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Am 23. rückte die österreichische Armee über den Mincio dem Feinde entgegen der im allgemeinen noch die Chiese-Linie hielt.
Die kaiserliche Armee stand jetzt innerhalb ihres berühmten Festungsvierecks, das den Weg nach Deutschland deckt, oder stützte sich vielmehr auf dasselbe, auf Peschiera, Verona und Mantua, das heißt auf die Linie des Mincio, der bei der ersteren Festung aus dem südlichen Ende des Garda-Sees tritt und unterhalb Mantua sich in den Po ergießt, der die Grenze und den Schutz von Venetien im Süden gegen die empörten Herzogtümer (Parma Modena) und die Legationen (Ferrara, Bologna) bildet, von denen her das Korps des Prinzen Napoleon die linke Flanke der Österreicher zu bedrohen begann.
Dem Laufe des Mincio entsprechend, fließt weiter westlich diesseits des Gardasees, aus den trompianischen Alpen kommend, der Chiese gleichfalls von Norden nach Süden und ergießt sich in den Po.
An diesen beiden gleichsam parallelen Wasserläufen standen seit dem 21. Juni die beiden feindlichen Heere einander gegenüber, und auf dem Terrain zwischen ihnen wurde die blutige Schlacht von Solferino geschlagen.
Für die Österreicher war es eine strategische Notwendigkeit, über den Mincio wieder vorzugehen, wenn sie einen Kampf hier an der äußeren Linie des Festungsvierecks aufnehmen und nicht bis an die Etsch zurückgehen wollten, da ihre Stellung auf dem östlichen Ufer des Mincio sich nicht zur Verteidigung eignete, weil das westliche weit höher und deshalb dominierend ist.
Das Terrain der Schlacht teilt sich in zwei verschiedene Gruppen.
Südlich vom Garda-See bildet die Gegend ein bergiges Dreieck, dessen Basis das Ufer des Garda-Sees von Desenzano bis Peschiera und dessen Spitze Volta ist, während der gewundene Lauf des Mincio den östlichen Schenkel und die Linie von Lonato, Castiglione, Solferino und Cavriana nach Volta die westliche Seite bildet.
In der Mitte dieses Dreiecks liegt Pozzolengo. Dieser bergige Teil steigt vom See amphietheatralisch in Hügeln und Thälern sanft zu Höhen von 3- bis 400 Fuß bis zum äußeren Rand, wo er ziemlich schroff nach Süden in die Ebene von Medole und Guidizzolo abfällt. Einer der höchsten Punkte ist hier La Rocca bei Solferino. Rings im Lande umher erblickt man aus meilenweiter Entfernung den auf dieser Höhe erbauten Turm, bezeichnend La Spia d'Italia (die Spähe Italiens) genannt.
Südlich dieses hügelreichen Dreiecks breitet sich eine weite, steinige Ebene aus.
Über das österreichische Heer hatte der Kaiser Franz Joseph bereits am 16. den Oberbefehl übernommen, Feldzeugmeister von Heß stand an der Spitze der Operations-Kanzlei und hatte auch die nach dem Urteil aller Militärs vortrefflichen Dispositionen zu dem Vorrücken der Armee über den Mincio und gegen den Feind entworfen, wobei die früher 4 Meilen lange Front (von Peschiera bis Goito) auf 1½ Meile zusammengezogen wurde.
Die erste Armee, die beim Vorrücken den linken Flügel bildete, also auf dem Terrain der Ebene zu operieren bestimmt war, bestand aus dem III. (Fürst Schwarzenberg), IX. (Graf Schaffgotsch), XI. (Weigl) und II. (Fürst Liechtenstein) Armeekorps und der Reserve-Kavallerie-Division, Graf Zedtwitz, und wurde vom Feldzeugmeister Graf Wimpffen kommandiert.
Die zweite Armee unter dem General d. Kav. Grafen Schlick umfaßte das VIII. (Benedeck), V. (Graf Stadion), I. (Graf Clam-Gallas) und VII. Armeekorps (Zobel) und die Reserve-Kavallerie-Division Mensdorf. Sie bildete den rechten Flügel und das Centrum. Die Stärke der Österreicher bei der Schlacht betrug etwa 150 000 Mann und 102 Batterieen (816 Geschütze), von denen aber unglücklicherweise nur 360 ins Feuer kamen.
Man wollte den Feind am anderen Tage am Chiese angreifen, aber man mußte auch gewärtig sein, jeden Augenblick auf ihn zu stoßen. Unter diesen Umständen konnte die Aufstellung nur eine ganz vortreffliche genannt werden. Die Strategie des Generalstabs hatte das Ihre geleistet, das Weitere war nun Sache der Feldherren.
Aber ein großer Übelstand war es, daß der Ausmarsch der Truppen erst des Vormittags um 9 Uhr begonnen hatte, sie also durch den Marsch in der glühenden Sonnenhitze erschöpft auf den disponierten Punkten ankamen.
Und nun fanden sie auf diesen keine Verpflegung. Den meisten Truppenteilen fehlten die Brotlieferungen, einigen ihre ganzen Kolonnen-Magazine. Die wenigen Bissen, die sie vielleicht noch im Brotbeutel hatten, bildeten bei mehreren Regimentern seit 24 Stunden die einzige Nahrung.
Auf dem Bahnhof in Verona lag unterdes verschimmelnd und verdorrend das Brot bergehoch, ungeheuere Geldsummen für Wein- und Fleischlieferungen steckten in den Taschen der Lieferanten von Triest, und den Beamten des Verpflegungs-Departements in Wien bis zu Generalen und Ministern hinauf hatte das Geld der Lieferanten eine Binde um die Augen gelegt.
Man weiß jetzt, daß z. B. Kontrakte auf Lieferungen von 5000 Ochsen abgeschlossen und bezahlt waren, von denen nicht tausend Stück die Armee erreicht haben, oder überhaupt geliefert wurden. Die Ernennung des Feldmarschall-Leutnant Melczer zum Armee-Oberintendanten war noch zu neu, um die beabsichtigte Kontrolle genügend zu üben und den Betrügereien und dem Schlendrian des Bureaukratismus abzuhelfen.
Als die Bataillone und Eskadrons auf den ihnen angewiesenen Stellen angekommen waren, warfen sie sich erschöpft nieder und suchten in einem kurzen Schlaf Stärkung und Ruhe.
Der Kaiser Napoleon war auf eine bevorstehende Schlacht zwar vorbereitet, aber er glaubte sie nicht so nahe.
Am 23. wußte man im Hauptquartier zu Montechiaro jenseits des Chiese nur, daß die österreichische Armee sich über den Mincio zurückgezogen hätte. Man ließ vor Castiglione einen Luftballon steigen, um das sehr bedeckte Terrain aus der Höhe zu rekognoszieren aber man bemerkte eben nur unbedeutende Abteilungen. Der Kaiser wartete, bevor er vorwärts gehen und die Österreicher angreifen wollte, auf das Eintreffen der Division Autemarre, die bei Piacenza über den Po gegangen war. Die meisten Korps hatten bereits den Chiese überschritten und standen in der Front von Lonato nach Mezzano dicht vor dem künftigen Schlachtfeld, sie hatten bis zum Mincio höchstens Märsche von zwei Meilen. Sie standen in drei Hauptgruppen, gleich den Österreichern. Den linken Flügel, auf Lenato und Desenzano sich stützend, bildeten die Piemontesen 44 000 Mann, das Centrum die Garde (General Regnaud de St. Jean d'Angely), das I. (Marschall Baraguay d'Hilliers) und II. Korps (Graf Mac-Mahon), 57 000 Mann stark; der rechte Flügel nach der Ebene das III. (Marschall Canrobert) und VI. Korps (General Niel) und die beiden Kavallerie-Divisionen, zusammen 50 000 Mann.
Der Position nach standen den Österreichern auf ihrem rechten Flügel und im Centrum überlegene feindliche Kräfte entgegen, dagegen hatten sie den bedeutenden Vorteil des Terrains, während sie in der Ebene entschieden stärker waren.
Vor einem großen Hause in Montechiaro, das am östlichen Ufer des Chiese auf der Straße von Brescia nach Mantua liegt, war trotz der späten Abendstunde ein lebhaftes militärisches Leben und Treiben. Feuer brannten vor den Thüren und Kirchen und auf dem Marktplatz, auf dem die französischen Garde-Kürassiere von Versailles biwackierten; Ordonnanzen mit Handpferden hielten in einer zahlreichen Gruppe zusammen, ein leichter Jagdwagen mit vier Pferden bespannt, hielt vor dem Hause, und ein Doppelposten der Gendarmen des Obersten Primonville de Maisonthou bewachte die Pforte, durch die fortwährend Offiziere aller Grade ein- und auspassierten.
Einige Tische waren unter den steinernen Laubgängen aufgeschlagen, und hier verkehrten Offiziere jeden Ranges und jeder Waffengattung.
Es mochte elf Uhr sein, als von der Strada Castiglione her zwei Offiziere in der Uniform des Generalstabs im Galopp auf den Marktplatz sprengten und vor dem Eingang des Hauses parierten; sogleich hatte sich eine Anzahl der unter den Lauben promenierenden oder sitzenden Militärs um sie versammelt.
»Ha, d'Augerau, wo kommen Sie noch so spät her? Giebt es was neues? Haben die Österreicher etwa Verona geräumt? Wir zweifeln keinen Augenblick, es könnte den Piemontesen kein größerer Gefallen geschehen!«
Der Ältere der Stabsoffiziere beantwortete keine der gethanenen Fragen, sondern wendete sich an den anwesenden Gendarmerieoffizier. »Heda, Bernelle, ist der Marschall hier?«
» Sapristi, welchen Marschall wollen Sie denn? Wir haben ihrer nicht weniger denn vier Stück hier und einen König dazu.«
»Ich meine den Grafen Baraguay.«
»Gewiß, Kapitän, aber ich glaube, sie werden sämtlich bald aufbrechen. Es ist Zeit, wenn wir noch einige Stunden Schlaf genießen wollen.«
Die beiden Offiziere vom Generalstab sprangen aus dem Sattel und warfen die Zügel einigen lungernden Gendarmen zu. »Das ist gut, daß ich Sie hier noch treffe. Würden Sie wohl so gefällig sein, wenn der Kriegsrat noch nicht zu Ende ist, General Foltz auf einige Augenblicke herausrufen zu lassen? Bitte, lassen Sie ihm nur meinen Namen sagen, Forey schickt mich.«
Der Gendarmerieoffizier ging in das Haus, die beiden Offiziere blieben im Kreise ihrer Kameraden.
»Sind heute Nachrichten aus Paris eingetroffen, Denné de Lisle?«
»Besseres als das: zwei lebendige Boten, wie wir sie selten hier zu sehen bekommen.«
»Was meinen Sie?«
»Sehen Sie die Equipage dort?«
»Nun?«
»Es ist der Wagen des Königs der Sardinier. Der Regentiluomo ist ein galantuomo gewesen, er hat uns zwei Damen von Paris mitgebracht, die heute Mittag direkt aus jener Quintessenz aller irdischen Genüsse in Brescia angekommen waren und aus irgend einer Caprice durchaus zur Armee wollten, ohne daß ihnen diese Wagenburg Platz machte, die jetzt alle Straßen sperrt!«
»Jung? hübsch?«
»Die eine, sie scheint eine Deutsche nach den blonden Haaren, ist nicht mehr ganz frisch, aber eine stolze Figur. Aber die Jüngere – Tonnerre de Dieu! – eine Schönheit ersten Ranges! Sie muß die besten Rekommandationen haben, denn der Kaiser hat die Jüngere sofort empfangen und Bretteville, der Oberst des Ersten, hat sein Quartier räumen müssen, um ihnen Platz zu machen.«
»Also vom Hofe oder von Familie? Aber was wollen sie hier?«
»Beide Schönheiten scheinen zum Glück für uns Witwen, sie trugen beide Trauer, vielleicht um einen Mann oder Vater, der tot ist oder den sie in irgend einem Lazarett aufstöbern wollen. Sie haben dazu ein passendes Subjekt gefunden, einen Burschen, der in allen Ambulanzen herumschnüffelt.«
» Henry Dumont heißt er, ein Schweizer, aus Genf.«
Der Generalstabsoffizier lachte. »Unsinn! Danach frage ich nicht. Ich meine die Damen.«
»Ach so – eine merkwürdige Ähnlichkeit, ich muß das hübsche Gesicht und diese herausfordernden Augen schon irgendwo gesehen haben, aber ich weiß nicht wo. Sie ließ sich als eine Gräfin Fourichon anmelden, ich glaube …«
»Kapitän d'Augerau, der General wünscht Sie augenblicklich zu sprechen!«
»Also bis nachher! Halten Sie sich bereit, es giebt etwas!« Die beiden Offiziere sprangen die Treppe hinauf, ihre Meldung zu machen, während die leise geflüsterten, letzten Worte bereits unter den Gruppen die Runde machten und lebhafte Bewegung hervorriefen.
Fünf Minuten später führte der Graf Baraguay, der den Chef seines Generalstabes gerufen, den Boten selbst in das Beratungszimmer.
Die Versammlung war, wie bereits der kommandierende Offizier des Hauptquartiers den Angekommenen mitgeteilt hatte, im Begriff, nach beendetem Kriegsrat auseinanderzugehen, und hatte sich in einzelne Gruppen zurückgezogen, während der Kaiser, noch am Tisch sitzend, sich mit dem König von Sardinien und Marschall Vaillant, dem Chef des Generalstabes, unterhielt.
Unter den Mitgliedern des Kriegsrates bemerkte man den Generalleutnant Della Rocca, Mac-Mahon, Canrobert, Niel, Regnaud d'Angely, den Divisionsgeneral Leboeuf und den General Menabrea.
»Sire,« sagte der Graf Baraguay, das Gespräch der beiden verbündeten Monarchen ehrerbietig unterbrechend, »General Farey schickte eine wichtige Meldung: Solferino ist von den Österreichern besetzt.«
Der Kaiser hob mit der bekannten matten Bewegung die Augenlider und sah auf den Offizier, der die Meldung gebracht, die in dem ganzen Kreise die größte Sensation hervorrief; denn bis diesen Augenblick hatte man die Österreicher ganz bestimmt noch hinter dem Mincio geglaubt.
»Sie sind Kapitän d'Augerau, wenn ich mich recht erinnere?«
»Zu Befehl, Sire!«
»Oh, der Name ist nicht gemacht zum Vergessen. Rapportieren Sie!«
»Auf Befehl des General Forey, Sire, in Abwesenheit des Herrn Marschall haben Kapitän Ricouart und ich diesen Abend eine Rekognoszierung über Castiglione hinaus in die Berge unternommen. Wir sind bis an den Fuß des Monte Carnal gelangt, wo er von dem Schloß von Solferino zur Contrada Fatorelle abfällt, als wir einem kleinen italienischen Wagen begegneten. Der Kutscher, der ein junges Mädchen von Solferino zu Anverwandten nach Desenzano bringen sollte, war von den österreichischen Vorposten, durch die wir zufällig in der Dunkelheit hindurchgekommen sein müssen, angehalten und zurückgewiesen worden, da niemand über ihre Linien hinauspassieren durfte.«
»Weiter!«
»Von dem Mann und dem Mädchen, das eine italienische Patriotin zu sein schien, erfuhren wir, daß die Österreicher bereits in Solferino eingerückt sind und etwa 6000 Mann stark das Schloß besetzt hatten. Aber es scheint, als ob der Feind im ganzen eine größere Vorwärtsbewegung über den Mincio gemacht und die Gebirgslinie von San Martino bis Rebecco okkupiert hat.«
»Woraus schließen Sie dies?«
»Die Personen, von denen ich sprach, berichteten uns von bedeutenden Truppenmärschen, und daß sie eben deshalb hätten flüchten wollen.«
»Und wie gelang es Ihnen wieder, unbemerkt zurückzukommen?«
»Das wackere Mädchen, die schon bei Magenta das Unglück hatte, zwischen die kämpfenden Truppen zu kommen, ließ uns durch ihren Begleiter den Weg zeigen, während sie selbst ihr Cariol nach Solferino zurückfuhr.«
Der Kaiser sann einige Augenblicke nach, dann wandte er sich zu Marschall Vaillant.
»Hat Montboisier noch nichts wieder hören lassen?«
»Nein, Sire, seit dem Bericht über die verunglückte Expedition der Freischaren gegen San Vigilio fehlen weitere Nachrichten.«
»Das ist sehr unangenehm. Er hoffte, sie zuverlässig zu erhalten von jenem … Die Relais sind doch gelegt?«
»Die Couriere können in anderthalb Stunden die vierzehn Miglien von Salo hierher zurücklegen.«
»Ich danke Ihnen für Ihren Diensteifer, Kapitän d'Augerau,« bemerkte der Kaiser. »Baraguay wird wohl einige Befehle für Sie an General Forey haben. Lassen Sie die Position von Solferino durch eine starke Rekognoszierung jedenfalls angreifen.«
Der Offizier trat ab.
»Nehmen Sie wieder Platz, meine Herren,« befahl der Kaiser, nachdem er einige Worte mit dem König von Sardinien gewechselt hatte. Die große Karte des Terrains wurde aufs neue herbeigezogen.
»Sire,« fuhr der Kaiser fort, mit dem Rotstift, den er in der Hand hielt, den Weg auf der Karte bezeichnend, »es bleibt demnach dabei. Ihre Truppen gehen von Lonato und Desenzano in dem Bergterrain in der Richtung nach Pozzelengo vor. Sie, Herr Marschall« – er wandte sich zu Baraguay – »haben bereits Ihre Richtung von Esenta nach Solferino. Treffen Sie Ihre Anstalten demgemäß, daß wenn Sie auf Widerstand stoßen, Sie alsbald zum Angriff übergehen können. Graf Mac-Mahon, Sie werden sich südlicher wenden und von Castiglione Ihre Richtung auf Cavriana nehmen, indes die Garden Sie bei Castiglione ersetzen. General Niel und die beiden Kavalleriedivisionen wenden sich nach der Ebene über Medole nach Guidizzolo, und Marschall Canrobert wird nach der Überschreitung des Chiese Ihre Reserve bei Medole bilden. Die Truppen werden um fünf Uhr aufbrechen.«
Während die Generäle sich noch Notizen machten und einige Fragen wechselten, hörte man auf dem Pflaster des Platzes den scharfen Galopp mehrerer Pferde. Eine Minute später öffnete der dienstthuende Adjutant die Thür des Gemachs.
»Sire, der Oberst Graf Montboisier!«
»Er selbst – vortrefflich!« Der Kaiser war hastig aufgestanden und reichte dem Kammerherrn die Hand. »Kommen Sie, kommen Sie, ich habe Sie mit Sehnsucht erwartet! Begleiten Sie uns, Sire, wenn es Ihnen gefällig ist.«
Er winkte nach einem Nebenzimmer. Der Kammerherr öffnete die Thür, und die beiden Monarchen traten ein; Montboisier folgte ihnen.
Sobald die Thür wieder geschlossen war, wandte sich der Kaiser an den Grafen.
»Nun, Graf, daß Sie selber kommen, hat offenbar etwas zu bedeuten. Was bringen Sie?«
»Sire, Sie wissen vielleicht bereits, daß die ganze österreichische Armee heute über den Mincio gegangen ist?«
»Also doch! Wir erhielten eben nur die Meldung, daß Solferino besetzt sei. Wissen Sie näheres?«
»Hier, Sire, ist die Abschrift der vollständigen ordre de bataille.«
»Ah – Parbleu! Das wäre vortrefflich! Und Sie sind sicher, daß es richtig ist?«
»Der Jude hat die Papiere überbracht, im Auftrage des Fürsten, vor fünfviertel Stunden!«
»Dann beschämen Sie die Lokomotiven! Ich danke Ihnen für Ihren Eifer, General Montboisier!« Er überflog die Papiere. » Vraiment, der Kaiser von Österreich muß eine gute Partie Schurken in seiner Nähe haben, dies Papier sichert vollständig den Sieg. Bitte, rufen Sie Vaillant und Della Rocca! Nein, bleiben Sie da,« fuhr er fort, als die Genannten eingetreten waren und der Flügeladjutant sich entfernen wollte, »Sie können uns vielleicht über manches Auskunft geben.«
Die Beratung dauerte nur kurze Zeit. Man beschloß die bereits getroffenen Dispositionen unverändert zu lassen und nur die Aufbruchszeit um zwei Stunden früher anzusetzen. Damit gewann man auf der ganzen Linie des Angriffs eine vollständige Überraschung des Feindes. Der Kaiser befahl jedoch, dafür zu sorgen, daß die Truppen vorher ihr Frühstück einnähmen. Alles Gepäck sollte, um eine freiere Bewegung zu gestatten, zurückgelassen werden. General Leboeuf, der Chef der Artillerie, erhielt den Auftrag, mit allen Kräften dafür zu sorgen, daß die Batterieen in dem okkupierten Terrain vorwärts gebracht werden könnten.
Es war dies bei der später folgenden Schlacht der große Vorteil, wodurch sie gewonnen wurde, da die Österreicher, im Gegenteil auf das Terrain vertrauend, den Fehler gemacht hatten, nur einen verhältnismäßig kleinen Teil ihrer Artillerie vorzubringen. Durch die französischen Dispositionen wurde überdies ohne ermüdenden Marsch trotz der hindernden Natur des Bodens die Angriffsfront auf kaum 1½ Meile konzentriert. Die Division Ladmirault und Forey wurden bestimmt, den Angriffsstoß zu machen. Bazaine sollte ihnen als Reserve folgen. Im französischen Hauptquartier wußte man jetzt genau, wo und in welcher Zahl man auf den Feind stoßen werde; im österreichischen hatte man keine Ahnung davon! –
Nachdem alle Positionen getroffen waren – es war bereits gegen Mitternacht, trennte sich der Kriegsrat. Der König von Sardinien war schon früher in sein Hauptquartier zurückgekehrt. Der Kaiser selbst wollte auf die Bitte seiner Umgebung noch ein paar Stunden der Ruhe genießen.
Als er die Generale verabschiedete, befahl ein Wink dem Grafen, noch zu verweilen.
»Wissen Sie, lieber Graf, daß ich heute nachmittag Besuch aus Paris erhalten habe?«
»Euer Majestät wollen bedenken, daß ich soeben erst angekommen bin.«
»Sogar eine Dame! Raten Sie!«
»Ich bin außer stande, Sire!«
» Eh bien! Was sagen Sie dazu? Es ist die kleine Marquise von Massaignac die Erbin ihres Bruders, die, wie Sie schon gehört haben, plötzlich wieder zum Vorschein gekommen ist. Madame Eugenie protegiert sie ganz besonders und hat ihr spezielle Empfehlungen mitgegeben. Es scheint, daß ihr Herr Vetter auf die reiche Braut verzichten muß.«
»Ich habe von einigen Abenteuern gehört, doch scheint ein gewisser Schleier ist darüber gezogen. Was den Herrn Grafen von Montijo betrifft, so scheint die Dame allerdings keine besondere Sympathie für ihn empfunden zu haben, und es war wohl mehr der Wille ihres Vaters oder Bruders, der sie ihm bestimmte.«
»Zum Henker, ich dächte, ich hätte anderes zu thun, als mich um Heiraten oder Liebschaften zu kümmern. Suchen Sie morgen die abenteuerliche Dame auf, die sich hier einquartiert hat und erforschen Sie, was sie eigentlich will. So weit ich aus ihr klug werden konnte, suchte sie einen gewissen Major Laforgne auf, der, so viel ich mich erinnere, einer der Abenteurer Garibaldis war; wahrscheinlich ist er ihr Liebhaber.«
Der neu ernannte General lächelte. »Major Laforgne,« sagte er, »ist glücklich verheiratet und befindet sich in diesem Augenblick sogar vor dem Hause Eurer Majestät, denn er hat mich begleitet, um etwaige Befehle Eurer Majestät für General Garibaldi in Empfang zu nehmen.«
»Gott soll mich bewahren, daß ich den General in unsere morgende Affäre menge,« sagte der Kaiser hastig. »Monsieur Garibaldi hat eine sehr unglückliche Hand. Aber ich erinnere mich des Offiziers, lassen Sie ihn heraufkommen, ich will ihn noch einige Augenblicke sprechen.«
»Wenn Euer Majestät,« bemerkte der General, indem er zur Thür zurücktrat, »einiges Interesse an den Abenteuern der Marquise von Massaignac nehmen, so ist der Major Laforgne gerade der Mann, der die beste Auskunft geben kann. Es ist damit noch eine andere traurige Geschichte verknüpft, die einen schrecklichen Blick giebt in die Intriguen der Jesuiten in diesem Lande.«
Einige Minuten später führte der General den Offizier der Freischaren in das Gemach des Kaisers.
Die Höhen von Solferino bis Cavriana bildeten das österreichische Centrum und waren von dem V. und I. Corps ( Stadion und Clam Gallas besetzt), der Hauptpunkt dieser Stellung war La Rocca mit dem Schloß und dem Kirchhof von Solferino auf der Kuppe des Berggeländes, das sich von dem Turm (La Rocca) in zwei parallellaufenden Rücken: dem Monte Carnal und Monte Mezzana, nach Westen zieht. Der Abfall beider etwa 100-150 Fuß hohen Bergrücken ist meist so steil, daß er nur mit Mühe erklommen werden kann; terrassenförmiger Weinbau macht sie stellenweise ganz unzugänglich. Das Dorf Solferino liegt unterhalb des Schlosses, das mit der Kirche und den Wirtschaftsgebäuden ein von Mauern umschlossenes Oblongum bildet, am Fuß der Rocca. Der Kirchhof, etwa 300 Schritt vor dem Schloß nach Westen gelegen, ist mit sechs Fuß hohen Mauern umgeben. Schon diese einfache Beschreibung wird genügen, um dem Leser klar zu machen, daß hier die Stellung der Österreicher sehr stark war.
Der rechte Flügel der Österreicher, gegen die Sardinier gerichtet, und wie bereits erwähnt, von dem VIII. Korps unter Feldmarschallleutnant Benedek und der Brigade Reichlin gebildet, verteidigte die Linie von San Pietro (nördlich von Solferino) am Redone bis Pozzolengo. Auch hier ist das Terrain größtenteils sehr hügelig.
Die Hauptmacht der Österreicher, der linke Flügel, das III., VII., IX. und XI. Korps mit der gesamten Kavallerie stand südlich der Höhen von Solferino und Cavriana, in einzelnen Positionen weit vorgeschoben, zum Teil sehr zerstreut in dem Terrain der Ebene um Guidizzolo und die Straße von Mantua. Gelang es den Österreichern, dem ursprünglichen Plan des Vormarsches gemäß, hier über Medole nach Carpenedolo, das heißt, bis zur Sesia vorzudringen, so war der rechte französische Flügel aufgerollt oder vom Centrum abgeschnitten und dies zwischen zwei Feuer gedrängt. –
Um drei Uhr morgens ließ der Marschall Burguay die 2. Division aufbrechen, um Solferino auf der nordöstlichen Seite anzugreifen. Die Brigaden Martimprey (das 6. Fußjägerbataillon, das 52. und 72. Linienregiment) und de la Charriere (das 85. und 86. Regiment) rückten über Santa Maria und Barche di Solferino vor.
Aber obschon die 1. Division ( Forey) eine Stunde später ausgerückt, war ihr Weg der kürzere, und General Cambriels mit den 17. Fußjägern und dem 74. und 84. Linienregiment stieß schon bei Le Fontane an der Chaussee auf die bisher vorgeschobene Avantgarde der Österreicher, die Brigade Bils.
Nach kurzem Widerstand wurden diese bis über Le Grole zurückgetrieben und setzten sich erst auf den Vorbergen von Solferino.
Um acht Uhr morgens waren die Österreicher auch aus der vorteilhaften Stellung auf dem Monte Fenile vertrieben. Die Brigade Dieu mit dem 91. und 98. Regiment war hier stark im Gefecht.
Um diese Zeit rückte von Barche her die Division Ladmirault ins Feuer.
Aber jetzt brach sich hier im Centrum der französische Vormarsch.
Die Brigade Bils mit dem Regiment Kinsky und den Oguliner Grenzern deckte den südlichen Höhenzug, Generalmajor Festetics mit dem Regiment Reischach den nördlichen, den Monte Carnal. Das 6. Kaiserjäger-Bataillon warf sich nach San Martino, das 4. und Culoz-Infanterie gegen den Fenile.
Vergebens donnerte von dessen Höhe die hier vorteilhaft plazierte französische Artillerie; die französischen Regimenter, die des schwierigen Terrains halber nur in einzelnen Abteilungen und im Thalgrund herankommen konnten, wurden mit großen Verlusten zurückgeworfen.
Vergebens führte der tapfere Guyot de Lespart das 74. im Sturm bis an die Rocca, bis an die ersten Häuser von Solferino, zehn Offiziere fallen hier! Kapitän de Brenier bemächtigt sich mit seiner Kompagnie der 17. Jäger von Arras eines Gehöftes, die 4. Kaiserjäger schlagen ihn heraus. Die Bataillonschefs des 84. sammeln dreimal ihre Kolonnen, die Kugeln der 4. Kaiserjäger dezimieren die Franzosen! Die zurückgedrängten Abteilungen von Culoz-Infanterie müssen endlich Schritt um Schritt dem furchtbaren Raketen- und Granatenfeuer weichen. Mit dem Bajonett werfen die tapfern Jäger die französischen Kolonnen den Bergrücken hinab, endlich aber zwingt das französische Flankenfeuer die Jäger, zurückzuweichen bis zu dem furchtbar mit Blut getränkten Steinwall, der den Schlüssel der Hauptstellung des Berges bildet. Hier ist die Stelle, wo die braven Tiroler zu sterben beschließen. Zwölf Offiziere und fast alle Unteroffiziere sind gefallen, einundsiebzig Jäger schon tot oder verwundet – sie weichen nicht. Handhoch liegen um die Tapfern her schon die Patronenhülsen, da zum Unglück beginnt die Munition zu fehlen und von dem Höhenrand der Straße, wohin die wackeren Siebenbürgner sie zurückgetrieben haben, schmettern die Franzosen mit einer neuen Batterie gegen die kühnen Verteidiger von Solferino.
Bis gegen Mittag dauerte die Kanonade, ohne daß die Franzosen weiter Terrain an diesem Punkte gewinnen.
Ladmirault hat sich unterdes der Höhen zwischen Barche und dem Thal des Redone bemächtigt, aber die Österreicher verteidigen tapfer den Weiler von San Martin: das Regiment Kinsky und die wilden Oguliner von der Carlstädter Militärgrenze.
Generalmajor von Bils schickt Adjutanten über Adjutanten an den Korpskommandanten um Unterstützung auf seinem rechten Flügel, den der Feind zu umgehen droht.
Hier hatten die Piemontesen gegen acht Uhr ihren Angriff begonnen.
Graf Stadion hatte die Intervalle zwischen seinem und dem VIII. Korps schon früher mit zwei Bataillonen Este der Brigade Koller besetzt. Dieser Punkt, Madonna della Scoperta, an der Straße von Lonato nach Pozzolengo, sah einen der wichtigsten Kämpfe des Tages.
Die alte Klosterkirche mit einigen Nebengebäuden liegt auf einem schmalen Bergrücken, der sich nach Westen hin sanft verflacht. Zwei Battaillone der Division Durando mit zwei Geschützen stürmten die Höhe, warfen die Österreicher zurück und setzten sich im Gehöft fest.
Unmöglich konnte man die Position in den Händen des Feindes lassen. Graf Stadion zog seine Reserve herbei und befahl dem Feldmarschallleutnant Graf Pálffy mit dieser das Kloster wieder zu nehmen. Generalmajor Gaal an der Spitze nahm das Regiment Karl Ludwig mit den Liccaner Grenzern die Madonna wieder, indem sie die Redone und Fossetta unter dem Feuer der Piemontesen auf schnell erbauten Laufbrücken überschritten und die Feinde bis Fenile vor sich her jagten.
Auch auf diesem Punkt stand jetzt das Gefecht, König Viktor Emanuel selbst befand sich an dieser Stelle und beorderte Succurs herbei. Aber die Grenadierbrigade vermochte den Kampf nicht wieder herzustellen und mußte sich darauf beschränken, den wiederholten Aufforderungen des Kaisers an General Durando gemäß die Verbindung mit dem linken Flügel des I. französischen Korps herzustellen.
Unterdes war der rechte Flügel der Österreicher im siegreichen Vordringen begriffen, obschon der Feind auch hier sie überrascht hatte. Die Avantgarde der piemontesischen Division Cucchiari war früh ½7 Uhr bei Ponticello auf die Vorposten getroffen und hatte sie zurückgeworfen. Es war dies die zweite und die vierte Division Prohaska-Infanterie der Brigade Waterfliet. Die Truppen waren eben im Abkochen hinter dem Monte Giacomo begriffen, und mußte von ihren Kochkesseln forteilen, um die Bergränder zu besetzen, ehe die Bersaglieri sich ihrer bemächtigten. Oberst Prohaska selbst und der tapfere Hauptmann Wassilda mit zwei Kanonen stellen rasch das Gefecht wieder her. Der Hornist Elsler vollführt sein wackeres Jägerstücklein. Kaum fünfzig Schritt mit den Seinen zurückgewichen, bleibt er plötzlich stehen, kehrt sich gegen die Verfolger und fängt an, aus Leibeskräften Sturm zu blasen, ohne sich um den nahen Feind zu kümmern. Das Signal wird von anderen Hornisten aufgenommen, die Jäger stürmen vor, und die Bersaglieri müssen eilig sich gegen San Martino zurückziehen. Während das Regiment Prohaska und die 2. Kaiserjäger hier die Piemontesen aufhalten, sammelt Feldmarschallleutnant Benedek das Gros seines Korps, die Regimenter Erzherzog Rainer, Dom Miguel, Hohenloh und Kronprinz von Sachsen mit den 5. Kaiserjägern und den Schluiner Grenzern und formiert sie zum Angriff gegen General Mollard, der auf der Strada Lugana herankommt, seine rechte Flanke bedrohend.
Benedek war von 7 Uhr an auf den wichtigsten Punkten und seiner Energie gelang es überall, die verzettelten Korps der piemontesischen Armee trotz ihres Widerstandes zurückzuschlagen. Die Dispositionen der piemontesischen Generale waren höchst unglücklich, ja erbärmlich. Während sie die bedeutende Übermacht von mehr als 40 000 Mann gegen die 25 000 des Benedekschen Korps hatten, kamen ihre Divisionen und Brigaden fast durchgängig einzeln ins Feld und wurden zurückgeschlagen. Hier war es, wo Benedek sich das Vertrauen und den Ruf erwarb, der Österreich später so teuer zu stehen kommen sollte. Die Höhe von San Martino mit der kleinen Wallfahrtskirche in der Nähe der Strada Lugana und ihrer Durchschneidung des Eisenbahndammes war der wichtigste beherrschende Punkt der Stellung und von den Piemontesen besetzt. Hierhin wendete sich der Angriff der Österreicher über die Hügel von Corbe, die Artillerie voran, Rainer- und Sachsen-Infanterie dahinter und auf den Flanken. Hauptmann von Ortenburg vom ersten Regiment erstürmt unter den Augen des Feldherrn eine schwere feindliche Position. Der Führer Stefan Laschitz stürzt sich in eine feindliche Batterie, die Führer Gillesberger, Erlach, Niedermaier, Preinersdorfer stürmen ihren Salzburgern voran in die piemontesischen Linien; Oberstleutnant Wiedemann führt mit der Fahne in der Hand das Regiment »Kronprinz von Sachsen« ins Handgemenge, immer aufs neue geht das Regiment zum Sturm, immer aufs neue wird es zurückgeworfen.
Der Feind erkennt die Wichtigkeit der Position und strengt alle Kräfte an. Der Feldmarschallleutnant selbst sprengt heran und befiehlt noch einmal den Angriff durch die sechste Division des Regiments. »Wir haben keine Patronen mehr!« ruft der Kommandant Hauptmann Steiger. »So geht ihnen mit dem Kolben zu Leibe!« lautet die Antwort Benedeks, und angefeuert durch diese Worte und das Beispiel ihrer heldenmütigen, an der Spitze stürmenden Offiziere werfen sich die beiden böhmischen Kompagnieen auf den Feind und vertreiben ihn von der Höhe mit Kolben und Bajonett. Der Sieg ist errungen, San Martino in den Händen der Österreicher!
General Mollard läßt die Brigade Cuneo einen Sturm versuchen, sie gelangt bis zur Höhe, dort wird sie geworfen und kann von Glück sagen, daß zwei der Division Cucchiari voraneilende Batterieen sie in Schutz nehmen. Die österreichischen Jäger, das dritte und neunte Feldjägerbataillon, das zweite und fünfte Bataillon Kaiserjäger kämpften hier, sind bereits bis über den Eisenbahndamm vorgedrungen, als um 10 Uhr das Gros der Division Cucchiari mit sechzehn Bataillonen, drei Eskadrons und zwanzig Geschützen auf dem Kampfplatz anlangt und aufs neue zum Sturm auf die Kirche San Martino losgeht. Unter dem mörderischen Feuer der Österreicher dringen sie um Mittag siegreich vor. Auf der ganzen Linie wird gekämpft, die Regimenter Dom Miguel und Hohenloh-Infanterie halten in blutigem Widerstand die Position, das Regiment verliert über vierhundert Mann – dennoch scheint um Mittag das Glück den Piemontesen wieder zu lächeln. Aber Benedek ist überall, dreißig Geschütze, ihren Kartätschenhagel von den Höhen von Corbe auf den linken Flügel der Sardinier schmettern, bringen diesen zum Weichen, ein Vorstoß und der Sieg ist den Piemontesen nochmals entrissen, die Division Cucchari, zersprengt, aufs furchtbarste zugerichtet, reißt in ihrer Flucht die Reserven von Mollard mit sich fort und erst bei Rivoltella und St. Zeno, eine Stunde vom Schlachtfeld, gelingt es, sie wieder zu sammeln.
Aber auch die Kraft der Österreicher ist erschöpft, um San Martino tritt eine dreistündige Pause des Kampfes ein.
Das (2.) französische Korps Mac-Mahon mit den Divisionen Motterouge und Decaen war um 3 Uhr morgens von Castiglione auf der Straße nach Mantua abgerückt, seine Tête traf bei Ca Marino die Vorposten des III. österreichischen Korps und schlug sich mehrere Stunden im Plänklergefecht mit ihnen herum, indes die Kolonne herankam und rechts und links der Straße nach Guidizzolo aufmarschierte.
Während dessen wurden die Massen auf den Höhen von Solferino immer dichter, der Kampf dort immer heftiger, und Mac-Mahon war in Verlegenheit, ob er das erste Korps in seinem Angriff auf Solferino unterstützen oder seine Position bewahren sollte, um den Feind zu hindern, aus der Ebene her das Centrum zu sprengen.
Noch immer war von dem Korps des General Niel, das mit dem dritten den rechten Flügel bilden sollte, nichts zu sehen. Mac-Mahon sandte seinen Generalstabschef, General Lebrun in der Richtung nach Medole aus, und dieser fand hier General Niel um etwa 6½ Uhr mit den Dispositionen zum Angriff beschäftigt.
Bis Medole waren die Österreicher vorgegangen. Graf Zedtwitz hielt mit zwei Bataillonen des Regiments Franz Karl vom 9. Korps und sechs Eskadrons das Dorf, General Lauingen mit zehn Eskadrons Dragonern und seiner Artillerie das Campo. Bald nach 4 Uhr stießen die Franzosen auf die Kavallerie-Vedetten, die Artillerie fuhr auf, und General de Luci Pelisac formierte seine Division zum Angriff.
Auf die Nachricht des General Leboeuf, daß General Niel sich an seinen rechten Flügel heranziehen wolle, sobald Medole genommen und Marschall Canrobert im Anschluß sei, beschloß Mac-Mahon die Meierei Ca Marino zu nehmen, um einen Halt gegen die immer bedrohender von Cavriana und Guidizzolo her sich sammelnden österreichischen Massen zu gewinnen. Ca Marino wurde gegen 9 Uhr genommen. Vierundzwanzig Geschütze wurden in die Front und die Tirailleurlinie gezogen und nahmen den Kampf gegen die österreichische Artillerie auf, die mit einer starken Kolonne des ersten Korps (Clam-Gallas) in der Entfernung von 1200 Schritt sich aufgestellt hatte. Ein furchtbarer Artillerie-Kampf entspann sich, Granaten und Kartätschen furchten die Heide.
Um 7 war Medole genommen, und Graf Zedtwitz zog sich mit seinen sechs Eskadrons auf der Straße nach Guidizzolo zurück, wo er General Lauingen mit seinen zehn Eskadrons Dragonern finden mußte, dieser aber hatte es für gut befunden, seine Stellung zu verlassen und einen Rückzug nach dem fast zwei Stunden entfernten Goito anzutreten.
General Canrobert begnügte sich infolge einer vom Kaiser erhaltenen Nachricht, daß von Mantua her ein österreichisches Korps am Nachmittag des 23. gegen die rechte Flanke der Verbündeten über Marcaria ausgerückt sei, auf der Position von Castel Goffredo stehen zu bleiben, und nur General Renault mit vier Bataillonen des 41. und 56. Regiments über die Seriola Marchionale vorrücken zu lassen, statt kräftig sich der rechten Flanke des Nielschen Korps anzuschließen und es zu unterstützen. Vergebens sandte Niel sieben Offiziere nacheinander an den Marschall, ihn zu bitten, die Division Renault eine Demonstration gegen Rebecco machen und ihm zu Hilfe kommen zu lassen. Zähneknirschend standen das brave 23., 41., 56. und 90. Regiment während voller fünf Stunden an der Straße durch Canroberts Neid oder Unfähigkeit verhindert, ihren Kameraden von der Division de Luzy zu Hilfe kommen zu können, die bereits 99 Offiziere und 1828 Mann verloren hatten. So wurde General Niels Absicht, bis Guidizzolo vorzudringen und die Österreicher vom Mincio abzuschneiden, vereitelt, und er mußte sich begnügen, wie Mac-Mahon die Linie von Ca Marino und Cassiano, so die von Rebecco und Ca Nowa gegen das wütende Anstürmen der Österreicher von Guidizzolo und Castel Grimaldo her zu halten.
Wieder fochten hier die Österreicher das IX. Korps und eine Brigade des III. vereinzelt, während die anderen Abteilungen, namentlich das XI. Korps (Veigl) noch über eine Meile rückwärts standen. Das unglückliche System, die Reserven möglichst weit von dem Platz zu halten, wo sie zu dem Erfolg einer Aktion eingreifen konnten, trug auch hier seine Früchte.
Auf allen Seiten hat unterdes die Schlacht fortgetobt, die Franzosen sammeln sich im Centrum zum entscheidenden Stoß.
Dort kommandiert der Kaiser!
Um 5 Uhr morgens hatte sich die Infanterie der Garde von Montechiaro aus in Bewegung nach Castiglione gesetzt, der Kaiser folgte eine Stunde später, während von Le Grole und Ca Marino her schon der Kanonendonner herübertönte. Unterwegs sandte er der Garde-Kavallerie nach Castenedolo den Befehl, sofort, statt erst um neun Uhr, aufzubrechen und in die Reserve der rechten Schlachtlinie einzurücken.
Es war kurz vor sieben Uhr, als Louis Napoleon in Castiglione mit seinem zahlreichen Stabe ankam, unter dem sich auch der Graf Montboisier und Major Laforgne befanden. Beide hatten vor dem Abreisen aus dem Hauptquartier noch einige Augenblicke gefunden, nach dem Wunsche des Kaisers die junge Marquise von Massaignac und ihre deutsche Freundin aus dem Kloster aufzusuchen, um sie zu bewegen, wenigstens nach Brescia zurückzukehren. Hier erfuhren sie, daß allerdings die aus Berlin erhaltene Nachricht, die beiden Brüder von Röbel seien verschwunden und der ältere von ihnen werde sogar steckbrieflich verfolgt, sowie ein unbestimmtes Gerücht, sie befänden sich bei der österreichischen oder französischen Armee in Italien, die junge Marchesa zu dem raschen Entschluß geführt hatten, nach Oberitalien zurückzukehren und zunächst Doktor Achmet aufzusuchen, den sie bei der französischen Armee glaubte.
Die Nachricht, die ihr Laforgne von seinem Zusammentreffen mit dem Freunde auf der Villa Elena gab, verbunden mit der Anzeige des bevorstehenden Entscheidungs-Kampfes dienten aber bei dem entschlossenen Charakter Carmens eher zu allem anderen, als sie zu bewegen, jetzt die Nähe der Armee zu verlassen. Montboisier und der Major hatten nur noch Zeit, sie zu benachrichtigen, daß Doktor Achmet in der Villa am Garda-See unterm Schutz der Fürstin zurückgeblieben sei und ihr jeden Beistand zur Übermittelung einer Botschaft an denselben zuzusagen, als die Trompeten der Guiden sie erinnerten, sich der Suite des Kaisers anzuschließen.
Der französische Herrscher war kaum in Castiglione angekommen, als die Meldungen von allen Seiten sich jagten, daß der Kampf auf der ganzen Linie von Peschiera bis Castel Goffredo entbrannt sei. Sie bestätigten die durch den Verrat aus dem österreichischen Hauptquartier schon am Abend vorher erhaltenen Nachrichten von der Ausdehnung der feindlichen Linie und bestärkten den Kaiser noch mehr in der Überzeugung, daß der Sieg in dem Durchbrechen des österreichischen Centrums und in der Wegnahme von Solferino und Cavriana liegen werde. In diesem Sinne gingen sogleich Befehle an die äußersten Flügel ab, die Österreicher dort im Gefecht festzuhalten. Der König von Sardinien wurde aufgefordert, schleunigst die Verbindung mit Baraguay d'Hilliers herzustellen.
Bald nach 8 Uhr befahl der Kaiser seinem Stabe, in Castiglione zurückzubleiben und ritt, nur von drei Adjutanten, einem halben Dutzend Offizieren und einem Zug Guiden begleitet, auf der Straße nach Guidizzolo vor, um sich zu dem Herzog von Magenta zu begeben. Man wußte, daß dieser das Vorterrain von Ca Marino besetzt hielt, es konnte also von einer Gefahr nicht die Rede sein. Marschall Vaillant, der in Castiglione zurückblieb, erhielt den Befehl, dem Kaiser die Rapporte nachzusenden.
Der kleine Reitertrupp hatte die Chaussee verlassen, auf welcher Kavallerie und Artillerie vorrückte, und sich gegen die Höhen von Borgo Ravello gewandt, wo die Division Bazaine damals noch als Reserve stand. Von hier aus kehrte der Kaiser auf einem Feldweg gegen die Chaussee in der Höhe von Barcaccia zurück, als Leutnant Faramond Lafajole, der voraus ritt, plötzlich Halt machte und zurückgesprengt kam.
Die Reitergruppe hielt sogleich, als der Offizier sein Pferd parierte. In demselben Augenblick sah man einen Mann eilig von der Chaussee her geritten kommen.
»Was haben Sie? warum halten Sie an?« fragte der Kaiser.
»Sire, ich glaube Gewehrchargen vor uns in der Richtung des Weges nach Guidizzolo zu hören. Es lagern dichte Staubwolken dort, die jede Aussicht verhindern.«
»Bah! Sie irren sich infolge des Luftzugs. Die Brigaden des Grafen müssen noch eine halbe Stunde vor uns stehen. Jener Staub muß von der Garde-Kavallerie herrühren, die im Anrücken ist. Vorwärts, meine Herren.«
Niemand wagte zu widersprechen, der Trupp war im Begriff, seinen Weg fortzusetzen, als der vorher bemerkte Reiter in voller Hast heransprengte.
Er machte eine ziemlich seltsame Figur und war offenbar kaum Herr des Pferdes, das seiner Sattelung nach ein Bagagepferd österreichischer Reiterei war. Der Reiter selbst war dem Anschein nach noch sehr jung. Sein Gesicht aber von Staub und Pulverdampf bis zur Unkenntlichkeit entstellt; seine Kleidung bestand aus einem österreichischen Militärmantel und einer gleichen Fouragiermütze. Am Handriemen hing ihm ein Husarensäbel herab. Wiederholt schien er sich umzusehen, ob er verfolgt würde.
Der Guiden-Offizier war mit einem Satz seines Pferdes an dem fremden Reiter und packte seinen Zaum. »Halt, Bursche! steh! wer bist Du? wo kommst Du her?«
»Sind Sie Franzosen, Herr?« keuchte der Gefangene statt der Antwort in italienischer Sprache.
» Parbleu, das siehst Du! Herunter vom Pferd! Wirf den Säbel fort!«
»Ich komme als Freund, Herr Offizier,« rief der Fremde. »Ich bin den Österreichern entflohen, ich ergebe mich. Bringen Sie mich zum nächsten General oder zum Kaiser, Herr, ich will seinen Schutz anrufen!«
Das naive Verlangen des Flüchtlings erregte ein Gelächter unter denen, welche italienisch verstanden, der Fremde aber hatte, obwohl er ein gemeiner Soldat schien, bereits die Aufmerksamkeit des Kaisers erregt.
»Bringen Sie den Menschen hierher, Monsieur Lafajole,« befahl er. »General Montboisier, verhören Sie ihn!«
Man hatte dem Flüchtling unterdes Pferd und Säbel abgenommen und sich überzeugt, daß er keine weiteren Waffen bei sich führte. Zu ihrem Erstaunen hatte die Umgebung dabei bemerkt, daß der Überläufer unter dem alten Reitermantel eine schwarze Civilkleidung trug, fast wie die eines Geistlichen.
»Gehen Sie nicht weiter,« sagte der Gefangene mit heiserer Stimme, »dort drüben sind die österreichischen Husaren, ich bin ihnen entflohen!«
»Österreichische Husaren? das ist unmöglich! Wo?«
»Auf dem Wege nach Castiglione! Ihre Reiter sind zurückgeworfen – es ist Oberst Edelsheim mit seinen Schwadronen!«
Die Nachricht erregte die größte Bestürzung, man wußte sich erst die Sache nicht zusammen zu reimen und zweifelte an der Wahrheit. Der kommandierende Offizier der Eskorte sandte sofort den jüngeren Offizier mit drei Mann zur Rekognoscierung in jener Richtung vor, während der Kaiser das Verhör fortsetzen ließ.
Der Gefangene, der einen General oder höheren Offizier vor sich zu haben glaubte, berichtete ohne Stocken von dem Zuge der österreichischen Husaren, dessen Nachtrab er begleitet hatte, bis es ihm gelungen war, sich während des Gefechts mit den Chasseurs von seinen Begleitern frei zu machen und die Flucht zu ergreifen. Da er in dem Glauben war, daß eine stärkere Kavalleriemasse folgte, berichtete er auch dies und die Umgebung des Kaisers suchte diesen zu bewegen, sich auf das Schleunigste zurückzuziehen.
Unterdes hörte man von der Seite der Chaussee her immer schärferes Gewehrfeuer – es war der Augenblick, als Oberst von Edelsheim in das Feuer der französischen Infanterie geriet und zum Halt gezwungen wurde. Der Kaiser winkte jedoch, das Verhör unbeirrt fortzusetzen, und ließ den Gefangenen über die Stellung der österreichischen Korps befragen; doch vermochte derselbe darüber wenig Auskunft zu geben.
»Sind Sie Soldat?«
»Nein, Monsieur!«
»Ihr Name?«
»Ich bin eine Waise und besaß bisher keinen Namen, Herr, denn meine Feinde hatten mir ihn geraubt. Erst seit gestern weiß ich, daß man aus dem Sohn des Fürsten Lichnowski einen Jesuiten machen wollte, und deshalb bin ich meinen Henkern entflohen und suche Schutz bei Ihrem Kaiser und in Ihrer Armee!«
Die Worte riefen eine lebhafte Bewegung des Grafen hervor, der sich sofort an den Kaiser wandte. »Sire,« sagte er, »der Zufall scheint hier ein merkwürdiges Spiel zu treiben. Erlauben Euer Majestät, Major Laforgne zu befragen, er vermag vielleicht Auskunft zu geben, ob die Worte dieses jungen Menschen Wahrheit sind.«
Major Laforgne hatte kaum sein Pferd näher gelenkt, als der Gefangene, der aus der Anrede des Grafen und der Ehrfurcht, die man ihm bezeugte, zu ahnen begann, in wessen Gegenwart er sich befand, jenen sofort wieder erkannte.
»O Signor,« rief er, ihm die Hände entgegenstreckend, »Sie werden sich des Unglücklichen erinnern, der Sie nach dem Kloster am Monte Cenere führte, und der um Ihretwillen wieder in die Gewalt seiner Feinde fiel! Bitten Sie um Schutz für mich; ich will eher sterben, als in die Hand meiner Peiniger fallen! Und Sie, wenn Sie wirklich der mächtige Kaiser der französischen Nation sind, Gnade und Hilfe, Sire, für einen Unglücklichen!«
»Wir haben keine Zeit, Herr,« sagte der Kaiser wohlwollend, »uns in diesem Augenblick mit Ihren Familienangelegenheiten zu beschäftigen. Lassen Sie ihn sich der Begleitung anschließen, Graf, und sehen Sie, was von ihm noch zu erfahren ist. Dort kommt Lafajole zurück.«
In der That kam der Guiden-Offizier herangaloppiert und hinter ihm eine Abteilung des Garde-Dragoner-Regiments der Kaiserin mit General Champeron, der den Rückzug der österreichischen Kavallerie meldete und den Kaiser nach Ca Marino geleitete, wo der Herzog von Magenta kommandierte.
Oberst von Edelsheim mit seinen tapferen Husaren hatte keine Ahnung gehabt, als er das Zeichen zum Abbruch des Gefechts und zum Antritt seines kühnen Rückzugs gab, wie nahe der Zufall das Schicksal des ganzen Krieges, das Geschick Österreichs, ja ganz Europas seiner Hand gebracht hatte! Die weitere Umgebung des Kaisers erfuhr von der Gefahr, in der er geschwebt hatte, erst am anderen Tage.
Während der Kaiser sich mit Mac-Mahon besprach, hatten Graf Montboisier und Major Laforgne Gelegenheit, den jungen Mann näher über die Umstände seiner Flucht zu befragen.
Der junge Novize war nach der schrecklichen Scene in der Klosterkirche des Monte Cenere, von Fra Andrea streng bewacht, am anderen Morgen nach Verona abgeführt worden, wohin ihm der Rektor zwei Tage später folgte.
Hier wurde der Jüngling in der strengsten Klausur gehalten. Seine offene Erklärung, lieber den Tod erleiden zu wollen, als die Gelübde abzulegen, die ihn für sein Leben in die Knechtschaft des Ordens bringen sollten, wurde mit der Anklage des Diebstahls beantwortet; die härteste Haft und wiederholte Mißhandlungen wurden angewendet, seinen Widerstand zu brechen.
So hochsinnig und von jugendlicher Stahlkraft geschwellt aber auch sein Gemüt war, er wäre der Härte dieser Verfolgungen sicher erlegen, wenn nicht ein Ereignis dazu gedient hätte, seinen Mut aufzufrischen und zu stärken.
Die zufälligen Mitteilungen über den unglücklichen Zögling des ehemaligen Priester Corpasini hatten dem maurischen Arzte einen Fingerzeig gegeben, den er eifrig verfolgte. Während der Jüngling in seinem Klosterkerker verzweifelte, waren seine ungeahnten Freunde für ihn thätig und der bucklige Spion Abramo, der alle Parteien betrog, von dem Golde Doktor Achmets bestochen, hatte Gelegenheit gefunden, dem Gefangenen einige Zeilen zuzustecken, die seine Hoffnungen erhoben.
Sei es nun, daß dieser neue Widerstand den Verdacht des Rektors erweckte, sei es, daß die Ankunft des Baron Neuillat in Verona und seine Nachforschungen ihm unbequem waren, kurz, er hatte ihn unter strenger Aufsicht mit sich genommen, als er aus irgend einer dem Jüngling unbekannten Ursache am 22. sich nach Villafranca in das Hauptquartier des Kaisers Franz Josef begab.
Die Erzählung des jungen Mannes stockte hier, er wollte offenbar einen Freund nicht verraten, den er gefunden und der ihm zur Flucht verholfen hatte. Aus einzelnen Worten schloß Major Laforgne jedoch, daß es der modenesische Oberst gewesen sein müsse, den er damals in Begleitung des Prälaten im Kloster des Monte Cenere getroffen, der im Schutz der Nacht und des Gewühls dem Novizen zur Flucht verhalf, indem er ihn mit einem Militärmantel und Kappe versah und ihm riet, sich unter die abmarschierenden Truppen zu mischen und unter ihrem Schutz die erste Gelegenheit zur weiteren Flucht zu benutzen. Die letzten Worte seines unverhofften Beschützers und Retters waren, indem er ihm eine Börse in die Hand drückte: »Armer Bursche sie wollen Dich nach Bologna oder Rom bringen in ihre Kerker, die Du nie verlassen würdest! Aber es soll nicht geschehen, wenn ich es verhindern kann! Ich habe Deinen Vater nicht sonderlich geliebt, aber das fürstliche Blut der Lichnowski ist zu gut für ihre Geißel und Bußgürtel! Suche Dir Freunde, und Gott sei mit Dir!«
Auf Geratewohl hatte sich der junge Mann dann in den Troß der abmarschierenden Truppen geworfen und war mit diesen am 23. vorgerückt, nur bestrebt, sich so weit wie möglich von dem Ort zu entfernen, wo er seinem Tyrannen entflohen war. Der kolossale Troß, der stets die österreichische Armee begleitete und ihre Bewegungen so schwerfällig machte, ließ es ihm leicht werden, in der Menge zu verschwinden, und ein Zufall und die gefüllte Börse, die ihm sein Befreier gegeben, verschaffte ihm die Bekanntschaft einiger ungarischen Husaren vom Regiment des Obersten Edelsheim und einen Platz auf ihrem Marketenderkarren. So war er mit bis in das Biwack von Val de Termine gekommen und zu dem kühnen Reiterzug der Husaren. Sein jugendliches Herz hatte begeistert dem soldatischen Leben und Treiben sich angeschlossen; da er aber wußte, daß ihm im österreichischen Lager nur Gefahr drohe und sein gänzlicher Mangel an Lebenserfahrungen ihn kein anderes Mittel der Sicherheit auffinden ließ, hatte er von vornherein beschlossen, bei erster Gelegenheit zu den Franzosen zu flüchten. Ein altes Notizbuch, das er in seinem Mantel fand, hatte ihn veranlaßt, sich über das, was er hörte, allerlei Bemerkungen aufzuschreiben, doch war das Wichtigste, was er daraus seinen Beschützern mitteilen konnte, die aus der Unterhaltung der Offiziere im Biwack entnommene Nachricht von dem Ausrücken eines österreichischen Korps aus Mantua am 23. Während des Gefechts der Husaren mit den Chasseurs und der Spitze der Garde-Kavallerie wurde der im Nachtrab befindliche Karren umgeworfen, und Felicio nahm die Gelegenheit wahr, im Tumult ein herrenloses Pferd zu besteigen und, die Erinnerungen seiner baskischen Knabenzeit zusammenraffend, auf die Gefahr, den Hals zu brechen oder von den Husaren zurückgeholt zu werden, in einer Richtung davon zu flüchten, wo er hoffte, auf französische Truppen zu stoßen.
Das war die Erzählung, die er seinen Beschützern gab.
»Die Freunde,« sagte der Major, dem Jüngling warm die Hand drückend, »haben Sie gefunden, und wie ich glaube, auch einen nahen Verwandten, den Bruder Ihrer Mutter! Ich glaube der Kaiser selbst wird die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um den Herren Jesuiten einen kleinen Verdruß zu bereiten. Was meinen Sie, General, wir wollen den angehenden Principe mit einer Ordonnanz nach Montechiaro zur Marchesa schicken und ihn einstweilen unter ihren Schutz stellen.«
»Es wird das Beste sein,« stimmte der Graf zu; »ich muß Sr. Majestät sofort Meldung machen von der Nachricht, daß ein österreichisches Korps von Mantua ausgerückt ist.«
Dies geschah alsbald; der ehemalige Novize wurde näher befragt, aber er vermochte eben nur zu wiederholen, was er gehört hatte. Die Nachricht gab indes Veranlassung zu jener Mitteilung an Marschall Canrobert, die diesen bewog, General Niel seine Unterstützung zu verweigern und mit dem größten Teil seines Korps in einer Observationsstellung nach rechts während der Schlacht unthätig zu bleiben.
Der Kaiser verließ jetzt mit dem Stabe die Aufstellung Mac-Mahons und kehrte zu den Garden zurück, die unterdes südwestlich von Solferino ihren Aufmarsch genommen hatten, nachdem er die Kavallerie-Divisionen Desveaux und Portouneaux, die ursprünglich zum Nielschen Korps gehört hatten, Mac-Mahon zur Deckung und Verbindung seiner rechten Flanke zur Disposition gestellt hatte.
Als sie dort angelangt waren, wollte der Graf den jungen Novizen mit einem Transport Verwundeter nach Castiglione und Montechiaro zurücksenden, aber der junge Mann, in dem sich der Geist und das Blut seiner Vorfahren regte, flehte so dringend, ihn an ihrer Seite zu lassen, daß seine neuen Freunde ihm den Willen thaten.
Es war 11 Uhr, als der Kaiser bei Marschall Baraguay anlangte; er erkannte mit einem Feldherrnblick, der selbst seinem großen Onkel Ehre gemacht haben würde, auf der Stelle, daß hier die Entscheidung lag.
Die Voltigeurdivision der Garde deployierte um diese Zeit in Linie hinter dem ersten Korps; etwa 600 Schritt hinter derselben in Kolonnen aus der Mitte mit Divisions-Front die Grenadier-Division.
Nunmehr seiner Reserven sicher, gab der Kaiser, der sich bei den Batterieen der Division Forey aufhielt, den Befehl zum entscheidenden Angriff auf Solferino.
Es war Mittag.
Die zweite Brigade (d'Alton) der Division Forey, das 91. Linien-Regiment von Peronne, und das 98. von Alençon unter der persönlichen Führung des General Forey, begleitet von 4 Stücken der Reserve des ersten Korps tritt auf dem rechten Flügel zum Sturm an. Ihr Hauptziel ist die Rocca mit ihren Tod und Verderben sprühenden Batterieen nebst dem südlich daran an der Straße nach Cassiano gelegenen Teil des Städtchens. Die Signalhörner geben das Zeichen, die dichten Tirailleurschwärme des 91. Linien-Regiments gehen voran, Colonel Méric de Bellefond führt das Gros.
Ein wütendes Gewehr- und Kartätschenfeuer vom Kastell, vom Kirchhof, von den Mauern, welche die Weingärten von Solferino einfassen, empfängt sie. Vergeblich führen Meuriche, Moré de Pongiband, Duchet, Breton ihre Bataillone gegen die Höhe, der eiserne Hagel zerreißt wieder und wieder ihre Glieder; die wenigen Tirailleurs, die bis an den Fuß der Rocca gelangt sind, fallen unter den österreichischen Bajonetten, die Kolonnen sind erschüttert, sie wanken, sie weichen zurück – der Angriff ist abgeschlagen.
Auf dem linken Flügel hat die Division Ladmirault den Weiler San Martino angegriffen und genommen, aber Stadion hat endlich die Brigade Koller und Gaal herangezogen und wirft sie Ladmirault entgegen. Das Regiment Este stürzt sich mit den Oguliner Grenzern die Thalränder des Redone entlang und wirft sich zwischen die Franzosen und Durando. Nur die Batterie, die General Forgeot gegen sie aufführt, hält den Siegeslauf der braven Ungarn auf und treibt sie wieder zurück.
General Ladmirault stürmt aus dem Weiler, eine Kugel aus den Reihen des Regiments »Karl Ludwig« verwundet ihn, er zieht sich zurück, indes das 52. Linien-Regiment vorzudringen sucht.
Kaum verbunden, ist der General wieder an ihrer Spitze, aber aufs neue verwundet, muß er den Befehl dem General Negrier übergeben und sich zurückziehen.
Das mährische Regiment des Erzherzogs steht wie eine Mauer und läßt jeden Angriff abprallen; sein Oberst-Leutnant Freiherr Breidbach Bürresheim, Hauptmann Fuchs, Leutnant Göttlicher fallen beim ersten Angriff, die Hauptleute Hackel und Edler von Pichler werden verwundet, aber die Reihen wanken nicht, und ebenso fest trotz der enormen Verluste stehen die Liccaner Grenzer und rächen den Tod ihres geliebten Führers, des Oberstleutnant Zagotsek von Kehlfeld.
Auch hier ist der Angriff verunglückt, auch hier ist der entscheidende Angriff der Franzosen abgeschlagen.
Es ist ein Uhr.
Die Adjutanten des Kaisers fliegen. Die Brigade Manèque der Garde-Voltigeurs von Paris erhält den Befehl, die weichende Brigade d'Alton zu unterstützen und in ihrer rechten Flanke gegen die Rocca vorzurücken. Montboisier jagt zur Division Bazaine, dem General den Befehl zu bringen, mit den noch wenig ins Gefecht gekommenen Truppen zur Unterstützung Ladmiraults vorzurücken.
Das erste Zuavenregiment von Golnah stellt sich unter Colonel Pauze d'Ivoy eben zum Sturme an, als der Graf an seiner Front vorüberreitet. Eine Stimme ruft ihn an.
» Valgame Dios! Leutnant des Chapelles, Sie hier? ich glaubte Sie beim Dritten!«
»So war es, Herr Graf, aber man hat mich schangiert nach Magenta. Eine kleine Affäre, die unserm Colonel nicht gefiel! Wir sind avanziert zum ersten, ich und mein Freund!«
Sergeant Fromentin, an den Löwentatzen über seiner Brust kenntlich, erwidert finster den Gruß des Generals.
»Jacques ist heute schlechter Laune,« scherzte Armand. »Er behauptet, daß dieser Tag uns Unglück bringen werde.«
»Für Sie, Leutnant Chapelles,« sagt der Bruder des Löwentöters. »Mich wird das Blut, das vor meinen Augen flimmert, endlich mit Zela vereinigen!«
Graf Montboisier hat kaum Zeit, dem jungen Offizier, der ihm in der Arba das Leben gerettet, einen Gruß, ein au revoir après la victoire! zuzurufen, als die Hörner zum Angriff blasen.
Im Sprungschritt gehen die Bataillone der Zuaven vor, gefolgt von dem 33. und 34. Linien-Regiment, den Wächtern der Bagnos von Marseille und Toulon!
Der Graf sieht sich eilig nach dem Novizen um, der ihm gegen seinen Befehl mit der Ordonnanz gefolgt ist, und den er erst bemerkt hatte, als es zu spät zur Zurückweisung war. Der Feld-Gendarm hielt das Pferd, das Felicio geritten, aber der Sattel ist leer!
» Sacre Dieu! wo ist der junge Bursche?« »Dort, Monsieur! Er meinte, er sei ein zu schlechter Reiter und ließ sich nicht halten!« Er weist auf das letzte Bataillon der Zuaven, das soeben vorstürmt; mit einem kurzen flüchtigen Blick glaubt der General den weißen österreichischen Mantel des Unbesonnenen mitten zwischen den roten Hosen und den blauen Jacken zu sehen! Es ist zu spät, er kann ihn nicht mehr hindern, sein Schicksal muß der Hand Gottes überlassen bleiben!
Der Graf schließt sich, unwillig über die unbesonnene und doch so verzeihliche That, dem Stabe des Generals Bazaine an, der der Attacke folgte.
Man weiß nicht, welcher Dämon, welcher Feind Österreichs dem Feldherrn den unglücklichen Gedanken eingegeben hatte, gerade in diesem Augenblick die allerdings erschöpften Korps der wichtigsten Verteidigungs-Punkte durch andere frische ersetzen zu lassen, die erst aus ziemlich entlegener Position heran geholt werden sollten.
Denn während der französische Kaiser seine Reserven nahe zur Hand hatte, kaum tausend Schritt von den Kämpfenden und bereit, sie jeden Augenblick in das Gefecht zu werfen, standen die österreichischen viel zu starken Reserven entfernt, verzettelt, nutzlos, nur für den Fall des Rückzugs vorgesehen.
Wer bei einer Schlacht glaubt, daß er verlieren könnte, der wird immer verlieren!
Obschon die tapfern österreichischen Truppen vom 5. und 1. Korps um ein Uhr Mittag auf allen Positionen von Solferino Sieger gewesen waren und den Sturm der französischen Kolonnen abgeschlagen hatten, obschon Louis Napoleon nur über wenige Reserven noch zu gebieten hatte, während General Schlick deren in Masse zurückhielt, fand sich Graf Stadion veranlaßt, in diesem Augenblick Solferino bis auf die Hauptpunkte des Kirchhofs, des Kastells und der Rocca zu räumen, zu deren Besatzung er die Reservebrigade Festetics: das Regiment Reischach Nr. 21 und das 6. Bataillon Kaiserjäger zurückließ.
Die zurückgehenden Truppen schlugen sich auf beiden Flanken der nördlichen und südlichen Abhänge der furchtbaren Position von Solferino, nur widerwillig Schritt um Schritt weichend und heldenmütig dem Ansturm widerstehend.
Die Kaiserjäger stehen auf der Höhe vor dem Kirchhof, Reischach verteidigt den Kirchhof und das Kastell.
Ein wütender Ruf: » En avant! en avant!« dringt aus der Tiefe herauf, die Zuaven stürmten die Höhe!
Der Colonel Paulze d'Ivoy ist mitten in der Kolonne, er versucht zu Pferd, den Berghang zu ersteigen. Furchtbar räumen unter den Stürmenden die Kugeln auf, aber aus den Leichen der Fallenden machen die Rasenden eine Stufe zum Vordringen, höher und höher, da fällt Berrincourt, der Leutnant-Colonel, fünfzehn Offiziere sind im ersten Sturm gefallen, der Oberst des 34. Regiments ist durch den Kopf geschossen, die Sturmkolonnen weichen, sie drängen zurück, der Sturm ist abgeschlagen.
General Bazaine sprengt wütend herbei. »Seid Ihr die Männer von Afrika? Pfui der Schmach! Vorwärts, General Gose!«
Die Hörner blasen, die Trommeln wirbeln, die Zuaven, die Touloneser und Marseiller stürzen sich zum zweitenmal in das furchtbare Kreuzfeuer der Raketen und Granaten vom Kirchhof und der Rocca.
Vergeblich! Ströme von Blut tränken die Erde, der Fuß gleitet aus auf den Leichen!
Die Jäger schlagen sich wütend, das Gesicht geschwärzt vom Pulverdampf, die Kehle zu trocken selbst zum heisern Todesschrei, die Büchsenläufe bereits glühend! Dem Hornisten Wucherer wird das Horn am Munde zerschmettert: er greift nach der Büchse des nächsten Toten! Und wie hier die Jäger, schlagen sich am Kastell die Böhmen und werfen den zweiten Sturm am Kirchhof mit dem Bajonett zurück.
In der Mitte des zweiten Bataillons als attachierter Offizier kämpft der Leutnant Friedrich v. Röbel. Sein Bruder Otto ist neben ihm. Eine Kugel zerschmettert den rechten Arm des Offiziers, er läßt sich von dem Bruder ein Tuch um den Nacken schlingen, und den Degen mit der Linken schwingend, ermuntert er die wackeren Böhmen zum Widerstand.
Unter den Gefangenen, die die Österreicher hier unter den Zuaven machen, befindet sich ein Überläufer, ein junger Mensch im österreichischen Militär-Mantel, der mit einem Säbel in der Hand, mitten unter den Stürmenden gefochten und einer der Vordersten war. Nur mit Mühe haben die Offiziere vermocht, ihn vor der Erbitterung ihrer Soldaten zu schützen, so daß er nicht auf der Stelle niedergestoßen wurde. Blutend, mißhandelt, gebunden, wird er zurückgeschleppt, ein anderes Schicksal soll ihm werden, als ehrlicher Soldatentod.
Montboisier sucht unter den geschmolzenen Bataillonen des ersten Zuaven-Regiments vergeblich nach seinem unvorsichtigen Schützling.
Eine kurze Pause des Kampfes entsteht, dann ist es, als ob die Höhen Solferinos erbebten von dem furchtbaren Eisenhagel, der gegen sie schlägt.
Marschall Baraguay hat auf 400 Schritt vom Kirchhof eine Batterie von 6 Geschützen auffahren lassen, um Bresche in seine Mauern zu schießen. Zugleich haben alle in der Nähe befindlichen Batterien, auch die Bergartillerie der Division Ladmirault Befehl erhalten, ihr Feuer zu konzentrieren. Es ist, als ob die Hölle all ihre Flammen spiee auf den kleinen Friedhof, als sollten die Toten aus ihren Gräbern gerissen werden! Das Thor fliegt in Stücken, die Mauer bricht zusammen, dann bläst das Zuavenhorn sein eintöniges Signal, die Trommeln wirbeln zum Sturm, die Linien formieren sich – » En avant! en avant! Vive l'empereur!«
Eine Wolke von Rauch, Feuer, Staub, Geschrei, Todesächzen verschlingt Freund und Feind!
Reischach Infanterie schlägt sich am Kastell, Lindenberg, Weyracher von Weidenstrauch, Czappuk, Fellner von Feldegg kommandieren, sechs Offiziere decken bereits mit ihren Leibern den Rasen. Unten bei San Marino unterstützt Hauptmann Zaremba die 24. Jäger-Kompagnie, die Tapfern halten noch immer die Häuser und nehmen, vertrieben, sie mit dem Bajonett aufs neue.
In dem Hofraum des Kastells hat der Oberarzt Dr. Hlavac seine blutige Werkstatt errichtet und arbeitet mit den aufgestreiften Ärmeln mit Messer und Säge – während ringsumher die Verwundeten und Sterbenden am Boden lagen, bis die Reihe des Verbandes an sie kam. Dazu schlugen Schlag auf Schlag die französischen Granaten und Vollkugeln in die Mauern des Kastells oder spritzten im Zerspringen ihren Eisenhagel umher.
Unter diesen blutigen Reihen, unter den Leidenden, Fluchenden und Jammernden bewegt sich gleich einem Wesen aus anderen Regionen, ein Bild der Barmherzigkeit und Liebe, ein junges schönes Mädchen umher, unermüdlich vom Brunnen in ihrem Steinkrug Wasser holend und die Verwundeten damit labend, denn ein Trunk Wasser ist nach der Erfahrung dasjenige, was der von Kugel und Bajonett Zerrissene am meisten begehrt. Unbekümmert um die Gefahr übt sie ihr Werk aufopfernder Menschenliebe, und der letzte Hauch des Sterbenden segnet die Hand, die ihn noch einmal gelabt.
Jetzt tritt sie zu einer Gruppe, ein junger Offizier, dem das Blut aus einer leichten Stirnwunde über das traurige, schöne Gesicht läuft, kniet am Boden neben einem anderen, den er im Arm hält; selbst ihr unerfahrenes Auge belehrt sie, daß hier kein Arzt mehr helfen kann.
Sein rechter Arm ist zerschmettert, ein Säbelhieb klafft über die Stirn, aus einer Bajonettwunde in der Seite strömt bei jedem Atemzug eine schwarze Blutwelle.
»Signor,« sagt das Mädchen, indem Thränen ihre Augen feuchten, »wollen Sie Wasser? Es ist das Einzige, was ich Ihnen zu bieten vermag.«
Der junge Offizier sieht empor und in das freundliche Gesicht des Mädchens. »Ich danke Ihnen, Signora, aber ich fürchte, mein armer Bruder bedarf bald keiner Hilfe mehr!«
»So erlauben Sie wenigstens, daß ich ein Tuch um Ihre Stirn binde, bis der Doktor Zeit hat – Sie sind ebenfalls verwundet!«
Er winkt dankend und abwehrend mit der Hand. Der Sterbende hat die Augen aufgeschlagen, sein Blick, seine unzerschmetterte Hand suchen ihn – seine Lippe bewegt sich –
»Otto – Bruder Otto!«
Der junge Mann beugt sich zu ihm. »Armer Friedrich! Sprich – wie fühlst Du Dich? Fasse Mut! es ist noch Hilfe …«
Ein freudiges Lächeln gleitet über das blasse, blutige Gesicht, das erste seit vielen Tagen. »Mir ist geholfen, Bruder! Kannst Du mir wirklich anderes wünschen? Grüße die Mutter, Rosamunde, den Vater! Sage ihm …«
»O Friedrich!«
»Sage ihm, der Steckbrief sei durch Blut ausgelöscht – ich fühle es – der Sterbende ist wieder sein Sohn!«
»Denke an Gott, Fritz.«
»Ich denke an ihn, er wird barmherzig sein, Otto, mein Bruder, Deine Hand! Es wird Nacht – Nacht – der Vater – Preußen –«
Sein Haupt sinkt hinten über, das Auge starrt unbeweglich – er ist tot! – – –
Minutenlang hörte der Bruder, der des Bruders Leiche im Arm hielt, nichts von dem furchtbaren Lärmen, der Verwirrung umher, dem Toben des Kampfes, den Kommandoworten, die den Rückzug befahlen.
Zwei, drei Salven – dann donnerte der Ruf: » Vive la France! Vive l'Empereur!« an den Mauern des Kastells!
»Fort, Kamerad! Kommen Sie mit uns! Der Feind dringt ein!« Er schüttelte die Hand unwillig von sich, die sich in freundlicher Warnung auf seine Schulter gelegt.
»Was kümmert mich Ihr Streit? Ich habe über einen Toten zu wachen!«
»Hierher, Leutnant Nowotny! Lassen Sie zum Teufel, diese Preußen!« Der wackere Adjutant folgte dem Befehl – im nächsten Augenblick jubelte der Siegesruf der Zuaven innerhalb des Gehöftes; wie ein Strom unaufhaltbar, brüllend, brausend in seiner entfesselten Wut stürzte die Masse der Rothosen von Golnah in den weiten Hofraum.
»Halt! Kehrt! Schlagt an! – Feuer!«
Der Eisenhagel rasselte über den Hof! Ein wilder Schmerzensruf, denn die österreichischen Kugeln hatten fast auf Pistolenschußweite in die dichtgedrängte Schar geschlagen, dann stürzte, was lebte, mit dem wilden Tigersprung über die Fliesen des Hofes, und das Bajonett verrichtete sein Werk, während neue und neue Scharen nachdrängten. » En avant! en avant!«
»Sind Sie Männer oder rasende Tiere? Morden Sie Weiber und Verwundete?« Der junge Preuße hielt jetzt nicht mehr die Leiche seines Bruders, er hielt ein halb bewußtloses Weib im Arm und schlug mit dem Säbel die Haubajonette der Rasenden zurück, die ihn und sie bedrohten.
» Arretez barbares! Halte là! Rendez vous, Monsieur!«
Der Säbel eines jungen Zuavenoffiziers schlug die Gewehre zurück, es war zu spät, das breite zum Stoß erhobene Bajonett des wildwütigen Sergeanten, der hinter ihm war, blitzte im Sonnenstrahl – der Leutnant warf sich vor die Gefährdete – und die Klinge begrub sich in seine eigene Brust.
Der That folgte eine Pause des Entsetzens, dies allein rettete wohl das Leben des Preußen.
Dann erfolgte ein wilder, gellender Schrei: »Armand! Barmherziger Gott – Armand, was ist geschehen?«
Der junge Offizier stützte sich wankend auf seinen Säbel, indem er die Linke auf die Wunde preßte, aus der das Blut in Strömen drang.
»Ruhig, Jacques! Es ist nicht Deine Schuld! Ein Tod von Freundeshand!«
Er sank langsam in die Knie.
Jacques Fromentin, der Zuavensergeant, hatte sein Gewehr zu Boden fallen lassen, er stand, die Hände im Entsetzen von sich gestreckt, gleich einer Bildsäule des Schreckens da.
»Das ist das Blut! Das ist das Blut vor meinen Augen! Zu Hilfe, er stirbt! Armand, mein Freund, mein Bruder, ich, der Unselige, der sein Leben tausendmal für Dich gelassen hätte, habe Dich gemordet!«
Kommandant Rousseau war herangekommen, die rauhen Krieger, in jahrelangen blutigen Kämpfen gebräunt, machten ihm Platz. Otto von Röbel übergab ihm seinen Säbel. »Dieser Brave,« sagte er, »hat in unserer Verteidigung die Wunde empfangen. Vielleicht ist noch Hilfe möglich, ich sehe, dort ist einer unserer Ärzte, ich bitte Sie um Erlaubnis, ihn herbeizuholen.«
Er hatte das Mädchen sanft auf den Boden niedergelassen, wo sie neben dem Verwundeten auf den Knieen lag. Ihr gegenüber kniete jetzt starr und stumm der unglückliche Sergeant.
Nur der Verwundete allein schien heiter und ruhig. »Erkennen Sie mich, Signora?« frug er.
Sie schüttelte weinend den Kopf. Pulverdampf und Schmutz hatten sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Der junge Franzose hielt ihr seine Hand entgegen, am Ringfinger blitzte unheimlich ein kostbares Juwel, der schwarze Diamant Villafranca, I. Band, S. 437. Aniellas und des Mohren.
Sie fuhr zurück. »Heilige Madonna, dann sind Sie der Offizier, der in Magenta meine Ehre rettete! Das ist der Ring, den Fra Pancraz, der Bettelmönch, wie er sagte, gefunden, und meinem Oheim für zwei Bottiglias Wein verkaufte!«
»Nehmen Sie ihn wieder, Signora; zum Andenken an mich, und daran, daß es mir vergönnt war, Ihnen zweimal einen Dienst zu leisten! Dank, mein Herr« – er wandte sich zu dem österreichischen Oberarzt, der seine Wunde zu untersuchen begann – »aber Ihre Hilfe ist hier vergeblich; ich fühle, daß mein Leben mit diesem Blute verrinnt. Wie viel Zeit noch, Monsieur?«
»Es thut mir leid, Ihnen raten zu müssen, Ihre Angelegenheiten zu ordnen, ich fürchte, Sie haben bei dieser innerlichen Verblutung kaum noch eine Stunde zu leben.«
Das junge Mädchen schrie laut auf: »Heilige Jungfrau! Sie dürfen nicht sterben! Meine Gebete sollen Sie zurückhalten! Ich habe immer an Sie gedacht, mein Freund! O sagen Sie mir, daß Sie nicht sterben werden!«
Ihre Thränen überströmten die Hand des Verwundeten, indes sich der weite Hof des Kastells immer dichter und dichter mit den Scharen der Stürmenden füllte, und der Kampf schon weit darüber hinaus am Fuß der Rocca sich fortzog.
In diesem Augenblick ritt der Marschall in den Hof, begleitet von dem Stabe, und hielt einen Augenblick bei der Gruppe um den Sterbenden.
Montboisier, der ihn begleitete, war vom Pferde gesprungen und hielt die Hand des Verwundeten.
»Ist dies der Offizier?« fragte der Marschall, »der zuerst in das Kastell eingedrungen ist?«
»Ja, Monsieur – Sergeant Fromentin zuerst, der Leutnant mit ihm!«
»Und der arme Bursche ist nicht mehr zu retten?« Ein Achselzucken war die Antwort.
»Dann – im Namen des Kaisers! – Nehmen Sie dies mit auf den Weg, den wir alle gehen!« Er hatte das Kreuz von seiner Brust gehakt und warf es auf den Blutenden, der es mit verklärter Miene auffing. »Vorwärts, Messieurs! Wir dürfen den Österreichern keine Ruhe gönnen, bis sie wieder jenseits des Mincio sind!«
Er ritt, ohne auch nur einen zweiten Blick des Bedauerns zurückzuwerfen, dem vorderen Ausgang nach dem Städtchen zu, in dessen Straßen man sich immer noch schlug.
Montboisier, der zurückgeblieben war, und alle anderen umher schwiegen, nur das Schluchzen des Mädchens unterbrach die Stille.
»Jacques, mein Freund …« murmelte der Sterbende.
»Hier, Armand, hier!«
»Tröste meinen Vater und bitte ihn um Vergebung für den vielen Kummer, den ich ihm gemacht.«
Ein Blutstrom stürzte aus seinem Munde, die jungen kräftigen Glieder zuckten – –
»Er hat es überstanden,« sagte kalt der Arzt. »Geben Sie ihm ein Gebet und ein Grab, Signora, das ist alles, was Sie thun können! Muß ich mich als Gefangener betrachten, Monsieur? Ich bin ein Arzt und aus Menschenpflicht zurückgeblieben.«
Montboisier zuckte die Achseln. »Ich muß Sie an den kommandierenden Offizier verweisen, ich gehöre nur zum Stab. Aber Sie werden die traurigen Gewohnheiten des Krieges kennen.«
Der österreichische Doktor packte sein Verbandetui zusammen. »Dann lassen Sie gefälligst die französischen Ärzte kommen, ich habe hier nichts mehr zu thun.«
Der Graf wollte weiter reiten, als eine Hand sich auf seinen Sattelknopf legte.
»Verzeihen Sie, wenn ich eine kurze Bekanntschaft von Paris her geltend mache,« sagte der junge Preuße. »Mein Name ist Otto von Röbel.«
»Monsieur de Reuble?! Valge me Dios! Das ist ein glücklicher Fund! Willkommen, Herr, selbst in dieser traurigen Umgebung! Wie wird Major Laforgne erfreut sein, Sie wieder zu sehen, und auch eine andere Person …«
»Laforgne?« unterbrach ihn der Preuße. »Wo ist er?«
»Ich habe ihn beim Stabe des Kaisers zurückgelassen. Ich will Sie sogleich zu ihm schicken, denn Sie sind ja doch, worüber ich mich sehr freue, unser Gefangener, und daß diese Fessel Sie nicht allzusehr drücken soll, dafür lassen Sie mich und gewisse andere Personen sorgen.«
»Ich erkenne ganz Ihre große Güte an, Herr Graf,« sagte der junge Mann, »aber ich habe eine heilige Pflicht zu erfüllen, für die ich jene allein in Anspruch nehme. Mein Bruder Friedrich …«
»Was ist mit ihm? Ich erinnere mich seiner sehr genau.«
»Sie sind zu spät gekommen, um ihm noch einmal die Hand zu reichen, wie jenem jungen Franzosen. Sehen Sie dahin und ich bitte Sie, Ihren Einfluß geltend zu machen, daß ich ihn nicht zu verlassen brauche.«
»Tot? O wie bedaure ich ihn!«
»Bedauern Sie ihn nicht, Herr Graf,« sagte erschüttert der Preuße, »er ist einen so glücklichen Tod gestorben, wie Ihr junger Landsmann dort, einen Tod mit Ehren!«
Der weitere Verlauf der Schlacht, nachdem das österreichische Centrum durchbrochen und genommen war, teilt sich gleichfalls in drei Phasen, den bis zum letzten Augenblick siegreichen Kampf auf dem nördlichen Terrain um Pozzolengo, den mißlungenen Versuch eines Vorstoßes auf der Ebene gegen den rechten französischen Flügel und den allgemeinen Rückzug.
Während die Brigade Bazaine den Kirchhof, die Rocca und die Nordseite von Solferino nahm, hatte die Brigade Manèque, unterstützt von der Division Forey unter dem Schutz der Artillerie die Südseite genommen; es war etwa 2½ Uhr, als das V. österreichische Korps seinen Rückzug gegen Contrada Mescolaro und Pozzolengo antrat.
Zur selben Zeit hatte der Herzog von Magenta das Dorf und die Höhen von San Cassiano erstürmt, die von dem I. Korps nur noch schwach besetzt waren, auf denen aber einzelne Bataillone, verlassen und ohne Unterstützung, unter großen Verlusten noch heldenmütigen Widerstand leisteten. Auch Graf Thun-Infanterie, die mit Bataillonen der Regimenter »Wimpffen« und »Leopold« und einer Schwadron »Haller-Husaren« noch mannhaft an einzelnen Punkten Widerstand leistete, erlitt schwere Verluste. Das Regiment war erst um 2 Uhr morgens in die Reserve-Stellung bei Cavriana eingerückt und hatte sich todmüde auf dem Wege niedergeworfen, um abzukochen. Kaum brodelten Fleisch und Reis, als die Trommeln wirbelten. Die Menage wurde ausgeschüttet und fort ging's nach den Höhen.
Der Weg nach Cavriana war geöffnet, und der Kaiser befehligte das II. und das I. Korps und die Garde zur Verfolgung, während das österreichische Centrum vollständig desorganisiert und die Truppen des V., III. und I. Korps bunt durcheinander gewürfelt waren.
Während so das Centrum gesprengt und geworfen war, war dies auf dem linken Flügel bei der ersten Armee unter Feldzeugmeister Wimpffen keineswegs der Fall.
Aber leider war auch hier wieder jeder Angriff vereinzelt und ohne Unterstützung.
Der Kaiser Franz Josef war gegen 10 Uhr von Volta nach der Höhe von Cavriana geritten, wo er bis zum Rückzug oft im schwersten Kanonenfeuer blieb. Hier erst erkannte er, was Generalmajor Ramming, der Faiseur der ganzen Leitung, so lange geleugnet hatte, daß es sich um eine allgemeine große Schlacht handelte. Der Kaiser erließ daher um ½12 Uhr an den Feldzeugmeister den Befehl nach Guidizzolo, die frühere Marschdisposition nach Carpenedolo aufzugeben und auf der großen Straße gegen Castigliomo vorzugehen, um so die französische Aufstellung zu durchbrechen und dem Centrum bei Solferino Luft zu schaffen.
Der Plan war gewiß vortrefflich, aber die Ausführung scheiterte an der Zersplitterung der Korps und den Einzelkämpfen.
Man schlug sich bei Rebecco, bei Baile, bei Casa Nova, man hinderte zwar mit großem eigenen Verlust General Niel nach Guidizzolo zu dringen und hielt Mac Mahon im Schach, aber man kam selbst nicht vorwärts.
Rebecco wurde wiederholt genommen und eben so oft verloren. Endlich um 2 Uhr setzte ein Angriff der Division Luczy und des 73. Regiments die Franzosen in den schließlichen Besitz des so blutig verteidigten Ortes und trieb die Österreicher zurück. Um diese Zeit endlich, 3 Uhr, entschloß sich Marschall Canrobert, die Division Renault und die Brigade Bataille zur Unterstützung Niels vorgehen zu lassen, und sofort ging dieser französische Heerführer zum Angriff gegen Guidizzolo vor.
Aller Aufopferung der österreichischen Führer und Truppen gelang es nur, den Angriff der sechs Bataillone von der Division Luczy und de Failly aufzuhalten, nachdem sie bis zu den ersten Häusern von Guidizzolo vorgedrungen waren. Die frischen Truppen der Brigade Bataille, das 43. und 44. Linien-Regiment und das 19. Fußjägerbataillon waren jetzt von Medole herangekommen, und General Trochu führte um 4 Uhr sie zum neuen Sturm gegen Guidizzolo, während Prinz Alexander von Hessen, mit den letzten intakten Truppen der Österreicher, den Brigaden Wussin und Gablenz von Cavriana her, noch einen letzten Stoß beabsichtigend, den günstigen Augenblick verpaßte und sich darauf beschränken mußte, den Rückzug der ersten Armee zu decken. – – –
General Mollard war nach dem Rückzug der Division Cucchiari auf seine eigene Division beschränkt geblieben, und hielt sich an dem Knotenpunkt der Eisenbahn und der Strada Lugana, bis der König ihm die Brigade Aosta zu Hilfe sandte und der Division Cucchiari befahl, aufs neue vorzurücken. Mollard versuchte nunmehr, gegen 4 Uhr, vom Val di Sole her die Stellung anzugreifen. Aber trotz ihrer Übermacht vermochten die Piemontesen kaum bis zur Hälfte der Höhe vorzudringen. Major von Stransky, der wackere Kommandant des 4. Bataillons vom Regiment »König der Belgier« machte es durch seinen kühnen Flankenangriff der Brigade Reichlin möglich, den weit überlegenen Feind in die Flucht zu jagen; Oberleutnant Rumpold mit der Fahne in der Hand führte seine tapfern Steyrer in den Kampf, Kadettfeldwebel Müller, zweimal von dem heftigen Feuer zurückgeworfen, führte seine Abteilung mit dem Ruf: »Steyrer, mir nach!« gegen die Piemontesen und machte zahlreiche Gefangene, Hauptmann Lohr vom gleichen Bataillon erstürmte mit seiner Division ein vom Feind stark besetztes Haus und hielt es gegen jeden Angriff.
Schon während des Kampfes war eine drückende Schwere in der Luft eingetreten, der Himmel hatte das heitere Blau verloren, das so lieblich und friedlich bisher über dem Morden der Menschen gelächelt, und die Sonne, welche die Ströme von Blut gesehen, verbarg sich hinter dem Nebel.
Von den Alpen her, über den See, rauschte der Sturm.
Ein Donnerschlag durchbebte die Luft, in Feuerflammen schien rings der Horizont zu stehen, Schlag auf Schlag machte die Erde beben und beschämt von dem Donner des Allmächtigen, ließen die Menschen ihre Kanonen schweigen und bargen sich vor dem Zorn des Herrn, der in den Wettern daherrauschte und in den Fluten des Himmels niederströmte.
Auf allen Stellen des weiten Schlachtfeldes ruhte der Kampf!
Feldmarschallleutnant Benedek hatte bereits seit einer Stunde den Befehl des General Schlick erhalten, das Gefecht abzubrechen und sich auf Peschiera zurückzuziehen.
Unter den Donnern des Himmels sandte der Feldmarschallleutnant seine Adjutanten an die einzelnen Bataillone mit dem Befehl, den Rückzug anzuordnen.
Die Regimenter und Bataillone zogen sich unter dem Feuer des Himmels langsam gegen Pozzolengo.
Noch im Dunkel wirft Benedek die Brigade Waterfliet vor Pozzolengo, das bereits von den Kugeln der von Solferino her nachdrängenden Franzosen beworfen wird, der Verfolgung entgegen.
Ein Preuße, der Major von Jena, der Held von Düppel, greift mit dem Grenadierbataillon und zwei Geschützen über Ceresa gegen den Eisenbahndamm hin die Piemontesen an und wirft sie dreimal mit dem Bajonett zurück, so der Brigade Philippovic Zeit zum Rückzug und zur Rettung der Geschütze gebend.
Bis ½11 Uhr nachts hält das Regiment Prohaska die Stellung auf der Höhe von Bacoli und die Straße von Pozzolengo nach Peschiera; bis 11 Uhr nachts weicht das zweite Bataillon Kaiserjäger nicht von dem Eingang Pozolengos, bis der letzte Mann aufgenommen, der letzte Verwundete fortgeschafft ist.
Um 9 Uhr verließ Benedek selbst Pozzolengo.
Auch in der Ebene war der Erfolg der Franzosen keineswegs so weitgreifend, als es im ersten Augenblick geschienen. Die zweite österreichische Armee behauptete nach dem Gewittersturm die Stellung bei Madonna della Pieve und eine Raketenbatterie warf die aus Cavriana debouchierenden Voltigeurs zurück. Die gänzlich erschöpften Franzosen versuchten keinen weiteren Angriff. Die Brigade Gablenz als Arrieregarde verließ erst spät am Abend dies Terrain, blieb in Volta bis zum Morgen stehen und ging dann erst bei Ferri hinter den Mincio zurück.
Auch die Arrieregarde der ersten Armee hielt Guidizzolo bis 10 Uhr abends besetzt und trat dann erst ihren Rückzug an, ohne verfolgt zu werden.
Das Hauptquartier der zweiten Armee etablierte sich spät abends in Valeggio, das der ersten in Goito, das Kaiserliche Hauptquartier in Villafranca.
Die Franzosen und Piemontesen biwakierten die Nacht überall auf dem Kampfplatz, der Kaiser Napoleon brachte sie in Cavriana zu.
Der Verlust war auf beiden Seiten sehr groß.
Die Verluste der Alliierten an Toten und Verwundeten waren aber bedeutend stärker.
Das war der Tag von Solferino!
Im Kanonenfeuer von Cavriana hatte der Kaiser Franz Josef gegen 3 Uhr die schriftliche Meldung des Grafen Wimpffen empfangen, daß dieser die Schlacht verloren gab und seine Korps den Rückzug antreten ließ.
Der junge Kaiser war aufs tiefste bewegt, obschon er keinen Augenblick seine ruhige Haltung verlor. Nachdem er die Befehle zum Rückzuge der beiden Armeen gegeben, ritt er von Volta nach Valeggio und übernahm hier persönlich die Leitung der Maßregeln zur Deckung des Rückzuges, indem er sogleich alle noch kampffähigen Leute, namentlich die Versprengten des I. Korps und die schwachen Reste einiger Bataillone von Clam Gallas sammeln ließ, um die Brücke zu verteidigen. Diese wurde verbarrikadiert und der Bergrücken mit Geschützen aus Artillerie-Reserve versehen, um den Übergang zu verhindern.
Die Anstalten waren unnötig, da die Feinde nicht imstande waren, ihren Sieg weiter zu verfolgen und den Rückzug der österreichischen Korps über den Mincio zu belästigen.
Es war 9 Uhr, als sich der Kaiser Franz Joseph in einem offenen Wagen von Valeggio nach Villafranca begab, um dort sein Hauptquartier zu nehmen.
Zwei Ordonnanzoffiziere waren vorausgesprengt und hatten die Rückkehr des Kaisers in sein altes Quartier gemeldet.
Eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft trabte der Zug der Leibgarde-Gendarmerie heran, welche die Eskorte des Monarchen bildete.
Die Bevölkerung des kleinen Ortes füllte in Gruppen flüsternd die Straße; die Nachricht von der Niederlage der österreichischen Armee hatte sich auch hier bereits verbreitet, den ganzen Tag über hatte man den Kanonendonner gehört und mit schlechtverhehlter Schadenfreude sahen die italienischen Bewohner die Spuren des Kampfes und die gedrückte Stimmung der Ankommenden.
Vor der Locanda des Ortes, wo einst König Carlo Alberto sein Hauptquartier in den Tagen der Niederlage der italienischen Armee durch die raschen Schläge des alten Radetzki, am Abend vor der Schlacht von Custozza, hatte, hielt ein mit vier Postpferden bespannter Wagen, eine seltene Erscheinung in diesem militärischen Trubel, der alle Transportmittel in Anspruch genommen hatte. Es war ein Beweis, daß der Reisende sehr reich oder von sehr vornehmem Stande, wahrscheinlich beides zugleich sein mußte.
Der Wagen war bereits am Vormittag von Verona her eingetroffen; eine Dame, tief verschleiert, hatte allein darin gesessen, und als sie hörte, daß das Kaiserliche Hauptquartier sich in Valeggio oder Vaolta befand, den Postillonen Befehl gegeben, dahin weiter zu fahren. Aber der Versuch hatte bald die Unmöglichkeit ergeben, auf den von dem Train und den Privatkolonnen gänzlich gefüllten Straßen vorwärts zu dringen, und der Wagen war bald nach Mittag wieder zurückgekehrt.
Die Einladungen des Ostiere Gastwirt auszusteigen, hatte die Dame abgelehnt und sich nur etwas Wein und kalte Küche geben lassen. Die reiche Bezahlung aber hatte den Wirt zu ihrem devoten Diener gemacht, der jede Nachricht, die von dem entfernten Schlachtfeld einlief, sofort der Exzellenza mit tiefem Bückling überbrachte. Die Fremde war mit großer Erregung jeder Botschaft gefolgt, obschon der Ostiere trotz aller Schlauheit seines Handwerks nicht darüber ins Klare kommen konnte, für welche Partei sich die Unbekannte interessierte.
Endlich war die Nachricht gekommen, daß der Kaiser in kurzer Zeit eintreffen werde, und jetzt hatte die Dame den Reisewagen verlassen.
Die Garde-Gendarmen rasselten vor das Haus, in dem Kaiser Franz Josef sein Quartier genommen, und das in wenigen Wochen durch die berühmte Zusammenkunft eine so welthistorische Bedeutung erlangen sollte. Gleich darauf hielt der Wagen und der Leibjäger öffnete den Schlag, während die Adjutanten herbeisprangen.
Der Kaiser stieg aus, er war sichtlich bleich und angegriffen, Generalmajor Ramming folgte ihm.
»Sind die Relais gestellt?« fragte der junge Monarch.
»Euer Majestät Befehle sind erfüllt!«
»Dann bitte ich Sie, mich nur zu stören, wenn wichtige Nachrichten eingehen. Ich wünsche allein zu bleiben.«
Er wollte eben in das Haus treten, als der Ton einer Frauenstimme ihn zurückhielt.
»Euer Majestät bittet eine Unglückliche um ein kurzes Gehör!«
Es war die in tiefe Trauer gekleidete Fremde, die ihn angesprochen. Sie hatte jetzt den Schleier zurückgeschlagen, und man konnte das bleiche, schöne Gesicht einer Dame von etwa 29 bis 30 Jahren, mit aristokratischem Schnitt, aber leidendem Ausdruck erkennen.
Der Kaiser wandte sich rasch um. »Was wünschen Sie, Madame?«
»Gnade, Majestät, für einen Mann, der ohne diese verloren ist!«
»Ich fürchte, Madame, Sie haben einen schlechten Augenblick für Ihre Bitte gewählt. Ich bin erschöpft von den Anstrengungen einer unglücklichen Schlacht, und das Blut und der Tod von Tausenden, die für ihr Vaterland und für ihren Kaiser gefallen sind, nehmen meine Gedanken in Anspruch. Kommen Sie morgen wieder; wenn es irgend möglich ist, werde ich Sie empfangen.«
Er wollte vorwärts gehen, eine Handbewegung der Dame hielt ihn auf. Er trat, erstaunt über diese Dreistigkeit, zurück.
»Majestät! Morgen ist es zu spät. Wenn Gott Ihnen Unglück und Schmerzen gesandt hat, so sollte dies um so mehr eine Mahnung für Sie werden, milden Herzens zu sein.«
»Aber wer sind Sie, Madame? Was wollen Sie?«
»Ich heiße Cäcilie Pálffy, Fürstin Trubetzkoi. Ich komme, den König von Ungarn um Schutz für einen verwundeten Landsmann zu bitten, den die Grausamkeit eines Ihrer Generale morden will.«
»Wie, Fürstin? Sie in diesem Augenblick hier? Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht erkannte, aber ich glaube, ich habe nur einmal vor mehreren Jahren das Vergnügen gehabt, Sie in Wien bei Hofe zu sehen.«
Die Fürstin verneigte sich schweigend.
»Darf ich Sie bitten, einzutreten und mir Ihr Anliegen mitzuteilen?«
»Euer Majestät Zeit ist kostbar – und die meine auch, ich habe den ganzen Tag auf diesen Augenblick gewartet und habe noch einen weiten Weg vor mir, selbst wenn Ihre Gnade, Sire, mir diesen leicht macht. Mein Wagen wartet, und die Minuten sind gezählt.«
Der Kaiser ließ durch eine Handbewegung die Nächststehenden zurücktreten. »Machen Sie mich mit Ihrem Wunsche bekannt, Fürstin!«
»Majestät, ich komme, Sie um Gnade für einen edlen Ungarn, den Grafen Stefan Batthyányi, zu bitten, der auf meiner Villa am Garda-See bei einem Angriff in die Gefangenschaft Ihrer Truppen gefallen ist.«
»Ein Batthyányi! Ein Verräter an seinem Kaiser, an seinem Vaterland?« rief der Monarch unwillig. »Und Sie wagen es, für ihn in einem solchen Augenblick zu bitten?«
»Majestät,« sagte die Fürstin stolz, »ein Ungar ist nie ein Verräter an seinem Vaterland. Ein Ungar kann Ihr Feind sein, aber nie Sie verraten!«
»Er hat seinen Landsleuten, seinem König mit den Waffen in der Hand gegenüber gestanden, wie Sie selbst zugestehen. Das Völkerrecht diktiert ihm den Tod eines Verräters.«
»Majestät,« sprach die Fürstin mit tief erschütterter Stimme, »ich komme vom Totenbett meines einzigen Kindes, um Sie um Schutz zu bitten für meinen Verwandten, bei dessen Verfolgung der Mann, den ich meinen Gemahl nennen muß, das Blut dieses Kindes vergossen hat. Urteilen Sie, ob Ihr Schmerz größer ist, als der einer Mutter. Stefan Batthyányi hat seit dem Tage von Wien nie seinen Säbel gegen Sie gezogen, wenn er auch ein Gegner der österreichischen Regierung war. Glauben Sie, Majestät, daß die ungarischen Regimenter, die heute ihr Blut vergossen haben, dies für den König von Ungarn, oder den Kaiser von Österreich gethan haben? Fühlen Sie wie ein Ungar, dann werden Sie auch gerecht und nachsichtig über einen seiner edelsten Söhne urteilen.«
Der junge Monarch war von der letzten Berufung sichtlich bewegt. Er sah still vor sich nieder, dann hob er sein Auge freundlich auf die blasse Frau.
»Ich bedaure herzlich das Unglück, Fürstin, das Sie betroffen hat, auch ohne die Umstände näher zu kennen,« sagte er gütig. »Ihre Landsleute haben sich für mich heute so brav geschlagen, daß ich kein Recht habe, streng gegen einen Irregeleiteten zu sein, der einen ungarischen Namen trägt. Sagen Sie mir, um was es sich handelt.«
Die Fürstin trug mit kurzen Worten die Gefahr vor, in welcher der Gefangene durch den grausamen Befehl des Feldmarschallleutnant Urban schwebte, ohne dabei zu erwähnen, daß ihr eigener Gemahl diesen tückisch hervorgerufen.
»In der That, das wäre grausam,« sagte der gütige Monarch. »Eine solche Strenge darf unsere gute Sache nicht entwürdigen. Ihre Brieftafel, Ramming!«
Der Generalstabschef reichte sie hin. Der Kaiser schrieb einige Worte auf ein Blatt, riß es aus und gab es der Fürstin.
»Hier, Durchlaucht,« sagte er galant, »dies wird genügen. Sagen Sie dem Herrn Grafen, den ich mich erinnere, in meiner Jugend in Wien und Pest gesehen zu haben, als wir alle noch gute Freunde waren, daß seine Landsleute sich brav geschlagen haben, und daß kein Verräter an ihrem König unter ihnen war. Und nun erlauben Sie mir, Sie zu Ihrem Wagen zu führen, denn – offen gestanden – ich bin so müde und hungrig, wie gewiß jeder meiner Soldaten!«
Und sich jedem Dank entziehend, reichte er der jetzt vor Erregung weinenden Frau mit chevaleresker Höflichkeit den Arm und führte sie an den Schlag ihres Wagens. Dann erst betrat er das Quartier.
Als Cäcilie Pálffy, die nicht ahnte, daß sie Witwe war, bei dem Schein der Laterne des dahinfliegenden Wagens das Blatt entfaltete und las, fand sie die Worte:
»Der Graf Stefan Batthyányi ist begnadigt und angesichts dieses in Freiheit zu setzen.
Franz Josef.«