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Die kleinern italienischen Städte und Flecken sind abscheuliche Nester mit einer prächtigen Dekoration von Weinreben, Akazien, baufälligen Balkons und schlumpiger Bevölkerung. Garlasco ist nicht besser als der allgemeine Typus, vielleicht noch etwas schlechter.
In Garlasco hatte der Feldzeugmeister jetzt sein Hauptquartier genommen; die Regiments-Musiken spielten Mittags und Abends auf dem sogenannten Marktplatz, und der Champagnerkeller des Oberbefehlshabers wurde stark in Angriff genommen. Von dem Feinde dagegen wußte man seit dem Treffen bei Montebello herzlich wenig.
Man stand noch immer in der Lomellina, auf dem linken Ufer des Po zwischen der Sesia und dem Ticino, aber der Feldzeugmeister hatte mit dem Rückgang über die Sesia und der blutigen Recognoscirung auf dem rechten Po-Ufer jeden Gedanken an eine weitere Offensive aufgegeben und der franko-sardischen Armee alle Zeit gelassen, ihre Aufstellungen zu vollenden. Er hatte den rechten Flügel, der früher bis zum Comer See hinauf Mailand deckte, wieder möglichst entblößt und seine Hauptstärke zwischen Mortara und Pavia concentrirt. Nur so viel wußte man, daß der Kaiser Napoleon, der bald nach seinem Eintreffen in Alessandria (am 14. Mai) den Oberbefehl über die verbündeten Armeen übernommen, noch sein Hauptquartier in der Festung hatte.
Dieser Unthätigkeit und Unentschlossenheit des oesterreichischen Oberbefehlshabers gegenüber bereitete der Kaiser die Offensive vor. Aber der Feldzeugmeister blieb darüber in der vollsten Unkenntniß, oder wurde von den Spionen getäuscht. Kurz vor Beginn der Bewegung der Franzosen, am 26sten, war ein österreichischer Parlamentair in der Nähe von Bassignana (links von Valenza am Po) eingetroffen, unter dem Vorwand, Nachrichten über einige bei Montebello vermißte Offiziere einzuholen und anzufragen, ob es gestattet sei, Bauern zurückzuschicken, die mit ihren Gespannen noch seit der Fouragirung von Tortona bei der Armee waren. Die gewünschte Auskunft wurde auf's Höflichste von den Franzosen ertheilt, dagegen verbaten sie sich sehr bestimmt alle weitere Kommunikation mit ihrem – dem rechten – Po-Ufer.
Wir nehmen am Spät-Nachmittag des 29. Mai die Darstellung der näheren Scenen wieder auf. Der kleine Marktplatz von Garlasco bot ein überaus lebendiges Bild. Offiziere und Soldaten aller Truppengattungen bewegten sich auf dem Platz, standen und saßen in Gruppen umher an den aufgehäuften Bagagestücken oder Feldwagen, Schildwachen standen bei den Geschützen und Karren, Marketenderinnen hatten ihre fliegenden Buden aufgeschlagen, viele Bewohner des Fleckens trieben sich unter den Soldaten umher, da der Eigennutz den Haß gegen die Tedeschi überwog, dabei immer die Ohren gespitzt auf jedes Wort, auf jede Nachricht, um sie auf hundert verborgenen Wegen zum Feinde zu schaffen; ein Trupp Bauern plagte einen obern Offizier mit Klagen um ihre Gespanne und Streitigkeiten um die Zahlung; Stabsoffiziere drängten sich durch die Menge, Ordonnanzen für das Hauptquartier kamen und gingen jeden Augenblick und vor der Kapelle eines Infanterie-Regiments, die auf der Mitte des Platzes sich aufgestellt hatte und Märsche und Tänze spielte, hatte sich ein Kreis gebildet, in dem muntere Burschen vom Palatinal-Huszaren-Regiment Graf Haller von Hallerkeö in ihren lichtblauen Attilas und weißen Csakos mit lustigen Sprüngen den Csikos tanzten.
Die Spekulation der Lombarden hatte aus den meisten Parterres mit ihren Laubengängen um den Platz her Caféhäuser und Restaurationen zum großen Aerger der beiden privilegirten Schänken gemacht, die seit Jahren dort Haus gehalten und sich jetzt durch die patriotische Gesinnung ihrer Nachbarn mit den riesengroßen Vatermördern und der schmutzigen Serviette um die Hüfte in ihrem Verdienst beeinträchtigt glaubten. Indeß war der Verkehr so lebendig und der Zuspruch überall so zahlreich, daß Jeder bei der unverschämten Prellerei der Preise seinen Vortheil fand.
Bis jetzt war die Verpflegung der Truppen, da man nicht auf die Armeelieferanten angewiesen war und in der Lomellina requirirte, ziemlich gut, nur der Wein begann zu mangeln.
Das merkte man freilich nicht an den Kreisen der Offiziere, von denen die meisten Geld genug hatten, um sich die Spitzbübereien der Wirthe gefallen zu lassen. Ueberall unter den Lauben und vor den Thüren waren Tische aufgestellt und saßen Offiziere und Soldaten. Die vielen bunten Monturen, das Braun der Gränzer-Regimenter und Artillerie, die weißen Waffenröcke der Grenadiere, die prächtigen Uniformen der Stabsoffiziere, das Grau der Jäger und Pioniere unter dem nach langem Regenwetter endlich wieder in seinem vollen Azur prangenden italienischen Himmel gaben ein wirklich prächtiges Bild. Kaum daß, mit dem Leichtsinn und der Gleichgültigkeit des Soldaten, Einige daran dachten, welche schwarzen Schatten des Grabes hinter dem lichten Bilde lauerten.
So bunt und bewegt dasselbe übrigens auch war, mit Ausnahme einiger der lautesten Gruppen machte sich doch in fast allen eine gewisse Abspannung, ein leiser Mißmuth in allerlei Zügen bemerklich. Die gewöhnliche leichtherzige, militairische Prahlerei, der Uebermuth, der nur von Vorwärtsbringen und Siegen träumt, fehlte; ernste nachdenkliche Gesichter zeigten sich überall, in den Kreisen der Offiziere wurde mit halber Stimme lebhaft debattirt und hin und wieder machte sich ganz offen eine mißbilligende ärgerliche Aeußerung Luft.
An einem Tisch unter den Lauben saßen mehre Offiziere, Haller Husaren, vom Ulanen-Regiment Sicilien, von Cüloz-Infanterie und vom dritten Jäger-Bataillon, dazwischen ein Offizier vom vierzehnten in lebhaftem Gespräch.
»Ihr wißt, daß wir erst gestern in Mailand angekommen sind,« sagte der letztere – »von der Affaire also noch höllisch wenig wissen. Uebrigens ein teufelmäßiger Marsch. Vor vier Tagen noch in Böhmen und heute am Po vor dem Feind. Wir glaubten Euch übrigens längst auf dem andern Ufer.«
»Der Versuch hat mit den Vermißten fast 1300 Mann gekostet,« sagte einer der Ulanen – »ich habe heute die Verlustliste gesehen. Darunter 41 Offiziere – drei Stabsoffiziere sind geblieben.«
»General Braun ist verwundet?«
»Ja – zum Glück nicht schwer. Wir zählen im Ganzen dreihundert Todte, aber die Franzosen haben sicher keinen minderen Verlust, namentlich an Offizieren. General Beuvet fiel an dem Kirchhof von Montebello und der wackere Prokosch räumte nicht schlecht mit seinen Kartätschen unter den Sturmkolonnen auf, als wir auf der Chaussee zurückgedrängt wurden. Er sparte sein Feuer bis auf dreihundert Schritt. Auch Ihr Jäger habt vortrefflich geschossen.«
»Richtig, Isser,« sagte der Lieutenant vom Corps Clam Gallas – »Sie sollen ja eine besondere Affaire gehabt haben mit Cavallerie?«
»Bah – nicht viel! Chevauxlegers vom sardinischen Regiment Novara attakirten meine Abtheilung, aber wir schickten die Blauröcke mit blutigen Köpfen zurück. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben,« fuhr der wackere Oberlieutenant fort – »auch die Infanterie hat sich sehr gut bewährt trotz der neuen Gewehre. Dort der Bursche von Rainer59. Infant.-Reg. (Salzburg) Erzherzog Rainer, schon 1682 errichtet. – ich glaube, Thalhammer heißt er« – er wies nach einer Gruppe Soldaten, – »schoß dicht vor der französischen Tirailleurkette einen ihrer Stabsoffiziere vom Pferde.«
»Die Rainer haben sich vortrefflich geschlagen,« erklärte ein Hauptmann von Culoz-Infanterie. »Lieutenant Colny, selbst schon verwundet, rettete noch seinen Major, den Grafen von Welsersheim. Aber ich meine, auch unsere Leute haben sich wacker gehalten.«
Man bestätigte es von allen Seiten und nannte verschiedene Namen von Offizieren.
»Mit dem Allen,« sagte der Unterlieutenant von den vierzehnten Jägern, »erfahre ich nur Einzelnes von Euren Heldenthaten. Aber zum Henker, wir kommen frisch aus Böhmen und ich möchte gern etwas Ganzes über das Treffen haben. Da Sie alle dabei gewesen sind, werden Sie mir doch wohl ein Bild davon geben können. Erzählen Sie, Graf Hardenberg.«
Der Rittmeister lachte. Lieber Ehrenburg,« sagte er, »wir Husaren haben zwar die Attake begonnen und verfolgten den Feind nach Genestrello, aber einen ordentlichen Schlachtbericht kann ich Ihnen schwerlich geben, da ich bald darauf zum Prinzen von Hessen mußte. Wenden Sie sich hier an den Baron – er war bei Stadion und hörte also die Meldungen.«
»Sie würden mir eine große Gunst erzeigen.«
Der Ulan drehte seinen Schnurbart. »Was ich weiß, sollen Sie gern erfahren – Erfreuliches ist es nicht viel. – Es ist eine bekannte Sache, daß wir in diesem verfluchten Winkel wie in einem Sack sitzen, nicht vor und nicht rückwärts, das dritte und siebente Corps und der Teufel wußte, wo die Franzosen standen, wie stark sie waren und was sie ausheckten. Ich traue noch jetzt dem Schwindel nicht und glaube den Henker, daß sie auf Piacenza los gehen und uns hier in die Arme laufen werden. Aber da droben müssen sie's wohl besser wissen, sonst hätte man uns nicht mit dem ewigen Hin- und Hermarschiren ermüdet und wäre drauf gegangen, statt die Leute Kamaschendienst treiben zu lassen. Genug, der Feldzeugmeister glaubte, mit jener unglücklichen Erfindung, der Recognoscirung en gros über das, was er wissen wollte, in's Klare zu kommen, und da General Urban bereits seit dem 13ten mit einer Brigade seiner mobilen Colonne auf dem rechten Po-Ufer gegen Voghera patrouillirte und am 17ten gemeldet hatte, daß er sich vor überlegenen Streitkräften auf Stradella zurückziehen mußte, wurde die Division Paumgarten am 19ten nach der Brücke von Vaccarizza dirigirt, wo sich die Truppen zur Recognoscirung sammelten.«
»Ich kann Ihnen sagen, Herr Kamerad,« unterbrach einer der Husaren-Offiziere den Bericht, – »es war ein verfluchtes Patrouilliren damals da drüben, die Bauern in vollem Aufstand, und ich mußte mich einmal durch ein Dorf mit dem Säbel in der Faust durchschlagen, wobei die Kanaillen mir einen Husaren mit der Heugabel vom Pferde stießen und zwei andere verwundeten.«
»Feldmarschall-Lieutenant Urban,« fuhr der Erzähler fort, »ließ deshalb auch bei dem Vormarsch am 20sten neun solcher Kerle niederschießen, die auf uns gefeuert hatten oder mit Gewehr und Munition betroffen wurden. Doch um nach der Ordnung zu berichten, es waren zwei Divisionen, Paumgarten und Urban mit 25 Bataillonen und 6 Eskadrons nebst einigen 40 Geschützen zu der Recognoscirung bestimmt, zu wenig, um etwas ausrichten zu können, wenn wir auf das Gros des Feindes stießen, zu viel, um sich nicht ernstlich zu schlagen. So rückte denn am Morgen des 20sten die Division Urban auf der Chaussee nach Casteggio vor, die Brigade Schaffgotsche als Avantgarde mit den Herren dort« – er wies auf die Husaren – »voran, zur Rechten flankirt von Paumgarten, die Brigade Gaal bis Robecco, Bils mit dem Regiment Kinski und den Ogulinern nach Casatisma. Der Prinz von Hessen – die Herren vom Regiment Culoz können Ihnen das näher erzählen – kam von Norden, von Castelletto und sollte den linken Flügel des Feindes hindern, über die Coppa zu gehen. Er hätte den Tag zu einem Siege machen können, wenn –«
»Nun?«
»Nun zum Henker,« rief der Infanterie-Hauptmann, mit der Faust auf den Tisch schlagend, »wenn es uns erlaubt worden wäre!«
»Geschehene Dinge sind nicht zu ändern,« fuhr der Offizier fort. »Genug, Graf Stadion kommandirte, das Ganze und die Avantgarde ging lustig vor, bald nach 11 Uhr waren wir in Casteggio, das Städtchen war unbesetzt, Thüren und Fenster verschlossen. Sardinische Cavallerie-Patrouillen zogen sich vor uns her auf ihre Soutiens hinter Montebello zurück und unsere braven Husaren jagten sie bis Genestrello, während die nachfolgende Brigade Braun mit den Regimentern Roßbach und Heß Casteggio besetzte. – Nun müssen Sie wissen, Herr Kamerad, daß nach der Disposition des Grafen hier allerdings hätte Halt gemacht werden sollen, aber das Terrain auf der linken Flanke ist der Art, daß wir Genestrello haben mußten, wenn wir von dieser Seite gegen die Ebene vor uns und auf der rechten gedeckt stehen sollten. Genestrello war schwach von feindlicher Infanterie besetzt, denn das Gros der Division Forey stand damals noch in guter Ruhe bei Voghera, und nur das 84ste Regiment war auf Genestrello vorgeschoben. General Urban war mit der Ansicht des wackern Schafgottsche einverstanden, und die drei Bataillone Miguel, Heß-Grenadiere und das 3te Jäger-Bataillon mit zwei Escadrons,der Husaren und vier Geschützen gingen zum Angriff vor. Die Franzosen leisteten tüchtigen Widerstand, aber unsere Braven von Don Miguel waren rasch in den Gehöften und die Jäger besetzten links die Höhen.«
Die lebhafte Erzählung hatte nach und nach einen größeren Kreis von Offizieren um den Tisch gesammelt, von denen hin und wieder einer seine Bemerkung einschob.
Der Ulan warf einen Blick um sich und fuhr dann etwas kühler fort. »Ich wurde zwei Mal mit Ordres in die Gefechtslinie geschickt und kann daher auch als Augenzeuge berichten, obschon unsere Waffe sonst diesmal leider das Zusehen hatte. Um diese Zeit – es war ein Uhr – sahen wir Forey mit zwei Bataillonen und Geschützen zur Unterstützung seiner Avantgarde ankommen, und bald darauf den Rest der Division. Das Gefecht stand jetzt von den Höhen an der Fossa gazza entlang über die Chaussee bis zum Eisenbahndamm, wo das Bataillon Rainer die linke Flanke des Feindes in Schach hielt. Die Franzosen waren nunmehr bereits stärker als wir und Forey ging in zwei Kolonnen zum Angriff auf uns vor – links General Blanchard mit 3000 Mann und der piemontesischen Kavallerie, rechts auf Genestrello die ganze Brigade Beuret gegen unsern linken Flügel, indem sie uns zugleich auf den Höhen umgingen. Graf Schaffgotsche hielt sich wundervoll, unsere Grenadiere fochten wie die Teufel, aber der Feind war zu überlegen, wir verloren viele Leute und mußten gegen drei Uhr unsere feste Stellung räumen und uns langsam nach Montebello zurückziehen. An der Eisenbahn schlug der brave Welsersheimb mit seinem Bataillon gegen den größten Theil der Brigade Blanchard und hatte einen schweren Rückzug. Die DivisionenEine österreichische Bataillons-Division besteht aus 2 Kompagnieen. Das Bataillon hat 3 Divisionen. mußten Quarrée's formiren, um sich die piemontesische Cavallerie vom Leibe zu halten, die bis an die Bayonnette heranprallte, aber tüchtig gepfeffert wurde. Der Rückzug war ein Heldenstück und Sie haben vorhin schon die wackere That des Lieutenant Colny gehört, wie er den Major rettete«.Ein Bild aus dem Verlag der K.K. Hof- und Staatsdruckerei in Wien ehrt diese That.
»Aber zum Teufel, warum erhielt denn Graf Schaffgotsch keine Unterstützung? Sie konnten es doch nicht mit einer Division aufnehmen!«
Der Erzähler sah sich nach dem Redner um, einem alten Kapitain vom Regiment Liechtenstein und zuckte die Achseln. »Was sollten wir in Genestrello machen – wir hätten uns ja doch jenseits des Po nicht halten können. Genug, als die Brigade Braun zur Unterstützung herankam, war es schon zu spät, der Graf war froh, daß er seine hart mitgenommenen Bataillone durch die frischen Truppen zurückführen konnte und ging nach Casteggio, während drei Bataillone Roßbach und eins von Heß Grenadieren in Montebello Stellung nahmen und zwei Bataillone Carl Infanterie und die Liccaner Gränzer die rechte Flanke deckten. Ich war eben wieder zur Front gekommen, als die Grenadiere den Gottesacker und die Landhäuser am nördlichen Ende des Dorfs besetzt hatten. Das muß wahr sein, im Angriff sind die Franzosen famos und wahre Teufel. Ihre Jäger und das 84. und 74ste Regiment hatten das Gepäck abgeworfen und waren von Genestrello aus über den bewaldeten Bergrücken vorgedrungen, daß sie fast noch früher im Dorf waren, als wir auf der Chaussee. Hier mußten die zwei Geschütze, die allein disponible waren, den Feind aufhalten, während man im Dorf Mann gegen Mann schlug. Doch Sie müssen ja dabei gewesen sein, Herr Kamerad.«
Der Liccaner Offizier, an den er sich wandte, strich sich den lang herabhängenden Schnurbart und zeigte im grimmigen Lächeln die weißen Zähne.
»Tessék«, sagte er lachend, »war sich ein wahres Höllen-Gedrängniß in die engen Gaß! Baszom a lelkedet! Waren wir doch so zusammen, Braunrock und Weißrock gegen verfluchtige Rothhos, daß Leute mein oft nix mal brauchen konnten das Bayonnet. Haben sich gestampft weiß Gott mit Kolben auf Kopf! Haben gestanden die Todten in der Menschenmauer und sind umgefallen, erst wenn gewesen ist Raum dazu. Ebbadta – haben wir gekriegt zuletzt doch Schläge von Sapristi verfluchtigen, haben sie uns geschlagen raus von Haus zu Haus bis zum Kirchhof, wo hat geschossen ein Kerl von meiner Compagnie den General!«
»Bravo Hauptmann Sivkovic! ich sah, wie Ihre wilden Burschen sich vortrefflich schlugen. Aber was half alle Tapferkeit gegen die Uebermacht, – in vier Stunden hatten die Franzosen unsere beiden Abtheilungen von 3000 und 6000 Mann zurückgedrängt und um 6 Uhr wurde der Rückzug nach Casteggio befohlen.
»Aber um Himmelswillen,« frug der Jäger vom Clam'schen Corps, »ich meine, Graf Stadion disponirte über 22 Mann. Was thaten denn die 12- bis 14 Mann frische Truppen? Zu welchem Zweck hatte man sie denn eigentlich mitgeführt? Denken Sie doch nur, was ein erster Sieg über die Franzosen für einen Eindruck in der ganzen Armee, ja in ganz Europa gemacht hätte.«
Der Ulan zuckte wiederum mit den Achseln, »Sie sind gewiß noch sehr jung im Dienst, Herr Kamerad,« sagte er höflich mit einem bezeichnenden Blick auf den Kreis der Zuhörer. »Enfin – 13 Mann mit der ganzen Reserve Artillerie standen 1½ Meile zurück; der Graf war unzufrieden, daß die Avantgarde allein vorgerückt, da man angenommen, der Feind stehe bei Montebello und man könne ihn hier gleichzeitig angreifen. Deswegen erhielt Graf Schaffgotsche Befehl, zurückzukehren!«
»Das hole der Teufel,« murrte der Offizier von Culoz Infanterie, »das Gefecht war einmal engagirt und mußte unterstützt werden. Ich habe mir sagen lassen, daß, wäre es geschehn, wir mit leichter Müh die Franzosen bis über Voghera hinaus gejagt hätten. Die beste Ordre im Krieg ist, ohne Weiteres dahin zu marchiren, wo man Kanonendonner hört, und der PrinzPrinz Alexander von Hessen und bei Rhein. war im Begriff, von Branduzzo vorzurücken, als er den verteufelten Befehl bekam, zurückzugehn. Kein Mensch konnte ihn mit dem heftigen Schießen zusammen rennen, und er galoppirte selbst auf's Schlachtfeld und nach Casteggio, um die Erlaubniß zum Vorgehen zu holen. Es sollen einige scharfe Worte gefallen sein. Um 4 Uhr, zur Zeit als Montebello gestürmt wurde, griffen unsere Jäger an, zur rechten Zeit, denn das Bataillon vom Regiment Carl hatte sich bereits ganz verschossen, und die Brigade Blanchard, wenn wir sie nicht aufgehalten, hätte Euch in Montebello erdrückt. Der Prinz leitete selbst hier das Gefecht und war fortwährend im Feuer gegen das 91., 98. und 93ste französische Regiment und die Cavalleggieri. Weiß Gott, wir standen ganz in der Flanke der Franzosen, und hätten ihnen den Rückzug abgeschnitten, trotzdem die Eisenbahn von Tortona und Voghera fortwährend neue Truppen heranbrachte; da war Montebello verloren und wir erhielten den Befehl gleichfalls zum Rückzug.«
»Und was thaten die Franzosen?«
»Sie begnügten sich mit Montebello und kamen nicht darüber hinaus. Am Abend ließ der Marschall Baraguay die gewonnene Stellung wieder räumen und sie kehrten nach Voghera zurück, während man uns durch blinde Wachtfeuer täuschte. Bei Casteggio waren noch 16 Bataillone, zum Theil noch gar nicht im Kampf gewesen, als um Mitternacht der Rückzug nach Vaccarizza angetreten wurde, ohne daß ein Flintenschuß weiter auf uns fiel. Der Teufel hole die zu große Vorsicht!«
Es war plötzlich eine allgemeine Stille im Kreise eingetreten. Dann sagte eine Stimme: »Wissen Sie, wie der Bericht des General Forey von unserm Rückweichen spricht?«
»Nun? – Man sieht in diesem Hundeloch ja keine vernünftige Zeitung!«
»Er sagt, wir seien gewichen »avec la tenacité et l'ordre particulière à l'armée autrichienne!«
»Ein schlechtes Pflaster auf die Wunde!«
»Ich kann Ihnen nicht beschreiben,« bemerkte der junge Jägeroffizier, »wie sehr die Nachricht von Montebello alle Gemüther erregt hat. Ein Kamerad erzählte mir, daß er auf dem Wege von Pavia hierher gewesen, als die ersten Transporte der Verwundeten kamen. Unser wackerer Bauer aus Venedig,Der Wirth des Hôtel d'Horloge am Marcus-Platz. der Sie jetzt im Hauptquartier mit der einzigen vernünftigen Restauration versorgt, kam eben mit einem großen Fouragewagen von Delikatessen aller Art und den feinsten Weinen. Der erste Karren mit den Verwundeten hielt, und ein halbverschmachteter Bursche frug bescheiden, ob er nicht für Geld einen Trunk haben könne? – »Für Geld, Landsmann, nein! – aber nehmt Alles was ich habe, Ihr habt's ja mit Eurem Blut bezahlt!« sagte der brave Wiener und fünf Minuten drauf war der ganze Fourgon geleert und die armen Bursche schmausten in Trüffelpasteten und Burgunder!«
»Bravo! heute Abend trinke ich eine Flasche Champagner darauf in Bauer's Zelt!«
»Wir werden am Ende keine Zeit dazu haben« meinte der Rittmeister von Haller Husaren. »Es geht dort drüben was vor – Poschacher ist schon zwei Mal auf dem Platz gewesen und hat Ordonnanzen fortgeschickt und sehen Sie, was der General für ein verteufelt ernstes Gesicht macht, indem er dort am Fenster mit Stankowisch spricht.«
»Wer – Giulay? ich sehe nicht so weit!«
»Nein – die Hand, nicht der Rock Radetzky's! ich meine Benedek.«
Es war in der That der Roland der österreichischen Armee, der tapfere kühne Feldmarschall-Lieutenant Ludwig von Benedek, der Mann, der bei Curtatone die doppelte Geschützlinie in drei Stürmen mit dem Bayonnet brach, der bei Gdow den polnischen Aufruhr bändigte, bei Mortara eine ganze sardinische Brigade mit seinem Regiment gefangen nahm und auf der Pußta von Harkaly Görgey nach Comorn zurückwarf, jetzt ein Schrecken der treulosen Italiener, die seine Energie und Strenge aus der Schule Haynau's kannten und fürchteten. Der Soldat der österreichischen Armee liebte ihn nach dem greisen Heß am meisten, und wie er da am offenen Fenster des Hauses stand, in dem der Oberbefehlshaber wohnte und das von Stabsdragonern, Wachen und ab- und zugehenden Offizieren umlagert war, – der fünfundfünfzigjährige Held mit dem kräftigen martialischen Soldatengesicht – und mit dem ersten General-Adjutanten Feldmarschall-Lieutenant Stankowisch sprach, dem tapfern Generalstabschef des alten Rukowina bei der glorreichen Vertheidigung Temeswar's,»Zehn Jahre« II. Band schollen wiederholt Eljen's und Zivio's zwischen dem deutschen Hurrah ihm aus den Gruppen, denn der Soldat hoffte, daß wo Benedek im Kriegsrath, es zum Schlagen kommen werde! –
Bald darauf sah man den Oberst Kuhn, den Chef des Generalstabs Giulay's, zu ihnen treten. Der Oberst erst 40 Jahre alt, hatte schon im Feldzug von 1849 das Theresienkreuz erworben und galt als einer der fähigsten Offiziere in der ganzen Armee. Aus diesem Grunde hatte man in Wien ihn auch dem unfähigsten Führer beigegeben.
»Wahrhaftig,« sagte der Ulanen-Offizier, »ich glaube, man hält Knegsrath und wir werden bald etwas Neues hören, denn ich habe außer Benedek, Zobel und den Fürsten Schwarzenberg vorhin gesehen. Was zum Teufel mögen sie aushecken?«
»Da kommt Hauptmann Roch,« rief einer der Offiziere. »Er kommt aus dem Norden und hat gewiß Meldungen gebracht. He – Cospetto, hören Sie nicht, Roch?«
Der angerufene Offizier wandte sich zu der Gruppe und reichte Zweien oder Dreien die Hand, die er kannte.
»Sieh da, Kehlfeld und Sie Czába! Es freut mich, Sie zu sehen. Aber Kinder, um Gotteswillen, habt Ihr etwas Vernünftiges zu trinken da? In einer Viertelstunde soll ich schon wieder im Sattel sein – dieser Poschacher ist ein wahrer Tyrann!«
»Wo kommen Sie her? Was giebt es Neues?« klang es von allen Seiten.
»Sie werden bald Arbeit bekommen,« sagte der Offizier von Erzherzog Leopold Infanterie. »Sie wissen, daß wir den rechten Flügel bilden, und es ist dort in den letzten Tagen scharf hergegangen. General Weigl hat mich mit Rapport an den Feldmarschall-Lieutenant Zobel nachgesandt, in einer halben Stunde reiten wir ab. Seit dem 20sten, daß Sie bei Montebello schlugen, haben wir keinen Tag Ruhe gehabt an der Sesia. Am 21sten schlugen wir den Versuch ihres Uebergangs zurück und am 23sten warfen unsere drei Bataillone den Feind. Donnerwetter, ich kann Ihnen sagen, es war ein schönes Gefecht, als Ober-Lieutenant Buberl mit seiner halben Kompagnie die Brücke nach Vercelli gegen ein ganzes Bataillon eine halbe Stunde lang hielt, bis der arme Bursche den Heldentod dort fand. Gestern raufte ich mich mit den Sardiniern bei Palestro. Unsere Grenadiere kamen dem Feind so dicht auf den Leib, daß sie nur noch von den Kolben Gebrauch machten, bis Hauptmann Csikos unsern Rückzug vor der Uebermacht deckte. General Weigl wurde gleich im Anfang verwundet, aber er wich nicht vom Platz. Auch die Ottochaer und Jellacic-Infanterie schlugen sich vortrefflich!«
»Also ein ernsthaft versuchter Uebergang?« lautete die Frage von mehreren Seiten.
»Ja wohl – und was ick eben im Kriegsrath mit angehört, bestärkt meine Meinung noch mehr, daß der Feind uns überflügeln will. Nur der Graf mißt dem keinen Glauben bei. Ich will mich hängen lassen, wenn der Angriff von Garibaldi nicht damit zusammenhängt!«
»Garibaldi? wir haben nicht die geringsten Nachrichten hier, was es mit den Freischaaren ist?«
»Er ist am 20sten von Biella aufgebrochen, am 23sten war er in Sesto Calende, wie Sie wissen werden; am Tage darauf besetzte er Varese und Urban war nicht zur Hand, da Sie ihn hier bei Montebello gebraucht hatten und in Vaccarizza zurückhielten. Erst am 24sten war er in Camerlata und griff mit der Brigade Rupprecht und einigen Compagnieen Melzers das barrikadirte Varese an. Aber, der Teufel hole das Pech, wir wurden geworfen, verloren an hundert Mann, und obschon das Regiment Prinz von Preußen zu den Unsern stieß, waren wir zu schwach, um Como zu halten. Garibaldi hat es am 27sten erobert und die Halunken scheinen blos darauf gewartet zu haben, denn überall am Gebirge, wo nicht gerade unsere Truppen stehen, weht die italienische Trikolore.«
Der Aerger der österreichischen Offiziere über die Nachrichten machte sich in verschiedenen Ausrufungen Luft. Man fragte ungestüm, welche Maßregeln denn zum Zurückwerfen der kecken Freischärler ergriffen worden, aber außer der Thatsache, daß die Brigade Schaffgotsch in Marschbewegung war, wußte Niemand Näheres.
In dem Augenblick kam einer der Adjutanten des Feldzeugmeisters aus dem Hause und ging nach der entgegengesetzten Seite über den Platz. Die Offiziere, die jetzt aufgestanden und aus der Laube getreten waren, um weitere Nachrichten zu hören, umringten ihn.
»He Durchlaucht – einen Augenblick! – Ist es wahr, was Hauptmann Roch uns erzählt, daß Garibaldi Como genommen hat?«
»Leider! – was hatte Urban auch hier zu thun? es wimmelt, dächt' ich, in diesem Winkel von Generalen. Aber ich habe die größte Eile!«
Der Husar hielt ihn fest. »Nichts Neues sonst? warum ist denn der Kriegsrath?«
»Ich hoffe,« sagte der Adjutant kurz, indem er sich losmachte, »Sie werden bald Ordre bekommen, aufzusitzen. Es heißt, die Franzosen sind in Bewegung, Lilia hat zum zweiten Mal schon rapportirt, aber der Feldzeugmeister besteht darauf, daß sie gegen Piacenza rücken werden. Vielleicht hören wir jetzt gleich Näheres!«
Er hatte sich losgerissen und ging in die nächste Gasse. Einige Minuten darauf sah man ihn zurückkommen, hinter ihm ein Unteroffizier mit zwei Mann Wache, die in ihrer Mitte eine auffällige, kleine verkrüppelte Gestalt führten.
Es war Niemand mehr und weniger, als unser alter Bekannter, der Jude Abraham, der bei dem Einbruch in die Kirche auf dem Monte Cenere gefangene Spion. Wir werden später sehen, auf welche Weise er aus den Händen der schweizer Polizei und aus den weit gefährlicheren und festeren des Jesuiten-Provincial entkommen war.
Der Adjutant führte die Wache und ihren Gefangenen in das Haus des Feldzeugmeisters. Der Spitzbube, der übrigens ziemlich gut costümirt war und die großen Vatermörder trug, welche die italienischen Spießbürger so sehr lieben, zeigte große Gemüthsruhe.
»Sehen Sie diesen Kerl an, den der Fürst da über den Markt transportirt,« sagte lachend einer der Husaren – »sieht er nicht aus wie eine Vogelscheuche, die an den nächsten Baum gehängt werden müßte? Weiß Gott – wenn ich der Feldzeugmeister wäre, ich ließe es thun!«
»Es ist leicht möglich, daß es geschieht,« meinte einer der andern Offiziere. »Er sieht ganz aus wie ein Spion!«
Einige der älteren Offiziere waren unterdeß zusammen getreten, sie schienen einen wichtigen Gegenstand zu besprechen.
»Die Leute murren darüber,« sagte ein Major, – »daß sie nicht ihre vorschriftsmäßige Portion Wein bekommen, und das Fleisch wird auffallend knapp. Wenn der Soldat seine Schuldigkeit thun soll, muß er seine ordentlichen Rationen haben. Erinnern Sie sich an das Beispiel Sinzendorff's unter Prinz Eugen. Seitdem ist es mehr als einmal so gewesen!«
»So glauben Sie an Unterschleife?«
»Ich glaube nicht blos daran, Herr Oberst,« behauptete der graubärtige Offizier, »ich bin fest überzeugt davon. Vor Radetzki hatten sie Angst, weil der zwei von den Commissairen an einem Tage aufhängen ließ.«
»Aber wie meinen Sie, daß ein solcher Betrug möglich ist?«
»Bah! nichts leichter als das, wenn er von oben her geleitet wird. Ich weiß von meinem Bruder aus Wien, daß schon zu Anfang des Monats die Gelder ausgezahlt worden sind, um dreitausend Ochsen in Ungarn anzukaufen und hierher zu treiben, und wir haben noch keine Klaue ungarisches Vieh hier gesehen!«
»Sie sind wahrscheinlich noch unterwegs!«
»Unterwegs in die Tasche der Lieferanten, – vielleicht auch höher hinauf. Ich sage Ihnen blos, die Sache thut nicht gut, wenn ihnen nicht bald auf die Finger gesehen wird. Sieh doch, Herr Kamerad von den Gränzern – die drallen Frauchen dort von ihrem Bataillon sind auf Ehre die hübschesten Marketenderinnen in der ganzen Armee und alte Bekannte von mir. Ich kenne sie schon als Mädchen von damals her, als wir Wien belagerten!«
Er wies nach einer der fliegenden Marketendereien, die sich eben erst auf dem Platz etablirt hatte, aber bereits von Offizieren und Soldaten umlagert war. Zwei junge Frauen in der kurzen Jacke und dem Kopftuch der Kroatinnen schenkten munter auf ihrem Wagen ein und hatten für Jeden ein freundliches Wort, während auf der Deichsel hinter dem blinden zottigen Gaul ein alter Kerl saß in einen weiten rothen Sheckler Mantel gehüllt, die rothe Mütze auf dem Kopf und aus einer kurzen Pfeife dampfend. Das Gesicht war von Falten durchzogen und verwittert, aber der lange weiße Schnurbart, der wohl eine halbe Elle lang zu beiden Seiten des Mundes herabhing, war so schön geflochten und gewichst, als sei er auf einer Parade der alten Rothmäntel, und wenn dies Kleidungsstück sich einmal verschob, sah man auf der linken Brust des Alten über dem silberbeschlagenen Knauf der Pistole und des Handjars die goldene Militair-Verdienstmedaille glänzen.
Der Likaner strich sich vergnügt den eigenen Bart. »Kutya lelkeded! Bizony! is sich das veramente der Boghitschewitsch von Ottochanern, ein alter Kerl verfluchtiger, den grüßt der Kaiser selber. Hat sich abgeschnitten viele Köpfe, der Anton Boghitschewitsch, bis ihm die Kanonenkugel abgeschnitten selber Füße alle beidigte, rein weg bei Comorn und kutschirt, jetzt mit seinen Töchtern den Marketenderinnen im Lande herum.«
»Er war ein braver Soldat,« bestätigte der Major. »Der alte Bursche hat sicher seine gute Pension, aber das Soldatenblut leidet ihn nun einmal nicht friedlich zu Hause in Kroatien. –
In dem alten verwitterten Gesicht des Mannes ohne Füße würde der jüngste Röbel, wenn er zugegen gewesen wäre, einen alten Bekannten gefunden haben, denselben, der dem Knaben die silberne Medaille vererbte, als er von der Hand des Fürsten die goldene erhielt.Villafranca, II. Band Und die beiden jungen Frauen, mit den frischen braunen Kroaten-Gesichtern, die eine den Säugling im Tuch vor der Brust hängend, waren gewiß jene hübschen Dirnen Marina und Kumria, die vor zehn Jahren dem ungarschen Grafen zur Flucht halfen. Freilich war die Kumria mit den schwarzen Augen schon seit fünf Jahren Wittwe und ihr Illés draußen in der Walchai während des Krimkrieges an der Cholera gestorben; aber deshalb funkelten ihre Augen nicht weniger und war ihre Hand nicht langsamer, wenn es galt, den Landsleuten einen Slibowitza einzuschenken oder einem Offizier ein Glas Rothwein zu kredenzen und dem alten Vater ihre kräftige Schulter zu leihen, wenn er auf seine Deichsel kroch oder herabgehoben werden mußte.
»Schade,« meinte der Unterlieutenant von den Kaiserjägern, »daß unsere alten Rothmäntel nicht mehr existiren, die Tracht war wirklich romantisch und hätte ein hübsches Bild zu den Turcos und Zuaven gegeben. Ich bin neugierig, die Kerls zu sehen.«
Der alte Rothmantel hatte die Bemerkung gehört. »Bassamalika, gnädiger Herr Offizier – Franzos ist Franzos, ob er hat geschoren Kopf oder buschig, wie Dornhecke, schneid sich einer so gut ab, wie der andere. Hat sich Bonaparte blos gemacht die Zuav nach Vorbild von uns und wird Kaiser in Wien sehn, was hat verloren, daß die Sereschaner nix mehr haben Pistol und Handjar. Spuck ich auf Messer da!« Er zeigte verächtlich auf die kurzen Seitengewehre der Jäger.
Die Offiziere lachten – ein Kreis hatte sich um den grimmigen Alten und die beiden noch immer hübschen Frauen gebildet und die meisten Gedanken um das, was da oben der Kriegsrath beschloß, waren im Nu vergessen in der Neckerei, mit der sie den alten Korporal aufzogen oder ihn durch hinterlistige Fragen anreizten, von seinem Stambulzug zu erzählen, als er den schwarzen Aga erschlagen und mit der weißen Odaliske über das Wasser geflohen war.
Und doch war das, was da droben berathen und beschlossen wurde, gewiß wichtig genug, um sie alle Odalisken des Orients vergessen zu machen! Handelte es sich doch um das Wohl und Wehe der österreichischen Armee, – nicht um den Waffenruhm! den konnte ihr kein Eigensinn, keine Blindheit eines Führers rauben, den die wiener Camarilla an ihre Spitze gestellt, – aber wohl darum, ob die Leiber der Tapfern vergeblich die Erde der Lombarde decken, ob das warme Blut von der Ens, der Moldau, der Theiß her nutzlos die Ufer des Ticino feuchten sollte! –
In dem ziemlich großen Gemach, in welchem der Kriegsrath gehalten wurde, saß der Feldzeugmeister behaglich an dem Tisch in einem bequemen Sessel. Der Graf war eine kräftige untersetzte Gestalt, und trotz seiner 61 Jahre noch ein stattlicher Mann von aristokratischem Aussehen, auf das er sehr viel hielt. Der lange spitze Schnurbart, den er wiederholt durch die Finger seiner weißen fleischigen Hand zog, stand dem kräftigen Gesicht gut, doch mangelte es demselben an jenem Ausdruck namentlich des Auges, der meist den geborenen Feldherrn verkündet, obschon es ihm nicht an dem Bewußtsein und dem Stolz der Macht fehlte. Er hörte ohne besondere Aufmerksamkeit und mit den Nägeln seiner Finger spielend, dem Verhör zu, das der Souschef des Stabes, Oberst Poschacher mit dem eingebrachten Spion anstellte. Der Chef des Generalstabs, Oberst Kuhn, ein überaus fähiger und gediegener Soldat, erst 40 Jahr alt und bereits im Feldzug von 1849 als Hauptmann im Generalstab für seine Tapferkeit und Umsicht mit dem Theresienkreuz dekorirt, stand noch mit Benedek am Fenster, während der Feldmarschall-Lieutenant Stankowitsch wieder zum Tisch zurückgekehrt war und hier mit dem Fürsten Schwarzenberg, den Generalen Burdina von Löwenkampf und Boér von Nagy und dem zweiten General-Adjutanten des Grafen Gallas dem ernsten strengen Obersten Pokorny und einigen andern hohen Offizieren saß.
»Die Nachrichten, die dieser Kerl giebt,« sagte der Verhörende, »stimmen mit dem Bericht des Feldmarschall-Lieutenants Lilia überein, daß die Vorposten heute sieben Züge in der Richtung nach Vercelli gesehen haben.«
»Sieben Trains,« meinte achselzuckend der Graf, »sind keine Armee.«
»Aber Euer Excellenz wollen bedenken, daß die Franzosen ihren Marsch nicht der Beobachtung aussetzen würden. Was mit den Eisenbahnen befördert wird, sind Dinge, die sich sonst nicht so rasch transportiren lassen, oder die Spitzen von Truppen, die man an einen bestimmten Punkt werfen will.«
»So ist Ihre Meinung also, daß die Sardinier uns angreifen werden?«
»Nicht die Sardinier allein,« warf der Fürst ein, »sondern das Gros der französischen Armee.«
»Sie haben eine Frontstellung von 16 Meilen,« meinte der Feldzeugmeister, »während wir auf der Diagonale der Krümmung nur die Hälfte zu bewachen haben. Ich dächte, Sie müßten einsehen, in welcher vortheilhaften Lage wir ihnen gegenüber sind.«
»Euer Excellenz wollen jedoch bedenken,« sagte Generalmajor Boér, »daß die französischen Truppen leicht beweglich sind. Es ist nicht unmöglich, daß der Kaiser Louis Napoleon den Plan gefaßt hat, am obern Po überzugehen und den Versuch zu machen, unsern rechten Flügel zu umgehen und uns von Mailand abzuschneiden. Der Angriff Garibaldi's und die Nachrichten dieses Burschen stimmen auffallend damit überein.«
Der Feldzeugmeister wandte sich direkt an den Juden. »Ich rathe Dir die Wahrheit zu sagen. Der geringste Betrug bringt Dich an den nächsten Baum. Ich traue Deinem Schurkengesicht ohnehin nicht!«
Der Jude hob beide Hände in die Höhe. »Allergnädigster Herr General, wie können Euer Excellenz Gnaden nur denken, daß ich belügen würde einen so großen Herrn, der das Schwert hat von Gideon und unter die Feinde fährt, wie Simson unter die Philister. Ich bin doch gewesen mein Lebelang ein guter Oesterreicher, und hab mich doch geschlichen durch die französischen Vorposten, um zu bringen Nachricht von dem Feind, wenn man glauben will einem Jüd, der treibt seinen ehrlichen Handel durch's Land.«
»Der Bursche scheint in der That ein wandernder Handelsjude,« berichtete der Adjutant, der ihn her geführt. »Man hat ihn mit seinem Packen an den Vorposten aufgegriffen, und unter den Sachen befindet sich nichts Verdächtiges.«
Ein spitzbübisches Lächeln flog blitzschnell über das Gesicht des Spions bei diesem Zeugniß. Im nächsten Augenblick aber war wiederum nur Furcht und Demuth darauf zu sehen.
»Du weißt also bestimmt, daß der Kaiser Napoleon noch in Voghera ist?«
»Ich will den Dalles haben, wenn ich ihn nicht gestern noch gesehen.«
»Und was hast Du über die Stellung der Franzosen erfahren?«
»Der Herr Marschall, der doch nur hat die eine Hand,Graf Baraguay d'Hilliers verlor 1813, erst 18 Jahr alt, die linke Hand. hat Casteggio und Pizzole besetzt. Es sind gekommen vor drei Tagen nach Genestrello die Division Autemarre und sie haben erwartet täglich die Herrn Oesterreicher von Vaccarizza her! Sie haben gebaut vorgestern und gestern bei Cervesina, wo die Staffara fließt in den Po, Batterieen und wollen schlagen eine Brücke über den Po.«
»Sehen Sie, meine Herren, daß ich Recht habe,« warf mit triumphirendem Lächeln der Feldzeugmeister ein. »Ich begreife nur nicht, daß darüber noch keine Meldung eingegangen ist. Gaal läßt über die Paar hin- und herfahrenden Bahnzüge das Wichtigste aus den Augen!«
Oberst Kuhn wechselte einen Blick mit General von Zobel und zuckte ungeduldig die Achseln.
»Ich habe doch gehört, daß der Herr Marschall Canrobert jetzt steht bei Alessandria und daß gerückt ist die Garde nach Occimiano. Es sind gegangen viele Couriere mit Botschaft nach Norden.«
»Das Alles harmonirt ganz mit der Stellung gegen Stradella,« beharrte der Oberbefehlshaber, den Finger auf die vor ihm liegende Karte legend. »Sie werden sehen, der Kaiser will den Uebergang über den Po erzwingen und uns von Valenza her angreifen, während zugleich der Marschall Baraguay mit dem ersten französischen Corps auf Piacenza los geht und uns davon abzuschneiden sucht. – Wie hoch schätzt man die Stärke der französischen Armee drüben im Volk?« wandte er sich an den Spion.
»Ich habe doch gehört, daß die Herrn Offiziere gesprochen haben selbst von zweimalhunderttausend Mann!«
»Baszom! das ist ihre gewöhnliche Prahlerei. Sie sind bei Weitem nicht so stark. – Lassen Sie den Burschen auf die Hauptwache bringen Oberst, und bis morgen festhalten. Wenn die Nachricht von dem Brückenbau sich bestätigt, soll er zehn Dukaten haben. Senden Sie sogleich einen Offizier nach den Posten am Po gegenüber von Castelletto, um sich Gewißheit zu verschaffen.«
Der Adjutant des Feldzeugmeisters gab dem Juden einen Wink, ihm zu folgen; der würdige Abraham schien aber an dem bloßen Versprechen der zehn Dukaten kein Gefallen gefunden zu haben und nach mehr zu verlangen, daher blieb er an der Thür stehen und sagte mit frecher Miene:
»Wenn der Herr General Excellenz noch legen wollen zwanzig oder dreißig Dukaten baar dazu, möcht ich doch noch melden ä wichtige Nachricht.«
»Den Strick für Dich, Halunke,« rief ärgerlich der Graf. »Wir wissen jetzt, was wir von Dir wissen wollten, und so mach, daß Du fortkommst!«
Indeß der Oberst Kuhn hielt den Mann mit einem Wink zurück. »Erlauben Euer Excellenz, daß ich den Menschen weiter befrage. Es könnte doch möglich sein, daß er noch einige wichtige Fingerzeige gäbe.«
»Meinetwegen – Sie werden Ihr Geld unnütz an das Galgengesicht verschwenden.«
Der Oberst war auf den Spion zugetreten. »Du behauptest, daß Du uns noch wichtige Nachrichten geben kannst?«
»Zu Befehl, Euer Gnaden. Aber ich will doch nicht gebracht haben mein Leben für Nichts in die Gefahr.«
»Wenn die Nachrichten wichtig sind, sollst Du dreißig Dukaten auf der Stelle haben, auf mein Wort. Aber was bürgt uns für die Wahrheit?«
»Euer Excellenz Gnaden sind doch ein erfahrener Mann,« sagte der Jude. »Wir werden uns doch verständigen sehr leicht. Wenn ich sehe baar Geld, thut sich doch auf mein Mund. Wollen Euer Gnaden erlauben, daß gebracht wird mein Packen hierher?«
Der Oberst gab dem Adjutanten einen Wink, dieser ertheilte an der Thür einen Befehl und gleich darauf brachte man den ziemlich schmalen Waarenpack des Juden in das Zimmer.
Abraham machte sich sogleich darüber her und öffnete ihn. Es waren ganz gewöhnliche Artikel, wie sie sich zum Verkauf an die Soldaten eignen: Nähgarn, Knöpfe, Hosenträger, Handspiegel, Karten und Würfel, Tabackpfeifen, schlüpfrige Lectüre und ähnlicher Kram. Der Jude öffnete ein Kästchen mit Nähutensilien, nahm einen Knäuel gewöhnlichen Zwirn heraus und begann ihn eilfertig aufzuwickeln.
Die Mitglieder des Kriegsraths waren näher getreten und bildeten einen Kreis um den Spion. Nur der General-Feldzeugmeister war sitzen geblieben und schien absichtlich dem Juden keiner Beachtung zu würdigen, indem er mit dem Fürsten Schwarzenberg sprach.
Endlich war der Knäuel aufgewickelt und es kam ein, wie gewöhnlich den Kern bildendes, zusammen gefaltetes Papier, zum Vorschein.
Abraham hielt es in der Hand und wandte sich jetzt zu dem Chef des Generalstabs.
»Kann ich reden hier ganz frei?«
»Gewiß – sprich ungescheut!«
»Sie sollen doch hören. Ich will verschwarzen, wenn es nicht ist wahr. Die ganze französische Armee ist seit gestern Abend auf dem Wege nach Norden. Sie geht bei Casale über den Po und es sind befohlen zu morgen fünfmalhunderttausend Portionen Proviant nach Vercelli!«
General Benedek ließ sich einen ungarschen Fluch entschlüpfen, der Feldmarschall-Lieutenant Zobel pfiff durch die Zähne. »Dreitausend Teufel, das wäre!«
»Womit willst Du das beweisen?« frug der Oberst streng. »Bedenke, daß es sich um einen Strick für Dich oder eine anständige Belohnung handelt.«
»Ich kann doch leisten einen leiblichen Eid, daß die französische Armee ist auf dem Wege nach Vercelli. Die Division Bourbaki ist abgefahren gestern auf dem Bahnhof von Ponto curone, zwei andere folgen auf der Eisenbahn. Das vierte Corps ist gegangen über den Tanaro und heute mit der Garde bei Casale über den Po. Das erste wird bilden die Arrieregarde bei Valenza. Ich will sein gehängt, so weh es thut, wenn ich nicht geredt habe die Wahrheit.«
»Die Nachricht ist allerdings von der größten Wichtigkeit. Haben Euer Excellenz gehört?«
Der Feldzeugmeister wandte verächtlich den Kopf. »Es ist zu unwahrscheinlich. Was bürgt für das Wort eines solchen Burschen?«
»Euer Excellenz Gnaden,« rief der Spion, »werden kennen den Namen vom Herrn General Grafen Mortara aus Florenz!«
»Ja. Was ist's damit?«
»Und auch den Namen vom hochwürdigsten Rektor Corpasini aus Bologna?«
»Meinetwegen! Halte uns nicht unnütz auf.«
»Die gnädigen Herrn haben mir doch gegeben ein Zeugniß, daß ich bin ein ehrlicher Spion und sehr brauchbar für den Herrn General!«
Er überreichte das Papier, das in dem Zwirnknäuel gewesen war. Der Feldzeugmeister entfaltete und las es, dabei wurde er sehr roth und seine Brauen zogen sich finster zusammen.
»Teremtete!« rief er wild. »Was soll das heißen, Du mißgestalteter Schuft? Rechnung für Mylord Kapitain Peard. Zwei österreichische Schildwachen zum Schuß gebracht. Für jeden Kopf zwei Napoleonsd'or. Drei Tage Mylord und Bedienten bei der Gesellschaft der lustigen Freischärler unterhalten – pro Tag 20 Lires macht 140 Lires. Unverschämter Halunke, ich will Dich lehren, Deine Possen treiben! Entfernen Sie den Kerl sogleich und lassen Sie ihn krumm schließen, bis morgen, der General-Auditor ihm sein Urtheil spricht!«
Der würdige Abraham stand, ein Bild des Schreckens, mit weit geöffnetem Mund. Endlich begriff er, daß ein unglücklicher Zufall ihm hier einen Streich gespielt und ihn die Garnknäule hatte verwechseln lassen. Er wollte sich rechtfertigen, aber der Adjutant hatte ihn bereits am Kragen gefaßt und stieß ihn ohne Weiteres aus dem Zimmer, mit der Bedeutung, den Mund zu halten, wenn er nicht sofort zu der Aussicht, am anderen Morgen gehängt zu werden, noch eine Tracht Stockprügel erhalten wolle. »Sie sehen meine Herren,« sagte der Feldzeugmeister noch ärgerlich, »was auf diese Nachrichten zu geben ist. Der Bursche ist offenbar gedungen, uns falsche Berichte zu machen; die Sache soll morgen streng untersucht werden. Wollten die Franzosen versuchen, unsern rechten Flügel anzugreifen, so würden sie ihre Verbindung mit Genua aufgeben und mit dem Rücken nach der neutralen Schweiz stehen. Urban wird spätestens morgen die garibaldischen Räuber zu Paaren treiben und mit der Ankunft des ersten Corps aus Böhmen disponiren wir dort nöthigenfalls über genügende Deckung.«
»So befehlen Euer Excellenz,« sagte der Oberst Pokorny rasch, »daß der Graf Clam Gallas nicht bis Piacenza geht?«
»Sie mögen ihm den Befehl bringen, bis auf weitere Ordre in Mailand zu bleiben. Seine Truppen können uns dann um so frischer hier unterstützen.«
»Wollen Euer Excellenz nicht wenigstens das siebente Corps näher nach Palestro dirigiren?« frug auf einen Wink des Feldmarschall-Lieutenants der Generalstabschef. »Ich finde, daß Oberst Czeschi in Novara etwas zu sehr exponirt ist. Die Brigade Weigl deckt allein die Stellung von Rebbio bis Vercelli.«
»Ich denke, sie genügt vollkommen, um die Sardinier im Zaum zu halten. Wir müssen unsere Kraft jetzt hier concentriren, um den Stoß der Franzosen zurück zu werfen. Wir wollen übermorgen eine neue Recognoscirung unternehmen und diesmal mit stärkeren Kräften.« –
Es war das einzige Mal in dem ganzen Feldzug, daß das österreichische Hauptquartier von einem Spion wirklich gut bedient wurde und alle Warnungen von den Manövern des Feindes erhielt. Aber das Unglück wollte, daß gerade dies eine Mal die Nachrichten wenigstens an der entscheidenden Stelle nicht geglaubt wurden.
Es sollte übrigens auch an einer weiteren und dringenderen Mahnung an die eigensinnige Einbildung des Feldzeugmeisters über die Absichten der Franzosen nicht fehlen.
Die Mitglieder des Kriegsraths waren noch in lebhafter Debatte, als man einen Reiter im vollen Galopp über den Platz und den Hof sprengen hörte. Der letzte Schimmer des Tageslichts ließ erkennen, daß sich ein staubbedeckter Offizier von dem keuchenden Pferde warf.
In der nächsten Minute klopfte der diensthabende Adjutant an die Thür.
»Depeschen für Feldmarschall-Lieutenant Baron von Zobel vom Generalmajor Weigl!« berichtete er.
Der »Schlächter vor Melegnano,« wie die italienischen Patrioten den General von seiner entschlossenen Erstürmung des Ortes her nannten, dessen Bewohner ihm bei der Revolution von 1848 den Weg verlegten, als er die Wagen des Hofes bei dem Rückzug von Mailand escortirte, war rasch bei der Hand. »Sieh da, Graf Pálffy, was bringen Sie?«
»Ich habe den Befehl, Euer Excellenz zu melden, daß die Piemontesen über die Sesia vordringen. Die Division Cialdini steht bereits auf dem linken Ufer und wie Kundschafter melden, haben sich die Divisionen Fanti, Durando und Castelborgo bei Vercelli concentrirt. Bei Prarolo gegenüber Palestro trifft der Feind Anstalten zum Brückenschlag und wir sind zu schwach, ihn an dem Uebergang zu verhindern.«
»Sagen Sie rasch – wie stehen unsere Truppen?«
»Erzherzog Leopold Infanterie und die Jäger halten Palestro. Die Brigade Dondorf steht in Vinzaglio, die Vorposten sind bis zur Brücke von Roggia Gamara vorgeschoben.«
Der General wandte sich zu dem Feldzeugmeister. »Euer Excellenz sehen, daß die Sache dort ernst wird. Ich bitte um die Erlaubniß, sofort nach Mortara aufbrechen zu dürfen, um Weigl zu unterstützen. Euer Excellenz würden wohlthun, diesem Angriff Ihre Beachtung zuzuwenden; die Recognoscirung des Königs Victor Emanuel ist demnach nicht ohne Bedeutung gewesen.«
»Gut, gut – ich werde Ihnen morgen Kudelka oder Szabo senden, wenn der Feind zu stark wird. Senden Sie mir Bericht. Einen guten Ritt, Herr Baron, das Wetter ist vortrefflich!«
Der deutsche General – Baron von Zobel, ist der Sohn eines bairischen Generals und 1799 in Bremen geboren – nahm sehr kalt die gebotene Hand und entfernte sich eilig. Der Fürst und Benedek begleiteten ihn in den Hof.
»Wollen Euer Excellenz nicht weitere Dispositionen treffen?« frug der General-Stabschef, der sich einige Augenblicke mit seinem Kollegen besprochen hatte. »Ich muß gestehen, die Sache erscheint mir bedenklich. Die Sardinier müssen an achtzigtausend Mann stark sein und es stehen ihnen augenblicklich nur zwei Brigaden entgegen. Wenn der Spion Recht hat und die Franzosen im Anmarsch gegen Vercelli sind, könnte die Sache sehr schlimm werden.«
»Sie irren sich, lieber Oberst,« beharrte der Feldzeugmeister. »Es ist offenbar ein Scheinangriff der Sardinier, um die Bewegung der Franzosen gegen uns zu maskiren. Sie werden morgen sehen, daß ich Recht habe. Geben Sie sogleich an Schaffgotsch Ordre, daß unsere Truppen bis Bobbio im Trebiathal vorgeschoben und die Defileen von Stradella stärker besetzt werden, damit wir Herrn Baraguay gebührend empfangen. Und jetzt lassen Sie uns einen Augenblick hinunter gehen und unsere Cigarren auf dem Markt rauchen!« –
Eine Viertelstunde darauf saß der Feldzeugmeister in der That von dem Generalstab umgeben, wie er alle Abend pflegte, auf dem Marktplatz und schaute dem Treiben der Soldaten zu. Das »Eljen« und »Hurrah,« mit dem er empfangen wurde, klang aber diesmal ziemlich spärlich. – Nach kurzem Verweilen zog er sich wieder zurück. –
In der That mußte Graf Schaffgotsche von Pavia aus seine Posten über Stradella hinaus vorschieben, während die französische Armee diese Stellung bereits geräumt hatte.
Der Kampf von Montebello, obschon er mit dem Rückzug der Oesterreicher endete, hatte doch seine Wirkung gehabt. Die sardinische Kavallerie und die französische Infanterie hatten eine Lection bekommen, die nicht verloren war. So sehr man sich auch bemühte, die empfindlichen Verluste zu vertuschen, welche der Sieg kostete, – General Forey selbst mit seiner derben Offenheit erkannte den heldenmüthigen Widerstand der österreichischen Bataillone an, und der sichere Schuß der Jäger hatte diese prächtige Truppe der österreichischen Armee in den größten Respect gesetzt. Der Kaiser und die Marschälle sahen ein, daß ein Angriff auf die Po-Linie bei einem so starken Rückhalt, wie Piacenza und Pavia boten, seine großen Bedenken habe, weil hier die Schwerfälligkeit und Ungeschicklichkeit des Führers keine Chancen des Sieges bot, indem er gerade für diesen Punkt seine ganze Kraft concentrirt hatte.
Mit dem raschen Entschluß der französischen Führer faßte daher der Kaiser Louis Napoleon den Plan, den österreichischen Feldzeugmeister ruhig in seiner Position zu lassen und die feindliche Armee zu umgehen und von ihrer linken Flanke aus anzugreifen.
Der Plan war kühn und erforderte Schnelligkeit und Geheimniß. Am 28sten begann der möglichst verborgene Linksmarsch der französischen Corps, wobei man zugleich die Oesterreicher in fortwährender Täuschung über die Anwesenheit ihrer Feinde unterhielt, indem das erste Corps als das am Weitesten vorgeschobene langsam nach Valenza zurückging, bestimmt, die Arrieregarde zu bilden. Von dem am entferntesten stehenden dritten Corps (Canrobert) wurde die Artillerie und der Train schon am 26sten über Alessandria nach Casale dirigirt, die Infanterie am 28. bis 30sten mit der Eisenbahn dahin transportirt. Die Garde und das vierte Corps (Niel) rückte in zwei Fußmärschen nach Casale und überschritt auf der Draht- und einer Schiffbrücke hier den Po. Die sardinische Armee erhielt mit der peremtorischen Ordre »Le 30. mai l'armée du Roi s'établira en avant de Palestro« den Befehl, den Aufmarsch der französischen Armee und ihren Uebergang über die Sefia und den Ticino zu decken. Indem man so viel als möglich nur piemontesische Truppen zeigte, erhielt man die Oesterreicher bis zum letzten Augenblick in Täuschung.
Am 30sten standen das 3. und 4te französische Corps und die Garde bei Vercelli zum Uebergang über die Sefia bereit. Die ganze Bewegung war mit eben so großem Geschick als Glück ausgeführt worden.
Vergeblich schlug am 30sten auf die Nachricht von dem begonnenen Kampf der Generalstab dem Feldzeugmeister vor, die ganze Kraft zwischen Robbio und Mortara zu concentriren und auf die Sardinier zu werfen. Selbst der kühne, aber nicht unausführbare Vorschlag, den rechten Flügel preiszugeben, bei Vaccarizza mit dem Gros der Armee über den Po zu gehen, so dem Feind in den Rücken zu fallen und ihn von Genua und Turin zugleich abzuschneiden, wurde verworfen, indem sich der Feldzeugmeister bis zum letzten Augenblick nicht von der Idee losmachen konnte, daß die Franzosen noch zwischen Voghera und Valenza ständen.
Unterdeß wüthete bereits der blutigste Kampf um Palestro.
Das Dorf liegt auf dem Weg von Vercelli nach Mortara, auf einer Höhe, die von lang hingestreckten Reisfeldern mit breiten und tiefen Kanälen umgeben ist. Die Straße bildet in der Nähe des Dorfs einen engen, ziemlich langen Hohlweg und war gut befestigt – aber viel zu schwach besetzt. Eine einzige Brigade, noch nicht einmal vollzählig, sollte hier Widerstand gegen zwei Divisionen leisten und zugleich die Verbindung mit den rückliegenden Linien erhalten. Es war jenes verhängnißvolle Schicksal der Opferung der einzelnen Regimenter und Brigaden eine nach der andern im heldenmüthigsten Kampf gegen einen überlegenen Feind, welches diesen ganzen Krieg characterisirt und das Unglück der österreichischen Armee herbeiführte.
Wir haben die Stellung der sardinischen Uebermacht bereits bezeichnet. Der König Victor Emanuel ergriff mit beiden Händen die Gelegenheit, die Niederlage von Novara hier zu rächen.
Für den 30sten war der Angriff von 4 Divisionen, also fast der ganzen sardinischen Armee gegen die eine Division Lilia befohlen. Das Regiment Erzherzog Leopold (Brigade Weigl) und das Regiment Wimpfen-Infanterie (Brigade Dondorf) hielten allein Casalino, Confienza, Vinzaglio und Palestro besetzt.
Während General Durando Vinzaglio, Fanti Confienza angriff, und Castelborgo gegen Casalino losging, drang Cialdini mit der Brigade Königin und dem 7ten Scharfschützen-Bataillon auf der Straße von Vercelli gegen Palesiro vor.
Das tapfere Grenadierbataillon von Erzherzog Leopold vertheidigte allein den Ort. Die nur von wenigen Posten besetzte Brücke über den Roggia-Gamara-Graben wurde im ersten Anlauf genommen, unter dem Eisenhagel ihrer vier Geschütze gegen zwei stürmten das 9. und 10te sardinische Regiment das Dorf – ein wüthendes Handgemenge, ein Mann gegen sechs! – die tapfern Grenadiere wurden, aber erst nach stundenlangem Kampf, geworfen. Aber verbissen, wie die Bulldoggen in ihren Feind, kehrten sie zurück. General Weigl mit zwei Kompagnieen ihres eigenen Regiments, einem Bataillon Wimpfen und vier Geschützen kam von Robbio her und versuchte den verlornen Posten wieder zu nehmen, fünfzehnhundert Mann gegen sechstausend, wohlpostirt! Mit Hurrah drangen die Grenadiere in die Straße und besetzten die ersten Häuser; um den Kirchhof auf der Ostseite schlug man sich mit Kolbe und Bayonnet, aber die Uebermacht erdrückte die Tapfern, schnitt sie in den eroberten Häusern ab, überwältigte sie am Kirchhof – dreihundert Gefangene, aber größtentheils verwundet, blieben in den Händen der Sardinier.
In Vincaglio schlug sich Oberst Fleischhacker mit drei Compagnieen Leopold und zwei Geschützen gegen die ganze Division Durando, ein wahrer Fleischhacker in Menschenfleisch! Sieben Offiziere und 167 Mann des Feindes waren gefallen in anderthalbstündigem Kampf, ehe die Tapfern aus dem Ort wichen. Fechtend zogen sie sich auf Palestro zurück, fanden das Dorf aber leider bereits vom Feinde besetzt. Von allen Seiten umringt, von der Uebermacht erdrückt, brach sich die kleine Heldenschaar Bahn durch die Feinde auf dem kürzesten Wege nach Robbio, in den tiefen Gräben, die sie durchwaten mußte, die zwei Geschütze und viele Verwundete zurücklassend.
Die erste und zweite sardinische Kolonne hatten ohne Kampf Casalino und Consienza besetzt. Als die Nacht herankam, stand die sardinische Armee in der Stellung Palestro Casalino hinter dem tiefen Busco-Graben aufmarschirt.
Die Oesterreicher hatten durch den Eigensinn und die geringe militärische Uebersicht des Mannes, dem leider die Leitung des Feldzugs anvertraut war, die Chance des Angriffs verloren – sie waren schon in diesem Augenblick auf dem gezwungenen Rückzug.
Vier sardinische Divisionen hatten gegen eine einzige österreichische Brigade gestanden. Fluch Denen, die die Tapfern nutzlos geopfert!
Es war Abends 10 Uhr. Während des Tages war der Regen in Strömen gefallen und hatte alle Operationen und den Kampf unsäglich erschwert. Die Sefia und die Gräben, die in allen Linien das Land durchziehen, waren bis zum Rand gefüllt.
Der König Victor Emanuel hatte sein Hauptquartier in Torrione genommen, diesseits der Sefia, an der Straße von Vercelli nach Palestro und Robbio, wo der Feind stand.
Der König, das neue spada d'Italia, schien sich trotz des ersten billigen fardinischen Sieges über die Oesterreicher keineswegs behaglich zu fühlen. Die Gefangenen hatten ausgesagt, daß größere Streitkräfte in Robbio versammelt wären. Die Fürsten des Hauses Carignan sind zwar tapfre Soldaten und gute Heerführer – am Schotten-Thor zu Wien steht jetzt das Reiterstandbild des Prinzen Eugen, fürwahr ein Zeichen der österreichischen Loyalität! – stets gewesen, aber meist indem sie andere Truppen zu kommandiren hatten, als die Piemontesen und Savoyarden!
Der König hatte sich in das Haus des Pfarrers einquartiert und die Kommandanten der beiden zunächst stehenden Divisionen, Cialdini und Durando zu sich berufen. Er begriff sehr wohl, daß wenn im Laufe der Nacht ein ernstlicher Angriff der Oesterreicher auf Palestro erfolgen sollte, seine Lage eine sehr schwierige werden würde, da die Anstalten zum Uebergang des französischen Corps Mac Mahon noch keineswegs vollendet waren, und die Aufstellung des Kaisers bei Novara erst am nächsten Tage beendet werden konnte. Ein mit gehöriger Kraft ausgeführter Angriff von Nobbio her drohte ihm diesseits der Sefia einen gefährlichen Stand. Aber die Feldherren der Oesterreicher hatten in diesem Kriege nur das Talent, ihre Brigaden einzeln der Uebermacht des Feindes im heldenmüthigen Kampfe zu opfern, aber nicht das Talent, zu siegen!
Die Persönlichkeit König Victor Emanuels ist zu bekannt, als daß wir sie zu beschreiben brauchten. Damals führte er freilich noch nicht den Titel des »König Ehrenmann!« womit die demokratische Partei ihn später lächerlich machte, sondern war nur ein brüsker Jäger und Soldat, seinem Vergnügen mit Mademoiselle Rosina bis zum Exceß lebend, in übermüthiger wüster Kraft die Gefahren der Jagd auf die Moutons der Alpen achtlos aufsuchend und von den Plänen seines Minister Cavour aufgestachelt, sich bereits als den Befreier Italiens von der deutschen Zwingherrschaft ansehend.
Mit den Nachrichten über den erfochtenen Sieg war daher an das Hauptquartier des 3ten französischen Corps zugleich die Bitte gestellt worden um Verstärkung, und Marschall Canrobert ertheilte dem 3ten Zuaven-Regiment den Befehl, sich der sardinischen Armee noch an demselben Abend anzuschließen. General Trochu, der Kommandant der ersten Brigade der Division Bourbaki überbrachte die Nachricht und sollte zugleich im Auftrag des Marschalls mit dem König die weiteren Maßregeln für den morgenden Tag besprechen, um den Uebergang der Franzosen über die angeschwollene Sesia zu decken. Fast zugleich mit ihm war ein Stabsoffizier des Kaisers aus Vercelli eingetroffen, der Kammerherr desselben, Oberst Graf Montboisier.
In der Wohnung des Königs war das Nachtessen servirt, an dem die beiden Franzosen, die sardinischen Divisionaire, der Chef des Generalstabs Victor Emanuels General-Lieutenant Marazzo Della Rocca und General Pastore, der Kommandant der Artillerie, Theil nahmen. Der König sprach nach seiner Gewohnheit stark der Flasche zu und ermunterte seine Gäste zum Trinken in bester Laune über den Erfolg des Tages. Dieser bildete natürlich den Gegenstand der lebhaften Unterhaltung. So eben hatte ein Offizier des 3ten Zuaven-Regiments, der Lieutenant Armand de Chapelle die Meldung gebracht, daß dasselbe die Sesia glücklich passirt habe. Man sprach gerade über die Stellung, die das Regiment nehmen sollte, als der diensthabende Offizier einen Courier des Generals Garibaldi meldete. »Parbleu!« sagte General Trochu, »da werden wir endlich erfahren, was der Herr treibt, oder ob die Oesterreicher ihn bereits gehängt haben, wie die Proclamation des Grafen Giulay in Aussicht stellt!«
Der König wandte sich an den meldenden Offizier, nachdem er mit Stirnrunzeln die Depesche gelesen hatte und indem er sie dem General-Stabschef über den Tisch leichte: »Wer ist der Ueberbringer?«
»Ein Adjutant des Generals, der Major Laforgne.«
»Ich kenne ihn,« bemerkte Montboisier – »ein tapferer Offizier, aber ....«
»Nun, Signor Conte?«
»Kein großer Freund des Kaisers! Wenn ich mich recht erinnere, war sein Namen sogar bei den letzten Aufstandsversuchen der Rothen in Paris compromittirt.« »Das sollte mich nicht wundern,« sagte General Trochu, »die ganze Gesellschaft besteht aus gebornen Revolutionairen und Euer Majestät könnten zufrieden sein, sie bei passender Gelegenheit los zu werden.«
»In der That,« meinte General Cialdini, »die Freischaaren bleiben ein sehr gefährliches Element jeder Armee. Man muß sie unter der strengsten Aufsicht halten und zu den verlornen Posten brauchen.«
»Ich weiß in der That nicht, wie wir ihm Beistand leisten sollen,« bemerkte Della Rocca.
»Wie – so befindet Herr Garibaldi sich in der Klemme?«
»Wie es scheint in einer ziemlich argen, lesen Euer Excellenz selbst. Das Glück, das ihn Anfangs begleitet, hat sich gewendet. Die Oesterreicher bedrohen ihn mit einer starken Kolonne und haben ihn gestern bei Como geschlagen. Er ist auf dem Rückzug nach Varese und Laveno.«
»Wenn ein französischer General,« sagte Trochu bestimmt, »sich in der Nähe des Herrn Garibaldi befände, dieser wäre vom Feinde bedrängt und er könnte ihm helfen, so würde er es nicht thun! Er würde dieses rothe Gespenst dem Verderben überlassen, das es verdient hat.«
Die Aeußerung ist historisch! sie bekundet zur Genüge, und erklärt damit die Vorgänge der folgenden Jahre, wie man in dem französischen und sardinischen Hauptquartier über Garibaldi und die demokratische Partei dachte. Die Alpenjäger des berühmten Condottieri waren in der That kein zusammengelaufenes Gesindel, sie waren Männer, zum Theil von großer Bildung und WohlhabenheitDie folgende Anekdote ist charakteristisch. Man fragte einen der Freischärler, wie viel Sold er täglich erhalte. »Ah – sechs Soldi (Kreuzer) täglich,« war die Antwort. »Aber es genügt, denn ich bekomme täglich 200 Lires von Hause!« aus allen Theilen Italiens, meist ausgesprochene Republikaner. Garibaldi war bis jetzt bei seinem Einfall in die Lombardei ausnehmend glücklich gewesen. Warum sollte man es nicht für möglich halten, daß er die ganze Lombardei revolutionire und dadurch die privilegirten Befreier wenigstens halb und halb überflüssig mache? Durften aber diese das dulden? Hatte doch Garibaldi schon am 23. Mai seine Richtung nach Mailand genommen, und wenn er das kühne Unternehmen alsbald auch wieder aufgegeben, so war er doch der Mann, es jeden Augenblick wieder aufzunehmen, und daß er in Mailand mit ganz anderem Enthusiasmus erwartet wurde, als der Kaiser Napoleon oder der König Victor Emanuel, das wußte man sehr gut. Aber ein Einzug Garibaldis als Befreier in Mailand wäre für die beiden Monarchen keineswegs sehr wünschenswerth gewesen.
Wir wissen aus den früheren Unterredungen, daß die Klugheit des sardinischen Premiers allein es war, welche den kühnen Condottieri und die republikanische Partei unterstützte oder vielmehr benutzte. Der Graf Cavour hatte es daher durchgesetzt, daß der König ihn zum sardinischen General ernannte und so der Freischaarenbildung ein offizielles Mäntelchen umhing. Aber unter den vertrauteren Kreisen war es kein Geheimniß, daß der neue General ungeduldig über die Hinhaltung und Verzögerung auf eigene Faust den Einfall in die Lombardei mit dem Zug über den Tessin unternommen hatte, um die franko-sardinische Armee zum Angriff zu zwingen. Witzelten doch die Pariser bereits: »Garibaldi se porte sur Milan et l'Empereur se porte bien!« und die ersten glücklichen Erfolge des berühmten Freischaarenführers waren vielleicht kein geringer Grund mit zu dem Entschluß des Kaisers, die österreichische Armee im Norden zu umgehen.
Die gute Laune des Königs war völlig geschwunden bei den Andeutungen über die Person des Kuriers, den der General in das Hauptquartier des Königs geschickt hatte. Dennoch konnte er nicht umhin, ihn kommen zu lassen, um ihn über die näheren Umstände zu befragen. Er ertheilte daher den Befehl dazu und der Major Laforgne wurde eingeführt.
Der Adjutant Garibaldi's schien vollkommen zu wissen, daß seine Botschaft sich keiner besonders wohlwollenden Aufnahme zu erfreuen haben würde, denn seine Haltung, wenn auch respectvoll gegen den König, war straff und kurz.
»Sie sind der Ueberbringer der Depesche meines Generals Garibaldi?«
»Ja, Sire!« Ein leises Lächeln hatte der Offizier bei der Bezeichnung nicht unterdrücken können.
»Ihr Namen?«
»Major François Laforgne, vom Stabe!«
»Der Name klingt französisch?«
»Mein Vater war ein Seemann von Marseille, Sire. Ich bin, wie mein General, auf dem Meere geboren, also frei!«
Der König biß auf den Schnurbart – seine Laune wurde durch die Antwort keineswegs verbessert.
»General Garibaldi verlangt Unterstützung,« sagte er brüsk, »nachdem er sich selbst in eine gefährliche Lage gebracht hat. Wer zum Teufel hieß ihn ohne Befehl vorgehen?«
»Sire,« erwiderte der Major fest, »General Garibaldi hatte den Zweck im Auge, seinen Landsleuten in der Lombardei so rasch als möglich die versprochene Hülfe zu bringen. Der Weg war offen, warum sollte er also nicht vorwärts gehen? Der Enthusiasmus von Varese und Como hat bewiesen, daß er Recht hatte!«
»Ein Soldat muß gehorchen,« sagte der König streng, »und darf nicht in höhere Pläne eingreifen. Die Herren Freischaaren müssen sich daran gewöhnen. Wo haben Sie Signor Garibaldi« – er sagte nicht mehr: meinen General, »verlassen?«
»Auf dem Wege nach Laveno, Sire, das er morgen angreifen will, um die Dampfer im Hafen zu nehmen und damit sich nach Intra am piemontesischen Ufer zurückzuziehen.«
»Und wenn es ihm nicht gelingt?«
»Sire, General Garibaldi rechnet auf eine Diversion Eurer Majestät im Rücken des Urban'schen Corps, damit er nicht gezwungen wird, sich über die schweizer Grenze zurückzuziehen und sein Corps zu entwaffnen. Wir haben gethan, was möglich war.«
»Es wird das Beste sein, was Ihre Truppe thun kann,« sagte General Trochu rauh. »Von Nutzen für die faktischen Operationen der Armee sind diese Plänkeleien ohnehin nicht und da sie keinen Hinterhalt geben, müssen die Bewohner der insurgirten Strecken nur bedeutenden Schaden von dem augenblicklichen Rausch haben, wenn die Oesterreicher Sie verjagen.«
Der Major wandte sich zu dem Franzosen.
»Mein Herr,« erwiderte er – »wie ich die Ehre habe, an Ihrer Uniform zu sehen, sind Sie französischer General. Die Bewohner von Como und Varese sind italienische Patrioten und werden die Wendung des Kriegsgeschicks zu tragen wissen. Ich erlaube mir aber, Ihnen zu bemerken, daß wir nur noch 15 Miglien von Mailand waren und daß General Garibaldi sich um Beistand an seine Landsleute, nicht an die Franzosen, wendet!«
Der General wollte eine heftige Antwort geben, aber der General-Stabschef kam ihm zuvor.
»Wie stark ist das Corps des Generals, Signor?«
»Nach den Verlusten vom gestrigen Tage etwa 4000 Mann. Die Zersprengten werden sich indeß bald wieder sammeln.«
»Mit Eurer Majestät Erlaubniß,« sagte der General della Rocca, »werden wir dem General sobald als möglich Antwort geben. Der Herr Major wird unbedingt bis morgen warten müssen, da von dem Ausfall des morgenden Tages alle weiteren Beschlüsse abhängen.«
Der Garibaldien verbeugte sich. »Ich hoffe,« erwiderte er, »daß bis dahin meine Kameraden sich selbst geholfen haben werden und bedaure nur, dabei nicht an ihrer Seite zu sein. Haben Euer Majestät noch weitere Befehle?«
»Nein! – Morgen! – Melden Sie sich bei dem Quartieramt des Stabes, damit für Sie gesorgt wird!«
Eine Bewegung der Hand verabschiedete den Offizier. Er verließ in derselben Haltung das Gemach und trat mit sorgenvoller Stirn in die Straße des Dorfes. Der Empfang, der ihm, obschon nicht ganz unerwartet, geworden, zeigte ihm, daß sein geliebter Führer herzlich wenig auf die Hilfe der regulairen Armee bauen konnte und sich als verlorenen und preisgegebenen Posten betrachten mußte, dessen glückliche Erfolge man gern benutzte, während man beim Gegentheil vollkommen beabsichtigte, ihn im Stich zu lassen.
Der Regen, der während des Tages sich ergossen, hatte aufgehört und der Himmel zeigte sich wieder sternenklar.
Die Gasse des Dorfes war überaus belebt. Infanterie, Cavalleggieri, die Artillerie und die Bersaglieri bivouacquirten in bunten Gruppen in dem Dorfe und um dasselbe, überall flammten lustige Feuer, an denen nach der blutigen Arbeit des Tages das Essen gekocht oder im wirren Durcheinander jedes Ereigniß recapitulirt wurde. Zwischen der Masse der sardinischen Truppen bewegten sich eine Anzahl Zuaven, die nach dem Uebergang des Regiments auf Pontons unter Zurücklassung ihrer Bagage hierher gekommen waren, um zu fouragiren. Sie wurden überall von den Sardiniern mit Jubel aufgenommen und fraternisirten willig bis zum letzten Tropfen der Feldflaschen mit den Soldaten des Königs.
Die kleine, kapellenartige Kirche des Ortes war zum Lazareth eingerichtet worden, wo die Verwundeten aus dem Gefecht des Tages lagen, die man noch nicht hatte weiter schaffen können. Hierher wandte sich Major Laforgne zunächst, um zu erfahren,, ob unter den Kranken Bekannte von ihm aus der sardinischen Armee sich befänden.
Er hatte jedoch den Eingang der Kirche noch nicht erreicht, als sich ihm eine Hand auf die Schulter legte.
»Major Laforgne, es freut mich herzlich, Sie wieder zu sehen.«
Aufblickend erkannte der Garibaldien den Grafen Montboisier, der ihm die Hand bot.
»Wir haben uns nicht wieder gesehen, Herr Major, seit jenem Vorfall in Turin,« sagte der Graf. »Wir werden wahrscheinlich Beide morgen oder noch diese Nacht im Gefolge des Königs dem Angriff der Oesterreicher beiwohnen müssen, der unmöglich ausbleiben kann, und ich komme daher, Ihnen anzubieten, mein Quartier zu theilen, obschon dasselbe nur in einer schlechten Kammer besteht. Aber dies Nest ist so überfüllt, daß man froh sein muß, das geringste Unterkommen zu haben und ich glaube schwerlich, daß Sie ein solches finden werden.«
Der Garibaldien nahm es auf das Dankbarste an. »Es war ein unangenehmer Vorfall damals in Turin,« sagte er – »aber ich bin vor Kurzem Zeuge einer Scene gewesen, die in jeder Beziehung blutiger und schrecklicher war, deren Ausgang Sie aber wahrscheinlich interessiren wird, Herr Graf; denn wenn ich mich recht erinnere, waren Sie im vorigen Jahre an dem Abend vor Orsini's Attentat auf den Kaiser ja auch im Circus, als jener Unfall der Kunstreiterin Rositta sich ereignete.«
Der Oberst sah ihn bedeutsam an. »Gewiß war ich dort und nahm den größten Theil an dem unglücklichen Mädchen. Es war der letzte Abend, an dem man Sie in Paris sah! Man suchte Sie später sehr!«
»Ah – Caramba! sprechen wir nicht mehr von den alten Geschichten« lachte der Abenteurer. »Ich habe immer Unglück in Paris gehabt und wir sind ja jetzt Verbündete. Uebrigens kann ich Ihnen mein Ehrenwort geben, daß ich keine Ahnung von dem Plane der Meuchelmörder hatte, sondern einfach blos ein wenig Revolution machen helfen wollte.«
»Warum bringen Sie mich auf jenen Abend?«
»Sie werden sich vielleicht selbst erinnern, daß die Reiterin Rositta damals plötzlich verschwunden ist?«
»Gewiß! es war eine eigenthümliche Geschichte, die unaufgeklärt geblieben ist, obschon sich selbst sehr hohe Personen für die Señora interessirten. Aber der Lärmen über das Attentat beseitigte damals alles Andere! Ich erinnere mich, daß ich damals wiederholt von einem früheren Zuavenarzt, dem Begleiter der Señora im Circus, Dr. Achmet, in Anspruch genommen wurde, aber alle Nachforschungen waren vergeblich.«
Sie waren am Eingang der Kirche stehen geblieben, aus der so eben der junge Offizier heraustrat, welcher die Meldung von dem erfolgten Uebergang des dritten Regiments über die Sesia in's Hauptquartier gebracht hatte.
Armand de Chapelle war begleitet von einem seiner Leute. Der Zuaven-Sergeant war ein Mann, erst in dem Alter des Offiziers, also kaum vier- oder fünfundzwanzig Jahre, aber ganz gegen die Gewohnheit seiner wilden und übermüthigen Kameraden beschattete ein tiefer Ernst, oder vielmehr eine tiefe Melancholie seine Züge, und in dem von der Sonne der Wüste gebräunten Gesicht sah man die Furchen des Grams oder Schmerzes eingegraben.
Der Zuave trug einen seltsamen Schmuck auf seiner Brust: zwei Löwentatzen an einer Schnur von Kameelhaar, die um seinen Hals geschlungen war.
Die Offiziere salutirten im Vorübergehen, aber der Graf blieb stehen.
»Halte-Ià!« sagte er munter – »heute ist ein Glückstag für alte Bekanntschaften. Lieutenant de Chapelle – unser wackerer junger Freund und Befreier aus arger Klemme damals im Arba-Gebirge, am Rand der Sahara!«
»Wenn Sie sich des kleinen Dienstes erinnern wollen, mein Herr, den ich Ihrer Gesellschaft damals zu leisten das Glück hatte,« erwiederte der Offizier, die dargebotene Hand schüttelnd, – »so schätze ich mir die Erneuerung unserer Bekanntschaft zur Ehre.«
»Und dies Gesicht da – Valga me Dios! ich muß es kennen, und diese Zeichen, die der Herr trägt, erinnern mich an eine der traurigsten Stunden meines Lebens.«
»Sie haben Recht, Herr Graf, – es ist Jacques Fromentin, der Gefährte meiner Kindheit, jetzt mein treuer Kamerad in den Waffen, der Bruder unsers unglücklichen Freundes, des Matadreo!«
Der Oberst reichte gleichfalls dem Zuaven die Hand und drückte warm die seine, ohne ein Wort hinzuzufügen. Dann stellte er die beiden Offiziere einander vor.
»Ich kenne bereits einige Offiziere des Generalstabs,« sagte der Oberst, »und so wird es mir wohl möglich sein, von der Tafel des Königs noch Einiges für uns anzuschaffen. Begleiten Sie mich also in mein Quartier, meine Herren, denn schwerlich wird in diesem Loch eine Osteria sich finden lassen, oder sie ist so überfüllt, daß nicht anzukommen ist.«
Der Lieutenant dankte freundlich und bedauerte, daß er von der Einladung keinen Gebrauch machen könne, da er jeden Augenblick die Ordre aus dem Generalstab für sein Regiment erwartete.
»Parbleu!,« lachte der Oberst, – »so will ich wenigstens sehen, was ich für Sie fouragiren kann; denn wie ich höre, haben Sie ohne Gepäck und Bagage den Fluß passiren müssen. Warten Sie hier einen Augenblick.«
Er eilte nach dem Pfarrhaus zurück. Bald darauf kam er wieder, begleitet von einem der Offiziere des Generalstabs. Der Bursche des Obersten folgte, in jeder Hand zwei Weinflaschen und unter dem Arm in Papier gewickelt einige gebratene Hühner.
»Hier, Herr Kamerad, das ist Alles, was ich für Sie anschaffen konnte, und es war die höchste Zeit, denn dieser Herr hier verlangt nach Ihnen. Wenn irgend möglich, suche ich Sie morgen auf.«
»Der Adjutant des dritten Zuaven-Regiments?« frug im dienstlichen Ton der Generalstabs-Offizier.
»Hier, mein Herr!«
»Ordre für den Oberst de Chabron! – Gute Nacht und guten Dienst, mein Herr.« Er ging. Jacques Fromentin brachte das Pferd seines Freundes herbei; die Flaschen waren bald in den Pistolenhalftern untergebracht und der junge Offizier im Sattel.«
»Sergeant Touron,« befahl er dem Freunde, der unter dem alten Schlachtennamen seines Vaters, des Invaliden vom Pont de la Concorde diente, – »sammeln Sie Ihre Fourageurs so bald als möglich und folgen Sie zum Regiment. Gute Nacht, meine Herren. A propos – noch Eins, Herr Graf. Sie sprachen vorhin, als ich die Ehre hatte, Ihnen zu begegnen, wenn ich recht verstand, von unserem wackeren Doktor? Wenn Sie Etwas an ihn zu bestellen haben, stehe ich zu Diensten!«
»Wen meinen Sie denn, Herr de Chapelle?«
»Corbiou! wen sonst, als den Doktor Achmet, den Mohrendoktor, wie man ihn nennt! Er ist mit unserem Regiment nach Italien gekommen. Auf Wiedersehen also morgen!«
Er gab dem Pferde die Sporen und jagte davon.
Der Graf wandte sich zu dem Freischaaren-Offizier.
»Sie haben gehört, was der junge Herr uns sagte. Das trifft sich also ganz vortrefflich, wenn Sie davon Gebrauch machen können. Aber eigentlich weiß ich noch immer nicht, was Sie mir von dem Schützling des Doktor Achmet mittheilen wollten. Was ist's mit der hübschen und etwas geheimnißvollen Kunstreiterin?«
»Ich habe sie wiedergefunden!«
»Señora Rositta?«
»Ja – oder vielmehr die Marquise Carmen von Massaignac!«
»Die Marquise von Massaignac, die damals vom Ball auf und davon ging, wie man anfangs den Verdacht hegte, von Ihnen selbst entführt?«
»Dieselbe!«
»Und was zum Teufel hat die reiche Erbin mit der Kunstreiterin zu thun?«
»Einfach dies, daß Beide ein und dieselbe Person sind!«
Der Oberst schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »O ich Dummkopf – wo hab' ich meine Augen gehabt! Valga me Dios , es fällt mir wie Schuppen davon. Und damit ist auch die Theilnahme der Kaiserin für die Dame erklärt. Aber wo in aller Welt haben Sie dieselbe nach dem zweiten räthselhaften Verschwinden wieder getroffen?«
»In einem Kloster Tessin am Monte Cenere, wo sie die Intriguen der Jesuiten und ihres nichtswürdigen Bruders gefangen gehalten haben.«
»Ihres Bruders – des Senateurs? des Gemahls meiner alten Liebe? Aber wenn mir recht ist, habe ich ja gestern oder vorgestern in pariser Blättern gelesen, daß er bei einem Ausflug in der Schweiz verunglückt ist!«
»Der Tod hat ihn an demselben Ort ereilt, als ich seine Schwester aus ihrer schmählichen Gefangenschaft befreien wollte. Sie ist wahrscheinlich jetzt schon in Paris.« »Wissen Sie auch, daß die Dame durch diesen Tod, welchen übrigens wohl Niemand beklagen wird, eine der reichsten Erbinnen Frankreichs geworden ist, da der Marquis keine Kinder hinterlassen hat? Sie ist ja wohl, wenn ich mich recht erinnere, mit dem Vetter der Kaiserin, Don Alvaro Montijo verlobt?«
»Um diesem Bündniß zu entgehen, ist sie das erste Mal entflohen.«
»Bah – sie ist jetzt Herrin ihrer Hand und wird Bewerber genug finden trotz ihrer abenteuerlichen Irrfahrten. Valga me Dios! wenn ich nicht bereits über die vierzig zählte, ich würde mich selbst noch an ihren Triumphwagen spannen. Ein so interessanter Ruf und dazu verschiedene Millionen – das ist etwas für unsere guten Pariser!«
»Ich glaube, Sie würden zu spät kommen,« sagte lächelnd der Major. »Die Marquise ist eine ächte Spanierin, die mit ihrem Herzen einen Ritterdienst bezahlt. Mein junger Freund aus Preußen hat sie redlich verdient.«
»Monsieur de Reuble?«
»Ich meinte ihn!«
»Seltsam!« sagte der Graf nachdenkend, »wie das Schicksal oft so wunderlich spielt und die Menschen zusammen führt. Vor einigen Jahren griff die Anwesenheit seines älteren Bruders schon so merkwürdig in unser Leben ein, und ich erinnere mich, daß er bei dem alten Oberst Massaignac sehr wohl gelitten war. Es war eine dunkle Geschichte, ein schreckliches Duell mit seiner Person verknüpft. Den jüngeren de Reuble kenne ich nur flüchtig durch Empfehlungen seines Bruders und seiner Tante, aber was ich von ihm gesehen, seine Entschlossenheit bei dem Unglück im Circus und die Ruhe bei seiner Verhaftung im Foyer der Oper haben mir sehr gefallen. Sie müssen mir mehr davon erzählen noch diesen Abend Major, und von Ihrem Abenteuer am Monte Cenere. Wenn es Ihnen genehm, kehren wir nach unserm Nachtquartier zurück.«
Die beiden Männer verließen die Straße des Dorfs, wo um die Bivouacfeuer jetzt Mancher auf dem regengetränkten Boden eine kurze Ruhe suchte, der schon am nächsten Morgen die ewige finden sollte! Bald darauf lagen auch auf dem Stroh in ihrer Kammer der Aristokrat, der frühere Legitimist, jetzt der Trabant des Kaisergestirns – und neben ihm der kecke Abenteurer, der Soldat der Revolution, jetzt der eines Königs – und gewiß doch Beide im Herzen noch immer der alte Legitimist und der alte Republikaner!
Es ist doch etwas Mächtiges um die Treue und um die Consequenz! – –
Das dritte Zouaven-Regiment, 2600 Mann stark, nahm auf der Südfront Palestros hinter dem in die Sesietta mündenden Arm des Cavo scotti seine Stellung. Der Punkt war jetzt von 14 Mann besetzt. – – Im Hauptquartier von Garlasco waren am Abend die Berichte von den Gefechten des Tages eingetroffen; aber auch die klare Thatsache, daß die Sardinier sich nicht so weit exponirt haben würden, wenn sie nicht an der französischen Armee vollen Rückhalt gewußt, konnte den Feldzeugmeister überzeugen, daß die Franzosen gar nicht mehr sein Gros und seinen linken Flügel bedrohten, sondern ihre Operationen nach Norden, also gegen seinen rechten Flügel geworfen hatten. Ja, man glaubte nicht einmal, daß die ganze sardinische Armee bereits diesseits der Sesia stand.
Aus dieser Ansicht hervorgehend wurden auch wieder ganz ungenügende Maßregeln getroffen. Die Division Jellacic vom 2ten Corps erhielt Befehl, sogleich von Cerignano nach Robbio aufzubrechen, die Division Herdy sollte bis Mortara folgen, das 3te Corps sich am nächsten Morgen in Trumello concentriren und dort weitere Befehle erwarten – drei eine halbe Meile vom Schlachtfeld! Auf diese Weise wurden zwar ungefähr 50 Mann auf der Straße von Pavia nach Vercelli echelonnirt, aber an 4 Meilen auseinander, und gegen 80 Sardinier und die französische Armee dahinter!
Graf Giulay ritt noch am Abend mit seinem Stabe nach Mortara, um mit Feldmarschall-Lieutenant von Zobel den Angriff auf Palestro zu verabreden, der dem Gegner die errungenen Vortheile entreißen sollte. Aber seine Person konnte unmöglich die verkehrten Maßregeln ersetzen!
Indem ganz unnütz das 5., 8., und 9te Corps an dem untern Po stehen gelassen wurden, statt bei Mortara concentrirt zu worden, um entweder den Uebergang der Franzosen zu hindern oder sich auf die übergegangenen zu werfen, legte man damit den Grund zu all' dem nachfolgenden Mißgeschick des tapferen österreichischen Heeres.
Die Franzosen hatten unterdeß ihren Flankenmarsch fortgesetzt, das 4te Corps Niel schon diesseits der Sesia von Borgo Vercelli nach Navara, die Garde an der Sesia hinauf nach Albano, das zweite Corps bis Borgo Vercelli, das dritte, Canrobert, versuchte schon am Abend des 30sten bei Pravolo – gegenüber von Palestro über den Fluß zu gehen, konnte aber erst den andern Morgen die Brücke vollenden und begann um 7 Uhr früh den Uebergang. Das 1ste französische Corps, Baraguay, bildete jetzt die Arrieregarde und stand in Casale.
Wäre es demnach den Oesterreichern gelungen, bei Zeiten Palestro wieder zu nehmen, so war die Uebergangslinie des Feindes durchbrochen, die sardinische Armee in der größten Gefahr.
Die Division Jellacic traf jedoch erst Vormittag um 9 Uhr in Robbio ein. Der Angriff sollte von drei Brigaden – also mit ganz unverhältnißmäßig geringen Kräften – von drei Seiten erfolgen, die Reserven standen wiederum nach dem unglücklichen System in viel zu weiter Entfernung, um in das Gefecht unmittelbar eingreifen zu können.
Um 10 Uhr fiel der erste Kanonenschuß, – das 21ste Jäger-Bataillon, das der Brigade Dondorf beigegeben war, begann auf der Chaussee trotz des heftigen Tirailleurfeuers tapfer den Angriff, warf die sardinische Brigade Regina aus den Verschanzungen und drang bis an die ersten Häuser vor. Aber das Gros der Angriffscolonne, das Regiment Wimpffen und das Ottochaner Gränz-Bataillon waren zu rasch heran gestürmt und vermochten athemlos im Feuer nicht zu halten – als die tapfern Jäger weichen mußten, wandte sich auch die Infanterie – nur das Grenadier-Bataillon hielt den verfolgenden Feind auf und deckte den Rückzug. Vergebens waren die Anstrengungen des tapfern Kommandanten – Hauptmann Graf Wurmbrand von den Jägern, aus einem der ersten Tyroler Geschlechter, fiel mit zerschmetterter Kinnlade im Augenblick, als er sich den Retirirenden entgegenwarf – die Brigade mußte mit 750 Mann Verlust den Kampf aufgeben.
Der rechte Flügel der kleinen österreichischen Macht, (etwa 15 Mann zunächst gegen 35 Piemontesen und wieder auf eine ganze Meile Front vertheilt, ein ewig sich wiederholender Fehler österreichischer Generale!), hatte zur gleichen Zeit Confienza angegriffen. Die Brigade Weigl fand hier die ganze Division Fanti; die zwei Geschütze, die der General allein auf einem schmalen Wege auffahren konnte, wurden von den überlegenen sardinischen Batterieen zusammengeschossen, und obschon die Bataillone des Regiments »Erzherzog Leopold« trotz ihrer Verluste vom Tage vorher sich mehrer Häuser bemächtigten, konnten sie sie doch nicht behaupten und mußten wieder zurückweichen. Ihr Widerstand war so wüthend, sie sind mit den Feinden so eng zusammen, daß die Grenadiere nicht mehr von dem Bajonnet Gebrauch machen können und nur mit den Kolben drein hauen! General Weigl, mit einem Schuß durch den Arm gleich im Beginn des Gefechts, hielt tapfer bis zum letzten Augenblick aus.
Noch unglücklicher war das Schicksal des linken Flügels, der Brigade Szabo.
Das siebente Jäger-Bataillon an der Spitze, gefolgt von der 12-Pfünder-Batterie, ging das Regiment »Erzherzog Wilhelm« von Rosasco auf schmalem Wege, links von der Sesia, rechts von Gräben eingeengt, bis La Brida vor und warf hier die Posten des 9ten sardinischen Regiments mit Hurrah zurück. Die Batterie protzt links vom Wege ab – ihre Kugeln bestreichen die Pontonbrücke, auf welcher das Corps Canrobert über die Sesia geht – Oberst Duhamel wird dort erschossen.
Jetzt debouchiren die Jäger auf das freie Feld, auf welchem die Cascina di San Pietro steht, ein fünfzig Fuß langes Gebäude, von den Bersaglieri Cialdinis besetzt. Ihr Oberst Schnorbusch führt die wackern Krainer gegen das Haus; der brave Bataillons-Adjutant Mammer von Mammern treibt sie vorwärts – Freiherr v. Lempruch –, Meeden, Wallerstein kämpfen an der Spitze, durch die Fenster und Thüren dringen sie ein – Hurrah! Die Bergsaglieri hinaus! fort geht's im Sturmlauf bis an die ersten Häuser von Palestro – das Regiment Erzherzog Wilhelm folgt mit seinen Bataillons über die Kanalbrücke, – die Batterie rasselt noch – im Rausch des Erfolgs vergißt man sogar die Brücke zu besetzen. Wer denkt an Rückzug in einem solchen Augenblick?
Da wirft sich in Palestro ihnen die ganze Brigade Savona entgegen und bringt die Jäger zum Stehen. Ein Tirailleurgefecht entspinnt sich um die Häuser – über das Kornfeld nach der Sesietta fliegt ein Adjutant Cialdinis mit wehendem Tuch – zugleich eröffnet vom Sesia-Ufer her eine französische Batterie ihr Feuer und schmettert in das Regiment.
Athemlos ist der sardinische Adjutant an der Pappelreihe, hinter der verborgen jenseits der Sesietta, deren sonst trockenes Bett jetzt über 4 Fuß hoch mit Wasser gefüllt ist, die Zuaven von Philippeville, die Zähne in wilder Kampflust auf einander gepreßt, funkelnden Auges des Rufs harren.
»Colonel – es ist Zeit! General Cialdini bittet um Ihren Beistand. Dort hinaus, Sie fassen die Oesterreicher im Rücken und in der Flanke.«
Colonel de Chabron hebt den Säbel – die Kommandanten Du Moulin, Labrousse, Bocher ordnen rasch die Bataillone. Marche! Marche! im Sturmschritt eilen die Kolonnen vorwärts, da hält die Sesietta sie auf, die ersten Reihen sinken bis über die Brust in's Wasser, die Kolonnen stocken – sie sehen die Kameraden, die bereits am andern Ufer des Flußarmes emporsteigen, mit dem Wasser kämpfen, das ihre weiten Pumphosen füllt und jeden ihrer Schritte wie mit Centnerlast erschwert.
Der Augenblick droht sie zu decontenanciren – da schwingt Major Souville sein Käppi: »Pardious meine Schakals! habt Ihr denn ganz vergessen, wie Ihr im Atlas über die geschwollenen Bergströme setztet?« Die braunen Gesichter sehen sich an, es zuckt wie Lachen über die wilden Mienen, – im nächsten Augenblick schlägt ein helles Gelächter durch die Reihen – im Nu sind die weiten orientalischen Hosen heruntergerissen, die neuen Sansculottes stürzen sich jubelnd in das Wasser und drüben angekommen mit fliegendem Hemd, wer ein solches aufzuweisen hat gegen den erstaunten Feind. Die Offiziere mit geschwungenem Säbel mitten dazwischen – die meisten Gewehre sind untauglich zum Schuß geworden, die Munition ist verdorben. En avant! en avant par bajonnette! – Vive l'Empereur! Mordious! Der Ansturm, ganz unerwartet kommend, ist furchtbar – er faßt die österreichischen Jäger in die linke Flanke, – er fällt in ihrem Rücken – drittehalbtausend wilde Kerls, Bestien im Blutdurst, die den Verwundeten, Hilfslosen noch mörderisch an den Boden nageln! wilde Teufel, unbekümmert um das eigene Leben, Dämonen, die einen Blutsabbath feiern und über die Pferde, die Räder, die zum letzten Mal den Tod in die Feinde schleudernden Rohre der Kanonen herstürmen, klettern, springen – – in wenig Minuten sind fünf der österreichischen Geschütze, die, zwischen den Gräben eingekeilt, nicht wenden können, genommen! – die andern drei erobert das 7. Bataillon der Bersaglieri und das 16te piemontesische Regiment, das zugleich bei der Kirche San Antonio über die Cavobrücke dringt und die Cascine wieder nimmt. Unaufhaltsam drängen die Zuaven die überraschten Gegner gegen die enge Kanalbrücke und den Kanal zurück, der – 20 Schritt breit, 10 Fuß tief, – von 25 Fuß hohen Dämmen eingefaßt ist. Hier ballt sich im letzten wilden Ringen der Menschenknäuel, man stürzt einander die Brücke hinab, man springt in den Kanal, in die Sesia selbst, sich zu retten – hunderte kämpfen mit dem Wasser – versinken – tauchen auf – dort ragt ein Arm über das Wasser, noch das Gewehr in der Hand, das der Tapfere selbst im Tode nicht lassen will! – zwei Feinde, Jäger und Zuave, in einander verschlungen, wie kämpfende Bulldoggen, rollen von dem hohen Damm und die blutgerötheten Wasser schlagen über ihnen zusammen; – Hilferuf der Ertrinkenden – aber selbst der Bruder hätte nicht Zeit, den Bruder zu retten – unter dem Mordio der Sieger, unter dem Wuthgeschrei der Kämpfenden verhallt das Stöhnen der letzten Angst. Wie Löwen schlagen sich die Krainer gegen die halbnackten Teufel, die Oberjäger Richter, Seidl und Luft, Führer Klang, Unteroffizier Riemer, die Jäger Kuharsik und Heßler brechen sich Bahn, schlagen Alles nieder – vergeblich! Die Uebermacht bricht jeden Widerstand – es gilt nur noch, dem Kaiser die Reste seines tapfern Bataillons zu erhalten. Das Regiment »Wilhelm« – ungarische Infanterie aus den Sümpfen von Comorn – hat eine Salve gegeben, dann erfaßt panische Verwirrung die sonst so Wackeren. Seit dem Tage vorher fast ununterbrochen auf dem Marsch, ohne Verpflegung, in der brennenden Hitze des Tages zum Angriff geführt, haben sie alle Willenskraft verloren. Vergeblich sucht sie der tapfere Verannemann von Watervliet, ihr Kommandant, zum geordneten Widerstand zu sammeln, vergeblich werfen sich die braven Hauptleute Souvent, Hiller, Vogel vor die Kompagnien, sie zum Widerstand ermunternd; Lieutenant Haschka schlägt sich wie ein Teufel, – die Menge hat den Kopf verloren, wie sie in diesem Augenblick ihren tapferen Kommandanten verliert. Oberstlieutenant von Kreyßern übernimmt den Befehl und giebt das Signal zum Rückzug – die Bataillone ballen sich zusammen, gleich dunklen, eisenstarrenden Massen, in denen der Tod seine reiche Erndte hält – so dringen sie gegen die schmale Brücke zurück – über Freund und Feind – fünfhundert Mann lassen sie auf dem Wahlplatz! – Hauptmann Csikos von Leopold-Infanterie der Weigl'schen Brigade, die auf dem rechten Flügel den Kampf hat aufgeben müssen, deckt herbeikommend mit vier Kompagnien den Rückzug der letzten Bataillone und wirft den verfolgenden Feind zurück. So rettet sich das Regiment, aber nur, um wenige Stunden darauf, bei Magenta seine blutige Revange zu nehmen. Nur eine Kanone, die noch nicht die unselige Brücke passirt war, bringt die Brigade mit aus den Kampf zurück!
Noch einen Versuch machte Feldmarschall-Lieutenant v. Zobel, der das Gefecht kommandirt hatte, als die Brigade Kudelka eintraf, mit den vier Bataillonen des Regiments »Jellacic« Palestro zu nehmen. Aber der – ohnehin gegen 21 Bataillone des Feindes hoffnungslose – Angriff wurde schon im Beginn an den tiefen Gräben des Terrains aufgehalten. Um 3 Uhr Nachmittags mußte das Feuer auf allen Punkten eingestellt werden und wurde der Rückzug befohlen. Die beiden Tage von Palestro hatten den Oesterreichern 44 Offiziere und 2165 Mann an Todten, Verwundeten und Vermißten gekostet. Von Letzteren fanden sich jedoch viele – namentlich von den tapfern Jägern – wieder zu ihrem Corps. Der Verlust der Verbündeten war nur wenig geringer. – –
Gleich nachdem die Zuaven und das 16te piemontesische Regiment die Brigadebatterie der Oesterreicher genommen hatten und die Jäger und das Regiment »Wilhelm« nach dem Kanal zurückdrängten, kam der König mit dem Generalstab aus Voghera und ritt auf das blutgetränkte Schlachtfeld.
Zwei der Reiter der Suite hielten an den eroberten Kanonen, wo Leichen und Verwundete von Freund und Feind noch über einander gehäuft lagen und von der Wuth des Kampfes zeugten. Ein französischer Militair-Arzt mit seinen Gehilfen war bereits rüstig daran, die Verwundeten zu verbinden und aus dem Bereich des Feuers schaffen zu lassen.
An einer der Lafetten saß ein junger Offizier, er hatte einen Streifschuß am Arm und eine Contusion am Kopf von einem Kolbenschlag, der ihn zu Boden geworfen, bereits aber wieder unter der Hand des Arztes und eines Sergeanten seines Bataillons die Besinnung wieder erhalten.
»Valga me Dios,« sagte der Oberst Graf Montboisier, denn dieser war einer der beiden Reiter, – »sehen Sie dahin Major, da ist ja unser junger Freund von gestern!«
Er parirte sein Pferd vor der Gruppe – Laforgne war an seiner Seite.
»He Lieutenant de Chapelle! ich hoffe, Sie sind nicht gefährlich verwundet? Wie steht es mit ihm, mein Herr?«
Er hatte sich an den Militair-Arzt gewandt, einen Mann von höhern Jahren, braun, mit schmalem klugem Gesicht.
»Wenn Sie an diesem Herrn Antheil nehmen, so kann ich Ihnen die trostreiche Auskunft geben, daß er übermorgen wieder seinen Dienst thun wird. He, Lavasseur – reichen Sie das Besteck her – der arme Bursche hier muß auf der Stelle amputirt werden, wenn ihm das Leben erhalten werden soll!«
Der wackere Doktor war bereits bei dem seiner Hilfe Bedürftigen. Die Hand des jungen Zuaven-Offiziers hielt ihn zurück.
Arretez Doktor! Lassen Sie mich unter dem Pulverdampf und dem Kugelpfeifen eine Vorstellung halten. Monsieur le Comte de Montboisier, Major Laforgne – unser vortrefflicher Doktor Achmet, genannt der Niggerdoktor!«
»Hol' Sie der Henker mit Ihren Niggern und Affen, Sie junger Teufel,« sagte der Arzt halb lachend, während er zwei plündernde Zuaven herbeiwinkte, das Bein ihres Kameraden zu halten. »Aber es freut mich, Ihnen zu begegnen, denn ich kenne Sie Beide wenigstens von Ansehn und aus einer schrecklichen Stunde.«
Der Major war rasch aus dem Sattel gesprungen. Ohne den Arzt in seiner menschenfreundlichen, aber schrecklichen Beschäftigung zu hindern, war er dicht an ihn heran getreten. Der Doktor schnitt bereits in dem zerrissenen Fleisch des armen Kerls. »Herr – ich hoffe, ich bin der Erste, der Ihnen die gute Nachricht bringt – Ihre Schutzbefohlene, Rositta – oder vielmehr die Marquise von Massaignac ist gefunden!«
Ein lauter Aufschrei des Verwundeten antwortete der Nachricht – der Doktor hatte tief in das Fleisch geschnitten.
»Um Gotteswillen, Herr – halten Sie ein!« stöhnte der Arzt – »wenn nicht um meinet-, so doch um dieser armen Kerle willen – ich darf jetzt nichts Anderes hören! – Reichen Sie mir die Zange, Lavasseur – ich muß die Knochensplitter herausziehen. – Wo, Major – wo ist mein Kind, meine Carmen? Das Einzige sagen Sie mir, ob sie in Sicherheit ist?«
»Beruhigen Sie sich – wahrscheinlich befindet die Marquise sich bereits in Paris. Sie wissen vielleicht, daß ihr Bruder todt ist?«
»Ich habe es aus den Zeitungen gehört!« Er arbeitete mit Zange und Messer – »er war ein Schurke und sicher betheiligt bei dem Verschwinden seiner Schwester!«
»So ist es – er und die Jesuiten!«
»Die Jesuiten? Tausend Flüche über sie, die mir die Schwester gemordet! – Hebt den Mann auf, Kinder, behutsam, behutsam – dort kommt ein Wagen der piemontesischen Sanitätscompagnie aus dem Dorf. Haltet ihn an! es ist das Wenigste, was sie für Euch thun können, nachdem Ihr sie aus der Klemme gehauen habt! – Den Nächsten her, Bursche, den Nächsten!«
»Sehen Sie, Major,« sagte der Graf, sein Feldperspectiv vor dem Auge – »die Oesterreicher sind im vollen Rückzug – sie haben ihre Leute ganz nutzlos geopfert. Ich denke, nun können diese Burschen wieder bequem ihre Hosen anziehen des öffentlichen Anstands halber! – Herr Giulay hat Garibaldi gerettet, Sie können ihm die Nachricht bringen, daß der Kaiser in höchstens drei Tagen über dem Ticino sein wird und auf dem Weg nach Mailand, ihm also den Rang abläuft!«
Die beiden Offiziere ritten auf dem Schlachtfeld umher – als sie zu der Batterie wieder zurückkehrten, fanden sie den jungen Zuaven-Offizier mit dem Arm in der Binde bereits wieder auf den Füßen und mit Hilfe des Sergeanten, der vergeblich im dichtesten Kampfgewühl den Tod gesucht, beschäftigt, seine Leute zu sammeln.
Doktor Achmet kam ihnen entgegen, mit Blut bedeckt, aber mit freudestrahlendem Auge in dem verwitterten redlichen Gesicht.
»Que gozo!« sagte er – die Hand an den Hals des Pferdes abwischend und sie dann dem Major bietend. »Ich habe glücklicher Weise jetzt einen Augenblick Luft, da die regulairen Kollegen angekommen sind und ich nur als überzähliger Doktor, als Freiwilliger für meine alten Kinder, diese teuflischen Schakals, fungire! So kann ich eine Viertelstunde meinen eigenen Angelegenheiten widmen, wegen deren ich doch blos nach Italien gekommen bin.«
»Ich wiederhole Ihnen – Ihr Schützling ist in Freiheit und Sicherheit! Ich selbst habe sie aus ihrem Gefängniß geholt.« »Nicht wahr – eine Klosterzelle mit einem vergitterten Fenster – Nonnen ihre Wächter?«
Laforgne sah ihn erstaunt an. »So ist es. Aber woher wissen Sie das?«
»O ich weiß noch mehr – sie besaß noch den schwarzen Diamanten – das Pfand der Kaiserin! Dies Kleinod allein hatte sie ihren Wächterinnen verbergen können!«
»Ja – es ist wahr! ich begreife nicht ....«
»Wer mag sagen, junger Mann,« sagte der Arzt mit tiefem Ernst – »daß er die Wunder und die geheimen Kräfte der Natur begriffen und ermessen hat? Ich habe das Kind meines Herzens in ihrem Kerker geschaut, während ich durch Länder und Berge von ihr getrennt war. Ich sehe, daß Sie mich nicht verstehen – aber der Herr Graf wird es, wenn ich ihm sage, daß ich seitdem an die magnetische Kraft des Herrn Hume glaube!!«
Der Major, der Schule der allzu fortgeschrittenen Aufklärung angehörig, auch ohne eigentliches Interesse für dergleichen Dinge, unterdrückte ein Lächeln, um den älteren Mann nicht zu kränken, und begnügte sich damit, ihm die Umstände der Auffindung und der Flucht der jungen Marquise zu erzählen. Da er keine Ursache hatte, die Namen dabei zu verschweigen, nannte er wiederholt auch den des Abbé Corpasini und des Generals Grafen Moltara.
Je weiter er in seiner Erzählung kam, desto höher schien sich das Interesse des Abkömmlings der alten Könige von Granada zu steigern.
Als der Major davon sprach, wie der junge Jesuit, sein Gefährte in der Befreiung der beiden Gefangenen, sich gegen die Tyrannei des Rektors aufgelehnt, wie er ihm von seiner spanischen Heimath gesprochen und der alte verstümmelte Dieb ihn an Azcoitia erinnert, begannen die Augen des Hacenen sich eigenthümlich zu beleben, und er bat in der höchsten Erregung den Offizier, auch nicht das geringste Detail, nicht das kleinste Wort, dessen er sich erinnern könne, auszulassen. Es mußte etwas Großes und Wichtiges sein, was den sonst so ruhigen besonnenen Mann der Art erschütterte.
»O si! plega á Dios! ó llegue el dia,O wollte Gott! möchte doch der Tag kommen! daß meine alten Augen noch das Glück empfänden und das Verbrechen an's Licht des Tages käme,« sagte er, die Hände faltend. »Wie, Señor Mayor, sagten Sie doch, daß der Namen des Jünglings wäre?«
»Felizio nannte man ihn.«
»Und er sei aus Biscaya? er sprach von Azcoitia? Welches, Señor, war etwa sein Alter?«
»Er konnte etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein, war aber über diese hinaus ernst und schwermüthig. Sie können sich denken, daß ich großen Antheil an seinem Schicksal nahm, das ich leider nicht ändern konnte. Bei meinen Erkundigungen während der Nacht meines Aufenthaltes in dem Kloster, wobei ich nochmals Gelegenheit hatte, ihn zu sprechen, hörte ich bestätigen, daß er von Geburt ein Spanier sei, daß er weder Vater noch Mutter gekannt habe, und der Rektor Corpasini ihn aus einem Kloster in Biscaya, wo er seine Jugend verlebt, abgeholt habe, um ihn zum Zögling seines Ordens zu machen; mit welchem Recht? konnte ich nicht erfahren. Alles was ich hörte und sah, schien mir zu beweisen, daß der Jesuit einen tiefen Haß gegen den Jüngling nährt und ihn in den Fesseln behalten will, die er ihm seit seiner Jugend auferlegt hat.«
»Und die Worte, die jener Sterbende, der Räuber, den der Jesuit erschlagen hatte, sprach?«
»Bei dem Eindruck, den sie auf Alle, die Zeugen der Scene waren, machten, habe ich sie genau gemerkt. Der sterbende Räuber nannte den Namen Azcoitia – er bezeichnete den Prälaten als den Mörder der Mutter des Novizen, die er zu kennen schien – er sprach von der Königstochter von Granada – –«
»Weiter, weiter! und sein Vater?«
»Der Tod überraschte ihn, ehe er einen Namen nennen konnte. »»Du bist sein Ebenbild – der Fürst – der Fürst –«« waren seine letzten Worte, der Jesuit selbst verhinderte ihn, weiter zu sprechen.«
»Er ist es, er ist es, es ist kein Zweifel mehr!« stöhnte der Maure. »Ah, wenn ich ihn sehen könnte, nur einen Augenblick– ich würde das Blut erkennen, das in seinen Adern rollt, das Blut zweier fürstlichen Geschlechter! O arme Schwester, unglückliches Kind, wenn es mir gelänge, dem letzten Nachkommen der Hacenen seine heiligen Rechte wieder zu gewinnen! wenn es mir gelänge, den Namen Ximene Hacena von jedem Flecken zu reinigen!«
Der Kammerherr des Kaisers hatte mit Aufmerksamkeit auf die jedem Fremden seltsamen Exclamationen des Mauren gehört. Jetzt, bei dem Namen, legte er die Hand auf seine Schulter.
»Ximena da Hacena?« frug er – »ich kenne den Namen! Wer ist das?«
»Meine Schwester – meine unglückliche Schwester, Señor Conde!«
»Die Gemahlin des Fürsten Lichnowski?«
»Ich glaube es fest, denn er war ein edler Mann, der über die letzte Tochter der alten Könige von Granada nicht Schmach gebracht haben würde. Aber leider kann ich ihre Heirath nicht beweisen, denn beide sind todt!«
»So kann ich Ihnen diesen Beweis geben, Senor,« sagte der Graf. »Ein Zufall hat mich in den Besitz des Trauscheins gebracht, ausgefertigt in Azcoitia von Pater Antonio!«
»Don Diego Corpas – der Rektor Corpasini! – Er und immer Er! der ewige Feind und Verfolger meiner Familie! Ay Dios mio! ich danke Dir, daß Du mir dieses Glück noch bereitet und jetzt, jetzt weiß ich, wo ich meinen rechtmäßigen Neffen, wo ich den letzten Zweig des Stammes der Hacenen, die einst über Spanien herrschten, zu suchen habe!«
»Wie, Doktor – jener Novize – jener junge Jesuit?«
»Er ist der Sohn meiner Schwester – in seinen Adern rollt das Blut des nordischen Fürstenstammes, das sich mit dem der alten Könige von Granada vermischt hat!«
Drüben am Kanale bliesen die Trompeten der Zuaven zum Sammeln – einzelne Kanonenschüsse aus der französischen Batterie an der Sesia folgten noch dem abziehenden Feind – aus weiter Entfernung nur antworteten die Hörner der österreichischen Jäger keck dem Siegesruf – Palestro war verloren, der Weg nach der Lombardei, um die schon so viel deutsches Blut geflossen, dem Feinde geöffnet.
Wehe über Giulay!