Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Villa am See.

Die Folge der Schlacht bei Magenta war die völlige Räumung der Lombardei und das Zurückgehen der österreichischen Armee auf die Mincio-Linie.

Dies geschah natürlich nicht so rasch und nicht ohne einzelne Kämpfe. Von diesen war der bei Melegnano der wichtigste und blutigste.

Das Hauptquartier war zunächst nach Binasco verlegt worden, nachdem sich der Generalfeldzeugmeister trotz der Ankunft der frischen Truppen, der günstigen Gelegenheit und der Desorganisation des Feindes gegen den Rat der meisten Generale entschlossen hatte, die Schlacht nicht wieder aufzunehmen und sie somit verloren zu geben. Als Rückzugspunkt wurde zunächst Lodi und die Addalinie angegeben, die auch in den früheren Kriegen der Österreicher und Franzosen eine bedeutende Rolle gespielt hat. Pavia und Piacenza wurden verlassen, vieles Kriegsmaterial und eine Menge Proviant zurückgelassen.

Der Rückzug an die Adda geschah, ohne daß bis zum 8. Juni auch nur ein französisches Korps zu erblicken war.

Erst am 6. Juni, als der Abmarsch der Österreicher sicher war, verlegte der Kaiser Napoleon sein Hauptquartier nach Magenta; am 7. rückte Mac Mahon in Mailand ein, am Tag darauf hielt unter dem Jubel der Bevölkerung, die sich seit vier Tagen und vier Nächten in einem unaufhörlichen Taumel befand, der Kaiser an der Spitze der Garden mit dem König Viktor Emanuel seinen Einzug.

Von hier aus erhielten das 1. und 2. Korps (Baraguay d'Hilliers und Mac Mahon) den Befehl, die Österreicher aus Melegnano zu verdrängen, das die Brigade Roden zur Deckung des Rückzugs besetzt hielt. Fünf französische Divisionen suchten hier die einzige österreichische Brigade zu umzingeln und zu erdrücken, stießen aber auf heldenmütigen Widerstand. Das erste Zuaven-Regiment erstürmte die Barrikaden am Eingang des Orts und den Kirchhof, die zweite französische Division drang von San Brera her in die Stadt und drängte die Szluiner Grenzer nach dem Marktplatz, während die Brigade Ladmirault die Brücke über den Lambro und sechs Geschütze nahm. Von ihrer Rückzugslinie über den Fluß abgeschnitten, von allen Seiten eingeschlossen, blieb dem tapfern Regiment Kronprinz von Sachsen Nr. 11 nichts übrig, als sich zu ergeben oder bis zum letzten Mann zu fechten. Sein tapferer Kommandeur, Oberst Plankenstein wählte das letztere. Die Österreicher schlugen sich in dem Verzweiflungskampf, jeder Mann ein Held, gegen die Übermacht. Das 33. französische Regiment war in der größten Gefahr seinen Adler zu verlieren, nur die Aufopferung der Offiziere und Soldaten befreiten ihn. Aber die französische Übermacht war zu gewaltig, fast der fünfte Mann der Österreicher war tot und verwundet; um die Fahnen zu retten, warfen sich zwei Offiziere mit ihnen in den reißenden Lambro und durchschwammen den Fluß; das brave Regiment gab sich bereits verloren, als die Brigade Boer von Lodi her im entscheidenden Augenblick eintraf und die Lambro-Brücke und die verlorenen Geschütze wieder nahm. General Boer und sein Adjutant wurden dabei erschossen, aber unter dem Beistand des Regiments Miguel gelang es dem Rest des tapfern Regiments Sachsen das linke Ufer zu erreichen. Bis nach 8 Uhr wütete der Straßenkampf, erst ein heftiges Gewitter und die Dunkelheit machten ihm ein Ende.

Wie wütend der Kampf gewesen, zeigt, daß trotz der geringen Truppenzahl, die wirklich zum Gefecht kam – von den Franzosen drei, von seiten der Österreicher zwei Brigaden – der Verlust der erstern allein 15 Tote und 56 verwundete Offiziere, darunter zwei Generale, betrug. Die Division Bazaine verlor allein 800 Mann.

Nach dem Treffen von Mielegnano wurde alsbald der Rückzug der Österreicher gegen den Mincio und Chiese fortgesetzt, am 10. die Brücke bei Pizzighettone und Lodi zerstört, am 16. stand die Armee bereits wieder schlagfertig am Chiese, auf dem Gardasee, Peschiera und Mantua gestützt; kampflustig und bereit zu schlagen, wie der Feldmarschallleutnant Ramming bereits am 14. im kaiserlichen Hauptquartier zu Verona meldete, und in der That bestand auch anfangs auf den Rat von Heß, die Absicht, von hier aus wieder die Offensive zu ergreifen.

Aber leider verhinderte das Schwanken der Meinungen den wirklichen Entschluß.

Der einzige Gewinn der Armee war die Entlassung des Grafen Gyulai. Selbst seine Beschützer fühlten, daß er nicht länger zu halten war und der allgemeinen Mißstimmung und dem erschütterten Vertrauen ein Opfer gebracht werden mußte. Am 16. Juni ward der Feldzeugmeister zum Kaiser nach Villafranca berufen und bat hierum seine Entbindung vom Kommando, die sofort erteilt wurde.

Der junge Kaiser selbst übernahm den Oberbefehl und verkündete dies zwei Tage darauf durch eine Proklamation der Armee; Heß trat an die Spitze der Operations-Kanzlei, der tapfere und fähige General Ramming wurde Souschef des Generalstabs. Das Kommando der ersten Armee behielt Feldzeugmeister Graf Wimpffen, das der zweiten Armee der aus Ungarn berühmte Reitergeneral Graf Schlick, ein Veteran von 70 Jahren. Unter den Divisions- und Brigade-Generalen fanden gleichfalls vielfache Veränderungen statt, und am Schlachttag von Solferino führte die Hälfte der Divisionärs und ein Dritteil der Brigadiers zum erstenmal die ihnen untergebenen Truppen, ein von vorn herein mißlicher Umstand.

Am 16., gleich nach der Entlassung Gyulais, wurden die Kuriere aus dem Hauptquartier abgeschickt, um den weiteren Rückzug der Armee zu verhindern, aber sie kamen zu spät, ein Teil der Armee hatte bereits den Mincio erreicht, und da man das Heranziehen des französischen Korps unter dem Prinzen Napoleon von Toskana her in der Flanke besorgte, wurde der Rückzug über den Mincio fortgesetzt und am 20. und 21. ungestört beendet.

Freilich hatte man dabei der schlechten Kopie des großen Onkels zu viel zugetraut, der Prinz Napoleon hatte es keineswegs sehr eilig, mit seinem Korps die Österreicher anzugreifen, hatte am 31. Mai sein Hauptquartier in Florenz genommen und erreichte erst nach der Schlacht von Solferino Parma. Der Kaiser hatte ohnehin weniger auf seine Hilfe gerechnet und mit seiner Detaschierung nach den Herzogtümern mehr die Absicht verfolgt, diese dem Einfluß der italienischen Bewegung zu entziehen und die Entscheidung in Mittel-Italien in der Hand zu behalten. Die Herzogin-Regentin hatte am 9. Juni bei der Räumung von Piacenza Parma wieder verlassen und sich nach der Schweiz begeben, der Herzog von Modena vermochte sich gegen die Revolutionspartei nicht zu halten und war einige Tage später über Brescello in das Hauptquartier des Kaiser Franz Joseph gegangen. Die Legationen waren gleichfalls von den Österreichern geräumt und Ferrara, das doch den untern Po und somit Venedig deckte, aufgegeben worden. In den Herzogtümern und den Legationen verlangte die italienische Partei bereits offen die Vereinigung mit Piemont.

Schwerer und entscheidender noch wogen für den Entschluß des Rückzuges der österreichischen Armee die jetzt immer offener zu Tage tretenden Mängel im Verpflegungssystem. Jene schändlichen Betrügereien, die später die Ursache mehrfacher Untersuchungen in Wien und Triest wurden und den Selbstmord des Generals Eynatten herbeiführten, zeigten bereits ihre Früchte. Die Truppen wurden auf das mangelhafteste verpflegt, oft fehlten die Brotlieferungen, weil entweder keine Bäckereien vorhanden waren oder das Brot bergehoch auf dem Bahnhof zu Verona aufgestapelt liegen blieb; ganze Kolonnen-Magazine blieben aus, und selbst die Ernennung des Feldmarschall-Leutnants Melczer zum Armee-Ober-Intendanten vermochte das seither Versäumte und Unterlassene in diesem Augenblick nicht gut zu machen. Dazu war die Zahl der Verwundeten und Kranken so bedeutend gestiegen, daß um das kaiserliche Hauptquartier zu Verona bereits an 50 000 Mann in den Spitälern lagen. Diese Lage war so entsetzlich, daß man sich entschließen mußte, auf jede Gefahr hin den ganzen Bestand aus Italien fortzuschaffen und täglich mindestens 1200 allein auf der venetianischen Bahn nach den innern Provinzen zurückzusenden.

Am 22. Juni stand die österreichische Armee in einer 4 Meilen langen Stellung hinter dem Mincio, mit drei Korps diesseits desselben. Vier Brücken vermittelten den Übergang. Der rechte Flügel stützte sich auf Peschiera und den Garda-See, der linke auf Mantua. Das Hauptquartier der zweiten Armee war bei der unglücklichen Einteilung in zwei besondere Armeen in Valeggio, das der ersten in Roverbella, das des Kaisers in Villafranca auf der Straße von Verona nach Mantua. Die Stärke der Österreicher betrug jetzt etwa 160 000 Mann mit 800 Geschützen. Alles fühlte, daß es hier zu einem entscheidenden Kampf kommen mußte.

Die Armee der Verbündeten war langsam dem Rückzug der Österreicher gefolgt, man war trotz des Sieges von Mugenta in 16 Tagen nur 16 Meilen vorgegangen. Sie hatte am 21. den Chiese zu überschreiten begonnen und stand an beiden Ufern desselben, das Hauptquartier des Kaisers Napoleon in Castenedolo.

General Garibaldi war nach dem verunglückten Angriff auf Laveno am Lago Maggiore nur durch den Sieg von Magenta aus seiner gefährlichen Lage befreit worden, aber er war ganz der rastlos thätige, entschlossene und kluge Parteigänger, der jeden Vorteil benutzte und dessen Kriegsprogramm allein das »Vorwärts« war! Er folgte daher im Norden an den Alpen entlang Schritt um Schritt dem Rückzug der Österreicher aus der Lombardei, nachdem er am 10. in Mailand eine Zusammenkunft mit dem Kaiser Napoleon und dem König Victor Emanuel gehabt hatte.

Es war das erste Mal, daß der Kaiser seit jener Vorstellung im Salon des Herrn Baroche, als er selbst noch das intriguierende Mitglied der Nationalversammlung war, den berühmten Condottieri persönlich wiedersah, der seitdem – 1849 in Rom – seine Generale so ruhmreich, wenn auch nicht glücklich bekämpft hatte, und den er im Verdacht hatte, daß er dem Attentat vom 14. Januar und der beabsichtigten Erhebung nicht fremd gewesen sei.

Das Zusammentreffen dieser beiden Männer war daher von besonderem Interesse. Der ehrliche Charakter des Generals ließ ihn auch hier gerade und offen sein Ziel verfolgen, und er sprach von der Befreiung von der deutschen Herrschaft und der Vereinigung der ganzen appenninischen Halbinsel als von einer selbstverständlichen Sache und in einer Weise, die dem König Victor Emanuel verschiedene Verlegenheiten bereitete. Der Kaiser schien dies jedoch nicht zu beachten, machte dem General sehr schmeichelhafte Komplimente über seine Waffenthaten und hielt sonst die Unterredung in den Grenzen der Verständigung über die nächsten militärischen Maßregeln. Von den französischen Generalen wurde dagegen der berühmte Freischarenführer sehr kühl behandelt, und er überzeugte sich sehr bald, wie recht Mazzini hatte, und daß der sardinische Premier seine einzige Stütze war. Stolz und im Bewußtsein seines redlichen Willens und seiner Verdienste um sein Vaterland, zog auch er sich zurück und selbst die Ovationen, welche die Begeisterung der Mailänder seiner Person und seinem Namen zum großen Ärger der Franzosen und Sardinier brachten, konnte ihm den Eindruck nicht verwischen. Verstimmt, aber mit dem Entschluß, den Kampf so unabhängig wie möglich zu führen, kehrte er nach Como zurück. Man will wissen, daß jene Unterredung nicht unwesentlich mit dazu beigetragen hat, den Kaiser Napoleon zu dem Entschluß zu bringen, der den Feldzug später so rasch beendete und das »Frei bis zur Adria!« desavouierte.

Am 8. schon hatten die Freischaren Bergamo besetzt und drangen jetzt, ohne das Vorrücken des Hauptkorps abzuwarten, auf die Nachricht vom 11., daß Brescia geräumt werde, über die Mella vor. Die Bevölkerung von Brescia, bekanntlich eine der unruhigsten und fanatisiertesten von ganz Italien, empfing sie am 13. mit Jubel.

Auf diesem Marsch und infolge der Schlacht von Magenta strömten dem Generale zahlreiche Freiwillige zu, sodaß bald seine früheren Verluste ersetzt waren. Einzelne Abteilungen wurden in das Valtellin, das obere Adda-Thal, und das Val Camonica, das obere Thal des Oglio, detaschiert und bedrohten somit bereits die Tiroler, also die deutsche Grenze und die Alpenpässe.

Nachdem in der Nacht zum 15. die piemontesische Avantgarde in Brescia angekommen, war Garibaldi nach dem Chiese vorgegangen, um bei Ponte San Marco eine Brücke zu schlagen und das westliche Ufer des schönen Gardasees gegen Südtirol hin zu besetzen.

Seine nach Castenedolo hin detaschierten Vorposten gerieten dabei jedoch mit der Arrieregarde des nach dem Mincio abziehenden Korps Urban, mit der Brigade Rupprecht, in Kampf. Die Alpenjäger wurden mit bedeutendem Verlust zurückgeworfen und Garibaldi selbst war in Gefahr, abgeschnitten zu werden. Nur der Umstand, daß der König Victor Emanuel von Brescia aus die ganze Division Cialdini zum Beistand sendete, rettete die Freischaren, und General Urban zog sich vor der Übermacht zurück.

Mit diesem Rückzug der österreichischen Truppen breiteten sich die Freischaren am westlichen Ufer des Garda-Sees aus und drangen bis Gargageano gegen Tirol vor.


Es war gegen Abend des 21. Juni, einem Dienstag, als an dem Ufer des Sees in der Gegend von Maderno, zwischen Salo und Toscolano, ein sehr lebendiges militärisches Treiben herrschte. Gruppen der garibaldischen Alpenjäger, die ihre Gewehre zusammengesetzt hatten, lungerten mit der gewöhnlichen Fahrlässigkeit und Willkür der Freischärler am Ufer umher, vergnügten sich wie die Kinder, Steine auf den Wasserspiegel zu werfen oder andere Spielereien zu treiben, einige wenige setzten ihre Waffen instand, und nur eine kleine Anzahl war beschäftigt, mit Hilfe der Schiffer und Fischer aus dem Ort neun große Barken am Ufer instand zu setzen und mit allerlei Munition zu versehen.

Auf einer Erhöhung des Ufers, ein Stück Brot und eine Zwiebel verzehrend, anscheinend sich wenig um die Anstalten umher kümmernd, saß der schurkische Gehilfe des Wechslers Mortara von Mantua, der bucklige Spion. Seine Anwesenheit unter den Freischaren, nachdem er kaum drei Wichen vorher im Hauptquartier des österreichischen Oberbefehlshabers seine Nachrichten von dem Linksmarsch der alliierten Truppen verwertet hatte, schien ihn wenig zu tangieren und war der Beweis, daß er auf beiden Seiten sein löbliches Handwerk betrieb. Daß er außerdem auch das eines gewöhnlichen Spitzbuben nicht aufgegeben hatte, zeigte die Gesellschaft seines Raubgenossen von Mantua und dem Mont Cenere her, des Wolfsjägers Szabó.

Der Wilde schien einen seiner lichten Augenblicke zu haben, in denen seine verdüsterte, haß- und grimmerfüllte Seele sich nicht nur mit seinen blutigen Erinnerungen beschäftigte, sondern imstande war, den giftigen Ratschlägen und neuen Verlockungen seines kleinen Gefährten zu lauschen. Es war die grimmige rohe Bestie der menschlichen Wildnis, die brutale Kraft neben der Bosheit und List der Schlange. Obschon er ihn in den rohen Ausbrüchen seiner Wut sogar mißhandelte, schien der Henker doch eine gewisse Neigung für den kleinen buckligen Schurken zu empfinden und tätschelte ihn oft wie ein Kind, obgleich der boshafte Schelm so alt war, wie er selbst.

» Bizony!« lachte der Henker, der um den Hals geknotet einen grauen österreichischen Offiziermantel und dazu ein Paar rote französische Hosen trug, beides Dinge, die er auf dem Leichenfelde von Magenta in der Nacht nach der Schlacht geplündert – »sag' ich Dir Bursch, war der Kerl nix tot und nur das Bein zerschossen. Kutya teremtete! hat sich der Schuft gewehrt wie toll, als ich ihm wollte abnehmen die Uhr, um die Du mich willst bestehlen, Spitzbub, bis ich ihm einschlug den Schädel mit meinem Stock da, mausetot. Gieb zurück die Uhr, Kleiner, oder ich schlag Dir auch den Kopf ein.«

Abramo schien aber wenig Lust zu haben, die schwere goldene Uhr und Kette, die er seinem Gefährten abgelockt hatte und in der Hand wog, wieder zurückzugeben. Er ließ sie vielmehr mit einer geschickten Bewegung in die weite Tasche seines Rockes gleiten und wandte sich mit einschmeichelndem Grinsen zu dem Slowaken.

»Was soll Dir doch nützen die Uhr, Szabó, mein Freund,« sagte er begütigend. »Du würdest zerdrücken das Ding, das ist leichter Tomback, daß es hätte gar keinen Wert mehr.«

» Teremtete! ich dachte, es wäre Gold!« murrte der Henker.

»Unsinn, Freund Szabó! verlaß Dich auf mich, der ich zwanzig Jahre bei dem ersten Juwelier der Welt gewesen bin – mögen alle bösen Engel seine undankbare Seele verderben! Es ist Tomback und höchstens wert fünfzehn Lire, der ganze Bettel. Trink, Szabó, mein Freund!« Er reichte ihm eine jener runden Holzflaschen, welche die österreichischen Soldaten tragen. »Es ist echter Rum, und Du siehst, daß ich haben will keinen Vorteil an Dir, werd' ich Dir geben die vollen fünfzehn Lire.«

Dem Slowaken schien der Handel doch nicht so ganz richtig, denn er setzte die Flasche vom Mund ab. »Zeig' die Uhr noch einmal her. Kleiner! Bei der Hölle, schlag' ich Dich mausetot, wenn Du mich wieder betrügst, wie mit dem silbernen Leuchter, dem einzigen Ding, das ich aus der Kirche stahl, als sie uns beinahe beim Kragen hatten!«

»Daß Du verschwarzen sollst!« rief der Jude giftig und zugleich erfreut, das Gespräch auf einen andern Gegenstand bringen zu können. »Hast Du mich nicht gelassen damals schändlich im Stich, als Du gelaufen bist davon und hast zugeschlagen die Thür, daß ich nicht habe gekonnt heraus und bin geworden gefangen, Du und der Andrea, den die Herrn Franzosen haben erschossen bei Palestro, als er geplündert hat die Toten, was doch ist ein Recht bloß von die Herrn Zuaven und ihren Kameraden! Wenn ich Dich anzeig, daß Du hast gemaust die Uhr und den Herrn Offizier totgeschlagen, der sie hat nicht hergeben wollen gutwillig, werden sie nicht machen mit Dir viel Federlesens und Dich hängen an Deinem eigenen Strick!«

Der Wilde hob grimmig die Hand bei der Drohung, um sie auf den Schädel seines Genossen fallen zu lassen, aber der Kleine wich dem Schlage behend aus, hielt ihm die Flasche entgegen und sagte listig: »Sei kein Narr, Starker, und laß uns halten Frieden. Was hätt' ich davon, wenn ich Dich wollte anzeigen, daß Du würd'st gehangen? Hier nimm die fünfzehn Lire und die Flasche dazu, und wir wollen machen hoffentlich noch manchen Handel und manchen Tausch. Die Villa drüben überm See steckt voll von Gold und Reichtum, und wenn Du aufthust Deine Augen und brauchst Deine Hand, bist Du heute Nacht ein gemachter Mann!«

Der Wolfsjäger brummte etwas in den Bart, steckte aber das Geld ein und trank den Rest der Flasche aus. » Baszom a lelkedet!« schwor er, »Du weißt, daß der Szabó keinen Freund im Stich läßt in der Gefahr, aber die Thür flog mir unwillkürlich aus der Hand, und wenn sie mich hätten erwischt, würden sie mich sicher gehängt haben, wo Du mit Deinem Schlaukopf Dich durchgelogen hast. Aber wissen möchte ich doch, wie Dir's gelungen ist, wenn sie Dich nicht etwa deshalb haben laufen lassen, weil sie zwischen Deinem Kopf und Deinen Schultern keine Stelle finden konnten, um die Schlinge anzubringen.«

Der Kleine warf ihm einen giftigen Blick zu, dann sagte er: »Erinnerst Du Dich an den Baas, den jungen Rabbi, der gekommen ist in unser Lager an jenem Abend, nachdem er entsprungen war aus dem Kloster?«

» Baszom! das Milchgesicht! hole der Teufel alle Kuttenträger! Was ist mit ihm?«

»Nun, ich meine doch, daß der Teufel dicht genug ist auf seinem Nacken. Ich denken er wird büßen müssen noch einmal mit dem Strick für unsere Sünden, wie Ihr sagt, daß Euer Messias gebüßt hat für alle!«

»Mögen sie meinetwegen alle baumeln! Aber ich verstehe nicht, was wir dabei zu thun haben, es müßte denn sein, daß ich mein altes Handwerk an ihm üben soll!«

»Er hat doch einen Feind, einen mächtigen, was weiß ich, warum? und er will ihm gehen ans Leben. Du bist ein Tier, das nur versteht, wenn man sagt: da schlag' zu! oder: nimm! Aber ich hab' doch erlauscht und erkundschaftet mancherlei und weiß, daß es ist ein Geheimnis mit ihm, und daß er sein muß von vornehmer Geburt. Aber wenn er hat Feinde, hat er doch auch Freunde, und wer bezahlt den Abramo am besten, der wird haben seinen Beistand. Siehst Du dort sprechen die zwei zusammen?«

»Den Offizier?«

»Ja und den Mann mit dem dunklen Gesicht, der ist ein Chaldäer, ein gelehrter Arzt aus Afrika drüben überm Meer, wie die Leute erzählen!«

»Und Du hast mir gesagt, daß der Offizier ist derselbe, der mit dem Kuttenträger im Kloster war und wie Du gefangen wurde?«

»So ist's – er ist doch die rechte Hand von dem großen General. Hast Du gesehen, wie er mit ihm spricht? Nun höre, Szabó, und streng' an Dein Gehirn, denn ich werde vielleicht brauchen Deine Hilfe. Der weise Mann dort, der große Doktor, hat mich gefragt, als er gehört hat, ich bin ein Spion, der ihnen bringt Nachricht aus dem Lager der Tedeschi, ob ich kenne den jungen Priester Felicio, der ist bei dem Prälaten aus Bologna, welcher hat große Macht und Einfluß unter den Christen und ist ein Licht ihrer Kirche. Ich habe ihm gesagt, daß er ist in Verona und in strenger Klausur. Ich soll ihm bringen einen Brief, den er mir hat gegeben für ihn und soll ihm helfen zur Flucht.«

»Und was willst Du thun?«

Der Bucklige lächelte verschmitzt – es war offenbar, daß er nicht Lust hatte, seinem Gefährten volles Vertrauen zu schenken, und daß er ihn bloß so weit benutzen wollte, als er seine rohe Kraft brauchte.

»Was ich werde thun? Gott Moses! wie kann ich wissen das vorher? Der weise Doktor dort hat mir versprochen eine gute Belohnung, wenn ich bringe diesen Brief dem jungen Rabbi und helfe ihm zur Flucht. Aber was thu ich mit dem Versprechen! wer zahlt bar und am meisten, der hat uns.«

»Und was soll jetzt geschehen, Buckliger?«

»In einer halben Stunde wird doch gehen die Sonne unter und das Dunkel wird liegen auf dem See, daß sie nicht sehen die Boote. Der große Simson, unser General, wird abschicken seine Krieger, daß die eine Hälfte nimmt das Schiff und die andere landet am Ufer und erschlägt die Deutschen, die nicht einmal sind Deutsche, sondern aus dem Land Ungarn und der Türkei, wie ich mir hab' sagen lassen. Wir aber werden folgen in dem Boot mit unserm Freund dem Mylord, der ist so toll darauf, zu schießen die Weißröck, wenn er's thun kann ohne Gefahr, und es müßte zugehen mit großem Unglück, wenn sie sich abgeschlachtet haben, und wir nicht erwischen sollten dann von der Beute etwas für uns, ohne daß wir tragen unsere Haut zu Markte, wie die Narren. Ich werde dann Gelegenheit finden zu gehen nach Verona, und zu machen mein Geschäft, eh' wir wieder treffen zusammen.«

Der Slowak starrte vor sich hin, dann wandte er seine geröteten Augen auf den Gefährten.

»Höre, Abramo,« sagte er mit ungewöhnlicher Milde des Tons, »Du bist ein Schurke, schlimmer als der Teufel selbst, aber ich habe Dich lieb, weil wir Kameraden gewesen sind bei mancher schlimmen That, und selbst ein Kerl wie ich doch etwas haben muß, an dem er hängt. Du sprichst davon, daß wir uns wieder treffen werden, wenn Du zurückkehrst von Verona?«

» Cospetto! das versteht sich. Zwei so gute Kameraden, wie wir, werden uns doch nicht sollen trennen? Wir werden noch machen zusammen manch gutes Geschäft!«

Der Henker schüttelte den Kopf.

»Wir werden uns wohl nicht wieder sehen, Abramo und darum, fene eggemek! behalte meinetwegen die Uhr und nimm Deine fünfzehn Lire zurück, aber gieb mir Branntwein, wenn Du noch welchen hast; denn seit sie mir diese Nacht erschienen, möcht' ich, ich hätte den Offizier nicht auf den Kopf geschlagen.«

Der Kleine sah seinen Gefährten teilnehmend an: es war nicht das erste Mal, daß er so sprach.

»Ich glaube, Du bist wieder krank, Freund,« sagte er. »Geh' zum Doktor dort, und bitt' ihn, Dir abzuzapfen ein Maß Blut. Es ist schade, denn Du wirst taugen heute wenig zu dem Zug!«

»Meinst Du? – – Laß meine Faust nicht Deinen Arm fassen, sie würde ihn zerbrechen wie Rohr! Was soll mir der Doktor? Hörst Du nicht, daß ich gesagt habe, daß sie mir erschienen ist? Teremtete! gieb mir zu trinken, Schurke!«

Der Bucklige holte aus einer seiner weiten Tasche eine zweite Flasche und reichte sie seinem Gefährten.

»Wer ist Dir erschienen, daß es Dich gemacht hat so schwach?«

»Wer anders als die Wolfsbraut!« Der Wilde hatte den Namen nie vor dem Ohr seines Gefährten genannt, dieser sah ihn daher erstaunt an.

»Die Wolfsbraut?«

»Oder Hanka, wenn Du's besser verstehst! Weißt Du nicht, daß sie jede Nacht, wenn ich schlafe, ihren blutigen Leib an meine Seite legt?«

Der kleine Jude rückte mit unwillkürlichem Grauen einen Schritt von seinem Gefährten weg. Obschon er ein verzweifelter Halunke und zu jeder Nichtswürdigkeit fähig war, konnte er sich doch von dem Aberglaube nicht los machen.

»Szabó, mein Freund,« sagte er, »es hat Dich getroffen der böse Blick!«

»Hund von einem Juden! ihr Auge war diesmal mild und lieblich, wie ich es nie wieder gesehen seit jenem unglücklichen Tage der Mägdeschau. Nur das Totenauge des Wudkoklaks grinste mich an, wenn der zerrissene Leib sich an meine Seite legte seit mehr als zehn Jahren jede Nacht, und immer Blut und wieder Blut verlangte. Darum erschlug ich den Offizier und habe so viele erschlagen – nicht, daß ich mich an ihrem Todeskampfe weiden mochte, wie der Schurke von Engländer dort, sondern weil ich Blut brauchte für den Vampyr!«

Der Bucklige erbebte. Die Sage vom bösen Blick und dem Vampyr ist in allen südlichen Ländern, nicht bloß in den slavischen, verbreitet.

»Höre mich an, Abramo,« sagte flüsternd der Wolfsjäger, dem es Bedürfnis zu sein schien, sein Herz auszuschütten. »Seit jenem Tage ist sie, wie ich Dir sagte, mir nur mit dem blutig zerrissenen Leib erschienen, wie der Wolf sie auf dem Brautbett ließ in der Nacht, da ich mit meinen Zähnen seine Fesseln löste und ihn auf sie hetzte! Baszom! selbst als ich ihn den Wölfen hinwarf zum Fraß, den Schurken, tausendmal schlimmer als wir beide, der mir mein Glück stahl, kam sie so! Aber in der vergangenen Nacht, Abramo, als ich am Feuer lag dort in der Schlucht am Ufer des Sees und auf Dich harrte, da trat sie zu mir, wie zur Hochzeit geschmückt mit der Bunda von Luchsfell, die ich ihr geschenkt, mit der golddurchwirkten Parta und dem Frangengürtel! Ihr Auge war wie vor jenem Unglückstag, wenn sie zu mir kam in die Pußta, und sie lächelte, wie die Sonne durch den Nebel der Theiß und sprach zu mir vom Bonifaciustag, und daß der Török, ihr Bruder, kommen würde, zu unserer Hochzeit!«

»Ein lustiger Traum, Schwarzer,« höhnte der Bucklige. »Beim Haupte Jakobs, ich kann Dich mir denken als geputzten Hochzeiter!«

Der ehemalige Sauhirt hörte nicht auf den Spott, er hatte das mit den ergrauenden wilden Haarzotteln umgebene Haupt auf die Hand und den Ellenbogen auf das Knie gestützt, so schaute er auf die Fläche des Sees, die im letzten Gold der Abendsonne erglühte.

»Sie müssen alle zur Hochzeit kommen,« sagte er halb unbewußt vor sich hin, »der Török und die Mutter, der Rózsa und sein Weib, Abraham und die andern Betyâren. Auch Petrike, der Zigeuner, mit seiner Geige muß dabei sein, den ich an die Turmzinne henkte in Enyád, damit er uns aufspielt zum Tanz, wenn der Staregessy Hochzeitsbitter. uns aufführt. Wenn die Hanka erst des Szabós Weib ist, kann selbst der stolze Graf sie nicht mehr unter die Strapaziermenscher zählen, und der Pandur muß auf seinem Bett allein schlafen!« Plötzlich fuhr er empor.

»Sagtest Du nicht vorhin, Buckliger, daß drüben am Ufer die Seressaner stehen?«

»Du meinst die Grenzer, Freund Szabó? Eine Kompagnie steht dort, ich habe es Seiner Exzellenza, dem General gemeldet, und die Freischaren werden sie angreifen.«

Das Aussehen des Kanász Schweinhirt. (Vgl. Villafranca I. Teil: Die Strapaziermenscher.) hatte sich geändert, der Ausdruck tiefer Melancholie war aus seinen rauhen Gesichtszügen verschwunden, die blutig unterlaufenen Augen glühten wieder in wildem Feuer. » Isten nyéla!« knirschte er, »tragen sie freilich nicht mehr die roten Mäntel, aber sind doch die alten Hunde auch in den braunen Röcken! Die Hand meinigte muß dabei sein, wenn der Tod in ihre Reihen kommt, und die Hanka soll ihre Opfer haben, auch wenn sie solche nicht fordert. Mach Dich fertig, Kleiner, wir wollen dem Engländer dort helfen, Boot seinigtes bereit zu machen für die Nacht!«

Er war aufgestanden und ging nach dem Ufer hinunter, wo in der That Kapitän Peard seinem langen Schlingel von Diener und zwei Schiffern Anleitung gab, ein altes leckes Boot eiligst wieder in Stand zu setzen, um der Fahrt des zum nächtlichen Überfall bestimmten Detachements folgen zu können. Die Lektion, die er durch seine Gefangennahme auf Schweizer Gebiet in den Schluchten des Monte Cenere erhalten, hatte ihn von seiner Inklination nicht zu heilen vermocht und, von den Schweizer Behörden freigelassen, hatte er sich alsbald wieder den Alpenjägern angeschlossen. General Garibaldi hatte, wie wenig sein ehrenfester Charakter auch Sympathieen für den englischen Mörder aus Liebhaberei empfinden konnte, wichtigeres zu thun, als sich um die Anwesenheit eines Abenteurers bei seiner Truppe mehr oder weniger zu kümmern, und so hatte der Kapitän volle Freiheit erlangt, nach Belieben und auf seine Gefahr hin den Freischaren voranzuziehen oder ihnen zu folgen, und auf eigne Hand den Krieg gegen die Österreicher fortzusetzen. In der Nähe von Brescia war er wieder mit dem Spion, der je nach seinem Vorteil jetzt beiden Parteien diente und dessen wildem Begleiter zusammengetroffen, und hatte den alten schändlichen Vertrag erneuert.

Am Vormittag des Tages hatte am westlichen Ufer des Gardasees unfern Salo ein Gefecht stattgefunden. Der österreichische Kriegsdampfer »Taxis« hatte den schützenden Hafen von Peschiera verlassen, um eine Rekognoszierungsfahrt am Ufer entlang zu machen, zur Erforschung, ob bereits die feindlichen Vorposten bis dahin vorgedrungen wären. Der Mangel jeder Nachricht ließ das österreichische Schiff sich unvorsichtig dem Ufer nähern, und als es um einen Vorsprung bog und sich kurz vor der Bucht von Salo in den Seearm zwischen dem Ufer und den dort liegenden Inseln wagte, sah es sich plötzlich auf der Höhe von Isola di Garda einer dort aufgefahrenen Batterie gegenüber, die ihr gefährliches Feuer gegen den Dampfer eröffnete.

So tapfer auch der österreichische Kapitän und seine Mannschaft waren, es blieb ihnen doch nichts übrig, als auf das eiligste den Rückzug anzutreten, wobei das Schiff in Brand geriet. Nur mit Mühe vermochte der Dampfer sich aus dem Feuer zu retten und nahm seinen Weg quer über den See nach dem gegenüberliegenden Ufer, da der Kapitän es nicht wagte, den weiteren Rückweg nach Peschiera anzutreten. Er ankerte bei San Vigilio, vor der Villa, die der Bankier Mortara vor drei Jahren für die Fürstin Trubetzkoi gemietet, und in der diese gewohnt hatte, abgesehen von der Zeit, die sie, von ihrem Gemahl gezwungen, in Paris zugebracht, und der, die sie der Heilung der Wunde ihres Sekretärs und Freundes, des deutschen Erziehers, in Nizza gewidmet hatte.

Am Nachmittag hatte ein italienischer Schiffer, dem es gelungen war, weiter oberhalb über den See zu setzen, dem General Garibaldi die Nachricht gebracht, daß der Dampfer in einem Zustand, der ihn zum Widerstand unfähig machte, an dem gegenüberliegenden Ufer ankere, und die Mannschaft Anstalt treffe, ihn zu verlassen. Da schon am Abend vorher Abramo sich wieder bei den Vorposten der Alpenjäger eingefunden, mit der Nachricht von dem beabsichtigten Auslaufen des Schiffes aus der Festung neues Vertrauen erworben und Nachrichten über die österreichischen Posten auf dem östlichen Ufer des Sees gebracht hatte, beschloß der General, sofort den schon früher gehegten Plan eines Landungsversuches auf diesem Ufer auszuführen, um sich dort festzusetzen und dann auf beiden Seiten des Sees gegen die Tiroler Alpenpässe vorzudringen.

Aus diesem Grunde sah man jetzt die Alpenjäger nebst einer Anzahl Schiffer aus der Umgegend von Salo beschäftigt, die zur Expedition bestimmten neun großen Kähne, von denen jeder zehn bis fünfzehn Mann aufnehmen konnte, in Bereitschaft zu setzen. War es gelungen, sich des gewünschten Punktes auf dem jenseitigen Ufer zu bemächtigen und ihn zu befestigen, so sollte alsbald eine größere Anzahl folgen.

Der General selbst befand sich an der Abfahrtsstelle und ordnete mit seiner gewöhnlichen Ruhe die Anstalten, die mit dem üblichen Lärm und der übertriebenen und unnützen Beweglichkeit ausgeführt wurden, die alle Arbeiten der Italiener begleiten. Weiter hinauf am Ufer hatte sich die Abteilung der Jäger gelagert, die zu der Expedition bestimmt war, und verbrachte die Zeit bis zur Einschiffung mit Gesang, Trinken, Spiel und Geschwätz. Wenige nur hielten sich, trotz der ernsten Bemühungen ihres Führers, mit der Instandsetzung und Ordnung ihrer Waffen auf. –

Der Offizier, dem die Ausführung der Expedition übertragen worden, war der Adjutant des Generals, der Major Laforgne.

Der Major kannte zu gut den Charakter der Freischaren, um sich mit der Erzwingung einer streng militärischen Ordnung aufzuhalten. Er wußte, daß mit diesen meist jungen, übermütigen und eigenwilligen Männern wohl ein kühner Streich auszuführen, aber schwerlich einem Angriff regulärer Truppen Widerstand zu leisten war und verließ sich daher nur auf sich selbst und auf einige alte Soldaten, die in fremden Kriegsdiensten ihr Leben zugebracht, und als fahrende Landsknechte sich bei dem ersten Signal des ausbrechenden Krieges dem General angeschlossen hatten. Von diesen ließ er die Gewehre und Munitionsbeutel visitieren und hatte ihnen strengen Befehl gegeben, dafür zu sorgen, daß keine berauschenden Getränke in die Boote mitgenommen würden. Er war jetzt mit allen Anordnungen fertig und kehrte eben zu der Gruppe zurück, die sich auf der Höhe des Ufers um den General versammelt hatte.

Der berühmte Condottiere saß auf einem Holzblock, den ihm lästigen Uniformrock geöffnet, und zeichnete mit der Scheide seines Säbels Figuren in den Sand. Menotti, sein ältester Sohn hatte sich zornig abgewandt, weil der General seine wiederholte Bitte, den nächtlichen Zug mitmachen zu dürfen, abgeschlagen hatte; Sacchi, der alte Freund und Kampfgefährte des Generals beruhigte ihn. Unter den zehn oder zwölf Offizieren, die um den General standen oder saßen, zeichneten sich die hohen schlanken Gestalten des Grafen Batthyányi und des Obersten Türr aus, die beide miteinander sprachen, während der General sich mit einem französischen Stabsoffizier an seiner Seite unterhielt.

Der letztere war der Oberst Graf Montboisier, der Kammerherr und Adjutant des Kaisers, der von diesem am selben Morgen in das Hauptquartier geschickt war, um eine kombinierte Bewegung zu verabreden.

In der Gruppe der Offiziere befand sich auch der Mohrendoktor Achmet der Hacene, der treue Freund der Marquise von Massaignac. Glücklich über die Nachrichten, die er von ihr aus Paris erhalten, wo sie schon vor zwei Wochen eingetroffen war und sofort alle nötigen Schritte gethan hatte, um sich wieder in den Besitz ihres Erbes und ihres Ranges zu setzen, hatte er auf die Kunde, die er an jenem Tage von Palestro durch Major Laforgne erhalten, seinen Abschied von dem Korps erbeten, dem er sich zugesellt. Da sein Eintritt und seine Thätigkeit überhaupt nur eine freiwillige gewesen waren, so konnte der Abschied ihm nicht verweigert werden, und er hatte zum Bedauern aller Offiziere und Soldaten das 3. Zuaven-Regiment verlassen und sich dem Korps der Alpenjäger angeschlossen, da er hier mit Beistand des Major Laforgne leichter Verbindungen mit dem österreichischen Gebiet unterhalten und die ihm gegebene Spur einer Existenz seines Neffen verfolgen zu können hoffen durfte. Mit Hilfe des buckligen Spions hatte er in der That bereits Briefe mit dem Herrn von Neuillat gewechselt, der leider gerade in Venedig krank lag. Die Mitteilungen des Juden hatten ihn immer mehr überzeugt, daß mit der Person des jungen Jesuiten-Novizen ein Geheimnis verbunden war, das der Rektor zu bestimmten Zwecken sorgfältig festhielt, und das wahrscheinlich seine jahrelangen vergeblichen Nachforschungen nach seiner Schwester und nach deren Kinde berührte! Jetzt, nachdem die zufällige Entdeckung bei jener Unterredung mit Major Laforgne und dem Grafen Montboisier auf dem Schlachtfelde von Palestro ihm auch den Beweis gegeben, daß seine unglückliche Schwester wirklich mit dem Fürsten Lichnowski getraut worden, – denn der Oberst hatte keinen Anstand genommen, ihm das von Abramo gekaufte Dokument einzuhändigen, – war seine Sehnsucht um so größer, ihr hinterlassenes Kind, den letzten Zweig seines königlichen Geschlechts, aufzufinden.

Der General war, wie gesagt, in einer Unterredung mit dem Adjutanten des Kaisers begriffen.

»Und wann, sagen Sie, lieber Oberst, glaubt man im Hauptquartier diese Schwierigkeiten beseitigt zu haben?«

»Nach den gestern eingegangenen Nachrichten sind die zerlegbaren Kanonenboote von Toulon in Genua eingetroffen und bereits verladen worden. Die Ingenieure hoffen, die fehlende Strecke der Eisenbahn von Magenta bis Mailand und die Wiederherstellung der gesprengten Brücken spätestens in vierzehn Tagen vollendet zu haben, so daß Euer Exzellenz darauf rechnen können, bis zum 10. Juli die Schiffe am Ufer des Gardasees zu haben. Man wird dann die Verbindung mit Tirol abschneiden und die Belagerung von Peschiera auch von der Wasserseite beginnen können.«

Der Condottiere lächelte. »Vorerst, Signor Colonello,« sagte er, »nennen Sie mich einfach General und lassen Sie alle Titel weg; ich liebe sie nicht! Was das Versprechen Ihres Hauptquartiers betrifft, so hoffe ich am 10. Juli bereits auf dem Wege nach Innsbruck zu sein, ohne Ihre Kanonenboote. Ich habe zwar eine ziemlich undisziplinierte Schar unter mir, aber meine Leute haben den besten Willen vorwärts zu gehen, und so darf ich sie nicht halten. Nehmen Sie nur Verona und Venedig, für die Alpen werde ich sorgen!«

Der Graf schwieg einige Augenblicke, er fühlte, daß er dem gutmütigen und doch so scharfen Blick des Generals schwer würde verbergen können, daß er eigentlich eine ganz andere Mission hatte, als die einfache Benachrichtigung wegen der Überführung der französischen Flotille.

»Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Tagen einen Hauptangriff der Österreicher haben,« sagte er dann. »Wir zweifeln nicht an dem Sieg, aber es wird auf alle Fälle nötig sein, unsere Kräfte zu konzentrieren und unsere Flanken zu decken. Auf unserer Rechten thut dies das heranziehende Korps des Prinzen Napoleon. Es genügt, um Mantua bei unserem Vorwärtsgehen zu beschäftigen. Auf unserer Linken aber, General, haben Sie diese Aufgabe. Es wäre deshalb gefährlich, sich zu sehr auszudehnen und nach Norden vorzudringen.«

Wiederum flog das bekannte flüchtige gutmütige Lächeln über die wettergebräunten Züge des bewährten Kriegers.

Die kleinen freundlich blinkenden Augen wendeten sich mit einem Ausdruck leichten Spottes auf den Abgesandten.

» Cospetto!« sagte er heiter, »sagen Sie es immer frei heraus: man will, daß ich die deutschen Grenzen nicht angreife?«

»Es dürften allerdings viele Gründe vorhanden sein, General,« meinte der Oberst mit der Vorsicht des Diplomaten, »die es nicht wünschenswert erscheinen lassen, das Gebiet des deutschen Bundes anzugreifen. So lange wir uns auf das lombardisch-venetianische Gebiet beschränken, haben die Deutschen keine Ursache sich einzumischen, und Preußen offenbar auch nicht den Wunsch, es für Österreich zu thun. Ein Angriff auf Tirol heißt, die Hilfe Deutschlands für Österreich erzwingen! Der Kaiser will es nicht!«

Das Gesicht des Condottiere nahm einen ernsten Ausdruck an, sein Auge richtete sich fest auf den Abgesandten.

»Signor Colonello,« sagte er, »ich glaube, es ist Zeit, daß wir uns verständigen, da Sie mir gesagt haben, daß Sie uns die Ehre anthun wollen, einige Zeit in meinem Hauptquartier zu bleiben. Diese Herren hier« – der erhobene Ton seiner Stimme und eine Gebärde rief die Offiziere näher herbei – »können unsere Unterredung immerhin hören, denn es betrifft ihre nächsten Interessen. Sie haben mich an ihre Spitze gestellt, um Krieg zu führen für die Befreiung Italiens von der deutschen Herrschaft. In dem allgemeinen Kriegsplane ist mir der Angriff auf der linken Flanke, das heißt, die Vertreibung der Österreicher aus dem Norden, übertragen worden. Ich habe zwar die Ernennung als General des Königs Viktor Emanuel angenommen, aber es kann Ihnen nicht unbekannt sein, daß ich eigentlich auf eigene Hand den Krieg mit den Deutschen führe und in dem Bündnis des Kaisers von Frankreich und des Königs von Sardinien als das dritte Element das italienische Volk vertrete. Das italienische Volk aber ist da, wo das Kind seine ersten Laute in unserer Sprache lallt. Wir haben den Säbel gezogen für das Recht unserer Nationalität und sind bereit, die Rechte anderer Nationalitäten zu ehren. So weit aber die unsere reicht, werden wir gehen, auch wenn zufällig die Politik der Fürsten die Grenzen Deutschlands auf dem Papier bis an den Gardasee vorgeschoben haben sollte. Abgesehen davon, hat uns die Erfahrung von Sesto Calende gezeigt, daß wir in diesem Kriege nur auf uns selbst rechnen können, und somit wird Se. Majestät der Kaiser Napoleon uns auch erlauben müssen, für Italien den Krieg nach unserem eigenen Gewissen zu führen!«

Ein stürmisches » Evviva Italia! Evviva Garibaldi!« seitens der Offiziere beantwortete diese unverhohlene und ziemlich undiplomatische Erklärung.

Der Oberst fand es für besser, auf diese sehr offenherzigen, aber eben nicht sehr vorsichtigen Worte möglichst wenig einzugehen.

»Es ist dies eine Sache, Exzellenza,« sagte er höflich, »die in dem Kriegsrat der Majestäten zu erörtern ist, ich habe nur den Auftrag, vor einer Überschreitung der Grenzen des deutschen Bundesgebietes zu warnen; und da es mir scheint, daß wir noch nicht so weit sind, habe ich nichts weiter zu thun, als mich Ihrer Siege zu freuen.«

»Sie mögen übrigens unsere Ansicht immerhin dem Kaiser berichten,« sagte der Kapitän Cavaliere Landucci aus dem Kreise der Offiziere barsch. »Wir fechten für unsere Nationalität, nicht für ihn, gerade wie die Ungarn. Die Proklamation Klapkas aus Genua ist uns Italienern ein zuverlässigerer Bundesgenosse, als Louis Napoleon!«

Der Oberst maß den Sprecher mit einem kalten Blick: »Sie sprechen von der Proklamation, Signor, welche die in der österreichischen Armee dienenden Ungarn auffordert, fahnenflüchtig zu werden und zu uns zu desertieren?«

Bei aller republikanischen Unverschämtheit vermochte Landucci doch nicht die Röte zu unterdrücken, die sich über seine Stirn verbreitete.

»Von was sonst? Sollen die braven Ungarn etwa die Söldner ihres Tyrannen bleiben? Haben sie nicht ebenso gut wie wir damals die Waffen erhoben, wenn sie auch von der Übermacht besiegt wurden? Jetzt ist die Gelegenheit da, sich zu rächen und das Joch abzuschütteln. Sie mögen dem Beispiel ihrer Landsleute folgen, die bereits in unseren Reihen stehen, wenn auch manchmal nicht fechten!«

Der Graf Batthyányi, der bisher ruhig, ohne sich mit einem Worte einzumischen oder an den lauten und leidenschaftlichen Demonstrationen der Italiener teilzunehmen, zur Seite gestanden hatte, wandte sich rasch gegen den Sprecher.

»Es scheint, Signor Capitano,« sagte er ernst, »daß Sie mit Ihren Worten auf mich zielen?«

» Corpo di Baccho! ich glaube es selbst! aber wenn auch irgend ein Gelübde, wie man mir erzählt hat, Sie verhindert, Ihren Säbel gegen die Österreicher zu brauchen, sind Sie doch wenigstens hier und werden als Ungar fühlen und denken!«

»Gewiß, Signor! und als ungarischer Edelmann nehme ich keinen Augenblick Anstand, meine Meinung auszusprechen!«

»Und die wäre, Signor Conte? Sie sehen, daß wir alle darauf gespannt sind.«

»Die ist, Signor, mein tiefes Bedauern, daß ein tapferer Mann, wie der General Klapka, sich durch schlechte Ratgeber hat verleiten lassen, Soldaten, und noch dazu seinen Landsleuten, eine Schurkerei zuzumuten!«

Ein Ausruf des Erstaunens, der Mißbilligung aus dem Kreise der Italiener antwortete dieser freimütigen und ehrenhaften Erklärung. Nur der General bewahrte tiefes Schweigen.

» Cospetto, das ist stark! und darf ich Sie in unser aller Namen vielleicht, wenn Ihnen dies nicht etwa mehr Mühen verursachen sollte, als das Ziehen Ihres Säbels, um eine Erläuterung bitten, Signor Conte,« sagte der Florentiner spöttisch, »warum Sie die Proklamation Ihres Landsmannes schmähen, der es mit der italienischen Sache wenigstens ehrlich zu meinen scheint?«

»Diese Erklärung, Signor Capitano,« erwiderte der Graf stolz, »ist wohl kaum nötig. Der Soldat, der die Fahne verläßt, der er geschworen, wenn sie in Gefahr ist, gleichviel ob er mit politischen Sympathieen dafür kämpft oder nicht, ist in meinen Augen ein Feigling und ein Verräter!«

Todesblässe überzog das Gesicht des Florentiners, denn es war bekannt und von seinen Gesinnungsgenossen oft gerühmt, daß er einer der ersten Offiziere der Truppen des Großherzogs von Toscana gewesen war, die zu den Piemontesen übergingen. Er unterdrückte mit Gewalt ein brutales Schimpfwort, aber aus seinen Augen sprühte das Feuer verhaltenen Zorns.

»Wäre es Ihnen vielleicht gefällig, Signor Conte, mir zu sagen, mit welchem besseren Recht Sie sich hier befindend?«

»Mit Vergnügen, Signor, und ich hoffe, daß dies meine Stellung in Ihren Reihen etwas klären wird. Was mich und meine Kameraden anbetrifft, die wir bereits in der italienischen Armee dienen oder noch in ihre Reihen zu treten beabsichtigen, so hat im Jahre 1848 Ungarn offen an Österreich den Krieg erklärt. Wir haben unser Vaterland verlassen müssen und stehen hier, wie dort, Österreich als offene Feinde gegenüber, bis es die Rechte Ungarns anerkannt und seine Pflichten erfüllt hat. Wäre ich aber noch ein Soldat unter der Fahne Österreichs und stände heute unter dieser, so würde ich nie desertieren und ein Übergehen zu dem Feinde für ebenso feig als schimpflich halten.«

So sehr auch diese Erklärung an einer gewissen revolutionären Logik litt, so war sie doch eines ritterlichen Charakters würdig und so kühn und männlich, daß sie ihren Eindruck nicht verfehlte.

»Was übrigens Ihre persönliche Bemerkung betrifft, Signor Capitano,« fuhr der Ungar fort, »so bin ich jeden Augenblick bereit, Ihnen zu beweisen, daß wenn auch der Säbel einem ungarischen Magnaten seinen ehemaligen Kameraden gegenüber durch Ehrenwort in seine Scheide gebannt ist, er doch sehr locker sitzt, wenn es gilt, die Beleidigungen eines Dritten zurückzuweisen!«

Ein paar der Garibaldiens klatschten in die Hände. » Brava! brava! Ein Duell!«

Der Graf Montboisier von der einen und Major Laforgne von der andern Seite waren dem Grafen sofort nahe getreten, als wollten sie ihm ihren Beistand anbieten.

Aber ein anderer kam ihnen zuvor.

Der General hatte sich erhoben. Seine Miene hatte keinen Augenblick den Ausdruck der gewöhnlichen Ruhe und Milde verloren.

»Signor Landucci!«

»Signor Generale!«

»Rufen Sie augenblicklich Ihre Abteilung zusammen und begeben Sie sich in die beiden Boote, die zu Ihrer Aufnahme bestimmt sind!«

»Aber, General, Sie haben gehört – –«

Garibaldi zog seine Uhr. »Ich hoffe, Sie haben meine Worte verstanden. In zehn Minuten werden die beiden Boote abstoßen und in der Entfernung von fünf Faden am Ufer liegen bleiben.«

Unter den Umstehenden, deren Kreis sich durch eine Menge Freischärler verdichtet hatte, die bei dem sehr ungenierten Ton und dem Umstand, daß unter den Soldaten ein großer Teil den bessern, oft den höchsten Ständen angehörte, außer dem Dienst mit den Offizieren fraternisierten, erhob sich ein Murren der Mißbilligung. Man wollte sich erstens nicht die Unterhaltung eines Zweikampfes entgehen lassen und andererseits Partei für den Italiener zeigen.

»Verzeihen Sie, General, wenn ich diesmal nicht gehorche, aber meine Ehre steht auf dem Spiel.«

»Major Laforgne!«

»Hier, General!«

»Ist die Flotille zum Embarkieren bereit?«

»Ich wollte es soeben melden!«

»So lassen Sie zum Antreten blasen!«

Der Adjutant entfernte sich. Gleich darauf hörte man die Hornsignale.

Die meisten Jäger, die zu der Expedition bestimmt waren, eilten zu den Gewehrpyramiden, nur einige wenige zögerten; Landucci mit seinen Freunden befand sich darunter.

Der Freischarenführer that, als bemerkte er den Ungehorsam nicht. Er wandte sich zu dem Chef seines Stabes: »Oberst Carrano

»General!«

»Lassen Sie sofort den zurückbleibenden Zug der Scharfschützen antreten und jeden, der Ordre zur Einschiffung hat und beim dritten Signal nicht auf seinem Posten ist, festnehmen und ohne Ansehen der Person erschießen!«

Als ob nichts vorgefallen, wandte er sich an den französischen Obersten. »Wenn es Ihnen angenehm ist, Signor Colonello, begleite ich Sie zum Strande.«

Eben ertönte das zweite Hornsignal zum Sammeln. Oberst Carrano erteilte bereits dem Offizier der Scharfschützen seine Befehle.

Seine Freunde, Menotti, der Sohn des Generals, an ihrer Spitze, zogen den Cavaliere Landucci fast mit Gewalt von dem Platz weg nach seiner Abteilung. »Bei der Madonna, Kapitän,« sagte Menotti, »ich kenne meinen Vater! Er ist imstande, mich selbst erschießen zu lassen mit nicht mehr Umständen, als man einen Alpenhasen tötet, wenn er so spricht, und ich nicht gehorchen wollte.«

Der Florentiner fühlte ebenfalls, daß er gehorchen müsse. Im Umdrehen kehrte er sich noch gegen den ungarischen Grafen, der jetzt allein stand, und schüttelte mit jener unnachahmlichen Gebärde, mit welcher der leidenschaftliche italienische Charakter Haß und Verachtung ausdrückt, seine Hand gegen ihn. »Mr werden uns wiedersehen, Signor, nach der Expedition!«

Der Graf nickte stolz mit dem Kopf: »Bei dieser, Signore!« Dann folgte er dem General zum Wasser. Die einzelnen Abteilungen, wie sie für die acht Boote bestimmt waren, Kapitän Landucci und seine Leute – alle hatten sich gehütet, zurückzubleiben, als das dritte Hornsignal erklang.

Die Sonne war bereits unter dem Horizont, es begann rasch dunkel zu werden, um so mehr, als aus den Alpenpässen ein scharfer Wind strich und eine schwere Wolkenbank herauftrieb.

Alles unnütze Geräusch, das Lärmen und Singen war streng untersagt worden. Die Offiziere hatten den Befehl, sobald sie auf die Höhe des Sees gelangt wären, jeden Mann, der gegen das Verbot handelte, ohne weiteres niederzustoßen und ins Wasser zu werfen. Das Gelingen der Expedition hing offenbar von dem Schweigen ab.

Major Laforgne erteilte den Befehl, daß die Boote abstoßen und in kurzer Entfernung auf den Rudern liegen bleiben sollten; dann trat er zu dem General, die letzten Ordres zu empfangen.

»Ihre Aufgabe, Major,« sagte der Führer, »ist, zunächst sich des Dampfers zu bemächtigen. In seinem Besitz werden Sie leicht das Ufer beherrschen und den österreichischen Posten aus seiner Stellung vertreiben können. Wahrscheinlich ist der Dampfer bereits ausgebessert, so daß er seine Fahrten wieder aufnehmen kann, oder man ist damit beschäftigt. Halten Sie in diesem Falle die Arbeiter an Bord, und thun Sie alles Mögliche, damit der Dampfer morgen früh hier sein, und ich Ihnen Unterstützung senden kann. Und nun, mein Sohn, Du bist Seemann und siehst, was sich dort an den Bergen braut. Du hast keinen Augenblick zu verlieren! Gott beschütze Dich!«

Er schüttelte dem Offizier die Hand, der von dem französischen Obersten, dem Ungar und Doktor Achmet begleitet, das neunte Boot bestieg. Der General hatte anfangs Lust, den Grafen Batthyányi zurückzuhalten, um weiteren Streit zu verhindern, aber er wollte ihn nicht noch größeren Anfeindungen und Verdächtigungen preisgeben und überließ daher die Lösung des Zwistes den kommenden Ereignissen.

Die neun Boote stießen ab.

Sie waren noch nicht im Dunkel, das bereits auf den Wellen lagerte, verschwunden, als hinter dem Vorsprung des Felsens, der die Seite der kleinen Bucht bildete, ein Kahn hervorkam und von vier kräftigen Armen gerudert, der kleinen Flotille nachfuhr.

In dem Kahn saßen außer den beiden Ruderern zwei Männer.

» Cospetto!« rief der General, »was ist das? Die Zahl der Kähne ist neun – ruft den Burschen zu, zurückzukehren, oder gebt Feuer auf sie!«

Menotti Garibaldi machte eine abwehrende Bewegung. »Es ist keine Gefahr, ich habe sie erkannt,« sagte er. »Es ist der verrückte Engländer mit seinen Dienern und der Spion. Vielleicht befreit uns eine österreichische Kugel diesmal von dem englischen Narren! Dem Juden aber hast Du selbst den Befehl gegeben, nach Verona zurückzukehren, und er erfüllt ihn.«

Der General zuckte die Achseln und stieg das Ufer hinauf.


Es war zehn Uhr, als die Boote der Freischaren nach einer angestrengten und gefährlichen Fahrt die Höhe von San Vigilio erreicht hatten.

Der Wind hatte fortwährend an Heftigkeit zugenommen und die Wellen gingen ziemlich hoch, in kurzen Stößen.

Major Laforgne hatte die Mitte seines kleinen Geschwaders eingenommen, um es leichter beaufsichtigen und seine Befehle besser erteilen zu können, indem seine Barke zugleich die Spitze bildete. Vier mit dem See wohlvertraute Schiffer von Salo und Maderno ruderten sie, und der Major selbst hatte sich ans Steuer gesetzt. Außer den drei Offizieren, dem Arzt und den Ruderern trug die Barke sechs Scharfschützen, die der Major selbst ausgewählt.

» Valga me Dios!« sagte der Graf Montboisier, »Ihr General hat recht gehabt, Herr Kamerad, und ich hätte wirklich besser gethan, in einem der großen italienischen Betten von Salo mich den Angriffen ihrer schwarzen Bewohner geduldig preiszugeben, als mich hier von den verteufelten Wellen dieses Sees zu Brei schütteln zu lassen. Ich wünschte, wir wären erst handgemein mit den Österreichern und auf festem Boden.«

Laforgne hatte sich mit den Ruderern besprochen. Obschon es bei dem Dunkel umher für jeden Laien unmöglich gewesen wäre, sich zu orientieren, ließ jener Instinkt, der den Seemann leitet, sie doch recht gut erkennen, wo sie sich befanden.

»Einen Augenblick Geduld, Excellenza!« sagte der Veteran der Ruderer, einen Moment mit seinem Gegenpart die Arbeit ruhen lassend, »wenn wir zehn Faden weiter sind, müssen wir die Lichter von San Vigilio sehen, das am Ende der Bucht hinter den Höhen liegt. Wenn das Schiff wirklich an der Stelle zu finden ist, wo es der lange Pietro gesehen haben will, werden wir in einer Viertelstunde bei ihm sein. Heiliger Antonio! dieser Wind bläst, als ob er die Steine von Limone aus ihrem Grunde reißen wollte. Möge er den Tedeschi drüben Verderben bringen!«

Einige kräftige Ruderstriche brachten die Barke weiter, und Major Laforgne, der sich mit der Sicherheit des Seemanns im Stern derselben aufgerichtet hatte, sah bei dem Emporsteigen des kleinen Fahrzeuges zu seiner Linken ein Licht blinken und gleich darauf anscheinend tiefer und ferner mehrere andere.

»Es ist die Villa Elena, die von den Fremden bewohnt wird und wo der Posten der Österreicher liegt,« berichtete der alte Schiffer. »Die Terrasse des Hauses geht nach dem Meere hinaus, bis der Fels senkrecht abfällt ins Wasser. Das da unten sind die Lichter von San Vigilio. Mögen die Heiligen ihm bald eine andere Herrschaft geben! Unter der Terrasse der Villa ist der See tief genug und hat guten Ankergrund. Wenn der Kapitän des Dampfers ein Seemann ist, wird er sein Schiff dort vor dem Wogenschwall in Sicherheit gebracht haben.«

Der Major setzte die silberne Pfeife an den Mund, um den andern Booten das Signal zu geben, heranzukommen. Es war nicht möglich bei dem Heulen des Windes und dem Brausen der Wellen nähere Befehle zu erteilen, und der Major mußte sich daher auf die früher gegebenen allgemeinen und auf einige verabredete Signale verlassen.

Er befahl seinen Schiffern, weiter zu rudern und den Eingang der Bucht zum Zielpunkt zu nehmen, auf deren Seitenwand die Villa Elena liegt.

Wer je den prächtigen See auf dem brausenden Dampfer von Riva her nach Desenzano oder Peschiera durchmessen, wird sich der herrlichen Ansichten erinnern, welche die bis zur Wasserfläche niedersteigenden Ausläufer des Monte Baldo an dem östlichen Ufer bilden.

Auf einem der letzten von ihnen liegt die Villa Elena, das Besitztum der Fürstin Trubetzkoi.

An der nördlichen Seite der Bucht, an deren Rundung sich das uralte Pfarrdorf Garda befindet, erhebt sich das Terrain zu einem felsigen Vorsprung, der in den See hinaustritt und in einer Höhe von etwa 50 bis 60 Fuß an einer Stelle schroff hinabfällt zum Wasser. Dies ist das Kap San Vigilio.

Auf dieser Höhe, durch eine mit Weinreben überdeckte Galerie mit den landeinwärts liegenden Hauptgebäuden der Villa verbunden, liegt ein aus einem mittelalterlichen Turm eingerichtetes Belvedere, von dessen offenen Hallen man eine prachtvolle Aussicht über die Fläche des Sees, seine schönen Ufer und die judikarischen Alpen hat.

Offene Bogengänge, von Weinreben und Rosen bekränzt, ziehen sich an der dem See zugekehrten Seite des Plateaus entlang, bis auch hier die Terrasse durch ein, jedoch niedrigeres Bauwerk unterbrochen wird, das auf kolossalen Grundmauern wahrscheinlich noch aus der Römerzeit errichtet ist, halb Pavillon, halb Citadelle, zwei Stockwerke hoch, oben gleichfalls mit flachem Dach.

Der Fels, der die Terrasse bildet, endet hier und fällt weniger steil in vorspringenden Blöcken, durch die sich eine schmale und ziemlich gefährliche Treppe von roh eingehauenen Stufen windet, zum Strande hinab. Der höhere Turm bildet das Nordende der Terrasse, der breitere, niedrigere das südliche, doch steht durch die Senkung der Terrasse die Höhe der beiden Plattformen sich gleich.

Die Villa selbst, das Hauptgebäude, ist in einfachem, modernem, italienischen Stil gleichfalls auf den Trümmern eines altert Forts oder einer Burg erbaut, die wahrscheinlich im Mittelalter hier stand und einem jener veronesischen Geschlechter, die um die Herrschaft der alten Römerstadt mit den Skalingern stritten, ein wichtiger Besitz war, da sie ihm auf dem Gardasee und an dessen Ufern große Macht sicherte. Das Gebäude ist ein Viereck, einstöckig außer dem Parterre, auf hohem, eben aus den Trümmern der alten Zwingburg bestehendem, Souterrain mit Veranden und Balkons, und mit der Hauptfront, dem hallenartigen Hauptbalkon, nach dem Garten und dem See schauend, aber auch auf der Seite nach Osten mit einigen englischen Anlagen umgeben, welche die Auffahrt vom Lande her bis zur breiten Rampe in zierliche, mit Blumen-Medaillons besetzte Rasenflächen einschließen. Weiterhin liegen der Hof und die Wirtschaftsgebäude der Villa.

An dem Abend dieses Tages, Dienstag den 21. Juni, befand sich eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft in dem großen Salon des obern Stockwerks der Villa, der sich mit hohen Glasthüren auf den Balkon öffnet. Die Gesellschaft war in verschiedene Gruppen geteilt, die auf den Divans, den Fauteuils und den Plaudersofas sich zusammengefunden, Whist spielten, oder im Gespräch auf- und niedergingen, während der Wind heftig an den Jalousieen der großen Glasthüren und Bogenfenster rüttelte, von denen eine geöffnet war, um den Blick auf das Unwetter und die dunkle weißschäumende Fläche des Sees zu gewähren.

Die beiden Nebenthüren des Salons waren geöffnet und vermehrten mit den sinnreichen Einrichtungen der Decke den Luftzug, der die drückende schwüle Hitze draußen erträglicher machte.

In einer Ecke des Salons vor einem großen runden Tisch, auf dem der Samowar brodelte, saß in ihrem Fauteuil die Herrin des Hauses, die Fürstin Trubetzkoi. Obschon elf Jahre vergangen waren, seit sie als Cäcilie Helene Pálffy auf flüchtigem Roß von dem glänzenden Schloß ihres Vaters zu dem Dorffeste niederjagte, das ein so trauriges Ende nahm, und obgleich Scenen des Schreckens und der furchtbarsten Leiden seitdem ihr Herz zerrissen und ihre Augen umschattet hatten, war das edle blasse Gesicht doch immer noch von imponierender Schönheit, und ein Ausdruck von Stolz, ja von kalter Härte hatte sich gerade heute über diese Züge gelagert, die sonst gewöhnlich nur den Ausdruck einer stillen leidenden Trauer zeigten.

Drei Tage vorher war nämlich ganz unerwartet ihr Gemahl, der Fürst Trubetzkoi, von Paris über Dresden und Wien angekommen und hatte sich unter dem Vorwand eines kurzen Besuches bei seinem Sohn in der Villa einquartiert.

Es war das erste Mal seit ihrer Trennung, ja seit ihrer ganzen unglücklichen Ehe, daß der Fürst sich einen solchen aufgedrungenen Besuch erlaubte, und es hatte sofort eine ernste und bestimmte Erörterung darüber von seiten der Fürstin stattgefunden. Indessen der Fürst hatte sich, ganz gegen seine Natur, diesmal so ausweichend und so höflich benommen, er hatte so viel von seiner Sorge um Gattin und Sohn wegen der Kriegsgefahr und von seiner unüberwindlichen Sehnsucht, das Kind wiederzusehen, gesprochen, er hatte endlich so geschickt jede Erörterung ihres Verhältnisses zu vermeiden verstanden, daß die Fürstin nichts entgegnen konnte, als mit kalter Verachtung die Achseln zu zucken und ihre Einwilligung zu geben, um einen Skandal vor der Dienerschaft zu vermeiden.

Der Fürst hatte also eine Wohnung in den zu Fremdenzimmern eingerichteten Räumen des nördlichen Turms bezogen, erwies seiner Gemahlin die größte Höflichkeit, schien jedoch sonst damit ganz einverstanden, daß sie sich außer den gesellschaftlichen Berührungen ganz fern und abgeschlossen hielt; denn er schien sehr viele und zum Teil sehr geheimnisvolle Geschäfte zu haben. Er schickte häufig Boten fort und empfing solche, und Tunsa erzählte dem Erzieher, daß sie in der Nacht nach der Ankunft des Fürsten gesehen, wie sein Kammerdiener einen kleinen verwachsenen Menschen durch den Garten zu ihm geführt, dessen Physiognomie ihr schon früher bei irgend einer Gelegenheit aufgefallen war. Auch hatte der Fürst sofort nach seiner Ankunft, die über Verona erfolgt war, verschiedene Besuche in der Nachbarschaft bei den Führern der dort stationierten Truppen-Detachements gemacht und die Offiziere auf das gastfreieste zu sich eingeladen. Selbst von Verona her kamen jetzt tägliche Besuche.

Neben der Fürstin befand sich Feodora, das Geschäft des Einschenkens ihr erleichternd, während zwei Diener den starken Thee und Rum umherreichten. Der Knabe hockte neben seiner Mutter auf dem Diwan, neckte sich mit Feodora und hatte es mit Eigensinn und Thränen, die der Fürst sofort mit einer Bitte unterstützte, schon zweimal durchgesetzt, daß die alte Kammerfrau, die ihn zu Bett bringen sollte, wieder fortgeschickt wurde.

Der Fürst ging, auf seinen Stock gestützt, mit einem älteren Herrn von aristokratischem Aussehen und ruhigen eleganten Manieren in angelegentlichem Gespräch auf und nieder, das er nur zuweilen mit einer Frage an einen oder den andern Offizier unterbrach. Deren Zahl betrug sechs; zwei von ihnen gehörten der Marine an. Es waren beide noch junge Leute, der eine Leutnant, der zweite Aspirant von dem Kriegsdampfer »Taxis«, der unter der Höhe des Kaps ankerte. Er war von dessen Befehlshaber mit der höflichen Entschuldigung in die Villa geschickt, daß er selbst durch den Dienst verhindert sei, den Besuch des Fürsten zu erwidern, den dieser sofort nach der Anfahrt des beschädigten Dampfers an Bord abgestattet hatte, um die Hilfe der Bewohner der Villa anzubieten und die Offiziere einzuladen. Beide saßen mit einem Husaren-Leutnant von dem Regiment »Kaiser Franz Joseph« an dem Theetisch.

Ein Jäger-Offizier spielte in der andern Ecke des Salons mit zwei Kameraden Karten, und an dem Fenster, dessen Jalousieen geöffnet waren, stand der Sekretär und Geschäftsführer der Fürstin, Rudolph Meißner, im Gespräch mit einem jungen stattlichen Mann in halb militärischer, halb bürgerlicher Kleidung, der im Knopfloch seines Rockes das goldene Verdienstkreuz trug.

Die drei Offiziere am Kartentisch waren von sehr verschiedenem Aussehen. Der Jäger war ein Mann von etwa dreißig Jahren, ein Tiroler von Geburt, mit frischem gutmütigem Gesicht, der Kommandant eines Postens in Garda am Ende der Bucht. Sein Partner dagegen trug die Uniform eines Hauptmanns von den Grenz-Bataillonen, war schon an die Fünfzig und hatte ein wildes, böses, von Pockennarben zerrissenes Gesicht. Sein ganzes Wesen hatte einen gemeinen, brutalen Ausdruck und er spielte gierig und habsüchtig; ja, nur die Gutmütigkeit des Jäger-Offiziers ließ diesen übersehen, daß er wiederholt den Versuch machte, die Unaufmerksamkeit seiner Gegner zu benutzen, um sie zu übervorteilen.

Der dritte Spieler war ein Mann von anderer Art. Er trug die Uniform eines Offiziers aus dem Generalstab und mochte etwa vierzig Jahre zählen. Sein Auge war intelligent, aber sein Geist offenbar mit ganz anderen Dingen beschäftigt, als mit den Karten. Das Gesicht des Offiziers war regelmäßig und dennoch nicht angenehm. Es lag in der zusammengezogenen Stirn, in den buschigen Brauen und um die schmalen blassen Lippen etwas Hartes, Unzufriedenes, ein Ausdruck von Mißvergnügen und Groll, der sich bis zum Haß steigern konnte.

Rudolph Meißner, der Sekretär der Fürstin, der Erzieher ihres Kindes und ihr treuer Freund und Geschäftsführer, und deshalb von dem Fürsten im Stillen bitter gehaßt, war zwar noch immer etwas bleich und leidend von den Folgen der schweren Krankheit, die er überstanden, und in der ihn anfangs Rosamunde und dann die Fürstin und Feodora so sorgsam gepflegt hatten. Aber er war doch wieder vollständig hergestellt und im Besitz seiner Kräfte, und heute strahlte sein offenes Gesicht und sein ehrliches Auge in ungetrübter Freude; denn der Mann an seiner Seite, dessen Hand er hielt und mit dem er so herzlich plauderte, war ja ein Freund aus der Heimat, der Bürge, daß so manches ausgeglichen und besser geworden, der Bote einer teuren, nie geschwundenen Erinnerung und vielleicht der Verkünder einer besseren Zukunft, Otto von Röbel. Und wenn auch die Kunde, die er ihm gebracht, ernst genug, wenn auch die Ursache, die ihn hierher an die Ufer des Gardasees geführt, eine traurige und düstere war, die noch mehr der Trauer und des Schmerzes bringen mußte, alles das verschwand vor der Erinnerung an die Heimat und vor dem Gedanken, daß wenigstens sein treues Herz und seine Ehre wieder makellos in den Augen derer dastand, an deren Achtung ihm am meisten gelegen war.

Die beiden Brüder waren einige Tage vorher bei der Armee am Mincio angelangt, und die warme Empfehlung des Fürsten Windischgrätz an die Oberstkommandierenden, sowie ein Brief an seinen Neffen, den Obersten des Infanterie-Regiments Khevenhüller, hatten den sofortigen Eintritt Friedrich von Röbels in die Armee und seine Einstellung in dem Regiment des jungen Fürsten ermöglicht. Otto von Röbel hatte zwar selbst keinen Dienst genommen, aber die Erlaubnis erhalten, sich als Volontär dem Regiment anzuschließen, und die Offiziere desselben hatten die beiden Preußen auf das Kameradschaftlichste aufgenommen.

Da der jüngere Röbel in dieser Stellung noch keinen Dienst zu thun brauchte und Herr seiner Zeit war, während sein Bruder natürlich sogleich alle Pflichten des Dienstes vor dem Feind übernommen hatte, so war er heute von Verona aus nach der Villa gekommen.

Er war von Rudolf mit der innigsten Freude, mit Freundlichkeit von der Fürstin und mit Achtung selbst von dem Fürsten empfangen worden, der sich der mutigen That des jungen Mannes im Cirkus mit einigen Bemerkungen und Fragen erinnerte, die finstere Schatten auf Ottos Stirn beschworen, denn noch wußte er nichts von dem Wiederauffinden der Marquise und der Änderung ihres Schicksals. Ein Brief seines Freundes Laforgne, der ihn von dem seltsamen Abenteuer in Kenntnis setzte, war auf dem Umweg über Paris erst nach ihrer Abreise eingetroffen, Briefe aus der Heimat hatte er hier im österreichischen Lager noch nicht erhalten, und es war auch bei dem kläglichen Zustand der Feldpost nicht wahrscheinlich, daß er bald welche erhalten würde.

Nur ein Auge beobachtete den jungen Mann mit bitterem Gefühl, wenn auch nicht mit Haß oder Widerwillen. Es war das Tunsas. Das ganze Wesen der Zigeunerin, das durch den Einfluß ihrer Gebieterin eine so wesentliche Veränderung zum Bessern erfahren hatte, schien seit jenem Zusammentreffen mit Rosamunde am Schmerzenslager des von beiden geliebten Mannes eine neue Wandlung erfahren zu haben. Sie war häufig in tiefe Gedanken versunken, ihr sonst so blitzendes, in seinem Ausdruck ewig wechselndes Auge starrte finster, ja oft unheimlich vor sich nieder, sie sonderte sich von ihrer Umgebung ab und liebte es, allein oder nur mit dem Knaben auf den einsamsten Wegen der Umgebung umherzustreifen. Dies hatte sie schon während des Winters in Nizza und jetzt wieder an den Ufern des Gardasees gethan, so daß die Fürstin häufig gezwungen war, bei der Gefahr, welche die kriegerische Umgebung mit solchen Gängen verknüpfte, ihr diese zu untersagen. Dabei hörte man sie jetzt, wenn sie allein umherirrte oder des Abends bis spät in die Nacht auf der Terrasse oder den Felsabhängen am See saß, die seltsamen melancholischen Lieder und Melodieen ihres Volkes singen, was sie seit Jahren nicht gethan, und der kleine Prinz vertraute seiner Mutter, wie ihm Feodora gar traurige Geschichten von Mumeli Swa und dem Zigeuner Petrike zu erzählen pflege, dessen Geige erklungen, bis der Henker ihn in das ewige Nichts gestoßen habe.

Die Fürstin verwies dem Mädchen diese Reden, aber sie brachte es nicht über sich, hart gegen sie zu sein, und da ihre Bemühungen, Tunsa wieder aufzumuntern, erfolglos blieben und sie an dem eigenen Leid genug zu tragen hatte, überließ sie sie schließlich ihren Launen, von der Zeit deren Änderung erwartend.

Rudolf war dem Mädchen gegenüber derselbe geblieben, dankbar für ihre Aufopferung und ihre Liebe, gegen die er nicht blind sein konnte, aber ruhig und ernst. Sie vermied auch seit längerer Zeit, seit seine Krankheit ihre direkte Pflege nicht mehr erforderte, mit ihm allein zu sein, und ein stilles Übereinkommen schien zwischen beiden getroffen, die Vergangenheit nicht zu berühren. Feodora wußte, daß der angekommene Fremde der Bruder Rosamundens war, des Mädchens, zu dem sie wie zu einer Heiligen aufsah, und die leuchtende Freude auf dem Antlitz ihres Hausgenossen zeigte ihr, welche Botschaft dieser empfangen.

Wie es kaum anders sein konnte, bewegte sich die Unterhaltung meist in der Politik und in den Neuigkeiten vom Kriegsschauplatz. Obschon man durch die Offiziere des Dampfers erfahren hatte, daß die Alpenjäger Garibaldis bereits auf dem westlichen Ufer des Sees schwärmten, fühlte man sich hier auf dem östlichen doch vollkommen sicher, da es bekannt war, daß die Feinde noch keine Flotille auf dem See hatten und Fürst Trubetzkoi die Nachricht mitbrachte, daß der Admiral Dupouy, der diese auf dem Gardasee bilden sollte, erst in diesen Tagen Paris verlassen würde. Überdies waren alle Landungspunkte an der Küste besetzt; in San Vigilio befand sich ein Detachement Grenzer, deren Hauptman eben im Salon sich mit dem Kartenspiel beschäftigte; in Garda, am Ende der Bucht, eine Abteilung Jäger. Weiter hinab nach Peschiera standen Infanterie- und Kavallerie-Pikets.

»Sie bleiben auf jeden Fall hier, Baron,« sagte der Fürst zu seinem Begleiter, »und fahren erst morgen nach Verona zurück. Es ist genug, daß uns Kapitän Müller diesen Abend seines Dienstes halber verlassen muß, und in meinem Turm drüben giebt es Raum genug. Ich bin so lange aus Italien fort, und es giebt der Ereignisse so viele, daß ich herzlich froh bin, aus so vorzüglicher Quelle zu schöpfen.«

Der Baron wandte sich mit einer höflichen Verbeugung zur Fürstin. »Wenn ich nicht fürchten muß, Ihro Durchlaucht lästig zu fallen, nehme ich die Einladung an. Ich war in Venedig nicht anwesend, als der Fürst mir seinen Besuch machte, und es war mir eine angenehme Pflicht, ihn zu erwidern, da mich ein Geschäft nach Verona rief. Wir sind nicht mehr die Jüngsten, und eine Doppeltour von fünfzehn Miglien ist schon etwas zu viel für uns.«

»Ah bah, Neuillat! Sie machen sich mit Gewalt alt, Sie haben sich trefflich konserviert und in den letzten fünf Jahren – ich glaube, wir sahen uns zuletzt in Mantua, ehe die Fürstin die Laune bekam, sich hier anzusiedeln – fast gar nicht verändert. Schorte wos mi! Da sehen Sie mich an – ich bin nicht älter als Sie und seit elf Jahren ein Krüppel!«

Ein giftiger Blick streifte die Fürstin, die von der Anspielung jedoch keine Notiz nahm, sondern die Einladung ihres Gemahls mit einigen höflichen Worten wiederholte.

»Euer Durchlaucht brachten die wichtigste Nachricht mit sich,« setzte der alte Diplomat mit einem feinen Lächeln das Gespräch fort, »die von der Mobilmachung der preußischen Armee.«

»Oh,« sagte der Fürst eifrig, »es ist noch keineswegs so weit. Sechs Armeekorps, weil es die Zeitverhältnisse erfordern. Es ist mehr eine Kriegsbereitschaft, wie ich Sie versichern kann. Der Regent wird herzlich wenig Lust haben, sich für Österreich in einen Krieg mit Frankreich und nun vielleicht auch noch mit andern Mächten zu verwickeln. Die Note des Fürsten Gortschakoff kann nicht ohne Eindruck geblieben sein.«

Der Baron lächelte fein. »Verzeihen Sie, Durchlaucht, wenn ich mir unter uns eine Bemerkung erlaube. Die sogenannte ›Russenfurcht‹ scheint mir in Europa etwas außer Mode gekommen, sogar in Deutschland. Ich halte zwar nicht besonders viel von diesem Herrn von Beust, aber diesmal – das muß ich gestehen – hat er mit seiner Antworts-Note der öffentlichen Meinung ziemlich gut Ausdruck gegeben.«

Der Russe biß sich auf die Lippen und wechselte die Unterhaltung. »Haben Sie neuere Nachrichten von Rom?«

»Eine wichtige war gestern Abend in Verona verbreitet. Der heilige Vater hat sich ermannt und seine Zustimmung gegeben, daß ein Regiment der Schweizer nach Perugia abrücken sollte, um es wieder zu besetzen. Oberst Schmidt ist ein Mann von Energie, und da die Perugesen sehr fanatische Köpfe sind, dürfte es zu einem harten Zusammenstoß gekommen sein. Die Truppen müssen gestern Perugia Die Einnahme erfolgte am 20. unter zahlreichen beiderseitigen Greueln. erreicht haben.«

»Wie? so hat also die Sendung Pietris nach Rom nichts geholfen?«

»Signor Pietri,« sagte spöttisch der andere, »der zwar nicht verstanden hat, Orsinis Attentat zu verhindern, hat vortrefflich gewußt, aus der Orsinischen Erbschaft Kapital zu schlagen, wie der gegenwärtige Krieg zeigt. Aber bei der Forderung, den Kardinal Antonelli zu entlassen, hat man sich erinnert, daß unter den gleichen Umständen bei Napoleon I. die Entlassung des Kardinals Consalvi nach vierzehn Monaten die Aufhebung des Kirchenstaats und die Wegführung Pius VII. zur Folge hatte. Ein Pius und ein Napoleon sitzen wieder auf dem Thron.«

»Sie sind ein unverbesserlicher Legitimist,« sagte halb lachend, halb ärgerlich der Fürst.

Der Baron wandte sich kurz zu ihm. »Sie nicht?«

Die Frage überraschte etwas den Russen. »O –« sagte er endlich, »es kommt darauf an, wie weit Sie den Begriff ausdehnen. Natürlich vor allem der Wille des Kaisers! Aber die Nationen sind nicht mehr in den Kinderschuhen. Sie sehen doch, wie sich in Italien alles regt, in Parma, in Modena, in Rom, selbst in Neapel. Die Adresse der Geistlichkeit in Brescia an Viktor Emanuel und den Kaiser Napoleon ist eine Thatsache, die sich nicht wegleugnen läßt.«

»Man hat sich Mühe genug gegeben, um diesen Erfolg herbeizuführen,« erwiderte der Baron kalt. »Seit Jahren standen die Regierungen auf einem Boden, unter dem systematisch jeder Halt fortgebrochen wurde. Daß Herr Pietri dabei natürlich auch etwas für die weite napoleonische Tasche konspiriert hat, ist ihm nicht zu verdenken. Herrn Cavour, wenn er nicht selbst das kleine Handelsgeschäft betrieben haben sollte, was ich von vornherein geglaubt habe, dürfte die Petition von Chamberi um Einverleibung Savoyens in Frankreich doch etwas die Augen öffnen. Und wenn nicht ihm, so doch den Italienern. Es ist ein schlimmes Ding, Durchlaucht, für einen Monarchen die Revolution zu Hilfe zu rufen!«

»Aus diesem Grunde,« sagte der Fürst hastig, »hat unser Gesandter in Turin auch Protest gegen die Bildung der ungarischen Legion eingelegt. Sie wissen, daß Kossuth, Klapka, Kiß und Perczel bereits in Genua sind!«

»Die Führer, ja, aber die Legion fehlt. Die Ungarn sind im Ganzen eine brave Nation; sie zanken sich wohl im eigenen Hause, aber des Kaisers Feinde sind ihre Feinde. Sie haben ein schlimmeres Element in Ihrem eigenen Staat.«

»Sie meinen die Polen, Baron?«

»Ja, die Polen. Passen Sie auf, die Reihe kommt bald an Sie, und ich wünsche Ihnen, daß Ihre jetzige Politik sich dann nicht rächen möge.«

»O, Sie irren sich in Ihren Voraussetzungen, Baron, das Kabinett von St. Petersburg hält sich ganz neutral, obschon Sie mir zugestehen werden, daß wir in der That nicht viel Ursache zur Freundschaft gegen Österreich haben. Ein Beweis dafür ist, daß der Kaiser den Obersten Tornauw als Militäragenten nach Verona sendet!«

»Und Euer Durchlaucht als Civil-Agenten?« sagte der andere lächelnd. »Für den bevorstehenden Besuch der Kaiserin-Mutter in Nizza und das Verfahren Se. Kaiserl. Hoheit des Großfürsten Konstantin in Konstantinopel gegen den englischen Gesandten muß eine andere Höflichkeit als Gegengewicht ausgetauscht werden. Apropos, Durchlaucht, Sie wissen wahrscheinlich bereits, daß Graf Esterhazy heute in außerordentlicher Mission in London angelangt sein muß?«

»Ich hörte in Wien von der bevorstehenden Abreise,« sagte der Fürst. »Was denken Sie, Baron, daß der Erfolg sein wird?«

»Ei, das kann niemand wissen,« sagte der Baron mit angenommener Gleichgültigkeit, »obschon die englische Presse die preußische Mobilmachung jetzt in ganz anderm Sinne betrachtet. Ich denke –«

»Nun?«

»Ei nun, wir werden die englische Flotte bald von Corfu auslaufen sehen!«

Der Russe biß sich wiederum auf die Lippen. »Das gäbe also einen europäischen Krieg,« sagte er.

»Wahrscheinlich! Indes ich hoffe, der Kaiser Louis Napoleon wird sich sehr besinnen, ehe er einen solchen heraufbeschwört – selbst mit der besten Bundesgenossenschaft. Die Deutschen sind, wenn sie einmal einig sind, was leider selten der Fall ist, nicht zu verachtende Gegner.«

Der Fürst machte an seinem Stock einige Gänge durch den Saal, ohne zu antworten. Er schien in tiefes Nachdenken verloren. Dann blieb er wie zufällig an dem Spieltisch stehen. Obschon er dem Baron den Rücken zugewendet, entging es diesem doch nicht, daß er mit dem Offizier des Generalstabs einen bedeutsamen Blick austauschte.

Der Robber war bald nachher zu Ende; Kapitän Müller legte die Karten nieder und sah nach der Uhr.

»Es ist die höchste Zeit,« sagte er, »daß ich aufbreche. Ich habe fast vier Meilen bis Villafranca zu reiten und werde schwerlich vor Mitternacht dort sein. Ihre Durchlauchten sind so liebenswürdige Wirte, daß man darüber fast seine Pflicht vergißt. Brechen wir zusammen auf, meine Herren?«

»Gott bewahre!« sagte einfallend der Fürst, »man ist in dieser Einsamkeit froh, wenn man Gesellschaft hat. Kapitän Jurisch hat fünfhundert Schritt bis in sein Quartier und Leutnant von Wurmser noch keine Viertelmeile bis Garda. Auch Graf Pállfy ist ein zu guter Husar, um wegen eines Rittes bis Peschiera schon jetzt seine Verwandten zu verlassen. In einer Zeit, wo in jeder Stunde die Schlachtenwürfel aufs neue rollen können, muß man mit den Minuten geizen. Bei Ihnen, Kapitän, darf ich leider keine Einsprache thun, der Dienst geht vor, aber wenn nicht ernstere Ereignisse eintreten, hoffe ich Sie bald wieder hier zu sehen!«

Der Hauptmann verabschiedete sich von der Fürstin und der Gesellschaft, der Fürst selbst begleitete ihn aus dem Salon und die Treppe hinunter.

»Treten Sie einen Augenblick hier ein, Kapitän,« sagte er, nach einem der Seitenzimmer weisend, »indes die Diener Ihren Burschen mit den Pferden rufen.« Der lange Kosak Petrowitsch saß auf dem Flur; der Fürst sprach einige Worte zu ihm auf Russisch; der Kosak erhob sich und nahm wie zufällig seinen Platz in der Nähe der Thür, durch die der Fürst und sein Gast in das Zimmer getreten war.

Die beiden Männer befanden sich allein.

»Sind Sie gewiß, Kapitän,« fragte mit gedämpfter Stimme der Fürst, »daß die Angriffsbewegung erfolgen wird?«

»Ich wiederhole Euer Durchlaucht, daß der Feldzeugmeister Heß bereits gestern den Entwurf für das erneuerte Vorgehen der Armee bearbeiten ließ. Wir könnten nur unter großem Nachteil eine Defensivschlacht an dem linken Ufer des Mincio annehmen, da das rechte meist weit höher gelegen ist. Die Verteidigungslinie würde über vier Meilen betragen, während die Brücken bei Ferri und Goito nebst den beiden Schiffbrücken unser Vorgehen sichern. Das einzige Bedenken ist …«

»Nun?«

»Wenn der Kaiser Napoleon so rasch vorrückte, daß wir nicht ohne Kampf über den Mincio ziehen können. Aus diesem Grunde hat Baron Heß noch gestern Abend den beiden Armee-Kommandanten eröffnet, daß trotz der damit verbundenen Nachteile die Vorwärtsbewegung, statt am 24., schon übermorgen, den 23., stattfinden soll.«

»Und welches sind die Nachteile hiervon?«

»Die Truppen verlieren nach der Konzentrierung ihren Ruhetag. Sie haben zahlreiche Detachierungen abgeschickt, um Fourage und Lebensmittel in entfernten Empfangsorten zu fassen. Die Rückkehr derselben kann also nicht abgewartet werden. Auch wird man nicht Zeit haben, Truppen des zehnten Armeekorps heranzuziehen.«

»Wenn wir auf die Erfüllung Ihres Versprechens rechnen können, glaube ich behaupten zu können, daß der Kaiser Napoleon den Übergang Ihrer Truppen über den Mincio nicht hindern wird. Wann gedenken Sie mir die Details der Dispositionen zu schicken?«

»Wenn es möglich ist, morgen; am besten übermorgen, da noch Veränderungen vorgenommen werden könnten.«

»Gut. Mein Kammerdiener wird in der bekannten Locanda in Verona Sie oder Ihren Boten erwarten. Für alle Fälle, Ihre Losung?«

»Villafranca!«

»Gut! die meines Boten wird sein: Revanche für Sebastopol.«

Man hörte die Pferde draußen auf der Rampe der Villa stampfen.

»Es ist Zeit! Leben Sie wohl, Durchlaucht,« sagte der Offizier. »In den nächsten Tagen werden wir uns schwerlich sehen, denn ich muß jede Unvorsichtigkeit sorgfältig vermeiden, und der Zufall ist nicht immer so günstig wie heute mit meiner Sendung nach Bardolino. Indes ich werde das Möglichste thun und ich denke. Sie sollen mit mir zufrieden sein. Ich denke, man soll es bitter bereuen, mich so schmählich zurückgesetzt zu haben!«

»Es ist schändlich,« sagte höhnisch der Fürst, »wie man mit einem Manne von Ihrem Verdienst umgesprungen ist. Doch seien Sie überzeugt, wir halten unser Wort. Das Patent als Oberster und die zehntausend Napoleondor sind Ihnen sicher nach der Schlacht, sobald Sie eintreten wollen!«

»Ich habe Ihr Wort und wehe dem, der gewagt hätte, sein Spiel mit mir zu treiben. Gute Nacht!«

»Gute Nacht und glücklichen Weg!«

Der Offizier schwang sich in den Sattel, hüllte sich fest in den weißen Mantel und sprengte hinaus in das Wetter, gefolgt von seiner Ordonnanz. Hätte er gesehen, mit welchem spöttischen, verächtlichen Blick der russische Fürst ihm nachschaute, er würde die Wahrheit des Wortes erkannt haben, daß man den Verrat liebt, aber den Verräter verachtet.

Ms der Fürst sich umwandte, um wieder die Treppe hinaufzusteigen, sah er im Vestibüle einen Unteroffizier der Grenzer mit einem Mann in der durch halb Europa bekannten Tracht der slavonischen Hechelkrämer stehen.

» K schorte! Was will der Kerl hier?« fragte der Fürst.

»Halten zu Gnaden, Durchlaucht,« berichtete einer der Diener, »der Soldat hat den Mann hierhergebracht, weil er darauf besteht, den kommandierenden Offizier des Postens sprechen zu müssen und behauptet, wichtige Nachrichten für ihn zu haben.«

»Was willst Du? wer bist Du?« fragte der Fürst den Slowaken.

Der Mann antwortete nicht sogleich, der Anblick des Fürsten schien ihn betroffen gemacht zu haben.

»Nun, Kerl, verstehst Du nicht Italienisch?«

»Doch, gnädiger Herr,« erwiderte der Mann respektvoll, aller doch mit einem Ausdruck, der sehr von der gewöhnlichen Redeweise dieser Vagabonden abstach. »Euer Durchlaucht sehen, daß ich einer des wandernden Volkes bin, das von den Ufern der Theiß in fremde Länder zieht, um sein dürftiges Brot zu suchen.«

Der Fürst schenkte ihm den ersten Blick. Der Slowak, der den Hut abgenommen, mochte ein Mann von dreißig oder zweiunddreißig Jahren sein, und seine Gesichtsfarbe war blasser als die gewöhnliche seiner Landsleute; auch gegen deren Gewohnheit reinlich, wenn auch die Kleidung ärmlich und rauh, der braune Filzmantel, Hemd und Beinkleider von schmutzigem Leinen war.

»Was bringst Du?«

»Eine wichtige Meldung, Herr, von dem kommandierenden Offizier.

Der Fürst stampfte unwillig mit dem Stock auf die Marmorfliesen. » Sukiensyn! das habe ich schon gehört, Kerl! Aber was? Der Kapitän ist drinnen beschäftigt; ich werde es ihm bestellen!«

»Verzeihen, Euer Durchlaucht,« erklärte der Slowake ehrerbietig aber fest, »ich kann meine Nachricht nur einem österreichischen Offizier sagen!«

Der Fürst hob einen Augenblick den Stock, als wolle er eine solche Unverschämtheit züchtigen, aber der Wunsch, die Nachricht selbst zu erfahren, ließ ihn davon abstehen. Zugleich bedachte er, daß, auch wenn er den Hauptmann der Grenzer herausrufen lassen wollte, er doch nicht alles erfahren würde, da ihm die Sprache ihrer Unterredung unbekannt sein konnte. So stieg er denn die Treppe hinauf un8 befahl dem Unteroffizier, ihm mit dem Slowaken zu folgen.

Der Kosak Petrowitsch hatte eine Bewegung gemacht, als wolle er seinem Herrn einige Worte sagen; aber der rasche Entschluß des Fürsten hinderte ihn daran, und er begnügte sich, kopfschüttelnd dem seltsamen Besuch nachzuschauen.

Droben war unterdes der Fürst in den Salon eingetreten, mit einer Handbewegung seine beiden Begleiter vor der Thür zurückhaltend. Er ging sogleich auf den Grenzer-Offizier los.

»Kapitän Jurisch,« sagte er mit jener herablassenden Vertraulichkeit, die so leicht die Niederen kirrt, »draußen ist einer Ihrer Unteroffiziere, der einen Kerl aufgegriffen hat, welcher behauptet, Ihnen wichtige Nachrichten zu bringen. Ich habe ihn gleich mit heraufgenommen, damit Sie ihn hier verhören können; wir haben gewiß alle gleiches Interesse daran, seine Nachrichten zu hören.«

»Wenn Euer Durchlaucht befehlen und erlauben,« erwiderte der Kapitän devot, »ich will ihn sogleich hereinkommen lassen.«

Auf einen Wink des Fürsten öffnete einer der Diener die Thür und führte den Soldaten und den Slowaken ein. Die Männer unterbrachen sofort ihr Gespräch, auch die beiden Frauen richteten ihre Augen auf den in solchen Räumen ungewöhnlichen Gast.

Feodora konnte eine Bewegung nicht meistern, als sie den Slowaken näher angeblickt, ihr Auge wandte sich sogleich auf die Fürstin. Diese war noch bleicher geworden als gewöhnlich und ihre Hand hatte sich unwillkürlich erhoben und auf das Herz gepreßt. Dann faßte sie den Knaben, der sich furchtsam an sie schmiegte, und zog ihn auf ihren Schoß.

Die Augen der Dienerin und der Herrin kreuzten sich auf bedeutsame Weise; die Fürstin lehnte in den Diwan zurück, während Feodora ihren Blick starr, mit drohendem Ausdruck auf den Slowaken gerichtet hielt.

Dieser hatte sich nur flüchtig umgesehen und gegen die Anwesenden eine höfliche, durchaus nicht linkische Verbeugung gemacht. Die vier Offiziere hatten sich erhoben und waren näher getreten. Otto von Röbel und sein Freund hielten sich zurück, ohne daß ihnen jedoch ein Wort des nachfolgenden Verhörs entging.

Als Hauptmann Jurisch ein Mitglied der so sehr verachteten, lange Jahre von ihm mißhandelten Klasse vor sich sah, tauchte die ganze Brutalität seines Charakters wieder auf.

»Was willst Du, Hundesohn, daß Du Dich erdreistest, hierher zu kommen in so vornehme Gesellschaft?«

Die Frage war in ungarischer Sprache gethan, aber der Fürst legte sich sogleich ins Mittel, dadurch seinen Zweck verfehlt sehend. »Ich bitte Sie, Kapitän, befragen Sie den Menschen auf Italienisch, was wir alle verstehen und auch er, wie ich mich überzeugt habe. Wir sind nicht alle solche Mezzofantis wie Sie oder Se. Majestät, Ihr Kaiser, daß wir alle Idiome der großen österreichischen Monarchie kennen!«

»Der gnädige Fürst hier,« antwortete der Slowak sofort ruhig in italienischer Sprache, »hat es befohlen. Ich wollte Euer Gnaden herunterrufen lassen.«

»So? Und glaubst Du, daß ich nichts besseres zu thun habe, als auf den Ruf eines slowakischen Viehes zu kommen? Was willst Du?«

Der andere antwortete mit einer Gegenfrage. »Sind Sie der Kommandant des Postens in San Vigilio?«

»Das siehst Du, Kerl. Was weiter?«

»Ihr Name, Herr?«

» Baszom a lelkedet! Ich glaube, der Kerl ist verrückt oder betrunken, daß er es wagt, einen kaiserlichen Offizier zu examinieren!«

»Verzeihen Euer Gnaden!« sagte der Slowak fest, »aber ich muß wissen, mit wem ich spreche, damit ich denen Rechenschaft geben kann, die mich geschickt haben.«

Der Hauptmann wollte eine heftige Antwort geben, aber auf einen Wink des Fürsten änderte er diese.

» Fene egymeck! Meinetwegen denn, aber nimm Dich in acht, Bursche, daß Deine Nachricht der Mühe wert ist, sonst will ich Dich striegeln lassen. Ich bin der Hauptmann Jurisch.«

Der Name schien eine schreckliche Wirkung auf den Slowaken zu machen. Er schauderte zurück, als wenn er auf ein giftiges Tier getreten hätte, dann überflog eine dunkle Röte sein Gesicht, seine Fäuste ballten sich, und ein Blitz tödlichen Hasses schoß aus seinen Augen.

Während die anderen mit Staunen auf dies Gebahren sahen, schien der wilde Grenzer sein Behagen daran zu haben. Er betrachtete es als eine Wirkung der Furcht vor seinem Namen, und es fiel ihm nicht im Traume ein, daß es eine andere Bedeutung haben könnte.

» Kujtya teremtete!« sagte er, sich behaglich den langen grauen Schnurrbart streichend, »ich will es meinen, daß Landstreicher wie Du Furcht vor dem Hauptmann Jurisch haben. Ich kenne das Gesindel von Ungarn her, aber der Jurisch versteht unter ihnen aufzuräumen!«

Der Slowak schien sich unterdes wieder gefaßt zu haben, er war auffallend blaß geworden, aber er blieb ruhig und hielt seine Augen auf den Boden geheftet.

»Woher kommst Du?«

»Dom Stilfser Joch!«

»Wo Ihr Gesindel Euch doch überall umhertreibt! Was ist's, was willst Du eigentlich?«

Der Slowak hatte den doppelten Holzboden einer seiner Mausefallen aufgeschoben und brachte aus der Höhlung ein kleines Papier zum Vorschein, das er dem Hauptmann reichte. Dieser zögerte mit der Annahme. »Nun! Was wird's sein, irgend ein Bettelbrief!«

Der Jäger-Offizier jedoch, der die Ursache der Ablehnung kannte oder merkte, nahm das Blatt und entfaltete es.

»Es ist ein unverwerfliches Zeugnis für die Ehrlichkeit dieses Mannes,« sagte er. »Wir sind hier unter Freunden, also kann ich es vorlesen!«

Das Blatt lautete:

 

»Vorzeiger dieses, der Slavonier Matthias Cvetkovic geht in meinem Auftrag. Er verdient volles Zutrauen,

Feldmarschall-Leutnant Paumgarten.«

 

Die meisten der Anwesenden begannen, den armen Slowaken mit größerer Aufmerksamkeit und Achtung zu betrachten.

»Es scheint,« sagte der Jäger-Offizier, »daß Sie diese Verkleidung nur gewählt haben, um unbehindert durchzukommen?«

»Nein, Herr,« sagte der Mann ernst, »ich bin nichts anderes, als ich scheine. Ich bin ein armer Slawonier von dem Gute des Grafen Pálffy, Telek genannt, an der Theiß, aber schon lange aus der Heimat fort. Ich habe keine Verwandten mehr, seit meine Schwester Hanka am Lätaretag dort der Wolf zerrissen und meine Mutter in Gram darüber gestorben ist.«

Der Hauptmann der Grenzer schrak unwillkürlich zusammen und trat einen Schritt zurück. Feodora – Tunsa – war aufgesprungen und zu den Männern getreten. »Es ist wahr,« sagte sie mit funkelnden Augen, »und es wissen mehr Leute hier, daß er die Wahrheit spricht.«

Nur die Fürstin blieb bleich, odemlos in der Ecke ihres Diwans zurückgelehnt. Sie hielt noch immer die Hände aufs Herz gedrückt, als wollte sie dessen gewaltsames Klopfen bändigen. Aber zum Glück achtete niemand auf sie.

»Ich bin manches Jahr gleich meinen Brüdern, dem verachteten Volk, durch die Länder gewandert, bis ich eine Heimat in der Region des Schnees und des Eises gefunden habe. Um es kurz zu machen, meine gnädigen Herren, Sie wissen, daß die Pässe über die Alpen ins Tirol bedroht sind und verteidigt werden. Auch die Tiroler Schützen von Meran und Mals und dem Traffoi sind auf ihren Posten. Der Feldmarschall-Leutnant wünschte Nachricht zu haben, wie weit die Italiener und Franzosen bereits auf dem westlichen Ufer des Gardasees vorgedrungen sind, da dem Volk dort nicht zu trauen ist und alles im offenen Aufruhr ist. Ich habe übernommen, in dieser meiner alten Kleidung ins Land zu gehen und sichere Nachricht zu bringen.«

Die Art und Weise, wie der Hechelkrämer sprach, überzeugte die Anwesenden immer mehr, daß er ein Mann weit über diesem Stand war.

»Aber wie kommen Sie hierher auf das östliche Ufer?« frug der Husar. »Das war doch Ihre Aufgabe nicht?«

»Ich war diesen Morgen in Gargnano, Herr! Dort hörten wir Kanonendonner. Die Posten der Alpenjäger erzählten, daß General Garibaldi heute oder morgen einen Überfall des östlichen Ufers versuchen will, um sich hier festzusetzen. Ich war Zeuge, daß Fahrzeuge nach Salo geschafft wurden.«

»Teufel, das wäre!« sagte der Jäger-Offizier und sah sich nach seinem Säbel um.

»Die Nachricht ist sehr unwahrscheinlich,« meinte der Fürst, »General Garibaldi weiß gewiß, daß hier überall Truppen stehen. Wenigstens heute sind wir sicher bei dem Wetter!«

»Vorsicht ist nie unnütz,« meinte der Baron. »Ich glaube, daß die Nachricht dieses wackern Mannes alle Beachtung verdient. Wie aber ist es Ihnen gelungen, mein Freund, auf das diesseitige Ufer zu gelangen?«

»Ich mußte bis über Piovese zurück, deshalb komme ich so spät. Aber der Wunsch, meinem Kaiser zu dienen, hat mich alle Hindernisse überwinden lassen. Jenseits Piovese hatte ich das Glück, an einem Landhaus im Bootschuppen einen kleinen Kahn zu entdecken. Mit meiner Zange gelang es mir, das Schloß zu erbrechen, und ich vertraute mich ihm an.«

»Und sind Sie ungehindert fortgekommen?«

»Man bemerkte mich freilich zu zeitig und hielt mich für einen Dieb. Man schoß nach mir, aber ich ruderte, was die Arme halten wollten.«

Der Sprecher hob einfach seinen Mantel auf der Schulter, man sah ein Kugelloch darin und auf dem Ärmel des Hemdes einen Blutfleck.

»Zum Glück war die Wunde nur unbedeutend, kaum die Haut geritzt. Aber es war eine weiter Weg für einen kleinen Nachen und zwei Arme. Es war sechs Uhr, ehe ich das Ufer erreichte, und dann hatte ich einen langen Marsch. So sehr ich mich beeilt habe, konnte ich nicht eher den Ort hier erreichen, von dem man mir gesagt hat, daß es der erste große Posten wäre.«

Der Grenzerhauptmann murmelte etwas vor sich hin, wie Bedauern klingend, daß die Kugel des Schützen nicht eine Spanne breit weiter herüber geschlagen sei; auch der Fürst schien nicht sonderlich aufgeregt von der Nachricht, und suchte sie noch immer als übertrieben und unwahrscheinlich darzustellen, doch der Husaren-Offizier war bereits während der Erzählung an die Thür gegangen und hatte befohlen, daß sein Pferd so rasch als möglich gesattelt und vorgeführt werde. Auch der Jäger hatte bereits sein Kasket in der Hand und trat mit den beiden Marinen zur Fürstin, um sich zu verabschieden.

Der Sekretär derselben kam eben aus dem Vorzimmer zurück. »Herr von Wurmser,« sprach er höflich, »ich habe mir erlaubt, ein Pferd für Sie satteln zu lassen. Wenn auch der Weg nach Garda nicht weit ist, wird es Ihnen bei diesem Wetter und unter diesen Umständen doch willkommen sein, so rasch wie möglich auf Ihren Posten zu kommen.«

»Sie sind sehr freundlich, Herr,« sagte der Offizier, »und ich nehme es mit Dank an.«

»Ich habe ferner geglaubt, im Sinn Euer Durchlaucht zu handeln,« fuhr der Sekretär zur Fürstin fort, »indem ich einige Befehle wegen Sicherung des Hauses und Aufnahme des wackern Mannes dort gegeben!«

Die Fürstin nickte, ohne ein Wort zu sprechen.

Der Baron Neuillat hatte dem Slowaken die Hand gereicht, die dieser bescheiden anzunehmen zögerte, während der Fürst keinen Blick mehr für ihn hatte. »Nehmen Sie, Herr, sagte der Baron, »es ist die Hand eines ehrlichen Mannes, der damit Ihre aufopfernde Treue ehren will. Ich bin der Baron Neuillat, Kammerherr Sr. Majestät des Grafen von Chambord in Venedig, und wenn ich Ihnen gefällig sein kann, so wenden Sie sich ohne weiteres an mich. Sie beweisen aufs neue, daß ein wackeres Herz unter jedem Kittel schlagen kann. Ich hoffe Sie noch zu sehen, ehe wir San Vigilio verlassen!«

»Aber meine Herren, meine Herren,« rief der Fürst, »Sie wollen wirklich mein kleines Souper im Stich und uns hier ohne allen militärischen Schutz lassen? Hätte ich dies ahnen können, ich hätte eher alles andere gethan, als diese Unke hier selbst herauf zu führen!«

Die Offiziere, auch der Grenzer-Hauptmann, der ein sehr ärgerliches Gesicht schnitt bei der Erwähnung des Soupers, waren bereits an der Thür, als plötzlich durch die Höflichkeiten des Abschieds und das Rütteln des Sturms an den Fenstern ein anderer Klang brach.

Ein Schuß, gleich darauf eine Salve von Schüssen!

» Ktschorte wos mi! ich glaube, diese naseweisen Freischärler haben es wirklich gewagt, Sie anzugreifen, trotz des schlechten Wetters!« sagte kaltblütig der Fürst.

Die Schüsse kamen offenbar von dem See her. Einen Augenblick standen die Offiziere betroffen über das Unerwartete, dann eilten der Husar und der Jäger aus dem Salon und die Treppe hinunter, Otto von Röbel aber riß die Thür des Balkons auf und trat hinaus. Der Fürst, der Baron und der Grenzer-Hauptmann gingen ihm nach.

Die beiden Marine-Offiziere wollten folgen, als der Sekretär der Fürstin mit dem kalten Blute des geprüften Mannes ihren Arm faßte.

»Nicht dort hinaus! der Balkon hat keinen Ausweg! Folgen Sie mir, ich werde Sie auf dem kürzesten Wege führen!«

Er zog sie mit sich aus dem Saal.

Durch die geöffnete Thür drang der Sturm in heftigen Stößen in das Gemach und verlöschte mehrere Lichter. In das Toben des Wetters mischte sich das Krachen von Schüssen und wildes Geschrei. In einzelnen Pausen konnte man deutlich den Ruf hören: » Evviva Garibaldi! Evviva Italia!«

Der Saal war fast leer.

Feodora hatte den auf dem Schoß der Fürstin eingeschlafenen Knaben, den selbst der entstandene Lärm nicht wecken konnte, auf ihren Arm genommen. Sie trat jetzt mit ihm zu dem Slowaken, der noch immer auf seinem Platz an der Thür stand, ungewiß, ob er sich entfernen solle, und bot ihm die Stirn des Kindes.

»Küsse ihn,« sagte sie slavonisch, »der glänzende Aldebaran leuchtet heute über Deinem Haupte, Sohn des Unglücks und der Leiden.«

Fast unwillkürlich drückte mit einer gewissen Ehrfurcht der Hechelkräuter seinen Mund auf die Stirn des Kindes, das schlaftrunken und ohne die Augen zu öffnen, die Ärmchen um den Hals des fremden Mannes schlug.

Die Fürstin, gleichgültig gegen die Gefahr des feindlichen Überfalles, hatte die Hände vor das Gesicht gepreßt, eine Thräne quoll durch die feinen weißen Finger.

Da traten der Fürst und der Baron mit Otto von Röbel und dem Grenzerhauptmann hastig wieder vom Balkon herein und schlossen die Thür. Der Fürst warf dem Mädchen einen finsteren Blick zu, der sie mit dem Kinde von dem Slowaken fortscheuchte.

»Zum Teufel! es ist richtig, man schlägt sich drunten, wahrscheinlich auf dem Wasser dicht unter dem Felsen, denn man kann nur das Blitzen der Schüsse sehen und das Geschrei hören.«

»Befehlen Euer Durchlaucht,« fragte der Grenzer devot, »daß ich Ihnen eine Sicherheitswache für das Schloß heraufschicke?«

»Ich denke, mein Herr,« sagte der Baron von Neuillat streng, »es wird dringend nötig sein, nachzusehen, wie es mit der Sicherheit Ihrer Mannschaft selbst steht. Die da unten sich schlagen, die wackern Marinen, sind Landsleute und bedürfen Ihrer Hilfe!«

»Es ist wahr! eilen Sie, Kapitän,« bemerkte der Fürst. »Ich darf Sie nicht länger aufhalten. Es ist am besten, wenn Sie kein Militär heraufschicken – so bewahren wir die Neutralität, und diese werden beide Parteien achten!«

Während der Grenzer-Offizier sich eilig entfernte, was übrigens längst seine Pflicht gewesen wäre, trat der Sekretär der Fürstin wieder in den Salon.

Er wollte zu der Fürstin gehen, als die Frage des Freundes ihn aufhielt: »Was bringst Du für Nachrichten, Rudolf, woher kommst Du?«

»Ich habe den Offizieren den Weg von der Terrasse zum Ufer gewiesen; Garibaldische Freischaren wollen sich des österreichischen Dampfers bemächtigen –« er lachte heiter – »sie mögen es thun, sie werden sehen, was sie gewinnen, und sie haben einen warmen Empfang gefunden. Aber es ist möglich, daß sie den Ort angreifen und sich festsetzen wollen. Die Villa selbst läßt sich nicht verteidigen, Durchlaucht, aber ich habe bereits Anstalt getroffen, das Kastell« – so wurde von den Bewohnern der Villa der niedere Turm an dem Südende der Terrasse genannt, der zugleich dem Sekretär selbst zur Wohnung diente – »in Verteidigungsstand zu setzen. Es sind Gewehre und Munition genug dort, daß wir uns halten können, bis Hilfe von Garda kommt, und ich erbitte Eurer Durchlaucht Befehl, ob Sie sich dahin zurückziehen wollen?«

Der Bericht und die Frage war an die Fürstin gerichtet, aber der Fürst nahm sogleich in hochmütigem Ton die Antwort auf sich.

»Ich muß meinen Leuten jede Beteiligung an dem, was vorgeht, auf das strengste untersagen. Dieses Landhaus ist im Besitz eines Unterthans Sr. Majestät des Kaisers von Rußland, also so gut wie neutrales Gebiet. Der Krieg zwischen Österreich und Italien geht uns nichts an – beide Parteien werden unsere Rechte ehren!«

Der Sekretär sah ihn erstaunt an, während Otto von Röbel finster die Stirn runzelte.

»Ich glaube, Euer Durchlaucht haben mich mißverstanden,« sagte ernst der Erzieher. »Wir befinden uns hier Gott sei Dank noch auf österreichischem Grund und Boden!«

Der Fürst stieß erzürnt mit dem Stock auf den Boden. » K tschortu! ich brauche Ihre Belehrung nicht, es bleibt bei meinem Befehl!«

»Einen Augenblick, Herr Meißner!« Die Fürstin hatte sich erhoben und war zu den Männern getreten, ihr Gesicht war noch so bleich wie vorhin, aber ihre Miene energisch und entschlossen. »Euer Durchlaucht scheinen zu vergessen, daß Sie sich hier bei mir als Gast befinden, und ich es bin, die Befehle zu erteilen hat!«

»Madame,« rief der Fürst …

»Die Feinde des Königs von Ungarn, mein Herr, sind auch die meinen. Herr Meißner, ich bitte Sie, alles sofort zu thun, was sich für uns ziemt und unsern Landsleuten Beistand leisten kann.«

Der Fürst biß sich in die Lippen, aber er wagte, namentlich in der Gegenwart des Barons, keinen offenen Widerspruch.

Meißner verbeugte sich. »Und Euerer Durchlaucht Person?«

Die Fürstin schüttelte verächtlich das Haupt. »So gern, wie ich mich Ihrer Treue und Ihrem Mut anvertrauen würde,« sagte sie, »so habe ich doch nichts zu befürchten, man führt ja nicht mit Frauen Krieg, und ich bleibe hier unter dem Schutz – meines Gemahls! Aber eilen Sie, Herr Meißner, das Gefecht scheint heftiger zu werden, nehmen Sie von meinen Dienern mit, wem Sie Vertrauen schenken, Sie haben unbeschränkte Vollmacht!«

»Und ich hoffe, ihr Ehre zu machen! Vorwärts, Otto!«

Er verbeugte sich gegen die Fürstin und gegen die Herren und wollte eilig mit dem Freunde das Zimmer verlassen, als Feodora auf ihn zuflog.

»Dein Gott wird Dich beschützen! Tunsa wird für Dich beten, wenn Du sie auch verachtest! Nimm diesen mit Dir,« sie wies auf den Slowaken, der von den überstürzenden Ereignissen gefesselt, noch immer an der Thür stand, »es thut nicht gut, daß er hier bleibt; der Geist Mumeli-Swas ist über ihrem verlorenen Blut und sagt ihm, daß er Dir nützen wird. Nicht über Deinem Haupte, sondern über dem anderer schwebt Astaroth, der Engel der Vernichtung!«

Meißner hatte kaum auf die exaltierten Worte der Zigeunerin geachtet, die ihm mit starrem Blick nachsah, als er dem Slowaken winkte und eilig den Salon verließ. Dann kehrte sie stumm und ohne sich um die andern weiter zu kümmern, nach dem Diwan zurück, auf dessen Kissen sie das schlummernde Kind niedergelegt hatte.

Das Schießen draußen wurde immer heftiger. Der Fürst, erbittert über den Widerstand, den er gefunden, hatte sich mürrisch in einen Sessel geworfen, nachdem er sich überzeugt, daß der kurze Handrevolver, den er in der Brusttasche seines Überrocks trug, sich schußfertig darin befand. Baron Neuillat suchte die Fürstin zu beruhigen, die heftig bewegt auf- und niederging und auf den Lärm des Kampfes draußen horchte.

Der Sekretär hatte schon vorher seinen deutschen Diener nach dem Kastell geschickt, jetzt rief er nach dem ungarischen Reitknecht der Gräfin und ihrem Jäger, einem Steyrer, aus der Dienerschaft, die unten im Parterre erschrocken durcheinander lief und eilte mit ihnen durch den Garten nach der Terrasse.

Ihr Lauf war so eilig, daß sie sich nicht einmal Zeit nahmen, über die steinerne Balustrade der Terrasse hinweg nach dem Strande hinunterzuschauen, von wo das Geschrei der Kämpfenden erscholl.

Im Nu waren sie an dem Kastell, Meißner schlug die Thür hinter ihnen zu und befahl den Dienern, sie zu verbarrikadieren.

Die schmalen Öffnungen in den ungeheuren Mauern des Erdgeschosses waren mit Eisenstäben versperrt. Der ziemlich große Raum war leer und diente eigentlich nur zur Aufbewahrung von Gartengerätschaften und für die Orangerie im Winter. Eine hölzerne Treppe führte in das obere Geschoß, das der Sekretär bewohnte, und das aus einem kleinen Flur mit dem Aufgang zur offenen Zinne, einem geräumigen Wohnzimmer und einem Schlafzimmer bestand. Das Kastell bildete den vorspringenden Winkel der Terrasse, deren Balustraden von beiden Seiten bis an das alte Gemäuer stießen, und die steilen und rauhen Felsstufen, die von dem Strande heraufführten, mündeten an einer zweiten Pforte im Parterre des Kastells, die den einzigen Durchgang dazu bildete.

Da Meißner ein Liebhaber der Jagd war und häufig mit dem Jäger der Fürstin durch die Berge streifte oder auf das Geflügel im See schoß, befanden sich mehrere Gewehre in seinem Zimmer mit hinlänglicher Munition. Der Jäger hatte bei dem Befehl, zu folgen, seine Büchse nicht vergessen, und somit war für Waffen gesorgt, da auch Otto von Röbel bei der Ankunft Säbel und Revolver im Gemach des Freundes abgelegt hatte. Jetzt steckten beide nur hastig ihre Waffen zu sich und stürzten nach dem Ausgang, der nach der Bucht hinab führte, und aus dem wenige Minuten vorher die beiden jungen Marine-Offiziere ihren Kameraden zum Beistand geeilt waren. – – –

Major Laforgne, der Kommandierende der kecken Expedition der Alpenjäger, hatte, etwa eine Viertelstunde vorher, seinen Booten das Signal gegeben, sich zu sammeln und auf den Eingang der Bucht von Garda loszusteuern.

Da der Sturm und der Wellenzug hierher ging, waren die Schiffer mit einigen Dutzend Ruderschlägen auf der Höhe des Eingangs.

Major Laforgne hielt sich aufrecht im Stern, mit einem raschen Blick hatte er die Lage der Dinge überschaut.

Im Schutz des felsigen Vorsprungs des Kaps, etwas weiter in die Bucht hinein und etwa zwanzig Faden vom Ufer, auf dem weiter rückwärts der kleine Ort San Vigilio liegt, während am Ende der Bucht die Lichter von Garda blinken, lag der österreichische Dampfer vor Anker. Man sah an Bord Lichter sich auf- und niederbewegen und trotz des stürmischen Wetters gingen Boote ab und zu nach dem nahen Ufer, wo von dem Sturm oft zu hohen Flammenzungen gepeitscht ein Feuer brannte und zahlreiche Gestalten sich bewegten.

Das Feuer warf seine Reflexe weithin über die hochgehenden Wellen, und der kühne Parteigänger erkannte sogleich, daß es schwerlich möglich sein werde, unentdeckt bis an den Dampfer zu kommen.

Sein Plan war sogleich gefaßt, als ein ungünstiger Zufall oder eine Unvorsichtigkeit die Ausführung beschleunigte.

Er hatte eben den neben ihm Sitzenden seinen Plan in fliegenden Worten mitgeteilt und sein Boot angehalten und das nächste herankommen lassen, als von dem entferntesten ein Schuß fiel. Gleich darauf stieg von dem Deck des Dampfers ein Leuchtfeuer in die Luft, die weiße Kugel platzte und streute ihr weißes Licht umher, so daß auf weite Strecken die stürmische Wogenfläche fast tageshell erleuchtet war.

In diesem Augenblick sah der Major das nächste Boot zur Rechten dicht an seinem Bord. Mit einem raschen Sprung hatte er sich in dasselbe geschwungen. »Ans Ufer, Graf, nehmen Sie mit den Booten links die Häuser und die Villa, indes ich den Dampfer mit den anderen entere!« befahl er, und sogleich hatte der Wellenschlag die Kähne wieder getrennt.

»Setzt die Ruder ein!« klang das Kommando des Majors durch den Sturm. »Gebt ihnen eine Salve, Bursche, daß sie das Deck räumen! Vorwärts. Es lebe Italien! es lebe Garibaldi!«

Die Schüsse krachten, von den nächsten Booten wiederholte sich die Salve. Erst im Feuer der Schüsse bemerkte der Major, daß er sich in dem Boot befand, das Kapitän Landucci kommandierte.

Aber merkwürdiger Weise antwortete dem Angriff der Freischärler von Bord des »Taxis« kein Schuß. Nur die Bootmannspfeife gellte ihre Signale, und im Schein der ausgehängten Laternen sah man die dunklen Gestalten der Mannschaft aus den Wanten über das Deck huschen und verschwinden.

» Avanti! Avanti!«

Die vier Boote legten am Bugspriet und dem Steuerbord an, da ihnen diese bei der Lage des Schiffes zunächst, mit lautem Evviva-Geschrei kletterten die Alpenjäger in die offenen Luken und am Takelwerk empor, um so mutiger und lärmender, je gefahrloser es war.

Keine Seele leistete Widerstand, das Deck war leer, wie die im Winde schaukelnden Laternen zeigten.

Major Laforgne und die Offiziere standen einen Augenblick verdutzt, während die Mannschaften bereits über das Deck schwärmten und in die Luken drangen, um zu plündern, sie dachten an einen Hinterhalt unter dem Deck.

Aber es war nichts mehr zu plündern, das Deck war leer, wie gesagt, nicht einmal ein eingebraßtes Segel, ein aufgerolltes Tau; in den Luken fehlten die Kanonen – –

Die Bestürzung des Majors dauerte übrigens nur wenige Minuten; vom linken Ufer her, wo das Feuer brannte, klang das Angriffsgeschrei der Seinen herüber, Schüsse fielen, er sah die Boote in der Brandung, plötzlich krachte ein Kanonenschuß, der eigentümliche Ton einer Kartätschenladung rasselte über die schäumenden Wellen her und anprallende Kugeln schlugen an Bord oder ricochettierten an dem Bugspriet vorüber.

Wehegeheul, Wutgeschrei, Flintensalven, das Lärmen eines heftigen Kampfes!

» Carrajo! – und ich bin nicht dort!« Im Augenblick übersah er die Lage der Dinge, wußte er, daß die Besatzung das Schiff verlassen, vielleicht weil sie das Nahen der Boote bemerkt, obschon einzelne Umstände allerdings rätselhaft blieben. Gleich darauf hatte er aber auch erkannt, was das Notwendigste war, »Kapitän Landucci,« befahl er, »schnell zurück in die Boote! Nehmen Sie alle Mann bis auf zehn, kappen Sie das Ankertau so tief als möglich, indes wir versuchen, Ihnen noch andere Taue nachzuwerfen. Der Dampfer muß trotz des Sturmes so rasch als möglich aus dem Hafen bugsiert werden. An die Ruder, Kameraden und wenn …« Eine Gewehrsalve von rechts her, aus der Bucht unterbrach ihn, und die pfeifenden Kugeln verwundeten zwei Mann. » Diavolo! die Österreicher haben sich geteilt, ihre Boote sind dort hinaus entwischt, sie greifen uns von beiden Seiten an! Presto! presto! jeder Augenblick ist kostbar!«

Er trieb die Männer mit Gewalt in die Boote zurück, während wiederholt von der Bucht her gegen das Schiff gefeuert wurde und auch vom linken Ufer häufig Kugeln herüber schlugen, wo ein erbitterter Kampf wogte.

Die Alpenjäger, bis auf die wenigen, die der Major an Bord zurückhielt, waren wieder in den Booten und hatten an das Ankertau ihre Seile geknüpft, auch war es gelungen, einige andere Taue noch an Bord aufzufinden und sie den Freunden zuzuwerfen. Mit aller Kraft legten sich die Männer in die Ruder, und da der Sturm etwas weniger heftig tobte, gelang es in der That, den Dampfer zu bewegen und langsam gegen die anstürmenden Wellen aus der Bucht zu bugsieren.

In diesem Augenblick, als das Schiff eben die Spitze des Kaps passierte, hörte man wie aus der Luft, eine kräftige frische Stimme:

»Hurra für Österreich!«

Ein dunkler Schatten glitt pfeilschnell an der Wandung des Mastes am Backbord nieder, einen Augenblick sah Major Laforgne, der auf der Brücke zwischen den Radkasten mühsam sich festhielt und einen der Schiffsleute seines Bootes an das Steuerruder gestellt hatte, die Gestalt eines jungen Matrosen oder Kadetten, das Tau noch in der Hand fast neben sich auf dem linken Radkasten stehen, dann schwenkte die Gestalt ihre Hand: »Es lebe der Kaiser!« und sie verschwand mit kühnem Sprung in den Wellen.

Ein entferntes »Hurra!«, offenbar von den Kameraden des mutigen Burschen, die den Dampfer verfolgten, ließ den Major verwundert und suchend den Blick umherwerfen, als der schwere Schlag eines im Sturme flatternden Segels seine Aufmerksamkeit nach oben lenkte und ihm das Rätsel der kecken That löste. Von der großen Stange, etwa manneshoch über dem Mastkorb, flog in schweren Falten die Flagge Österreichs mit dem weißen Querstreifen durch die Nacht.

Er wollte eben Befehl geben, ein Mann solle trotz der Gefahr des Sturms hinaufsteigen und sie herunterreißen, da sie an der Stange selbst befestigt war, als ihm unwillkürlich die eigene kühne That seiner Knabenjahre einfiel, wie er, der arme Schiffsjunge, die Flagge der Itaparika aus den Wellen des La-Plata holte und sie seinem Beschützer, seinem jetzigen Freund und General, zu Füßen legte, Villafranca, V. Abteilung: Auf dem La-Plata. und er beschloß, sie dort oben zu lassen, bis er das vierfache weiße Kreuz im blauen Felde, die Flagge seines neuen Vaterlandes, als Zeichen des Sieges darüber aufziehen könne.

Das Schiff war jetzt aus dem Bereich des Kaps und des Feuers der österreichischen Boote gelangt, die ihre Verfolgung einstellten, aber es war der ganzen Wucht der Wellen und des Windes preisgegeben. Major Laforgue war an das Bugspriet geeilt, um die Leute in den Booten zu ermuntern, die trotz der rasendsten Anstrengungen es nicht vorwärts bringen konnten, als ein eigentümliches Schlingern ihn fast zu Boden warf, und der Mann am Steuer seinen Posten verließ und nach dem Verdeck stürzte.

»Heilige Jungfrau beschütze uns! Retten Sie sich, Kapitän – das Schiff sinkt!«

Ein Blick belehrte ihn von der Wahrheit des Rufs. Das Schiff schlingerte hin und her und hob sein Hinterdeck über die Wellen, daß das Bugspriet tief versank. Er begriff, daß ihm nur wenige Augenblicke blieben. Mit einer Stimme, die selbst das Heulen des Sturmes und das Toben des Gefechts übertönte, befahl er: »Hinunter in die Boote, wer sein Leben liebt!« und schwang sich selbst über das Bollwerk und an dem Ankertau in das schäumende Wasser. Der Steuermann folgte ihm mit noch fünf anderen, vier der Freischärler aber, die entweder den Befehl nicht gehört hatten oder trotz des Verbots sich unter Deck befanden, konnten nicht folgen. Laforgue hatte kaum das nächste Boot erreicht, und befohlen, die Taue loszulassen, als der Dampfer sich mit seinem Hinterdeck tief in die Wellen senkte und das Bugspriet wie ein sich bäumendes Ungeheuer bis zum Kiel hoch aus dem Wasser trat. Dann tauchte das Schiff wieder zurück, schwankte nach beiden Seiten wie ein Taumelnder und versank unter den Wogen, während der Wind bis zum letzten Augenblick die edle deutsche Flagge über die dunkle Fläche des Wassers fliegen ließ.

Die Ruderer der Boote, die Gefahr erkennend, hatten hastig zur Seite gehalten und nur mit Mühe konnte der Major, als der entstandene heftige Strudel, der förmlich die Wellen umher zu ebnen schien, sich etwas beruhigt hatte, sie bewegen, noch einmal über die Stelle zu fahren, wo der Dampfer versunken, oder vielmehr versenkt war. Denn es erwies sich später, daß das Schiff bei dem Gefecht mit der feindlichen Batterie vor Salo so schwere Lecke erhalten hatte, daß es kaum noch über den See bis zum Kap Vigilio zu bringen gewesen war, und daß sein Kapitän beschlossen hatte, nachdem es so viel als möglich noch während des Tages geräumt worden war, es in der Bucht zu versenken. Dabei war er von dem Angriff der Boote überrascht worden und, diese noch zeitig genug bemerkend, hatte er vorgezogen, die noch nicht am Land befindliche Mannschaft zu salvieren, statt sich auf einen unnützen und in jedem Fall verderblichen Kampf am Bord des Schiffes einzulassen, dessen Sinken nach Aufhören der Arbeit der Pumpen erfolgen mußte. Da die nach dem linken Ufer eilenden Fahrzeuge der Freischärler ihm zunächst den Weg dahin versperrten, hatte sich das Boot, das den Rest der Mannschaft des »Taxis« trug, nach rechts in die Bucht gewandt und von dort mit ihrem Feuer die Angreifer belästigt, den Augenblick des Sinkens abwartend.

Das Suchen der Boote Laforgues war vergeblich, die mit den beiden Verwundeten auf dem Dampfschiff Zurückgebliebenen waren verloren; in den Booten selbst war ein Mann erschossen und einer der Ruderer verletzt.

Der größere Teil der Boote, also vier, war dem gefolgt, in dem die Alpenjäger ihren Anführer glaubten, der den Grafen Batthyányi hier an seine Stelle gesetzt hatte. Die Abfahrt war zu rasch geschehen, als daß der Graf den Auftrag hatte ablehnen können, und sein Mannesstolz erlaubte ihm natürlich jetzt im Augenblick der Gefahr nicht zurückzutreten. So erteilte er den Ruderern den Befehl, so rasch wie möglich gegen den Strand zu rudern, wo das Feuer brannte und eine Menge Gestalten sich bewegten.

Man hatte während des Nachmittags hierher in die Nähe der wenigen Fischerhäuschen, welche hier liegen und von dem Kap den Namen haben, die Armierung des Dampfers geschafft und sie aufgehäuft. Marinesoldaten und Matrosen arbeiteten mit Hilfe der Grenzer, sie in Sicherheit zu bringen, denn die italienische Bevölkerung des Dorfes zeigte wenig Lust, mit Hand anzulegen. In San Vigilio stand allerdings eine halbe Kompagnie der Grenzer, aber da von ihr die Küste bis Montagna und Castelleto fünfundzwanzig Mann mit einem Offizier in dem Dorf, so daß die Zahl der Verteidiger des Landungsplatzes mit der anwesenden Mannschaft des Dampfers wenig über fünfzig betrug.

Man war eben fertig geworden mit der dringendsten Sicherung der Armierung, und der größere Teil der Mannschaften des Dampfers und des Grenzer-Kommandos hatte bei dem Unwetter bereits das Ufer verlassen und sich in die Gebäude zurückgezogen, während der Rest die Kameraden erwarten oder der Versenkung des Schiffes beiwohnen wollte, als der erste Schuß von den Booten fiel und gleich darauf ihre Trennung erfolgte. Zum Glück war der erste Leutnant des Dampfers anwesend, und da die eine der Kanonaden noch nahe am Ufer stand und Munition zur Hand war, stieß er selbst eine Kartätschbüchse ein und richtete das Geschütz.

Die fünf Boote der Alpenjäger rannten in zwei Linien gegen den Strand unter dem Ruf: Eviva Italia! Eviva Garibaldi! Und waren etwa noch zehn Faden entfernt, als das Geschütz sich entlud. Da aber in der Eile der Schuß zu nah auf das Wasser aufgesetzt war, ricochettierten die meisten Kugeln über die Boote weg und nur in dem vorderen wurden drei oder vier Mann verwundet.

» Avanti!« befahl der Graf, »hinan, ehe sie ein zweites Mal schießen können!«

Die Ruder strichen aus, die Boote flogen durch die Brandung, während von beiden Seiten ein flüchtiges Gewehrfeuer unterhalten wurde, und ehe in der That die Kanonade noch einmal geladen werden konnte, stießen die Kähne der Freischärler an das Ufer oder die dort befestigten Boote des Dampfers und die Nachen der Fischer.

Durch das Schießen und das Lärmen stürzten die Bewohner und die bei ihnen Einquartierten aufs neue aus den Häusern. Überrascht, die Zahl der Feinde nicht kennend, die ohnehin die Übermacht bildeten, wurden die Marinen und die Grenzer trotz ihres mutigen Widerstandes zurückgedrängt und auseinandergesprengt. Graf Stefan, den Säbel in der Scheide, kommandierte ruhig in dem Gedränge. Es war, als ob er den Tod herausforderte, aber keine der Kugeln verletzte ihn, obgleich die eine seinen Rock zerriß und der Bajonettstoß eines Marinesoldaten nur durch den raschen Gegenstoß des Obersten Montboisier, der mit dem Mohrendoktor nicht von seiner Seite wich, von seiner Brust abgewandt wurde.

Unter den Freischärlern zeichnete sich ein großer ungeschlachter Kerl aus, der nur mit einem keulenartigen großen Ast und einem Messer bewaffnet war und mit diesem Pfahl, den er so leicht wie einen Rohrstock handhabte, die Gewehre der Grenzer – denn er hielt sich wie absichtlich nur an diese – unter wilden slavonischen und ungarischen Flüchen nieder- und sie selbst zu Boden schlug. Er trug einen grauen österreichischen Offiziermantel um den Hals geknotet und sein Anblick und sein Wesen hatten etwas so Furchtbares, daß alle ihm möglichst auswichen.

Während so das Gefecht Mann gegen Mann tobte, schlug regelmäßig von fünf zu fünf Minuten eine Kugel aus dem Dunkel von der Fläche des Wassers her in die Reihe der tapferen Verteidiger des Ufers und tötete oder verwundete einen Mann.

Es war das Boot des englischen Kapitäns, von dem die Schüsse herkamen und dieser der Schütze. Er hielt sich sorgfältig in kurzer Entfernung vom Ufer, und während der bucklige Spion seinem Freunde, die Brandung durchwatend gefolgt war, und jetzt hinter einem der Kähne sich in Todesangst sorgfältig gedeckt hielt, mußten die beiden Schiffer und der lange englische Diener des kleinen Menschenjägers das Boot mittels einer langen Stange vom Ufer abhalten.

» By Jove!« murrte der Kapitän, »Sie halten den Kahn nicht fest, ich habe gefehlt schon zweimal, und das ist fatal! Jetzt – bleiben Sie möglichst ruhig – ich habe den Mann gerade unterm dritten Knopf!«

Aber ehe der Engländer seine menschenfreundliche Absicht ausführen konnte, erhielt er einen solchen Schlag gegen das Gesicht, daß ihm drei Zähne ausgebrochen wurden und er bewußtlos über den Bord seines Bootes fiel. Der lange Bediente ließ das Gewehr, das er lud, fahren und zog seinen blutenden Herrn wieder in den Kahn, ihn so vor dem Ertrinken rettend. » Goddam,« murmelte er, »ich habe es immer gedacht, es ist eine uncomfortable Beschäftigung für einen Gentleman und ich will den Dienst aufgeben. Shocking!«

In dem Augenblick, wo der würdige Jäger auf seine Mitmenschen nämlich das Léfaucheux-Gewehr geladen und aufgehoben hatte, um einen neuen Schuß abzufeuern, hatte von dem Ufer her eine wohlgezielte Kugel den Lauf getroffen, das Mordinstrument zersplittert und den Kolben ihm gegen die Kinnbacken geschleudert. Der Schuß kam von den Stufen des Felsens, die hinauf zu dem Kastell der Villa führten, und Otto von Röbel, der von dort das heimtückische Manöver beobachtet hatte, war der Schütze.

»Hierher, Landsleute! Hier! Ziehen Sie sich hierher zurück!« klang zugleich der Ruf des Sekretärs.

Die beiden jungen Marine-Offiziere, die beim Beginn des Gefechts so eilig den Salon der Fürstin verlassen hatten und, von Meißner an die Treppe geleitet, ihren Kameraden zu Hilfe geeilt waren, fochten am Fuß derselben mit etwa fünf oder sechs Matrosen und Marinesoldaten gegen eine überlegene Anzahl der Garibaldiens. Ihnen galt der Zuruf des Sekretärs, und, gedrängt von der Übermacht, zogen sie sich in der That nach dieser Seite zurück, die ihnen den einzigen Ausweg bot, während die beiden Freunde von der Mitte des Aufgangs her und oben der Jäger und der deutsche Diener Meißners, ein ehemaliger Soldat sie mit ihren Schüssen deckten und die Freischärler verhinderten, ihnen zu folgen.

Während des kurzen Gefechts war es dem jungen Röbel ein paarmal gewesen, als sähe er draußen im Gedränge des Handgemenges bekannte Gestalten, aber die Beleuchtung des von den Streitenden zertretenen und auseinandergeworfenen Feuers und der aufblitzenden Schüsse war so unsicher und schwach, daß die Spuren rasch wieder verloschen und er sich geirrt zu haben glaubte. Jedenfalls hatte er keine Zeit und Gelegenheit, jetzt darüber nachzudenken; denn mit Verlust eines Mannes, der von den Stufen heruntergeschossen, und eines andern, der leicht verwundet wurde, gelang es den Offizieren mit ihrer kleinen Abteilung die Terrasse zu erreichen und sich in das Kastell zurückzuziehen, dessen schwere Thür sofort geschlossen und wohl verwahrt wurde.

Das Gefecht unten am Strand hatte unterdes ein rasches Ende genommen, als Major Laforgne mit seiner Abteilung nach dem Versinken des Dampfers den Seinen zu Hilfe eilte. Die Übermacht war jetzt so groß, und der Angriff wurde so gut und ruhig geleitet, daß die Marinen und die Grenzer sich zurückziehen mußten und endlich sich in der Dunkelheit zerstreuten.

Ehe dies geschah, ereignete sich aber eine ebenso seltsam, als schreckliche Scene.

Der Hauptmann der Grenzer war erst in dem letzten Teil des Gefechts zu den Seinen gekommen und hatte daran teilgenommen. Er war ein alter wilder Soldat, und es fehlte ihm nicht an Mut in einem gewöhnlichen Kampf. Er hatte bisher an einer andern Stelle gefochten, im Drange des Gefechts wenig auf das Geheul geachtet, das der wilde Kämpfer mit dem Baumast ausstieß, und war eben im Begriff, seine Leute noch einmal zu sammeln, als er sich dem schrecklichen Freischärler gegenüberfand.

Die Dunkelheit war zu groß, als daß er das Gesicht desselben zu erkennen vermocht hätte, aber ein ungewohntes Erzittern überlief ihn, als er die Stimme des Mannes jetzt nahe vor seinen Ohren hörte, denn, so roh und abgestumpft auch seine Nerven und Gefühle sein, so wenig Spuren von Gewissen er auch haben mochte, die unerwartete Begegnung mit dem Bruder des armen Slowaken-Mädchens und die Erinnerung an dessen schrecklichen Tod, sowie an den Racheschwur ihres Geliebten war nicht ohne Eindruck geblieben.

Und kaum vermochte er zu zweifeln, daß jetzt, nach langen Jahren, nachdem er damals in dem Wolfslager der Heide von Enyád Zehn Jahre, erster Band. durch einen glücklichen Zufall der schrecklichen Rache des Kanasz entgangen war, das waltende Geschick, die Hand der ewigen Gerechtigkeit ihn aufs neue seinem Todfeind gegenübergeführt habe.

In diesem Augenblick erklang laut der Ruf von rückwärts her: »Kapitän Jurisch, decken Sie die linke Flanke! Zurück! zurück!«

» Jurisch?!« Es war, als ob alle Teufel der Hölle in diesem einen Schrei aufjauchzten. »Wo? wo?«

Der Kanasz, der Henker und Räuber, sprang zurück. Er ließ den Baumast fallen, der seither seine furchtbare Waffe gewesen war und raffte einen der letzten großen Brände aus dem zertretenen Feuer, den er wie rasend durch die Luft schwang. »Der Jurisch! wo? wo?« Die stiebenden Funken zeigten ihm eine fliehende Gestalt im braunen Rock der Grenzer, ein Soldat warf sich ihm mit dem Bajonett entgegen, ein einziger Schlag auf den Kopf des Mannes, und er fiel zu Boden. Über den Körper hinweg sprang die Riesengestalt des Henkers. »Hassah Jurisch! elender Bräutigam, steh! die Wolfsbraut kommt!«

Einen Augenblick ermannte sich der Hauptmann, er drehte sich um, zum erstenmal seit zehn Jahren starrten die beiden Todfeinde einander wieder ins Auge, während der Offizier ein Pistol auf seinen Verfolger abschoß. Der mächtige Körper des Wolfsjägers erbebte, wie von einem Schlage, dann aber stürzte er wieder vorwärts, und der Hauptmann floh in die dunkle Nacht hinein.

»Hussah, Wolfsbraut! Der Szabó kommt, heute ist Hochzeit!«

Die Stimme verlor sich in der Ferne. Jetzt erklang die ruhige feste Kommandostimme des Majors:

» Avanti! Avanti! Graf Stefan, nehmen Sie zwanzig Mann und besetzen Sie rasch die Gebäude dort oben. Kapitän Landucci, sichern Sie die Boote, indes ich den Feind verfolge, und bemächtigen Sie sich des Geschützes! Avanti, avanti, meine Bursche! Es lebe Italien!«

Die Befehle wurden vollzogen, der Major mit dem Rest seiner Schar verfolgte die zersprengten Österreicher, während Abramo, der jetzt wieder zum Vorschein kam, dem Grafen den gewöhnlichen Weg hinauf zur Villa zeigte, als sei er hier wohl bekannt. – – – – – –


Das Wetter hatte sich während des kurzen Gefechts bedeutend geändert, es war, als ob der Föhn von den westlichen Alpen her der kecken Expedition nur die Fahrt über den See habe verleiden wollen, und mit dem schnellen Gange der Gebirgswinde war der Sturmwind bereits über die Bucht von Garda hinweggebraust und tobte in der Richtung der Adria weiter.

In dem Salon der Fürstin Trobetzkoi herrschte die größte Aufregung. Niemand wagte sich zu entfernen, selbst den Knaben konnte man nicht zu Bett bringen; Feodora trug ihn auf dem Arm. Die noch im Hause gebliebenen Diener kamen und gingen unaufhörlich, Nachrichten bringend oder in ihrer eigenen Besorgnis Schutz von der Herrschaft hoffend.

Der Fürst stand an den Tisch gelehnt; verdrießlich und erregt, und horchte auf die Schüsse. »Es ist Wahnsinn, es ist eine schändliche Frechheit,« murrte er, »meinen Befehlen zu trotzen. Was soll die Gegenwehr der Handvoll Leute, sie wird uns nur Verlegenheiten bereiten! Der Teufel hole diesen Kerl, der hier im Hause den Herrn spielt, er wird wohl wissen, warum! Hören Sie, Baron, mir ist, als fielen die Schüsse seltener, der Sieg ist wahrscheinlich entschieden, und ich will einmal hinunterschicken – – –«

Er wurde durch einen heftigen Lärm unterbrochen, der von unten aus dem Hausflur die Treppe herauf drang. Im nächsten Augenblick wurde die Thür aufgerissen und Hauptmann Jurisch stürzte in den Salon.

Der Offizier der Grenzer bot einen entsetzlichen Anblick. Er hatte keine Waffen mehr, als die abgeschossene Pistole in seiner Hand. Das struppige graue Haar starrte unbedeckt um ein totenbleiches, wild verzerrtes Gesicht, auf dem die roten Flecken der einst vom Wolfe gerissenen Narben sich wie feurige Male hervorhoben. Die Uniform war geöffnet, zerrissen, an vielen Stellen von Funken verbrannt, aus dem Munde floß Schaum, die kräftige Brust keuchte wie die eines Verendenden.

So stürzte er, während die Anwesenden erschrocken aufsprangen, bis in die Mitte des Salons und sank dort atemlos zu Boden.

»Kapitän Jurisch!« rief der Fürst.

»Um Himmelswillen! Nicht den Namen! Bei Gottes Barmherzigkeit, verbergen Sie mich! Halten Sie ihn auf, den Furchtbaren, den Schreckl…«

»Hussah Wolfsbraut! Die Hanka wird diese Nacht nicht allein schlafen! Hussah, der Szabó kommt!« brüllte es die Treppe herauf zwischen dem Gekreisch der Diener.

Der Unglückliche versuchte sich emporzuraffen, die Glieder versagten ihm das erste Mal den Dienst, dann taumelte er auf, öffnete die Balkonthür und verschwand durch diese. Gleich darauf hörte man einen Fall, einen Schrei – –

»Die Wolfsbraut kommt! Hussah, blanker Jurisch, halt an! Tot nem ember! Der Slowak ist kein Mensch! Der Slowak ist der Wolf!«

Wie ein Sturmwind, wie ein vernichtender Orkan brauste es herein in den Saal, die Funken stoben umher, der weiße Offizierrock flog um die Schultern, das blutunterlaufene Auge blitzte grimmig, suchend umher.

»Jurisch! Jurisch! blanker Bräutigam!« Sein Blick fiel auf die geöffnete Balkonthür, die Hand schwang den Brand um den Kopf, daß die Funken auf Möbel und Kleider fielen.

Mit einem Satz war der Schreckliche an der verhängnisvollen Tür, mit einem zweiten an der Brüstung, ein zweiter schwerer Fall – ein gräßlicher Fluch – –

Die Fürstin war halb ohnmächtig in ihren Fauteuil zurückgesunken, der Baron sprang zu ihr, Beistand zu leisten, da Tunsa gleich einer Statue regungslos dastand, den weinenden Knaben auf dem Arm und dem Gräßlichen nachstarrte.

Fürst Trubetzkoi hatte einen Augenblick den kurzen Revolver, den er aus der Tasche gezogen, erhoben, um auf die schreckliche Erscheinung zu schießen; aber diese ging mit Blitzesschnelle vorüber, und er ließ die Hand wieder sinken.

» Tschort mienia wazmi! Was kümmert's im Grunde mich? Ich fürchte, Kapitän Jurisch wird eine schlimme Viertelstunde haben!«

Er wandte sich gleichgültig nach der Eingangsthür, aber er fuhr zusammen und legte die Linke wie nachsinnend an die Stirn, und der Ruf nach dem Kosaken Petrowitsch blieb auf seinen Lippen stocken.

Draußen auf dem Flur erklang eine ernste Stimme. »Wer ist der Herr dieser Villa? Wo ist er?«

Gewehre rasselten auf den Marmorfliesen. Die Fürstin war zusammengezuckt bei dem festen Ton dieser Stimme.

Ein Hauch quoll über ihre Lippen, ein Hauch, der aus dem Herzen kam: » Stephan

Er war es!

Nur die Zigeunerin hatte den Namen gehört und hob ihre blitzenden Augen. In die Thür des Salons trat eine hohe schlanke Gestalt, den Säbel, die einzige Waffe, in der Scheide im Arm. Hinter ihm kamen der Oberst Montboisier und der Mohrendoktor. Freischärler in ihren Blusen, das Gesicht vom Pulverdampf geschwärzt, folgten.

»Wo ist der Herr dieser Villa?« wiederholte der Ungar seine Frage. Aber plötzlich fuhr er zurück; sein Blick war auf den Russen gefallen, der ihn mit weitgeöffneten Augen anstarrte. »Fürst Trubetzkoi!«

»Ja, der Fürst Trubetzkoi ist's, Verfluchter! Will sich denn das Grab niemals über Dir schließen?«

Aber der Graf hörte ihn nicht, seine Blicke flogen suchend umher, sie trafen die Fürstin, die bleich, zitternd, wie von dieser Stimme geweckt, sich aus ihrer Ohnmacht erhoben hatte.

» Cäcilie

Er that rasch, alles andere um sich her vergessend, zwei Schritte auf sie zu.

Aber der Fürst warf sich vor seine Gemahlin. Diesmal senkte sich der erhobene Arm nicht, – diesmal knallte der Schuß.

» Tschort w twoju duschu!«

Ein Schrei des Entsetzens, die Sinne der Fürstin wurden nochmals von wohlthätiger Ohnmacht umschleiert. Der Fürst ließ erstarrt den Revolver fallen, als er das Schreckliche sah, das er angerichtet.

In dem Augenblick, da er die Hand hob und gegen die Brust des verhaßten Feindes abdrückte, war Tunsa, die Zigeunerin, vor denselben gesprungen. »Töte ihn nicht, Gospodar, die Mumeli-Swa hat mir's verkündet, daß die Kugel sich auf Dich selbst zurücklenkt! Mörder! Mörder!«

In das Gekreisch des Mädchens mischte sich der Schreckensruf der Männer. Die Kugel hatte sich auf den Schützen zurückgewandt: das Haupt des Knaben sank zurück, aus dem Rücken unterhalb der Schulter spritzte ein Blutquell.

»Mörder!« wiederholte der Ungar, »schändlicher Mörder! Korporal Morelli, bemächtigen Sie sich dieses Mannes, Sie stehen mir mit Ihrem Leben für ihn ein!« Er war zu der bleichen bewußtlosen Gestalt der Fürstin getreten und stand mit gefalteten Händen vor ihr. »O Gott!« sagte er leise, »so müssen wir uns wiedersehen, nach all den Jahren des Leidens!« Er kniete an ihrer Seite nieder und küßte ehrerbietig ihre herabhängende Hand.

»Schamloser Bube!« knirschte der Fürst, »es war eine mit dieser Buhlerin abgekartete Sache und ich der Narr, der in die Falle ging!« Er rang vergebens in den Armen zweier kräftiger Freischärler, die sich der seinen bemächtigt hatten.

Der Graf sah ihn mit einem Blick tiefer Verachtung an.

»Hüten Sie sich, Fürst Trubetzkoi,« sagte er fest, »denn die Stunde der Abrechnung von Temesvár und Kiel ist gekommen. Nicht der Graf Batthyányi, sondern Sefer-Bey, der Krieger des Elbrus steht vor Ihnen, und Ihre Rechnung ist schwer. Ich weiß nicht, mit welchem neuen Verbrechen Sie diese jetzt belastet haben, aber was ich hier sehe …«

»Ein Bankert! Fluch über die Metze, das Blut der Trubetzkoi fließt nicht in seinen gemeinen Adern!«

Die Wut ließ ihn selbst die Liebe zu dem Kinde und das eifrige Verlangen vergessen, seinen Namen fortdauern zu sehen, das ihn zu dieser merkwürdigen Anhänglichkeit und Einbildung gebracht hatte, mit der er sich glauben machte, es sei wirklich sein Kind.

Die Stirn des ungarischen Grafen zog sich finster zusammen. »Korporal Morelli, schaffen Sie den Mann in ein anderes Zimmer und bewachen Sie ihn wohl! Signorita –« wandte er sich zu dem jammernden Mädchen, das den Knaben auf den Diwan gelegt hatte und schreiend vor ihm kniete, »hier ist keine Zeit zu Klagen und Thränen, rufen Sie die Frauen der Dame, und lassen Sie sie fortbringen. Doktor Achmet, ich bitte Sie, sehen Sie nach ihr und dem Kinde!«

Der Baron hob den Kopf, als er den Namen des Arztes hörte. Dieser hatte die Aufforderung nicht erst abgewartet, um seine Hilfe zu bringen, die bei dem Knaben am nötigsten war. Er schüttelte bedenklich den Kopf, als er jetzt die Wunde untersuchte und befahl, nachdem er sie verbunden, das Kind zu Bett zu bringen und sorgfältig in der angegebenen Lage zu halten. Die Frauen der Fürstin waren jammernd hereingekommen und hatten sie weggetragen.

Dies hatte einige Zeit fortgenommen, und jetzt erst achtete der Graf auf den Umstand, daß im Garten der Villa ein Gefecht fortzudauern schien, denn man hatte zwei Schüsse hintereinander von daher vernommen, und als der Graf sich jetzt nach dem Balkon wandte, sah man aus dem Garten eine Feuersäule emporsteigen.

Eine dunkle Röte des Zornes überflog die Stirn des Ungarn. »Was geht dort vor?« donnerte er – »wer wagt es, Privateigentum anzutasten und den Mordbrenner zu spielen? Sehen Sie sofort zu, Sergeant Alosta, und bringen Sie mir Rapport, während ich die Villa besetzen lasse.« –

Ein Schrei, obschon entfernt, so furchtbar, so gellend, daß er die Nerven der blutgewohnten Männer erbeben machte, klang vom Garten herauf, und ein Geheul folgte bald darauf wie das eines wilden Tieres in Todesnöte, während sich ein kurzes gellendes Hohnlachen hineinmischte.

»Stimm das Hochzeitslied an, Hauptmann Jurisch! Wo ist der Zigeuner mit seiner Geige? Der Staregessy Der Hochzeitsbitter. kommt! Hussah, der Wolfsjäger ist da!«

Es war ein schreckliches Autodafé, das hier gehalten wurde. Das Geheul, das nichts Menschliches an sich hatte, wurde schwächer und schwächer, ein widriger süßlicher Geruch begann sich zu verbreiten – – – – – – –

Als der Grenzer-Offizier in seiner Todesangst vor seinem Verfolger auf den Balkon geflüchtet war und in den Garten hinuntersprang, hatte er den Fuß gebrochen. Dennoch schleppte er sich im Dunkel weiter, und es gelang ihm, einen kleinen chinesischen Pavillon zu erreichen, der sich zwischen der Villa und dem sogenannten Kastell befand. Er kroch in das Innere und blieb auf dem Boden liegen.

Der schreckliche Wolfsjäger war ihm mit einem Sprung gefolgt und schwang den brennenden Holzscheit um sich, sein Opfer zu entdecken. Aber es war vergeblich, daß er hier- und dorthin stürzte, bis ein leises Stöhnen ihm den Aufenthalt des Unglücklichen verriet. Mit einem Ruf bestialischer Freude stürzte er in den engen Kiosk und warf sich auf sein Opfer, das keinen Widerstand mehr leistete.

Im Nu hatte er den Strick von seiner Hüfte gerissen und den Elenden so zusammengeschnürt, daß er sich nicht zu regen vermochte. So ließ er ihn am Boden liegen und trat auf die Schwelle, wo der Brand eben im Verlöschen war. Ein Schlag schüttelte aufs neue die Funken, dann hielt er bedächtig die auflodernde Flamme an die ausgetrockneten Holzwände und steckte sie an.

Er selbst setzte sich mit verschränkten Armen auf die Schwelle des Kiosk und begann eine Totenklage seiner Heimat zu singen, die nur zuweilen von einem Fluch oder einem Hohnlachen unterbrochen wurde.

Dies war der Augenblick, wo kurz hintereinander vom Kastell her Schüsse fielen. Es waren der Jäger und die Offiziere, die sie thaten, um dem Grenzer zu Hilfe zu kommen. Jedesmal schüttelte sich der Wilde, aber er blieb auf seinem Posten und hütete den Ausgang des Kiosk. Jetzt erscholl auch jener schreckliche Schrei und darauf das Geheul des Gebundenen, dem die Flammen immer näher rückten und den sie mit fallenden Bränden und Funken überschütteten.

Meißner rang die Hände und bedeckte seine Augen vor dem schrecklichen Schauspiel. »Barmherziger Gott, das ist entsetzlich! Laßt uns einen Ausfall machen und versuchen, den Unglücklichen zu retten!«

Otto von Röbel hielt ihn zurück. »Es ist zu spät, die Baracke muß gleich zusammenstürzen, und dort schwärmen bereits die Freischärler. Wir werden selbst Mühe genug haben, uns ihrer zu erwehren!«

In der That füllte sich die Terrasse mit Garibaldiens, die von der Verfolgung der Marinen und der Grenzer kamen und von dem Feuerschein angelockt wurden.

» Maledetto, das riecht ja abscheulich,« sagte der Sergeant. »Wie verbranntes Fleisch! Auf, Kerl, und sprich, was hier vorgeht! Du wirst verbrennen, wenn Du hier nicht fortgehst!«

Er stieß den Kanasz mit dem Fuß an; dieser taumelte empor, seine blutunterlaufenen Augen glühten im Wahnwitz.

»Was wollen Sie von mir? Ich feiere die Hochzeit der Hanka, ich singe dem da drinnen sein Hochzeitslied?«

»Wie Schurke? Dort drinnen ist ein Mensch, der verbrennt? Aus dem Wege, Nichtswürdiger!«

Der Wolfsjäger aber breitete die Arme vor der Pforte aus. »Der Wolf mochte ihn nicht, er war selbst zu schlimm für die Bestie der Pußta! Ich hab' das Hochzeitsmahl erkauft mit meinem Blut, und niemand soll es mir stören!«

Er riß den Offizier-Paletot von seinen Schultern und das schmutzige Hemd auseinander.

Auf seiner Brust waren drei rote Punkte, aus denen in dicken Tropfen Blut quoll.

Drei Kugeln hatten ihn getroffen, die eine des Grenzers, zwei von den Schützen drüben im Kastell.

»Die Hanka wird Blut genug haben, wenn sie kommt! Warum stört Ihr des armen Slowaken Hochzeitsfest?«

Er taumelte schwer zu Boden, in demselben Augenblick stürzten die Trümmer des brennenden Kiosk zusammen. Das Geheul des Verbrennenden hatte schon lange aufgehört. –

Schüsse knallten aus der Ferne, sie kamen näher und näher! Das langgezogene Hornsignal der wackeren österreichischen Jäger klang dazwischen!

In das Nebenzimmer des Salons der Villa, in dem zwei Freischärler den Fürsten bewachten, war der Oberst Montboisier getreten.

Der Fürst saß jetzt teilnahmslos, finster vor sich hinstarrend, in einem Lehnsessel. Der Oberst trat zu ihm.

»Ich bedaure aufrichtig, Durchlaucht,« sagte er tröstend, »daß wir uns hier so begegnen müssen, und auch das Unglück, das geschehen ist. Aber ich komme, um Ihnen zu sagen, daß Doktor Achmet Hoffnung giebt, das Leben des Kindes zu erhalten. Nur wird die größte Ruhe und Sorgfalt nötig sein, und auch die Fürstin, Ihre Gemahlin, bedarf derselben.«

Der Russe schien die Worte kaum zu hören, wenigstens antwortete er nicht darauf. »Verstehen diese Leute Französisch?« fragte er leise.

»Ich glaube nicht, Durchlaucht, doch können wir uns leicht überzeugen. Sie sehen, Kameraden,« fuhr der Oberst, an die beiden Wächter gewendet, fort, »daß dieser Herr sich in sein Schicksal fügt. Es wird also keiner harten Bewachung mehr bedürfen.«

Der Korporal schüttelte den Kopf. »Verzeihen Sie, Signor,« sagte er, »wir sind Italiener und verstehen Ihre Sprache nicht. Da Sie die unsere sehr gut sprechen, bitte ich Sie, in dieser uns zu sagen, was Sie wünschen.«

Der Oberst wiederholte seine Worte, und da die beiden Freischärler gesehen, in welchem vertrauten Verhältnis der französische Offizier zu ihrem eigenen Anführer stand, traten sie zurück und nahmen keine Notiz weiter von dem Gespräch.

»Sie haben gehört, Durchlaucht, sprechen Sie jetzt!«

»Hören Sie mich an,« murmelte der Fürst, »die Augenblicke sind kostbar. O, daß der Tag erst da wäre, der sie alle vernichten soll – sie, ihn, sie alle! Die österreichische Armee wird am 23. eine Vorwärtsbewegung machen über den Mincio und am 24. die verbündete Armee angreifen!«

»Das ist wichtig, wissen Sie das gewiß?«

»Es ist aus derselben Quelle, aus der ich Ihnen bereits vorgestern die Nachrichten durch den buckligen Spion sandte.«

»Er ist wieder hier, er ist mit herübergekommen!«

»Desto besser. Senden Sie dem Kaiser die Nachricht, aber bleiben Sie selbst in der Nähe. Morgen, oder spätestens übermorgen Abend werden wir die genauen Dispositionen des Angriffs erhalten!«

» Valga me Dios! Das wäre famos! Dann wäre der Sieg uns sicher!«

»Ich wünsche ihn!« knirschte der Fürst. »Dann werde ich hier Herr sein! Doch sorgen Sie dafür, daß der Übergang der Österreicher über den Mincio nicht gestört wird.«

»Das wäre ein großer Fehler! Verlassen Sie sich darauf, es wird nicht geschehen. Kann ich Ihnen sonst in Ihrer Lage irgendwie dienen?«

»Nein; doch wenn Sie mir einen Dienst leisten wollen, sorgen Sie, daß dieser Graf Batthyányi nicht wieder in meine Nähe kommt! Verflucht sei die Kugel, die ihn verfehlt!«

»Ich werde das Möglichste thun.«

»Noch eins! Der Turm links auf der Terrasse, über der Einfahrt in die Bucht, muß sofort gestürmt werden. Er sichert Ihnen den Verkehr mit Ihren Booten unten am Ufer und den Erfolg der Expedition. Massakrieren Sie alles, was darin ist, eine Handvoll Rasender hat sich dort hineingeworfen!«

»Auf Wiedersehen, Durchlaucht! Sobald wir hier festen Fuß gefaßt, kehre ich zu Ihnen zurück und werde dafür sorgen, daß Ihre Haft aufgehoben wird. Ich höre Major Laforgne und muß zu ihm.«

Es war in der That Laforgne, der von der Verfolgung der Feinde zurückkehrend in die Villa gekommen war, in deren Erdgeschoß man die Verwundeten gebracht hatte, Freund und Feind, denen der Mohrendoktor jetzt hilfreiche Hand leistete. Graf Stefan erstattete ihm Bericht von dem Vorgefallenen. »Ich kann Ihnen die Verhältnisse nicht erklären, Kamerad,« sagte er düster, »aber ich bitte Sie, die Verantwortlichkeit des Befehls in diesem Hause von mir zu nehmen. Die Last erdrückt mich!«

»Wie Sie wollen, Herr Graf; alles, was ich höre, beweist, daß Sie als tapferer Mann und als Ehrenmann gehandelt haben. Ich bin Ihrer Meinung, daß wir das Privateigentum achten müssen, aber diesmal wird die Notwendigkeit gebieten. Ich höre von den italienischen Bewohnern des Dorfs, daß in Garda, etwa zwei Miglien von hier, ein starkes Detachement Jäger steht, und da mir die Villa am günstigsten scheint, um uns hier festzusetzen, bis Hilfe von Salo kommt, und wir wahrscheinlich noch diese Nacht angreifen werden, müssen wir unsere Vorbereitungen treffen.«

Der Oberst Montboisier, der dem Gespräch beigewohnt, machte den Major sofort mit der Mitteilung bekannt, die ihm der Fürst von dem Kastell gemacht.

»Das ist wichtig,« sagte Laforgne. »Landucci ist stark genug, sich an der Bucht zu halten, er hat den größern Teil der Leute bei sich, aber wir müssen mit ihm in Verbindung bleiben. Dieser Turm oder das Kastell muß unbedingt genommen werden, um uns den Ausweg zu sichern. Leutnant Caffarelli,« befahl er dem Offizier, der ihn bei der Verfolgung begleitet;, »fordern Sie die Leute zur Räumung des Turms auf, und wenn man sich weigert, so nehmen Sie ihn!«

Der Offizier entfernte sich, dies war der Augenblick, in dem man die entferntesten Schüsse hörte und die Hornsignale der österreichischen Jäger.

» Caramba,« sagte der Major, »ich glaube, sie greifen bereits unsere Vorposten an. Jetzt gilt es, sich seiner Haut zu wehren. Graf Batthyányi, lassen Sie die Bewohner des Hauses in die hintern Räume oder in die Keller in Sicherheit bringen.«

Der Major traf jetzt rasch seine Anstalten zur Verteidigung der Villa, indem er Schützen in die Wirtschaftsgebäude legte und den Rest seine Mannschaft so gut wie möglich postierte. Die Zahl derselben war aber in der That nur gering, da die Ausstellung der Posten und der Auftrag des Leutnants Caffarelli sie noch mehr geschmälert hatte. Dieser mußte sich bereits mit den Verteidigern des Kastells im Kampfe befinden, denn man hörte von dort Schüsse knallen.

Auch der Angriff vom Lande her näherte sich immer mehr. Die Posten der Alpenjäger zogen sich eilig vor der Übermacht des andringenden Feindes zurück.

Leutnant von Wurmser war auf dem Pferde, das die Vorsorge Meißners für ihn hatte satteln lassen, rasch genug nach Garda gelangt und hatte das Detachement, das aus achtzehn Mann bestand und von einem Oberleutnant kommandiert wurde, alarmiert. Noch ehe sie ausrückten, stieß der Kommandant des gesunkenen Dampfers, der nach Aufgabe des Gefechts sofort nach dem Innern der Bucht gerudert war, mit seiner Bootsmannschaft zu ihnen und sie nahmen die Grenzer und Marinen auf, die von den Freischärlern vertrieben worden. Ihre Zahl war jetzt mehr als genügend, um diesem Feinde gegenüber den Angriff zu beginnen, und rasch wurde organisiert. Die Posten der Alpenjäger wurden leicht zurückgetrieben, und am Fuß der Anhöhe, die zur Villa emporstieg, trennte sich die Kolonne der Angreifenden, indem der eine Teil sich nach den Fischerhütten und dem Eingang der Bucht, der andere nach der Villa wandte.

Während unten am Strand Kapitän Landucci sich mit Glück wehrte und die Österreicher nur langsam vorwärts dringen konnten, versuchte Laforgne vergeblich einen gleichen Widerstand auf der Höhe. Die kleinen, beweglichen Jäger, eine vortreffliche Truppe der österreichischen Armee, drangen unaufhaltsam vor und warfen die Freischärler aus den Wirtschaftsgebäuden. Bald blieb ihnen die Villa selbst noch als Halt, aber Major Laforgne sah ein, daß er auch hier nicht mehr lange werde Widerstand leisten können. Er sandte Boten auf Boten an Caffarelli mit der Anweisung, sich um jeden Preis des Turms zu bemächtigen.

Dies war indes ein schwieriges Unternehmen, denn ehe Äxte und Balken oder Steine herbeigeschafft waren, um die starke Eingangsthür zu zertrümmern, waren zwei von den Alpenjägern durch die Schüsse der Verteidiger getötet und drei verwundet. Endlich gelang es ihnen, an die Thür selbst zu kommen, und hier waren sie durch die Dicke der Mauern vor den Kugeln der Besatzung selbst aus den oberen Stockwerken gesichert. Die Schläge der Äxte krachten gegen die Thür, und die kühnen Verteidiger des Kastells, einsehend, daß sie das Erdgeschoß nicht länger zu halten vermochten, zogen sich in das obere Stockwerk zurück und schickten sich an, mit ihrem Leben den Zugang dahin zu verteidigen.

Selbst Matthias, der Slowak, der vorhin der schrecklichen Scene mit Szabó, dem ehemaligen Kanasz, mit verhülltem Gesicht beigewohnt und jede Kugel, die nach ihm geschossen wurde, gleichsam selbst empfunden hatte, ergriff jetzt ein Pistol und stellte sich zur Verteidigung.

Die Nacht war darüber vorgeschritten, und bereits zeigte sich der Schimmer des beginnenden Tages.

Montboisier war noch einmal zum Fürsten hinaufgestiegen, von dem man die beiden Wächter längst zurückgezogen hatte, weil man sie nötiger zur Verteidigung brauchte. Er traf ihn noch in demselben Gemach, aufmerksam auf das Schießen lauschend.

»Durchlaucht,« sagte er, »wir sind angegriffen worden und müssen uns zurückziehen, wenn dies überhaupt möglich sein wird. Wenn ich fallen oder gefangen werden sollte, so senden Sie die Botschaft auf einem andern Wege, bei dem Geist der Bevölkerung werden Sie leicht einen solchen finden.«

»Gott sei Dank, er kann fallen!«

»Wer?«

»Der Verfluchte, der Verhaßte, für den ich mein Kind getötet habe!«

Der Franzose zuckte die Achseln. »Ich habe keine Zeit, Ihnen weiter Rede zu stehen. Entkommen wir glücklich, so findet Ihr Bote mich in Salo!«

Er ging, ohne sich weiter um den Fürsten zu kümmern, der seine Entfernung kaum bemerkte und mit geballten Händen, mit flammendem Auge auf jeden Schuß lauschte.

In dem Speisesaal der Villa, der im Parterre unter dem Salon des ersten Stockes lag, fand er den Major, der eben die Nachricht von seinem Leutnant erhalten hatte, daß es ihm gelungen sei, die Thür des Kastells zu sprengen, und daß Kapitän Landucci sich unten noch wacker an den Booten halte. Der Franzose flüsterte ihm einige Worte zu. die Andeutung der wichtigen Nachricht, die er vorhin von dem Fürsten erhalten.

»Das entscheidet und kürzt jeden Entschluß ab. Wir haben genug gethan für die Ehre und müssen uns jetzt zu retten suchen.«

»Doktor Achmet, Sie müssen Ihre Patienten zurücklassen, wenn Sie nicht gefangen werden wollen!«

Der Doktor, mit den Verwundeten beschäftigt, die zu ihm hereingebracht worden waren, wollte antworten, als eine Hand sich auf seine Schulter legte. Es war der Herr, den er vorhin flüchtig im Salon der Fürstin bemerkt und der bisher bei dem Verbinden Beistand geleistet hatte.

»Bleiben Sie,« flüsterte dieser in spanischer Sprache, welche die meisten der Anwesenden nicht verstanden. »Ich bin der Baron Neuillat, den Sie suchen, und bürge für alles!«

Der Major hatte sich übrigens bereits wieder abgewendet, die Augenblicke drängten.

»Nun gilt es noch eins, Signori, wer übernimmt es, den Rückzug zu decken?«

Es war natürlich der gefährlichste Posten, den Major und Montboisier riefen höhere Pflichten.

»Ich!« sagte ruhig der Ungar.

»Sie, Graf Stefan?«

»Ich werde der Letzte sein, der das Haus verläßt! Kümmern Sie sich nicht um mein Schicksal. Kapitän Landucci schlägt sich am Strand, ich habe ihm zu beweisen, daß ich die Gefahr nicht scheue, auch ohne die Klinge in der Hand. Geben Sie Ihre Befehle, Major, und beeilen Sie sich!«

Es war in der That keine Zeit zu verlieren, Laforgne bestimmte sechs der kaltblütigsten und besten Schützen, die unter dem Befehl des Grafen den Rückzug decken sollten; dann wurden rasch die andern Leute von den Fenstern und dem Gitter, das die Flanken der Villa bildete, nach der Terrasse zurückgezogen.

Etwa fünf Minuten noch hielt der Graf das Gefecht an der Front der Villa, denn schon drangen in dichtem Tirailleurschwarm die österreichischen Jäger über den Platz; dann gab er gleichfalls das Zeichen zum Weichen.

Die kleine Schar, von der erst ein Mann gefallen war, hatte kaum das Parterre verlassen, als die Jäger in das Haus drangen; Leutnant von Wurmser war einer der ersten.

Er traf auf den Baron. »Ich nehme Ihren Schutz in Anspruch, Herr,« sagte dieser, »für die Verwundeten und den wackern Arzt, der ihretwegen zurückgeblieben ist. Lassen Sie dem fliehenden Feind einen Ausweg, es ist des Unheils schon genug geschehen in dieser Nacht.« Der Offizier stellte sogleich eine Wache in das Gemach, wenn auch seine Pflicht ihm nicht erlaubte, dem zweiten Wunsche nachzukommen. Überdies war ein anderer zur Stelle, der mit aller Wut des Hasses zum Gegenteil mahnte.

Es war der Fürst. Das Morgenlicht hatte ihm den Todfeind unter den letzten der flüchtigen Freischärler gezeigt, die langsam Schritt um Schritt sich über die Terrasse nach dem Kastell zurückzogen, während der größte Teil ihrer Kameraden bereits durch die Pforte nach dem See zum Strande hinunterklommen. All seine Gedanken konzentrierten sich jetzt nur auf diesen.

»Auf sie! Auf sie, Leutnant!« kreischte der Fürst mit wütender Gebärde, »hier über den Balkon ihnen nach, oder sie entkommen Ihnen. Tausend Gulden dem Mann, der den Schurken dort niederschießt, den Offizier mit dem Säbel im Arm! Was thun die Feiglinge dort oben, daß sie keine Hand rühren?«

Der letzte Aufruf, mit einem gräßlichen russischen Fluch vermischt, galt der kleinen Besatzung des Kastells, die in der That ihr Feuer eingestellt hatte.

Als Leutnant Caffarelli in das Erdgeschoß des Turms oder des Kastells eindrang, waren allerdings rasch einige Schüsse mit den Verteidigern des obern Stockwerks gewechselt worden. Aber sie thaten beiderseitig nicht viel Schaden, da das Dämmerlicht für das Zielen ungünstig war, die Eile, so wie Stellung der beiden Parteien es ohnehin nicht erlaubten und somit die Schüsse nur aufs Geratewohl gethan werden konnten. Einer der beiden Marineleutnants war dabei leicht verwundet worden.

Jetzt kamen die Freischärler von der Villa her in vollen Haufen. Der Jäger hob eben die Büchse, um aus dem Fenster auf sie zu schießen, ehe sie den Eingang erreicht, aber Otto von Röbel hinderte ihn daran, da es ihn anwiderte, auf die Fliehenden aus dem Hinterhalt zu feuern, und im nächsten Augenblick erkannte er die Stimme, die mit ruhigem Ton Befehle erteilte und als er sich umwandte, in dem kommandierenden Offizier, den Freund.

»Ruhig, Leute, ruhig! Zieht Euch langsam zurück, Front gegen den Feind! Wir dürfen die Braven, die unsern Rückzug decken, nicht im Stich lassen. Kümmert Euch um den Turm nicht, wenn sie uns nicht selbst angreifen! Caramba! Lauft nicht wie eine Herde Schafe, wenn der Wolf kommt! Wer kein Blut sehen kann, der muß nicht Soldat werden! So, nun ruhig durch den Turm und den Felsen hinab, spart das Feuer, spart das Feuer für unten! Carari, wir werden noch gepfeffert werden in dieser Rattenfalle und kehren wie die begossenen Hunde zurück ohne Schiff und Gewinn! Halten Sie die Leute in Ordnung bei dem Hinuntersteigen, Oberst Montboisier, indes ich dem Grafen das Zeichen gebe!«

Der Preuße war während der ruhigem wie auf der Parade in kurzen Pausen gegebenen Befehle nach der Treppe gesprungen, wo Meißner seinen Posten hatte. »Um Himmelswillen, Rudolf! Kein unnützes Feuern! Weißt Du, wer der Offizier ist, der sie kommandiert?«

»Sprich!«

» Laforgne – mein Freund! dem Du am Zirkus in den Elysäischen Feldern mit mir aus den Händen der Polizei halfst!«

»Mein Gott! Welches Zusammentreffen!«

Otto von Röbel hatte bereits des Sekretärs Platz eingenommen, als eben Laforgne in die Pforte des Kastells trat, während Batthyányi und seine Leute sich bereits im Garten mit den österreichischen Jägern schlugen.

»François! François Laforgne!«

» Caramba! Welche Stimme?«

»Es ist die meine!« Den Kampf umher vergessend, die Büchse in der Hand, sprang Otto mit zwei Sätzen die Treppe hinunter und warf sich an die Brust des Freundes.

»Othon, wo kommst Du her?«

»Wir stehen bei der österreichischen Armee, ich und Friedrich! Leider wieder Dir gegenüber!«

»Du weißt doch, was geschehen?«

»Was? Doch wir haben keine Zeit zum Erzählen. Fort! fort mit Dir, oder Du wirst der Gefangene der Österreicher!« Er drängte den Freund nach dem Ausgang.

»Die Marchesa, Rositta …«

»Himmel! Was ist mit ihr?«

Meißner war dem Freunde gefolgt. Er schob mit Gewalt den Major nach der Pforte.

»Carmen ist frei, gerettet! Ich lasse Dir Doktor Achmet, er weiß alles! Gott schütze Dich! Avanti cacciatori!« Vorwärts, Jäger!

Die letzten Worte klangen schon von den Stufen zum Ufer her, drei der Alpenjäger, die übrig geblieben von dem kleinen Arrieretrupp des Grafen, stürzten ihm nach durch das Souterrain, mit Gewalt sich Bahn brechend, hinter ihnen durch die Thür nach dem Garten klang bereits das jubelnde »Hurra!« der österreichischen Jäger, das Kommando des Offiziers, dazwischen eine grelle kreischende Stimme: »Haltet ihn auf, brave Jäger! Tausend Gulden, wer den Verräter niederschießt!«

Eine hohe Gestalt schwankte in die Thür des Souterrains, der letzte auf seinem Ehrenposten, Stefan Batthyányi, den Säbel in der Scheide im linken Arm, den rechten blutend herabhängend, das stolze, blasse Gesicht noch immer dem Feinde zugekehrt!

Die fliehenden Alpenjäger kümmerten sich nicht um ihren Offizier; Laforgne, der gewiß nicht gewichen wäre, ehe er auch ihn in Sicherheit gewußt, war durch die Freunde fast mit Gewalt hinausgedrängt worden. Graf Stefan war allein in der Gewalt seiner Feinde, die jetzt von dem Garten her herbeieilten, und die im Innern des Kastells den Durchgang sperrten.

Die Jäger waren bis auf einige Schritte heran, als der Fürst, der hinter ihnen dreinkam, seinen Ruf wiederholte. In diesem Augenblick glitt der Slowak die Treppe herab und faßte den Arm des Sekretärs. »Retten Sie ihn,« flüsterte er, »Sie retten das Leben der Fürstin!« Er hatte die Worte kaum gesprochen, als Graf Stefan langsam rückwärts in den innern Raum trat, sich mit starrem Blick umsah und zwei Schritte nach dem gegenüberliegenden Ausgang that. Dann entrang sich ein leises Stöhnen des Schmerzes seinen Lippen und er brach zu Boden.

Im Moment war Meißner an seiner Seite, während der Slowak bereits den Kopf des Gefallenen unterstützte. »Ergeben Sie sich, Herr, Sie sind mein Gefangener!«

Ein ernster, doch nicht unfreundlicher Blick des Grafen, ein leichtes Nicken des Hauptes war die Antwort, und die Linke hob den Säbel, der seine Scheide nicht verlassen, zum Zeichen der Erklärung. Der Sekretär nahm die Waffe und richtete seine Blicke nach dem Eingang, durch den die Jäger jetzt, die Büchse mit dem Hirschfänger darauf zum Angriff in der Hand, hereinsprangen. Als sie in dem Gewölbe nur die Verteidiger desselben mit dem Verwundeten beschäftigt sahen, eilten die vordersten flink dem Ausgang zu, und bald knallten ihre Büchsen wieder auf dem Felsen hinter den Flüchtenden.

Major Laforgne und der französische Oberst hatten glücklich das Ufer erreicht, wo Kapitän Landucci sich noch immer tapfer mit den Österreichern schlug, obschon diese ihn hart bedrängten. Der Major übernahm sofort den Befehl und gab die Ordre zum Einschiffen. Es gehörte all seine Energie dazu, um zu verhindern, daß das nicht in eine regellose und dadurch um so gefährlichere Flucht ausartete. Auch hier behauptete er einen der letzten Posten und hielt mit scharfem Feuer den Weg vom Kastell herunter rein und den Feind an dem schmalen Strand in gehöriger Entfernung, während Oberst Montboisier und die Offiziere der Alpenjäger die Embarkierung der stark gelichteten Mannschaften leiteten.

Das erste Boot, das schon vorher vom Ufer stieß und eilig hinaus auf den im Morgenrot erglühenden See ruderte, war das des englischen Kapitäns, der sich mit beiden Händen die Kinnbacken hielt und vorläufig keine Lust zu weitern Schießversuchen hatte.

Erst während des letzten Gefechts auf dem Strande hatte Laforgne bemerkt, daß der tapfere ungarische Graf fehlte, aber es war unmöglich, um seinetwillen einen Versuch zu machen, und er mußte ihn mit Bedauern seinem unbekannten Schicksal überlassen. Mit dem letzten Boot verließ er das Ufer, von dem die Jäger und Grenzer mit Siegesjubel noch so lange wie möglich ihren Rückzug beunruhigten. – – – – – – – – – – – – –


Hinter den Jägern drein, die nach der Einnahme der Villa den Garten von den Feinden gesäubert, war, von Haß getrieben, der Fürst gefolgt, wie wir oben gesehen haben, sie fortwährend anspornend, den Offizier der Feinde aufs Korn zu nehmen. Er konnte in der Morgendämmerung und in der Entfernung nicht bemerken, daß in der That eine der Kugeln ihn bereits verwundet, und als der Graf in dem Eingang des Kastells verschwand, er aber ihn entkommen wähnte, kannte seine Wut keine Grenzen, und er drängte durch die Soldaten, um wo möglich vom Felsen herab selbst noch einen Schuß hinter ihm drein zu thun.

Plötzlich sah er seinen Feind hilflos, blutend und ohnmächtig zu seinen Füßen liegen.

Eine dämonische Freude zuckte über sein häßliches Gesicht, nur geschmälert durch den Umstand, daß der Bewußtlose bloß durch den Arm geschossen war, und er hätte am liebsten befohlen, ihm mit einigen Bajonettstößen den Garaus zu machen, oder dies selbst gethan, wenn er es gewagt hätte.

Dennoch konnte er nicht ganz den Ausbruch seiner Freude mäßigen. Indem er mit dem Fuß nach ihm stieß, rief er frohlockend: »Da liegt der Nichtswürdige! Nehmt Stricke, Soldaten, schnürt ihm die Glieder zusammen, daß er sich nicht zu rühren vermag! Der Bursche ist einer der schlimmsten Hochverräter an Eurem Kaiser und verdient den Galgen, dem er schon einmal entlaufen ist, und an dem er baumeln soll, oder ich will nicht Trubetzkoi heißen! Fort mit ihm, werft ihn zu den anderen und bewacht ihn wohl!«

Der Sekretär hatte sich unwillig aufgerichtet. »Euer Durchlaucht sehen, daß dieser Offizier verwundet ist!«

»Was thut's? er ist nicht besser als die anderen, und ich will, daß meinem Befehl Folge geleistet wird!«

»Ich bedaure, Eurer Durchlaucht widersprechen zu müssen, aber dies wäre ein unwürdiges Verfahren, in das ich nicht willigen kann. Der Offizier hier ist mein Gefangener!«

» Skotina! Wie? Sie erdreisten sich …«

»Ich bitte Euer Durchlaucht, nicht zu vergessen, daß ich nicht die Ehre habe, in Ihren Diensten zu stehen!«

»Und ich,« sagte der junge Röbel, »werde dafür sorgen, daß diesem Offizier die Behandlung eines Gentleman zu teil wird!«

Der Fürst warf beiden einen wütenden, gehässigen Blick zu. Dann drehte er sich um und humpelte erbost davon, um den kommandierenden Offizier aufzusuchen und dort durch seinen Bericht möglichst ungünstig für den Gefangenen zu wirken. Bald darauf, während die Freunde noch beratschlagten, was am besten zu thun, kam ein Oberjäger mit dem Befehl, daß der verwundete Offizier nach dem Parterre der Villa gebracht werden solle, wo der Wundarzt des Detachements mit Hilfe des fremden zurückgebliebenen Arztes beschäftigt war, in den durch den Zwang der Umstände rasch zur Verbandstätte und zum Lazarett eingerichteten Räumen den Verwundeten beider Parteien Beistand zu leisten.

Man mußte sich dem Befehl fügen, und Otto von Röbel und sein Freund begleiteten die Jäger, die den Offizier auf einer Gärtnertrage fortschafften.

Auch Szabó, der Wolfsjäger, der blutend an den rauchenden Trümmern des Kiosk lag, wurde fortgetragen.

Die eiligen Worte, die der flüchtende Freund ihm zugerufen, beflügelten übrigens die Schritte Otto von Röbels, und als sie nun mit ihrer Blutigen Begleitung – Graf Stefan war unterdes wieder zu sich gekommen, und blieb schweigend und finster auf seinem harten Lager – den Haupteingang der Villa erreicht hatten, eilte er voraus in die Speisehalle.

Der Major hatte die Wahrheit gesagt, er sah die bekannte Gestalt des Mohrendoktors sich eifrig unter den Verwundeten bewegen und mit seiner aufopfernden Menschenliebe ihnen jeden möglichen Beistand leisten.

»Doktor Achmet!«

Der kleine Arzt blickte rasch empor: »Die Stimme kenne ich! bei Boabdil, meinem Ahnherrn! das ist mein wackrer Deutscher, der Retter meines Herzblatts! Einen Augenblick, Monsieur de Reuble! es ist der letzte Verband, den ich anlege, und sogleich bin ich bei Ihnen!«

Der junge Mann aber trat zu ihm. »Ich bitte, Doktor, lassen Sie sich nicht stören, in Ihrem Werk der Pflicht und Barmherzigkeit. Hier ist ein Offizier, dem Sie Ihre Hilfe widmen müssen. Sagen Sie mir nur das Eine – habe ich François recht verstanden, ist Sennora Rositta aufgefunden?«

»Aufgefunden und gerettet aus den Händen der Schwarzkutten, und in Paris, und so viel ich glaube, voll Sehnsucht und bestem Willen, ihrem Lebensretter ihren Dank zu beweisen,« berichtete der Arzt in französischer Sprache. »Bei der Krone der Hacenen! die einst über das schöne Granada herrschten, das ist ein merkwürdiger Tag, und dies hier« – er wies auf den zerschmetterten Arm des Ungarn – »eine verteufelte Wunde, die ihrem Eigentümer das Glied kosten würde, wenn mich nicht ein glücklicher Zufall hierher geführt hätte. Kommen Sie einen Augenblick hierher, mein Herr,« wandte er sich zu dem deutschen Wundarzt, »und sagen Sie mir, was Ihre Ansicht von diesem Arm ist?«

»Er muß abgenommen werden eine Handbreit unter der Schulter,« erklärte dieser mit der Gleichgültigkeit seines Metiers. »Das Ellenbogengelenk ist zerschmettert, es ist keine Rettung als Amputation, wenn man dem Mann das Leben erhalten will. Wenn Sie es wünschen, können wir sogleich daran gehen!«

» Lento! tardo! Kollega,« lächelte der Mohrendoktor, der trotz des Blutes und der Leiden und seiner Teilnahme sehr vergnügt und zufrieden zu sein schien. »Haben Sie niemals von einer Operation gehört, die man Resektion der Gelenke nennen kann?«

»Nein!«

» Bueno! Mit Ihrer Hilfe will ich sie morgen ausführen, nachdem wir vorläufig den Arm verbunden haben. Diable! dem Burschen da – ich erinnere mich seiner – wird diesmal seine Riesennatur schwerlich helfen. Es ist zuviel! drei Kugeln in der Brust, von denen jede einzelne hinreichend ist, einen Stier zu töten! So hat Ihnen also der Major nichts näheres erzählt von dem Zufall, der ihn Carmen – denn das ist ihr rechtmäßiger Name – finden ließ und von den verhängnisvollen Umständen ihrer Befreiung?«

»Keine Silbe, und – der Wahrheit die Ehre – er war auch wahrhaftig nicht in der Lage dazu!«

Der Doktor lächelte vor sich hin. »Das glaube ich selbst! Ihre österreichischen Jäger sind etwas zuverlässigere Bursche als unsere garibaldischen Alpenjäger. Es wird dem Major verteufelt angekommen sein, so retirieren zu müssen! Aber denken Sie, Monsieur de Reuble, daß man die Marquise von Massaignac wie die niedrigste Magd als eine Gefangene in ein Kloster gesperrt hatte und sie zwingen wollte, eine Nonne zu werden! Rositta, die beste Reiterin, die Erbin von Millionen!«

Der junge Deutsche stieß unwillkürlich einen Seufzer aus. Selbst Rositta, die Kunstreiterin, hatte ihm näher, erreichbarer gestanden, als die reiche und schöne Marquise von Massaignac. »Ich brauche nicht zu fragen, wer der Schurke war, der die Schuld trägt!«

»Gewiß nicht! Er und sein guter Freund, die Sie beide damals im Foyer der großen Oper verhaften ließen, um ihren niederträchtigen Plan auszuführen. Aber der eine steht jetzt vor dem Richterstuhl Gottes, und den anderen wird seine Verwandtschaft mit der schönen Kaiserin der Franzosen sicher nicht schützen.«

»Wie? der Senateur Marquis von Massaignac …«

»Wurde am Monte Cenere, in dessen Kloster seine einzige Schwester eingesperrt war, durch einen Sturz von dem Felsen zerschmettert, und ich glaube nach aller Beschreibung, daß der arme Teufel hier, der bereits im Delirium liegt, seine Hand dabei im Spiel hatte. Carmen, das Goldkind, ist jetzt die einzige und bereits anerkannte Erbin des ganzen Reichtums der Massaignac!«

Wiederum entfloh bei dieser Ankündigung ein tiefer Seufzer der Brust des jungen Mannes, er vermischte sich mit dem wilden Schrei der Phantasieen des Sterbenden.

»Der Slowak ist kein Mensch! Hui! wie die Zähne des Wolfs in der Brust wühlen! Ducke Dich! ducke Dich, Wölflein, es hilft Dir nichts, der Szabó schnürt Dir die scharfen Klauen zusammen, damit sein Hochzeitsgeschenk hübsch säuberlich ausschaut. Warum stößt der General mächtiger des armen Slowaken Geschenk mit dem Fuße von sich? Tót nem ember, der Slowak ist kein Mensch! Laßt den Wolf los! Es ist Hochzeitsnacht, und der alte Mann mit dem weißen Haar kommt die Treppe herunter, ich muß sein Blut sehen!«

Auf Matthias', des Slawoniers Bitten, hatte man seinen unglücklichen Landsmann in eins der Seitenzimmer gebracht. Dort hinein war auch der Graf, der vornehme Magnat, auf eine Matratze gelegt worden.

Matthias war jetzt allein bei ihnen, während die beiden Freunde sich entfernt hatten, um nach den Vorgängen draußen zu sehen, nach dem Befinden der Fürstin sich zu erkundigen und sich ihres Gefangenen anzunehmen, denn die Offiziere waren soeben vom Ufer zurückgekommen, da von einer Verfolgung des Feindes nicht die Rede sein konnte.

Es war jetzt die Sache Meißners, an Stelle der kranken Herrin und des Fürsten, der finster umherhinkte, den Wirt zu machen und für eine Erfrischung der Offiziere und Mannschaften zu sorgen, und auf ihm allein lag die Last, da weder Feodora noch eine der anderen Frauen sich sehen ließen; sie schienen alle mit der Herrin und dem Kinde beschäftigt, an dessen Bett sich jetzt der Arzt befand.

Wiederholt ging ihm dabei der Gedanke an den verwundeten Ungarn und sein Verhältnis zur Fürstin durch den Kopf. Er hatte von Tunsa allerdings gehört, daß die Fürstin früher vor der ungarischen Revolution mit einem jungen Magnaten, der in dieser eine Rolle gespielt, verlobt gewesen sei, daß aber jenes Verhältnis sich in einer schrecklichen Weise mit dem gewaltsamen Tode des jungen Grafen, gelöst habe, an dem der Fürst, ihr Gemahl, nicht unbeteiligt gewesen sei. Und jetzt plötzlich tauchte derselbe Mann lebend wieder auf; denn nach allem, was er von dem Slawonier über die That des Fürsten bei seinem Erscheinen gehört, konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß es der frühere Geliebte der unglücklichen Frau war. Obschon der Sekretär in vielem noch nicht klar sah, verehrte und achtete er die Fürstin doch zu aufrichtig, um nicht alsbald fest entschlossen zu sein, was irgend in seinen Kräften stand, für den Mann zu thun, der ihrem Herzen einst teuer gewesen und wahrscheinlich noch teuer war.

Mit diesen Gedanken wollte er eben das Zimmer wieder verlassen, in dem der Räuber und Mörder in wilden Phantasieen lag, und in dem er nochmals nach dem Grafen gesehen, als ihm Feodora auf der Schwelle entgegen trat.

Das Gesicht der Zigeunerin, immer beweglich und der Spiegel der Seelenaufregungen, die sie verzehrten, hatte einen finsteren, entschlossenen Ausdruck, wie er kaum je sich erinnerte, an ihr gesehen zu haben. Es war bleich, übernächtig, aber die schwarzen runden Augen funkelten wie zwei glühende Kohlen.

»Ist er tot? Hat er ihn wirklich ermordet?« fragte sie mit heiserer Stimme.

»Wer? Wen meinen Sie, Feodora?«

»Wen soll ich meinen anders, als ihn, den er geschworen hat, zu vernichten und den ich selbst verderben half, ich, die nichtswürdige Kreatur, die that, wessen ich sie beschuldigte, die nicht wert war, daß ihr Fuß mich von sich stieß! Den blanken Grafen meine ich, der auf dem schwarzen Roß an ihrer Seite wie der Sturmwind daher brauste an jenem Tag, als die Tochter der Heide das Feuer ihrer Väter verließ, um dem bösen Geist Leib und Seele zu geben. Wo ist der blanke Ungarngraf, tot oder lebendig?«

»Graf Batthyányi?« Er hatte sie in das Vorzimmer zurückgedrängt. »Gott sei Dank, er lebt, nur der Arm ist zerschmettert von einer Kugel, und auch diesen giebt der Arzt Hoffnung, zu erhalten. Er ist mein Gefangener, und ich hoffe, nicht nur sein Leben zu retten!«

Sie hatte die Hände auf die Brust gepreßt, als wolle sie das stürmisch pochende Herz bewältigen. Jetzt brach sie in Thränen aus, und ehe der Sekretär es verhindern konnte, hatte sie seine Hand gefaßt und geküßt.

»Du bist ihr guter Engel, wie ich ihr Dämon war,« sagte sie leidenschaftlich. »Laß mich hinein zu ihm, damit ich ihm ein Wort des Trostes flüstere, das alle Wunden heilen wird. Glücklich die, welche es zu hören vermögen!«

»Liebe Freundin,« beruhigte sie der Sekretär, »es ist mir lieb, daß ich Sie traf. Sagen Sie der Fürstin, daß ich in allem zu ihren Diensten bin, was auch die unglückliche Dame mir zu befehlen hat. Wie ich zu meiner Freude höre, ist Hoffnung, das Leben meines kleinen Zöglings zu erhalten, das die Hand des eigenen Vaters gefährdet hat. Lassen Sie uns beide zusammen stehen, um den Verwundeten da drinnen zu schützen, denn ich will Ihnen nicht verhehlen, daß er in dem Fürsten auch jetzt einen schlimmen und gefährlichen Feind zu haben scheint, und wir müssen ihn daher sorgfältig bewachen!« Die Augen der Zigeunerin, noch eben von den leidenschaftlichen Thränen getrübt, funkelten wieder wild und drohend. Sie schüttelte das schwarze Haar zurück, das in aufgelösten Strähnen um ihren Kopf flog.

»Wehe ihm, wenn er es wagt, die blutige Hand nach jenem zu strecken!« rief sie heftig. »Die Mumeli-Swa ist der entarteten Tochter ihres Volkes erschienen, und die Totenfiedel des Vaters klingt rufend in ihr Ohr! Tunsas Auge ist wach; der bleiche Stern des Ungarlandes soll wieder leuchten frisch und rot, und wenn es Tunsas Herzblut kosten sollte!«

Sie drängte sich an ihm vorbei in das Gemach; Meißner, der ihr excentrisches Wesen kannte, ließ sie gewähren und ging eilig zu den versammelten Offizieren.

In dem Gemach der beiden Kranken war es trotz des prächtigen Scheins der Morgensonne draußen doch recht düster und schwer. Die vier Kinder desselben Landes, die hier so plötzlich versammelt waren, trugen alle ein schweres Herz. Die kleine Zigeunerin, die an der Matratze des Grafen zusammen gekauert saß, erzählte ihm von ihrer Herrin, von jener fürchterlichen Nacht, nachdem sie in die Trauung gewilligt, um die Mutter zu retten und den Geliebten, und sie berichtete, wie sie erst am Morgen erkannt, daß sie schändlich getäuscht worden. Die Zigeunerin verhehlte dabei ihre eigene Schuld nicht, noch versuchte sie, diese zu beschönigen; dann erzählte sie, wie das Unglück der stolzen Magnatentochter so gräßlich, so entsetzlich geworden, daß das elendeste Geschöpf der Pußta gewiß nicht mit ihrem Los getauscht hätte, und von der Ergebung, mit der sie dies alles ertragen; wie der stumme und stolze Schmerz ihr boshaftes Herz gerührt und sie aus der Aufpasserin der unglücklichen Frau, die zum Hohne ihr Haus mit ihr teilen mußte, zu ihrer treuen Dienerin gemacht hatte, die sie verteidigte gegen die brutalen Launen des Fürsten, bis ihr Geist sich selbst wieder so weit empor gerafft, um selbständig ihm trotzen zu können. Nur von dem Opfer – jener traurigen Hingebung an die Forderung des Fürsten – das die Herrin für die Bewilligung der Trennung von ihm gebracht und dessen lebendiger Zeuge jetzt von der Hand desselben Mannes getroffen war, von dem Kinde vermied die Zigeunerin zu sprechen.

Graf Stefan war in kaum weniger erregter und fieberhafter Stimmung gewesen bei dieser Erzählung, als der Sterbende in der anderen Ecke des Gemachs, der bald in wilden Phantasieen raste, bald stöhnend sich auf dem Lager wälzte. Wie gering war alles gewesen, was er selbst erduldet, gegen das Leid und Elend, das die Geliebte getragen, und wie schweres Unrecht hatte er ihr gethan bei der Beschuldigung der Treulosigkeit und des Vergessens, als er sein Herz loszureißen versuchte von ihrem Andenken.

Aber eine grimme Wut erfaßte ihn gegen den Mann, der ihm und ihr all dies Leiden bereitet, der ihr Glück, ihren Frieden gestört hatte mit roher Hand und teuflischer Bosheit, und er raffte sich von seinem blutigen Lager empor und hob den zerschmetterten Arm, bis der zuckende Schmerz ihn daran erinnerte, daß er ein Gefangener, ein Krüppel sei, preisgegeben der Bosheit seines Feindes, und während das Gefühl seiner Ohnmacht ihm den kalten Schweiß auf die Stirn trieb, sank er zum Schrecken des Mädchens wieder zurück in die Kissen, vom Fieberfrost geschüttelt.

So fand ihn der Doktor und trieb unmutig die gefährliche Wärterin von seinem Lager. Der Arzt war nicht allein gekommen, in seiner Gesellschaft befand sich der alte ehrwürdige Pfarrer von Garda, ein in der Villa von der Fürstin gern gesehener Gast, der auf die Nachricht von den Ereignissen eilig heraufgekommen war, zu trösten und zu raten. Der Doktor – obschon selbst ein arger Freigeist – führte ihn an das Sterbelager des Räubers.

In dem Kreis der Offiziere war es indes zu ernsten Erörterungen gekommen. Der Baron von Neuillat hatte sich sofort an den Kommandanten des versenkten Dampfers, dem seinem Range nach jetzt der Befehl zukam, mit der Anzeige gewandt, daß auf seine Veranlassung Doktor Achmet bei dem Rückzug der Franzosen zurückgeblieben sei, um die Verwundeten nicht zu verlassen. Die Aufopferung, mit der er sich ihrer ohne Unterschied der Nationalität angenommen, veranlaßte die Offiziere zu der Erklärung, daß man nicht daran denke, ihn als Gefangenen zu behandeln, und daß er nur sein Ehrenwort geben solle, die Villa bis zum Eingang der weiteren Entscheidung aus dem Hauptquartier nicht verlassen zu wollen, um von jeder anderweitigen Beschränkung befreit zu bleiben.

Eine ernstere Erörterung und sogar einen ziemlich ernsthaften Wortwechsel veranlaßte die Bestimmung über den anderen Gefangenen, den Grafen Batthyányi. Der Fürst hatte es sich auf das Eiligste angelegen sein lassen, den Rang und Stand des Verwundeten zu verkünden, sowie daß er bereits bei der ungarischen Revolution von 1848 und 49 geächtet und eines ihrer gefährlichsten Häupter gewesen sei, das man bis jetzt irriger Weise tot geglaubt. Der Umstand, daß er als österreichischer Unterthan jetzt wieder in den Reihen der Feinde im Kampf gegen die kaiserliche Armee gefangen genommen worden, mußte seine Schuld erhöhen und sie in den Augen der Offiziere zum Hochverrat stempeln. Die Bemerkungen des Fürsten trugen dazu bei, die feindliche Stimmung zu erhöhen; der Einspruch des Sekretärs, daß Graf Batthyányi eigentlich als sein persönlicher Gefangener betrachtet werden müßte, wurde daher scharf zurückgewiesen und nur die ganz bestimmte Erklärung der beiden Ärzte, daß ein längerer Transport des Verwundeten ohne die größte Lebensgefahr vorläufig nicht auszuführen sei, schützte ihn davor, sofort mit Eskorte nach Verona gebracht zu werden.

Es handelte sich nun darum, eine Stelle zu finden, wo neben der ärztlichen Pflege eine sichere Bewachung möglich war, da man so viel wie möglich die Villa selbst mit militärischer Besatzung verschonen wollte. Der Sekretär bot seine Wohnung im Kastell an, der Fürst aber erklärte dies für nicht genügend sicher und bot dafür den Raum im zweiten Stockwerk seines Turms, der ein Gemach mit vergitterten Fenstern enthielt, und in dem die Bewachung leicht und jede Flucht unmöglich wäre. Sein Haß, der sich an dem Unglück des Todfeindes weiden und ihn selbst bewachen wollte, wußte alle Einwände zu beseitigen, und es wurde daher Ordre gegeben, den Gefangenen dahin zu schaffen und mit aller Rücksicht zu behandeln, zugleich aber mit der größten Strenge zu bewachen, während eines der vor der Villa liegenden Wirtschaftsgebäude zum einstweiligen Lazarett für die anderen Verwundeten eingerichtet wurde.

Für den Arzt wurde ein Zimmer im Parterre der Villa in Bereitschaft gesetzt, da der Fürst, der jetzt, seines Opfers sicher, plötzlich wieder die größte Zärtlichkeit für den verwundeten Erben seines Namens entwickelte, dessen unmittelbare Nähe bei dem Kinde verlangte.

Während die Dienerschaft im Innern die Spuren des Kampfes der vergangenen Nacht so gut wie möglich beseitigte, die Offiziere ihre Rapporte machten und die Gefallenen begraben wurden, trat der Tod an das Lager eines Manschen, den die Sünde anderer aus dem stillen Frieden eines unbedeutenden und deshalb glücklichen Daseins gerissen und zum Mörder und Verbrecher gemacht hatten.

Auf dem Strohsack am Boden lag die kräftige Gestalt des Räubers ausgestreckt, und seine Hand hatte im wilden Delirium selbst den mühsam ihm angelegten Verband abgerissen, so daß die Wunden bloß lagen und die Tropfen schwarzen Blutes über die behaarte Brust quollen.

Achselzuckend hatte der österreichische Chirurg das Lager verlassen, er wußte, daß menschliche Hilfe vergeblich war. Auch der alte Geistliche konnte nichts anderes bieten, als sein Gebet, denn die wilden Fieberphantasieen des Kranken machten jeden geistlichen Zuspruch unmöglich.

So saß er in einiger Entfernung und betete die Worte der Kirche für den Sterbenden.

Nur zwei hatten den Armen nicht verlassen, zwei Wesen, welche die Armut der Jugend, die Verachtung der Menschen, die Leiden und Freuden der Heimat einst mit ihm geteilt, Matthias, der wandernde Kesselflicker, der Bruder des Mädchens, dessen Tod ihn hinausgetrieben durch die Welt, bis er heute entsetzlich sie und sich an ihrem Mörder gerächt, und Tunsa, das Zigeunerkind, die wilde Blüte der Heide, die mit allem Glanz und aller Lust der Welt nicht die Erinnerung an jene Heide und die zersprungene Fidel des armen Zigeuners, ihres Vaters, hatte betäuben können.

Der Slowak hielt die Hand des Mörders in der seinen, während Tunsa von Zeit zu Zeit die heiße Stirn des Mannes kühlte, der ihren Vater gehenkt.

»Der General mit dem weißen Haar,« murmelte der Sterbende, »was will er von mir? – Die Hanka will Blut haben! – Und der Offizier dort – Leichen rings um! warum saugst du an ihnen dich nicht satt, gieriger Wolf, daß ich seinen Schädel zerschmettern muß? – Wie er die Hände flehend empor hebt – ein Schlag – hu, wie es knirscht, und der Vampyr mit dem weißen Leichentuch fliegt über das Totenfeld! – Barmherzigkeit – sie sind alle hinter mir – Petrike und die Wolfsbraut – das Weib am Kloster und der alte Mann dort in Wien! Haltet die Gespenster von mir – sie sind schlimmer als der Vampyr! Verflucht sei die Hand, die mir das Bajonett in die Hand gab! – Hussa! der Wolf ist los! der Wolf kommt!«

Er rang sich los von den Armen der ihn Haltenden und richtete sich auf dem Lager empor. Plötzlich wurden seine flammenden, wilden Blicke ruhiger, indem sie auf dem Mann und dem Mädchen an seiner Seite hafteten, und er fuhr mit der Hand über die Stirn.

»Was ist geschehen? wo bin ich? Das ist Matthias, der Bruder Hankas – aber die Hanka ist nicht hier!«

»Sie ist im Himmel, Szabó, mein Bruder, sie erwartet uns!«

»Im Himmel? – wie – wie – es ist Nacht vor mir – der Himmel ist nicht für den armen Slowak – der Mann mit dem weißen Haar steht dort – an der Laterne hängt sein Leib – –«

»Gott ist barmherzig! Der Heiland ist für uns alle gestorben am Kreuz, auch für den Ärmsten und Sündigsten! Hoffe auf seine Gnade, Szabó, mein Bruder, und laß uns beten zu ihm!«

»Beten – beten! Weißt Du auch Matthias, daß Mörder blutige nicht können beten zu Gott? Sie sind verflucht in Ewigkeit!«

»Szabó, des Herrn Gnade ist unermeßlich, auch für den schwersten Sünder, wenn er bereut!«

Der Geistliche war näher getreten. » Miserere Domine gemituum, miserere lacrimarum ejus; et non habentem fiduciam, nisi tua misericordia, ad tuae sacramentum reconciliatonis admitte!«

Der Sterbende sah ihn starr an. »Was will der Pfaff hier? Schafft ihn fort, die Hanka feiert die Brautnacht, eh der Priester Segen seinigten gesprochen! – wer kümmert sich um den Slowak? Laßt den Petrike kommen, daß er die Fidel spielt! Baszom teremtete! Der Petrike kann nicht kommen, der Szabó, sein Freund, hat ihn aufgehenkt am Turme von Enyád, während Tochter seinigte, die Hure, jubelt mit den blanken Herren! – laßt den Wolf los – Hussa, Jurisch, der Szabó kommt!«

Der Geistliche wandte sich ab von dem Lager und hob die Hände: »Herr, erbarme Dich seines unsterblichen Teils und gehe nicht ins Gericht mit seinen Sünden!«

Die Zigeunerin blickte finster nach dem Sterbenden. »Tunsa vergiebt Dir, denn sie weiß, wie die Liebe das Herz zerreißt! Geh voran auf dem dunklen Weg in das Nichts, sie wird Dir folgen!«

Der Slowak war zurückgesunken, er hielt noch immer die Hand des Bruders seiner Geliebten, seine Augen hatten sich weit geöffnet und starrten empor, ein mildes freundliches Lächeln stieg auf die rauhen finstren Züge, gleich denen eines Kindes, das träumt.

Mit Staunen sah Matthias die Züge des sterbenden Mörders sich verklären.

»Siehst Du die Pußta, Török, wie sie sich ausdehnt, weit, weit, – bis zum Fichtenwald, wo wir so oft gespielt, Du, und die Hanka und der arme Szabó. Die Leute sagen, Herr gnädiger drüben im blanken Magnatenschloß wolle einen Kanasz machen aus dem Szabó Palko, wie sein Vater war. Aber der arme Szabó will ein Esikos Pferdehirt. werden, der durch die Pußta jagt, wie der Wind vom Theiß! Und vor sich hat er die Braut in der Parta und Bunda, und der Staregessy ladet die Gäste und die Zigeuner spielen auf dem Gerüst den Csardas, und die Bauern tanzen mit der hübschen Slowakenbraut – Török – die Hanka ruft mich – und es ist Frühling in der Pußta – die Blumen blühen, und der Reiher streicht durch das Schilf – der Himmel ist blau überm schönen Ungarland und der Slowak ist ein Mensch – frei – frei – die Hanka – –« er breitete die Arme aus – der Kopf sank zur Seite – der Mörder war tot!


Als der Fürst, von Petrowitsch begleitet, um Mittag sich in seine Wohnung in dem alten Veroneser Turm zurückzog, in dessen oberem Geschoß, mit doppeltem Posten bewacht, jetzt Graf Stefan im Fieber lag, fand er Abramo, den buckligen Spion, auf seiner Schwelle kauern. Er nickte ihm gnädig zu und befahl dem Kosaken, ihn einstweilen an einem sichern Ort unterzubringen, bis er ihn rufen lasse.

Eine Stunde vorher waren der Baron Neuillat und Otto von Röbel nach Verona zurückgekehrt. Beide, jeder für sich, hatten eine lange Unterredung mit dem spanischen Arzt gehabt; beide Gespräche schienen wichtig genug, denn alle drei befanden sich in ernster, nachdenklicher Stimmung, als der Doktor sie zum Wagen geleitete. Otto von Röbel, dem der Baron sehr gefiel, hatte mit Vergnügen die Einladung angenommen, mit diesem zu fahren.

Der Baron reichte dem Arzte aus dem Wagen nochmals die Hand, während an der anderen Seite Meißner bei dem Freunde blieb und ihm Grüße in die Heimat auftrug, wohin Otto sogleich von Verona aus schreiben wollte, ob vielleicht Briefe aus Paris eingegangen wären, und der Fürst mit einigen Offizieren des starken Truppendetachements, das im Laufe des Vormittags in Eilmarsch angekommen war, im Eingang der Villa stand und, den Kneifer vor dem Auge, spöttisch und mißtrauisch den ihm rätselhaften Verkehr beobachtete.

»Seien Sie versichert, Doktor,« sagte der Baron, »daß ich sofort alles aufbieten werde, der Sache auf den Grund zu kommen. Graf Mortara, wenn sich auch seine genaue Verbindung mit dem Orden nicht in Abrede stellen läßt, ist doch ein Mann von Ehre und Rechtschaffenheit und wird sich nicht weigern, sich gleichfalls der Sache anzunehmen. Daß Sie auf so merkwürdige Weise in den Besitz des Dokuments gekommen sind, ist von größter Wichtigkeit; verwahren Sie es wohl. Wenn sich unser Argwohn bestätigt, so hat der junge Mensch vollen Anspruch auf den Titel wie auf das Erbe, und der Orden kann sich nicht weigern, ihn frei zu geben. Aber wir müssen mit der größten Vorsicht verfahren, indem wir das Terrain sondieren, denn unsere Gegner sind schlau, sie halten fest an ihren geheimen Plänen, und, glauben Sie mir, es fehlt ihnen keineswegs an Macht und Einfluß, auch wenn sie vorläufig die Rolle von Flüchtigen und Vertriebenen spielen. Ich wünschte nur, sie könnten des kleinen Schurken, jenes jüdischen Spions, wieder habhaft werden, dessen ich mich von Mantua und Mailand noch sehr wohl erinnere, und der uns den Verkehr mit dem Prälaten sehr erleichtern könnte!«

»Ich weiß mit Bestimmtheit, daß er von Salo mit herüber kam, aber seitdem ist er spurlos verschwunden. Er hat versprochen, meinen Brief dem jungen Felicio einzuhändigen, aber ich kann natürlich nicht wissen, ob es ihm gelungen ist, sich nach Verona durchzuschleichen, oder ob er mit den Alpenjägern wieder nach dem anderen Ufer zurückgekehrt ist, während sein wilder Genosse sein Ende gefunden hat.«

»Es läßt sich nicht ändern! Wir müssen suchen, ohne ihn fertig zu werden. In jedem Fall erhalten Sie so bald wie möglich Nachricht von mir aus Verona, und ich hoffe, daß die Beschränkung Ihrer Freiheit ohnehin nicht lange dauern wird. Wenn es Ihnen gefällig ist, Monsieur de Reuble!«

»Ich bin zu Ihrem Befehl!«

»Vorwärts denn! Leben Sie wohl, meine Herren, und auf ein besseres Wiedersehen unter glücklicheren Umständen!«

Der Wagen rollte davon. Der Fürst, dessen Neugier über das Verhältnis des fremden Arztes zu dem Kammerherrn des Grafen von Chambord durch den Umstand noch mehr gesteigert wurde, daß die letzte Unterredung in spanischer Sprache stattfand, die er nicht verstand, versuchte vergeblich seine Kunst an dem Doktor unter dem Vorwand, sich über den Zustand des Kindes zu vergewissern. Doktor Achmet verstand allen, über diesen Punkt hinausgehenden Fragen auszuweichen, und entzog sich ihm bald, da an dein Bett des leidenden Kindes mit dem Militärarzt, der die größere, vor einer Stunde angekommene Truppenabteilung begleitet hatte, und dem gewöhnlichen aus Bardolino herbeigeholten Hausarzt der Familie eine Konferenz stattfinden sollte.

Darum war der Fürst nach seiner Wohnung zurückgekehrt, wo er den jüdischen Spion fand, der schon einmal den Verkehr zwischen ihm und dem französischen Hauptquartier vermittelt hatte.

Der kleine Jude hatte von dem Kosaken mit Schrecken das Ende seines Gefährten erfahren. So boshaft, verworfen und egoistisch er auch war, er hatte doch eine gewisse Anhänglichkeit an den ungeschlachten Genossen seiner Verbrechen gehabt, gleich wie dieser ihn als eine Art Schützling seiner rohen Kraft betrachtete. Selbst die Ereignisse im Kloster des Monte Cenere hatten nichts daran geändert. Als Abramo sich nun durch den Tod seines Gefährten so allein sah, faßte ihn eine unbestimmte Furcht und Besorgnis, er hätte sich am liebsten aus dem Staube gemacht, beide Parteien, die er betrog, im Stich lassend, und daß ihn der Kosak auf den Befehl des Fürsten in einer Kammer des Turms einschloß, wollte ihm wenig behagen.

Der Fürst war den Rest des Tages über emsig mit Schreiben beschäftigt; Petrowitsch durfte den Turm nicht verlassen, es war, als traue er nicht einmal den beiden Schildwachen, von denen eine unten vor dem Eingang, die andere vor dem Zimmer des Verwundeten ihren Posten hatte. Noch am Abend mußte ein Reitknecht mit den Briefen nach Verona, und der Fürst rieb sich mit sichtlichem Behagen die Hände, seines Erfolges gewiß, als er den Mann davontraben sah.

Dann erst fragte er wieder nach dem Knaben.

Die Konferenz der drei Ärzte hatte kein Resultat ergeben – der österreichische Militär-Arzt, der Doktor aus Bardolino widersprachen der Ansicht und den Vorschlägen ihres französischen Kollegen, und Doktor Achmet trat bescheiden zurück, jenem die weitere Behandlung des Kindes überlassend.

Dagegen bestand er, von dem Sekretär der Fürstin unterstützt, fest auf der beabsichtigten Operation an dem Arm des Gefangenen, und der nächste Morgen wurde zu ihrer Ausführung bestimmt.

Man hatte an dem Tage nur wenig von der Fürstin gehört; man wußte nur, daß sie, aus ihrer Ohnmacht zum Bewußtsein zurückgekehrt, sich an das Bett ihres Kindes gesetzt hatte, und dort seitdem stumm und einer Abgeschiedenen gleich mit gefalteten Händen und starrem thränenlosen Auge verweilte. So blieb sie auch, während die Ärzte den Knaben untersuchten und an seinem Lager konferierten. Nur ihre alte Kammerfrau und Tunsa hatten Zutritt in das Krankenzimmer, selbst der Fürst hatte nicht gewagt, ihn zu verlangen.

So war der Mittwoch, der 22., und die darauf folgende Nacht vergangen.

Am nächsten Morgen, Donnerstag, verbreiteten sich Gerüchte über das Vorrücken der österreichischen Armee.

Die Verstärkung der Posten am Ufer des Sees, die infolge des Überfalls von Salo her angekommen war, wurde größtenteils wieder zurückgezogen, die verschiedensten Nachrichten kreuzten sich, man erwartete offenbar in den nächsten Tagen, wenn auch nicht so rasch, wichtige Ereignisse.

Im Laufe des Vormittags war der Fürst nach Verona gefahren, nur sein Kammerdiener begleitete ihn. Petrowitsch hatte die strengste Ordre, den Turm nicht zu verlassen.

Während der Abwesenheit des Fürsten vollzog Doktor Achmet die Operation. Sie ging glücklich von statten, aber es war nötig, daß der Kranke der strengsten Ruhe genoß.

Es war etwa sieben Uhr abends, als die leichte Equipage des Fürsten wieder an der Villa vorfuhr. Weißer Schaum bedeckte die Pferde, die Flanken der Tiere bebten, wie der Kutscher erzählte, hatten sie die 16 Miglien von Verona in zwei Stunden zurückgelegt.

Meißner befand sich gerade mit dem Mohrendoktor auf der Rampe der Villa, als der Wagen anfuhr und der Fürst ausstieg. Ein satanisches Lächeln des Triumphes lag auf seinem Gesicht, als er den Sekretär anblickte.

»Nun, Doktor,« sagte er lustig, »ich glaube, Sie werden in den nächsten Tagen viel zu schneiden bekommen! Man erwartet übermorgen eine Schlacht und die Ordre, Sie und gewisse andere Leute nach Verona zu schaffen, ist unterwegs. Jeder gehört auf seinen Posten, der Arzt in die Ambulance, der Hochverräter an den Galgen! He he, ich sage Ihnen, Feldmarschallleutnant Urban, der neue Gouverneur von Verona, ist ein ganzer Mann! Er versteht mit den Leuten umzuspringen und giebt keinen Pardon! – Iebi waschu mat! Ich denke, die Villa der Fürstin Trubetzkoi am Gardasee wird von keinem ungarischen Rebellen mehr belästigt werden!«

»Wenn Euer Durchlaucht mit diesen Worten den unglücklichen ungarischen Offizier meinen,« sagte der Sekretär, »der hier verwundet wurde, so muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß sein Transport von hier vorläufig unmöglich ist. Graf Batthyányi hat sich heute Vormittag einer Operation unterwerfen müssen, um den Arm zu retten.«

Der Fürst schielte ihn hämisch von der Seite an. »Ich denke, mein sehr menschenfreundlicher Herr Sekretär, Ihr ehrenwerter Schützling wird zunächst zu thun haben, seinen Kopf zu retten, und ich glaube, daß dies ihm schwerlich gelingen wird. Hier ist vorläufig die Ordre an den kommandierenden Offizier in Garda, den Herrn Grafen Batthyányi oder Sefer Bey mit tüchtigen Hand- und Fußeisen binnen vierundzwanzig Stunden nach Empfang lebendig oder tot in die Citadella von Verona abzuliefern!«

»Das wäre unmenschlich – ein reiner Mord!«

»Was weder Ihre, noch meine Sache ist. Aus diesem Grunde werden Sie auch die Güte haben, dies Dienstschreiben sofort nach Garda zu schicken, während ich meine Zimmer aufsuche, wo ich nicht gestört sein will!«

Der Fürst warf hochmütig das Schreiben auf die Steinbank am Eingang und ging, von seinem Kammerdiener gefolgt, nach dem Turm.

Der Sekretär und der Arzt sahen einander an. Da der Fürst zu dem ersteren Deutsch gesprochen, hatte Doktor Achmet nur wenig verstanden, und Meißner verdolmetschte es ihm jetzt.

»Aber das wäre jetzt geradezu Mord, den Kranken nach der Operation in der Junihitze nach den ungesunden Kasematten zu schaffen,« rief entrüstet der Arzt. »Ich könnte für sein Leben nicht stehen, auch wenn ich ihn begleite.«

»Das habe ich ihm auch gesagt, aber ich denke, Sie müssen bemerkt haben, daß dies gerade das Ziel ist, das er verfolgt!«

»Aber warum dieser Haß? Ich bin zwar Zeuge der Begegnung dieser beiden Männer gewesen, aber was ich gehört, genügt nicht, mir die Sache zu erklären und hat mir nur gezeigt, daß hier schlimme Dinge verborgen liegen.«

Der Sekretär zuckte die Achseln. »Auch ich kenne nur unvollständig die Verhältnisse, da ich erst später in den Dienst der Fürstin getreten bin, und sie niemals über die Vergangenheit spricht.«

»Und was denken Sie zu thun?«

»Das weiß ich noch nicht. Die Fürstin muß alles wissen und mag entscheiden!«

»Aber diese Ordre?«

»Ich muß sie abschicken, der Fürst könnte uns beobachten lassen und leicht Verdacht schöpfen. Aber sie soll deswegen uns morgen nicht im Wege sein. Dort kommt gerade der rechte Mann!«

Es war der Slawonier, der trübe und ernst von der Terrasse herkam, einen Stock in der Hand, auf der Schulter seinen ärmlichen Kram.

»Wohin wollen Sie, Herr Matthias?«

»Ihnen Lebewohl sagen. Ich will diesen Abend noch nach Garda, um zu hören, ob man für den Feldmarschallleutnant auf dem Joch eine Botschaft hat. Der Priester in Garda hat mir versprochen, für den Freund meiner Kindheit, der mir nahe stehen sollte durch die Bande des Blutes, und der ein so schreckliches Ende genommen, morgen in der Frühe eine Messe zu lesen und wenigstens ein Gebet aus vollem Herzen soll dem Unglücklichen nicht fehlen!«

»So werden wir Sie nicht wiedersehen?«

»Ich denke von Garda den Rückweg nach Castelletto anzutreten. Es ist Zeit, daß ich mein Versprechen halte und Botschaft bringe nach dem Joch!«

Der Sekretär warf einen raschen Blick umher, in der Nähe stand einer der Diener und Petrowitsch, der Kosak des Fürsten kam eben den Weg vom Turm her, um nach dem Souterrain zu gehen und in der Küche die Bedürfnisse seines Magens zu befriedigen.

»Da Sie doch nach Garda gehen,« sagte der Sekretär laut, »so möchte ich Sie bitten, diesen Brief mitzunehmen und dort auf der Wache oder an die Ordonnanz abzugeben.«

»Sehr gern, Signor!«

»Wollen Sie der Fürstin einen Dienst erweisen?« fuhr Meißner leise fort.

»Gewiß, Signor, mit meinem Herzblut! Ich kannte sie, als sie noch als Kind mit dem Grafen Stefan zu Telek auf dem Rasen des väterlichen Schlosses spielte!«

»Wohl, Sie müssen den Brief mit sich nehmen, aber es kommt alles darauf an, daß er nicht heute oder morgen, sondern so spät wie möglich oder besser gar nicht abgegeben wird. Es handelt sich um das Leben Ihres Landsmanns.«

Der Slawonier nickte unmerklich. »Es soll geschehen! Was kümmert es die Welt, ob ein Slowak einen Brief unterschlagen oder verloren! Leben Sie wohl, Signor. Gott segne Sie für das, was Sie an dem Grafen thun. Grüßen Sie ihn von Matthias, dem Slowaken, und erinnern Sie ihn an die Gewässer von Kiel dort oben im Norden!«

»So kennen Sie ihn näher und trafen schon früher so weit von hier entfernt mit ihm zusammen?«

»Wohin wandert nicht der Slowak? Genug, schützen Sie ihn, der sich jetzt selbst nicht zu schützen vermag, vor dem Herrn dieses Hauses, er ist sein Todfeind! Und jetzt, Signori, leben Sie wohl, und Gott erhalte Sie und das arme Kind!«

Sein letzter Gedanke gehörte diesem, als er sich jetzt wandte und, den Brief in der Tasche seines Mantels bergend, rasch davonschritt.

Meißner bemerkte wohl, daß der Kosak sich in der Nähe aufgehalten, um zu spionieren. Er rief ihn deshalb heran und beauftragte ihn, dem Fürsten zu melden, daß, da sich gerade ein Bote nach Garda gefunden, er diesem die Depesche an den kommandierenden Offizier zur Besorgung anvertraut habe.

Damit war er seines Auftrages ledig, den er absichtlich nicht von sich gewiesen hatte. –

Der Fürst war eifrig mit Schreiben beschäftigt, nachdem er sich sorgfältig erkundigt, was in seiner Abwesenheit vorgekommen. Er hätte leicht selbst die oben erwähnte Ordre in Garda abgeben können, da die Straße von Verona durch das Pfarrdorf führt, aber einerseits hätte er sich deswegen aufhalten müssen, und die Minuten waren kostbar; andererseits, und das war der Hauptgrund, wünschte seine Bosheit sich an dem Schrecken und dem Verdruß zu erfreuen, den er mit diesem Beweise seines Sieges den Bewohnern der Villa verursachen wollte. Aus diesem Grunde auch hatte er dem Sekretär den Auftrag erteilt, den Brief abzusenden, da er wohl wußte, daß die Fürstin es nun erfahren werde. Als Petrowitsch, den er alsbald zum Spionieren gesandt, zurückkehrte und berichtete, wie er Zeuge gewesen war, daß der Slowak den Brief mit sich genommen, war er zufrieden, da die Anwesenheit desselben in der Villa ihm ohnehin – er wußte selbst eigentlich nicht, warum – unangenehm war.

Das Gemach, in dem sich der Fürst befand, bildete eine halbe Rundung mit einem vorspringenden Erker und gewährte eine prächtige Aussicht nach dem See. Es wurde als Fremdenzimmer benutzt, wenn die Fürstin, was selten genug vorkam, Besuch erhielt, und war bequem und elegant eingerichtet. Ein offener Alkoven, nur durch eine seidene Portiere geschlossen und ein kleines Ankleidezimmer stießen an das Gemach und bildeten mit einem Vorzimmer die Wohnung.

Während der Fürst schrieb, trank er von Zeit zu Zeit aus einem großen Kelchglas den schweren Portwein, der vor ihm stand.

Petrowitsch hielt sich unbeweglich an der Thür.

Der Fürst war fertig und siegelte das ziemlich dicke Couvert.

»Wo ist der Jude?«

»In der Kammer, Batuschka, wo ich ihn eingeschlossen. Es hat ihm schlecht genug gefallen, und er wollte mit Gewalt heraus und davon.«

»Bring' ihn hierher, aber vorsichtig, daß niemand ihn sieht.«

»Wie Du befiehlst, Herr!«

Petrowitsch ging; der Fürst stürzte ein großes Glas des schweren Weines hinunter, die roten Flecken, die ersten Folgen seiner Orgien, begannen sich auf der fahlen, ungesunden Farbe seines Gesichts zu zeigen.

Er stieß einen der schändlichen gotteslästerlichen und rohen Flüche aus, an denen die russische Sprache reich ist.

»Ich will lustig sein, die Dirne soll kommen, sie hat sich lange genüg ihrer Pflicht entzogen! Verflucht sei jenes weiße Gesicht, ich will alles thun, was sie kränkt, das Blut will ich ihr aus dem Herzen saugen! Wie sie ihn ansah, mit welchem Blick! Wie er zu ihren Füßen eilte! Und ich bin der Herr, ich bin der Mann! Verdammnis über sie! Ich will mich rächen! Hussah – ich will eine lustige Nacht feiern, während die Kanonen da droben brüllen! Morgen möge er in Ketten vor ihr enden, und ich werde der Herr sein!«

Und wieder stürzte er den schweren feurigen Wein hinunter.

Der Kosak hatte die Thür geöffnet und schob den kleinen buckligen Juden, der sehr unwirsch aussah, vor sich her.

Der Fürst hob das Glas und blinzelte prüfend darüber hinweg.

»Schau, Hundesohn, da bist Du ja!«

»Warum halten mich Euer Exzellenza hier fest?« frug der Jude giftig. »Warum lassen Sie mich nicht gehen meinen Geschäften nach? Sie haben doch keine Macht über meinen Leib und meinen Willen!«

»Dummkopf!« sagte der Fürst. »Halt Deinen Mund, wenn Du bezahlt wirst. Hast Du Mittel, binnen einer Stunde über den See zu kommen?«

»Ich muß doch gehen nach Verona, ich habe wichtige Geschäfte dort!« brummte mürrisch der Jude.

»Jedes Geschäft hat einen Preis. Um es kurz zu machen, hier ist ein Brief, der in spätestens zwei Stunden in Salo sein muß. Es ist jetzt acht Uhr – also vor zehn. Was verlangst Du, um es möglich zu machen?«

Der Eifer des Spions nach Verona zu kommen, war auf einmal abgekühlt. Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Es ist viel Gefahr dabei. Eine Miglie auswärts giebt es zwar einen Schiffer, der es wagen würde, aber er verlangt viel Geld!«

»Kurz und gut, was verlangst Du?«

»Unter tausend Lire kann ich es nicht wagen!«

Der Fürst ging an den Sekretär und nahm eine Rolle aus einem Fach. »Hier sind fünfzig Napoleondor. Fünfzig weitere erhältst Du in dem Augenblick, wo Du bis zehn Uhr diesen Brief in Salo oder dem Hauptquartier des General Garibaldi in die Hände des Obersten Grafen Montboisier lieferst.«

»Ist dies gewiß, Altezza?«

»Dummkopf lies!« Er hielt ihm das Couvert vor, das unten in der Ecke die Bemerkung enthielt: »Tausend Lires sind dem Überbringer zu zahlen.«

»Altezza,« sagte der Jude, »das Geschäft ist gemacht! Geben Sie mir den Brief, um zehn Uhr ist er in den Händen des Signor Conte!«

Der Fürst reichte ihm die Depesche. »Nimm und erinnere Dich, daß, wenn Du nicht Wort hältst oder Verrat übst, ich Dich auffinden werde, und wenn Du im Bauch der Erde stecktest! Petrowitsch!«

Der Kosak trat näher. »Was befiehlst Du, Batuschka?«

»Rufe Matthieu!«

Der Kammerdiener trat sofort ein.

»Der Bursche hier,« befahl der Fürst, »muß aus der Nähe der Villa geschafft werden und das sofort, ohne daß es müßigen Augen auffällt.«

»Ein Mantel wird die nötigen Dienste thun. Ich werde ihn selbst begleiten, wenn Euer Durchlaucht mich beurlauben wollen.«

» Bene! Und es soll mir lieb sein, wenn Du ihn nicht verläßt, bis er im Kahn sitzt und auf hohem Wasser ist. Fort denn! – Petrowitsch!«

Der Kammerdiener des Fürsten ergriff den Juden, der noch viele Worte machen wollte, am Arm und zog ihn mit sich fort, der Kosak trat näher.

»Du befiehlst, Herr?«

»Ich will lustig sein, lustig diese Nacht! Schaff Champagner her und Rum. Suche die Tunsa auf, die Teufelshexe und befiehl ihr, hierher zu kommen, bei meinem Zorn!«

»Und wenn sie sich weigert, Batuschka?«

»So schlepp' sie mit Gewalt hierher, sie ist meine Leibeigene, so gut wie Du! Ich habe sie gekauft, Seele und Leib.«

»Aber Klein-Gospodin, der Prinz, Durchlaucht, ich habe von den Weibern gehört, daß es schlecht mit ihm steht.«

»Der Teufel möge ihn holen, meinetwegen!«

Der Kosak beugte den Kopf, sein Herz hing sehr an dem Knaben, den er auf seinen Armen getragen, mit dem er so oft gespielt hatte.

Er wußte so viel von den Geheimnissen seines Gebieters, und dennoch war auch er diesem nur die willenlose Maschine.

»Wie steht's mit dem Schurken dort oben?« fragte der Fürst, der sich auf den Diwan geworfen und ihm die Füße entgegenstreckte, sie von den Stiefeln zu befreien. »Haben die Pflasterkasten mit ihren Zangen und Messern tüchtig in seinem Fleisch gewühlt?«

»Es ist gut mit ihm, Herr. Er hat den Schmerz ertragen wie ein Mann, und der Doktor mit dem braunen Gesicht ist jetzt bei ihm und hat die strengste Ruhe geboten.«

Der Russe lachte hämisch auf. »Die Ruhe soll ihm bald genug werden, einstweilen aber wollen wir uns hier nicht genieren. Ich wünschte sie hätten ihn in Stücke zerschnitten! Hat von den Weibern eine nach ihm gefragt?«

»Feodora ist zweimal hier gewesen.«

»Die Canaille! Es soll ihr vergolten werden! Gieb meinen Schlafrock her und das Nargileh; ich bin müde von der Fahrt und will eine Stunde ruhen. Wenn Matthieu kommt, führe ihn sogleich zu mir und um zehn oder elf Uhr die Dirne!«

Der Kosak erfüllte die Befehle seines Herrn und verließ dann das Gemach. Der Fürst lehnte sich in die Kissen des Diwans zurück und blies die blauen Wolken des Latakia von sich, während von Zeit zu Zeit ein tückisches Lachen sein Gesicht überflog.

» Tschort mienia wazmi! Ich möchte wohl dabei sein, wenn diese Weißröcke geklopft werden und die Franzosen über sie herfallen! Revanche für die Donau und für Sebastopol! Wenn die Nachrichten zeitig genug im Hauptquartier eintreffen, müssen sie auf allen Punkten geworfen werden bis hinter Verona, und dies Ufer ist übermorgen in den Händen der Verbündeten! Wie ich sie peinigen will mit jedem Wort, wie ich ihr stolzes Herz brechen will mit seiner Schmach!«

Die lichten Ringe des Rauchs wurden schwächer und schwächer, der golddurchwirkte seidene Schlauch des Nargileh glitt aus seiner Hand – – – – – – –


Rudolf Meißner stand in dem Salon des ersten Stocks vor Feodora.

»Ich habe Carlo zu Pferde nach Bardolino geschickt, um den Doktor zu holen. In anderthalb Stunden kann er hier sein. Wie steht es mit Dimitri?«

»Ich fürchte, schlimm! Er ist seit diesem Abend sehr verändert.«

»So lassen Sie den Doktor Achmet rufen, ich glaube, die Fürstin hätte besser gethan, ihm allein die Behandlung des Kindes anzuvertrauen. Wir wissen von Paris her, wie geschickt und aufmerksam er ist, und er sagte mir, daß er mit der Behandlung des Doktor Clementi in diesem Fall durchaus nicht einverstanden ist.«

»Sie hat ihm den Freund anvertraut!«

»Eben deshalb muß ich die Fürstin sprechen!«

»Es ist vergeblich, die Gospodina will niemand sehen, so lange das Leben des Kindes in Gefahr ist!«

»Sagen Sie ihr, es muß sein! Sie allein kann entscheiden, was geschehen soll. Es handelt sich um Tod und Leben.«

Das Mädchen starrte vor sich hin. »Du hast Recht, Freund, der Tod ist eingekehrt in dieses Haus! Es ist Zeit, daß es zu Ende kommt, die Mumeli-Swa ruft ihre Kinder!«

Der Sekretär hatte freundlich ihre Hand gefaßt. »Mut, Feodora! Was sollen die seltsamen Reden? Lassen Sie uns fest und ehrlich zusammenstehen, um unsere Gebieterin und Freundin zu schützen gegen ihren schlimmsten Feind, und sei es mit unserm Leben.«

»Mit unserm Leben!« Sie blickte ihn mit seltsamem Ausdruck an. »Du hast Recht, Rudolpho. Sie wollen die Fürstin sprechen?«

»Es muß sein; der Mann dort drüben« – er wies nach der Richtung des Turms – »hat einen so boshaften, schändlichen Anschlag vorbereitet, daß das größte Unglück daraus entstehen muß, wenn ihm nicht vorgebeugt wird.«

Die Augen der Zigeunerin funkelten wiederum unheimlich. »So sei es denn! Warten Sie hier! Und – – wenn Sie in Ihre Heimat schreiben, sagen Sie ihr, ihr, daß Tunsa immer an sie gedacht hat und auch in dieser Stunde!«

»Feodora!«

Die Zigeunerin trat ihm rasch nahe, er fühlte bestürzt, wie ihre Arme sich heftig um ihn schlangen und einen Augenblick ihr Haupt an seiner Brust ruhte, während ein wildes, krampfhaftes Schluchzen ihren ganzen Körper erbeben machte. Als er sich faßte von seiner Überraschung über den so seltsamen Ausbruch ihrer Leidenschaft und sich diesem sanft, aber fest entziehen wollte, war sie verschwunden.

Er war noch bewegt und in unruhigen Gedanken, als die Fürstin eintrat.

Sie war von einer erschreckenden Blässe und ihre großen schwarzen Augen lagen geisterhaft in dunklen Ringen. Sie trug noch das Kleid von dem Abend, an dem die Garibaldischen Alpenjäger den Angriff auf die Villa gemacht, und ihre schönen Haare hingen ungeordnet auf ihre Schultern nieder.

Sie ging langsam auf den Sekretär zu und blieb vor ihm stehen.

»Ich kenne Ihre Treue, Rudolpho,« sagte sie mit matter, leiser Stimme, »aber warum rufen Sie eine Mutter vom Sterbebett ihres Kindes?«

»Das wolle Gott verhüten! Der Zustand des Prinzen wird nicht so hoffnungslos sein. Ich werde sofort Doktor Achmet bitten, nachzusehen.«

Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. »Gott wird entscheiden,« sagte sie eintönig, »Gott ist gerecht und straft die Sünden! Was haben Sie mir zu sagen?«

»Die Operation an dem Arm des Grafen Batthyányi, Ihres Landsmanns und Verwandten, Durchlaucht, ist glücklich ausgeführt worden.«

Sie neigte das Haupt. »Ich habe es gehört!«

»Doktor Achmet bürgt für seine Herstellung, aber der Kranke bedarf der größten Schonung, und der Fürst …«

Sie sah ihn starr an. »Sprechen Sie frei! Ich weiß es nur zu gut, er haßt ihn. Aber hier bin ich Herrin, ich habe es teuer genug erkauft!«

»Ich weiß nicht, wie es dem Fürsten gelungen ist, aber er hat in Verona eine Ordre ausgewirkt, daß Graf Batthyányi als Hochverräter lebendig oder tot binnen vierundzwanzig Stunden in die Citadelle von Verona abgeliefert werden soll.«

Sie sah ihn erschrocken an. »In diesem Zustand?«

»Es ist nichts anderes als sein Todesurteil! Das habe ich mir selbst gesagt, und da der Fürst glücklicherweise so boshaft oder so unvorsichtig war, sich zu verraten und die Ordre in meine Hand zu legen, wenigstens versucht, Zeit zu gewinnen.«

Ein Strahl zuckte in ihrem Auge auf. »Sie haben sie vernichtet?«

»Das war unmöglich; ich mußte sie absenden nach Garda, ich wurde beobachtet. Aber es galt vor allem nur Zeit zu gewinnen; denn wenn die Ordre in die Hand des kommandierenden Offiziers kommt, so muß er gehorchen, Feldmarschallleutnant Urban ist seiner rücksichtslosen Strenge wegen bekannt.«

»Dann ist er verloren!«

»Nein; denn der Brief, den ich einem Boten gegeben, wird morgen erst spät – oder gar nicht an seine Adresse gelangen.«

»Wie? Der Bote …«

»Er ist morgen um diese Zeit weit von hier, und ich rechne auf ihn.«

»Wer ist es?«

»Der Slowak, der arme Kesselflicker, der vorgestern Abend die Nachricht von dem Überfall brachte. Er ist ein wackerer Mann und mehr als äußerer Stand ihn scheinen läßt. Er verehrt in Euer Durchlaucht die Tochter seines alten Gutsherrn.«

Die Fürstin hatte die Hände gefaltet und ihren Blick zum Danke erhoben. »Allmächtiger Gott! Deine Wege sind wunderbar! Aber wird der kurze Aufschub, denn ein solcher kann es nur sein, genügen?«

»Das nicht, aber er giebt uns wenigstens Zeit. Ich kenne nur ein Mittel, die strenge Ordre des Generals Urban und damit die Absicht des Fürsten zu vereiteln.«

»Welches?«

»Die Gnade des Kaisers. Euer Durchlaucht müssen diese morgen selbst erbitten für ihren Verwandten – der Kaiser wird sie sicher gewähren, wenn Sie persönlich darum anhalten. Das ist auch der einzige Weg, zeitig genug einen Gegenbefehl zu erlangen.«

Die Fürstin hatte sich auf einen Tisch gestützt, sie kämpfte sichtbar einen schweren Kampf in ihrem Innern. Meißner, obgleich von der innigsten Teilnahme für die unglückliche Frau durchdrungen, wagte doch nicht, sie mit einem Wort zu stören.

Endlich schien sie ihren Entschluß gefaßt zu haben. Sie reichte dem Sekretär die Hand.

»Ich danke Ihnen für Ihre Treue und Ihre Absicht,« sagte sie mit bewegter Stimme. »Lassen Sie uns auf Gottes Beistand hoffen für den Grafen, meinen Vetter! Aber der Platz einer Mutter ist am Krankenbett ihres Kindes. Gehen Sie, mein Freund, und bitten Sie im Namen einer angstvollen Mutter Doktor Achmet, so bald als möglich zu Dimitri zu kommen.«

Der Sekretär verbeugte sich schweigend und ging, er hatte es nicht vermocht, gegen diese heilige Entschließung ein Wort zu sagen.

Unten im Vestibüle begegnete er dem Kosaken Petrowitsch, der sich mit betrübter Miene nach dem Zustande des kleinen Gospodin erkundigte und deshalb Feodora zu sprechen verlangte.

Bald kam auch Doktor Achmet und eilte in das Krankenzimmer. Eine Stunde darauf trat der Hausarzt der Fürstin von Bardolino ein.

Es war dem Sekretär unmöglich, sich zur Ruhe zu legen. Er ging in seinem Zimmer im Kastell, das auf seine Einladung Doktor Achmet mit ihm teilte, unruhig auf und nieder, an die mannigfachen Vorfälle der letzten Tage denkend und voll Kummer und Besorgnis um das Schicksal der Personen, die ihm wert und teuer waren, hier der Fürstin, des Kindes und des Gefangenen, dort, im Angesicht des Feindes und in der Erwartung einer Schlacht der Freunde seiner Jugend, der Brüder des Wesens, dem noch immer seine Liebe gehörte.

Kurz vor Mitternacht endlich erschien der Arzt; sein Gesicht war ernst, ja kummervoll. Meißner eilte ihm besorgt entgegen.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen? Befindet sich der Knabe schlimmer?«

»Er ist vor einer halben Stunde gestorben; ich wußte es, als ich ihn diesen Abend sah – er war nicht mehr zu retten, aber die Ignoranz dieser italienischen Doktoren hat offenbar die traurige Katastrophe beschleunigt.«

»Mein Gott, welches Unglück! Und die Fürstin, die arme Frau, wie erträgt sie es?«

»Wie eine Christin – mit tiefem Schmerz, aber mit edler Fassung. Es muß ein Geheimnis mit dem armen Kinde verbunden sein, das sie so sehr geliebt, aber ich wünsche nicht hinter den Schleier zu blicken; sie hat der Leiden ohnehin genug. Ich bin bis jetzt bei ihr geblieben. Doktor Clementi ist nach seiner Wohnung zurückgekehrt. Auf Wunsch der Fürstin soll der Tod des Kindes bis zum Morgen verschwiegen bleiben. Sie hat um fünf Uhr ihren Wagen bestellt, ich weiß nicht, zu welchem Zweck.«

Es durchzuckte den Sekretär, er ahnte, was die Fürstin wollte. Gott hatte ihre Pflicht an dem Lager des Kindes gelöst, eine andere lag vor ihr.

»Und Feodora?« frug Meißner.

»Sie sitzt an der Leiche des Knaben und hat verlangt, daß man ihr die Wache während der Nacht überlasse. Niemand soll sie stören, selbst die unglückliche Mutter hat versprechen müssen, sich fern zu halten, und ich habe sie in diesem Verlangen unterstützt, denn die arme Frau bedarf dringend der Ruhe und Schonung, wenn sie nicht zusammenbrechen soll.«

Meißner drückte dem teilnehmenden menschenfreundlichen Arzt, der über dem Leid anderer die eigene Sorge vergaß, die Hand. Dann suchten beide ihr Lager, der Sekretär mit dem Entschluß, bei der Abfahrt der Fürstin zugegen zu sein.


Gegen zehn Uhr war Matthieu, der Kammerdiener des Fürsten, zurückgekehrt. Seinem Befehl gemäß führte ihn Petrowitsch sogleich zu ihm. Beide hatten eine lange Unterredung, und der Fürst war darauf sehr vergnügt und lustig. Er ließ Wein in Menge bringen, in dem Zimmer einen Tisch für zwei Personen decken und befahl dann seinem Kammerdiener, indem er ihm zwei Flaschen Champagner zuwarf, sich niederzulegen; Petrowitsch genüge, ihn weiter zu bedienen.

Es war elf Uhr geworden. Der Fürst lag, in seinen Schlafrock gehüllt, in seinem Lehnstuhl, und ließ, wie die Russen und Orientalen zu thun pflegen, die eine fortwährende Bewegung der Finger lieben, eine Schnurkugel, eine Art Rosenkranz, durch die Hände laufen. Die Farbe seines Gesichts bewies, daß er bereits stark getrunken hatte.

»Schenk' ein, Petrowitsch!«

Der Kosak goß gehorsam einen Kelch voll Champagner ein, zwei große Thränen rollten über die braunen Wangen des alten Burschen in seinen grauen Bart; der Fürst bemerkte es gar nicht.

» Jebi waschu mat! Warst Du drüben? Wo bleibt die Dirne?«

»Sie wird kommen, wasche swijatielswoDurchlaucht. Der Kosak brauchte die fremde, zeremoniösere Anrede, statt der gewöhnlichen vertraulichen Worte, die der Russe im Umgang selbst mit den Dienern so sehr liebt, und deren er sich sonst bediente.

Der Fürst lachte hämisch vor sich hin. »Hat sie sich willig gefügt, die tolle Katze? Sie ist doch sonst eigensinnig genug!«

»Sie hat mich angeschaut so groß, so groß mit den schwarzen Augen, als ich ihr gesagt Durchlauchts Befehl, daß es mir ging wie ein Messer durch die Seele. Dann hat sie gesagt, sie würde kommen, sobald sie könne, wenn alles still im Haus, freiwillig, aber Zwang ließe sie sich nimmer anthun!«

» Mierzawiec! Ein gemeines Schimpfwort. Ich will sie lehren! Wenn sie nicht in fünfzehn Minuten hier ist, will ich sie selber holen.«

»Thu's nicht, Gospodin,« bat der Kosak, »sie wird gewiß kommen. Wenn die Feodora etwas gesagt hat, so thut sie's, und wenn es ihr Leben kosten sollte!«

»Schenk ein, Durak! Dummkopf. – Was thun sie drüben?«

»Es ist alles still, Herr, nur in dem Schlafgemach der Gospodina ist noch Licht und in dem Zimmer der Feodora.«

»Sie soll sich eilen, oder – Tschort mienia wazmi – sie soll die Peitsche bekommen. Schenk' ein, Tölpel!«

Der Kosak füllte wiederum das Glas seines Herrn – wiederum rann eine Thräne in seinen Bart. Er hatte das Kind wirklich geliebt, den kleinen freundlichen Burschen mit den melancholische Augen, und trotz des Befehls der Fürstin flüsterte die Dienerschaft wenigstens, daß es bereits sein Leiden überstanden habe, und auch der Kosak hatte es gehört, ohne daß er wagte, seinem Herrn in dessen gegenwärtiger Laune die Trauerkunde zu sagen.

Die Stutzuhr unter dem Spiegel schlug Mitternacht. Der Fürst warf sich unwirsch auf seinem Stuhl umher und wollte eben dem Diener einen neuen Befehl erteilen, als man ein Klopfen an der äußeren Thür hörte.

»Das ist sie, Herr!«

»So öffne, Durak!«

Der Kosak ging hinaus, gleich darauf riß er die Thüre des Zimmers auf.

Der Fürst hatte sich behaglich zurückgelegt, sein spöttischer boshafter Blick war auf die Eintretende gerichtet.

Es war in der That Tunsa, die in der Thür erschien.

Ihr Haar war phantastisch aufgesteckt mit Band und Flittern, wie damals, als die vierzehnjährige Zigeunerdirne bei der Mägdeschau zu Telek sich unter die Töchter der Bauern drängte und das brutale Auge des Gourmands in Menschenfleisch auf sich zog. Aber die frische braune Farbe, durch die das Rot des pulsierenden Blutes auf den Schläfen und Wangen durchleuchtete, war verschwunden und hatte einer gespenstigen Blässe Platz gemacht, aus der die dunklen Ringe der Augen und ihr starrer Ausdruck um so unheimlicher abstach.

Das Mädchen war in einen weiten schwarzen Mantel gehüllt, unter dem sie mit beiden Armen eine schwere Last zu tragen schien.

Sie blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen und warf einen Blick umher.

»Nun, Dirne,« sagte der Fürst, »beliebt es Dir endlich, zu kommen? Du scheinst ganz vergessen zu haben, wer Du bist! Was hast Du da unter dem Mantel?«

»Mein Nachtzeug!«

Der Fürst lachte auf. »Wahrhaftig, mojë ditia, Mein Kind. ich sehe doch, daß Dir der Verstand noch nicht ganz davon gelaufen ist bei der Jammersippschaft da drüben. Du sollst lustig sein heute und trinken mit mir und tanzen und singen, denn der Teufel hat heute Festtag, rot angestrichen im Kalender, verdammt rot!«

Das Mädchen ging statt der Antwort nach dem Schlafkabinett, schlug die Portiere zurück und legte ihre Last in den Mantel gehüllt auf das Bett.

Dann trat sie in das Zimmer zurück und schritt zu dem Tisch, an dem der Fürst saß. Sie war in eines jener reichen, durch Schnitt und Farben phantastischen Gewänder gekleidet, der Tracht der spanischen Zinganas ähnlich, die der Fürst ihr in der ersten Zeit ihres Verhältnisses oder vielmehr ihres erbärmlichen Dienstes hatte machen lassen, um seine brutalen Launen an ihr zu reizen, bis sie später die Herrschaft über ihn selbst gewann und sich geschmacklos und überladen mit allem Tand der Pariser Moden zu behängen vorzog.

Die Zigeunerin war bis dicht an den Russen herangetreten, ihr linker Arm war in die Hüfte gestemmt, ein trotziger, höhnischer, unheimlicher Zug lag auf ihrem Gesicht.

»Du hast befohlen! da bin ich! Was willst Du, Fürst Dimitri Iwanowitsch?«

»Was ich will, Närrin? Du sollst diese Nacht bei mir bleiben und mir wieder einmal die Zeit vertreiben. Ich bin lustig heute, und Du sollst mir helfen dabei!«

Sie wies nach dem Kosaken. »Schick' den da fort!«

»Warum? er soll uns bedienen!«

»Tunsa wird Dich bedienen, Dimitri Iwanowitsch. Ich denke, es wird Dir angenehmer sein!«

»Meinetwegen! Du hörst es, so pack' Dich!«

Die Zigeunerin ging auf den Kosaken zu, der an der Thür zögerte. Sie reichte ihm die Hand. »Geh immerhin, Väterchen,« sagte sie, »und lege Dich aufs Ohr. Es wird morgen ein schlimmer Tag sein für Dich. Wir brauchen nichts weiter. Lebe wohl, Petrowitsch!«

Sie drückte ihm die Hand, fest, herzlich, so daß es dem Kosaken auffiel, und schob ihn zur Thür hinaus, die sie hinter ihm verschloß.

»Warum verriegelst Du die Thür?« fragte der Fürst.

»Ei Dimitri Iwanowitsch, ich denke, wir wollen allein sein!«

»Das ist wahr! komm', setz' Dich zu mir und schenk' uns ein!«

»Gleich, Herr, ich will Dir's zuvor nur bequem machen!« Sie sprang wie eine wilde Katze behend umher, ordnete den Tisch vor ihm, holte Kissen herbei, um sie ihm unter die Füße zu schieben und im Stuhl zurecht zu legen und brachte das Nargileh, das sie füllte und anrauchte, indem sie ihm dann aus ihren Lippen die dicke Spitze von weißlichem Bernstein reichte.

»Will mein Väterchen die Kugeln, die ihn zum Herrn des Paradieses machen?«

»Wetterhexe! – aber nicht zu viel! Ich will frisch bleiben heute Nacht und brauche morgen meine Gedanken. Der Teufel soll mich holen, wenn es nicht ein lustiger Tag wird, Dirne!«

Sie hatte aus seiner silbernen Reise-Toilette eine kleine vergoldete Büchse genommen und schüttete daraus drei kleine Kugeln von einer grünlichen undurchsichtigen Masse in ihre hohle Hand. Indem sie sich umwandte, ließ sie jedoch die Kugeln aus der Büchse fallen und vertauschte sie geschickt mit drei ähnlichen, die sie aus der Tasche ihres Kleides holte. Dann nahm sie eine derselben zwischen die Fingerspitzen, zeigte sie dem Fürsten und legte sie auf die glühende Kohle, welche den Tabak des Nargileh in Brand setzte. Dabei ließ sie geschickt die beiden andern zwischen das Kraut gleiten, während sie vor ihm kniete.

»Hast Du etwas Besonderes vor morgen, Batuschka, daß Du Dich darauf freust?« fragte sie, die Kohle anblasend. »Ich wette, Du willst der Fürstin, Deiner Frau, ein schönes Geschenk für den Schreck von vorgestern machen!«

Der Fürst mußte recht hämisch auflachen.

»Ein Geschenk? ja wahrhaftig, Dirne, Du hast es getroffen! ich will ihr ein Geschenk machen.«

»Das ist recht von Dir, Dimitri Iwanowitsch. Ich weiß, Du liebst sie so sehr und sie liebt Dich auch, wie es einer treuen und zärtlichen Frau zukommt!«

»Natter! willst Du die Peitsche haben?« Er stieß mit dem Fuß nach ihr, fuhr aber im nächsten Augenblick stöhnend mit der Hand darnach, da er sich dabei schmerzlich gestoßen.

»Siehst Du, Dimitri Iwanowitsch, sagte die Zigeunerin spöttisch, indem sie sich erhob, »ich habe es Dir immer gesagt, Du mußt nicht so ungestüm mit Deiner Liebe sein. Wer ein solches Unglück hat wie Du, muß hübsch sanft und gefällig bleiben, wenn er den Weibern gefallen will!«

» Blad! Mierzawiec! willst Du mich verhöhnen?« Er griff nach seinem Stock und wollte sich erbost vom Stuhl erheben.

Sie kam ihm zuvor und sprang wie eine Katze lachend auf ihn zu. »Ruhig, ruhig, Batuschka, wer wird gleich so wild sein! Wir wollen ja lustig sein heute Abend! Trink, Dimitri Iwanowitsch, und laß Dein Nargileh nicht ausgehen!«

Sie hatte den Arm um ihn geschlungen und zog ihn zurück in den Sessel, sie kraute ihm den Bart und reichte ihm den Champagnerkelch. Dann hob sie das Rohr des Nargileh wieder auf, nahm die Spitze zwischen die Lippen und steckte sie ihm dann in den Mund.

»Teufelsdirne! Du wirst mich noch einmal toll machen und dann wehe Dir! Halt' Deine giftige Zunge im Zaum, setz' Dich hierher auf meinen Schoß und küsse mich!«

Er bemerkte nicht, wie sie im Schatten hinter ihm zusammenschauerte, noch den unheimlichen Blick, den sie auf ihn warf. Aber sie setzte sich auf seinen Schoß, sie schlang den Arm um seinen Hals und drückte ihren Mund auf seine breiten Lippen, lange, lange, während seine Hände gierig ihr Seidenmieder aufrissen und an ihrem Busen tasteten.

Dann riß sie sich plötzlich los und sprang empor, indem sie zugleich den am Sessel des Fürsten lehnenden Stock mit der Fußspitze in einen Winkel schleuderte.

»Weg mit dem da! es könnte Dir einfallen, mich zu schlagen, und ich würde Dir die Augen auskratzen dafür! Trink, Batuschka, und erzähle mir, wie Du Dich morgen freuen wirst!«

Sie hatte ein Kissen herbeigezogen und sich zu seinen Füßen gesetzt. Dann begann sie ihre langen, schwarzen Flechten aufzulösen und sie regellos um den Kopf und ihre entblößten Schultern zu werfen.

Der Fürst stürzte einen Kelch Champagner hinunter, die roten Flecken auf seinem Gesicht wurden größer und größer, seine matten Augen begannen einen eigentümlichen stieren Glanz anzunehmen.

Sie lehnte ihre Arme auf seine Kniee und stützte ihr Gesicht auf sie, während seine Hand in ihren Haaren wühlte.

»Also es ist ein roter Tag für Dich morgen, oder vielmehr heute, Batuschka?«

»Ha, ha, rot genug! Wenn die Sonne aufgeht, wird sie sich im Blut spiegeln. Schade, daß wir nicht dabei sein können!«

»Wie, Batuschka? Es wird eine Schlacht geben?«

»Wenn Deine kleinen Ohren zwanzig Miglien reichten, würdest Du den Donner der Kanonen hören! Ich wünschte nur, sie schnitten sich gegenseitig die Hände ab. Nun, was ich dazu thun konnte, ist geschehen!«

»Trink, Fürst, Du vergißt Dein Nargileh ganz! Und ist die Schlacht zwischen den Österreichern und Franzosen das Geschenk, das Du der Fürstin machen willst?«

» Durak! ich habe was Besseres!«

»So sage es mir, damit ich mit Dir mich freuen kann. Ich habe Dir auch ein Geschenk zu machen!«

»Wetterhexe! Du sollst das schönste Kleid haben, was ich in Paris kaufen kann. Die Dirnen dort sind nicht halb so lustig und feurig wie Du! ich habe mich ordentlich gesehnt nach Dir. Komm' her, Tollkopf, und küsse mich!«

»Nachher, Dimitri Iwanowitsch! Jetzt sage mir, was Du der Fürstin, Deiner Frau, schenken willst?«

»Den Teufel ist sie meine Frau! Du weißt's am besten, nichtswürdige Kupplerin! Hast Du dem Satan, der niemals sterben will, nicht mit vom Galgen geholfen? Ihr Weiber steckt alle unter einer Decke, wenn es gilt, die Männer zu betrügen!«

Sie lachte spöttisch auf. »Es würde sich auch der Mühe lohnen bei Dir!«

»Hexe! Ich lasse Dir die Knute geben!«

Sie zuckte die Achseln. »Der Wein spricht aus Dir, Batuschka! Komm, trink und dann vergiß das Rauchen nicht!« – Sie zündete aufs neue den Tabak an und steckte nochmals zwei jener Kügelchen dazwischen.

Der Fürst unterlag offenbar schon dem Einfluß des Getränks; aber während die Geister des Weins seinen Geist aufregten, schien ein anderer Einfluß eine entgegengesetzte Wirkung auf seine Glieder auszuüben. Seine Zunge wurde schwer, die Hand sank, wenn sie sich erhob, um nach dem Glase zu greifen, mehr als einmal kraftlos nieder.

Feodora nahm das Glas und hielt es ihm an die Lippen.

»Trink, Väterchen, und vergiß das Rauchen nicht! Nun sprich, Dimitri Iwanowitsch, was willst Du der Fürstin, Deiner geliebten Gemahlin, schenken?«

»Einen toten Liebhaber, Närrin! Wenn der Morgen kommt, werden sie ihn holen und in Ketten nach Verona schleppen, tot oder lebendig – es ist gleich! Fort muß er, und der Schurke von Doktor, der brave Bursche, hat geschworen, daß er krepieren müßte, wenn sie ihn morgen fortbringen! Ich hab's ihm besorgt und will Euch alle zur Hölle schicken, die Ihr im Komplott gegen mich seid!«

Er hatte die giftigen Worte stockend, schwer, mit wiederholten Unterbrechungen gesprochen. Seine Stirn war kupferrot, das Blut schien ihm in die Schläfe zu steigen.

»Gieb mir Wasser, Dirne, Wasser!«

»Nicht doch, Väterchen, pfui, Du bist ja ein Fürst! Wer wird Wasser trinken, das ist für die Zigeuner und Slowaken gut! Champagner, Väterchen, und vergiß das Rauchen nicht!«

Sie goß aus einer Flasche Rum in den neu gefüllten Champagnerkelch und hielt ihm das schreckliche Getränk an die Lippen. Er sog es ein. Seine Augen begannen hervor zu quellen, der Blick wurde immer stierer.

Wiederum beugte sie sich zu dem Nargileh, wiederum warf sie eines der geheimnisvollen Kügelchen in den glimmenden Tabak und steckte ihm die seiner Hand entfallene Spitze in den Mund.

Er that zwei, drei Züge, dann ließ er sie von neuem fallen.

»Feodora! Dirne! nichtswürdige Vettel! bring' mich zu Bett! Rufe den – Petrowitsch – mir ist – so schwer!«

»Der Petrowitsch schläft, Väterchen, Tunsa wird Deine Kammerfrau sein. Dann kommt sie zu Dir ins Bett, Väterchen, und will lustig mit Dir sein, so lustig, daß der Großherr im Serail ein Eunuch dagegen ist!«

Seine Augen sprühten auf bei dem schändlichen Hohn, aber im nächsten Moment schon wieder nahmen sie den starren Ausdruck an. Nur sein Mund lallte eine Verwünschung.

»Gleich, geliebter Fürst, will ich unser Brautbett bereiten. Ich will Dir nur mein Geschenk zuvor geben, den Verlobungsring.«

Sie zog eine dünne seidene Schnur hervor, an der ein einfacher silberner Reif hing. Sie zerriß die Schnur und steckte den Ring an einen Finger des Fürsten, der, kraftlos zum Widerstande, es geschehen ließ. Eine immer schwerere Lethargie schien sich seines Körpers zu bemächtigen.

»So, Dimitri Iwanowitsch, bist Du doch der Vater zu Deinem Kinde! Und nun warte einen Augenblick!« Sie verschwand rasch hinter der Portiere, machte sich mit dem niederen Bett zu schaffen, und kam dann wieder hervor, indem sie den Vorhang zur Seite hing. »So, Gospodin, unser Hochzeitsbett ist bereit! trink, Batuschka, vielleicht wirst Du wieder ein Mann!«

Sie hielt nochmals das höllische Getränk an seine Lippen, aber er sprudelte es halb von sich.

»Es ist Zeit – komm'!«

Sie hob ihn mit einer Riesenkraft, wie man sie gar nicht in diesem kleinen zierlichen Körper für möglich gehalten hätte, empor und schleppte ihn mehr als er ging, da er nur schwerfällig die Füße bewegte, nach dem breiten Bett, auf das sie ihn niederließ. Dann ordnete sie sorgfältig sein Lager, legte die Füße zurecht, schob ihm ein Kissen unter den Kopf und zog die seidene Decke über seinen willenlosen Körper.

Es war als ob ein Schauer ihn durchlief, die starren Augen wandten sich nach ihr, der Mund öffnete sich wiederholt zum Sprechen.

»Da – neben mir – was ist das – so kalt – –«

»O nichts, Dimitri Iwanowitsch! Du sollst doch nicht allein liegen, bis ich zu Dir kommen kann. Es ist einstweilen nur Dein Kind, das Du erschossen hast und das vor zwei Stunden gestorben ist.«

Sie holte das Licht vom Tisch, schlug die Decke zurück und leuchtete gleichgültig hinüber.

Es war in der That der arme Knabe in seinem weißen, blutbefleckten Röckchen, der hier lag – tot und starr, das junge, in Sünde geborene Leben gebrochen, vernichtet von dem, der sein Dasein mit einem Verbrechen erzwungen!

Der Fürst versuchte sich aus dem Bett zu wälzen, aber er vermochte es nicht; seine Augen hatten in ihrer Starre einen gräßlichen Ausdruck, die Zunge lallte unverständliche Worte.

Die Zigeunerin lachte unheimlich auf, dann stellte sie den Leuchter auf den Nachttisch zur Seite, daß die Kerzen die beiden Schläfer, den lebendigen und den toten, beleuchteten, und setzte sich auf ein Tabouret zu den Füßen des Bettes.

»Fürst Dimitri Iwanowitsch,« sagte sie langsam, »die Stunde, da wir beide den Weg in das Nichts antreten, ist gekommen. Ich habe mit Dir zu reden! Höre!«

Wie sie so dasaß, zusammengekauert in dem bunten, zerrissenen Kleide mit dem blassen, hohlen Gesicht, das fast so starr war, wie das der beiden Schläfer im Bett, und die langen schwarzen Strähnen ihrer Haare durch die Finger gleiten ließ, glich sie einem der unheimlichen Nachtgespenster, dem Grabe entstiegen, um das Herzblut der Lebendigen zu saugen, von denen die finsteren Sagen ihrer Heimat erzählen.

»Die Mumeli-Swa hat mich gerufen,« fuhr sie eintönig fort, »meine Zeit ist um! Aber ich wollte nicht allein gehen, und da Du Seele und Leib des wilden Zigeunerkindes verdorben, Dimitri Iwanowitsch, als es lüstern und eitel in Lumpen durch die Heide sprang, bis alle bösen Geister in ihm lebendig und mächtig geworden, so ist es billig, daß Du mit mir gehst. Das Leben Tunsas ist unnütz auf der Welt und hindert andere an ihrem Glück, das Deine gleichfalls. Wenn Dimitri Iwanowitsch Trubetzkoi in seinem Grabe liegt, kann Cäcilie Pálffy noch glücklich sein!«

Man konnte an den arbeitenden Gesichtsmuskeln, an dem Zittern des Körpers sehen, daß der Fürst eine furchtbare Anstrengung machte, die Bande der seltsamen Regungslosigkeit zu durchbrechen, die immer schwerer sich um ihn schlangen, aber es war vergebens.

Die Zigeunerin lächelte spöttisch.

»Gieb Dir keine Mühe, Dimitri Iwanowitsch,« sagte sie, »das Opium, das Mumeli-Swa geknetet, ist gut! Höre mich an, denn meine Zeit ist kurz und nicht so lang als die Deine. Damit Du weißt, was Dich erwartet, will ich es Dir sagen!«

Sie stützte einige Augenblicke den Kopf auf die Hand und sah finster vor sich hin. Dann, als habe sie ein Gefühl in ihrem Innern überwunden, fuhr sie eintönig fort:

»Wenn ein Mitglied der Schwarzen Benennung der Zigeuner. fühlt, daß seine Zeit nahe ist, wo es in das ewige Nichts zurückkehren soll, ohne daß die Blanken das Ziel seines Lebens gewaltsam herbeigeführt, dann tragen die Seinen es in die Heide, wo sie am stillsten ist, damit es dort sterben mag, und geben ihm die Pfeife der Träume. Fürst Dimitri Iwanowitsch, Du hast sie oft geraucht, um Dich in wilde böse Lust zu stürzen, wie die Moslems thun, denen sie das Paradies öffnet, und die Houris um sie versammelt. Aber es ist ein Geheimnis der weisen Frauen unseres Volkes, daß sie das Opium des Todes kneten läßt anders und besser, als das berauschende Gift des Moslem, mit den geheimen Kräutern der Heide, auf denen der giftige Tau des Sumpfes liegt! Das Opium der weisen Frauen erstarrt die Glieder und stockt das Blut, damit nicht der Schmerz des Körpers den scheidenden Geist belästigt, indem er in das All zerfließt. Die Blanken halten den Körper dann längst für tot und gestorben, weil er kalt und starr, indes die Seele noch in ihm wohnt und sich vorbereitet auf das große Zerfließen in das Nichts. Für die Guten ist diese Zeit der Erinnerung der Seele in dem toten Körper die Zeit der Ruhe, des Glücks, für die Bösen die Zeit der Strafe. Fürst Dimitri Iwanowitsch, Du hast von dem Kraut der Mumeli-Swa genossen; in wenigen Stunden werden die Deinen Deinen Leib tot finden, daß selbst ein Messer, in Dein böses Herz gestoßen, nicht ein Zucken der Nerven hervorrufen würde, aber Dein Geist wird leben, hören und fühlen alles, was um Dich her vorgeht, und denken und sich erinnern, bis er sich auflöst in das Nichts.«

Wiederum zuckte es über das Gesicht des Mannes bei der Ankündigung des furchtbaren Schicksals. Die Adern auf seiner Stirn, an seinem Hals schwollen blau empor, als wollten sie bersten.

»Wenn die große Scheidung vollendet,« fuhr die Zigeunerin fort, »begraben die blanken Leute ihre Toten in den Schoß der Erde, aber die Romi Ein anderer Name der Zigeuner. lassen sie den Winden. Ehe dreimal die Nacht und der Tag gewechselt, wird alles vorüber sein!«

Wieder schwieg das Mädchen und stützte den Kopf in die Hand.

»Du warst einer der Reichen der Erde,« sprach sie dann weiter, »und ich ein armes Kind der Heide mit wildem Blut. Fluch über mich, daß ich Dir gefolgt bin. Der Nebel vor meinen Augen ist geschwunden in der Stunde des Todes, dort seh ich die Ältermutter meines Stammes, die ich verleugnete, und höre die Hußta meines Erzeugers, wie sie die Tochter rief, ehe die bösen Männer ihn von der Zinne des Turmes warfen. Die schlimme Saat, die Du pflegtest in meinem Herzen, hat gewuchert und viel des Unheils ist daraus entstanden, bis ein besserer Geist ist gekommen über die Tochter der Mellelitschehl! Desgleichen. Aber noch sind die finstern Geister mächtig in ihr, und Tunsa ringt vergeblich mit ihnen. Deshalb ist es besser, sie kehrt in das Nichts zurück, und Du sollst ihr folgen.«

Sie erhob sich und trat an das Bett.

»Dimitri Iwanowitsch,« sagte sie, »die Stunde ist da. Deine letzten Gedanken sollen Dir sagen, daß all Deine Bosheit an Dir selbst zu nichts geworden! Der Same des Verachtetsten aus dem Volk hat Deiner Gattin Bett befleckt, denn als Du ihr, die Deinen Namen trägt, ohne Dein Weib zu sein, damals die Wahl gestellt, Deinem Stamm einen Erben zu geben, oder mit Dir zu leben, hat sie den Ärmsten ihres Volkes gewählt, den verachteten Slowaken, zum Vater ihres Kindes! Du selbst hast die Kette gelöst, die Cäcilie Pálffy von dem Manne ihres Herzens schied, indem Du dies Kind ermordet! Deine Bosheit ist zunichte geworden; Matthias, der Slowak, ohne es zu ahnen, der Vater Deines Kindes, hat den Brief vernichtet, der Deinem Feinde den Tod bringen sollte. Wenn die Sonne über die Berge steigt, eilt die Fürstin nach Verona, für die Freiheit und Sicherheit ihres Verwandten zu sorgen, indes Du hier tot und machtlos liegst, alle Dämonen der Finsternis in Deiner Seele auf dem Wege zum Nichts, während die Geister des Lichts gesiegt! Die Gabe meines Volkes ist über mir, mein Auge schaut in die Zukunft und schaut ihr Glück – freundlich und still, geläutert durch das Unglück ihrer Vergangenheit! Da auf der Terrasse seh' ich sie stehen Hand in Hand – im Kreis treuer Freunde – Rodolfo, Rosamunde, und der blaue Himmel ist über ihnen, indes Astaroth, der Engel der Vernichtung uns drei in seinen schwarzen Schleier hüllt. Lebewohl, Dimitri Iwanowitsch! Der Aldebaran fordert sein Kind!«

Sie beugte sich über ihn hinweg und küßte die Stirn des toten Knaben. Dann löschte sie, ohne einen Blick zurückzuwenden auf den Mann, den sie dem furchtbarsten Todeskampf überließ, die Lampe und schritt durch das Zimmer.

Leise öffnete sie das Fenster, das hinausführte nach dem Balkon, knüpfte an die Eisenstäbe die seidene Schärpe, die ihre Hüften umschlungen und schwang sich über die Balustrade.

Im nächsten Augenblick stand sie auf der Terrasse am See.

Es war finster ringsum, die Gebäude der Villa Elena lagen in tiefem Schatten, nur aus dem zweiten Stockwerk des Veroneser Turms schimmerte ein einsames Licht. Der deutsche Diener des Sekretärs hatte dort in dieser Nacht die Wache bei dem Kranken.

Es fröstelte das Mädchen, und sie hatte keine Hülle, sie um sich zu ziehen. Wozu auch? in wenig Minuten war ja doch alles vorüber, die Vernichtung, das ewige Nichts!

Von dem Turm her klangen die eintönigen Schritte der Schildwache, die dort ihren einförmigen kurzen Gang machte vor dem Eingang, der zu den Gefangenen, jetzt auch zu den Toten, führte.

Die Zigeunerin huschte die Terrasse entlang zwischen den Weinreben und den Rosen bis zu dem Kastell.

Alles war dunkel dort, kein Fenster erleuchtet! sie schliefen den Schlaf der Gerechten!

Die Zigeunerin suchte umher, eine Anzahl Steine, die sie zusammen häufte.

Die Arbeit war gethan, die letzte im Leben! sie nahm die Steine, schürzte das bunte Seidengewand, das sie trug, in die Höhe und knotete die Steine hinein. Dann nahm sie den Shawl von ihren Schultern und füllte ihn ebenfalls mit Steinen.

Das alles geschah so ruhig, so sicher, so überlegt, daß das Blut in den Adern hätte erschauern müssen!

Als sie den Shawl mit der schweren Last auf den Rand der Ballustrade gelehnt, welche die Terrasse von dem schroffen Abfall der Felsen hinunter zum See schied, schien es, als wolle sie abschließen mit dem Irdischen, nach dem traurigen Glauben ihres Volkes auch mit der Ewigkeit.

Sie saß auf den Steinen, die Hände gefaltet, das Auge zu dem Fenster erhoben, das so dunkel über ihr lag, sie wußte ja, dort lag er, den sie allein geliebt im Leben mit aller wilden Glut ihres Herzens, in ruhigem Schlummer.

Finster und still war alles umher!

Sie lehnte die bleiche Stirn an die mächtigen Grundmauern des Kastells, sie weinte bitterlich!

»Weißer Christ! weißer Christ! Deine Lehre ist Liebe, warum mußte diese allein mir fehlen, auf daß ich nicht verworfen wäre, die arme Zigeunerin, sondern lebte mit Deinen Gläubigen das ewige Leben, für das Du am Kreuze gestorben bist!«

Ihre Thränen befluteten die kalten Steine, die Hände rangen sich empor – o wie sehnte sich diese Seele, der Vernichtung geweiht, nach der Rettung des in Wahrheit selig machenden Glaubens.

Aber die Steine blieben feucht und kalt, das Fenster da oben dunkel; für sie, die verachtete Zigeunerin, die keinen Wert hatte in der menschlichen Gesellschaft, als durch die geile Wollust ihres Körpers, gab es keinen versöhnenden Glauben!

Sie sprang empor. Noch einen Blick warf sie zum Fenster, hinter dem der Mann ihrer Liebe schlief, dessen Wort sie gut und glücklich, sie hätte zur wahren Christin machen können – alles dunkel, alles still. Kein Laut für sie!

Sie schlang den Shawl mit der Steinlast um den Hals, mit entsetzlicher Ruhe befestigte sie ihn um ihren Körper.

»Rodolfo! Cäcilia! Euer Gott sei mit Euch! Vater, Dein Kind folgt Dir in das ewige Vergessen!«

Die Stelle auf der Rampe war leer, die Fluten des Sees rauschten auf, ein dunkler Fleck, dann flossen die Wellen im Sternenglanz darüber, und Kreise rundeten sich immer weiter und weiter.



 << zurück weiter >>