noch einmal die Hand der Bayadere, stieß den Dolch durch die Gummidecke und wendete die Klinge in der Öffnung um. So klein der Raum auch war, so drang doch erfrischende kalte Luft herein, die bewies, daß ihr schwankes Fahrzeug jetzt in einem leeren Raum dahinschoß. Im nächsten Moment schon stieß der Ballon aufs neue an die Felswand, aber der kurze Augenblick hatte doch hingereicht, ein paar Atemzüge zu thun und neue Luft in die Lungen bringen zu lassen.

Gleich darauf, nach einem neuen wirbelnden Sturz, hörte das donnernde Getöse um sie her auf, und der Engländer fühlte, daß sie verhältnismäßig ruhig dahinschwammen. Ein Seufzer, ein Ruf des Entzückens entquoll hörbar der Brust der Tänzerin und gleich einer Rasenden arbeitete sie daran, mit dem Dolch eine Öffnung in die Decke ihres Fahrzeuges zu schneiden, die der elastische Stoff nicht wieder zu schließen vermochte, einen Moment, und das köstliche Blau des Himmels fiel in seine geblendeten Augen, der frische Strom der reinen Gottesluft befreite seine Brust.

Nachdem die Öffnung gewonnen, war es ein Leichtes, sie zu vergrößern; die Tänzerin, in der Freude, die Gefahr so glücklich überstanden zu haben, fragte nicht einmal ihren Gefährten, ob er zu schwimmen vermöge, sondern trennte mit kräftigen Schnitten weiter die Hülle, bis sie gänzlich zerriß, das improvisierte Fahrzeug umschlug und beide ins Wasser stürzten. Zum Glück vermochte das Mädchen sich gewandt aus den Stahlreifen, die den Ballon gebildet, loszumachen und ihren Begleiter zu unterstützen, denn jetzt erst fühlte dieser, daß sein Arm kraftlos und gebrochen war. Der Strom hatte sie jedoch, als sie sanken, bereits gerade vor die Bucht an den sieben Palmen getrieben und es war der gewandten Schwimmerin ein Leichtes, sich und den Geliebten glücklich ans Land zu bringen.

Schon bei den ersten Worten, die Walding und der junge Offizier wechselten, sah der Khan, daß hier von keinen Gespenstern die Rede sei, und in dem Fremden einen Weißen, einen Feind erkennend, riß er das Pistol aus dem Gürtel, um ihn niederzuschießen. Aber Anarkalli, unkenntlich den Augen des Khans durch das Tuch, mit dem sie ihr Gesicht verhüllt, warf sich schützend vor den Geliebten und Walding fiel zugleich dem jungen Krieger hindernd in den Arm.

»Bei allem, was Dir heilig ist – bei dem Leben des Mädchens, das Du liebst – höre mich, ehe Du uns alle ins Verderben stürzest,« beschwor er den jungen Sikh. »Mit Absicht habe ich Dich hierhergeführt – Du hast ein edles Herz und wirst uns Deine Hilfe nicht verweigern. Diese beiden sind meine Freunde, die ein glücklicher Zufall oder vielmehr die Hand dessen, den Du Wischnu, den Erhalter, nennst, aus einer großen und schrecklichen Gefahr befreit hat. In die näheren Umstände Dich einzuweihen, verbietet uns ein heiliger Eid. Aber glaube mir, beide verdienen Dein Mitleid.«

»Es ist ein Faringi, ein Feind meines Volkes!« erwiderte trotzig mit drohendem Auge der Khan, »kein Feind darf leben, der sich in die Nähe des letzten Horts indischer Freiheit gewagt.«

»Ich beteure Dir, der Mann ist zwar ein Faringi, aber es ist ohne seinen Willen und ohne seine Schuld, daß er sich in der Nähe dieser Berge befindet. Ich selbst – ich schwöre es Dir zu – sehe ihn heute zum erstenmal im Lichte des Tages. Fürchte nichts von ihm und seiner Begleiterin; ein heiliger Eid und die Dankbarkeit verpflichtet ihn zum Schweigen über Malangher und seine Bewohner.«

Der Khan öffnete die Lippen zu einer neuen Frage, indem er mißtrauisch die beiden weißen Männer betrachtete, aber Walding kam ihm auf einen Wink und ein zugeflüstertes Wort der Tänzerin zuvor.

»Forsche nicht,« sagte er fest, »sondern hilf uns. Bei Deinem Haupte, Khan, ich erinnere Dich ungern daran, aber frage Dich selbst, was aus Mahana, Deiner Verlobten, geworden wäre, wenn ich, der weiße Fremdling, gezögert hätte, ihr zu Hilfe zu kommen? Für die Rettung jener verlange ich die Rettung dieser hier von Dir! Sieh diesen Ring, den mir Deine Königin gegeben, sein Glanz ist hell, ein Zeichen, daß Du nicht unser Feind bist; aber er fordert zugleich jeden tapfern Sikh auf, wie die Maharani beteuerte, mir beizustehen. Fattih-Murad-Khan hat gelobt, der Bruder dessen zu sein, der mit ihm Dhulip-Singh seiner Mutter zurückgeben will. Ist er so bald schon seinem Versprechen untreu?«

Der junge Krieger steckte bei dieser Erinnerung sogleich seine Waffe wieder in den Gürtel und reichte dem Arzte die Hand.

»Möge mein Bruder dem raschen Blut Fattih-Murads verzeihen,« sagte er zutraulich. »Er möge ihm sagen, was er thun soll und sich überzeugen, daß Blut und Leben seines Freundes zu seinen Diensten stehen.«

»Ich war gewiß, edler Khan, daß ich nicht vergeblich auf Deine Freundschaft, Deinen Edelmut rechnete. Verzeihe mir, wenn ich Dich nicht mit allen Umständen der Anwesenheit dieser Fremden bekannt mache, allein ich wiederhole Dir – daß ein Eid mich bindet, und daß keine Gefahr mit ihrer Rettung für unsere Pläne, noch für die Burg des Serdars verbunden ist. Aber sie müssen möglichst rasch diesen Ort verlassen und so weit wie möglich fliehen, denn jeder Augenblick Verzugs verschlimmert ihre Lage, und wenn sie in die Hände des Serdars oder seiner Leute fallen, sind sie rettungslos verloren.«

Der Khan dachte einige Augenblicke nach. Dann wandte er das offene kühne Auge auf den Freund. »Es liegt also dem weisen Hakim, dem die Lilie des Pendschab ihr Leben verdankt, viel an der Rettung dieses weißen Mannes und seiner Gefährtin?«

»Ich wiederhole es Dir – ich werde Dir ewig dankbar sein.«

»So laß sie unsere Rosse besteigen und nach Morgen zu fliehen. Der Hengst Murads ist von echtem Turkomanen-Stamm, kein Pferd der Reiter des Serdars vermag ihn einzuholen.«

Der Deutsche umarmte dankbar den jungen Mann, denn er wußte, wie sehr dieser an seinem edlen Renner hing. »Nimm den Dank dreier Menschen für Dein hochherziges Geschenk,« sagte er, »und jetzt laß uns rasch das Nötigste besorgen. Was ist mit Ihrem Arm, Sir? sind Sie verletzt?«

»Ich fürchte, er ist gebrochen,« erwiderte der Offizier, der von dem indisch geführten Gespräch der beiden nur wenig verstanden hatte, aber aus der freudigen Miene des Arztes schloß, daß weitere Aussichten für ihre Rettung vorhanden wären. »Leider bin ich dadurch verteidigungslos geworden. Aber vor allem sagen Sie mir – ist es Ihnen gelungen, meine Unglücksgefährtin zu retten?«

»Sie befindet sich so weit sicher, und ich hoffe zu Gott, sie den Ihren wiedergeben zu können. Doch jetzt haben wir es nur mit Ihnen zu thun und zu bedenken, wie Sie zu retten sind. Lassen Sie mich zunächst Ihren Arm untersuchen und verbinden, indes der Khan nach den Pferden sieht, die Ihnen zur Flucht dienen sollen.« Während Fattih-Murad in der That bereits zu seinem treuen Tier gegangen war, um unbemerkt zärtlichen Abschied von ihm zu nehmen, entblößte der Arzt, indem er den Ärmel losschnitt, das gebrochene Glied und untersuchte es auf das genaueste. Er fand die Knochen des Vorderarmes gebrochen, richtete sie ein und legte einen kunstgerechten festen Verband an, indem er sich zum Halt einiger Holzsplitter und mehrerer Stücken der festen Rinde bediente, die er von dem Stamm einer der Palmen abschälte. »Ich nehme an,« sagte er zu der Tänzerin, »daß Du ihn, den Du von einem so schrecklichen Tode gerettet hast, auch jetzt nicht verlassen wirst, so lange er noch in Gefahr ist!«

»Nur der Tod kann mich früher von ihm trennen!«

»Aber weißt Du den Weg durch die Wüste zu finden?«

Das Hindumädchen lächelte verächtlich über die Frage des Europäers. »Seh' ich nicht, wo die Sonne auf- und niedergeht? Sind meine Sinne nicht scharf? Ich weiß wohin Du gehst – sende das Faringi-Mädchen mit der ersten Gelegenheit zurück zu den Ihren. Noch ehe Du und der Khan Euer Ziel erreicht habt, werde ich bei Dir sein. Bis dahin muß die bleiche Mam-Sahib für die dunkle Granatblüte gelten.«

Der Khan kam jetzt herbei, die beiden Pferde führend. »Mögen Deine Freunde ihren Fuß in den Steigbügel setzen,« sagte er, »zögern thut nicht gut, wenn die Eile die Mutter unserer Rettung ist. Die Sonne steigt empor und wird bald den Boden der Thur mit Glut überziehen. Mögen sie fern sein, wenn ihre Feinde zurückkehren.«

Leider waren diese schon näher als sie dachten! Die Flüchtlinge erkannten die Wahrheit des Rates, den der Khan ihnen gab und bestiegen die Pferde, wobei Walding dem verletzten Offizier half. Mit Absicht hatte das Hindumädchen das Roß des Deutschen gewählt, das, obschon von trefflicher Rasse, doch an Stärke und Schnelligkeit bei weitem dem edlen Turkomanen-Hengst nachstand. Stuart Sanders reichte dem Arzte nochmals die Hand, und indem er Abschied nehmend sich zu ihm niederbeugte, flüsterte er ihm die Bitte zu, Editha nicht zu verlassen. Ein Händedruck gab ihm die Versicherung, das verhüllte Hindumädchen schwenkte die Hand zum Abschied, und dahin galoppierten die Pferde der emporsteigenden Sonne entgegen.

Ein inbrünstiges Gebet sandte der Deutsche zum Himmel um ferneren Schutz für die Fliehenden, dann wandte er sich zu seinem Gefährten, der, auf den Trümmern der Mauer stehend und die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen schützend, die Wüste überblickte.

»Laß uns nun beraten, Freund Murad,« bat er, »was wir dem Serdar und seinen Freunden sagen, um den Verlust unserer Pferde zu rechtfertigen. Ich denke, die halbe Wahrheit wird uns am besten helfen können. Wir müssen angeben, daß uns, am Ufer des Flusses ruhend, während die Pferde am Eingang der Trümmer zurückgelassen worden, zwei Unbekannte sie geraubt hätten und auf ihnen geflohen sind, ehe wir herbeikommen konnten.«

»Es wird gut sein, dies zu sagen und uns dazu bereit zu halten,« entgegnete ernst der junge Mann. »Wenn es ein gutes Werk ist, was wir gethan, wird Brahma die Lüge uns nicht zurechnen, die aus unserem Munde geht. Die Zeit, da wir sie aussprechen müssen, ist nahe; denn dort gegen Süden erhebt sich eine Wolke von Staub, der Serdar kehrt eher mit Srinath Bahadur zurück, als wir gehofft haben.«

Der Doktor sprang erschrocken an die Seite seines Freundes und erblickte in der That bei schärferem Hinsehen eine leichte Staubwolke am Horizont.

»Die Unglücklichen!« rief er. »Jene werden herankommen, ehe sie noch aus dem Gesichtskreis verschwunden sind!«

In der That waren die beiden Reiter, über die Ebene galoppierend, noch deutlich sichtbar.

»Herunter und ihnen entgegen,« rief der Khan, indem er dem Europäer mit seinem Beispiel voran ging. »Jetzt gilt es, jeden Verdacht von uns abzulenken, wenn wir nicht Tukallahs Säbel über unseren Häuptern sehen wollen.«

Er eilte in der Richtung der Nahenden fort und schoß seine beiden Pistolen in die Luft, sowohl um die Aufmerksamkeit der Flüchtigen zu erregen und ihnen ein Warnungszeichen zu geben, als um damit den Nahenden, wenn sie schon im Gehörkreis sich befänden, ihre Erzählung von dem Raube glaubhaft zu machen.

Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als von Süden her eine Reiterschar heransprengte, der in einiger Entfernung der Reisetroß von Dromedaren und Dienern folgte, welche der Maharadschah mit sich führte.

Tukallahs scharfes Ohr hatte in großer Entfernung die beiden Pistolenschüsse gehört, und als sein Blick die beiden Fußgänger erfaßte, begriff er sogleich, daß hier etwas Ungewöhnliches geschehen sei.

Der Reiterschar voransprengend parierte er sein Pferd vor den beiden Freunden. »Ich hörte Schüsse, Khan, wo ist ›Zorab‹, Dein flinkes Roß? Warum kommen meine Gäste mir zu Fuß, wie niedere Kulis, entgegen?«

»Unglück und Verrat, edler Serdar!« rief der junge Mann, indem er mit jener Heuchelei, die allen Orientalen angeboren ist, seine Rolle vortrefflich spielte, »wir sind unserer Pferde beraubt worden, während wir das Grab Asokas, des Einsiedlers, betrachteten. Du mußt die Diebe noch sehen, wenn Du das Auge des Adlers hast!«

Der Häuptling der furchtbaren Mördersekte erhob sich in den Steigbügeln und ließ seine Augen über die Ebene rollen. In der That erkannte er in weiter Entfernung zwei schwarze Punkte, die rasch über die Fläche strichen.

Eine dunkle Glut überzog sogleich sein Gesicht, der Verdacht, daß es einigen der Opfer des Festes bei der nächtlichen Metzelei gelungen sein könnte, aus den unterirdischen Räumen auf einem der Ausgänge durch Zufall zu entkommen, oder daß mindestens Spione unentdeckt bis hierher an den Fuß der Felsenwälle des Thals gedrungen sein konnten, kämpfte mit dem näher liegenden Gedanken, daß ein paar Mitglieder des Bundes, vielleicht von der spitzbübischen Phansigar-Sekte, beim Umherschweifen der günstigen Gelegenheit zu einem Raube nicht hätten widerstehen können.

»Hast Du die Elenden näher gesehen, Khan,« fragte er hastig, »kannst Du uns ein Zeichen geben, von welchem Stamm sie waren?«

Der junge Krieger blickte zögernd auf seinen Gefährten, da er nicht wußte, wie weit dieser das Geheimnis verraten wissen wollte. Walding aber erwiderte sogleich: »Der eine schien ein Europäer, die andere Gestalt die eines Weibes – ihr Gesicht aber war verhüllt.«

Eine wilde Verwünschung, in die der Name der blutigen Göttin sich mischte, entfuhr dem Munde Tukallahs. Dann wandte er sich rasch entschlossen zu den herangekommenen und sich um ihn her sammelnden Reitern, und seinem Schobedar winkend und nach den fernen Reitern deutend, gab er ihm in einer den meisten Gegenwärtigen unverständlichen Sprache einen hastigen Befehl. Der erste Diener des Serdars beugte zur Beteuerung seines Gehorsams das Haupt bis auf den Sattelknopf seines Pferdes, rief dann zehn seiner am besten berittenen Gefährten beim Namen und sprengte mit ihnen im vollen Rosseslauf hinein in die Wüste, den Flüchtigen nach.

Jetzt erst wandte sich der Serdar zu dem vornehmen Gast, zu dessen Empfang er ausgezogen und der einige Schritte von ihm hielt, sich mit den beiden Fremden und dem Afghanen unterhaltend, während er ruhig und anscheinend teilnahmslos die Scene umher beobachtete.

»Möge Dein Schatten lang sein und das Glück immer an Deine Fersen gekettet, Hoheit,« sagte der Serdar endschuldigend. »Hier ist ein Diebstahl an den Rossen zweier unserer Freunde geschehen, und Du wirst verzeihen, daß ich sofort Gerechtigkeit zu üben suchte. Fattih Murad Khan, der Sohn Gholab Singhs, und der Franken-Hakim, von dem ich Dir gesprochen, stehen vor Deinem Angesicht und begrüßen den edlen Bahadur.«

Der Maharadschah verneigte sich höflich vor den Vorgestellten, wobei sein halbverschleiertes Auge auf dem Europäer haften blieb.

»Der Sohn des berühmten Gholab Singh und der Weise des kalten Nordens sollen mir willkommen sein,« sagte er mit seiner angenehmen Stimme, »Srinath Bahadur hofft sie auf der Burg unseres Freundes näher kennen zu lernen.«

Das Interesse des Arztes war von der Erscheinung des Maharadschah gefesselt. Nicht allein, daß dieser der Mann war, an den ein im Augenblick der Aufregung gethaner Racheschwur ihn für eine dunkle Zukunft fesselte, der Mann, in dessen Nähe er jetzt vielleicht die Gefährten des finsteren Werkes wiederfinden, jetzt selbst handelnd eintreten sollte, noch mehr bewegte ihn der Gedanke, daß dieser Fremde und die Botschaft an ihn, das Vermächtnis eines teuren Freundes, die Ursache all der Verfolgungen und jahrelangen Leiden gewesen, die er erduldet.

Der Maharadschah trug die Nationaltracht, weite weiße Gewänder von indischem Musselin, mit dem breiten viereckigen Barett, am Shawl-Gürtel den orientalischen Säbel. Nichts, als der Tilluk auf seiner Stirn, verkündete den vornehmen Stand, während seine Begleiter und der zahlreiche Schwarm seiner Diener in Waffen und Kleidung von Gold und Juwelen strotzten.

Seine Gestalt war voller geworden, hatte die fast weibliche Zartheit verloren und begann jene Wohlbehäbigkeit anzunehmen, die man häufig bei reichen und vornehmen Orientalen findet. Auch in seinem ruhigen, interessanten Gesicht schienen alle jene Züge, die früher das geheime Grollen, den Schlummer gewaltiger Leidenschaften verkündeten, den Anzeichen einer vollkommen friedlichen, glücklichen Gemütsstimmung Platz gemacht zu haben.

Von den dreißig Abenteurern, welche der Maharadschah vor fünf Jahren in San Francisco angeworben, war nur ein Teil noch in seinen Diensten und etwa sechs oder acht davon befanden sich, nebst dem Engländer Gibson, dem alten Gefährten Mac Scotts, in seiner Begleitung. Mehrere hatten das Klima Indiens, das Fieber der Dschungeln oder die Klauen der Tiger von Singapore und Bengalen, andere ihre eigenen Ausschweifungen oder die wilden Abenteuer ihrer Lebensweise längst unter die Erde gebracht. In unmittelbarem Gefolge des Maharadschah befanden sich noch die Franzosen Cordillier und Vaillant, Ralph, der Bärenjäger, und der Kanadier Adlerblick mit seiner nie fehlenden Büchse. Joaquin Alamos, der Mexikaner, war in Bitoor bei dem Haushofmeister des Nena mit neun anderen zurückgeblieben.

»Möge Deine Gunst mir verzeihen, daß ich Dich noch einige Augenblicke aufhalte,« wandte sich der Serdar zu dem Peischwa, »aber die Flucht jener Pferdediebe ist unter so eigentümlichen Umständen erfolgt, daß ich es für nötig halte, ihre Spuren zu prüfen.«

»Thu' nach Deinem Willen, Du bist der Gebieter, wir sind Deine Diener,« antwortete der Maharadschah mit indischer Höflichkeit.

Der Mahrattenfürst befragte nun den Khan und den Arzt und ließ sich von ihnen an die Stelle geleiten, wo der Offizier und die Tänzerin die Pferde bestiegen hatten. Der Serdar befahl dem Oberjäger, die Spuren auf das genaueste zu prüfen und nach wenigen Augenblicken schon erklärte dieser mit Bestimmtheit, daß neben den Fußstapfen des Khans und seines Freundes die Spuren zweier anderen Personen und zwar eines weißen Mannes und eines Frauenfußes sich fänden.

Tukallah machte keine Bemerkung mehr, sondern gab das Zeichen zur Fortsetzung ihres Rittes. Eine halbe Stunde nachher zog die ganze Gesellschaft über die Zugbrücke der Mahrattenburg, deren seltsamen und festen Bau der Peischwa mit Interesse betrachtete, und wurde unter dem Thor mit denselben Ceremonieen von der Rani und ihrer Tochter und dem greisen General Ventura nebst den anderen Bewohnern der Burg begrüßt, wie gestern der Burgherr selbst und seine Gäste.

Walding, nachdem er sich von dem Khan getrennt, fand auf der Schwelle seines Pavillons den Mayadar fast noch in derselben Stellung, in welcher er ihn verlassen hatte, und im Innern die Lady, in ihre Schleier und Gewänder gehüllt, ängstlich seiner harren. Niemand hatte sich ihr genaht, und der Thug eine so sorgsame Wache gehalten, wie ein Eunuch vor dem Harem seines orientalischen Gebieters.

Der Arzt ließ durch ihn Erfrischungen herbeischaffen und berichtete während dessen der Miß von der gelungenen Rettung des Offiziers und seiner Gefährtin und den neuen Gefahren, denen die Verfolgung des Serdars sie ausgesetzt.

Im Licht des Tages, das jetzt ungehindert das Gemach erhellte, da bei der Lage der Fenster nach dem Abgrund hin kein Späherauge zu fürchten war, erschien trotz ihrer Blässe und der Spuren der Leiden, die sie ertragen, die junge Engländerin den Augen des Deutschen noch reizender und liebenswerter, als im grellen Schein der Fackeln und in den Gefahren der vergangenen Nacht.

Mit der zartesten Aufmerksamkeit bemühte er sich, für ihre Bedürfnisse zu sorgen und ihr Mut und Hoffnung einzusprechen. Nur kurze Zeit verließ er sie, um dem Peischwa einen Besuch zu machen und bei der entthronten Königin zu erscheinen, wo die Schritte zur Befreiung ihres Sohnes reiflich erwogen und festgesetzt wurden. So war die Mittagszeit und die Siesta vergangen, und die Stunde herangekommen, in welcher, wie der Khan seinem Freunde mitteilte, der Derwar oder die große Rats-Versammlung der Häupter abgehalten werde sollte.

Fattih Muhrad kam, um den Arzt dazu abzuholen, denn Tukallah hatte ihn ausdrücklich zur Teilnahme eingeladen und ihm schon am Morgen anempfohlen, gegen den Peischwa von dem Briefe des unglücklichen Dyce Sombre nichts eher zu erwähnen, als bis er ihm einen Wink darüber geben würde.

Zum Ort der Beratung, die nun stattfinden, und die in der That einen so großen Einfluß auf die Geschicke Indiens ausüben sollte, hatte der Schloßherr das Innere der Pagode bestimmt, die genügende Räumlichkeit darbot. Seine schwarzen Verschnittenen standen als Wächter am Eingang, und bei Todesstrafe war jedem der untergeordneten Schloßbewohner oder Diener untersagt, sich dem Orte zu nahen.

Noch drang der Schein des Tages in den weiten, seltsam ausgestatteten Raum und vermischte sich mit dem bläulichen Licht der großen von der Decke hängenden Lampe zu einer eigentümlichen zitternden Beleuchtung, in der die unheimliche Dekoration des Ortes noch widriger erschien. Zwischen dem riesigen Sarkophag auf den grünen Krokodilleibern und der jetzt durch eine künstliche Wand und einen weiten wallenden Vorhang davor verborgenen Öffnung inmitten der Elefanten-Gestalten, die den Eingang zu den unterirdischen Räumen der Burg bildete, waren die Kissen und Teppiche ausgebreitet für die Mitglieder des Derwar.

Die Versammlung, die sich hier eingefunden, bestand aus etwa 20 Personen; dem Serdar, dem zur Linken auf einer erhöhten Stufe der Peischwa von Bithoor, zur Rechten in gleicher Weise die entthronte Königin von Lahore saßen, General Bonaventura, den beiden Fremden, die am Abend vorher eingetroffen waren, dem Afghanen-Häuptling, dem Khan und dem Arzt und acht anderen Männern, ihrem Äußeren nach Brahminen, Derwische und Krieger, die sich Walding jedoch nicht erinnerte, schon am Tage vorher gesehen zu haben. Einer unter den Fremden fiel ihm besonders auf, wegen des Schnitts seines Gesichts und seiner Kleidung, die ihn als einen Sohn des »Reiches der Mitte« bezeichneten.

Nachdem die Diener den Gästen die Hukas gereicht und sich entfernt hatten, da nur die beiden stummen Leibdiener des Burgherrn zurückbleiben durften, öffnete dieser die Beratung.

»Möge Euer Schatten lang und Euer Feuerauge klar sein!« begann er seine Rede, »verschieden ist unsere Farbe, verschieden unser Ursprung und das Volk, dem wir entsprossen, wie der Gott, zu dem wir beten. Ich sehe um mich Könige und Sudders, Die vier indischen Hauptkasten, die wieder in zahlreiche Unterkasten zerfallen: 1) Die Brahminen, der Priester- und Gelehrtenstand; 2) die Xetris, der Kriegerstand; 3) die Waissias oder Banianen, der Handelsstand; 4) die Sudders, der Handwerker und Arbeiterstand. Außer den Kasten, als unrein, stehen die Paria's. Brahminen und Krieger, Männer, die den Propheten anbeten und die Söhne der heiligen Mariam und des Fó. Wir kommen von Aufgang und Niedergang, von Mittag und Mitternacht zu einem großen Zwecke, in einem Gedanken, der uns beseelt: Fluch den Faringi!«

Und wie vor fünf Jahren auf der Insel im einsamen Weltmeer am leeren Grabe erklang es in der Runde:

» Fluch den Faringi

Nur zwei Stimmen schwiegen im Kreise und die Verwünschung blieb auf ihren Lippen – auf den Lippen des um sein Erbe von dem stolzen Krämervolke betrogenen Indier-Fürsten Nena-Sahib und auf den Lippen des von den prahlerischen Vorkämpfern der Völkerfreiheit mit Geißelhieben geknechteten Deutschen Walding.

»Die Vedas Die heiligen Bücher (Mythen) der Indier. erzählen,« fuhr der Serdar fort, »wie das Weltall in Wischnus Schoß auf der Weltschlange Abdisserschen im Milchmeer lag und aus einer Lotospflanze, die aus dem Nabel Wischnus wuchs, die Welt entstand. Sie ward bevölkert mit braunen, gelben, schwarzen und weißen Menschen und jedem Volk gab Brahma, das Urwesen, einen Teil dieser Erde. Den Hindus gab er die Vedas, den Kahlköpfen Mohammedaner. den Koran, und den Christen das Buch, aus dem die Missionare lesen. Aber die Hindus waren seine liebsten Kinder, und darum erschlug er den Riesen Hajagriwa, als dieser die Vedas geraubt, und gab sie ihnen zurück. Das Land, das sie bewohnten, war von den Göttern bevorzugt, Gold und Myrrhen und alle köstlichen Früchte wuchsen in ihm, und Fürsten, deren Stämme so alt wie die Welt, beherrschten seine Bewohner. Der Ruf seines Reichtums ging über die Gebirge und Meere, und die Kahlköpfe kamen, davon angelockt, nach Hindostan, schlugen unsere Väter in vielen Schlachten und ließen sich nieder in unseren Thälern. Aber es waren Männer, wie wir, sie achteten unseren Glauben, verschmolzen sich mit unseren Sitten und wurden Hindus, wenn sie auch den Propheten anbeteten. Die Zeit ist so lange dahin, daß wir ihrer nicht mehr denken können. Auch die Weißen kamen zu uns. Brahma hat sie mit der Farbe der Deretas gezeichnet. Wie es unter den braunen Menschen böse und schlechte giebt, von denen der gute Geist sein Angesicht gewendet hat, so giebt es auch unter den Weißen tapfere und weise Stämme, und der Krieger mit den weißen Haaren, der hinter uns sitzt, und der kluge Hakim gehören ihnen an, wie die beiden Männer, die uns ein großer Fürst gesandt hat. Sie haben ein Herz für ihre braunen Brüder und wollen mit ihnen ihr Wissen teilen. Aber was können sie thun gegen unsere Herren, die auch die ihren sind? Die Faringi beherrschen die weißen Länder und sind die mächtigste Nation. Wir waren Thoren, als wir sie an unseren Küsten aufnahmen und ihnen Gutes thaten. Hundert Jahre sind vergangen, und ihr Fuß ist bis zu den Bergen des Himalaya vorgeschritten, und die Hindostani sind ihre Sklaven geworden. Das Feld, das wir bauen, der Handel, den wir treiben, trägt nur Früchte für sie, unsere Söhne sind ihre Söldner, unser Glaube, unsere Sitten sind ihr Spott, fremde Männer regieren uns und sitzen auf den Thronen, die unsere Väter einnahmen. Unglück! Unglück! Wo ist Gerechtigkeit bei ihnen zu finden, die in dem eigenen Lande Willkür und Raub herrschen lassen? Viele Jahre habe ich unter ihnen gelebt und gesehen, wie der Sohn den Vater, der Bruder den Bruder um schnöden Goldes willen zerfleischt. Wollen wir ewig ihre Diener sein? Wollen wir warten, bis unser Glaube ganz unterdrückt ist, bis unsere letzte Kraft gebrochen, unsere letzte Erinnerung vertilgt ist, bis wir nichts sind als niedere Sklaven einer Handvoll hochmütiger Faringi, und wie die Hunde von dem Bissen leben, der von ihrer Tafel fällt? Wer ist unter uns, der nicht über Gewaltthat, Betrug und Raub dieser Faringi Klage zu führen hat?«

Die Rani erhob sich: »Fluch den Faringi! Sie haben meinen Kindern das Erbe ihres Vaters geraubt!«

»Verdammnis über die weißen Verräter!« rief der Afghanen-Häuptling, wild seinen Säbel schüttelnd, »sie haben uns betrogen um das Land am Sindh, das wir besaßen.«

»Die Sonne des Weltalls, der Beherrscher des himmlischen Reiches der Mitte ist erzürnt auf die Engländer,« sagte der Chinese, »sie sind in unser Land gedrungen wie Räuber und zwingen uns, das Gift, das sie uns bringen, zu kaufen.«

»Mein Vater war ein freier Beludschen-Fürst,« sprach ein anderer der Männer. »Wo ist das Land im Sindh, das ich noch mein eigen nenne? Fluch den Räubern!«

»Und Delhi – das goldene Delhi? Wo ist der Hindu, der nicht an seine Größe dächte und mit Schmerz die Werke Akbars und Aureng Zebs, meiner Ahnen, erniedrigt sähe zum Eigentum der falschen Faringi? Ist der Mogul, mein Vater, etwas anderes, als die Puppe ihres Willens?«

Der Fremde, welcher so gesprochen, hatte sich erhoben und das Gewand eines Derwisch, das ihn bisher verhüllt, fallen lassen. Es war ein noch junger Mann von edler Gesichtsbildung und reicher indischer Kleidung, und seine Miene drückte leidenschaftlichen Haß gegen die Nation aus, die den berühmten Thron seiner Väter zu einem machtlosen Schatten gemacht hatte.

Nur der Serdar schien nicht überrascht von der Anwesenheit des Prinzen, der sich durch sein jugendliches Ungestüm verraten, während alle anderen bisher in ihm nur einen untergeordneten Boten und Vertrauten des halbentthronten Kaisers von Delhi gesehen hatten.

»Es ist Akbar-Jehan, der zehnte Sohn des erhabenen Großmoguls,« sagte er, indem er aufstand und dem Prinzen den Platz zwischen der Rani und dem Peischwa anwies. »Wir erkennen dankbar das Zeichen des Vertrauens, das Mahomed-Abdul-Schah uns durch die Sendung seines Lieblingskindes bewiesen hat. Nur die Meinung eines der Häupter dieser Beratung vermisse ich noch. Sollte Srinath Bahadur, der Sohn Bazie-Rûs, vergessen haben, daß die Faringi sich weigern, ihn als Peischwa von Bithoor und den Erben seines Vaters anzuerkennen?«

Eine dunkle Röte überzog plötzlich das Gesicht des Angeredeten, der träge Schleier seiner Augen verschwand, und ein Blitz voll Zorn schoß auf den Redner.

»Das Gesetz unserer Väter macht das Kind, dem wir unseren Namen geben, auch wenn es nicht von unserem Blute stammt, zu unserem rechtmäßigen Erben. Noch niemand hat daran gezweifelt oder dem Erben sein Recht streitig gemacht.«

»Kein Hindu, kein Muselmann, Du sprichst die Wahrheit. Aber erkennen die Faringi Dein Recht an?«

»Zahlreiche Fälle aus den Fürstenfamilien Hindostans sprechen dafür.«

»Wohl – ich zweifle nicht daran. Aber ich frage, ob die Kompagnie Deinen unzweifelhaften Anspruch auf die Peischwa-Würde und die Entschädigung, die Dein Vater rechtlich bezog, bestätigt hat.«

»Du weißt ohne Deine Frage, daß ich einen Prozeß darum führe. Ich sandte Baber-Dutt, meinen Bruder, nach England, mein Recht zu verteidigen, und die weiße Königin und die Regierung des Landes haben es anerkannt.«

»Das ist etwas anderes. Der Sahib-Gouverneur hat Dir also die Würde erteilt?«

Wiederum errötete der Maharadschah. »Das nicht,« sagte er verlegen. »Man erkannte nur mein Recht an, man verwies mich an die Kompagnie, an die Regierung in Kalkutta, und diese hat die Sache verzögert.«

»Wenn ich mich recht erinnere,« fuhr der Serdar nicht ohne Spott fort, »so sind fünf Jahre seitdem vergangen. Hat der tapfere Srinath Bahadur unterdessen sich nur mit der Jagd und den Freuden des Harems beschäftigt, ohne etwas weiter für sein angestammtes Recht zu thun?«

»Ich unterhalte keinen Harem, Freund Tantia-Topi,« sagte der Maharadschah finster, »sondern besitze eine Gattin, die alle Rechte der Rani genießt. Ich habe meinen Bruder noch einmal mit der Beschwerde über die Zögerung der Kompagnie nach London gesendet, und ich weiß gewiß, daß das Parlament meine Klage hören und sich Gehorsam verschaffen wird. Ich bin ein Hindostani wie Du und empfinde mit Schmerzen, daß mein Land die Fesseln der Fremden trägt. Aber das Volk der Hindu ist noch nicht vorgeschritten und gebildet genug, um seinen alten Glanz wieder zu erringen, und die Männer, die uns beherrschen, wissen mehr als wir und sind tapfer und gerecht. Ich wünsche Indien seine Freiheit, aber warum sollte ich selbst gegen die streiten, die meine Freunde sind?«

Der Serdar antwortete ihm nicht, sondern klatschte in die Hände.

Alsbald rauschte der Vorhang zwischen den Elefanten zur Seite und ein Fremder in indischer Kleidung trat in den Kreis der Beratenden.

Der Maharadschah erhob sich hastig von seinem Sitze. »Was sehen meine Augen? Baber-Dutt, mein Bruder! Wie kommst Du hierher?«

»Ich bin am zehnten Tage des Monats in Suratschi eingetroffen und erhielt dort die Nachricht, daß ich Dich hier auf der Rückkehr von Bombay finden würde. Feuer war unter meinen Sohlen, bis ich Dich wiedersah.«

»So kommst Du nicht von Bithoor, bist nicht in unserer Heimat gewesen und bringst mir keine Nachricht von meinem Weibe?«

»Du hörst es, daß ich durch das Meer von Maskat gekommen bin und die verfluchte Stadt der weißen Geldwechsler nicht berührt habe. Ich habe die Stämme der Wüste besucht auf meiner Reise und mehr Gerechtigkeit unter ihnen gefunden, als unter den stolzesten Faringis. Ich kann nicht wissen, was die Christin macht!«

»Ich weiß, Baber-Dutt, Du liebst sie nicht, obgleich sie es um Dich und alle, die ihr nahe stehen, verdient. Aber –« er zögerte offenbar mit der Frage und nur der feste Blick des alten Mahratten nötigte ihn dazu, »sprich, welche Nachricht bringst Du mir in der Sache, wegen deren Du zum zweiten Male die Reise unternommen.«

»Lies selbst.« Der Bote reichte ihm ein Schreiben, mit dem großen Siegel des Staatssekretärs der Kolonien verschlossen.

Der Maharadschah erbrach hastig das Dokument und durchlas es. Je weiter seine Augen über die Zeilen flogen, desto finsterer zogen sich die Falten seiner Stirn.

»Worte! – Worte! –« murmelte er, indem seine Hand krampfhaft das Schreiben zusammenballte und es weit von sich schleuderte. Ein Blitz dämonischen Grimms flammte aus seinen braunen Augen, aber mit einer Gewalt sondergleichen unterdrückte er den aufbrausenden Sturm der Leidenschaften, ergriff eine goldene Kapsel, die er an einer Kette von gleichem Metall um die Brust trug und öffnete sie durch den Druck einer Feder. Die hohle Hand verbarg zwar den Inhalt, der sich allein seinen Augen zeigte, aber der Inhalt schien eine zauberische Wirkung auf ihn zu üben. Es war, als wenn ein entfesselter Dämon plötzlich beruhigt würde, eine vom Sturm erregte See sich in den glatten friedlichen Spiegel verwandelte. Die Falten seiner Stirn verschwanden, das Feuer seiner Augen verschleierte sich wieder, der bezähmte Tiger winkte dankend seinem Bruder und ging zu seinem Sitz zurück, auf den er sich niederließ, als wäre soeben nicht die Verhöhnung seiner sehnsüchtigen, ehrgeizigen Wünsche ihm kund geworden.

Und der Zauberer, der diesen Sturm so rasch, so vollständig beschworen?

Er bestand allein in einem kleinen Miniaturbild, das jene Kapsel umschloß. Aber der feurige, so oft von seinen Leidenschaften hingerissene Indier hatte dem Wesen, das jenes Bild darstellte, geschworen, es jedesmal zu betrachten, wenn er fühlte, daß der ungestüme Zorn sich seiner bemeistern wolle.

»Es ist gut,« sagte der Maharadschah, »ich danke Dir. Mein Vater hat Recht gehabt mit seinen Zweifeln. Die Minister der Königin verweisen mich wiederum an den Rat zu Kalkutta und versprechen, mein gerechtes Gesuch zu unterstützen.«

Der Serdar stampfte wild mit dem Fuß auf. »Ist denn der Löwe zum Lamm geworden, der Krieger zum Feigling, der die Rute küßt, die ihn schlägt? Ganz Indien kennt die Tyrannei, die Schmach, die man Dir angethan und sieht mit Scham den Mann, auf den es gehofft, sich zum Diener seiner Tyrannen herabwürdigen. Du weißt, Srinath Bahadur, was hier verhandelt werden soll. Wir glaubten einen Bundesgenossen in Dir zu finden, nicht einen Verräter. Geh' hin zu Deinen weißen Freunden, und verkünde ihnen den Blitz, der über ihrem Haupte schwebt. Vielleicht, daß sie Dich zum Dank statt zum Peischwa, der Dein Vater war, zum Aufseher ihrer Peons Polizeisoldaten. machen.«

Die Hand des beleidigten Maharadschah flog an den Griff seines Säbels, sein Auge sprühte Verderben dem Unvorsichtigen, und die Umsitzenden glaubten Zeugen einer blutigen That werden zu müssen, aber nochmals beruhigte sich durch die eiserne Macht seines Willens der Zorn dieses Mannes. Die Hand verließ den Griff seiner Waffe, während er sich stolz erhob und seine weiten Gewänder zusammennahm. »Deine Worte sind Lügen, alter Mann,« sagte er mit erzwungener Ruhe, »aber Dein Haar ist weiß, und Nena wird seine Hand nicht erheben gegen den, unter dessen Dach er weilt. Mögen die Götter die Beleidigung Deines Gastfreundes Dir vergeben. Der Sohn Bazie-Rûs ist ein Freund der Faringi und will seine Hand nicht in das Blut der Brüder seines Weibes tauchen. Aber höher noch liebt er sein Vaterland und wird es mit Freuden begrüßen, wenn es sich frei gemacht von den Fesseln der Fremden. Was ihr sinnt, war mir längst kein Geheimnis; niemals aber wird Srinath Bahadur den weißen Männern verraten, was denen, die ihm vertraut, Verderben bringen müßte.«

Er wollte den Kreis verlassen und sich hinwegbegeben, aber der alte Mahrattenfürst warf sich ihm ihn den Weg. »Nicht beleidigen wollte Dich, den Gastfreund, meine Zunge, edler Nena,« beteuerte der finstere Alte, »nur aufreizen Dich, auf den wir so viele Hoffnungen gesetzt und der sich einst nicht ohne Absicht mit einer Schar tapferer Männer umgab, die keine Faringi waren. Wir haben falsch gehofft, vergeblich geharrt. Cama Der Gott der Liebe. hat über die Dunkeläugige gesiegt und den Löwen schwach gemacht. Aber fern sei es von uns, daß wir einem Sohn Bazie-Rûs mißtrauen sollten. Bleibe bei uns, Nena, und höre, was beschlossen wird, denn ich hoffe, die Stunde wird kommen, wo Du Dich dessen, was Du gehört, erinnern wirst und mit uns kämpfen gegen den gemeinsamen Feind. Wenn Du bis dahin die Hand nicht erheben willst für die Sache des Vaterlandes, so gewähre wenigstens denen, die ihr Leben zu opfern bereit sind, Deinen Schutz, verwende die fremden Schätze, die jetzt ungenützt liegen, zu ihrer Hilfe, und fördere damit die Rache eines Toten an seinen Verderbern.«

Der Nena war nach den ersten Worten seines Wirtes schweigend auf seinen Sitz zurückgekehrt und sah jetzt befremdet auf den Serdar. »Was meinst Du damit?«

»Ich meine das Erbe Dyce Sombres, des Enkels der großen Begum von Somroo, dessen Besitz Dir zusteht!«

»Ich besitze nur eine Kiste mit Edelsteinen und Dokumenten, die meinem Pflegevater von der Begum anvertraut war und die ihrem Enkel oder seinem Erben auf sein Verlangen gegen ein gewisses Zeichen ausgehändigt werden sollte. Der Auftrag ist an mich übergegangen, aber niemand hat sich bis jetzt zum Empfang gemeldet, und niemals hat meine Hand den Deckel des anvertrauten Gutes berührt.«

»Du selbst bist der Erbe der Schätze der Begum und all ihrer hinterlassenen Güter in Indien, die Du den habgierigen Händen der Faringi entreißen wirst. Hier« – er nahm die Papiere aus den Falten seiner Gewänder, – »ist das Testament meines unglücklichen Mayadars, das Dich zum Erben einsetzt; und dieser Mann war Zeuge, daß Dyce noch auf seinem Totenbett diese Verfügung bestätigte.«

Der Nena empfing mit Erstaunen – denn bis jetzt hatte er durch die Intriguen der englischen Familie keine Silbe von seinem Anrecht auf die reiche Erbschaft erfahren – die Dokumente, die Walding mit gleichem Befremden in den Händen des Mahratten sah, da ihm doch bekannt war, auf wie seltsame Weise sie aus dem Totenzimmer verschwunden waren.

»Deine Sache ist es, edler Maharadschah,« fuhr der Serdar mit leichtem Hohn fort, »jetzt von Deinen Freunden, den Faringi, auch hierin Dein Recht zu erstreiten. Doch wichtiger, als das Erbe dieser großen Landgüter, die von der Habsucht unserer Tyrannen ausgesogen sind, ist der Brief, den der Hakim Dir auszuhändigen hat, und der die geheimen Zeichen enthält, welche die Begum bestimmt hat. Tritt vor, Franke, und übergieb diesem Manne das Schreiben, das Du fünf Jahre lang mit Gefahr Deines Lebens und unter den Mißhandlungen Deiner Feinde für diese Stunde aufbewahrt hast.«

So aufgefordert trat der deutsche Arzt vor, zog aus seiner Brusttasche das wohlverwahrte Dokument, das so seltsame und blutige Intriguen veranlaßt hatte, und übergab es dem Maharadschah, der es sofort öffnete.

»Die Pergamente,« sprach der Serdar weiter, »welche in jenem Kasten enthalten sind, sind wichtig für Deine eigenen Ansprüche auf die Erbschaft, die Schätze aber, die er sonst birgt, gehören den beiden, die der Verstorbene dazu bestimmt hat, daß sie seine Leiden rächen im Kampf gegen England!«

Und » Kampf gegen England!« hallte es wieder im Kreise.

»Ich bin bereit, dem Franken das Erbe meiner Väter auszuhändigen, wenn er mich nach Bithoor begleiten will,« erklärte der Maharadschah. »Er steht von diesem Augenblicke an unter meinem Schutz, und ich bürge für jedes Haar seines Hauptes.«

Der Arzt ergriff froh die Gelegenheit. »Wenn Du es erlaubst, Hoheit, schließe ich mich Deinem Gefolge an. Aber ich kann nicht allein über den Schatz bestimmen, den mein verstorbener Freund hinterlassen. Gegründeter sind die Rechte eines Mannes darüber, der leider das Opfer eines traurigen Irrtums oder« – sein Blick traf den Serdar – »eines Verbrechens geworden und wahrscheinlich den unverdienten Leiden an fremden Küsten erlegen ist.«

»Wenn der weiße Hakim Kapitän Ochterlony meint,« erwiderte der Serdar, »so mag er ruhig sein. Er wird ihn wiedersehen, wenn die Zeit gekommen, und möge bis dahin den Racheschwur, den er geleistet, so treulich halten, wie ihn der Verbannte von Sidney halten wird!«

Der Mahratte hatte dies mit einer solchen Bestimmtheit gesagt, indem er sich dabei der englischen Sprache bediente, daß Walding kaum zweifeln konnte, er wisse mehr von dem Schicksal des unglücklichen Mannes. Doch wagte er nicht, jetzt weiter danach zu fragen.

Die Versammelten hatten mit orientalischer Ruhe der Entwickelung der Scene mit dem Maharadschah beigewohnt, ohne eine Bemerkung zu machen, jetzt aber erhob die Rani ihre Hand und sprach:

»Die Feinde der Faringi sind bereit zu hören, was der Bund der Chupattie Der heilige Kuchen, wie schon früher erwähnt, das Wahrzeichen der Verschworenen. beschließt.«

»Es ist Zeit davon zu reden,« sagte der Serdar. »Wenn der Mond neunmal gewechselt hat, wird etwas Weißes sterben und die Hindostani werden ihr Haupt in die Wolken erheben. Jeder möge berichten, was er zu sagen hat. Fattih Murad Khan ist der jüngste unserer Freunde, er möge sprechen und verkünden, was der weise Gholab Singh bereit ist zu thun.«

»Leider vermag ich nur wenig zu versprechen,« sagte der Jüngling, »Gholab Singh ist ein weiser Mann, aber er redet dies und er redet das. Er hat mich gesendet, um Teil an der Gefahr zu nehmen und fünfhundert Reiter aus den Gebirgen werden mir folgen, wenn ein fester Platz in den Händen der Hindostani ist. Wenn es ihnen gelingt, die Faringi zu schlagen, so wird Gholab Singh das Pendschab in Flammen setzen und die Maharani wieder auf den Thron von Lahore erheben.«

»Um sein eigen Blut ihn teilen zu lassen, wenn erst Murad Khan sich mit der Rose des Pendschab vermählt hat,« spottete der Prinz von Delhi. »Es ist bekannt, daß der weise Gholab seinen ältesten Sohn in Kalkutta wohnen läßt, als Geißel seiner Treue für die Faringi, während er uns seinen Jüngsten gesandt hat. Der Statthalter der Faringi am Himalaya hat zwei Gesichter!«

»Willst Du meinen Erzeuger beleidigen, falscher Mohammedaner?« schrie der Khan entrüstet und griff zum Säbel. »Möge die Zunge verdorren, die giftige Verleumdung zu sprechen wagt!«

»Still, Knaben,« befahl der Serdar. »Es ist unrecht von Dir, o Prinz, den Khan zu beleidigen, während andererseits Wahrheit in Deinen Worten ist. Gholab Singh ist ein vorsichtiger Mann, der nach seinem Vorteil handelt. Wenn er es aufrichtig mit der Befreiung Hindostans meinte, könnte sein Wort allein die stolzen Faringi ins Meer jagen. Viele Stämme der Sikhkrieger sehen auf ihn, und es sind ihrer siebzigtausend in der Armee der Kompagnie. Wenn sie sich mit uns verbinden, wird kein Faringi am Leben bleiben, um zu seiner Heimat zurückzukehren.«

»Die Sikhs,« sagte noch immer unwillig der Khan, »haben nicht vergessen, daß die Hindu-Sepoys es waren, mit deren Hilfe die Faringi die Freiheit des Pendschab unterjocht. Warum sollten sie ihr Blut jetzt geben für die Freiheit ihrer Feinde?«

»Unglücklicher Zwiespalt!« rief die Königin, indem sie ihre Hände erhob. »Die Sikhs und die Hindus sind Brüder, und die Fremden allein haben den Argwohn zwischen sie gesäet. Die Sikhs werden die Stimme ihrer Rani hören, wenn die Fahne des Kampfes geschwungen wird!«

»Wenn es der edlen Rani so aufrichtig um die Einigkeit der beiden Völker zu thun ist,« sagte aufs neue der hochmütige Prinz von Delhi, »so möge sie das Kleinod der Sikhs, das sie besitzt, nicht wieder einem Sikh geben, sondern einem Manne aus dem Blut Akbar des Großen, das über die Hindu gebietet!«

Diese offene und unerwartete Werbung, hervorgegangen aus der Eifersucht, die seit Jahrhunderten zwischen den benachbarten Stämmen geherrscht, machte alle verstummen. Wohl ahnte niemand, daß die eben ausgesprochenen Worte es sein sollten, welche allein die Herrschaft der Engländer noch längere Zeit über Ostindien aufrecht halten und den gewaltigen Aufstand auf engere Grenzen beschränken würden, als er sonst offenbar gehabt hätte, dennoch fühlten der Serdar und die Rani selbst im Augenblick die politische Wichtigkeit des Vorschlags und welches Zerwürfnis er unter zwei mächtigen Parteien hervorrufen könnte. Fattih Murad Khan war der erste, welcher eine Antwort bereit hatte. »Der Schakal,« sagte er stolz, »ist lüstern nach fremdem Gut. Er möge erst ein Wolf werden und auf dem Schlachtfeld zeigen, daß er zu kämpfen versteht, ehe er seine Ansprache auf die Krone der Schönheit vorzubringen wagt.«

»Hochmütiger Sikh,« erwiderte der Prinz, »diese Hand wird die Fahne der Freiheit auf die goldenen Thore von Delhi pflanzen und die Faringi wie Spreu im Winde vor sich hertreiben. Sie ist nicht die Hand eines gemeinen Kriegers, die den Einzelnen auf dem Schlachtfeld erschlägt.«

Der Streit zwischen den beiden jungen Rivalen um Ruhm und Liebe drohte aufs neue auszubrechen, wenn nicht die Maharani ihn unterdrückt hätte.

»Deine Werbung, o Prinz,« sagte sie, sich majestätisch aufrichtend, »ehrt mich, aber der tapfere Khan hat bereits mein Versprechen. Das Geschick möge entscheiden, wer der Glückliche sein wird, der den gefangenen Sohn mir zurückführt. Er allein hat über die Rose von Lahore zu entscheiden, wenn er auf dem Thron seines Vaters sitzt.«

»Möge es der Maharani gefallen,« sprach der Serdar eilig dazwischen, indem er der Fürstin einen Wink mit den Augen gab, »uns mitzuteilen, was der Krieg der Hindus gegen die weißen Faringi von seiten unserer Freunde in Nepal Nepal, Gebiet in Ostindien. zu erwarten hat?«

»Du weißt, daß sein Herrscher mir Schutz gewährt und die Kompagnie haßt. Aber Jung Bahadur, sein Minister und der Günstling der Königin, ist allmächtig und auf seinen Willen wird es ankommen, ob die Ghurkas Bergvölker aus Nepal. uns oder den Faringi zu Hilfe kommen, in deren fernem Nebellande er sich jetzt befindet.«

»Wenn er zurückgekehrt ist,« sagte der Serdar, »müssen wir ihn zu gewinnen suchen. Er liebt das Gold und die Macht, und es wird viele Männer geben, die bei dem Kriege unabhängige Fürsten werden. Unsere Brüder aus Malwah, Gondowan und dem Dekan Eigentlich Dokhan, Hochland in Ostindien. mögen für ihr Land sprechen.«

» Salar Dscheng, der Wesir des Nizam von Heiderabad ist ein Freund der Faringi,« sagte ein mohammedanischer Derwisch, »aber die Soldaten seines Herrn sind treue Söhne des Koran und hassen die Faringi aufs Blut. Wenn sie erfahren, daß der Glaube des Propheten in Gefahr ist, werden sie ihre Waffen erheben und den Nizam vom Throne stoßen.«

»Wir rechnen auf den Dekan erst, wenn der Kampf im Gange ist,« sagte der Mahratte. »Die glorreichen Erinnerungen Hyder Alys von Mysore werden nicht erstorben sein in den Erinnerungen seiner Völker. Ein treuer Freund unserer Sache durchstreift das Land im Süden und sammelt unsere Freunde. Die Sepoys von Madras sind nicht die, auf welchen die Hoffnungen Hindostans beruhen. Ihre Kaste ist gemischt, es sind Neger, Malayen und Männer von den Inseln unter ihnen, die kein Herz haben für die Freiheit. Auch ihre Zeit wird kommen.«

»Der Scindia und Holkar,« berichtete der Abgesandte von Malwah und Bundelkand, »weisen die Anerbietungen, die ihnen gemacht werden, zurück. Sie sind Freunde der Faringi.«

»Fluch ihnen! Das Fürstenblut der Mahratten ist in ihren Adern, und dennoch wollen sie lieber als Sklaven leben, denn als freie Männer sterben!«

»Ihre Krieger,« fuhr der Berichterstatter fort, »sind die unseren. Die Hauptleute warten auf die Sendung der heiligen Kuchen und werden zu den Fahnen des Rao von Jhansi stoßen, der den Aufstand in seinem Lande beginnen wird. Zehntausend kampfgerüstete Männer warten auf unsern Wink.«

»Die Bhawani hat sein Leben genommen,« sagte der Serdar. »Die Seele unseres Freundes hat ihre neun Wandelungen angetreten. Der Scindia wird sein Land nehmen – es ist ein harter Schlag für unsere Sache. Die Rani selbst hat mir Botschaft gesandt, ehe sie den Scheiterhaufen bestieg.«

»Friede mit ihr!« murmelten die Lippen sämtlicher Hindu in der Versammlung. »Agni Der Gott des Feuers. wolle ihre Seele zum Himmel tragen.«

»Mögen unsere Freunde aus Bengalen, Allahabad und dem Rohilcand uns ihren Bericht machen,« fuhr der Serdar fort. »Bis jetzt haben wir nur Schlimmes gehört – ihre Lippen sollen unseren Ohren Wonnen verkünden.«

»Die Treulosigkeit der Faringi wird mit jedem Tage unerträglicher, wir sind die Sohle ihrer Füße,« sagte ein Mann, dessen stolzer Gestalt und schönen Zügen jener körperliche und geistige Adel unverkennbar aufgedrückt war, der das edle und so schmählich mißhandelte Volk der Rohillas auszeichnet. »Vierzigtausend Männer werden bereit sein, das Schwert zu ergreifen.«

»Ich kenne Deine Landsleute, edler Kur-Singh bemerkte der Serdar, »und vertraue auf ihre Tapferkeit. Möge der würdige Subadar-Sahib Ali-Khan jetzt sprechen und uns von der Armee von Bengalen berichten.«

»Fünfzigtausend Sepoys werden die Hand gegen die Faringi erheben. Hier sind die Listen der Regimenter und ihrer Kasten. Hindu und Moslem sind einig in dem Mißtrauen gegen die Engländer – die Brahminen haben in jeder Kaserne, in jedem Fort einen geheimen Bund unter den Männern errichtet, von Kalkutta bis über die Grenzen des Audh. Es bedarf nur des Schürens, um die Flamme hochlodern zu machen.«

»Haben Eure weißen Gebieter wieder Neuerungen in dem Dienst und den Gebräuchen des Heeres eingeführt?« fragte der Mahratte.

»Die Sepoys sollen künftig nicht mehr ihre eigenen Patronen fertigen. Man wird sie aus dem Lande der Nebel uns senden.«

Eine wilde Freude zuckte über das Gesicht des Serdars. »Das ist, was wir brauchen! Aus ihren eigenen Patronen wollen wir den stolzen Faringi ein Feuer bereiten, das sie in die Luft sprengen soll. Hört mich an, Freunde und Brüder!«

»Wir hören!«

»Unter sämtlichen Sepoys der vier Regentschaften müssen geheime Gerüchte verbreitet werden. Den Hindus müssen die Brahminen verkünden, daß ihre Patronen mit dem Fett der heiligen Kühe Nach dem Glauben der Hindus ist die Kuh ein heiliges Thier, das sie nicht töten dürfen. bereitet werden, den Moslems, daß zu den ihren das Schmalz der unreinen Tiere Der Schweine, deren Fleisch und Fett der Koran verbietet. verwendet wird. Das wird die Gemüter in Gärung bringen durch das ganze Land und zweimalhunderttausend Bajonette für uns zum Kampf rufen!«

»Der Plan ist gut – der Teufel selbst hätte ihn nicht besser aushecken können,« sagte General Ventura. »Ich kenne den Fanatismus und weiß, daß kein Vernunftpredigen, kein Beweis des Gegenteils den Wahn zu stören vermag, der wie eine Wasserflut sich mit reißender Schnelle verbreitet.«

»Aber die Sikh-Regimenter sind weder Hindus noch Mohammedaner, sie spotten des Glaubens der einen wie der anderen,« bemerkte der Subadar.

»Der allgemeine Taumel, die Feindschaft gegen die Faringi, mein Ruf zu den Waffen wird sie mit fortreißen!« beharrte die Maharani.

Mehrere der Versammelten wiegten zweifelnd das Haupt, als glaubten sie an das Versprechen nicht besonders.

»Hier sind Briefe von Man-Singh, dem Rao von Mundoger und dem Desahi von Hembzi,« fuhr Tukallah, oder Tantiah-Topi, wie er bei den indischen Stämmen genannt wurde, die nicht zu den Mahratten, seinem eigenen Volke gehörten, fort. »Sie versprechen in der Radschputana und dem Bombay-Distrikt den Aufruhr zu leiten. Daula-Chan, der Naib-Nazim von Budaon, der Rajah von Sorapore und Gorhuccus-Singh, der Radschah von Goudah, harren auf unseren Wink. Der Radschah von Shunda wird sich auf den verräterischen Nizzam werfen, wenn er es wagt, den Faringi beizustehen.«

»Cartikeia Der Gott des Krieges. wird uns beistehen, sie zu verderben? schwur einer der Krieger. » Mohamed Musuful, mein Gebieter, der Thusildar von Piluni, wird mit fünftausend Reitern und zweihundert Elefanten gegen sie ziehen.«

Auch die übrigen berichteten aus den verschiedenen Teilen Indiens, wie alles bereitet werde, zum Ausbruch der allgemeinen Empörung.

Der geheime Leiter des furchtbaren Bundes der Rache neigte sich jetzt vor den Fremden. »Die Tapferen des großen Sultans in den Ländern, wo Brahma den ewigen Schnee geschaffen, haben gehört, wie die Söhne Hindostans bereit sind, ihr Blut gegen die Faringi, unsere und Eure Feinde, zu vergießen. Der große Sultan, unser Freund, weiß um unsere Hoffnungen. Was gedenkt er zu thun?«

Der eine der beiden fremden Offiziere mit dem slawischen Gesichtsschnitt öffnete ein Portefeuille, das er auf seinen Knieen getragen und keinen Moment aus der Hand oder den Augen gelassen hatte, und nahm verschiedene Papiere heraus.

»Seine Majestät, der Kaiser,« sagte er mit einer ehrerbietigen Bewegung des Hauptes, »haben mit Schmerz die ungerechte Entthronung so vieler edlen Fürsten eines Landes gesehen, an dem ihr Herz innigen Anteil nimmt. Seine Majestät würden sich aufrichtig freuen, die alte Herrschaft des Großmoguls wieder in ihrem Glanz die Erben des berühmten Rundschid-Singhs, des Freundes unseres verewigten Herrn, wieder eingesetzt und die Rechte des Königreichs Audh hergestellt zu sehen. England mit seiner unersättlichen Habsucht breitet seine Macht immer weiter aus – es müssen ihr Schranken gesetzt werden. Darum wird es der Kaiser mit Beifall begrüßen, wenn die altberühmte Nation der Hindu ihre Freiheit gegen die britischen Eroberer verteidigt.«

Der Serdar lachte spöttisch. »Goldene Worte stürzen kein eisern Tor ein, sagt das weise Sprichwort. Ist das alles, was der große Sultan der kalten Länder für unsere Not tut?«

»Dies Papier,« erwiderte der Offizier, indem er es im Laufe seiner Rede übergab, »enthält eine genaue Übersicht der in ganz Indien stationierten militärischen Macht der britischen Krone und der Kompagnie, genauer, als sie Deine eigenen Berichte würden zusammenstellen können, tapferer Serdar. Sie kommt aus dem geheimen Kabinett des General-Gouverneurs in Kalkutta. Danach besteht die Truppenzahl im Dienst der indischen Verwaltung augenblicklich in 29 000 Mann Europäern, wovon mehr als der fünfte Teil Offiziere sind, und 234 000 Mann Sepoys. Die Zahl der irregulären Truppen bei der Finanz-, Polizei- und Justiz-Verwaltung wird gleichfalls sich auf 300 000 Mann belaufen. Zuverlässig kann die Regierung nur auf die Europäer rechnen. – Das zweite Papier enthält den ganzen Stand der englischen Armee und ihre Stationierung in den verschiedenen Weltteilen. Die Entfernungen sind bei allen Weltteilen angegeben und die Zeiten berechnet, in welcher die Regimenter von entfernten Stationen nach Indien transportiert werden können. Unser Gesandter in Konstantinopel wird das Seine thun, zu bewirken, daß der nähere Transport über Suez Schwierigkeiten und Hindernissen unterliegt. Der Effektivbestand der englischen Armee ist in diesem Augenblick nach den kolossalen Verlusten in dem Krimfeldzug, außer den indischen Truppen, auf 65 000 Mann geschmolzen, von denen 40 000 in Europa stehen. England ist außer stande, im Laufe des Jahres mehr als weitere 30 000 Mann nach Indien zu schicken, selbst wenn es in Gefahr ist, das ganze Land zu verlieren. Diese Summe wäre schon das Höchste, Möglichste! aber es wird kaum die Hälfte leisten können. Ein Krieg von drei Jahren muß England bankerott an Menschen machen. Sie aber haben 200 000 Sepoys und Irregulaire, auf die Sie rechnen können, die Dschungeln, die Hitze und die Cholera zu Ihren Bundesgenossen. Das dritte Papier enthält die Aufgabe der Vorräte von Munition und Geschützen, die an den persischen Grenzen zur Disposition bereit liegen, und die Namen von zwanzig Offizieren der kaukasischen Armee, die bereit sind, bei den indischen Truppen einzutreten.«

»Der Kaiser, unser Herr,« fuhr der zweite Agent fort, »wird eine Ursache haben, ein Truppenkorps an den Grenzen von Turkistan zusammenzuziehen, wenn ein Streit zwischen Persien und den Briten entsteht.« Sein diplomatisches Lächeln verkündete, daß bereits ein solcher im Werke sei. »Der wichtigste Schlag aber für den englisch-indischen Interessenten muß von Osten herkommen!« Er deutete auf den Mandarin, auf den sich jetzt aller Blicke wandten.

»Der Gebieter des Weltalls,« erklärte der Chinese, »wird die rothaarigen Barbaren das Gewicht seines Zornes fühlen lassen und die Sonne seines Antlitzes vor ihnen verhüllen. Man wird die Faktoreien, welche unsere Großmut ihnen in Kuang-Tschen Kanton gestattet hat, verbrennen und ihnen die Leiber aufschneiden. Die Schiffe der Barbaren dürfen das Wasser des Sikiang nicht länger beschmutzen.«

»Mashallah,« schwor der Afghane, sich den dunkeln Bart streichend, » Dost Mohammed Khan ist bereit, das Blutbad von Kabul zu wiederholen. Wenn man uns Peschaur, das uns der Faringi gestohlen, wiedergiebt, werden unsere Krieger bereit sein, über den Sindh zu gehen!«

»Die Kinder des Propheten sind in unserm Bunde,« erklärte Baber-Dutt, der Bruder des zögernden Peischwa, ein leidenschaftlicher Gegner der Engländer. »Nicht vergeblich hat der Freund des tapfern Kur-Singh den Weg durch die arabische Wüste gemacht! Wo der Koran gepredigt wird, ist blutiger Haß gegen die Faringi! Die Türken sehen in ihnen allein die Ursach' vom Verfall ihres Reiches. In Ägypten und ganz Arabien gärt und kocht der Zorn gegen die falschen Christen. Ich war auf den Inseln, auf denen die Moslems und die Griechen wohnen und in der Stadt, die sie Alessandria nennen. Mit einer arabischen Praua kam ich nach Dscheddah im Roten Meer und zog durch die Wüste bis zum Meere von Ormuz. Die tapferen Stämme von Yemen und Hadramaut harren nur der Gelegenheit, sich auf die weißen Männer von Aden zu stürzen. Die heiligen Imams von Mekka und Medina werden den Krieg gegen die Franken predigen, und alle Araber der Wüste, im Land des Suderi und Ahyssas haben den Fuß im Bügel und den Speer in der Hand. Von Kahira bis Maskat lautet ein Ruf: Tod den Faringi

Und: » Tod den Faringi!« hallte der Ruf der Versammlung.

Mit teuflischem Stolz auf sein drohendes Werk sah das Haupt der furchtbaren Würgersekte auf den Peischwa, der nicht ohne Staunen und in tiefem Sinnen der Entwickelung des riesigen Planes zugehört hatte.

»Die Frage, deren Entscheidung uns hier vor allem zusammengeführt,« begann der Serdar aufs neue, »ist jene: wann soll der Streich geführt werden auf das Haupt der Faringi, und wo soll der Ruf der Freiheit und Rache zuerst die Hindostani aus ihrem Schlafe erwecken?«

Jetzt erhob sich ein lebhafter Streit zwischen den eingeborenen Mitgliedern der Versammlung.

Der Prinz von Delhi verlangte, daß die mächtige Hauptstadt des alten Reichs der Großmogule der Ausgangspunkt und Rückhalt des Kampfes werde, und Mahe Tschund, die entthronte Königin von Lahore, war geneigt, ihm beizustimmen, da der Kerker ihres Sohnes unfern Delhi lag. Die geheimen Agenten der Begum von Audh jedoch, die im Namen ihres schwachen, von den Engländern nach seiner Entsetzung in einer Art von Gefangenschaft oder polizeilicher Aufsicht in Bengalen gefangen gehaltenen Gatten seit der Beraubung die Verhandlungen mit den Unzufriedenen leitete und namentlich die Aufmerksamkeit und allgemeine Hoffnung auf Nena Sahib gelenkt hatte, bestanden darauf, das Audh zum Schauplatz des Ausbruches zu machen, da hier die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten der Kompagnie-Verwaltung am drückendsten lasteten.

Ein anderer Vorschlag ging dahin, in Kalkutta selbst, am Sitz der Regierung, die Fahne der Empörung zu erheben, sich des Forts William in einer Nacht zu bemächtigen und den Gouverneur und alle Beamte gleichzeitig zu ermorden. Tukallah selbst war für den Ausbruch des Kampfes an verschiedenen Stellen zugleich und hielt die Einöden der Radschputana für den geeignetsten Hinterhalt des Krieges, um denselben nach dem Pendschab, dem Bezirk von Bombay, nach Audh und dem südlichen Teil der mächtigen Halbinsel hinzudrängen. Die Offiziere mengten sich jetzt in den Streit und General Ventura legte einen Operationsplan vor, der sich gleichfalls für das mittlere Indien entschied und noch dadurch empfohlen wurde, daß nach den Übersichten der russischen Agenten von den vertragsmäßig jederzeit in Indien stationierten 26 königlichen Regimentern (20 zu Fuß und 6 zu Pferde) nur 4 Infanterie- und 2 Kavallerie-Regimenter auf dem ungeheuer weiten Raum von den Ufern des Indus bis zum Brahmaputra, also auf einem Flächenraum von beinahe 400 geographischen Meilen, zerstreut lagen. Der Plan, in Kalkutta selbst die Empörung ausbrechen zu lassen, wurde von vornherein durch den Umstand widerraten, daß in der Hauptstadt 4 europäische Regimenter standen. Fort William nur von solchen besetzt gehalten wurde, und daß hauptsächlich in Bengalen die englischen Artillerie-Brigaden und die Sikh-Regimenter stationiert waren, deren Teilnahme an der Empörung bei dem Nationalhaß gegen die Sepoys mindestens als sehr zweifelhaft erschien.

So wurden denn Lucknow, als die Hauptstadt des Audh, und Delhi und Mirut als die Punkte bestimmt, an denen der Aufruhr zunächst ausbrechen sollte, und als Zeit dafür das Moharremfest der Muselmänner im nächsten Jahre festgesetzt, bis wohin alle Vorbereitungen zu dem gewaltigen Kampf vollständig beendet und die Sepoy-Regimenter in ganz Indien durch die Agenten des Bundes zur offenen Erhebung vorbereitet sein sollten.

In Laufe der trotz des sonst so apathischen Charakters des Orientalen stürmischen Debatte an der der beleidigte Erbe des Peischwa von Bithoor absichtlich keinen Anteil genommen, hatte sich auf seinen Wink der deutsche Arzt ihm genähert und hinter ihm Platz genommen. In dem Gewirr der streitenden Stimmen befragte Srinath Bahadur den Boten seines unglücklichen Verwandten um Nachrichten von dem Verstorbenen.

Diese Gelegenheit hielt Walding für günstig, um seinem neuen Beschützer das Papier zuzustellen, das die Bayadere ihm zu diesem Zwecke gegeben hatte.

»Hoheit,« sagte er während einer Pause des Gesprächs, »der Brief meines unglücklichen Freundes ist nicht das einzige, was ich Dir zu überreichen habe. Du hast mich Deines Schutzes versichert – darf ich auf denselben in jedem Falle für mich und ein anderes Wesen, das ich zu verteidigen habe, bauen?«

»Srinath Bahadur ist gewohnt, sein Wort mit seinem Leben zu lösen! Kein Haar des Hauptes soll Dir und den Deinen berührt werden, so lange Du unter meinem Schutze stehst.«

»Dies Blatt,« fuhr der Deutsche fort, indem er es dem Bahadur verstohlen reichte, »ist mir anvertraut worden, es Dir zu übergeben!«

Der Indier nahm es und warf einen gleichgültigen Blick darauf. Aber plötzlich, bei dem Anblick eines dem Überbringer unverständlichen Schriftzeichens auf dem Umschlag, begannen seine Augen zu funkeln, er riß es hastig auseinander und überflog die wenigen Zeilen, die es enthielt.

Sein blasses Gesicht nahm die fahle Farbe des Schreckens an, seine Züge schienen starr zu werden, nur die Nüstern öffneten sich weit und zuckten auf und nieder. Plötzlich griff er nach dem Arm des erschrockenen Boten und preßte ihn mit eiserner Gewalt, daß dieser vor Schmerz hätte aufschreien mögen.

»Wer gab Ihnen das Blatt, Sir? – Antwort, bei allem, was Ihnen heilig und teuer ist!« zischte die Stimme des Maharadschah in französischer Sprache.

»Um des Himmels willen, beruhigen Sie sich, Hoheit – Sie sollen alles erfahren, was ich Ihnen sagen kann. Ziehen Sie nicht unnütz die Aufmerksamkeit der anderen auf uns oder ich müßte schweigen!«

»Sprechen Sie, Sir, – Sie sehen, ich kann alles ertragen!« Die wechselnde Farbe auf seinem Gesicht, das unheimliche Blitzen seiner Augen, das Zittern seiner Hand strafte die Rede Lügen.

»Ein Weib, eine Bayadere gab es mir!«

»Wo ist sie?«

Walding zauderte mit der Antwort.

»Hören Sie mich an, Herr,« fuhr der Indier fort. »Dies Blatt benachrichtigt mich in geheimnisvollen Worten, aber in Zeichen, die mir für die Wahrheit der Nachricht bürgen, das einem Wesen, dem teuersten, das ich auf der Welt besitze, dem Schatz meiner Seele und meiner Gedanken, eine schreckliche Gefahr droht! Jetzt, Herr, urteilen Sie, daß ich um jeden Preis die wahre Überbringerin dieser Zeilen sprechen muß.«

»Auch auf jede Gefahr hin?«

»Auch dieses! Reden Sie, ich beschwöre Sie!«

»Ich kann Ihnen nur Weniges mitteilen, Hoheit, das Sie auf die Spur leiten kann, und ich fürchte, auch dieses wird Ihnen nichts helfen. Die Bayadere hat bereits diesen schrecklichen Ort verlassen.«

»Wann?«

»Diesen Morgen. – Sie sahen ihre leichte Gestalt, nur noch einen Punkt, verschwinden am Rande der Wüste.«

»Wie – jene beiden Flüchtlinge, welche die Reiter des Serdars verfolgen?«

»Möge der Himmel sie beschützen! Aber still, um Gottes Willen! – Niemand, am wenigsten unser Wirt, darf ahnen, wer die Flüchtige war.«

»Aber warum entfloh die Bayadere?«

»Das hängt mit einem Geheimnis zusammen, das ich nicht enthüllen darf. Nur so viel kann und muß ich Eurer Hoheit vertrauen, daß die Person, für die ich Ihren Schutz angerufen, die Stelle Anarkallis vertritt und von ihr aus einer furchtbaren Gefahr errettet worden ist.«

»Anarkalli, die berühmteste Tänzerin Indiens?«

»So ist ihr Name. Sie selbst vertraute mir, daß sie die Tochter Tukallahs sei, obgleich er es nicht ahnt.«

»Wiewohl sie häufig an den Ufern des Ganges gewesen,« sagte nachdenkend der Fürst, »so begreife ich doch nicht, wie sie zu dieser wichtigen Botschaft kommt, für die ich jede Stunde mit Gold aufwiegen würde. Auch ist in diesen Zeilen davon die Rede, daß der Eilbote, dem sie anvertraut worden, mir nähere Kunde geben würde. War der Mann, der mit ihr entflohen, vielleicht dieser Bote?«

»Nein, Hoheit, es ist ein englischer Offizier, der ihr das Leben verdankt.«

»Und können Sie mir gar keine Andeutung geben, was aus dem wahren Boten geworden ist, wo ich ihn finden kann?«

Der Arzt schwieg; er kämpfte mit sich und überlegte, wie weit er seine Vermutungen enthüllen dürfe, ohne seinen Tukallah und der Bayadere geleisteten Eid zu brechen. Dennoch drängte ihn die Sorge, das ihm anvertraute unschuldige Wesen zu retten, sich um jeden Preis das Vertrauen des Maharadschah zu sichern.

»Hoheit,« sagte er endlich, »als ich von dem englischen Schiff am Ufer des Sindh entflohen war und den Weg durch die zahllosen Gefahren eines unbekannten Landes einschlug, Sie aufzusuchen, wurde ich am Rande des Thur von zwei jener indischen Mörder, die gleich Schlangen im Verborgenen ihr furchtbares Handwerk treiben, überfallen.«

»Sie waren in den Händen der Thugs, wenn ich Sie recht verstehe, und leben noch?« fragte mit Erstaunen der Prinz.

»Ein Wunder rettete mich, die Dazwischenkunft des Herrn dieser Burg. Könnte nicht auf gleiche Weise der Eilbote an Sie in die Hände der Mörder gefallen und ihm jenes Papier geraubt worden sein?«

»Aber wie kommt denn die Tänzerin in dessen Besitz?« Rasche Gedankenfolgen zuckten offenbar durch sein Gehirn und suchten das Rätsel zu lösen. Mißtrauisch maßen zweimal seine Blicke den Arzt, denn vertraut mit den Sitten und vielen Geheimnissen seiner Heimat, kamen seine Ideen der Wahrheit ziemlich nahe.

»Sie sagten soeben, Sir, daß Tukallah, oder Tantia-Topi, wie die Hindu ihn nennen, Sie aus den Händen der Mörder befreit hat. Geschah es durch Überfall oder Gewalt?«

»Tukallahs Ansehen,« erwiderte zaudernd der Deutsche, »scheint so groß in diesen Gegenden, sein Wort so gefürchtet, daß seine Gegenwart allein hinreichte, mich zu retten. Wenigstens sah ich keine Anwendung von Gewalt.«

»Und Anarkalli ist die Tochter Tukallahs, und rettete den Engländer?«

»Sie liebt ihn und hat ihn unglücklicher Weise in Gefahr gebracht. Doch, Hoheit, das ist alles, was ich Ihnen sagen darf – fragen Sie nicht weiter, ein doppelter Eid verschließt meine Lippen.«

»Ich weiß genug, Herr. Treffen Sie Ihre Anstalten, um mich sofort zu begleiten; ich werde Sorge tragen, daß die Haudah eines meiner Elefanten für Sie und die Person, die sie aus der Burg entfernen wollen, bereit ist. Diese Männer haben ihre Beratung beendet – ich muß sogleich meinen Entschluß verkünden.«

In der That schien der Derwar jetzt zur Einigkeit in den wichtigsten Beschlüssen gekommen und der Maharadschah nahm eine Pause wahr, um sich zu erheben und zu dem Herrn der Burg zu treten.

»Mögen die Geister der großen Krieger Hindostans aus vergangenen Jahrhunderten Euch beistehen, tapferer Serdar,« sagte er. »Srinath Bahadur ist ein Sohn Indiens und wird glücklich sein, das Land seiner Väter frei zu sehen, wenn er auch die weißen Faringi seine Freunde nennt. Damit er wisse, ob er es noch ferner thun kann, muß er sofort Deine Burg verlassen und eilig seinen Weg nach Bithoor richten. Ein böser Geist hat seine Seele eingenommen, und er darf nicht länger weilen unter seinen Brüdern.«

Der Serdar sah ihn befremdet und mißtrauisch an: »Du willst uns so plötzlich verlassen – jetzt und in dieser wichtigen Stunde?«

»Eine böse Ahnung treibt mich fort von hier – ich bitte Dich, tapferer Serdar, laß meine Leute benachrichtigen, daß sie sich bereit halten, binnen einer Stunde aufzubrechen. Das Feuer brennt die Sohlen meiner Füße, bis ich meinen Palast zu Bithoor erreicht habe.«

Die Ankündigung dieses plötzlichen, unter den obwaltenden Umständen so eigentümlichen Entschlusses rief eine allgemeine Bewegung unter den Mitgliedern des Derwar hervor und offen ertönte von mehreren Seiten der Ruf, man dürfe den Maharadschah nicht abreisen lassen, ohne daß er durch einen heiligen Eid sich ihnen verbunden. Er habe zu viel gehört und wolle sie jetzt den Engländern verraten.

Während dieser Sturm um ihn sich erhob, stand Srinath Bahadur mit verächtlichem Lächeln, die Linke auf den Griff seines Säbels gestützt, an den weißen Marmor des Grabmals gelehnt, und heftete fest seine Augen auf das finstere Antlitz seines Wirtes.

»Möge Baber-Dutt, mein Bruder,« befahl er in ruhigem Tone, »in die Höfe der Burg gehen und die Diener Srinath Bahadurs benachrichtigen, daß sie sich bereit halten, da unser Wirt die Pflicht gegen seinen Gast nicht zu kennen scheint.«

»Nimmermehr! laßt keinen sich entfernen! Tod dem Falschen, der uns zu verraten wagt!« ertönte es aus dem Kreise, der sich um den Wirt und Gast drängte.

Baber-Dutt zauderte, dem Befehle zu gehorchen.

Die Augen des Maharadschah erweiterten sich, wie die eines wilden Tieres, bei dem Widerstand, den sein Wille fand.

»Zur Thür, Baber-Dutt! und wehe dem, der Dich aufzuhalten wagt!«

Der Tiger stand zum Sprunge bereit, sich allein auf die Verwegenen zu stürzen, die es wagen sollten, seinem Befehl sich entgegen zu stellen. Seine Hand hielt den Griff des Säbels umfaßt, während um ihn her bereits Klingen im Schein der Fackeln und Lampen blitzten, die jetzt den Raum der Pagode erhellten.

Da warf sich der Mahratte zwischen die Streitenden.

»Zurück!« schallte seine mächtige Stimme, »niemand soll sagen, daß Tukallah unter seinem Dach den Gast beleidigen ließ oder seinen Willen beschränkte. Die Faringi mögen das Gastrecht schänden, nicht der freie Mahratte. Nena Sahib hat das Recht zu gehen, wie er gekommen und wird unser Vertrauen mit sich nehmen.«

Der Blitz in den Augen des Maharadschah verschwand, seine Hand ließ den Schwertgriff fahren. »Ich danke Dir, tapfrer Serdar,« sagte er kalt, »daß Du Srinath Bahadur Gerechtigkeit widerfahren lässest. Was mich eilig von Dir treibt, hat nichts mit den Dingen zu thun, die Ihr hier verhandelt. Tantia-Topi hat selbst so viele Geheimnisse, daß er auch die seiner Freunde achten wird! Laß den jungen Khan der Sikhs und den Franken-Hakim sich bereit halten, mich zu begleiten, und ich schwöre der edlen Maharani, daß ich selbst ihr Werk fördern will. Der Sohn soll der Mutter zurückgegeben sein als Beweis, daß Srinath Bahadur es treu mit Hindostan meint, noch ehe der Mond zweimal gewechselt, oder ich will den Tilluk von meiner Stirn reißen und der Hund eines Paria werden.«

Ohne ein Wort weiter an jene, die ihm mißtraut, zu verlieren, schritt der Indier-Fürst nach dem Thor der Pagode und trat in den Hofraum, wo die Diener bereits die Anstalten zur glänzenderen Wiederholung des Festes vom gestrigen Abend getroffen hatten.

Die Nachricht, daß der Maharadschah noch am selben Abend aufbrechen und seine Reise fortsetzen wollte, verbreitete sich schnell, und seine Begleiter eilten herbei, die Befehle des Gebieters in Empfang zu nehmen.

Rasch hatte der Serdar eine kurze Beratung mit der Königin von Lahore und den Vornehmsten des Derwar gepflogen, und der Beschluß lautete, daß der Khan und der Deutsche den Maharadschah begleiten sollten, um mit seiner Hilfe das Werk der Befreiung des jungen Prinzen zu unternehmen. Tukallah versuchte noch einmal, seinen Gast zu bewegen, bis zum andern Morgen sich Ruhe zu gönnen und dann in Begleitung des Prinzen und der Maharana die Reise nach den Ufern des Sedletsch zu machen, da der Maharadschah aber ungeduldig auf seinem Willen bestand und erklärte, daß er seinen Weg mitten durch die Wüste über das Arawalli-Gebirge nach Djeipur und Gwalior richten wollte, traf er alle Anstalten für die Abreise seines Gastes, wie sie ein höflicher Wirt nur bereiten kann. Der Glanz zahlreicher Fackeln erhellte die Höfe der Burg und den Felsenweg hinunter ins Thal, und Reiter standen bereit, den Zug des Maharadschah durch den Felsenpaß zu geleiten und ihn in der gewünschten Richtung weiter zu führen. Während ein rasches Mahl eingenommen wurde, flog ein Eilbote bereits auf flüchtigem Renner voran, um Pferde und Saumtiere auf dem Wege bereit zu halten, denn der Peischwa verlangte mit möglichster Schnelle zu reisen und wollte unterwegs den größten Teil seines Gefolges zurücklassen.

Sobald die Abreise des Nena entschieden war, hatte Walding die Miß davon in Kenntnis gesetzt und durch Kassim einen weiten Überwurf herbeischaffen lassen. Vergeblich aber war seine Hoffnung und sein Bemühen, sich des unheimlichen Dieners selbst bei dieser Gelegenheit zu entledigen. Der Thug erklärte, daß seine Pflicht geböte, ihm bis ans Ende der Welt zu folgen, und bis der Tod seinen Eid löse, und der Arzt mußte, um nicht den Argwohn des Mahrattenhäuptlings zu erregen, sich in die Notwendigkeit dieser Begleitung fügen.

An seinem Arm verließ das zitternde Mädchen, in die langen Feredschis oder orientalischen Obergewänder gehüllt, den Kiosk und betrat den innern Hof der Würgerburg, wo deren Bewohner und Gäste in dem bunten Treiben der Abreise versammelt waren.

Der Peischwa – denn diese Würde wurde ihm wenigsten von allen seinen Landsleuten zuerkannt, bewies, daß er trotz der Aufregung seiner Seele und der Besorgnis, die sie erfüllte, an den Arzt und seinen Schützling gedacht habe; denn kaum hatte er den Hof betreten, als der Wink Nena Sahibs ihm den Elefanten zuwies, dessen Haudah sie aufnehmen sollte.

Auf das Zeichen des Mahoud beugte das mächtige Tier die Kniee der plumpen Vorderfüße, die Leiter wurde angesetzt, und von dem Arzt unterstützt, bestieg Miß Editha die Haudah.

In diesem Augenblick kam der Serdar heran und winkte ihr zu verweilen.

Das Herz in der Brust des Arztes hörte auf zu schlagen – ein Wort, ein Blick konnte Verderben werden.

Vergeblich versuchte er, dem Burgherrn in den Weg zu treten und ihn mit Worten des Dankes zu beschäftigen, dieser hatte aber offenbar die Absicht, mit der falschen Bayadere selbst zu sprechen, und als er an der Seite ihres Tieres stand, winkte er ihr zu, sich zu ihm herab zu beugen.

»Die Granatblüte,« sagte er zu dem zitternden Arzt, »soll nicht bloß die Freude Deines Leibes, sondern wird auch die beste Helferin Eures Unternehmens sein. Sie ist schlau und gewandt und kennt meinen Willen. Ehe ein Mond vergeht, werden wir uns Wiedersehen, denn die Zeit ist nahe, wo das Erbe Dyce Sombres seine Freunde versammeln wird. Nimm diesen Beutel mit Gold, Weib, und thue, wie Dir's befohlen.« Er fügte einige Sätze in einer dem Deutschen unverständlichen Sprache hinzu und reichte ihr den Beutel.

Zu Waldings Erstaunen und Freude hatte die junge Engländerin die Geistesgegenwart, nach der Sitte der Indier den Salem vor ihrem Gebieter zu machen, indem sie die Hand an Brust und Stirn legte, und sie dann auszustrecken zur Empfangnahme des Geschenks.

Da ließ ein tückischer Zufall, ein wehender Luftzug die Falten des weiten Feredschi von dieser Hand und dem Vorderarm gleiten.

Der Blick des Serdar fiel auf deren blendende Weiße – befremdet, mißtrauisch trat er zurück und öffnete den Mund zu dem Befehl an die Bayadere, sich zu entschleiern.

Der Beutel mit Gold fiel klirrend zu Boden.

Alles war verloren!

Zum Glück wachte das Auge seines neuen Beschützers über dem gefährdeten Paar. Der Maharadschah sah, daß irgend eine Gefahr drohte und rasch die silberne Pfeife, die er nach der Sitte vornehmer Hindus an einer Schnur zum Ruf der Diener trug, ergreifend, gab er mit schrillem Ton das Signal zum Aufbruch.

Walding hatte das Gold vom Boden gerafft und sprang auf den Rücken des Elefanten. Die Geistesgegenwart der Lady hatte im Augenblick die verräterische Hand wieder unter den Falten des Gewandes verborgen und den Salem wiederholend zog sie sich zurück in das Innere der Haudah. Das mächtige Tier erhob sich, und der Serdar trat zurück, im Glauben, daß das zitternde Licht der Fackeln seine Augen getäuscht.

Durch die Wölbungen des Thores, über die Balken der Zugbrücke donnerten die schweren Tritte der gewaltigen Tiere, die Hufschläge der Rosse.

Aber erst als die Felsenwände des Passes hinter ihnen, und im bleichen Licht des Mondes die weiten Flächen der Thur vor ihnen lagen, fühlte des Deutschen Herz sich der schweren Last entledigt und der Gefahr entronnen, und mit einer unwillkürlichen Bewegung preßte er die Hand der Geretteten im Dank gegen den Allmächtigen an seine Brust.


Der nächtliche Weg, den die kleine Karawane des Maharadschah durch die Wüste nahm, erstreckte sich in derselben Richtung, welche am Morgen die beiden Flüchtlinge eingeschlagen hatten.

Die Bayadere hatte, durch die warnenden Schüsse des Khans aufmerksam gemacht auf die Rückkehr des Serdars und seiner Gäste, bald bemerkt, daß schon nach kurzer Zeit Anstalten zu ihrer Verfolgung getroffen wurden.

Der Vorsprung, den sie bereits gewonnen, war indes bedeutend, und die Flüchtlinge waren eifrig besorgt, ihn unverkürzt zu erhalten, ohne ihre Pferde allzu heftig anzustrengen. Anarkalli wußte, daß ihre Pferde mindestens das Gleiche zu leisten vermöchten, wie die Rosse der Verfolger, ja daß der Turkomanenhengst, den der Edelmut des Khan ihnen gegeben, allein mit leichter Mühe seinen Reiter aus dem Gesichtskreis der Mahratten tragen könne. Aber es wäre gänzlich zwecklos gewesen, sich zu trennen, und sie sah ein, daß die Jagd eine sehr langwierige werden würde, und daß sie erst im Dunkel der Nacht Hoffnung hätten, ihren Feinden zu entkommen, wenn die Kraft der Pferde bis dahin aushielt.

Ein Manöver ihrer Verfolger nötigte sie jedoch von der Richtung, die sie anfangs direkt nach Osten genommen, um den nähern Rand der Wüste nach jener Seite zu gewinnen, abzuweichen, und sich weiter nach Süden hin in die traurigen Einöden der Thur zu vertiefen. Den ganzen Vormittag ging, trotz der steigenden Sonnenglut, ihr Ritt in jener Richtung und der Scharfsinn des Mädchens fand Mittel, aus einem Teil ihrer Gewänder und wilden Pflanzen, die sie antrafen, schützende Hüllen für sich und den Geliebten gegen den Sonnenstich zu bereiten. Mit Schrecken jedoch bemerkte sie, daß dieser bald nur mit Mühe sich im Sattel zu halten vermochte.

Die Leiden der vorhergegangenen Tage und Wochen, die Entbehrung jeder Nahrung seit 24 Stunden, der Schmerz der erhaltenen Verletzung endlich vereint mit der drückenden Hitze, hätten auch eine kräftigere Natur als die des jungen Offiziers überwältigen müssen. Trotz seiner Anstrengungen, sich aufrecht zu erhalten, schwankte er auf dem edlen Pferde, das ihn trug, und die Bayadere sah voraus, daß er nicht lange mehr sich würde aufrecht erhalten können, wenn es nicht gelänge, ihm Ruhe und Erfrischung zu schaffen.

In diesem Augenblick, als sie bereits daran dachte, das Blut ihrer Adern dem Geliebten zum Trunk aufzunötigen, fielen ihre Augen auf ein niederes Gestrüpp, an dem sie eben vorbeijagten. Schon stieg vor ihnen die Kette des Gebirges auf; ihre Renner mußten sie mindestens fünfzig englische Meilen von der Burg der Thugs entfernt haben. Mit einem Freudenruf hielt das Mädchen ihr Roß an, sprang aus dem Sattel und rief ihrem Begleiter zu, inne zu halten. Dann half sie ihm vom Pferde, legte ihn sanft auf den heißen Erdboden und bereitete von den Resten ihres Schleiers ihm eine Schirmwand gegen die Sonnenstrahlen. Der Blick auf das Gestrüpp hatte ihr gezeigt, daß hier jene Kaktusart wuchs, welche die Eigentümlichkeit hat, in ihren großen kelchartigen Blättern den Nachttau des Himmels und die Feuchtigkeit der Luft aufzusaugen, und zu einem reinen, süßen und stärkenden Saft destilliert tagelang in ziemlich bedeutender Menge zu bewahren. Diese von der Hand des Allmächtigen in die Ödeneien der Wüste verstreute Pflanze ist oft die einzige Hilfe und Rettung von Menschen und Tieren; denn außer der erfrischenden Feuchtigkeit, die sie in Gegenden bietet, wo oft Tagereisen weit keine Spur von Wasser anzutreffen ist, ist das zarte, süße Fleisch ihrer Blätter und Stengel eine Lieblingsnahrung der Tiere und wird auch von den Reisenden selbst genossen.

Indem die Tänzerin bei der Entdeckung dieses Hilfsmittels ihre Augen zugleich über den Horizont schweifen ließ, erkannte sie, daß sie Wohl eine Stunde Zeit vor sich hätten, ehe ihre Verfolger, die sich in einem weiten Halbkreis in Abteilungen von zwei und drei Mann geteilt und sie so einzuschließen versucht hatten, nahe genug auf ihren gewiß erschöpften Pferden herankommen konnten, um ihnen gefährlich zu werden.

Rasch entschlossen entschied sie sich dafür, hier eine notwendige Rast zu machen und die Annäherung der Feinde bis auf einen gewissen Punkt zu erwarten, um ihnen dann mit den einigermaßen ausgeruhten Pferden aufs neue zu entfliehen.

Sie öffnete daher diesen den Zaum und ließ sie an den Stauden der Kakteen sich Nahrung suchen, während sie eine Anzahl der Blätterkelche mit der tauigten Flüssigkeit sammelte, um den Erschöpften damit zu stärken.

Nicht eher, als bis dies vollständig geschehen, gestattete sie ihren eigenen Lippen, gleichfalls sich zu erfrischen. Sie bat den Offizier, sich der Ruhe zu überlassen, mit dem Versprechen, ihn zur rechten Zeit zu wecken und setzte sich an die Seite des fast im Augenblick Entschlafenen, das Näherkommen ihrer Feinde zu beobachten.

Dies verzögerte sich länger, als sie zu hoffen gewagt, da die Diener Tukallahs wegen des plötzlichen Verschwindens der Flüchtlinge aus ihrem Gesicht langsamer und mit größerer Vorsicht sich dem Punkte näherten, wo sie dieselben zuletzt bemerkt. Es mochte eine volle Stunde verflossen sein, als Anarkalli ihren Schützling weckte und die Pferde herbeiführte. Die Reiter des Serdars waren kaum noch zwei englische Meilen entfernt und kamen nun so schnell heran, als es der Zustand ihrer abgetriebenen Pferde erlaubte, da sie ihre Opfer jetzt wieder entdeckt hatten.

Noch einmal erfrischte die Tänzerin ihren Schützling mit dem Wasser der Pflanzen, half ihn auf den Renner des Khans und schwang sich dann auf den ihren. Ein verächtliches Schwingen ihrer Hand in der Luft gegen die Verfolger wurde von diesen mit wildem Geschrei und dem nutzlosen Abfeuern mehrerer Flinten- und Pistolenschüsse erwidert, dann ließen sie ihre Rosse den Zügel fühlen und jagten aufs neue davon.

Aber sie hatten noch kaum hundert Schritt zurückgelegt, als die Bayadere mit Entsetzen bemerkte, daß ihr Pferd stark auf dem einen Fuß lahmte. Trotz alles Antreibens wurde das Übel von Minute zu Minute stärker, es blieb hinter seinem Gefährten zurück und endlich mit schmerzlichem Wiehern ganz stehen.

Leutnant Sanders hielt sogleich sein Pferd an und frug nach der Ursache des Verweilens.

»Ein böser Geist ist in dem Fuß meines Rosses,« erklärte die Tänzerin, »sein Huf muß verletzt sein und einen der großen Dornen der Dschungel oder einen spitzen Stein eingetreten haben.« Sie war bereits am Boden und überzeugte sich von der Richtigkeit der ersten Vermutung, aber zugleich auch, daß die Verwundung so bedeutend war, daß das Tier den Lauf nicht weiter fortfetzen konnte.

»Lakschmi Die Göttin des Glücks. ist wider uns,« sagte sie hastig, »wir müssen uns trennen! Fliehe, o Faringi, dem Aufgang der Sonne zu, und gedenke des Hindumädchens, das Dich geliebt bis zum Tode!«

Ihre Hand deutete ihm die Richtung der Flucht – ihr großes dunkles Auge hing noch einmal mit leidenschaftlichem Blick an seiner geliebten Gestalt.

Aber der Offizier, statt nach ihrem Willen das Pferd anzutreiben zum weitern Lauf, machte Anstalt, seinen Sitz zu verlassen. »Du mußt wenig wissen von der Ehre eines britischen Offiziers, Mädchen,« sagte er in bestimmtem Tone, »wenn Du glaubst, Stuart Sanders würde seine Lebensretterin feig verlassen. Wenn wir nicht zusammen fliehen können, werden wir zusammen sterben.«

Sie hielt ihn zurück, sie beschwor ihn mit Thränen, der Schnelligkeit seines Rosses zu vertrauen und sich zu retten.

»Nicht ohne Dich, Anarkalli,« erklärte der junge Mann mit ritterlichem Entschluß. »Schwinge Dich auf die Kruppe meines Pferdes, es ist stark genug uns beide zu tragen. Weigerst Du Dich, bei meiner Ehre! ich fliehe keinen Schritt weiter.«

Eine Flintenkugel, die über sie hinwegstrich, verstärkte seine Worte, das Triumphgeschrei der Verfolger tönte laut in ihre Ohren.

Da sprang die Tänzerin mit einer raschen Bewegung auf das Pferd. »Fort! Fort! und Cardikaia möge uns helfen!« und den Geliebten gegen die wiederholten Schüsse mit dem eigenen Körper deckend, spornte sie den Renner mit der Spitze ihres Dolches; weit aus griff das edle Tier zum gewaltigen Lauf und trug bald die Doppellast aus dem Bereich ihrer Feinde.

Von neuem begann die wilde Hetze. Von den zehn Reitern Tukallahs vermochte nur noch die Hälfte die Verfolgung fortzusetzen, die jetzt in gerader Linie den emporsteigenden Bergwänden zuging. Auch diese letzten Verfolger konnten nur mit Anstrengung die übertriebenen Pferde weiter bringen. Sie warfen die Flinten und Lanzen, zuletzt selbst die Pistolen fort, um sich zu erleichtern und folgten, nur den Säbel in der Faust, in Zwischenräumen, je nach der Kraft ihrer Rosse, den weit voraus sprengenden Flüchtlingen.

Anarkalli erkannte die Absicht, in der ihre Gegner sie nach dieser Richtung verdrängt hatten. Ein Zweig des Arawalli-Gebirges erhob sich in kühnen, unzugänglichen Massen vor ihnen, und am Fuß dieser Berge dehnten sich Moräste und Sümpfe aus.

Schon geraume Zeit wand ihr Lauf sich zwischen diesen Sümpfen hin, und wie ermüdet auch die Pferde ihrer Verfolger, und wie weit sie ihnen auch vorausgekommen waren, so erkannte das Mädchen doch, daß auch ihr Turkomanenhengst nicht länger die doppelte Last zu tragen vermöge und die Entscheidung herannahe.

Endlich erblickten sie sich auf einer schmalen Felsenenge, die zwischen tiefen Sümpfen zu einer breiten Lagune und über diese hinweg zu einer hohen Bergwand führte, vor der sich eine mit indischen Fichten bewachsene Strecke Landes im Halbkreis ausdehnte, so daß sie von Sumpf und Bergen eingeschlossen und kein Ausgang sichtbar war. Umzukehren und einen anderen Weg zu suchen war nicht mehr möglich, denn zwei der Reiter des Serdar folgten ihnen jetzt in der Entfernung von etwa fünfzehnhundert Schritt.

In die mit wildem Gebüsch und Schlingpflanzen bewachsene Bergwand schien eine enge Schlucht oder Spalte zu führen, und am Eingange derselben erkannten sie jetzt die große Gestalt eines Mannes mit langem weißen Bart, phantastisch in Lumpen und Tierhäute gekleidet. Seine Füße waren nackt, und in der Hand trug er einen keulenartigen Ast oder Baum.

»Lakschmi sei gelobt!« rief das Mädchen, indem es das Roß auf die seltsame Erscheinung zutrieb. »Das muß Fair-Eddin, der heilige Einsiedler der Sümpfe sein, der Raô der Krokodile! Laß uns seinen Schutz erflehen!« Sie warf sich von dem wankenden Pferde, half ihrem Gefährten herunter und zog ihn nach dem Bewohner dieser Wüstenei hin.

Der Greis hatte mit wilden Blicken die Scene und die Herankommenden betrachtet. Ein unheimliches fanatisches Feuer glühte in seinen geröteten Augen, als er jetzt mit nerviger Faust die Keule durch die Luft schwang.

Jetzt erst konnte der Offizier bemerken, welche furchtbare Waffe dieselbe abgab. Das untere Ende des jungen Baumes, denn aus einem solchen bestand die Keule des Fakirs, bildete noch der dicke Wurzelknoten, durch den lange starke Eisenspitzen geschlagen waren, so daß er einem altertümlichen Morgenstern glich.

»Fluch über Dich, Tochter des bösen Geistes! Weißt Du nicht, daß kein Weib sich der Hütte Fair-Eddins, des Einsiedlers, nahen darf? Entweiche zur Stelle mit dem Ungläubigen von hier, ehe meine Keule Euer Hirn verspritzt, oder die Stimme meine Kinder ruft, daß sie Euch verschlingen!«

Der Engländer wollte seine treue Gefährtin aus der gefahrbringenden Nähe des wahnwitzigen Fanatikers hinwegziehen, um lieber kämpfend gegen seine Verfolger den Tod zu finden, aber Anarkalli riß sich von seiner Hand los, flog furchtlos auf den Grimmigen zu und umfaßte seine Kniee.

»Vater,« rief sie, »Wischnu ist gnädig, der mich in meiner höchsten Not Dich den Totgeglaubten, Verlorenen, finden läßt; rette mich und jenen Mann, dem meine Seele gehört, vor unseren Verfolgern!«

Der Fakir ließ bei diesem Anruf die erhobene Keule sinken. »Wer nennt mich Vater mit einer Stimme, die aus dem Grabe vergangener Zeiten tönt?« fragte er mit melancholischem Ausdruck. »Wer bist Du, Weib, – die mich an Vergangenes mahnt?«

»Bei dem Andenken Deines Weibes, meiner Mutter, – obschon sie Deine Liebe nicht verdiente! Du bist Araban, der Brahmine, und ich bin Anarkalli, das Kind, das Du auf Deinen Armen getragen und das die Freude Deines Herzens war, bis zu jenem Tage, da die Faringi Dein Weib beschuldigten, eine Thug zu sein und sie hinrichteten. Willst Du mich sterben sehen zu Deinen Füßen?«

Fair-Eddin, der Einsiedler, strich mit der Hand über seine Stirn, als wolle er seine Gedanken sammeln. »Deine Stimme ist die des Kindes der Falschen und Deine Augen leuchten wie die Blüte der Granate. Aber Araban, der Wächter des Tempels von Hadramaut, ist tot und Fair-Eddin allein weilt unter den Lebendigen! Willst Du Dein Leben von dem, der seit langen Jahren selber mit Sehnsucht des Todes harrt? Ich habe andere Kinder als Dich, und sie sind gehorsam meiner Stimme, während Du flohst aus der Hütte dessen, der Dich genährt mit seinem Herzen.«

Das Herbeikommen der Reiter Tukallahs unterbrach seine Rede. Sie stürmten mit wildem Geschrei, die Säbel schwingend, heran.

»Fort mit Euch in jene Höhle und schließt hinter Euch die Thür. Nehmt Euer Roß mit Euch, meine Kinder sind hungrig!«

Ohne ein Wort weiter zu entgegnen, zog Anarkalli, den Zügel des Rosses haltend, dieses und den Offizier nach dem Eingang der Höhle, die sich in die Bergwand öffnete. Eine leichte Thür, von Weiden und Schlingpflanzen geflochten, bildete die Pforte und einen sehr zweifelhaften Schutz, als sie in den gewölbeartigen Raum der Höhle eingetreten waren, die bei dem sinkenden Licht des Tages nur eine spärliche Helle durch die Spalten der Thür und durch eine Lampe erhielt, die im Hintergrund vor einer mit einem grünen Vorhang verhangenen Nische brannte.

Stuart Sanders, der sich des Dolches der Tänzerin bemächtigt hatte, blieb an der Thür stehen, die Scene vor dem Eingang zu beobachten, und entschlossen, den ersten, der es versuchen würde, in die Höhle einzudringen, niederzustoßen.

»Was wollt Ihr auf der Insel Fair-Eddins?« fuhr der Einsiedler die heranstürmenden Reiter rauh an, indem er wiederum seine mächtige Keule schwang. »Wer wagt es, mein Gebiet solcherweise zu betreten?«

»Heiliger Mann,« sagte der Schobedar, »verzeih' unserer Eile, aber wir sind auf Befehl unseres Herrn, des mächtigen Serdars der Malanger-Burg, Tukallahs, des Mahratten, in der Verfolgung zweier flüchtiger Verbrecher begriffen, die Deinen Schutz nicht verdienen. Gieb sie heraus, frommer Einsiedler, kein Haar auf Deinem Haupte soll gekrümmt werden.«

»Fort mit Dir, feiger Sklave eines blutigen Gebieters. Kehre zurück zu Deinem Herrn und sage ihm: wer das Kleid des Königs der Gepanzerten berührt, stehe unter seinem Schutz.«

»Fakir, widersetze Dich nicht vergeblich unserem Willen,« sprach der Anführer der Reiter, deren Zahl bereits auf vier angewachsen war. »Du bist ein Greis und kannst die Flüchtlinge nicht gegen eine überlegene Zahl verteidigen. In wenig Augenblicken werden zehn Reiter mir zur Seite stehen! Wir müssen den Mann und das Weib haben um jeden Preis, tot oder lebendig!«

»Der Fluch Yamas über Dich, wenn Du es wagst, meinem Worte ungehorsam zu sein! Die Folgen kommen über Dich!«

»Was sollen wir uns mit dem alten Thoren streiten,« rief einer der Reiter, ein Mohammedaner und der wildeste von allen, indem er vom Pferde sprang, »indes uns vielleicht die sichere Beute durch eine seiner Listen entrissen wird. Vorwärts, Brüder, und seine Schuld ist es, wenn ihm Unheil widerfährt.«

Während die anderen noch zauderten, Hand an den durch ihren Glauben geheiligten Fanatiker zu legen, sprang der Moslem vorwärts.

Der Fakir schwang mit einem grimmigen Ruf seine Keule. Zugleich brachte er eine kurze Rohrpfeife, die er in seinem Gürtel trug, an die Lippen und blies einen schrillenden, lang gezogenen Ton darauf.

Er war noch nicht verklungen, als das trübe, schlammige Wasser der Lagune umher an sechs verschiedenen Stellen emporwallte, und Töne sich hören ließen, wie das Zusammenklappen harter Bretter.

Aus den Schlammkreisen erhoben sich sechs scheußliche Riesenhäupter, schlugen die langen, spitzen Kinnladen mit jenem Geräusch aufeinander, und stierten mit den großen, gläsernen Augen umher.

Wiederum scholl, während der Angreifer erstarrt zurückwich, der schrille Ton der Rohrpfeife in anderer Modulation.

Das schlammige Wasser spritzte empor, während sechs gewaltige Leiber herausschossen und auf den kurzen breiten Schwimmfüßen wie auf gemeinsames Kommando ans Ufer rannten.

Sechs riesige Krokodile öffneten ihre gewaltigen Zahnreihen gegen die Feinde ihres Gebieters. Nicht etwa phantastische Übertreibung! Es existiert in der Tat in Indien ein solcher Teich, dessen scheußliche Bewohner auf das Zeichen des an seinem Rande wohnenden Fakir an's Ufer kommen, wie die Hunde zu gehorchen gewöhnt sind und häufig Fremden gezeigt werden.

Der unglückliche Moslem sah zu spät die furchtbare Gefahr ein, in die er sich gestürzt; er suchte vergeblich sein Pferd zu erreichen, das erschreckt nach dem Felsendamm zurückrannte, wohin bereits die anderen Reiter geflüchtet waren. Die nächste der riesigen Eidechsen verrannte ihm den Weg, ein Schlag mit dem schuppigen Schwanz traf ihn und warf ihn zur Seite, im nächsten Moment hatte sich das Krokodil gewandt, sein langer Rachen schnappte nach dem Unglücklichen, erfaßte ihn um die Mitte des Leibes, und unter dem Jammergeschrei des Mannes verschwand das Ungeheuer mit seiner Beute in der trüben Flut der Lagune.

Die fünf anderen Krokodile hockten auf den Ton der Pfeife wie Hunde umher, und ließen ihre Kinnladen mit jenem scheußlichen Ton auf- und niederklappen. Der Einsiedler holte von dem Stamm einer Fichte mehrere dort aufgehängte halb verweste Stücke Fleisch und warf sie den grimmigen Eidechsen zu, die wild durcheinander schossen und um die Nahrung sich balgten und bissen. Als eines der Ungeheuer dabei dem Fakir zu nahe kam, versetzte er ihm einen gewaltigen Schlag mit seiner Stachelkeule, worauf es mit einem Laut, der wie Kindergeschrei klang, davon huschte.

Mit Staunen und Entsetzen hatte der britische Offizier dies Schauspiel durch die Spalten der Thür mit angesehen; er konnte sich des Schauders nicht erwehren, obschon ihre Rettung dadurch gesichert ward.

Der Abend war indes herangekommen und die Dunkelheit trat mit der Schnelligkeit ein, die in den Tropengegenden den Übergang der Dämmerung fast ausschließt. Der Fakir, unbekümmert um die kämpfenden Ungeheuer, trat an den Rand des Felsendammes und schaute aufmerksam umher. Dann erst öffnete er die Thür der Hütte und betrat die Höhle, die ihm zur Wohnung diente.

»Eine Lüge würde über die Lippen Fair-Eddins gehen,« sagte er finster, nachdem er eine große eherne Lampe von antiker Form angezündet und an einer von der Decke der Höhle hängenden Kette befestigt hatte, »wenn ich, wie der Wirt den Gastfreund, Dich willkommen heißen wollte, o Faringi! Doch hast Du Dich in meinen Schutz begeben, und er soll Dir und jenem Mädchen werden. Nehmt das wenige, was an Speise und Trank vorhanden ist, indes ich Dein Lager bereite. Für diese Nacht seid ihr sicher, denn die Kinder des Sumpfes bewachen den Eingang und wehe dem, der sich ihnen im Dunkeln zu nahen wagt.«

Er nahm aus einer Nische der Wand eine Schale mit Honig, Früchten und Maiskuchen und setzte das einfache Mahl mit einem Kruge Wasser auf einen Felsblock. Er selbst begnügte sich mit einer Hand voll getrocknetem Reis.

Die Bayadere war unterdes auf alle mögliche Weise bemüht, die Lage ihres Geliebten zu erleichtern. Sie untersuchte seinen Arm, befestigte den Verband aufs neue und kühlte die Geschwulst mit Wasser. Der Fakir sah ihr schweigend zu, dann erhob er sich, ging hinter den Vorgang am Ende der Höhle, und kam mit einer Flasche zurück, die mit einer hellen, durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.

»Es ist thöricht, daß ich das Wasser des Lebens verschwenden will an einen Ungläubigen,« sagte er, indem er die Flasche sorgfältig entkorkte und einen kleinen Teil der Flüssigkeit in eine Schale goß, »aber die Söhne der Dämonen verdienen, daß ihnen ihr Opfer entzogen werde, weil sie selbst an der Heiligkeit dieser Freistätte gefrevelt. Feuchte das Tuch mit diesem Wasser, das von der Hand guter Geister in der Nacht des Wischnufestes aus der heiligen Quelle auf der Höhe des Dhawalagiri geschöpft ist, dessen Spitze noch kein menschlicher Fuß betreten hat. Jeder Tropfen ist wie der Tau des Himmels und heilt die Wunden.«

Das Mädchen that, wie der Greis befohlen, und befeuchtete den kranken Arm. Dann goß der Einsiedler noch einmal von dem Wasser in die Schale und streute ein Pulver hinein, das ein leichtes Aufbrausen verursachte.

»Trink,« sagte er, indem er dem Engländer die Schale reichte, »und mit Wischnus Segen wird morgen jede Spur des Fiebers gewichen sein. Trink, Hund von einem Faringi!« wiederholte er wild und griff nach seiner Keule, als der Leutnant einige Augenblicke mißtrauisch zauderte. »Trink, oder ich zerschmettere Deinen Kopf! Wagst Du es, den heiligen Zauber zu verachten, der in diesem Wasser wohnt, übermütiger Christ?« Seine Augen glühten in wahnwitzigem Zorn auf, so daß der Offizier auf jede Gefahr hin, sich beeilte, den Trank zu verschlucken.

Sogleich legte sich der Zorn des Fakirs, und er zeigte sich bemüht, für seinen Gast ein Lager zu bereiten. Einige Tierfelle wurden in einer Seitenhöhle, wohin auch das Pferd, nachdem es getränkt und mit Maiskörnern gefüttert war, gebracht worden, ausgebreitet, und hier hieß der Herr der Höhle seinen Gast Platz nehmen. Sanders fühlte eine behagliche Wärme durch seine Adern sich ergießen und zugleich eine große, aber nicht unangenehme Mattigkeit seine Augenlider sinken machen. Eine kurze Zeit noch, nachdem er sich auf dem Lager ausgestreckt, horchte er auf das klappernde Geräusch der Kinnladen der Krokodile vor der Hütte und ihr Geschrei, sowie auf die Rede des Fakirs, der in einem ihm unbekannten Dialekt in der größeren Höhle mit der Tänzerin sprach. Dann verschwammen die bunten Gestalten und Erlebnisse des vergangenen Tages zu einem wirren Bilde und ein tiefer wohlthätiger Schlaf überwältigte seine erschöpften Sinne.

Es war bereits mehrere Stunden nach Sonnenaufgang, als ihn die Berührung der Hand Anarkallis weckte.

Er fuhr aus seinem Schlafe empor und fühlte sich überaus wohl und gekräftigt, die Schmerzen an seinem Arm waren verschwunden, und er sprang rasch von seinem Lager, auf dem er sich in die Mitte seiner Kameraden zu Cawnpur geträumt hatte.

Es bedurfte in der That eines kurzen Besinnens und eines Blickes auf die Felsenwände der Höhle und in das besorgte Antlitz seiner schönen Beschützerin, um sich seine Lage und die drohenden Gefahren zurückzurufen.

»Es ist Zeit, daß wir uns zum Aufbruch rüsten,« sagte die Bayadere, »neues Unglück ist auf unseren Fersen, und Krischna möge uns Kraft und Mut geben, ihm zu widerstehen.«

Erst jetzt, als er sie näher betrachtete, bemerkte der Offizier, daß das Mädchen Männerkleidung trug. Ein Turban verhüllte ihre schönen Haarflechten und in ihrem Gürtel steckten Pistolen und Dolche. Gleiche Waffen hielt sie für ihn in der Hand, und auf dem Boden lag eine ähnliche orientalische Kleidung wie die ihre.

»Was ist geschehen? Wie kommst Du zu diesen Kleidern?« fragte der Engländer.

»Die Reiter Tukallahs,« berichtete die Bayadere, »haben sich um den Ausgang der Moräste verteilt und bewachen ihn auf allen Seiten, um unsere Flucht zu hindern, denn sie wissen, daß diese Felsen unübersteiglich sind. Sie haben zwei der Ihren zurück in die Wüste gesandt, um Hilfe herbei zu holen. Ehe diese zurückkehren, müssen wir noch einmal der Kraft unseres Pferdes und der gütigen Göttin vertrauen. Fair-Eddin, der Einsiedler, ist mein Vater, wenn auch nicht mein Erzeuger! Glücklich waren die Tage, als ich unter seinen Augen noch an den Ufern des Sudledsch lebte. Erst der Tod meiner Mutter, der Thug, gab ihm Kenntnis, daß sie ihn hintergangen. Er verstieß mich und zog sich zurück in die Tiefen der Einöde, in frommen Betrachtungen den Übergang zu seinen Wandlungen zu erwarten. Längst schon glaubte ich ihn tot. Meine Bitten haben sein Herz gerührt, und er hat versprochen, unsere Flucht zu sichern. Diese Waffen und diese Kleider hat er uns aus den Vorräten gegeben, welche die wandernden Stämme, die ihn verehren, in diesen unterirdischen Höhlen niederlegt haben. Lege die Gewänder so rasch wie möglich an, indes ich das Pferd, welches uns tragen muß, bereit halte.«

Als sie sich hierauf entfernt, vertauschte der Offizier nicht ungern seine Kleidung, die sich in einem höchst traurigen Zustande befand, mit den bequemen orientalischen Gewändern und stand bald in der Tracht eines Wüstenreiters da.

So trat er in die größere Höhle, wo Anarkalli seiner mit einem Brei von Mais harrte. Fair-Eddin war nicht in der Höhle, aber der Engländer hatte kaum sein kärgliches Mahl beendet und Zügel und Gurt seines Pferdes untersucht, als der Einsiedler hereinstürzte.

»Fort mit Euch!« rief er, »warum zögert Ihr, wenn das Unheil auf Euren Fersen ist? Eure Feinde haben Beistand gefunden in der Wüste, und kommen heran, Euch zu fangen! Fort, ehe sie jeden Weg durch die Sümpfe versperrt haben!«

Der junge Krieger ergriff sogleich den Zügel seines Pferdes, es aus der Höhle zu ziehen und die Flucht zu versuchen, Anarkalli aber eilte ihm voran zum Eingang, und warf einen Blick über die Gegend umher.

»Es ist bereits zu spät,« sagte sie, »die Reiter haben den Zugang des Dammes besetzt und breiten sich nach allen Seiten aus. In wenigen Augenblicken werden sie vor der Thür und wir demnach verloren sein, wenn Du uns nicht nochmals errettest, Vater.«

In der That hatte einer der ausgesandten Boten in der Wüste einen Trupp umherschweifender Beludschen angetroffen und die wilden Krieger durch Versprechungen bewogen, ihnen Beistand zu leisten. Der Trupp hatte zahlreiche Posten um den Zufluchtsort der Verfolgten aufgestellt und nahte sich vorsichtig und langsam auf dem gewöhnlichen Pfad über die Lagune, deren Tiefe die furchtbaren Gegner verbarg, die am Abend vorher sie in die Flucht geschlagen.

»Rufe die Krokodile, alter Mann, oder es wird zu spät,« flehte die Tänzerin. »Schon haben sie die Hälfte des Weges erreicht!«

»Was hilft es, daß ich meine Kinder auf die Verfluchten Hetze,« murrte der Greis. »Der Knall der Feuerwaffen in ihrer Hand wird sie erschrecken und zurück in die Sümpfe jagen! Indes gelingt es vielleicht, sie aufzuhalten; denn ich möchte nicht das letzte Mittel anwenden, das mir bleibt, obschon Ihr mein Brot gegessen habt und ich Euch retten muß um jeden Preis.«

Er ergriff seine Keule und verließ wiederum die Höhle, wo der Leutnant unterdes, so gut der Gebrauch des einen Armes es ihm erlaubte, die erhaltenen Waffen in Stand setzte.

Gleich darauf hörten sie die Rohrpfeife des Fakirs seine furchtbaren Wächter herbeirufen, und das klappernde Geräusch ihrer Kinnbacken verkündete alsbald, daß die grimmigen Eidechsen auf ihren Posten waren.

Auch die Reiter hatten ihre Feinde erblickt und rückten, schußfertig die Flinten in der Hand, mit Geschrei heran, während Fair-Eddin die Keule um sein Haupt schwang und mit lautem Geheul einen wilden Tanz begann, gleich als wollte er die Bestien dadurch zum Widerstande ermuntern.

Der Offizier und das Mädchen beobachteten die furchtbare Scene durch die Spalten der Thür.

Die Diener des Serdar und ihre Genossen schienen jedoch sehr wohl zu wissen, daß sie in solcher Anzahl und beim hellen Lichte des Tages weniger von den grimmigen Reptilen zu fürchten hatten, und kamen näher und näher.

»Söhne unreiner Tiere,« heulte der Fakir, »wollt Ihr es nochmals wagen, die Wohnung des Friedens zu verletzen? Der Fluch des Himmels ist über Euren Häuptern, und wird Euch vernichten, ehe Ihr es ahnt!«

»Wir wollen nichts von Dir und haben nicht im Sinne, Dich zu kränken,« rief der Schobedar, »aber sei weise, wie Dein weißes Haar es gebietet, und gieb uns die Fremdlinge heraus, die gestern bei Dir Schutz gefunden.«

Der Fakir stieß ein höhnendes Gelächter aus. »Schau auf die Wolke, die über den Himmel zieht. Weißt Du, woher sie gekommen und wohin sie geht? Der wilde Pfau verkündet dem Baum nicht, auf dem er sich niedergelassen, wohin sein Flug geht. Such ihre Spuren in der Wüste. Ein Narr ist, wer die Fährte seines Feindes kalt werden läßt.«

»Deine Ausflüchte helfen Dir nichts,« erwiderte unwillig der Mahratte. »Wir haben den Fels und die Sümpfe bewacht, und wissen, daß sie nicht entflohen sein können. Rufe die Krokodile fort, wir möchten ihnen nichts zu Leide thun, obschon sie sich verschuldet haben, denn wir wissen nicht, ob nicht die Seelen unserer Verwandten in ihren Leibern wohnen! Der Aberglaube der Indier versetzt die Seelen ihrer verstorbenen Verwandten bei den neun Wanderungen, die sie nach ihrer Religion nach dem Leben noch durchzumachen haben, namentlich gern in die Körper der Tiger und Krokodile. Er tötet daher auch selten die Bestie, ehe sie nicht Menschenfleisch genossen. Dann sagte er: » ad hala« (er hat sich verschuldet) und verfolgt sie. Aber wir wollen Deine Hütte untersuchen und uns überzeugen, daß die Flüchtlinge nicht mehr darin verborgen sind.«

»So kommt herbei und seht!« höhnte der Fakir, indem er aufs neue den wilden Tanz begann und zugleich abwechselnd auf seiner Rohrflöte eine Art von Melodie blies, welcher die Krokodile aufmerksam zuzuhören schienen, indem sie mit ihren langen Schuppenleibern gleichsam einen Wall um ihn bildeten und die langen Rachen, die fast ein Dritteil ihrer ganzen Länge ausmachen, aufrissen und zusammenklappten.

Mehrere der Ungeheuer mochten eine Länge von 15 bis 20 Fuß haben, und als sie so umher kauerten, glichen ihre braunen bepanzerten Leiber einer Reihe knorriger Eichenstämme, die der Monsoon zu Boden geworfen.

»Die Sache muß ein Ende haben,« rief der Schobedar, indem er sein Roß spornte, und seine Flinte erhob. »Schont den alten Thoren, denn er ist ein heiliger Mann, und gebt Feuer auf die Bestien. Yama möge es uns vergeben!«

Die Kugeln prasselten auf den dicken Schildern der Rieseneidechsen, ohne ihnen weiteren Schaden zu thun, als sie zu erschrecken. Nur eine der Bestien hatte durch ihre zufällige Lage eine Kugel in den Unterleib, den weichsten und allein verwundbaren Teil, erhalten, sie schnellte sich beinahe kerzengerade in die Höhe, öffnete den Rachen wie eine Schere weit und stürzte sich mit einem wütenden Sprunge ins Wasser. Augenblicklich folgte ihr die ganze Schar und verschwand in der trüben Flut.

Als sich der Pulverdampf verzogen, war jedoch auch der Einsiedler verschwunden. Er hatte die Gelegenheit benutzt, um sich in das Innere seiner Höhle zurückzuziehen und war jetzt bemüht, die sehr zweifelhafte Haltbarkeit der Thür durch das Vorschieben großer Steine und eines mächtigen, zu diesem Behuf im Innern aufbewahrten Balkens zu verstärken.

Die Mahratten wußten, daß sie jetzt nichts weiter von den Krokodilen zu fürchten hatten, ritten vor die Höhle, banden ihre Rosse an die Bäume und machten sich bereit, den Eingang zur Höhle zu erzwingen.

Unterdes hatte der Einsiedler zwei Fackeln aus einer Felsspalte hervorgeholt, zündete die eine an und gab sie der Tänzerin. »Wenn Du ein Krieger der Faringi bist,« befahl der Greis, »so thue einen Schuß durch die Thür unter den Haufen dieser Söhne der Finsternis; es wird sie abhalten und uns Zeit gewähren. Du, Tochter, nimm den Zügel des Pferdes und ziehe jenen Vorhang zur Seite.«

Während Anarkalli that, wie ihr befohlen, trat der alte Fanatiker, der in dem Augenblick der Gefahr sich überaus besonnen und entschlossen zeigte, nochmals an die Seite des Offiziers und legte sein Auge an eine der Öffnungen der Thür.

Die Männer, jetzt etwa zwanzig bis dreißig an der Zahl, kamen eben heran und waren vielleicht noch fünfzehn Schritte von der Thür entfernt.

»Steht, Söhne des Teufels!« schrie der Greis. »Das Verderben ist vor Euch und hinter Euch, Ihr Verächter der Heiligen. Schaut um Euch und Ihr werdet das Nahen derer sehen, die uns zu Hilfe eilen.«

Der Schobedar blickte sich um und sah mit seinen Genossen in der That jenseits der Sümpfe eine Staubwolke herankommen, die eine große Reiterschar zu bergen schien.

»Um so mehr ist es Zeit, den Befehl unseres Herrn zu vollbringen. Gieb die Flüchtlinge heraus, oder die Folgen kommen auf Dein Haupt!«

»Verfluchter! ich sage Dir, Krischna ist mit uns! Du aber wirst das Licht des Tages nicht wiedersehen.«

»Vorwärts, Freunde, erbrecht die Thür!«

»Nimm den Vordersten der Schurken aufs Korn,« flüsterte der Fakir, »er ist ein Kahlkopf und mag zur Gehennah fahren. Dann wirf Dich rasch zur Seite, denn sie werden uns ihre Kugeln senden.«

Der Beludsche berührte fast die Thür, als ihn der Pistolenschuß des Offiziers mitten in die Brust traf. Er warf mit einem Allahruf die Arme in die Höhe und stürzte zu Boden, mit seinem Körper den engen Zugang versperrend.

Die Angreifenden wichen bestürzt zurück, da sie nicht geglaubt hatten, daß die Verfolgten mit Feuergewehr versehen wären, und begannen jetzt aus einiger Entfernung den Zugang der Höhle mit ihren Flinten zu beschießen. Die beiden Verteidiger derselben hatten sich jedoch längst zurückgezogen, nachdem der Offizier noch einen Blick durch die Thür geworfen und bemerkt hatte, daß in der That eine Reiterschar mit Pferden, Elefanten und Dromedaren durch die Wüste herankam.

Jetzt bemerkte er, was er nach der Bildung der Höhle schon am Abend vorher geahnt, daß der Vorhang in deren Hintergrund nur den Zugang weiterer unterirdischer Räume verbarg. Der Fakir winkte ihm, eilig zu folgen, ergriff die Fackel und schritt ihnen rüstig voran in ein Labyrinth von Gängen und Windungen, das immer tiefer in das Innere des Berges hineinführte. Der Weg war oft holprig und uneben von Felsstücken unterbrochen, und da sie das Pferd mit großer Vorsicht führen mußten, kamen sie verhältnismäßig nur langsam vorwärts. Fliegendes und kriechendes Gewürm erhob sich von Decke und Wänden, je weiter sie kamen, und das Licht der einsamen Fackel spiegelte sich bald an den Stalaktyten ungeheurer Wölbungen, bald an so niederen Wänden und Decken, daß das Pferd kaum hindurchzubringen war.

Sie konnten noch keine zehn Minuten vorwärts gedrungen sein, da verkündete ihnen das im Echo der Felsengänge sich fortpflanzende Geräusch des Stürzens der Thür und das Triumphgeschrei ihrer Feinde, daß diese in die Höhle eingedrungen waren.

Das stärkere Rufe und Lärmen zeigte ihnen bald, daß jene den Weg ihrer Flucht entdeckt und auf ihrer Verfolgung begriffen waren.

»Die Dämonen mögen ihre Schritte irre leiten!« rief der Greis. »Vorwärts, vorwärts!«

Unter den Pinien vor dem Eingang der Berghöhle hielten jetzt mehrere Reiter von jener Karawane, die das scharfe Auge des Einsiedlers durch die Wüste herankommen gesehen, deren größerer Teil aber jenseits der Sümpfe zurückgeblieben war.

Einige Fragen, die der Anführer der Fremden an die Diener Tukallahs und die Beludschen gethan, überzeugten ihn, daß er auf der richtigen Spur sei.

»Tausend Rupien!« rief der vornehme Fremde mit erhobener Stimme, »wenn Ihr das Weib lebendig aus der Höhle bringt. Aber Tod dem, der ihr ein Haar zu krümmen wagt!«

Durch die Aussicht auf die Belohnung angefeuert, drangen die wilden Bewohner der Wüste mit verdoppeltem Eifer in die finsteren Windungen der Höhle ein, aus denen ihnen der ferne Schein der Fackel wie ein Leitstern leuchtete. Die Drohung des Nena, denn er war es, der auf seinem eiligen Zug durch die Wüste, von der Nachricht des zurückgesandten Reiters und dem Knall der Schüsse geleitet, mit dem deutschen Arzt und dem Khan herangekommen war, hielt sie ab, hinter den Flüchtigen von ihren Schußwaffen Gebrauch zu machen. – –

Im Umschauen bemerkte der Offizier, der das Pferd vorwärts trieb, daß die Feinde immer näher kamen, und, durch die Windungen der Gänge behindert, kaum hundert Schritt noch entfernt waren. Auch der Fakir hatte die Nähe der Gefahr bemerkt, drängte jedoch zum Vorwärtseilen.

»Nur wenige Augenblicke noch,« mahnte er, »und nicht die Macht Akbars in seinem Glanze sollte imstande gewesen sein, Euch zu erreichen. Nimm die Fackel, Tochter, und gehe voran, Du aber, Christ, bleibe bei mir und wenn sich einer der Verfluchten naht, so schieße ihn nieder.«

Der Gang hatte sich jetzt zu einer weiten Wölbung mit flachem Boden erweitert, über welchen die Flüchtigen rasch dahin eilten. Majestätische Felsmassen schienen über ihnen zu hängen, gleich als wollten sie jeden Augenblick von der Decke des Gewölbes sich lösen. Der Fakir deutete nach der gegenüberliegenden Wand, wo zwei kolossale Felsklumpen, gegeneinander geneigt, kaum Raum ließen zu einem schmalen Gang.

»Dort hinein, Anarkalli, und vorwärts! Vor Dir sei der Tag, hinter Dir die Nacht. Hinein in den Gang mit Dir, Christ, und thue wie ich befohlen.«

Der Greis schwang sich auf einen Stein im Eingang der Schlucht und steckte seine Keule gleich einem Hebel unter den riesigen Felsblock, der auf seiner Unterlage nur mit scharfer Kante schwebend, gleichsam wie ein Schlußstein die ganze Last des hängenden Gewölbes zu tragen schien.

Die Mahratten Tukallahs und die Beludschen drangen mit Triumphgeschrei in den offenen Raum und eilten der Bayadere nach, die mit Mühe das Pferd vorwärts zog.

Leutnant Sanders legte die zweite Pistole auf den Vorsprung eines Steins, zielte bedächtig und sein Schuß warf den Vordersten zu Boden.

»Nieder mit den Hunden,« schrie der Schobedar, im Zorn die Drohung des Nena vergessend, »laßt uns sie töten, wenn sie sich nicht ergeben wollen!«

Eine Flintensalve krachte durch das Gewölbe und wie tausend Donner rollte es durch die Gänge und Klüfte. Der urweltliche Fels schien zu erbeben, der mächtige Berg aus seinen Fugen zu reißen und sich zu bewegen. Ein erstickender Staub benahm für einige Augenblicke dem Offizier und der Tänzerin die Luft und verlöschte die Fackel. Ihre Hände tasteten verzweifelnd in der furchtbaren Dunkelheit umher, dann rang ein Schrei der Verzweiflung sich aus der Brust des Mädchens.

Der Ruf des Offiziers, und ein klagendes Stöhnen antwortete ihr.

»Wo bist Du, Anarkalli, meine Tochter?« fragte eine leise Stimme. »Komm her zu mir, daß ich Dich segne, ehe Yama mich zu dem Reiche der Schatten ruft. Nimm diesen Stein und schlage mit der Klinge Deines Dolches Feuer, damit ich noch einmal Dein Antlitz sehe.«

Die Tänzerin hatte sich zu dem Ort hingetastet, von dem die Stimme herkam, und Stein und Zunder gefunden, den der Fakir ihr reichte. Wenige Augenblicke darauf verbreitete die Fackel wieder ihr Licht und zeigte die furchtbare Zerstörung, die sie gerettet.

Die Kraft des Fanatikers hatte den Felsblock am Eingange der Schlucht von seiner Unterlage gehoben und mit ihm die ganze Decke des Gewölbes zusammengestürzt. Der Weg, den die Laune der Natur vor Jahrtausenden geschaffen, war für die Ewigkeit geschlossen. Die Mehrzahl der Verfolger lag unter den Trümmern begraben, nur wenige, die das Gewölbe noch nicht betreten, erreichten das Tageslicht und verkündeten dem harrenden Peischwa das furchtbare Ereignis, von dem sie natürlich auch die Flüchtlinge vernichtet glauben mußten.

Der Greis selbst lag am Boden, ein Stein hatte seine Brust getroffen und ihn tödlich verletzt.

»Tretet her zu mir,« sagte der Sterbende, »daß mein Wort Euch den Weg zur Rettung zeigen möge. Schiwa ruft mich zu den heiligen Wandlungen. Zieht den Gang weiter, er führt Euch an die andere Seite des Gebirges, sie müßten zehn Stunden reiten, wollten sie jene Stelle erreichen.« Seine Augen nahmen plötzlich seltsamen Glanz an. »Doch warum fliehen den Tod? Steht nicht Bhawani hinter Euch und legt die Hand auf Euer Haupt? Ströme von Blut! Ströme von Blut! Und er, dessen Leben Du schirmst, er muß sterben von Deiner eigenen Hand! Das Blut einer Thug rollt in Deinen Adern! Weh mir, tötet das Krokodil nicht! tötet das Krokodil nicht – meine Seele ist in ihm!«

Die Gestalt des Greises streckte sich – ein Röcheln gurgelte seine Kehle herauf, blutiger Schaum rötete die Lippen, ein Zucken der Glieder, eine Bewegung der Hand – und er hatte ausgelitten.

Der Offizier schauderte zusammen, als er die kalte Hand der Tänzerin auf der seinigen fühlte, die ihm nach der Prophezeiung des Toten dennoch den Tod bringen sollte.

»Laß uns aufbrechen, das Licht des Tages zu finden,« tönte die zitternde Stimme des Mädchens. »Unser Weg ist weit, und er hat den seinigen begonnen!«

Sie deckte ein Tuch über das Gesicht des Toten und ging mit der Fackel voran, den Pfad zum Leben zu suchen.



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