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Es war Frühling – Frühling in Italien! In der weiten lombardischen Ebene grünte der Mai in seiner vollen Frische und Pracht; in den Alpen schmolz der Schnee und die hundert sprudelnden Wässer kamen, entfesselt der langen Haft, von den Bergen und eilten ihrer Ewigkeit, dem Meere zu.
Man muß den Frühling, diese Jugend des Jahrs, in jenen gesegneten Gegenden genossen, seinen balsamischen Hauch mit vollen Zügen getrunken haben, um zu wissen, wie sich die Brust erweitert, wie das Herz alles Lebenden sich freut und höher schlägt.
Aber in die Hymne der Vögel, in das fröhliche Rauschen der Blätter, in das Murmeln der Quellen und den Odem der Erde sollte sich bald der Donner der Kanonen und das Wehklagen der Sterbenden und Verwundeten mischen.
Der Krieg stand vor der Thür, ein Krieg, den man lange vorher kommen sah, und auf den man sich doch nur wenig vorbereitet hatte. Wiederum wie seit langen Jahrhunderten sollten die Ebenen der Lombardei den Schauplatz abgeben zu den Kämpfen zwischen Oesterreich und Frankreich, zwischen der Herrschaft des Germanismus und Romanismus.
Wie oft schon, seit Odoacer mit seinen Rugiern in die Ebenen des Ticino und Po hinab gestiegen, hatte sich dies blutige Schauspiel in immer neuen Formen und doch immer das alte wiederholt. Die Sachsen und Hohenstaufen hatten ihr bestes Blut dort verspritzt, Frankreich, Spanien und Deutschland dort um den Sieg gerungen, bis zu den Namen Lodi, Montebello, Marengo und Novara.
Eine eigenthümliche Komödie war während des Jahres 1858 und namentlich in den ersten Monaten des darauf folgenden von der gesammten europäischen Diplomatie vor den Augen der Welt aufgeführt worden – die Komödie der Friedens- und Vermittelungsversuche, während doch Niemand an deren Erfolg glaubte und Jeder wußte, daß der Mann an der Seine Krieg wollte.
Der Frieden von Paris, welcher den Krimkrieg beendete, hatte eine Menge Fragen unerledigt gelassen und mit der Aufnahme Sardiniens in den Kongreß eine neue in das sogenannte europäische Concert hinein geworfen, die sich nicht so leicht beseitigen ließ, sondern zum Feuerbrand werden mußte.
Der Ehrgeiz des Hauses Savoyen hatte schon 1848 und 49 von einer Krone Italien geträumt und die Lectionen von Custozza und Novara waren höchstens im Stande gewesen, für einige Zeit diese Pläne zu unterdrücken, nicht sie zu beseitigen. In dem Grafen Cavour besaß Sardinien einen Minister, welcher mit dem enthusiastischen Gedanken der Einheit Italiens die Zähigkeit des Fabiers und die Klugheit Macchiavelli's verband. Seit dem Beginn seiner politischen Karriere hatte er nie das Ziel: Italien von dem deutschen Uebergewicht zu befreien, es zu einem Gesammtstaat zu vereinigen und die Krone Sardinien zur Krone von Italien zu erheben, aus den Augen verloren.
Er war klug genug, zu wissen, daß sein Staat oder das Haus Savoyen dieses Riesenwerk niemals allein durchführen könne, und daß es mächtiger Bundesgenossen dazu bedurfte. Aber er wußte eben so gut, daß ein mächtiger Bundesgenosse leicht zum Tyrannen des Beschützten wird und er streckte die Hände daher nach zwei verschiedenen Seiten, beide Kinder und Gewalten der Gegenwart und gleich mächtig, aber auch gleich feindselig gegeneinander und eine die andere in Schach haltend.
Er verband sich mit dem Bonapartismus und der Revolution.
Wir haben schon früher»Magenta und Solferino« I. Band. ausführlicher bei der Uebersicht der europäischen Verhältnisse die Absichten und ersten Schritte des sardinischen Premiers erwähnt. Es wird uns bald die Gelegenheit werden, noch näher darauf zurückzukommen und wir wollen daher hier nur Kurz den Gang der Ereignisse bis zum Ausbruch des Krieges recapituliren.
In unserm Roman »Sebastopol« haben wir bereits angedeutet, wie schon gegen das Ende des Krimmkrieges die Stellung Frankreichs zu Rußland – obschon die Armeen beider noch unter Waffen gegen einander standen, – eine ganz andere geworden war.
Moskau und die Beresina waren gesühnt, die Interessen und weit in die Zukunft greifenden Pläne der beiden Nationen und Dynastieen gingen jetzt wieder zusammen: die Vertreibung des germanischen Elements und seiner Macht aus dem Süden Europas, von den Küsten des mittelländischen Meeres!
Von dem Vertrage von Paris ab herrschte offenbar in allen Schritten unverkennbares Einverständniß zwischen dem Kabinet der Tuilerieen und dem von St. Petersburg.
Im Jahre 1857 brach der indische Aufstand aus, den wir in unserm Buch »Nena Sahib«, dessen Abschluß in unserer nächsten TrilogieNach Beendigung des vorliegenden Werkes wird der Herr Verfasser alsbald die Fortsetzung seiner Darstellung der Tagesgeschichte folgen lassen in dem Buch: »Gaëta. – Warschau. – Düppel.« Historisch-politischer Roman in drei Abtheilungen von Sir John Retcliffe, Verfasser des Romans »Sebastopol.« folgen wird, dem Leser vorgeführt haben.
Das war der Schlag, den Rußland gegen das ohnehin erschöpfte England führte!
Der »Kanal von Suez«, diese große Handelsintrigue Frankreichs, legte von der andern Seite die Axt an die Wurzeln des alten Eichstammes britischer Macht.
Der Unterzeichnete benutzt die Gelegenheit, um nochmals der literarischen – Speculation auf den Namen des Autors gegenüber darauf aufmerksam zu machen, daß nur die Romane »Sebastopol«, »Nena Sahib«, »Villafranca«, »Zehn Jahre«, »Magenta und Solferino« und »Puebla« von diesem herrühren und andere unter dem Pseudonamen »Retcliffe« neuerdings verbreitete Schriften nicht von ihm geschrieben sind.
Der Verleger: C. S. Liebrecht. Aber noch war es nicht Zeit zu einem direkten Angriff gegen England, man mußte seine unzuverlässige eigennützige Krämerpolitik erst noch verhaßter in Europa machen und seine natürlichen Bundesgenossen auf dem Festland erst einzeln schwächen.
Der erste offene Schlag galt daher Oesterreich, indem man dem Drängen der italienischen Revolution und des piemontesischen Ehrgeizes nachgab.
Rußland erwies sich damit einverstanden.
Es läßt sich nicht verkennen, daß Oesterreich hierbei viel verschuldet hatte. Die Politik Schwarzenbergs hatte selbst die alten Traditionen der heiligen Allianz gesprengt und Europa auf neue Bündnisse verwiesen. Mit der österreichischen Besetzung der Donaufürstenthümer und der Front gegen Rußland im orientalischen Kriege war Rußland des alten Bündnisses entledigt, und ein Zug tiefer und nachhaltiger Erbitterung wegen solchen Dankes für die ungar'sche Hilfe geht seitdem durch die Politik des Winterpalastes.
Die Einigkeit Rußlands und Frankreichs zeigte sich zunächst in ihrer Unterstützung der Agitation in den Donau-Fürstenthümern. Der kranke Mann, den England und Oesterreich mit allen Kräften halten wollen, war für sie nur noch eine Frage der Zeit, das Losreißen der Donau-Fürstenthümer und die Stärkung Griechenlands daher ein erstes Mittel. Oesterreich und England protegirten die Trennung der Moldau und Walachei, Frankreich und Rußland deren Vereinigung. Die Convention vom 19. August 1858, in der Oesterreich scheinbar siegte, war eine bloße Täuschung, denn als der Schützling der Tuilerieen, Oberst Cousa, am 12. Januar zum Hospodar der Moldau und am 5. Februar zum Hospodar der Walachei gewählt wurde, war die Vereinigung faktisch hergestellt und Rußland und Frankreich erkannten sie sofort an.
Damit hatte Oesterreich einen Gegner an der untern Donau.
Der Versuch der Pforte, Montenegro ihrer Botmäßigkeit zu unterwerfen, wurde von der Drohung Frankreichs und Rußlands unterdrückt.
Im Lauf des Jahres 1858 erhob sich eine energische und ungescheute Agitation auf den ionischen Inseln für den Anschluß an Griechenland und die Emancipation vom englischen Protektorat.
Vergeblich schickte das Kabinet von St. James einen Special-Kommissair in Person Gladstone's dahin, die Aufregung zu beruhigen. Die Zeit war vorbei, wo man jedes Mitglied des ionischen Parlaments, das seine Stimme gegen die britische Tyrannei erhob, hängen oder mindestens exiliren konnte, wie noch während des orientalischen Krieges geschah; Frankreich und Rußland bewachten sorgfältig jeden Schritt auf den Inseln und England sah die dritte Station seiner Macht im mittelländischen Meere unter seinen Füßen schwinden.
Rußland trat plötzlich mit der Erwerbung des Hafens von Villafranca als Station für seine Schiffe im Mittelmeer auf.
Unter diesen Umständen mußte die Neujahrsrede des Kaiser Napoleon, der bekanntlich öffentlich nie ein Wort unbedacht und ohne Bedeutung spricht, von jener Wirkung sein, die sie in der That auf den Flügeln des Telegraphen in ganz Europa erhielt.
Der Erbe des verunglückten »Spada d'Italia«, der König Victor Emanuel warf in der Rede, mit der er am 10. Januar die Kammern eröffnete, offen den Fehdehandschuh hin, indem er erklärte, daß Sardinien für den »Schmerzensschrei« Italiens nicht unempfindlich sei. Zugleich wurden die sardinischen Truppen aus den entfernteren Theilen des Landes, von der Insel Sardinien und der französischen Gränze nach dem Osten gezogen und am Ticino offene Werbebüreaux etablirt, welche die fanatisirte Jugend der Lombardei und Venetiens und die Deserteure der österreichischen Truppen anlockten.
Die sardinische Presse, die schon während des ganzen Jahres gegen Oesterreich polemisirt hatte, wurde zur offenen Kriegstrompete und predigte geradezu den Krieg gegen die Deutschen.
All' dies bewies klar, daß Sardinien einen bedeutenden Hinterhalt haben mußte.
Dieser decouvrirte sich bald genug in der Rede Louis Napoleons zur Eröffnung der Legislative am 7. Februar, in der er erklärte, der Zustand Italiens flöße der Diplomatie gerechte Besorgnisse ein, aber er hoffe, der Frieden werde erhalten werden, während zugleich die inspirirte Brochüre »Napoleon III. und Italien« die »Berechtigung der Nationalitäten« und die »Revision der Verträge« predigte.
Am 15. Januar war der Prinz Napoleon, der Uhu der Revolution auf dem Vogelheerd seines klugen Vetters, in Villafranca gelandet. Der Kaiser verheirathete ihn zur Revange für das Attentat vom 14. Januar. Am 30. Januar fand seine Vermählung mit der ältesten Tochter des Königs Victor Emanuel, der sechzehnjährigen Prinzessin Clotilde zu Turin statt.
Alsbald traten auch die militärischen Rüstungen Frankreichs ziemlich offen trotz ihrer geschickten Einkleidung auf. Kriegsschiffe gingen von Toulon nach Algier und die Avantgarde der Division Renault landete bereits am 12. Februar in Marseille.
Unter diesen Umständen wählte England die schlechteste Rolle, die es nehmen konnte, die Vermittelung, indem es gänzlich die im Hinterhalt drohende Gefahr dieses Krieges übersah.
In Verbindung mit Preußen, wo der englische Einfluß auch durch die vor Kurzem geschlossenen Familienbande überwiegend war und selbst zu einer Karrikatur des englischen Constitutionalismus den besten Anlauf nahm, wurde ein Congreß von Lord Cowley, der sich von dem Kaiser und seinem Minister des Aeußern, Graf Walewski, düpiren ließ, persönlich in Wien vorgeschlagen. Graf Buol bestritt jedes Recht zur Einmischung in die Verträge Oesterreichs mit den italienischen Staaten, und verlangte eventuell die Vorlage aller solcher Verträge, also auch des französisch-sardinischen, und wollte Unterhandlungen nur auf Grund der Wiener Schlußakte von 1815 zugeben.
Oesterreich hatte die ihm drohende Gefahr wohl erkannt und seine Rüstungen begonnen, aber in Folge der unglücklichen Politik der Eifersucht und des Pochens auf die Suprematie in Deutschland versäumte es, sich die nöthigen Bundesgenossen zu sichern. Die engere Allianz mit den kleinern italienischen Fürsten und die Ausdehnung seines Besatzungsrechtes konnten ihm bei der Stimmung der Bevölkerung nur wenig nützen.
Schon im Januar wurde das III. Armee-Corps von Wien nach Italien vorgeschoben, ein zweites sollte folgen. Die Festungen wurden in Stand gesetzt, Anfang März die Beurlaubten eingezogen.
Aber Louis Napoleon war mit seinen Rüstungen noch keineswegs fertig und brauchte mindestens noch sechs bis acht Wochen. Deshalb wurde die Komödie der Congreßunterhandlungen fortgesetzt, indem sich Rußland einmischen mußte.
Mit der bekannten Unverschämtheit der französischen Politik im Ableugnen und Verdrehen der Thatsachen mußte der Moniteur am 5. März jede Rüstung Frankreichs ableugnen und die großen Pferdeeinkäufe in Deutschland, denen erst am selben Datum das Ausfuhrverbot des Zollvereins ein Ziel setzte, die Bildung der Alpenarmee, die Formirung von hundert neuen Bataillonen und die Ueberschiffung der Truppen aus Algerien für ganz gewöhnliche Dinge erklären. Ja man brauchte den Prinzen Napoleon wieder einmal als diplomatischen Prügeljungen und entsetzte ihn als Friedenszeichen seines Dienstes als Minister der Kolonieen, indem man unter der Hand verbreitete, er sei der Aufwiegler Sardiniens.
In Wien war man wenigstens klug genug, sich dadurch nicht täuschen zu lassen, und als Lord Cowley am 16. März von Wien nach Paris zurückkehrte, erfuhr er die russisch-französische Intrigue, und daß das Kabinet von Petersburg unterdeß einen Kongreß der fünf Großmächte über die italienische Frage vorgeschlagen habe. Oesterreich forderte, ehe es auf einen solchen eingehen könne, die Entwaffnung Sardiniens. Graf Cavour eilte nach Paris, und als er am 30. März zurückkehrte, wußte er woran er war, und verlangte die Zulassung Sardiniens zum Kongreß auf gleichem Fuß mit den andern Machten. Von jetzt ab bis zum wirklichen Ausbruch des Krieges drehten sich, während alle Theile eifrig weiter rüsteten, die diplomatischen Verhandlungen im Kreise um die Frage einer Gesammt-Entwaffnung, zu der natürlich kein Theil Lust hatte.
In Wien sah man die Gefahr des Verzuges und glaubte sich stark genug in Italien, um die Offensive ergreifen zu können. In den süddeutschen Staaten sprach sich jetzt die Stimme offen für Oesterreich aus – es galt Preußen wenigstens für eine bedrohende Stellung gegen Frankreich zu gewinnen und damit auch gegen den Osten, das heißt gegen Rußland sich zu decken, das langsam Truppen gegen die ungarische und galizische Gränze vorschob, und Erzherzog Albrecht, der ritterliche Held von Mortara und Novara wurde nach Berlin geschickt, um sein Heil dort zu versuchen.
Aber die Vollmachten, die er hatte, waren leider wiederum ungenügend. Statt Preußen wenigstens für diese Gefahr die unbeschränkte Leitung der Angelegenheiten in Deutschland zu überlassen, und somit im Stande zu sein, seine ganze Kraft auf den Stoß in Italien zu verwenden, fürchtete Oesterreich damit seinen Einfluß auf die deutschen Südstaaten aufzugeben und wollte auch hier an der Spitze bleiben, Preußens Kraft blos für Adjutantendienste benutzend. Man empfing daher hier den Erzherzog mit der größten Auszeichnung und gab bei der großen Parade in Potsdam ihm zu Ehren die Parole »Novara«, aber man wich bestimmten Zusicherungen aus, und das Einzige, was mit Sicherheit zugesagt wurde, war, daß Preußen für den Schutz der deutschen Rheingrenze Sorge tragen werde.
Oesterreich wußte aber auch schon aus dieser Zusage Vortheil zu ziehen.
Am 19. April ging von Wien eine Note des Grafen Buol an den Premier Sardiniens ab, in welcher direkt die sofortige Entwaffnung und die Erklärung derselben binnen drei Tagen gefordert wurde, widrigenfalls die österreichische Armee den Ticino überschreiten und in Sardinien einrücken werde.
Die Note blieb in Mailand bis auf weitere Ordre zur Verfügung des Oberstkommandirenden liegen.
Wir bitten den Leser, jetzt genau auf die Daten zu merken, da durch diese sich Vieles erklärt und auch der gegen Oesterreich erhobene Vorwurf, den Krieg begonnen zu haben, entkräftet wird.
Der Kaiser Louis Napoleon hatte schon am 20sten alle Vorbereitungen zum Einrücken der Alpenarmee in Sardinien getroffen. Der Einmarsch sollte theils über den Mont Cenis, auf dem Sardinien 4000 Arbeiter zur Freimachung der Passage vom Schnee aufgestellt hatte, theils zu Schiff über Genua erfolgen. Am 23sten geschah die Ernennung der Befehlshaber der französischen Corps. An demselben Tage stellte Preußen am Bundestag den Antrag auf Kriegsbereitschaft der deutschen Bundestruppen.
Die Nachricht von diesem Antrag gelangte unzweifelhaft schon Mittags nach Paris und Wien.
In Paris erfolgte die Ernennung Pelissiers zum Kommandanten eines Observationscorps am Rhein, in Mailand traf gegen 1 Uhr die telegraphische Ordre zur Absendung der Note ein. Ein Extrazug brachte den Ueberbringer nach Turin, um 5½ Uhr wurde das Schreiben dem Grafen Cavour überreicht.
Es liegt sehr nahe, daß Oesterreich damit den Preußischen Antrag in Verbindung erscheinen lassen wollte.
Es war vier Uhr Nachmittag am 26sten – am zweiten Osterfeiertag. Der österreichische Vicepräsident der Statthalterschaft Baron von Kellersberg war im Hôtel Feder abgestiegen. Er war von einem Offizier Gyulai's, dem Rittmeister Baron von Trautmannsdorf, begleitet.
Die Lage der beiden Offiziere während ihrer Mission in Turin war natürlich eine keineswegs angenehme. Aber es galt, die Ehre der österreichischen Armee zu vertreten und deshalb hatte der Feldzeugmeister gerade die Hünengestalt des Kürassiers gewählt, um den diplomatischen Abgesandten zu begleiten.
Die beiden Oesterreicher hatten am 24. und 25. an der Table d'Hôte gespeist, am Nachmittag das Café La Indie und am Abend das Theater besucht, als befänden sie sich vollkommen in Freundesland.
Am Mittag des 26sten hielt sich Baron Kellersberg in seiner Wohnung, der Rittmeister allein erschien an der Table d'Hôte.
Mit dem ersten Blick ließ sich erkennen, daß es auf eine Demonstration abgesehen war.
Eine Menge piemontesische und französische Offiziere, die sich bereits in Turin befanden, hatten sich zur Tafel eingefunden.
Der Rittmeister nahm seinen gewöhnlichen Platz ein, ihm gegenüber blieben zwei Plätze leer. Neben ihm saßen ein Civilist, der Redakteur des »Diritto« und ein französischer Offizier. Die anderen Plätze der Umgebung waren sämmtlich, mit einer Ausnahme, von Militairs eingenommen.
Es war natürlich, daß das Gespräch sich sofort um die Tagesfragen drehte, doch hielten die französischen Offiziere es in jener schicklichen Form, die man dem Feinde, der als Parlamentair Gastfreundschaft genießt, schuldig ist. Dagegen genirte man sich sehr wenig, über die militairischen Dispositionen zu sprechen, man betrachtete den Krieg als eine ausgemachte Sache.
Der französische Offizier, der an der Seite des Rittmeisters Platz genommen, gehörte offenbar der vornehmen Welt. Er trug die Uniform eines Obersten und das Kreuz der Ehrenlegion mit mehreren andern Orden. Einige Narben im Gesicht und das gebrochene Nasenbein vermochten nicht, seine aristokratische Physiognomie zu entstellen.
Als er den Stuhl nahm, machte er dem Baron eine höfliche Verbeugung. »Herr Kamerad,« sagte er verbindlich, »erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin der Oberst Graf Montboisier im Stab des Kaisers, und freue mich, einem Offizier Ihrer tapferen Armee auf dem neutralen Felde einer guten Mahlzeit zu begegnen, ehe wir bei den Gerichten blauer Bohnen uns wiederfinden.«
Der Baron ging sofort gewandt auf den Ton ein.
»Ich hoffe, Herr Graf, daß wir Ihnen ganz nach Ihrem Geschmack serviren werden!«
»Valga me Dios – wir erwarten das nicht anders. Sein Sie versichert, daß wir Ihnen alle Ehre anthun werden, das zeigt die Ernennung der Kommando's.«
»Verzeihen Sie, Herr Graf – die Nachricht ist mir noch unbekannt. Ich weiß seit vorgestern nur, was die Zeitungen berichten!«
»Dann kann ich Ihnen die neuesten Nachrichten geben,« sagte der Graf zuvorkommend. »Marschall Randon hat das Kriegsministerium in Stelle Vaillants übernommen, der mit dem Kaiser einen derben Streit gehabt und zur Ausgleichung zum Chef des Generalstabes ernannt worden ist. Das erste Corps wird der Marschall Graf Baraguay d'Hillier, das zweite mein alter Kommandant Mac Mahon, das dritte Canrobert mit Senneville, das vierte Marschall Niel, der Ingenieur von Sebastopol, und die Garde General Regnaud de St. Jean d'Angely kommandiren. Sie sehen, daß wir es an Höflichkeit nicht fehlen lassen.«
Der Oesterreicher verbeugte sich lächelnd. »Seien Sie versichert, Herr Graf, daß wir die Ehre dieser ruhmvollen Namen zu schätzen wissen. Die Helden von Algerien und der Krimm können als Gegner der österreichischen Armee nur zur Ehre gereichen.«
»Der Teufel hole mich!« sagte eine breite Stimme über den Tisch herüber – »es ist wahr, seit Radetzki todt ist, haben Sie ihnen höllisch wenig entgegen zu stellen!«
Der Kürassier schaute auf den Sprecher, der ihm schräg gegenüber saß, der einzige Civilist unter den Uniformen. Es war eine aufgedunsene, unangenehme Figur, mit schlaffen Wangen, lüsternen, brutalen Augen und mongolischer Physiognomie.
»Wenn Sie nach dem Garda-See zurückgehen sollten,« fuhr der Russe fort, »so empfehle ich Ihnen meine Frau mit Gesellschaft zu einiger Berücksichtigung bei der Einquartirung. Sie ist so eigensinnig gewesen, den Aufenthalt in Nizza mit ihrer Villa am See zu vertauschen.«
»Ich habe nicht die Ehre, Ihre Frau Gemahlin zu kennen.«
»Es ist die Fürstin Trubetzkoi und sie wohnt in der Nähe von Toscolano. Chacun a son goùt – ich ziehe meine pariser und italienischen Freunde vor.«
Der Baron verbeugte sich steif. »Ich hoffe, mein Herr,« sagte er kalt, »daß wir vorerst keine Gelegenheit haben werden, in die Nähe des Gardasee's zurückzukehren. Sollte mich eine Veranlassung dahin führen, so seien Euer Durchlaucht versichert, daß ich mich dieser zarten Empfehlung erinnern werde.« »Nun! Sie müssen wissen, daß die Fürstin eine Oesterreicherin ist, wenigstens eine geborene Ungarin.«
Graf Montboisier unterbrach den brüsken Ton der Unterhaltung. »Die Frau Fürstin ist eine Gräfin Pálffy, ich hatte die Ehre, sie im vorigen Jahre in Paris zu sehen. Aber eine Nachricht, mein Herr, ist der andern werth. Ist es wahr, daß die Preußen nach dem Rhein marschiren?«
Der Rittmeister zuckte die Achseln. »Sie verlangen zu viel von mir, Herr Kamerad. Ich bin kein Politiker, sondern nur ein einfacher Soldat und weiß es wahrhaftig nicht!«
»Cospetto,« sagte der Redakteur an der andern Seite, »ich denke, die Prussiani werden eher mit uns gemeinschaftliche Sache machen. Sie haben alle Ursach dazu.«
Der Oesterreicher antwortete dem kleinen, gallfarbenen Journalisten nur mit einem verächtlichen Blick und setzte seine Unterhaltung mit dem Franzosen fort, während jener mit der Unwissenheit, welche die französische und italienische Presse über deutsche Zustände auszeichnet, mit dem Russen über den Tisch hin den Gegenstand weiter besprach.
Die Unterhaltung wurde gegen Ende der Tafel durch den Eintritt einiger neuer Gäste unterbrochen.
Es waren drei Offiziere verschiedener Uniformen und schienen von den sardinischen Militairs erwartet zu sein, denn sie wurden mit lautem Zuruf begrüßt.
Zwei von ihnen befanden sich, gegen die Gewohnheit der Italiener, offenbar in vom Wein ziemlich erregtem Zustand, wie ihre erhitzten Gesichter bewiesen.
Der Dritte trug die Uniform der Garden des Garibaldischen Corps und schien nur zufällig in die Gesellschaft der beiden Anderen gerathen zu sein. Der Graf schien ihn zu kennen, denn er erhob sich und reichte ihm die Hand.
»Kommen Sie hierher, Kapitain Laforgne,« sagte er freundlich. Wir machen Ihnen Platz, um Ihre Gesellschaft zu genießen.«
»Major Laforgne, seit gestern, wenn es Ihnen gefällig ist, Herr Graf,« erwiederte munter der Parteigänger. »Aber es freut mich in der That, endlich ein Mal mit meinen Landsleuten auf derselben Seite zu fechten.«
»Erinnern Sie sich noch, wie der Kaiser Ihnen schon damals bei dem Fest in den Tuilerieen, an dessen Schluß Sie aus Versehen verhaftet wurden, den Eintritt in die Armee oder Flotte anbot?»Zehn Jahre«, III, Band.
Der neue Major hatte den ihm gebotenen Stuhl angenommen. »Gewiß! wir sind zwar seitdem bei verschiedenen Gelegenheiten keine guten Freunde gewesen,« sagte er mit Bedeutung, »aber ich hoffe jetzt meinen Frieden mit ihm zu machen, seit unsere Patente nicht mehr aus der Machtvollkommenheit der Revolution, sondern von Seiner Majestät dem König Victor Emanuel datiren.«
»Und der General?«
»Er wird in zehn Minuten hier vorüber passiren mit den Truppen. Sie sehen aus meiner Uniform, daß ich zu den Guiden gehöre, doch habe ich meinen alten Dienst als sein persönlicher Adjutant behalten.«
»Er kann keine bessere Wahl treffen. Erlauben Sie mir, Sie mit einem unserer achtungswerthen Gegner und jetzigen Gast bekannt zu machen.« Er stellte ihm den österreichischen Offizier vor.
Ein verächtliches Lachen klang von der andern Seite des Tisches herüber. Die beiden mit dem Garibaldien eingetretenen sardinischen Offiziere hatten auf den leeren Plätzen sich niedergelassen und fixirten unverschämt die Gruppe. Einem derselben war gleich beim Eintritt von einem Kellner ein kleines Päckchen in Papier überreicht worden und er hatte es nach einigen leise gewechselten Worten eingesteckt.
Der Baron von Trautmannsdorf hatte ihnen scheinbar bisher keine Aufmerksamkeit zugewendet; als jetzt den Blick hob, begegnete er dem boshaft auf ihn gerichteten Auge des Grafen Sforza, an der Seite desselben befand sich der Marchese Ferari.
Der Deutsche wußte jetzt, woran er war. Er faßte den Entschluß, möglichst kaltblütig zu bleiben und die Beleidigungen zu ignoriren. Er wandte sich zu dem Franzosen und Laforgne und setzte mit diesen die Unterhaltung fort.
»Cospetto, Durchlaucht,« sagte Sforza – »Sie sind allzu verschwiegen gegen Ihre Freunde. Man erzählt uns im Barone, daß die russische Flotte Ordre hat, in das mittelländische Meer zu segeln und ein enges Bündniß zwischen Rußland und Frankreich abgeschlossen ist. Wir wollen jetzt diese verdammten Tedeschi zwischen zwei Feuer nehmen und ihnen den Weg in ihre elenden Steppen weisen!«
Ein mißbilligender Blick des französischen Obersten traf den Prahler. Um einem Streit vorzubeugen und das beifällige Lachen mehrer der andern Tafelgäste zu maskiren wandte er sich eilig an den Nachbar.
»Obgleich im Dienst des Kaisers, habe ich doch noch viele Freunde unter dem alten Regime. Vielleicht ist Ihnen Herr von Neuillat in Venedig bekannt?«
»Der Kammerherr des Herrn Grafen von Chambord? Gewiß! ein höchst liebenswürdiger Gesellschafter. Ich habe ihn oft gesprochen!«
»Dann würden Sie mich verbinden, Herr Kamerad,« sagte der Graf, »wenn Sie bei Gelegenheit ihm meine Karte zustellen und ihn wissen lassen wollen, daß ich durch einen Zufall in Besitz eines Papiers gekommen bin, daß seinen Namen nennt und vielleicht für ihn von Interesse ist.«
»Kann ich Herrn von Neuillat eine nähere Bezeichnung machen?«
»O ja. Es ist ein spanischer Trauschein aus einem Ort Namens Azcoitia; der Henker weiß, wo das Nest liegt! Ich kaufte ihn zufällig gestern hier in Turin mit mehren andern interessanten Autographen aus dem Jesuitenorden von einem buckligen Juden und er ist mir im Gedächtniß, da die Namen darin mir auffielen, eine Donna Ximena Nazena und ein polnischer Fürst, dessen Namen glaub' ich auch in Ihrer Armee vorkommt. Herr von Neuillat aber ist als Zeuge genannt.«
»Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, Herr Kamerad, Ihren Gruß zu bestellen, im Fall der Kriegsgott nicht anders über mich bestimmt hat!«
Das Gespräch war bisher theils in französischer, theils in italienischer Sprache geführt worden. Graf Montboisier hatte sich in der Unterhaltung mit dem österreichischen Offizier und Major Laforgne der ersteren bedient, der Graf Sforza seiner Muttersprache.
Obschon er recht gut wußte, daß der Adjutant Gyulai's diese fertig sprach, gab er sich doch den entgegengesetzten Anschein.
Fürst Trubetzkoi that, als hätte er die Erwähnung des russisch-französischen Bündnisses nicht gehört.
Das zustimmende Gelächter seiner Kameraden und der Wein, den er unvermischt in langen Zügen genossen, steigerte sichtlich die Erregung des mailändischen Nobile.
»Kommen Sie Ferari,« sagte er mit einem bezeichnenden Augenblinzeln, – »lassen Sie uns darauf anstoßen, daß wir heute über acht Tage in Mailand im Albergo Reale diniren!«
Eine jubelnde Zustimmung der sardinischen Offiziere folgte dem Toast; die anwesenden französischen Militairs und Major Laforgne jedoch ließen ihre Gläser unberührt. Die Stirn Montboisier's begann sich in Falten zu ziehen – nur der Baron selbst blieb dem Anschein nach vollkommen unbefangen. Der größte Theil der Gesellschaft begann zu glauben, daß er nicht Italienisch verstände. Aber man sollte sich sogleich vom Gegentheil überzeugen.
Es mußte eine geheime Ursache sein, welche den Uebermuth des Mailänder Flüchtlings so stark anstachelte und ihn zur Verhöhnung des gefährlichen Todfeindes trieb; denn er wandte sich jetzt direct an diesen, indem er ihn auf unverschämte Weise durch das Lorgnon musterte.
»Per Baccho, ich glaube, eine alte Bekanntschaft von Mailand! Signor von Trautmannsdorf, wenn ich den Namen recht behalten habe?«
Der Rittmeister, so angeredet, sah von seinem Teller empor, auf dem er sich eben mit der Zerlegung einer Bekassine beschäftigte.
Er blickte dem Nobile ruhig in's Gesicht und machte eine kurze kalte Verbeugung.
»Sie sind ja wohl mit dem Baron von Kellersberg in dem sogenannten Ultimatum hier?«
»Ja, Signor Conte!«
»Nun Glück auf den Rückweg! – Aber da Sie direct nach Mailand zurückkehren und wie ich vorhin gesehen, sehr gefällig in der Annahme von kleinen Bestellungen sind, so möchte ich wohl Ihre Güte auch für einen Gruß in Anspruch nehmen.«
»Ich stehe zu Befehl, Signor!«
Eine tiefe Stille war an diesem Theil der Tafel eingetreten, den die Offiziere eingenommen, und übte ihren Einfluß selbst auf das entferntere Ende, wo die andern Gäste des Hotels saßen. Alle fühlten, daß es auf eine Beleidigung abgesehen war und zu einer Scene führen mußte.
»Dann bitte ich Sie um die Gefälligkeit«, fuhr der Nubile höhnisch fort – »in Mailand einer alten Bekanntschaft von mir einen Gruß zu überbringen. Ich werde Sie durch meine Karte legitimiren.«
Er warf die Visitenkarte über den Tisch.
»Der Herr Graf von Sforza,« sagte der Deutsche kalt, »hat noch nicht die Güte gehabt, mir die Adresse zu nennen.«
»O, die ist bekannt. Es ist die kleine Bignatelli, Julia Bignatelli, die Tochter des reichen Seidenhändlers!«
»Signora Julia Bignatelli, Signor Conte, nennt sich seit acht Monaten Baronesse von Trautmannsdorf.«
»Cospetto! Sie haben sie wirklich geheirathet?«
»Ich habe die Ehre, es zu wiederholen, Herr Graf!«
Das Gesicht des Kürassiers war sehr blaß, nur auf den Backenknochen brannten zwei rothe Flecke.
Der Graf lachte höhnisch auf. »Dann lassen Sie sich gratuliren, Signor, Sie haben eine recht lucrative Partie gemacht, und ich glaube, die Signori Tedeschi können das brauchen, ohne nach sonstigen Umständen viel zu fragen!«
Der Graf Montboisier hatte sich zu ihm gewandt.
»Signor,« sagte er in italienischer Sprache: »Ihr Benehmen ist unwürdig! Wenn die sardinischen Offiziere nicht verstehen, die augenblickliche Lage dieses Herrn zu würdigen und ihm Gastfreundschaft angedeihen zu lassen, so sind doch die französischen nicht gewillt, die Ritterpflichten ihres Standes mit Füßen zu treten, und ich erkläre Ihnen, daß ich jede fernere Beleidigung, die dem Herrn Kameraden aus Österreich angethan wird, als gegen mich gerichtet ansehen werde.«
»Mein Herr,« entgegnete der Graf hitzig, »wir sind hier in unserm eigenen Lande, und wir haben so viel von der deutschen Tyrannei zu ertragen gehabt, daß wir nicht noch französischer Hofmeister bedürfen!«
Ehe der Graf eine Erwiderung der Impertinenz geben konnte, eilte der Wirth des Hôtels herein.
»Signori«, sagte er aufgeregt, »wenn Sie unseren großen Minister Cavour sehen wollen, Se. Excellenza erzeigt meinem Hôtel so eben die Ehre bei ihm vorzufahren!«
Alles sprang auf und eilte an die Fenster, mit Ausnahme der beiden Mailänder, und des französischen Obersten. Auch der russische Fürst war zu bequem, um sich in der behaglichen Fortsetzung seines Diners stören zu lassen, da ohnehin das Gehen und jede Bewegung ihm Beschwerde machte.
Signor Lorini, der Wirth, war bereits wieder aus dem Saal und an die Equipage des sardinischen Premier geeilt, der auf die Nachricht, daß Baron Kellersberg zu Hause sei, so eben den Wagen verließ.
Der österreichische Abgesandte kam dem Premier bereits auf der Treppe entgegen. Baron von Trautmannsdorf, der mit Signor Lorini den Speisesaal verlassen, geleitete den Minister die Treppe hinauf.
»Euer Excellenz,« sagte der Unterstatthalter, »erzeigen mir eine große Ehre. Sie hätten nur zu befehlen brauchen, um mich bei sich zu sehen.«
Der Minister reichte ihm lachend die Hand. »Ei, Herr Baron, es war meine Pflicht, Ihnen selbst die Antwort zu bringen, um so mehr, da ich Ihnen mein Bedauern dabei auszudrücken hatte. Sie sehen – Punkt 5½ Uhr – daß ich pünktlich bin!«
Er hatte die Worte wahrscheinlich absichtlich so laut gesagt, daß die Tafelgäste, welche an der Flurthür des Saales standen, sie hören mußten. Der Baron und sein Besucher traten in die Gemächer, an deren Thür der Rittmeister von Trautmannsdorf zurückblieb.
Die Aufregung an der Tafel, zu der man jetzt zurückkehrte, war natürlich groß. Die Worte »Ultimatum« und »Sommation« waren auf Aller Lippen und die eben von dem Premier überbrachte Antwort natürlich kein Geheimniß. Man debattirte daher nur die Frage, wann und auf welchem Punkt die Feindseligkeiten beginnen würden.
Da die Ankunft des Grafen Cavour gegen das Ende der Tafel erfolgt war, so waren viele der Gäste nicht wieder zu derselben zurückgekehrt und standen in Gruppen plaudernd umher. Die beiden Mailänder Nobili hatten sich eben gleichfalls erhoben und wollten zu ihren Freunden treten, als Graf Montboisier ihnen folgte.
»Signor,« sagte er, leicht den Arm Sforza's berührend, »Sie würden mich mit einer Erläuterung Ihrer letzten Aeußerung verpflichten.«
Der Marchese Ferari wollte eilfertig eine Entschuldigung dazwischen schieben, aber sein Freund selbst, offenbar vom Champagner erhitzt, vereitelte es.
»Ich denke, Signor,« sagte er höhnisch, »das Wort eines Sforza ist genügend klar, und da dieser deutsche Lümmel Verstand genug hatte, seine Bedeutung zu verstehen, wird sie Wohl dem Witz eines Franzosen nicht entgangen sein.«
Der Obrist verbeugte sich kalt. »Darf ich fragen, wann und wo Graf Sforza zu treffen ist?«
»Wer mich sucht,« sagte der Nobile hochmüthig, »wird mich bis zum Abend im Café Indie finden. Kommen Sie, Ferari. Unsere Freunde in Mailand werden herzlich lachen, wenn wir ihnen erzählen werden, wie der deutsche Prahler sich ohne Abschied empfohlen hat!«
»Es wäre dies unverantwortlich gewesen,« sagte eine ernste Stimme hinter dem Nobile, »und ich komme, um dies Versehen gut zu machen!«
Der Mailänder erblaßte leicht bei diesen Worten, denn als er sich umwandte, stand hinter ihm der Rittmeister von Trautmannsdorf.
»Die Herren werden entschuldigen,« fuhr er fort, »aber meine Zeit ist sehr kurz. Wie Sie wohl bereits wissen, hat der Herr Graf von Cavour so eben das Ultimatum des Kaisers abgelehnt und einen Extrazug der Eisenbahn zur Verfügung des Ueberbringers gestellt. Unser Geschäft ist demnach abgethan und ich habe gerade noch fünfzehn Minuten für meine Privatangelegenheiten. Darf ich Sie bitten, Signori, einen Augenblick in das Nebenzimmer mit mir zu treten? – Meine Herren,« er hatte sich an den Obersten und Laforgne gewendet »ich bitte Sie, von der Partie zu sein; der Herr Graf Sforza wird gewiß leicht noch einen zweiten Zeugen unserer kurzen Unterredung finden!«
Die Miene des Offiziers war so kalt und fest, daß die Aufgeforderten kein Wort dagegen sagten, sondern der Oberst sofort der Bitte entsprach.
François Laforgne folgte ihm.
Der Mailänder schaute sich etwas verwirrt um – der Fürst Trubetzkoi stand ihm zunächst und hatte offenbar die kurze Scene mit angehört, die bei den meisten andern Anwesenden in der herrschenden Aufregung keine weitere Beachtung gefunden.
»Ich stehe sehr gern zu Diensten, Herr Graf!« sagte der Russe. Der Nobile lud ihn mit einer Handbewegung ein. Während er mit seinem Freunde dem voran humpelnden Fürsten folgte, flüsterte er ihm einige Worte zu.
Der Marchese machte eine wegwerfende Bewegung. »Ohne Sorge, Francesco – es ist in meiner Tasche, Du sahst, wie der Bursche es mir gab, ehe ich Dir gestattete, loszulegen!«
Die sechs Personen waren jetzt in einem kleinen, sonst leeren Salon versammelt, dessen Fenster nach der Straße gingen. Eine besondere Ausgangsthür führte nach dem Korridor.
Der Rittmeister zog die Klingel. »Sorgen Sie, daß wir fünf Minuten hier ungestört bleiben,« sagte er, »und melden Sie mir, wenn der Wagen vorgefahren ist!«
Der Garçon verschwand diensteifrig. »Jetzt, meine Herren, erbitte ich einige Augenblicke für das, was ich Signor Sforza zu sagen habe, Ihre Aufmerksamkeit.«
Graf Montboisier that einen Schritt gegen ihn. »Vergebung, Herr Kamerad,« sagte er bestimmt – »aber Sie sind in Turin ein Gast der alliirten Armee, und ich habe es bereits übernommen, Ihren Beleidiger zu züchtigen.«
Der Deutsche verbeugte sich höflich. »Herr Oberst, ich konnte nichts Anderes von der Ehrenhaftigkeit eines französischen Soldaten erwarten, und hoffe, Ihnen auf dem Schlachtfeld danken zu können. Aber Sie irren, wenn Sie glauben, daß ich beabsichtige, den Herrn Grafen Sforza zu fordern. Sie haben selbst aus seinem Munde gehört, daß Signora Bignatelli, meine Gattin, aus einer Kaufmanns-Familie stammt, und es ist einfach ein Handelsgeschäft, das ich mit ihm habe.«
Der Kammerherr des Kaisers der Franzosen sah ihn erstaunt an, er vermochte die Worte mit dem furchtbaren Ernst, der auf der Stirn des deutschen Offiziers lag, nicht recht in Einklang zu bringen.
»Signori,« fuhr der Baron fort, »Sie werden es billig finden, daß zwischen uns und Ihnen vor dem Begegnen auf dem Schlachtfeld die Wechselschulden ausgeglichen werden?«
Der Mailänder lachte spöttisch auf, obschon er auffallend blaß war. Fürst Trubetzkoi zuckte die Achseln. »Shorte wos mi!« sagte er verächtlich – »dieser Herr scheint zu glauben, daß wir ein Handelsgericht sind!« »Ich verstehe Sie in der That nicht, Herr Kamerad!« bemerkte der Oberst.
Der Rittmeister öffnete langsam die Uniform und zog von der Brust eine kleine Brieftafel, die er an einer Kette um den Hals trug.
»Der Herr Graf von Sforza,« sagte er ruhig, die Brieftafel öffnend, »hat vor seiner Abreise von Mailand die Güte gehabt, mir einen Wechsel auf Sicht auszustellen, und ich erlaube mir, in Ihrer Gegenwart Signori, ihm denselben als Antwort auf den Gruß an die Baronin Julia von Trautmannsdorf zu präsentiren.«
»Demonio!« knirschte der Mailänder – »er lügt – das Portefeuille . . .«
»Das Portefeuille,« fuhr der Offizier mit furchtbarem Ernst fort, »das vor zwei Stunden ein Kellner des Hotels aus meinem Zimmer stehlen mußte, enthielt den Wechsel nicht, sondern gleichgültige Schriften. Ich habe das interessante Papier besser bewahrt und frage Sie jetzt, Graf Franz von Sforza« – er hatte die verhängnißvolle Schrift aus der Brieftafel genommen, und hielt sie empor – »ob Sie Ihre Handschrift einlösen wollen, oder ob ich diese Herren in Kenntniß setzen soll, in wessen Tasche»sich in diesem Augenblick das mir gestohlene Portefeuille befindet!?«
Der Unglückliche starrte mit gesträubtem Haar wild umher – ein kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. »Ich – ich – bin nicht vorbereitet – –«
Ferari faltete unwillkürlich die Hände. »Signor, Sie werden nicht so grausam sein – es wäre nicht ehrenwerth – – »Marchese Ferari,« sagte der Offizier mit finsterm Blick, »ich habe ein scharfes Auge. Sie werden gut thun, noch heute Ihren Abschied aus der Armee Seiner Majestät des König Victor Emanuels zu nehmen. Ich hege als Soldat zuviel Achtung vor unserm Stand, um nicht zu wünschen, daß wenn wir uns auf dem Schlachtfeld begegnen, Männer von Ehre in der Reihe unserer Gegner wenigstens nicht neben Dieben und Meuchelmördern stehen, und deshalb Signor Sforza frage ich Sie zum letzten Mal – werden Sie Ihren Wechsel einlösen, oder nicht?«
Der Sprößling des blutigen Herzogsgeschlechts wankte nach der Thür; die furchtbare Katastrophe hatte längst die Geister des Weins verscheucht, dennoch taumelte er wie ein Trunkener. Ferari wollte ihm nach, aber eine strenge Bewegung des Deutschen bannte ihn an seinen Platz.
»Signor Sforza,« sagte der Baron, »ich lege Ihren Wechsel in die Hand dieser Herrn. Sie haben zehn Minuten Zeit zu seiner Einlösung! Der Wagen wartet auf mich, ich werde Ihre Freunde in Mailand grüßen!«
Der unglückliche Spieler hatte die Korridorthür erreicht – er taumelte hinaus, ohne sie zu schließen.
Der Garçon von vorhin trat ein. »Wenn es gefällig ist, Signor – der Herr Baron von Kellersberg lassen bitten!«
Der Oesterreicher gab das Couvert mit dem verhängnißvollen Papier dem Major Laforgne.
»Sie sind der Jüngste von uns, Herr Kamerad,« sagte er ernst – »ich lege dies Papier in Ihre Hand und bitte Sie, es zu öffnen, wenn der Herr, der uns eben verlassen, es in zehn Minuten nicht eingelöst hat. Signor Marchese, Sie werden wohl die Güte haben, mir mein Eigenthum nach Mailand zu senden! – Nehmen Sie meinen Dank, meine Herren für die Freundlichkeit, die Sie mir erwiesen – auf dem Schlachtfeld sehen wir uns wieder!«
Er verließ höflich grüßend das Zimmer; die drei Zeugen des Auftritts sahen sich erstaunt an – sie begriffen, daß derselbe eine furchtbare Bedeutung haben müsse, ohne doch zu wissen, welche.
Der Marchese Ferari war in einen Sessel gesunken und rang bleich und zitternd die Hände.
Man hörte das Rollen eines Wagens und gleich darauf von der entgegengesetzten Seite nahende Hornmusik.
»Zum Henker,« sagte der Fürst ärgerlich – »ich muß gestehen, das war ein komisches Ultimatum und ich bin neugieriger auf die Antwort, als ich auf die des Herrn Cavour war. – Fünf Minuten sind bereits vergangen, – nun, wir werden ja sehen! – Unterdeß, was ist das für Hörnerklang?«
»Es sind die Alpenjäger Garibaldis – sehen Sie, Herr Kamerad – der General selbst führt sie!«
Laforgne zog den Obersten nach dem Balkonfenster, an dem bereits der russische Fürst stand.
Eine Kolonne des Freikorps, das am Tage vorher von Cuneo eingerückt war, um nach dem Norden, den Ufern des Lago Maggiore in Eilmärschen zu gehen, kam die Straße herauf.
»Sehen Sie Signor Colonello,« sagte eifrig der junge Offizier – »es ist das Regiment Medici mit seinem tapfern Obersten und an der Spitze der General selbst mit der ersten Abtheilung der Guiden.«
»Ich habe ihn seit Rom nicht wiedergesehen,« meinte lachend der Graf, »als er in Pietro San Montorio den Befehl gab, mich zu erschießen, eine Gefälligkeit, die ihm zu meiner Freude erspart wurde. Valga me Dios! wer hätte damals gedacht, daß wir noch einmal auf einer Seite fechten würden!«
Die Spitze der Kolonne kam die Strado del Po herauf; hinter der kleinen Abtheilung der Hornisten – denn der General verachtete allen unnützen militärischen Pomp – er selbst mit dem Stab, dann die Abtheilung der Guiden, etwa hundert Mann zu Pferde, in ihren rothen Hemden und weißen Mänteln, die Lanze am Arm, jeder Mann zwei Revolvers im Gürtel, Bursche, leicht und gewandt, und zu jeder Tollkühnheit bereit.
Der General, in möglichst einfacher Uniform, die er seiner Ernennung durch den König zu Liebe tragen mußte, ritt ein schönes englisches Pferd, das letzte Geschenk seines Freundes, des Marquis von Heresford.
Obschon die Jahre und die Schmerzen der Erinnerung nicht spurlos an ihm vorüber gegangen waren, und er lange selbst schwer um die gewöhnliche Existenz gekämpft hatte, weil der Schatz Aniella's ihm ein heiliges Vermächtniß dünkte, das allein der Befreiung Italiens gehörte, in dessen Erde sie ihr Grab gefunden, – so saß er doch noch mit fast jugendlicher Kraft zu Pferde, und der Gedanke, den Urfeinden Italiens, den verhaßten Tedeschi entgegen zu gehen, glättete die Furchen auf seiner Stirn, so daß er mit seiner Umgebung heiter scherzte.
»Wer ist der Offizier da zur Linken des Generals?« frug der Franzose.
»Oberst Carrano, der Chef des Stabes. Dort sind Cosenza und Ardoino – wahrhaftig auch Galetti, dieser Teufel! – da hinten reitet Sacchi, unser alter Kamerad vom La Plata – der junge Offizier dort, der den Schimmel tummelt, ist der älteste Sohn des Generals, er soll die Feuertaufe erhalten. – Was wünschen Sie, Signor Principe?«
Der russische Fürst hatte mit krampfhafter Heftigkeit den Arm des Offiziers gefaßt, während die andere Hand, in der er die Uhr hielt, nach dem Zuge deutete.
»Der Mann dort – der im weißen Mantel – wer ist er?«
Die fahle Farbe seines Gesichts war fast zu Aschgrau geworden.
»Der auf dem Braunen hinter dem General? Es ist Major Foresti, der Kommandant der Guiden. Kennen Sie ihn?«
»Nein – der auf dem Rappen, der Große, zur Rechten Garibaldi's – mit dem Kalpak – ?«
Die Stimme des Fürsten war heiser, kaum verständlich.
»Ah Caramba! – das ist ein neuer Adjutant des Generals und ein berühmter Name ohnehin. Hätte ihn Schamyl noch in den Thälern des Elbrus gehabt, Ihre Landsleute Durchlaucht, hätten schwerlich sein Felsennest Wheden erstürmt! Sie müssen seinen Namen kennen aus der Geschichte der Kämpfe im Kaukasus. Es ist Sefer Bei – ein Ungar von Geburt, Graf Batthyànyi!«
Der Russe stieß einen abscheulichen Fluch aus, aber der Oberst und Laforgne hatten keine Zeit, darauf zu achten, denn in dem Hotel erhob sich ein ungewöhnlicher Lärmen, die Kellner liefen rufend und verwirrt durch einander und Signor Luigi, der Wirth, stürzte in das Zimmer.
»Um aller Heiligen willen, Signori – kommen Sie, helfen Sie – es ist ein Unglück geschehen oder ein Selbstmord – ich weiß es nicht –«
»Was? wer?« »Der Herr Graf von Sforza hat sich im Bosket des Gartens erschossen!«
Der Oberst that erschrocken einen Schritt vor. »Das Papier, Herr Kamerad, das Papier!« sagte er französisch.
Der Adjutant Garibaldi's hatte mit einer hastigen Bewegung das Couvert aufgerissen, – ein Blick auf den Inhalt genügte ihm. Er reichte ihn dem Franzosen.
»Lesen Sie!«
Es war ein richtiges Wechselformular. Der Inhalt lautete:
Mailand, den 12. Januar 1858. »Zehn Minuten nach Sicht« zahle ich für diesen Wechsel an die Ordre »des Vorzeigers« die Summe von »meinem Leben mit eigener Hand;« den Werth »verpflichtet auf Ehrenwort.«
Die Querschrift lautete:
Angenommen
Francesco Conte Sforza.
Der Namen »Heinrich Freiherr von Trautmannsdorf« war durchstrichen.
»Diese Herren,« sagte der Graf, während Signor Luigi bereits weiter geeilt war, um einen Arzt zu suchen, »werden uns wohl Aufklärung geben können!«
Er sah sich vergeblich um – weder der russische Fürst noch der Marchese Ferari waren mehr im Zimmer!
In der Ferne verhallten die Hörner der Alpenjäger! –