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Gulma faßte die Hand ihres Schützlings. »Schieße nicht – mein Auge ist schärfer als das Deine! Es sind Freunde, Abalungos!«
Der Leutnant setzte die Büchse ab. » Stop! Wer da?«
»Der Teufel verdamm' Eure Augen, wenn das nicht Delafosse ist. Mann, wo kommt Ihr lebendig her aus den Händen dieser schwarzen Schurken?«
Rivers, denn dieser war es, eilte mit dem Fingoe auf den jungen Mann zu und wurde mit höchster Freude von ihm bewillkommnet. Die Fragen über das wunderbare glückliche Entkommen wechselten in Hast und nur halb beantwortet hinüber und herüber. Als der Kapitän die junge Kafferin sah, lachte er auf. » Damned! nun begreife ich alles! Das ist die schwarze Dirne, die im Lager war! Sie ist verliebt in Sie, Delafosse, bis über die Ohren und hat Sie unter den Assagaien und Kirries ihrer liebenswürdigen Landsleute hervorgeholt. Es ist gut, daß Sie sie mitgebracht, sie kann einen trefflichen Spion abgeben und uns die Pässe und Zugänge verraten.«
»Gulma,« sagte der Leutnant unwillig, »ist die Tochter Sandilis, des berühmten Häuptlings der Gaikas, und besteht darauf, heute abend in den Kraal ihres Vaters zurückzukehren!«
»Besteht sie, mein Junge? nun desto besser! wer wird mit einer schwarzen Dirne viel Umstände machen, sie wird als Geißel zurückbehalten für die Ruhe ihres Vaters, des schwarzen Spitzbuben. Wohin beabsichtigen Sie Ihre Flucht zu richten?«
»Nach den Ufern des Somo – zu der Missionsstation, die sich dort befinden soll. Aber wie entkamen Sie denn, Kapitän Rivers?«
»In Wahrheit verdanke ich es den Teufeleien des Fingoe. Als wir im Carrière an den Rand der Paviansschlucht gelangten, waren die schwarzen Halunken auf unseren Fersen, kaum fünfhundert Schritt hinter uns. Congo rief mir zu, daß die einzige Möglichkeit der Rettung sei, unsere Verfolger zu täuschen und in den Glauben zu versetzen, daß wir den wahnsinnigen Ritt in den Abgrund riskiert. Wir ließen uns am Abhang von den Pferden gleiten, trieben diese die Schlucht hinunter, wo sie Hundert gegen Eins das Genick gebrochen haben und krochen auf Händen und Füßen am Felsensturz hinab. Die Narren gingen richtig in die Falle, wir hörten sie toben und lärmen und, überzeugt von unserem Tode, dann zurückkehren zu ihrer sauberen Gesellschaft.«
»Sie irren, Kapitän! Peter Pretorius ist auf Ihrer Spur und mit ihm fünf oder sechs der tapfersten Gaikakrieger. In diesem Augenblick ist auch Tzatzoe, unser erbittertster Feind, wahrscheinlich bereits aufgebrochen mit seiner Schar zu unserer Verfolgung!«
Eine kurze Beratung erfolgte, dann beschloß man, dem Plan des Mädchens treu zu bleiben und nach der Missionsstation am Somo aufzubrechen. Gulma versprach, sie auf ihr bekannten Pfaden dahin zu bringen.
Der Fingoe übernahm die Leitung des Marsches, der in einer sogenannten Indianerreihe, einer hinter dem anderen, so daß der Nachfolgende in die Fußstapfen seines Gegners trat, begonnen wurde, nachdem mit einem Zweig die Spuren ihrer Schritte an der Stelle der Zusammenkunft verwischt worden. Gulma eröffnete die Reihe, dann folgten Edward, Rivers, und zuletzt der Fingoe, der sorgfältig darauf hielt, mit seinen breiten Moccassins die Spuren zu verändern.
Die Sonne hatte sich jetzt über den Horizont erhoben, und das Leben der Wildnis erwachte rings um die Flüchtigen.
Sie waren auf der Höhe einer Felswand angelangt, als Gulma sich umwandte und mit einem Schrei des Schreckens nach der Richtung deutete, aus der sie gekommen. Alle folgten ihrem Blick und sahen in der Entfernung von etwa drei Meilen in dem Thal, das sie verlassen, eine kleine Reiterschar, die eilig herankam. Das scharfe Auge der Kafferin und des Fingoe unterschieden deutlich, daß es ihre Verfolger waren.
»Was ist zu thun?« fragte der Kapitän. »Wir müssen uns eine geeignete Stelle zur Verteidigung suchen, und sie aus dem Hinterhalt von ihren Pferden schießen, sonst haben sie uns, ehe eine halbe Stunde vergeht. Es sind ihrer nur sechs und wir haben drei Flinten.«
»Fort, fort!« drängte das Mädchen in gebrochenem Englisch, »so lieb Euch Euer Leben ist!«
»Aber wie – wohin?«
Gulma wies nach einer etwa eine Meile entfernten Stelle, wo mehrere Thäler in eine breite und tiefe Schlucht auszulaufen schienen, welche die hohen Massen des Gebirges augenscheinlich durchbrach. Trotz der Entfernung konnte man einzelne kleine Tiergestalten aus einem der westlichen Thäler über den Grund eilen und in den Paß verschwinden sehen.
»Die Springböcke!« Das war die einzige Erwiderung des Mädchens, das unaufhaltsam vorwärts eilte.
Ihre Begleitung folgte ihr, die Engländer, unbekannt mit ihrem Zweck, der Fingoe im Augenblick den glücklichen Umstand erfassend, der ihre Flucht sichern konnte, wenn sie noch rechtzeitig den Paß erreichten.
Die Verfolger hatten jetzt gleichfalls die Flüchtigen erblickt, sie schwangen ihre Waffen und kamen im Galopp heran. Aber die Richtung des Thales machte es ihnen noch unmöglich, den Ort zu erkennen, wohin jene eilten.
Der Lauf der Flüchtigen war zu einem Rennen geworden, denn die Worte und Winke Congos hatten den Offizieren bewiesen, daß er gleichfalls nur in der Eile dieser Flucht eine Hoffnung sah.
Endlich blieb der Kapitän erschöpft stehen. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich weiter gehe, ehe ich weiß, was die Böcke mit unserer Flucht zu thun haben. Hier ist ein gelegener Ort, wo wir den Verräter und seine schwarzen! Canaillen erwarten können.«
Der Fingoe faßte seinen Arm. »Die Flinten der Gaikas verfehlen so wenig ihr Ziel, wie das Blei der weißen Männer. Will der Abalungo sterben, wo er nur noch wenige Schritte von seiner Rettung entfernt ist, die ihm der Gott der Weißen gesandt hat?«
»Aber wo?« fragte Delafosse, eine Flinte schußbereit machend. »Ich sehe noch immer nicht, was unsere Rettung befördern soll und halte auch den Kampf für die einzige!«
»Sieh!«
Das Mädchen hatte ihn gegen den Eingang des breiten Thales gekehrt, aus dem die einzelnen Tiere der Öffnung der Schlucht zugerannt waren, was jetzt in ganzen Haufen geschah.
Die Schlucht oder der Gebirgspaß lag etwa noch tausend Schritte von ihnen entfernt. Ihr Zugang war bereits von Haufen von jenen Tieren, welche sie aus der Ferne gesehen, wenn auch nicht gefüllt, doch zahlreich besetzt. Es war eine Antilopenart, von der längern Gliederung ihrer Hinterfüße und der Elastizität ihres springenden Laufs »Springböcke« genannt. Aber der Anblick thalaufwärts war ein wirklich merkwürdiger, überraschender. Die ganze nicht geringe Breite des Thales schien, so weit das Auge reichte, einem wogenden, wallenden Strom von lebendigen Geschöpfen zu gleichen, der mit einem tollen Getrampel herankam. Je weiter hinauf, desto mehr schien sich die Menge zu verdichten, so unförmlich und kompakt, daß keine Spur des Bodens mehr zu sehen war und ein Stein, unter sie geworfen, nicht Raum gehabt hätte, zur Erde zu fallen.
Jetzt erst wurde es wenigstens dem älteren Offizier klar, was Gulma und der Fingoe mit ihrem Ruf und ihrer Eile gemeint hatten und er rannte, von den anderen gefolgt, so schnell der Schlucht zu, als er vermochte.
Als sie keuchend an deren Rande ankamen, schoß der Wilde seine Flinte in die Schar der Tiere, die bereits immer mehr sich im Paß drängten. Dies veranlaßte eine momentane Stockung und ein scheues Zurseiteweichen, wodurch eine kleine Lücke in dem Gedränge entstand. Hier hinein warfen sich auf den Ruf Congos sogleich die Flüchtlinge und um sie her schloß sich alsbald wieder der Raum mit den Leibern der Tiere, die, sonst so flüchtig und scheu, hier alle Angst vor den Menschen verloren zu haben schienen und dicht zusammengepreßt vorwärts drängten. Fest sich an einander haltend und sich gegenseitig unterstützend – denn ein Fall zu Boden wäre hier Nimmerwiederaufstehen und der Fallende rettungslos einem qualvollen Tode unter den Füßen der Tiere verfallen gewesen – ließen sich die vier von der Woge der Tiere mehr vorwärts tragen wie drängen, immer tiefer in den Gebirgspaß hinein. Zehn Minuten darauf verkündete ihnen eine Gewehrsalve, daß ihre Verfolger gleichfalls an der Schlucht angelangt waren und dasselbe Mittel, wie sie versucht hatten sich Raum zu verschaffen. Aber der Fingoe beruhigte lachend ihre Besorgnis – die zehn Minuten hatten eine für die nächsten zwei oder drei Stunden unübersteigliche lebende Mauer zwischen ihnen und den Gaikas aufgebaut; die große Masse der Tiere war an dem Paß angelangt und stürzte sich unaufhaltsam in diesen, so daß selbst eine Metzelei unter ihnen nicht mehr vermocht hätte, Raum für einen Menschen, viel weniger für den Weg von Pferden zu gewähren.
Diese plötzlichen Züge der Springböcke sind eine wunderbare Erscheinung.
Millionen von Antilopen erscheinen plötzlich aus dem unerforschten Innern des Erdteils, wo sie in unzählbaren Massen leben. Vielleicht vom Durst, vielleicht von anderen Ursachen getrieben, dringen sie durch die Pässe der Gebirge und verbreiten sich in den Ebenen des Kaplandes. Der Geier schwebt über diesen Massen, der Löwe, der Panther und der Schakal wüten in ihren Reihen, die Lanze des Wilden und die Flinte des Ansiedlers richten ein unermeßliches Blutbad unter ihnen an, Tausende von Tieren fallen, aber tausend andere treten im nächsten Augenblick an ihre Stelle und nichts hält ihren Zug auf. Sie vernichten die Ernte des Booren, dessen Gebiet sie betreten, ganze Gegenden sind in wenig Stunden jedes Halms, jedes Blattes beraubt, während auf der anderen Seite ihr Fleisch den Stämmen und Bewohnern der Grenze getrocknet monatelang den einzigen Unterhalt bietet. Und ebenso plötzlich wie sie gekommen, sind sie verschwunden.
Edward und seine Begleiter waren fast eine halbe Stunde lang in diesem Gewühl von Körpern fortgetragen und geschoben worden, ehe die Felsenwände des Passes rechts und links sich wieder ausbreiteten und es ihnen möglich war, sich aus dem Tiergedränge zu befreien, das sich über die Ebene auszubreiten begann. Freilich waren ihre Glieder arg zerstoßen und zerquetscht, aber das Gefühl, gerettet zu sein, kräftigte sie und nach kurzer Rast setzten sie ihren Marsch fort.
Es war den Überredungen Edwards gelungen, das Kaffermädchen, das sich hier von ihm trennen und auf die Gefahr ein Opfer des Zorns ihres Vaters zu werden, nach dem großen Kraal der Gaikas zurückkehren wollte, zu bewegen, sie noch weiter und mindestens bis zur Missionsstation zu begleiten. Überdies bestand Kapitän Rivers, dessen freche Scherze und Witzeleien die gemeinsame Gefahr etwas unterbrochen hatten, darauf, daß die Kafferin, die er wie eine Art Gefangene und Geisel ihrer Sicherheit zu betrachten begann, sie weiter begleiten müsse, und Gulma schien sich nicht ungern dem halben Zwang zu fügen.
Die Sonne brannte jetzt so heiß, daß sie nur langsam ihren Marsch fortsetzen konnten, und es war gegen Mittag, als sie das Ufer des Somo erreichten und sich dem Missionshause gegenübersahen. Der Fluß hat sich hier ein ziemlich breites und tiefes Bett vor seiner Verbindung mit dem Kai ausgewühlt, war jedoch fast wasserlos, so daß die Flüchtigen ihn mit einiger Vorsicht leicht durchreiten konnten.
Zu ihrer Freude sahen sie schon fern am anderen Ufer einen englischen Posten, und als sie die Station betraten, fanden sie ein Pikett Dragoner und eine Abteilung von fünfzig Jägern daselbst und die Nachricht, daß Sir George Cathcart, der Befehlshaber der Expeditionstruppen, auf einer Rekognoscierung sich in der Mission befände.
Leutnant Delafosse erfuhr jetzt erst, was der Kapitän längst gewußt, daß sie sich auf der Station des deutschen Missionars befanden, welchen sie vor einiger Zeit in der Kapstadt hatten kennen lernen und dessen Tochter Louise die unfreiwillige Ursache zu der grausamen Verfolgung des armen Peter Pretorius geworden war. Vater Müller, der Missionär, der bisher in Frieden und gutem Einverständnis mit seinen wilden Nachbarn gelebt hatte, und dessen Familie die Tochter des Häuptlings nicht unbekannt war, da sie auf ihren Streifereien mehrmals in sein Haus gekommen, schien in großer Besorgnis über den Umstand, daß die Soldaten hier Posto gefaßt, weil er einen Ausbruch des Kampfes und die Rache der Kaffern fürchtete, konnte aber natürlich nichts thun, um sich der ungebetenen Gäste zu erwehren.
Seine Besorgnis stieg noch höher, als die drei kühnen Kundschafter jetzt von den Soldaten mit Jubel herbeigeführt wurden, und der General sich sogleich von ihnen Bericht erstatten ließ. Edward, der bisher von den Nachrichten, die ihm der verräterische Tsanuse über die Beschlüsse der Kaffern gegeben, in Gegenwart des Fingoe und der Häuptlingstochter geschwiegen, berichtete sie jetzt, und der General hielt sogleich mit den ihn begleitenden Offizieren einen Kriegsrat, um einen raschen Entschluß zu fassen.
Das Resultat war der Beschluß, daß Kapitän Rivers mit seinem Begleiter, die ohnehin aufs höchste ermüdet waren, das Kommando des Jägerpiketts, von einigen Reitern unterstützt, übernehmen und mit diesen auf der Station zurückbleiben sollte, um den Punkt, den der General zu einem Übergang über den Fluß bestimmt, besetzt zu halten. Das Expeditionskorps sollte sofort vom Kambusi aufbrechen, den Kai überschreiten und am anderen Mittag in der Nähe der Station eintreffen, um den Kaffern zuvorzukommen und einen Einfall in ihr Gebiet zu machen, noch ehe sie Zeit gehabt, ihre Macht zu sammeln.
Der Kapitän hatte sich selbst zur Übernahme des gefährlichen Postens im feindlichen Gebiet angeboten, teils um die Gelegenheit zu haben, seine Bewerbung um Louise, die Tochter des Missionärs, fortzusetzen, teils weil er hoffte, den verhaßten Rivalen, von dem er wußte, daß er sicher seine Spur verfolgen werde, hier vor den Augen des Mädchens, die ihm den Vorzug gegeben, in eine Falle zu locken.
Die nötigen Befehle wurden sofort erteilt, die Pferde vorgeführt und General Cathcart verließ das Haus, um aufzusitzen und zu seinen Truppen zurückzukehren.
Sobald der Kapitän sich im Besitz des Kommandos sah, traf er sofort Anstalten, die Kaffern, wenn sie sich zeigen sollten, in die Falle zu locken. Der Posten am Ufer des Flusses wurde zurückgezogen, und der Fingoe legte sich dort im Gebüsch auf die Lauer. Alle Wahrzeichen, daß die Station von britischem Militär besetzt sei, wurden sorgfältig verborgen; die Soldaten wurden in die Hintergebäude kommandiert oder mußten wenigstens Waffen und Uniformen ablegen. Der Kapitän zeigte sich dagegen möglichst häufig und offen am Ufer.
Jetzt erst, nachdem alle diese Anstalten getroffen, suchte er die schöne Louise auf, die ihn mit Erschrecken erkannt hatte und ihm bisher so viel als möglich ausgewichen war, sich mit dem jungen Kaffernmädchen beschäftigend.
Die Familie saß unter der Veranda, die das aus Bambus und Holz aufgeführte niedere Missionshaus umgab. Sich zu dem würdigen Geistlichen setzend, wußte er bald das Gespräch auf ihre Bekanntschaft in der Kapstadt und von da aus den Jüngling zu lenken, den er so schändlich um sein Lebensglück gebracht. Mit großem Wohlbehagen erzählte er, wie der junge Mann desertiert und zu den aufrührerischen Booren sich geflüchtet habe, und daß er es sei, welcher seine Landsleute, die Engländer, in der Versammlung der Kaffern verraten.
Eine ehrlose That des Geliebten, und als solche stellte sie, mit Verschweigung alles Vorhergegangenen, der Kapitän dar, mußte das reine Herz des Mädchens natürlich tief verwunden, und einer Ohnmacht nahe, erhob sie sich und wankte davon, indes Vater und Mutter den Jüngling verdammten und die gute Meinung beklagten, die sie früher von ihm gehegt. Der Kapitän gewann Schritt auf Schritt das Terrain, das er zum Schauplatz seiner Intrigue erkoren.
Die Hitze des Tages war vorüber und in den fernen Gebirgen lagerten schwere Gewitterwolken, als der Fingoe mit der Nachricht erschien, daß am jenseitigen Ufer sich mehrere Kaffernreiter gezeigt hätten, darunter der junge Holländer, und bis an den Rand des Flußbettes gekommen wären, die wieder aufgefundenen Spuren verfolgend. Es war in einem Zimmer des Hauses, wo der treulose und listige Wilde dem Offizier die Botschaft brachte, und es erfolgte alsbald eine längere Unterredung, in der ein Plan entworfen wurde, die jedenfalls nur kleine Schar der Wilden zum Angriff zu verlocken und sie womöglich gefangen zu nehmen. Ein teuflischer Triumph lag in den Worten des Kapitäns, als er die Hoffnung aussprach, den Gehaßten wieder in seine Hände zu bekommen und ihn jetzt den schmählichen Tod des Verräters erleiden lassen zu können. Nachdem der Plan in allen Teilen festgestellt war, verließ der Kapitän das Haus, und nahm den Fingoe auf einen Spazierweg nach dem nahen Ufer des Somo mit, wo er, unbekümmert um die im Dickicht der anderen Seite versteckten feindlichen Späher, plaudernd umherging, ihnen auf diese Weise von seiner Anwesenheit selbst Kunde gebend.
Während der englische Offizier mit dieser List die Ausführung seines Planes begann, schwankte die junge Deutsche bleich und aufgeregt aus dem Hause. Sie war wider Willen die geheime Zeugin der Unterredung des Offiziers mit dem Spion gewesen, indem sie neben der nur durch Bambus gebildeten Wand des Gemachs auf ihrem Ruhebett gelegen und so den ganzen Anschlag gehört hatte. Die Gefahr des Geliebten folterte ihr Herz trotz der Verachtung, welche die falsche Erzählung des Kapitäns über den Verrat und Eidbruch des jungen Mannes ihr eingeflößt.
In diesem Seelenzustand traf sie auf den Leutnant und Gulma. In Gulmas Seele tobte der Kampf der Liebe für den weißen Mann mit dem Gedanken an die Heimat. Edward hatte ihr angeboten, sie mit in die Kapstadt zu nehmen und sie dort vorläufig bei einer europäischen Familie unterzubringen.
»Miß,« sagte der junge Mann, »ich suchte schon lange vergeblich die Gelegenheit, Sie einige Augenblicke allein zu sprechen, weil ich den schmerzlichen Eindruck bemerkt habe, den die Erzählung des Kapitän Rivera auf Sie gemacht und weil ich es für Pflicht halte, auch dem Feinde Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.« So schonend als möglich, ohne die Flucht des jungen Pretorius vom soldatischen Standpunkt entschuldigen zu wollen, teilte er der jungen Dame mit, was vorhergegangen, und die furchtbare und grausame Strafe, der man den Unglücklichen unterworfen hatte.
Das Mädchen hörte bebend den Worten zu, dann aber schien ihr zaghaftes Gemüt zu erstarken, ihr Auge von Stolz und Entrüstung zu leuchten. »Ich habe stets gehört, die Engländer hielten sich für die freieste und hochherzigste Nation der Welt, stolz auf ihre Institutionen und bestimmt, Christentum und Kultur über die Erde zu tragen! Ich bin ein unwissendes und unerfahrenes Mädchen, aber was ich schon gesehen und erlebt in diesem Lande, hat mir bewiesen, daß herzlose Tyrannei ihr Panier, Grausamkeit und Unterdrückung ihr Gewerbe ist. Jetzt will ich es laut bekennen, daß ich den Unglücklichen lieben und seinen Quäler verachten werde, so lange das Herz in meiner Brust schlägt. Gott ist mit den Unschuldigen, und er wird mir Kraft geben, die Schlingen seiner Feinde zu nichte zu machen!«
»Rechnen Sie mich nicht zu diesen, Miß,« sagte der Offizier herzlich, »und wenn ich Ihnen dienen kann, so befehlen Sie über mich.«
Das deutsche Mädchen hatte die Hand der Schwarzen ergriffen und zog sie mit sich fort. –
Es war Nacht – in den entfernten Bergen flammte und krachte es mit jenen furchtbaren Schlägen, wie sie allein die Gewitter des Südens niederschmettern.
Zwei Frauengestalten schlichen stromaufwärts am Ufer des Somo entlang. »Dort, wo aus dem Dickicht der Farnkräuter der hohle Korkbaum sich über das Ufer hebt,« flüsterte die eine, »liegt das Boot. Wenn Du die Richtung gemerkt, wo sie lagern, werden wir dort sein, ehe eine Viertelstunde vergeht, und unsere Nachricht rettet ihn und die Deinen.«
»Sie wird mir die Rückkehr zu meinem Volke erkaufen,« sagte Gulma. »Der große Häuptling wird vernehmen, daß sein Kind das Herz einer Kaiserin hat, auch wenn sie den weißen Mann liebt. Utika sieht auf die Herzen, nicht auf die Farbe der Haut.«
Die Tochter des Missionärs drückte ihr die Hand. »Das Deine ist gut und edel, Gulma, und verdient, den heiligen Lehren des Christentums geöffnet zu sein. Du sollst bei uns bleiben, wenn Du willst, und ich werde Deine Schwester sein.«
Das Kaffermädchen glitt gewandt an der Uferböschung hinab und half der neuen Freundin. Nach wenigen Schritten fanden sie den Kahn, den die Wilde mit sicheren Schlägen über den Strom trieb, der von dem Regen, der am Abend in den Bergen gefallen war, wenn auch noch unscheinbar, zu wachsen begann. Einige Augenblicke darauf waren sie am anderen Ufer, befestigten den Nachen und klommen die Uferbank hinauf. Vorsichtig strichen sie jetzt an derselben stromabwärts entlang, das Kaffernmädchen von Zeit zu Zeit den eigentümlichen Ton des Spottvogels nachahmend.
Plötzlich erhob sich aus den riesigen Büschen der Farnkräuter eine dunkle Gestalt und schwang den Assagai, aber der rasche Blick des Mädchens hatte die drohende Bewegung erkannt und ihr Zuruf hemmte den todbringenden Wurf und ließ den Kaffernkrieger aus seinem Versteck hervortreten.
Die große, kräftige Gestalt kam bis dicht an die Mädchen, lehnte sich auf den laugen Wurfspieß und betrachtete sie einige Augenblicke. »Die Granatblüte,« sagte er endlich, »thut nicht wohl daran, heimzukehren, ehe der Zorn des großen Häuptlings sich gelegt hat. Ihr Flüstern ist nicht stark genug, um seinen Groll zu besänftigen, und sein Grimm wird sie töten, ehe sie Zeit hat, ein Wort zu sagen.«
»Ich bin nicht auf dem Wege zur Heimat, Umtakoe,« erwiderte das Mädchen, »obschon ich den Zorn Sandilis nicht fürchte; denn es wär' ein schlechtes Weib, das den Mann ihres Runlho nicht rettete vor der Wut seiner Feinde. Ich bringe dem Häuptling das Leben von sechs seiner tapfersten Krieger. Jenseits jenes Flusses sind Eure Feinde.«
»Wir wissen es! Die beiden falschen Smause und der Hund von Fingoe! Ehe der Morgen graut, werden ihre Schädel in unserer Hand sein!«
»Der Krieger der Gaikas hat die Augen eines Maulwurfs. Er möge sich hüten in eine Falle zu gehen. Ich komme, Euch vor Verrat zu warnen; auf jenem Ufer liegen mehr Krieger verborgen, als Ihr ahnt!«
»Was thut es – seit einer Stunde ist Tzatzoe mit seiner Schar bei uns.«
»Um so dringender ist meine Botschaft und kann Rettung auf beiden Seiten bringen. Tzatzoe darf ich nicht sprechen, er ist ein wilder Krieger, der auf die Bitte nicht hört. Du aber bist der Sohn der Frau, deren Milch ich getrunken, als meine Mutter gestorben war. Eile zurück und führe heimlich den jungen Dutchman hierher, der der Spur seines Feindes gefolgt ist. Meine weiße Schwester muß ihn sprechen.«
Der junge Krieger versprach zu gehorchen und glitt mit der Gewandtheit einer Schlange fort. Die jungen Mädchen blieben unter dem Schutz eines Ebenholzbaumes stehen und horchten auf das ferne Wetter. In das dumpfe Rollen des Donners schien sich jetzt ein anderer gewaltiger ferner Ton zu mischen, gleich dem Heranbrausen einer mächtigen Windsbraut.
Eine Viertelstunde war vergangen, als zwei Männer eilig daherkamen. Es waren Peter Petrorius und der Wilde. Obschon der junge Holländer von dem Krieger gehört, daß eine weiße Frau sich bei Gulma befand, hatte er doch keine Ahnung davon, daß es die Geliebte sei, und ein Thränenstrom stürzte aus seinen Augen, als er jetzt sie erkannte, und sie zum erstenmal an seine Brust sank.
Gulma winkte dem Krieger, mit ihr zur Seite zu treten, und ließ sich von ihm die Vorgänge nach ihrer Flucht erzählen.
Zweimal beugte der Wilde während der Unterredung lauschend den Kopf zur Seite, um auf das zunehmende ferne Geräusch zu hören, bis Gulma, um in ihren Ansichten nicht gehindert zu werden, ihm auftrug, zwischen der Stelle, wo sie sich befanden, und dem Lager der Wilden Wache zu stehen, damit sie nicht überlistet würden. Als er sich entfernt, blieb sie lange allein in schwermütigem Nachdenken stehen, ehe sie zu der neuen Freundin und ihrem Geliebten zurückkehrte. Sie fand diese Hand in Hand unter dem Baum sitzen.
»Hat meine weiße Schwester dem Abalungo die Kunde der Gefahren ins Ohr geflüstert?« fragte die Kafferin. »Es ist Zeit, daß wir aufbrechen, damit niemand ihre Abwesenheit bemerkt. Noch liegt ein Unheil in der Luft, das ich nicht verstehe.«
»Peter ist von den Plänen des Kapitäns unterrichtet, und daß die Hauptmacht der Engländer morgen eintreffen wird, um über den Fluß zu gehen und in das Gebiet der Kaffern einzufallen. Er glaubte seine Begleitung zwar stark genug, um einen Kampf mit dem Posten des Kapitän Rivers zu wagen, aber er wird um meinetwillen den Häuptling überreden, davon abzustehen!«
»So laß uns eilen! Atalma, der die Liebenden beschützt, möge das Zeichen Eures Wiedersehens sein!« Sie eilte, von einer ihr selbst unerklärlichen Besorgnis getrieben, zum Ufer des Flusses.
Das donnernde, brausende Geräusch aus der Ferne kam näher und näher und wurde immer lauter.
Langsam folgten ihr die Liebenden, nicht achtend auf die warnenden Stimmen in der Natur. Wenn sie ja darauf hörten, glaubten sie, daß das Gewitter heranzöge. Gulma war bereits im Flußbett, sie hatte den Nachen losgemacht und stand bis an die Hüften im Wasser, so rasch war dies gewachsen.
»Geschwind in den Kahn!« rief das Kaffernmädchen; »das Wasser wächst.«
Louise riß sich los aus den Armen des Geliebten, der ihr in den Nachen half, den Gulma mit starker Hand ans Ufer gedrängt.
Das schwache Fahrzeug stieß ab. Obschon der Fluß bereits mehrere Fuß hoch gewachsen war, und das Gewitter nahte, schien doch nicht die geringste Gefahr zu sein; der junge Mann schaute einige Augenblicke dem im Dunkel verschwindenden Kahne nach und eilte dann, der Pflicht der dringenden Benachrichtigung der Häuptlinge gedenkend, davon.
Er hatte jedoch kaum hundert Schritt gethan, als die Erde unter seinen Füßen zu erbeben schien und ein dumpfer, donnerartiger Ton die Luft zerriß. Erschrocken zurückblickend auf den Fluß, sah er zwischen den wohl dreißig Fuß hohen Ufern des breiten Bettes es herankommen mit Donnergebrüll, gleich einer weißen riesigen Mauer.
Er stand erstarrt, sprachlos, nicht wissend was geschah, als Amtakoe seine Schulter faßte und ihn aus seiner Betäubung aufrüttelte.
»Bei der Macht der Zauberer, das sind die Wasser des Gebirges! Wo sind die Weiber?«
Sprachlos deutete der unglückliche junge Mann auf den Fluß hin.
»So möge Utika ihnen beistehen! Sie sind verloren!«
Peter Petrorius stürzte zum Ufer des Flusses, in dem die gewaltige Masse von Schaum und Wasser mit der Schnelligkeit des Blitzes daherzugleiten schien. Sein Ruf: »Luisge! Luisge!« übertönte das Brausen und Donnern. Ihm war's, als hörte er aus der Nacht der Gewässer einen leisen, fernen Schrei als Antwort.
Weit hinausgebeugt, mit einer Hand an den Stamm eines Baumes geklammert, schaute er auf das furchtbare Schauspiel, von dem jungen Kaffernkrieger mit Gewalt zurückgehalten, sich in die brausende Flut zu werfen. –
Die beiden Mädchen hatten noch nicht die Mitte des so plötzlich angewachsenen Flusses erreicht, als Gulma, die mit starkem Arm den gebrechlichen Kahn vorwärts trieb, plötzlich empfand, daß derselbe ihr nicht mehr gehorchte und, von einer unbekannten Gewalt erfaßt, sich zweimal um sich selbst drehte und dann mit Blitzesschnelle vorwärtsschoß. In demselben Augenblick vernahm sie, wie der junge Holländer, das furchtbare Brüllen und Rauschen hinter sich und sah den Berg schäumenden Wassers auf sie zustürzen.
»Die Wasser des Gebirges! Halte Dich fest, weiße Schwester, halte Dich fest!.« Es war alles, was sie der entsetzten Louise zuzurufen vermochte.
Diese, mit weitgeöffneten Augen, starrte in Todesentsetzen den Berg von Wasser an, der sich hinter ihnen drein wälzte und jetzt sie zu erreichen schien.
Mit übermenschlicher Kraft hielt das Kaffernmädchen den Kahn in gerader Richtung, als das Wasser über sie herstürzte, das Ruder aus ihrer Hand riß und die Frauen und das Fahrzeug begrub.
Die Tochter des Missionärs hatte ihr unsterblich Teil dem Allmächtigen empfohlen – ein letzter Gedanke an die Eltern, an den Geliebten – –
Das Donnern der Gewässer, die sie begruben, betäubte ihre Sinne; dann, emporgehoben mit dem gebrechlichen Fahrzeug, glaubte sie auf Bergesgipfeln von Schaum und Gischt zu schweben – in diesem Augenblicke wähnte sie die Stimme des Geliebten zu hören im schrillen Ruf: »Luisge! Luisge!« und sie machte eine gewaltsame Anstrengung, ihm zu antworten, aber sie fühlte, wie ihre Stimme machtlos in diesem Chaos von Zischen und Brausen sich verlor.
Mit einer atemberaubenden Schnelligkeit schoß das Kanoe vorwärts und war fast dem Missionsgebäude gegenüber, als es auf einen der hier in der Mitte des Flußbettes verstreuten Felsblöcke stieß und in Stücke zerschmetterte.
Die beiden Mädchen wurden augenblicklich wieder von der Flut begraben und Louise verlor das Bewußtsein.
Als sie wieder zu sich kam, brüllten noch immer die Wasser um sie her, peitschte der schäumende Gischt mit der Schnelligkeit eines Pfeils an ihr vorüber, aber sie fühlte festen Boden unter den Füßen und sah sich vier bis fünf Fuß hoch über der Fläche des brausenden Stromes – die bekannten Blumen und Lianen, die sich über sie neigten, das einfache, hölzerne Kreuz, das sich hoch gegen den Nachthimmel abzeichnete, zeigten ihr sogleich, wo sie sich befand.
Gerade gegenüber der Missionsstation erhob sich, aus der Mitte des Flusses emporragend, eine kleine Felseninsel, deren Oberfläche, etwa zehn bis zwölf Fuß im Geviert, mit üppigem Pflanzenwuchs duftender Blumen bedeckt war. Der deutsche Missionär hatte dort von den Bekehrten ein großes hölzernes Kreuz errichten lassen und Louise aus den Blumen und Schlingpflanzen eine Laube über einer Rasenbank gezogen, die ihr Lieblingsplätzchen geworden. Da das Strombett den größten Teil des Jahres über so seicht und trocken war, daß man, von einem Stein zum andern schreitend, ohne den Fuß zu benetzen, die Felseninsel erreichen konnte, in die man einfache Stufen eingehauen, so brachte die schöne Deutsche einen großen Teil ihrer freien Zeit hier zu, wo sie ungestört, nur von der gewaltigen Natur umgeben, ihren Gedanken und Empfindungen nachhängen konnte.
Auf dieser Rasenbank lag das Mädchen jetzt ausgestreckt und neben ihr kniete Gulma, ohne die Schrecken um sie her zu beachten und nur beschäftigt, das Blut, das aus einer leichten Stirnwunde ihrer weißen Freundin rann, zu stillen und sie wieder ins Bewußtsein zu bringen.
Als der Nachen unter ihnen zerschellte und die beiden Frauen in die tobende Flut stürzten, hatte die Kafferin das weiße Mädchen mit starkem Arm erfaßt und, mit ihr auftauchend, sie über dem Wasser gehalten, bis es der kühnen Schwimmerin gelang, die von dem Rande des Felseneilandes weit herabhängenden Lianen im Vorbeitreiben zu erfassen und, geschützt durch den die furchtbare Strömung unterbrechenden Felsen, festen Fuß zu fassen und mit ihrer ohnmächtigen Last seine Höhe zu gewinnen.
Louise hatte die Augen aufgeschlagen, die Erinnerung an die entsetzliche Gefahr, der sie soeben entgangen, kehrte rasch zurück und das schwarze Mädchen umarmend, erhob sie sich und schaute umher.
Nur dunkel und undeutlich zeichneten sich die fernen Stromufer von der weißen Schaummasse ab, die vor- und rückwärts wogte, so weit das Auge reichte.
In den Gebäuden der Mission sah man Lichter sich hin und her bewegen; die unglücklichen Eltern hatten, durch das furchtbare, ihnen noch ungewohnte Naturereignis geweckt, die Abwesenheit des einzigen Kindes entdeckt; ihre Angst war grenzenlos; die Offiziere boten ihre Soldaten auf; der das Brausen des Wassers zuweilen durchbrechende Ruf verkündete, daß man die Verlorenen am Stromufer entlang suchte.
Aber auch auf dem fernen linken Ufer schien die gleiche Erregung zu herrschen; ein mächtiges Feuer begann dicht am Rande der Wasser emporzuflammen und wurde, trotz des Sturmes, fortwährend genährt, daß es hoch in die Luft flackerte. Dunkle Schatten bewegten sich in dem Lichtkreis hin und her.
Verzweifelnder Ruf am Ufer auf und ab: »Luisge! Luisge!«
»Die weiße Taube ist gerettet,« sagte das Kaffernmädchen, »ihre Freunde suchen sie, aber unsere Stimmen sind zu schwach, um jenen Kunde zu bringen, ehe das Licht des Tages sie giebt. Was sollen wir thun?«
»Laß uns beten!«
»Beten? – was ist das?«
»Ich will es Dich lehren, meine Schwester!«
Die Wasser brausten und tobten fort. – Das nahende Gewitter mit seinen Donnern und Blitzen zog über den Häuptern der Betenden dahin.
Über die riesigen Kuppeln und Spitzen des Umtaka-Gebirges zitterten die ersten Strahlen des anbrechenden Tages an dem jetzt wolkenleeren Himmel, und Frieden nach dem Sturm lagerte auf der erwachenden Natur.
Nur der hoch geschwollene Strom rauschte in seinem breiten Bett.
Auf die Schulter des jungen Pretorius, der, das Gesicht verzweifelnd in den feuchten Rasen gepreßt, auf dem Boden lag, legte sich eine Hand – es war der wilde Häuptling Tzatzoe, der ihn emporrüttelte.
»Der junge Abalungo ist ein Krieger. Möge er ertragen lernen das Böse und das Gute. Er blicke hinaus auf die Wasser, die der böse Geist gesandt hat!«
Der junge Mann richtete sich empor und heftete den wirren Blick auf die rauschende, schäumende Flut, deren Flüche, die Dämmerung noch in undeutliche Schleier hüllte, die sich jedoch von Moment zu Moment zu lichten schienen.
Plötzlich entrang sich ein wilder, jubelnder Schrei seiner gequälten Brust – sein Auge hatte die Gestalten der Mädchen erblickt.
»Luisge! Ewiger Gott – sie ist gerettet!«
Er wollte sich vorwärts stürzen, aber wiederum hielt ihn die Hand des Gaika-Häuptlings zurück.
»Tzatzoe hat dem jungen Abalungo gesagt, ein Krieger müsse Gutes und Böses ertragen lernen. Mein Sohn möge sich nicht täuschen – er prüfe die Gewässer, in deren Mitte sein Herz ist!«
Peter Pretorius schaute ihn entsetzt fragend an.
In der Mission hatte nach der furchtbaren Entdeckung sich kein Auge mehr geschlossen, die Mutter weinte in trostlosem Jammer, der Vater wanderte traurig durch das Toben des Wetters und streckte die gefalteten Hände in bitterm Schmerz empor zum Allmächtigen.
Kein Trost – keine Ruhe, als der Morgen dämmerte.
Kapitän Rivers hatte am Ufer entlang noch während der Nacht seine Posten ausgestellt, das Feuer der Kaffern bewies ihm, daß er den Gedanken, sie zu einem unvorsichtigen Überfall zu verlocken, aufgeben mußte.
Leutnant Delafosse hatte die ganze Nacht am Ufer zugebracht, das Herz war ihm gepreßt und schwer, wenn er an das schwarze Mädchen und ihr Verschwinden unter den furchtbaren Umständen dachte.
Der Kapitän revidierte selbst die Posten, sein Gesicht drückte rachegierige Entschlossenheit aus. »Ich hoffe, ehe der Tag um zwei Stunden älter ist,« sagte er mit einem Ausdruck unbesieglichen Hasses in den Augen, »diesen schwarzen Bestien eine Lektion zu geben, von der sie jahrelang in ihren Kraals erzählen sollen, und den Manen Louisens ein blutiges Denkmal zu setzen, denn diese bellenden Hunde haben auf die eine oder die andere Weise die Hand dabei im Spiel.«
Plötzlich berührte der Fingoe, der ihn begleitete, seinen Arm. »Massa Kapitän,« flüsterte er, »noch ist die weiße Missis nicht tot! Schaut!« Seine Hand wies nach dem Eiland – ein Freudenschrei entfloh den Lippen der beiden Offiziere. – – – – – – – – – – –
Der erste Sonnenstrahl, der die letzten Nebel der Nacht vertrieb und sein mildes, helles Licht auf Strom und Ufer warf, zeigte Louisen die furchtbare Gefahr, in der sie geschwebt und zugleich an beiden Ufern die Gruppen der Briten und Kaffern, deren Blicke alle mit höchstem Interesse auf die Felseninsel gerichtet waren. Sie konnte deutlich an den etwa siebzig bis achtzig Schritt auf beiden Seiten entfernten Ufern, auf dem einen die winkenden Gestalten von Vater und Mutter, auf dem andern die des Geliebten unter der Schar der Kaffernkrieger sehen, die mit wildem Jubel bei dem Anblick der Feinde ihre Waffen schwangen und einen Kriegstanz begannen.
Der Strom brauste, obschon der Himmel jetzt klar und rein und keine Wolke mehr zu sehen war, noch immer mit fast unveränderter Heftigkeit fort.
»Gott der Allmächtige hat uns gerettet!« sagte mit freudiger Erhebung die Tochter des Missionärs, »und Du, Gulma, warst das Werkzeug in seiner Hand, das mich einem schrecklichen Tode entriß. Unsere Freunde sehen uns, sie werden ihre Kräfte vereinen, uns aus dieser schlimmen Lage zu befreien.«
Das schwarze Mädchen schüttelte traurig das Haupt. »Utika oder Gott, wie meine Schwester das große Wesen nennt, wollte nicht, daß wir sterben, ohne die wiedergesehen zu haben, die wir lieben. Er hat uns den Trost gegeben, ehe unsere Geister zu ihm gehen.«
»Wie, Mädchen – warum zweifelst Du an unserer Rettung? Ist die Gefahr nicht beseitigt?«
Die Kafferin legte ihre Hand auf den Arm Louisens. »Ich weiß, daß es meiner weißen Schwester schwer wird, vom Leben zu scheiden, denn der Mann, den sie liebt, liebt auch sie.«
»Gulma – ich beschwöre Dich –«
»Glaubt das weiße Mädchen wirklich, der Haß der schwarzen und weißen Männer werde sich beugen, um zwei arme Frauen zu retten? Und wenn die Menschen es wollten – Atalma Der Vollmond. fordert seine Opfer. Wir werden eingehen zu den seligen Geistern aller Guten!«
»Gulma, ich verstehe Dich nicht! rede, sprich!«
Das Kaffernmädchen wies auf das brausende Gewässer.
»Als wir uns retteten, bedeckten die Wellen noch nicht jenen Stein. Wenn die Gewitter am Vollmond brüllen und die Springfluten von den Gebirgen niederstürzen, schwellen die Wasser zwölf Stunden lang. Erst wenn die Sonne über jener Sykomore steht, wird der Strom zu fallen beginnen und dann hat er längst diesen Fels überflutet und alles, was lebt, hinweggeführt.«
Die Europäerin starrte entsetzt das Kind der Wildnis an, das traurige, ergebene Gesicht der Häuptlingstochter bewies ihr, daß sie die Wahrheit gesprochen.
Ihr starres, verzweifeltes Auge wendete sich dann wie hilfesuchend nach der Seite der Engländer. Eine weiße Wolke kräuselte von dort aus dem grünen Busch empor – der Knall der Büchse schlug an ihr Ohr und sie hörte das Zischen des Bleies über ihr Haupt hinweg – der Kampf hatte von dieser Seite begonnen.
Sie sank in die Kniee – hinüber zum Ufer der Wilden kehrte sich ihr Blick, dort hatte die Eröffnung des Feuers, obschon es bei der großen Entfernung über das Wasser weniger gefährlich war, doch eine allgemeine Bewegung hervorgerufen, die wenigen Flinten, die die Kaffern besaßen, knallten zur Erwiderung, dazwischen krachte der Donner eines der riesigen Gewehre, die unter dem Namen der Pavianspoten die holländischen Kolonisten führen und bewies, daß deren einige unter der Schar sich befanden. Das weithintreffende Rohr hatte nicht umsonst die sichere Kugel versendet, einer der englischen Jäger warf die Arme in die Luft und stürzte zu Boden.
Vergeblich eilten flehend der alte Missionär und die Matrone zwischen den Schützen umher; die Salven der Enfield-Büchsen folgten jetzt ununterbrochen.
Aber auf dem Ufer der Kaffern schienen die Krieger nicht bloß mit der Begegnung des Feuers und dem wilden Kampf beschäftigt. Das unglückliche Mädchen sah, wie eine Anzahl der Männer, in deren Mitte ihr Geliebter stand, wiederholt mit Gebärden der Angst nach ihr hindeutend, sich eifrig zu beraten schien – das Schicksal, das den Frauen auf dem Felsen drohte, konnte den erfahrenen Söhnen des Landes nicht unbekannt sein.
Auch der Fingoe sprach mehrmals eifrig zu dem britischen Kapitän, aber dieser wies ihn heftig zurück, seine Jäger zum ununterbrochenen Feuern anspornend.
Jetzt sah man eine kleine Abteilung der Kaffern stromabwärts davoneilen und bald darauf, in den Pausen des Gefechts, konnte man regelmäßige Beilschläge vernehmen, wie zum Fällen der Bäume.
Peter Pretorius war zurückgeblieben, er verließ das Ufer gegenüber der Felseninsel keinen Augenblick, und trotzte furchtlos dem Feuer der Engländer.
Auf beiden Seiten waren bereits mehrere der Krieger gefallen, und jede neue Wunde vermehrte die Erbitterung der Kämpfenden. Wenn auch die schlechten Gewehre der Wilden kaum über den Strom reichten und, ihre Kugeln meist schadlos ins Wasser fielen, so knallten nie die beiden Pavianspoten, ohne daß ein Brite den Todesschrei ausstieß.
In der Erbitterung des Gefechts hatten die meisten nur wenig auf die beiden unglücklichen Mädchen geachtet.
Höher und höher schien mit jeder Minute der Fluß zu schwellen, die Wassermassen, die sich vom Gebirge her wälzten, wurden immer gewaltiger und schon begannen die dahinsausenden Wellen auf das Plateau des Felsens zu schlagen und die Füße der Bedrängten zu netzen.
Sie waren zu dem Kreuz, der höchsten Stelle der kleinen Insel geflüchtet, Louise hielt den Stamm umschlungen, in Todesangst den Eltern, den Freunden winkend, während das Kaffernmädchen zu ihren Füßen kauerte.
Am Ufer der Mission lag der Greis, Louisens Vater auf den Knieen, sein weißes Haar flatterte im Luftzug, seine Arme waren zum Gebet erhoben – die Mutter rang neben ihm die Hände und schrie den Namen ihres Kindes.
In das Gebet des Alten, in das Jammergeschrei der Mutter krachte der Donner der Schüsse.
Höher und höher schwoll die Flut, Zoll um Zoll rückte sie gegen die Frauen am Kreuz. Dem Tode gegenüber hatte die Jungfrau im Gebet jetzt allen Mut, alle Fassung wieder gewonnen, und ihr Auge wandte sich von den Eltern und dem Geliebten auf ihre, die gemeinsame Vernichtung mit stolzer Ruhe erwartende Gefährtin.
Starren Blickes schaute der junge Boor auf die Geliebte. – Tzatzoe, der Häuptling, stand jetzt neben ihm. Jeder Blick auf den rasend schnellen Sturz des Wassers zeigte, daß es eine Unmöglichkeit war, die Insel zu erreichen. Der Häuptling schien dem Verzweifelten Mut und Hoffnung zuzusprechen, denn er deutete wiederholt stromaufwärts.
Plötzlich verkündete das Geschrei der britischen Posten, daß etwas Neues, Unerhörtes sich zeigte; zugleich stellten die Kaffern ihr Feuer ein und stürzten, jede Gefahr verachtend, nach dem Ufer. Ihr Geschrei, ihr Winken deutete den Frauen an, ihre Aufmerksamkeit stromaufwärts zu richten.
Gulma sprang empor, ihr Arm richtete das Christenmädchen aus. »Rettung, Schwester, Rettung! Die Krieger meines Volkes kommen!«
Auf der brausenden Flut daher aus dem Dunkel des Busches, der weit hinauf die Ufer bedeckte, schoß ein schwankes Floß, aus dünnen Baumstämmen und Ästen leicht zusammen gezimmert und durch zähe Lianenranken verbunden. Drei junge Kaffernkrieger trug das Floß! – Kona und Namba, die Verschmähten – standen mit Stangen auf beiden Seiten des Fahrzeugs, seinen Lauf zu leiten, während die hohe, kräftige Gestalt des dritten mit der Rechten eine Art von Steuer zu lenken suchte, indes seine Linke einen grünen Zweig über dem Haupte schwang.
Das Floß kam mit rasender Schnelligkeit heran.
»Bursche, nehmt die drei Schurken aufs Korn, zehn Guineen den Schützen, die sie herunterholen,« schrie die heisere Stimme des Kapitäns.
»Um Gotteswillen, Sir! die Männer hegen keine feindliche Absicht, sie wollen die Unglücklichen retten!« Delafosse riß dem Schützen neben ihm das Gewehr aus der Hand, mit dein er im Anschlag lag.
Die Mutter Louisens fiel vor dem Offizier in die Kniee. »Erbarmen, Sir, rauben Sie einer Mutter ihr Kind nicht!«
»Es sind Macomos Söhne,« flüsterte der Fingoe … »sie haben einen Streich vor – hüte Dich, Massa! …«
Peter Pretorius schwang das Tuch über seinem Haupte. »Rettung! Rettung!« Der Blick des britischen Offiziers fiel auf die Gestalt des Jubelnden.
»Feuer, Bursche! – Herunter mit den Schwarzen!«
Vier, fünf Büchsen der englischen Jäger knallten zu gleicher Zeit. Der Wilde am Steuer that einen hohen Sprung und stürzte rückwärts in den Strom, Kona verschwand in den Wellen, während sein Bruder das Ruder fallen ließ und auf dem Floß zusammenbrach. Der rote Blutstrom aus seiner Seite vermischte sich mit dem Wasser, sein rollendes Auge, die geballte Faust drohte im Todeskampf den verräterischen Feinden Verderben.
Ein Schrei der Wut, der Entrüstung gellte aus hundert Kehlen vom Ufer der Kaffern, wild schwangen die Krieger die Waffen; der Jammerruf der unglücklichen Mutter mischte sich diesseits in das Wutgeschrei der Wilden.
»Das ist niedriger Meuchelmord – schämen Sie sich, Sir!«
Der Kapitän griff wutflammenden Auges nach dem Degen, aber Leutnant Delafosse, der ihm die Verwünschung ins Gesicht geschleudert, achtete seines Zornes nicht und stürzte nach dem Rande des Stromes.
Furchtbares war auf der brausenden Flut geschehen.
Das Floß, jeder Steuerung beraubt, schoß mit entsetzlicher Kraft heran, stieß an den bereits fußhoch von der Flut bedeckten Fels, drehte sich um sich selbst und schlug mit seinem Ende gegen das Kreuz, an das, einander umschlingend, die Mädchen sich geklammert hatten.
Ein entsetzlicher, gellender Todesschrei: der Anprall hatten die schwachen Bänder des Floßes gelöst, und seine Balken flogen auseinander; hin und her schwankte das Kreuz, dann, dem Druck der Wasser nachgebend, neigte sich das Zeichen der britischen Civilisation und stürzte in die brausende Flut, die die blutenden Körper der Mädchen davon trug.
»Luisge!« – »Gulma!«
Von dem Ufer der Kaffern warf sich mit gewaltigem Sprung, den Armen des Häuptlings sich entreißend, der junge Boor in die Flut – in die im selben Augenblick vom anderen Ufer Edward Delafosse verschwand.
Mit gewaltigem Arm griffen die Schwimmer aus.
Wie auf einen Antrieb eilten die wilden Krieger und die britischen Schützen bis an die Brust ins Wasser oder am Ufer entlang, den Kühnen zu Hilfe, Schüsse wechselnd, die Todesdrohung im Aug' und Mund, aber von der undurchdringlichen Wasserflut geschieden.
Kapitän Rivers hatte dem Fingoe die Büchse entrissen, und sein Schuß krachte auf den eben emportauchenden Todfeind.
Der junge Boor erhob sich aus den Wellen – er streckte die von dem Blei zerschmetterte Linke in ohnmächtigem Fluch dem Herzlosen entgegen und überließ sich den Wellen.
Die starke Hand Tzatzoes erfaßte ihn und zog ihn zum Ufer. –
Eine Meile unterhalb der Mission, aus einer hohen vorspringender: Felswand, fanden zwei Stunden später, als die Wasser so rasch, wie sie gekommenen, zu fallen begannen, die britischen Soldaten die zerschmetterten Leichen der beiden Mädchen, unfern von ihnen das Kreuz.
Am Nachmittag desselben Tages schon führte General Cathcart die britischen Truppen durch das fast wasserlose Strombett zum Einfall in das Land, und der Rauch der brennenden Kraals bezeichnete seinen Weg.