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Finsterniß – tiefe dichte Finsterniß!
Noch Minuten nachher, nachdem der Schlag, wie tausend Kanonen zu gleicher Zeit gelöst, gefallen war, schien selbst der Boden, auf dem sie lagen, die mächtige Granitrippe des Erdballs, zu beben und zu zittern.
Es war so furchtbar still geworden, still wie der Tod selbst, wie die Einsamkeit und Ruhe, die da tief unter dem Gewühle der Menschen herrscht, unten, im Schoos der Erde, – im Grabe.
Und war es nicht ein Grab? ein gewaltiges Grab? das Grab, das sich über Allen geschlossen, dem Schuldigen und dem Schuldlosen, dem Mörder und dem Opfer, dem Weib und dem Mann!
Nichts unterbrach die entsetzliche Stille – viele, viele Minuten lang.
Dann erhob sich ein leiser Ton, zitternde Worte, von bebenden Lippen gemurmelt:
»Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit
ist die Frucht Deines Leibes, Jesus!
Heili Mueder Gottes, bitte für uns Sünder in
der Stunde des Todes! Amen!«
Es war das einfache, erhabene Gebet der kindlichen Herzen, es waren die Worte des Englischen Grußes.
Und darauf antworteten zwei Stimmen – ein leises Schmerzensstöhnen und der fragend gemurmelte Name der jungen Frau.
»Nandl, mein Kind! lebst noch?«
»Ja, Nönl, die heili Veronika, mei Schutzpatronin, hat mi b'schützt und a Dich b'hüt vor großer Sünd'. Aber hörst Nix von dem Hoisal?«
Ein neues Stöhnen antwortete der Frage.
»Heili Mueder Gottes, Nönl, hat's Dir die Glieder zerschlagen?«
»Mer nit, aber hier liegt Aner neben mer und der scheint z'nicht. Mach a Licht, Nandl, wenn D'di regen kannst. Krauch nach dem Heerd, wo die Büchs steht mit den Streichhölzern und schau, ob's finden thätst!«
Ein leichtes Geräusch, wie vom Umhertappen, – dann knisterte es, und ein Lichtstrahl zuckte durch die Finsterniß.
Die Hand der jungen Frau hatte die Lampe gefunden, gleich darauf fiel ihr Schein durch die Gruft der Lebendigen.
Ein erschütternder Anblick bot sich dar.
Der Küchenraum war noch halb erfüllt von dem Staub, der sich durch den furchtbaren Schlag von Decke und Wänden gelöst, untermischt mit glitzernden feinen Schneetheilen, die wie Nebel durch die Luft wirbelten.
Ein Theil der Decke war eingebrochen, aber zwei starke Balken hielten das zusammengebrochene Holzwerk gestützt. Nur der Schornstein war in sich selbst eingestürzt und seine Trümmer lagen bis weit in den Flur hinein.
Auf dem Estrich desselben saß verwirrt um sich schauend der alte Tyroler, auf derselben Stelle, wo der Luftdruck der Lawine ihn zu Boden geworfen.
Die Gräfin hing ohnmächtig in ihrem Stuhl, neben demselben lag todt oder betäubt der Doktor.
»Der Hoisal! der Hoisal – heili Antoni, der Ruecher hat en derschossen!«
Das Mädchen hatte sich neben einen blutigen Körper geworfen, der zwischen dem alten Mann und seinem verhaßten Gaste lag. Es war in der That der arme Slowak, der sich zwischen Beide gedrängt und den die Kugel Lazare's getroffen hatte.
Er lebte noch, wie die stöhnenden Schmerzenslaute bewiesen. Aber mit jedem Seufzer drang ein Blutstrom durch die Finger der Hand, die er auf die rechte Brust in der Nähe der Schulter gedrückt hielt.
Der alte Mann ließ die Axt fallen, die er unbewußt noch in der Hand behalten und sprang empor. Die Bewegung zeigte ihm, daß seine Glieder unverletzt waren, nur schwankte er wie ein Betäubter oder Betrunkener einige Augenblicke hin und her. Bald aber hatte er sich ermannt und sprang zu dem Verwundeten.
»Sackra – der Böswicht hat ihn g'troffen. Aber der Bursch lebt noch! Leg' a Bettstuck auf die Bank, Nandl, döß i en hinbringen kann.«
Die junge Frau raffte eilig Decken und was zur Hand war, zusammen, da die Thür der Kammer durch das eingedrückte Holzwerk nicht zu öffnen war, und warf sie auf die Bank, mit weiblicher Geistesgegenwart ein Lager für den Verwundeten bereitend. Dann trug der alte Mann den blutenden Körper dahin und Beide betteten ihn so sanft als möglich.
Um die Fremden hatte sich noch keines von ihnen bekümmert.
Nazi Haspinger hatte die geringe Kleidung des Slowaken zurückgeschoben und besichtigte, während seine Enkelin weinend die Lampe hielt, die Wunde.
Als Gemsschütz, der in hundert Fährlichkeiten kommt, und alter Soldat hatte er einige Kenntniß von Verletzungen solcher Art und Ruhe und Fassung genug, um zu wissen, was zunächst zu thun war. »Bring a Linnen, Nandl und das Töppel mit der Salb aus mei Ranzen da an der Thür, döß wir dös sackermentsche Blut vor All'm still'n. Nachher schick den Kölb'l runter in's Dorf, döß er den Bader holt!«
Der alte Mann hatte in seinem Eifer vergessen, was um sie her geschehen war. Erst die traurigen Worte seiner Enkelin erinnerten ihn daran.
»Der liebe Herrgott Nönl und die Heili sind unsre einzige Hilf. Was hilft der Bader von Mals, wenn wir halt Alle sterben müssen in der Lawin!«
»Platzeder nit Dirn, und thu, was i di sag« befahl der Alte. »So lang der Herrgott a Odem in des Menschen Brust läßt, ist's nit mit ihm vorbei. Schleun di, denn i glaub, der Bursch kommt wieder zu sich!«
In der That schlug der Verwundete, als das Mädchen mit altem Linnen und dem Wundbalsam herbeikam, die Augen auf und sah sie mit einem Blick voll unendlicher Liebe und Trauer an.
»Er lebt Nönl, er hat die Augen aufthan!«
Ihre Freude war eine so wahre, herzliche, daß über das Gesicht des Verwundeten ein Lächeln des Glücks zog – des Glücks, in dem Grabe umher!
»Still Nandl und halt die Lamp! Richtig, hier isch die Kugel reingangen und da im Knochen an der Schulter steckt sie auch. Hast Muth, Hoisal, und kannst 'nen Schmerz vertragen?«
»Warum wollen Sie sich die Mühe geben, Herr Haspinger? lassen Sie mich ruhig sterben, wir müssens ja doch Alle, wenn es wirklich die Lawine ist, die uns verschüttet hat!«
»Was soll's sonst sein? Des Herrgott Hand isch awer uns! Dechter giebt sich ka ächter Schütz nit, so lang er a Odem in der Brust hot und die lieben Heili über sich weiß! Wenn mer der Dörcher, der Teufels Toni nur nit mit der Büchs den Ladstock g'enommen, an dem der Kugelzieher isch – da wollt ich sie bald 'raushaben.«
»In der Tasche meiner Bunda befindet sich ein ärztliches Besteck – Sie wissen ja, daß ich Medicin studirt habe – damals ...«
Er schauderte bei der Erinnerung selbst in dieser furchtbaren traurigen Lage. Der Alte wandte sich um – sein Auge fiel auf eine, in dieser Umgebung noch grauenhaftere, gespensterartige Erscheinung.
Es war der Doktor – der Spion – der Mörder seines Sohnes, der Uebelthäter an seiner Enkelin.
Er stand aufgerichtet, mit einer Hand auf den alten Lehnsessel gestützt, in welchem die Genossin seiner Frevelthaten noch immer bewußtlos lag, in der andern noch den Revolver, mit dem er das neue Verbrechen begangen.
Sein Aussehen war erschreckend. Die gewöhnliche unreine Blässe seines Gesichts hatte sich in ein fahles Aschgrau verwandelt, das ihn einem Todten, der bereits tagelang im Grabe gelegen, mehr ähnlich machte, als einem Lebenden, und das wirre krause Haar, das wie ein wolliges Toupé um seinen Kopf stand, schien sich förmlich noch gehoben zu haben und gleich Nadeln in die Höhe zu starren.
Der Doktor war unzweifelhaft ein Mann von Muth und Entschlossenheit, der nicht leicht, wie er bewiesen hatte, vor einer Gefahr, die Menschen bereiten konnten, zurückbebte.
Aber ein Anderes war es mit der gewaltigen Hand Gottes durch die Macht der Natur, und diese Hand hatte jetzt das Grab um ihn geschüttet.
Die Zähne klapperten, seine Nerven bebten in der Todesfurcht, denn ihm fehlte das Beste – das Vertrauen auf Gott, und die Götter, denen er diente, hatten ihn verlassen!
Nur die Furcht und Angst selbst waren es, die ihn emporgerissen, die ihn aufrecht erhielten.
Als der Greis zwei Schritte auf ihn zutrat, um die am Tisch liegende Bunda des Slowaken aufzunehmen, streckte der Doktor ihm unwillkürlich den Revolver entgegen.
»Zurück, Mann, – oder ich schieße Dich nieder!«
Der alte Haspinger zuckte verächtlich mit den Achseln.
»Die Furcht hat Oes den Verstand geraubt. Wißt Oes nit, daß die Lawine uns begraben hat?«
»Begraben!?« Er fiel plötzlich, wie von dem furchtbaren Gedanken nochmals zu Boden geschlagen, nieder auf die Kniee und seine blauen Lippen murmelten halb vergessene Gebete der Kinderzeit, während er die Hände rang.
Darüber erwachte seine Genossin in dem verbrecherischen Leben und dem rächenden Grabe.