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Die Casa Paulina, zu dem Erbe der Signora Bignatelli gehörig und jetzt die Wohnung der Oberstin Manara, liegt am Corso der Porta Romana, in der Nähe des Theatro Lentasio; ihre Gärten stoßen mit denen der Anlagen und anderer Häuser in der Richtung der Kirche San Paolo und des Corso di San Celso zusammen.
Die Gräfin Törkyöny, die zwei Zimmer des Parterre bewohnte, hatte ihre Vorbereitungen für den gefährlichen Gast getroffen, und bald darauf in der That den Besuch des verkleideten Engländers empfangen.
Der Graf Stephan Batthiányi – denn es war in der That der unglückliche Gefangene und Verurtheilte von Temesvar, der Soldat des Kaukasus und der gefürchtete Häuptling Sefer-Bey, dem wir auf seiner Flucht durch das Innere Rußlands in dem Hafen von Kiel und auf dem Wege nach England begegnet sind – hatte der Sehnsucht, seine ehemalige Verlobte wiederzusehen und als eine Mahnung an ihre Untreue vor sie zu treten, nicht widerstehen können. Der Leser wird sich der Scene in der Schänke des Wirthes Claas Lorinsen zu Kiel erinnern, mit der unser Buch »Zehn Jahre« schloß und des Streites, den der wilde Steuermann des »Nordstern« Hakon Sturluson erregt und der mit jenem grausamen und tyrannischen Befehl des Fürsten Trubetzkoi an seinen Leibeigenen geendet hatte, den blutenden bewußtlosen Körper des Passagiers der »Claire« in den Kanal hinter der Schänke zu werfen.
Wir haben damals erwähnt, daß der Fürst nicht allein den Schauplatz des Kampfes zwischen den dänischen und deutschen Seeleuten durch die vom Wirth geöffnete Hinterthür verlassen hatte.
Außer dem Auge Gottes hatten zwei andere die boshafte That gesehen, und der hinkende Schritt des Fürsten und der hastige Tritt seines Leibeigenen, der das willenlose Werkzeug in seiner Hand gewesen, waren kaum um die Ecke des Hauses verklungen, als ein dunkler Schatten über den schmalen Raum nach der Treppe des Kanals glitt. Der Passagier der »Claire« war von der Wucht des furchtbaren Schlages des Bärenjägers noch betäubt und blutend vollständig bewußtlos von der Hand des Kosaken in den Kanal geworfen worden, aber die Frische des Meerwassers im September weckte das Leben in ihm und er griff unwillkürlich, als er wieder zur Oberfläche kam, umher, um sich festzuhalten, ohne daß er jedoch einen Ruf um Hilfe auszustoßen vermocht hätte. Ein dunkles Gefühl, als erfasse ihn eine Hand, als werde er über Stufen emporgezogen, dämmerte in ihm, aber erst die Klänge der heimischen Sprache, die an sein Ohr drangen, weckten ihn wieder zum Bewußtsein.
Als er die Augen aufschlug, sah er über sich den Nachthimmel und fühlte sich auf dem Pflaster des Ufers liegen. Eine dunkle Gestalt kniete neben ihm und bemühte sich, seinen Kopf in die Höhe zu richten und ein Tuch darum zu binden.
»Kapitain Jansen – zu Hilfe!« murmelte der Ungar.
»Still, Euer Gnaden« flüsterte der Mann neben ihm in ungarischer Sprache. »Sie sind kaum um jene Ecke, die nichtswürdigen Mörder und könnten zurückkehren. Gedulden Sie sich einen Augenblick, Herr Graf, bis ich dies Tuch um Ihre verwundete Stirn gebunden – dann müssen wir sehen, ihnen unbemerkt zu entkommen.«
»Aber wer sind Sie – woher kennen Sie mich?«
»Wenn es nicht Nacht wäre,« sagte der Fremde hastig, »so würden Sie sehen, daß ich ein Sohn Ihrer Heimath bin – freilich von einem jener Stämme, denen die stolzen Magyaren kaum das Anrecht, ein Mensch zu sein, zugestehen, und die dennoch ihr Vaterland lieben wie der reichste Magnat. Aber Ihre Wunde ist verbunden, so gut es in der Eile geht, Herr Graf – versuchen Sie jetzt, ob Sie die Kraft haben, aufzustehen; denn es ist nöthig, so schleunig wie möglich diesen Ort zu verlassen!«
Der Passagier der »Claire« versuchte es, sich zu erheben und mit Hilfe des Fremden gelang es ihm, empor zu kommen. Jetzt – nicht mehr im Schatten des Bodens – erkannte er deutlicher die Gestalt und die Tracht seines Helfers.
»Ein Slowak!« sagte er erstaunt.
»Ja, ein Slowak. Aber kommen Sie, Herr Graf!«
Es war in der That der Slowak, der vorhin in einem Winkel der Schänke gesessen und den der ehemalige Magnat wohl kaum gesehen hatte.
»Das ist seltsam! – Deine – Ihre Worte sind weit über Ihrem Stand! Aber führen Sie mich in die Schänke – oder rufen Sie, wenn Sie so viel Deutsch verstehen, den Capitain Jansen von der »Claire« heraus. Er wird mir beistehen.«
»Ich bin Nichts als ein armer Slowak, Herr Graf – behandeln Sie mich als solchen, ich bitte Sie darum,« sagte traurig der Fremde. »Aber Sie können weder den Kapitain sprechen, noch in die Schänke zurückkehren – Beides würde Ihnen Gefahr bringen. Vertrauen Sie mir nur eine Stunde und ich hoffe Sie zu retten.«
Der ungarische Flüchtling, der allerdings wußte, daß er selbst auf diesem Boden bei dem russischen Einfluß noch gefährdet sei, erklärte sich bereit, die Dienste des wandernden Kesselflickers anzunehmen und dieser geleitete ihn sorgsam nach einer Seitenstraße und auf Umwegen nach der Vorstadt, die sich um den Bahnhof gebildet hat.
Unterwegs erzählte der Slowak dem Magnaten, daß er in der Nähe von drei Fremden gesessen, von denen Einer ihn offenbar gleich ihm selbst wieder erkannt und den Auftritt veranlaßt habe, um sich seiner durch das Einschreiten der Polizei zu bemächtigen. Er konnte nichts Näheres über sie mittheilen, als daß sie eine Sprache geredet, die er für Russisch gehalten, und daß wahrscheinlich der Kapitain der »Claire« und alle Anwesenden von den dänischen Polizeisoldaten verhaftet worden wären. Aus diesem Grunde sei er bemüht gewesen, ihn aus der gefährlichen Nähe fortzubringen.
Sie befanden sich jetzt an den letzten Häusern an der Chaussee nach Neumünster in der Nähe eines kleinen für die untersten Klassen bestimmten Wirthshauses, wo der wandernde Kesselflicker ein Nachtlager gefunden hatte.
Der Graf, ermattet noch von dem Blutverlust und der Betäubung des Schlages, hatte sich auf die Bank unter der alten Ulme niedergelassen, die vor dem Hause stand.
Erst jetzt fielen ihm einige besondere Umstände seiner Rettung ein.
»Du erwähntest vorhin, daß Du mir gefolgt bist, als der Wirth mich durch die Küche der Schänke fortbrachte?«
»Ja, Herr Graf, ich und der Russe.«
»Und wo ist dieser geblieben? ich erinnere mich nun, daß, als ich in die freie Luft kam, sich Alles mit mir umherdrehte und ich das Bewußtsein verlor. In diesem Zustand muß ich in den Kanal gefallen sein, aus dem Du mich gerettet hast.«
»Sie sind nicht in den Kanal gefallen!«
»Was willst Du damit sagen?«
»Sie sind in das Wasser geworfen worden!«
»Unmöglich – das wäre ein Mord! Wer hat das gethan?«
»Der Russe mit dem lahmen Bein, in der Matrosenkleidung, der Ihnen folgte. Auf ein Signal von ihm kam von der andern Seite des Hauses ein großer Mensch in der Kleidung eines Dieners, so viel ich in der Dunkelheit erkennen konnte. Ihm befahl er, Sie in den Kanal zu werfen und der Mann gehorchte.«
Der Graf war von der Erzählung um so mehr betroffen; – wenn er auch als der tscherkessische Flüchtling Sefer-Bey sich verdächtig gemacht haben sollte, so war ihm doch diese Handlung persönlichen Hasses unerklärlich, bis plötzlich eine Idee, eine Erinnerung seinen Geist durchzuckte.
»Du sagst, daß jener Mann lahm war?«
»Er schien gelähmt an der Hüfte und bewegte sich nur schwerfällig.«
»Und sein sonstiges Aussehen?«
Der Slowak beschrieb es so gut als möglich.
An der kurzen Zeichnung, an dem fahlen Gesicht und den einzelnen Reden, die der Slowak von seinem Tische aus gehört, überzeugte sich der Flüchtling, daß er hier in der nordischen Seestadt durch eine eigenthümliche Fügung des Schicksals mit seinem bittersten Feinde, dem Manne, der ihm mehr geraubt, als das Leben, zusammengetroffen sein mußte.
Er konnte sich zwar nicht zusammen reimen, wie oder warum der Fürst verkleidet in der Matrosen-Kneipe erschienen sei, da er selbst ja bis wenige Augenblicke vorher nicht gewußt, daß er sie mit dem wackern Kapitain der Claire besuchen werde, – aber der Gedanke, daß Cäcilie Palfy, die Gattin des Fürsten, bei ihm, dem Mörder, sein könne, durchschoß wie ein Feuerstrom sein Herz.
Die Schwäche, welche die Wunde und der Kampf mit dem Steuermann ihm zurückgelassen, verschwand im Nu vor diesem Gedanken – Stephan Batthyanyi, der kühne Sefer-Bey, der Rival des Imam Schamyl, der gefährlichste Feind der Russen, war wieder Er selbst.
In dem Moment jenes Gedankens stand auch der Entschluß bei ihm fest, Kiel nicht eher – selbst auf jede persönliche Gefahr hin – zu verlassen, bis er sich von der Richtigkeit jener Vermuthung Ueberzeugung verschafft.
Aber er sah ein, daß nach der wahrscheinlich zufälligen Entdeckung seiner Person es thöricht gewesen wäre, in sein bisheriges Asyl, an den Bord der Claire zurückzukehren.
Er wandte sich zu dem Slowaken.
»Was Du mir soeben gesagt, Mann, zeigt mir, daß ich Dir noch größeren Dank schulde. Zum zweiten Mal danke ich Einem Deines Volks mein Leben. Aber ich bedarf Deines weitern Beistandes. Vor Allem, wie ist Dein Name?«
»Matthias!« »Und kenne ich Dich? Ich habe Dir bereits meine Verwunderung angedeutet, einen Menschen Deines Standes sich ausdrücken zu hören, wie Du es thust. Du bist nicht was Du scheinst.«
»Ich bin der Slowak Matthias, Herr, ein wandernder Kesselflicker, aber als solcher ein ehrlicherer Mann denn früher, als Ihr Auge noch mit Verachtung auf mich fiel.«
»So kenne ich Dich?«
»Als Sie noch ein Knabe waren, Herr Graf und oft auf dem Schlosse Ihres Verwandten bei Telek verweilten, da pflegten Sie wohl vor den Augen Ihrer schönen Cousine die zerlumpten Jungen des Dorfes zu rufen, um an ihrer Spitze im Spiel gegen die Türken oder die Deutschen zu Felde zu ziehen; oder Sie verschmähten es selbst nicht, mit ihnen durch die Putzten und die Sümpfe der Theiß zu schweifen und den Reiher von seinem Nest zu jagen. Später trug ich Ihnen mehr als einmal die Flinte, wenn Sie auf den Wolf jagten – den grimmigen Wolf, der das Einzige, was ich hatte auf der Welt, meine Schwester Hanka, zerriß.
»Deine Schwester?« »Ich war fern damals von der Heimath,« fuhr die klagende Stimme des Slowaken fort – »denn mich hatte das Auge einer anderen Wölfin getroffen und mich in ihren Bann gezogen. Damals, Herr Graf, obschon Sie den Knaben, Ihren Spielgefährten, nicht wieder erkannten – denn was ist der arme unbedeutende Slowak für den reichen und stolzen Magnaten, daß er sich seiner erinnern sollte! – Damals, in Wien, ruhte Ihr Blick mit Verachtung auf mir, und ich verdiente sie. Der Gott im Himmel, der über den Magnaten und den Slowaken seine allmächtige Hand streckt und der den armen Matthias gerettet hat aus dem Rachen der Wölfin, schlimmer als die, welche seine Schwester zerriß, hat es gefügt, daß ich in meiner Buße und Sühne Ihnen jetzt wieder im fernen Lande einen geringen Dienst leisten konnte.
»Wie – so sind Sie jener junge Mann, den die sittenlose Tante meiner Verlobten, die Gräfin Törkyöny zu sich genommen, den ich in Wien bei ihr sah?«
Der Aermste senkte still seinen Kopf.
Der Graf schwieg einige Augenblicke. »Ich weiß Nichts von den weitern Schicksalen meiner Tante, ich kann nur begreifen, daß Sie eines ihrer zahlreichen Opfer waren. Aber wie dem auch sei, ich bin genöthigt, Ihre ferneren, Dienste in Anspruch zu nehmen und bitte Sie darum. Ich kann Sie im Augenblick zwar nicht dafür belohnen, denn ich bin selbst arm; aber ich habe einige Dinge von Werth bei mir, die Sie morgen zu verkaufen suchen müssen, da, es heute durch jenen Auftritt in der Schänke mißlungen ist. Ich habe die Adresse des Juden gemerkt, den Kapitain Jansen holen ließ.«
»Wenn Sie Geld brauchen, Herr Graf,« sagte der Slowak schüchtern – »ich trage in diese Bunda eingenäht mehr als zehntausend Gulden bei mir in Banknoten und Gold.«
»Zehntausend Gulden – wie kommen Sie zu einer solchen Summe bei dem Gewerbe, in dem ich Sie treffe?«
»Ich bin kein Dieb, Herr Graf,« sagte der Slowak traurig, den unausgesprochenen Verdacht des Anderen errathend. »Es ist meine Wahl und meine Buße, in dem Gewande meiner Brüder gleich ihrem Aermsten umherzuziehen, aber Sie können ungescheut darüber disponiren. Es ist das Erbe des Hausmeisters der Gräfin Törkyöny in Wien, eines guten und rechtlichen Mannes, den ich in seiner letzten Krankheit gepflegt und der es mir auf seinem Todtenbette übergeben. Ich habe vergebens seit dem Mai Tyrol durchzogen, um seine rechtmäßige Erben zu finden, und da ich aus einigen Papieren in der Nachlassenschaft ersehen, daß dem guten Döllinger ein Bruder hier im Norden leben sollte, bin ich hierher gewandert, um diesen aufzusuchen.«
Die kurze einfache Erzählung erregte in dem Grafen ein gewisses Gefühl der Schaam – er erinnerte sich, in welcher niedern, traurigen Lage als russischer Soldat im Kaukasus er selbst gewesen. »Haben Sie diesen Verwandten gefunden?« frug er endlich.
»Er war ein Handwerker in Eckernförde und ist schon vor mehreren Jahren ohne Familie und Erben gestorben. Ich bin auf dem Rückweg nach Tyrol, um dort meine Nachforschungen nach den Verwandten des alten Mannes zu erneuern, die ich persönlich kenne,«
Der Graf reichte ihm die Hand. »Ich will nicht untersuchen,« sagte er freundlich, »was einen Mann von Ihrer erlangten Bildung bewogen haben kann, wieder zu diesem Stande zurückzukehren; aber ich sehe, daß die Schmach Ihrer Jugend nicht Ihre Schuld war und nicht die Gefühle für Ehre und Recht in Ihnen unterdrückt hat. – Ich schulde Ihnen mein Leben – Ich vertraue Ihnen!« Der Slowak beugte sich nieder auf seine Hand um sie zu küssen, aber der Graf zog sie rasch zurück.
»Nicht so, Herr Matthias – wir sind Beide ausgestoßene Söhne des theuren Vaterlandes, beide durch die harte Schule des Lebens gegangen und ich, der Magnat und Sie der Slowak, Wanderer durch die Länder und Brüder im Unglück. Als solcher fordere ich von Ihnen einen Dienst und nehme Ihr Anerbieten an. Ich habe, nach Ihrer Mittheilung, allen Grund zu glauben, daß der verkleidete Matrose in der Schänke, der den Mordversuch gegen mich machte, der Fürst Trubetzkoi, der Gatte der Tochter Ihres Gutsherrn, meiner früheren Verlobten ist. Ich muß wissen, ob sie sich bei ihm befindet. Es ist zu spät, um noch diese Nacht das Nöthige zu erfahren, aber getrauen Sie sich, morgen früh in die Stadt zurückzukehren, um das, was ich wissen will, zu erforschen?«
»Sie müssen morgen mit dem Frühzug Kiel verlassen von der nächsten Station aus, Herr Graf. Ihr Bleiben könnte Sie einer Gefahr aussetzen!«
»Ich werde ihr in jedem Fall die Stirn bieten und keinen Fuß von hier setzen, bis ich Gewißheit habe. Vergessen Sie nicht, daß ein Mann mit Ihnen spricht, der seit Jahren gewohnt gewesen ist, täglich dem Tode in's Auge zu schauen.«
Es folgte eine längere Verhandlung zwischen den Beiden, die damit endete, daß beschlossen wurde, der Slowak solle am andern Morgen, auf geschickte Weise versuchen, nähere Auskunft über die Anwesenheit des Fürsten Trubetzkoi in den Hotels der Stadt einzuziehen, während der Graf selbst in dem Nachtlager des wandernden Kesselflickers zurückblieb. Matthias holte aus dem Hause noch einige Erfrischungen und erhielt auf seine Bitten und die Vorausbezahlung, eine Kammer über dem Stall, der sonst sein Nachtquartier gewesen wäre. Hier untersuchte er mit Hilfe der medizinischen Kenntnisse, die er sich als Student an der Wiener Aula bereits erworben, die Wunde des Grafen und verband sie kunstgerecht. Dann warfen sich Beide nebeneinander auf das Strohlager und der Schlaf schloß die Augen der Erschöpften.
So schliefen sie nebeneinander bis zum Morgen, der Magnat und der Slowak! Trotz der Erschöpfung, die noch immer seine Sinne umfing, hätte der stärkende Schlaf sich sicher nicht auf die Augen des Grafen gelagert, wenn er gewußt, daß der Verachtete eines verachteten Stammes, der zwei Mal sein Leben gerettet, einst an der Brust jener Frau geruht, die sein Ideal gewesen war im Leben!
Am andern Morgen, während der Graf noch in tiefem Schlaf lag, machte Matthias sich auf den Weg in die Stadt und hatte bald ausgekundschaftet, daß der Fürst Trubetzkoi im Bahnhofs-Hôtel logirte und noch im Laufe des Tages nach Kopenhagen weiter reisen werde. Er hörte zugleich, daß die Fürstin nicht zugegen sei, und einige Gläser Branntwein, an Petrowitsch, den Kosaken, gespendet, brachten ihm allerlei Erzählungen, aus denen er entnahm, daß die Fürstin schon seit mehreren Jahren in Unfrieden mit ihrem Gatten lebte und sich jetzt gänzlich auf eine ihr gehörige Villa an einem der norditalienischen Seen zurückgezogen habe. Zugleich hatte der Slowak einige Kleider eingekauft, deren der Graf sich bis Hamburg bedienen konnte. Aber da der Fürst sich wohl hütete, die Aufmerksamkeit der dänischen Polizei auf sein Opfer weiter zu lenken, das er sicher auf dem Grunde des Kanals glaubte, fand nicht die geringste Nachforschung nach dem verkleideten Seemann statt und ungehindert wanderte das Paar noch denselben Vormittag die Straße nach Bordesholm, der nächsten Station an der Eisenbahn, von wo der Graf seinen Weg nach Hamburg fortsetzte, während Matthias nach Kiel zurückkehrte, um den wackeren Kapitain aufzusuchen und über das Schicksal seines Schützlings zu beruhigen.
Auf die dringenden Bitten des Slowaken und unter der Bedingung, daß dieser binnen Jahresfrist auf der Post zu Mailand nach einem Briefe nachfragen sollte, mit dem er die geliehene Summe zurückerstatten wollte, hatte Graf Stephan aus dem geheimen Schatz des Kesselflickers hundert Dukaten angenommen; denn seine Absicht war, von Hamburg zunächst nach England zu gehen, wo er gewiß war, Freunde und Landsleute zu finden und von dort über Frankreich nach Italien, wohin ihn nach der erhaltenen Kunde sein Herz zog, das noch immer nicht Cäcilie Pálfy trotz ihres vermeinten Treubruchs vergessen konnte.
So waren Stephan Batthyanyi, die Gelegenheit des Zusammenströmes der Fremden benutzend, unter der Maske eines englischen Reisenden nach Mailand und Matthias, der Slowak, auf seiner Wanderfahrt, die Verwandten des alten Hausmeisters, seines Erblassers aufzusuchen, nach dem Bormio-Paß gekommen.
Unter dem Namen Sir Henry Lincoln hatte der Graf sich bei seiner Verwandtin melden lassen und war sofort zu ihr geführt worden, denn sie wartete ungeduldig auf seinen Besuch. Obschon er dies Weib stets verachtet, hatte er doch mit Begier und auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden, die Gelegenheit der Begegnung ergriffen, um von ihr etwas Näheres über seine ehemalige Verlobte zu hören.
Die Gräfin war zwar nothgedrungen jetzt von Doktor Lazare in Kenntniß gesetzt worden, auf welche Weise durch ihn der Graf damals dem Tode am Galgen entzogen worden, um einem noch traurigeren Schicksal überliefert zu werden, aber sie mußte dem Besuch gegenüber noch thun, als wisse sie von Nichts und spielte ihre Rolle meisterhaft.
Graf Stephan, nachdem er kurz seine Rettung und seine Schicksale erwähnt, wobei er jedoch den letzten tückischen Angriff des Fürsten mit Stillschweigen überging, eilte zu dem, was allein ihn interessirte, zu der Frage nach Cäcilie Pálfy.
Es gewährte der Gräfin eine grausame Wollust, ihm mitzutheilen, daß seine Verlobte allein um ihn vom Tode und ihre Mutter von der Schmach der Peitschenstrafe zu retten, die Gattin des Fürsten geworden, und daß dieser sie schmählich um den Preis ihres Opfers betrogen und ihr offen seine Maitresse, eine elende Zigeunerin, zur Gesellschafterin und gleichsam zur Aufsicht aufgedrängt hatte. Sie erzählte ihm von dem Sohne der Fürstin mit giftigen Bemerkungen, die neue Zweifel in seiner Seele erwecken sollten, und obschon sie von den innern Verhältnissen und Vorgängen der fürstlichen Familie nur wenig wußte, da während des Aufenthalts in Berlin ihre Nichte sich möglichst entfernt von ihr gehalten hatte, so hatte sie doch so viel gehört, daß die Fürstin seit den letzten Jahren getrennt von ihrem Gatten in einer Villa am Gardasee lebte, wie sie hämisch hinzusetzte: in der Gesellschaft eines Vertrauten in der Person eines deutschen Secretairs oder Informators.
Daß ihre Nichte sich augenblicklich in Paris befand, war ihr dagegen unbekannt.
Mit der Bosheit und Grausamkeit, die einen Grundzug ihres ganzen Charakters bildete, verfolgte die Gräfin die Wirkungen ihrer Mittheilung auf den Mann, von dem sie wußte, wie sehr er einst seine Verlobte geliebt; und sie hatte in der That keine Ursach, über einen zu geringen Erfolg ihrer tückischen Rache zu klagen. Das edle von Leiden und Strapazen abgemagerte und gebräunte Gesicht war ein Spiegel seiner Empfindungen, als er von dem traurigen unverdienten Schicksal seiner Geliebten hörte, und die dunkle Wolke, die sich über seine Stirn lagerte, das finstre Senken der Brauen und der Blitz, der aus seinem dunklen Auge schoß, versicherten die Gräfin, daß der gefürchtete Tscherkessen-Häuptling Sefer-Bey bei der ersten Begegnung mit seinem Feinde schwere Vergeltung für den Raub seines Lebensglückes nehmen werde.
Diese Gelegenheit sollte nach der Meinung der Gräfin und Lazare's freilich nicht eintreten, sondern der Graf, nachdem sie ihn zu ihren Zwecken benutzt, in einem österreichischen Gefängniß oder am Galgen endigen! –
Weniger glücklich war die Gräfin dagegen mit dem zweiten Theil ihrer Absichten und Aufgabe. Der hingeworfene Wink, daß er hier bereits Freunde gefunden und daß er nach seiner Aeußerung in dem Matrosen und dem Mönch, denen sie in der Villa Reale begegnet waren, solche erkannt zu haben scheine – fand keine Erwiederung seitens des Flüchtlings. Auch als die Gräfin ihm ihre intime Bekanntschaft mit den Führern der italienischen Propaganda rühmte und das Vertrauen, das sie bei diesen genoß, und als sie ihm andeutete, sie wisse sehr gut, daß gegenwärtig unter dem Schutz der Leichenfeier viele Notabilitäten der Nationalpartei im Geheimen hier versammelt wären und von den geheimen Verhandlungen mit dem Kabinet von Turin als etwas Zuverlässigem, ihr wohl Bekanntem sprach – antwortete der Graf ihr ausweichend und wußte allen Schlingen, die sie ihm legte, mit der Entschuldigung zu entgehen, daß er erst am Morgen in Mailand eingetroffen und daher noch zu wenig mit den Plänen und Persönlichkeiten der hiesigen Führer bekannt sei.
Selbst den Ort, wo er Wohnung genommen, lehnte er ab zu nennen unter dem Vorwand, daß zu leicht eine Unvorsichtigkeit ihn verrathen könne, und nur so viel hatte die List dieser Frau, als er von ihr schied, herauslocken können, daß er der Hilfe und des Beistands von Freunden in Mailand gewiß sei und noch diesen Abend einer geheimen Versammlung beiwohnen werde.
Der Graf hatte sich kaum entfernt, als die schöne Julia Bignatelli zu ihr herunterkam. Während die Gräfin in einigen raschen Zeilen Lazare von dem Erfolg ihrer Unterredung Kenntniß gab und ihm eine Stunde des Abends zur Zusammenkunft bestimmte, erzählte die junge Mailänderin, daß die Oberstin Manara für den Abend mehrere anwesende Fremde und verschiedene Freunde aus der Stadt zu sich geladen habe und überbrachte ihr die Einladung, der Gesellschaft beizuwohnen.
Die Gräfin hatte eben das Billet gesiegelt und die Einladung erregte ihre Aufmerksamkeit.
»Wissen Sie vielleicht, Julia,« frug sie, »ob unsere Freundin Montalban Cornaro kommen wird?«
»Sie ist es eben, die sich angesagt und die Oberstin bewogen hat, noch einige Freunde einzuladen, was – wie mir scheint – nicht ganz passend ist in diesen Tagen.«
Der Gräfin schien die Sache noch auffallender, doch hütete sie sich wohl, darüber zu sprechen; sie glaubte jetzt, dem Geheimniß auf der Spur zu sein; die Oberstin war unvorsichtig genug, die Zusammenkunft der Führer der Revolutionspartei in ihrer Wohnung stattfinden zu lassen.
Aber die schöne Bignatelli hatte andere Dinge in ihrem Köpfchen und auf dem Herzen, als die geschickten Fragen der Dame in dieser Richtung zu beantworten. Sie faßte die Hand der Gräfin und wendete entschlossen die Rede auf den Gegenstand, der sie bedrückte.
»Sie haben gesagt, daß Sie meine Freundin sind und mir beistehen wollen,« sagte sie hastig. »Ist dies Ihr Ernst?«
»Bei Gott, liebe Julia, wie können Sie daran zweifeln?«
»So beweisen Sie es – diese Lage ist unerträglich. Ich hasse den Mann, den eine thörichte Testamentsbestimmung und meine Verwandten und Vormünder mir aufdringen wollen. Ich muß mich von diesen Banden befreien um jeden Preis.«
»Der Haß, liebe Julia,« meinte die Gräfin lächelnd, »wird schwerlich so groß sein, als die Liebe zu einem Anderen. Aber ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Schwierigkeiten Ihrer Lage nicht gering sind. Man wäre zweifelsohne im österreichischen Gouvernement sehr zufrieden, wenn ein Deutscher Ihre Hand und Ihre Reichthümer erhielte, aber man wird sich hüten, dieses Vortheils halber in Familienbestimmungen einzugreifen, um die öffentliche Meinung nicht aufzureizen. Sie wissen, daß man dies jetzt sorgfältig vermeidet.«
»Aber wie soll ich denn loskommen? Ich habe Trautmannsdorf gradezu eine Entführung vorgeschlagen, aber er verwirft den Schritt.«
»Graf Sforza,« sagte die Gräfin lauernd, »obschon es bekannt ist, daß er die Regierung haßt, hat bis jetzt sehr klug vermieden, ihr Gelegenheit zu geben, ihn zu fassen. Sie wissen, liebe Julia, wie unsere jungen Heißsporne hoffen, daß binnen Kurzem das österreichische Joch ganz abgeschüttelt sein wird, und dann allerdings ist keine Aussicht mehr für Sie vorhanden. Ich bin nicht im Vertrauen, wann die Erhebung stattfinden soll und wie weit man mit Turin einig ist, aber es wäre um Ihretwillen wichtig, es zu wissen; denn mir scheint, man bereitet ein Unternehmen vor.«
»Was kümmert mich die Politik,« sagte leidenschaftlich die Italienerin, die nur für ihre Liebe Sinn hatte. »Es ist Thorheit, wenn sie denken, gegen die Armee des Kaisers etwas ausrichten zu können. Ich wünschte, diese Worthelden, die immer die Freiheit im Munde führen und einem armen Mädchen die der Bestimmung über sich selbst rauben wollen, hätten endlich den Muth zu einer Revolution. Der Sieg kann nicht zweifelhaft sein und ich könnte dann doch nicht gezwungen werden, einem Rebellen gegen den Kaiser meine Hand und mein Vermögen zu geben.«
Die Gräfin lachte »Cara mia, ich bitte Sie um Himmelswillen, lassen Sie die Oberstin Manara oder gar unsere liebe Gräfin Montalban nicht hören, daß Sie so blutwenig Patriotismus haben. Aber haben Sie nicht bemerkt, liebe Julia, daß seit gestern mehrere geheimnisvolle fremde Personen sich eingefunden, die bei der Oberstin verkehren?«
Die Signora sah sie groß an. »Daß ich nicht wüßte! Doch warten Sie – es mag so sein, wie Sie sagen – es waren gestern im Laufe des Tages mehr unbekannte Gesichter da, mit denen sich die Oberstin einschloß, und mein würdiger Verlobter selbst schien sehr beschäftigt mit ihnen. Der heiligen Jungfrau sei Dank, daß ich seine fatale Physiognomie nicht wieder gesehen habe seit dem Auftritt in der Villa Reale!« Die Gräfin hatte sich überzeugt, daß das junge Mädchen in der That nichts Näheres wußte von den Plänen der Verschwörer, und sie änderte daher ihre Taktik.
»Und sind Sie nicht besorgt, daß der Auftritt in der Villa zu einem ernsten Streit geführt haben kann? Der Graf ließ uns im Wagen warten bis er kam, und er sah sehr erhitzt aus!«
»Der eifersüchtige Zänker! Vielleicht schießt ihn Enriko todt!«
»Vielleicht auch nicht! Ein Duell ist immer eine sehr zweifelhafte Sache. Wir müssen auf ein besseres Mittel denken. Aber freilich, es wird schwierig sein, und vielleicht Sie einen Theil Ihres Reichthums kosten.«
»Ich würde mit Vergnügen fünfzig – hunderttausend Lire und mehr geben, wenn ich von diesem Verlöbniß mich befreien könnte!«
»Nun mein Kind, das läßt sich hören, Geld regiert einmal die Welt. Ich werde noch heute mit Jemand sprechen, der schlau wie der Satan ist und alle Mittel und Wege kennt. Aber es ist vor Allem Eins nöthig!«
»Was? – Geld? – Ich habe zwar keins, denn man sagt mir immer, ich brauche es nicht. Aber ich habe Schmuck, Diamanten ...«
»Nichts, nichts von Alledem. Das arrangirt sich später, wenn Sie erst befreit und unter anderer Vormundschaft sind. Aber es ist vor Allem nothwendig, daß Sie volles und unbedingtes Vertrauen zu mir haben. Dazu gehört, daß Sie mich von Allem, auch dem Kleinsten, was bei der Oberstin passirt, in Kenntniß setzen. Ich weiß, daß wichtige Ereignisse vorbereitet werden. Ich will mich nicht in das Vertrauen drängen, aber Sie begreifen, mein Kind, daß ich um Ihretwillen von Allem bei Zeiten unterrichtet sein will. Suchen Sie daher zu erfahren, wer die Fremden waren, die gestern und heute die Oberstin und wahrscheinlich auch die Gräfin besucht haben, und wann und wo die geheimen Versammlungen stattfinden.«
»Ich werde auf der Lauer sein und Ihnen Alles berichten, was ich höre,«
»Gut; und nun noch Eins. Sehen Sie heute Ihren Geliebten?«
Die Signora wandte erröthend das hübsche Köpfchen.
»O, keine falsche Prüderie, liebes Kind. Ich wiederhole Ihnen, Sie sind jung und haben ein Recht, zu genießen. Ich bin gewiß die Letzte, Ihnen aus einem solchen Rendezvous einen Vorwurf zu machen. Wahrhaftig, ich beneide Sie, denn der Rittmeister ist ein Prachtmann, und ich verstehe mich darauf! Also – Sie haben ihm für heute eine Zusammenkunft zugesagt?«
Julia nickte.
»Schön, Kind – ich dachte es mir. Der Pavillon an der Mauer ist ein ganz vortreffliches Asyl für eine Stunde des Geheimnisses. Aber wann erwarten Sie ihn?«
»Um elf Uhr. Sie müssen mir helfen, beste Gräfin, mich von der Gesellschaft der Oberstin loszumachen.«
»Schützen Sie Kopfweh vor, Migräne, Kind! Zanken Sie sich mit Herrn Sforza oder irgend einem andern Mann – und Sie haben gleich die Gelegenheit, sich auf Ihr Zimmer zurückzuziehen. Aber Sie sind doch ein kleiner feiner Schlaukopf! – Wie in aller Welt fangen Sie es an, so unbemerkt in den Garten zu entkommen?«
»Auf der geheimen Treppe.«
»Wie – welche Treppe meinen Sie?«
»Hat die Oberstin Ihnen denn noch nicht die Stiege gezeigt, die aus dem Vorzimmer der hinteren Salons in das Glashaus führt?«
»Nein – ich kenne doch das Haus, aber ich habe nie eine solche Treppe bemerkt.«
»Das kommt, weil der Eingang oben im Zimmer so geschickt von einer Schrankthür geschlossen wird, daß nur, wer es weiß, dies bemerkt. Die Treppe läuft, ohne daß es von Außen auffällt, in dem Winkel der Mauer. Mein Vater ließ sie anlegen, um so rasch in den Garten gelangen zu können.«
Die Gräfin wußte jetzt, woher es gekommen, daß so häufig aus dem Salon der Hauswirthin Besucher verschwunden waren, ohne daß sie im Parterre ihr Weggehen bemerkt hatte.
»Und der Garten selbst? Er hat drei Ausgänge?«
»Ja. Einen nach dem Platz des Lentafio, zwei nach den Seitenstraßen.«
»Aber dennoch begreife ich nicht, wie Sie so unentdeckt Ihr Schlafzimmer verlassen können, da doch Ihr Mädchen in dem davor schläft.«
»Wie – so ist es nicht Carlotta, die Ihnen mein Geheimniß ausgeplaudert hat? Ich schmolle seit diesem Mittag mit ihr deshalb.«
»Dann thun Sie ihr Unrecht, meine Theure, sie ist eine treue Seele und hat kein Wort gesagt. Ich habe es durch einen Zufall erfahren, als ich eines Nachts wegen heftiger Kopfschmerzen nicht schlafen konnte und glaubte, ein Gang durch die frische Winterluft im Garten würde mich erfrischen.«
Sie hütete sich wohl, ihr zu sagen, daß es bei Gelegenheit ihrer eigenen Zusammenkunft mit dem Doktor geschehen war.
Die Gräfin wußte jetzt genug und bedurfte des Nachdenkens.
»Jetzt, liebes Kind,« sagte sie – »gehen Sie wieder zu Signora Manara und lassen Sie sich Nichts merken, daß wir Verbündete sind. Gehen Sie diesen Abend zu Ihrem Rendezvous und verlassen Sie sich darauf – es soll Ihnen geholfen werden.«
Die junge Signorina, in deren Charakter das ungestüme Feuer der Leidenschaft mit einer fast kindlichen Naivetät und Gedankenlosigkeit verbunden war, wie dies so häufig bei den italienischen Frauen der Fall ist, dankte der falschen Freundin auf das Lebendigste und entfloh.
Nach kurzem Ueberlegen öffnete die Gräfin noch ein Mal das Billet und fügte noch einige Zeilen hinzu. Dann warf sie ihren Mantel um und machte einen kurzen Ausgang, um es bestellen zu lassen.
Lazare hatte eine Privatwohnung in der Nähe der Piazza Fontana, in einer der Seiten-Straßen des Corso di Porta Tosa genommen, die ihm jede nöthige Ungenirtheit und Gelegenheit für die Doppelrolle bot, die er zu, spielen übernommen. In der Nähe befand sich der ziemlich verödete Palast des Grafen Sforza, denn der Abkömmling der alten Beherrscher Mailands war ein leidenschaftlicher Spieler und hatte sich dadurch gänzlich ruinirt.
Diese Leidenschaft hatte auch dem verkappten Emissair die leichte Gelegenheit geboten, rasch die vertraute Bekanntschaft des Grafen zu machen und ihn an sich zu fesseln. Der Doktor war selbst ein enragirter Spieler, aber durch die überlegene Kraft seines Geistes Herr dieser Leidenschaft und außerdem, woran sein Charakter nicht den geringsten Anstoß nahm, mit allen Künsten genau vertraut, welche das Glück korrigiren können.
Trotz der kurzen Zeit, die der Doktor unter dem angenommenen Namen bereits in Mailand sich aufhielt, hatte der Graf mit seinen Freunden doch bereits mehr als eine Nacht in der Wohnung des Doktors mit Karten und Würfeln zugebracht und fast Alle schuldeten ihm nicht unbeträchtliche Summen, – der Graf Sforza an zehntausend Lire.
An dem Tage, an dem die bisher erzählten Scenen spielen, war in den ersten Abendstunden wiederum eine Gesellschaft bei dem schlauen Verführer versammelt – der Graf mit zwei seiner politischen Freunde, ruinirten Edelleuten mit den berühmtesten Namen Italiens, Männern voll Hochmuth und Anmaßung und zu jeder That der Willkür bereit, die ihre ungezügelten Leidenschaften forderten.
Diesmal jedoch war es nicht das Spiel, was die Nobili hier zusammengeführt hatte.
Gleich nach dem Auftritt in der Villa Reale hatte Graf Sforza, da die Sache ohnehin nicht zu verheimlichen war, einige seiner intimsten Freunde und Gesinnungsgenossen zusammen berufen und ihnen den Wortwechsel mit dem Adjutanten Gyulay's so wie dessen Folge mitgetheilt.
Alle geriethen in leidenschaftliche Extase über das, was sie den deutschen Uebermuth nannten, ohne zu bedenken, daß der Offizier nur seiner Pflicht gehorcht hatte.
Jedes Wort, jeder Rathschlag steigerte die Erbitterung und wenn der Graf, zu dessen hervorragenden Eigenschaften der ruhige kaltblütige Muth gerade nicht gehörte, auch nicht beabsichtigt hätte, den Gegner zu einem sofortigen Duell zu zwingen, in der Gewißheit, seinem Rachedurst bald auf andere Weise Genüge thun zu können, so erhitzten doch die Stachelreden seiner Genossen das italienische Blut und trieben ihn an, Alles daran zu setzen, um seine Forderung durchzusetzen.
Da sie Alle bereits den überwiegenden Verstand und den scharfblickenden Rath ihres neuen Bekannten hatten würdigen lernen und dieser auch zu der Gesellschaft des Grafen in der Villa Reale gehört hatte, beschloß man, sich in der Wohnung Lazare's oder vielmehr Sapieha's – wie er sich als angeblicher Seitenverwandter der berühmten fürstlichen Familie genannt hatte – zusammenzufinden, um dort die Berathungen fortzusetzen.
Im ersten Augenblick war die Sache dem Doktor wenig angenehm, aber eine kurze Ueberlegung zeigte ihm, daß er seinen Beistand nicht verweigern konnte, ohne die Früchte seiner bisherigen Bemühungen zu verlieren: – daß er die Leitung der Sache in seiner Hand behielt und vielleicht so am Raschesten zu seinem Ziel kommen könne, und daß selbst bei einem schlimmen Ausgang ihn keine wirkliche Gefährdung treffen werde.
Außerdem hätte jene boshafte Lust am Unheilstiften, die einen Grundzug seines Charakters ausmachte, eine Ablehnung nicht zugegeben.
Er war ein philosophischer Gegner des Duells, das heißt, sobald seine Person dabei betheiligt war, nicht aus Mangel an Muth, sondern aus jenem Atheismus, dem das Ich der alleinige Gott ist. Aber er hätte es nie bei Andern verhindert, sondern bestärkte den Haß mit raffinirter Grausamkeit. Als sich die drei Italiener nach zwei Stunden bei ihm versammelten, während deren er Gelegenheit gehabt hatte, mit der Gräfin zu sprechen und dem Superior des Jesuiten-Kollegiums seine Nachrichten zu bringen, war er mit seinem Verhalten vollkommen im Reinen.
Nach kurzer Berathung wurde beschlossen, den Baron – dessen Dienst, wie man wußte, – um 4 Uhr mit seinem Posten bei der Leichenparade endete, – an einen Ort zu locken, wo er gezwungen werden konnte, sofort die verschobene Rechenschaft zu geben.
Die Italiener bestanden darauf, die Wohnung Sapieha's als die bestgeeignete zu wählen, da es die Wohnung eines Fremden war und dieser am Wenigsten kompromittirt werden konnte.
Der Doktor willigte ein unter der Bedingung, daß keinerlei Gewaltthat stattfinden dürfe. Er übernahm es ferner, den Baron, dem er persönlich unbekannt war, zu dem Besuch zu veranlassen. Er hatte den Verschworenen versprochen, daß der Offizier um 7 Uhr des Abends in seiner Wohnung sein sollte, – das Mittel, wodurch er dies erzielen werde, brauche sie nicht zu kümmern.
Schon eine Stunde vorher war die Gesellschaft bei ihm versammelt in aufgeregter Erwartung, nur der Doktor hatte seine schneidende höhnische Ruhe bewahrt. Er wußte bereits, aus den Gesprächen der jungen Männer, daß an demselben Abend eine Versammlung der Führer der Nationalpartei stattfinden werde, als er den Brief der Gräfin erhielt, der ihn von ihrem Gespräch mit Stephan Bathyanyi und der Signorina in Kenntniß setzte und ihm eine Zusammenkunft bestimmte.
Seine Gesellschafter sahen ungeduldig nach der Uhr.
»Ich wette hundert Dukaten,« sagte der junge Marchese Ferari, »der Prahler kommt nicht und Du kannst ihn morgen auf dem Corso in's Gesicht schlagen, Francesco!«
»Ich werde ihn öffentlich als Feigling brandmarken – er soll die Schmach haben, ehe unsere Rache über ihn kommt.«
»Per bacco,« meinte der Kapitain Balduccio, eine behäbig runde Gestalt mit der Physiognomie eines Gourmands. »Ich halte es ohnehin für eine Thorheit, daß Du Dein Leben noch gegen ihn auf's Spiel setzen willst, wo das seine ohnehin geliefert ist. In zwei Tagen kannst Du ihn an einen beliebigen Laternenpfahl hängen lassen.«
»Signor Sforza,« sagte hämisch der Doktor, fürchtet das allzuweiche Herz seiner schönen Braut!«
»Signor – was wollen Sie damit sagen?« Der Doktor blies ruhig den Rauch seiner Cigarre in die Luft.
»Ich will damit sagen, Signor Conde, daß Sie in der That sich beeilen müssen, den schönen Rittmeister in die Unterwelt zu spediren, wenn er Sie nicht vor der Hochzeit zum Hahnrei machen soll!«
Der Graf sprang wüthend empor. »Sie lügen, Signor – Sie sollen mir Rechenschaft geben für diese Infamie!«
»Bah – machen Sie die Sache nicht ärger, Signor Conde, indem Sie sich mit Ihren Freunden zanken, statt Ihr Feuer für Ihren Gegner aufzusparen. Ich sage nie Etwas, das ich nicht beweisen kann. Signora Julietta ist eine sehr feurige junge Dame und ich kenne die Zeit und den Ort ihrer Zusammenkünfte mit dem Deutschen.«
»Dann sollen Sie Ihre Verläumdung beweisen oder sterben!«
»Legen Sie die Hand von der Pistole, Signor Sforza,« sagte der Doktor kalt, die grauen Augen fest auf ihn heftend. »Schieben Sie die Waffe wieder unter das Tuch oder Herr von Trautmannsdorf wird zu zeitig merken, zu welchem Zweck er hierher geladen ist. Sie sollen erfahren, wann die ungetreue schöne Dame Ihrem Rivalen eine zärtliche Zusammenkunft bestimmt hatte, wenn Ihre Kugel oder Ihr Degenstoß ihm die Mühe des Kommens erspart haben, mein Wort darauf. Aber jetzt haben wir keine Zeit mehr, uns mit solchen Lappalien zu beschäftigen, wie die kleinen Amüsements einer hübschen jungen Dame, auch wenn Sie Julia Bignatelli heißt. Die Glocke von St. Stefano schlägt sieben Uhr, und ich muß auf unserer Verabredung bestehen, daß Sie sich in das Nebenzimmer zurückziehen und mich Ihren Gegner allein empfangen lassen.«
Der Graf wollte noch Einiges heftig antworten, aber der Doktor zeigte nach der Thür.
»Erfüllen Sie unser Abkommen, oder ich gebe noch in diesem Augenblick die ganze Sache auf!«
Die beiden Freunde zogen den Schäumenden in das Nebenzimmer, dessen Thür sie schlossen.
Der Doktor setzte sich ruhig wieder nieder und rieb sich vergnügt lächelnd die Hände. »Er befindet sich in der rechten Stimmung,« murmelte er. »In der That, es wird eine hübsche Scene geben; denn ich hoffe, mein Brief hat seine Wirkung gethan und der Rittmeister läßt uns nicht warten.«
Er hatte den Gedanken kaum ausgesprochen, als man die Klingel des Vorzimmers und das Oeffnen einer Thür hörte, dem das Rasseln einer Säbelscheide auf dem Parquet des Fußbodens folgte.
»Wahrhaftig, da ist er!«
Ein Diener trat ein.
»Signor, es ist ein Offizier draußen, der Sie zu sprechen wünscht.«
»Ich lasse bitten einzutreten. – Du weißt, was Du zu thun haßt, Filippo?« fügte er leise bei.
Der Diener nickte mit dem Kopf und öffnete die Thür.
»Wenn es Excellenza gefällig ist!« Es war in der That der Rittmeister von Trautmannsdorf, der Adjutant des Gouverneurs, der eintrat.
Der Offizier trug den weißen Mantel der österreichischen Cavallerie, der die ganze hohe und kräftige Gestalt einhüllte, und den Helm im Arm.
»Habe ich die Ehre, mit Herrn von Sapieha zu sprechen?«
Der Doktor war ihm entgegen getreten, sein Benehmen zeigte die vollendetste Höflichkeit des gewandten Weltmannes.
»Die Ehre, mein Herr, ist auf meiner Seite. Ich darf annehmen, daß mir Herr Baron von Trautmannsdorf das Vergnügen seines Besuchs schenkt? – ich bitte Sie, Platz zu nehmen und es sich bequem zu machen.«
Der Rittmeister verbeugte sich militairisch. »Ich bin im Dienst, mein Herr, und meine Zeit ist kurz, deshalb lassen Sie uns gefälligst ohne Vorrede zur Sache kommen.«
Er hatte einen Sessel genommen – der Doktor nahm ihm gegenüber Platz.
»Ich habe heute Nachmittag einige Zeilen mit Ihrem Namen bekommen,« fuhr der Rittmeister fort, »die mich zu diesem Besuch veranlaßt haben, obschon ich bisher nicht die Ehre hatte, Sie zu kennen.«
»Ich bin fremd hier, Signor.«
»Um so mehr muß der Inhalt des Billets mich befremden. Sie schreiben mir, mein Herr, die Ehre einer Dame, welche ich das Vergnügen habe zu kennen, erfordere diesen Besuch – sie sei in Gefahr, compromittirt zu werden, und nur mein persönliches Einschreiten könne sie davor bewahren. Als Mann von Ehre habe ich keinen Augenblick gezögert, Sie um eine nähere Erklärung zu bitten.«
»Entschuldigen Sie meine Fragen, Herr Baron, sie gehören zur Sache. Sie, haben heute Vormittag einen Wortwechsel mit dem Grafen Sforza gehabt?«
»Ich erinnere mich – ich ersuchte den Herrn, mich nicht zu zwingen, ihn an einem solchen Orte zu ohrfeigen.«
»Sie werden zugeben,« sagte der Doktor lächelnd, »daß eine solche Bitte unter Männern eine andere Bitte um eine Gefälligkeit nach sich zu ziehen pflegt.«
»Gewiß, mein Herr – Signor Sforza hat mir auch davon gesprochen und ich habe ihn auf übermorgen vertröstet. So bald die Leiche des Marschalls sich auf dem Wege nach Wien befindet, stehe ich ihm zu Diensten.«
Der Doktor lächelte wieder auf das Höflichste. »Sie werden mir zugeben, Herr Baron, daß dies eine etwas zu lange Zeit ist, um während derselben mit Ohrfeigen belastet, ob erhalten oder angeboten bleibt sich gleich, umherzugehen, ohne sich zu revangiren.«
»Ah – Sie sind also ein Cartellträger des Grafen Sforza, und man hat sich erlaubt, mich mit dem Namen einer Dame hierher zu locken, statt mich in meiner Wohnung aufzusuchen?«
»Ich bitte Sie, gerecht zu sein, Herr Baron. Für Sie hat ein solcher Besuch kein Bedenken – für einen Mann in der Situation des Herrn von Sforza und seiner italienischen Freunde dürfte es bei den Argusaugen der österreichischen Polizei leicht etwas gefährlich sein, Sie im Gouvernement mit der Absicht zu besuchen, Sie zu nöthigen, die verlangte Reparation etwas rascher eintreten zu lassen.«
Der Pallasch des Offiziers klirrte leicht unter dem Mantel.
»Man will mich also zwingen, Herr von Sapieha? ich hätte in der That nicht geglaubt, daß es Graf Sforza so eilig hat, um nicht zwei Tage warten zu können.«
»Signor Sforza, mein Herr, scheint besondere Gründe zu haben, die ich nicht beurtheilen kann. Ich habe die Ehre einer seiner Freunde zu sein, und da ich kein Italiener bin, also nicht gewisse Rücksichten zu beobachten habe, hat man mich mit der Unterhandlung beauftragt. In dieser Eigenschaft kann ich Ihnen nur sagen, daß Ihre fernere Weigerung einer augenblicklichen Satisfaction auch für Signora Bignatelli sehr compromittirend sein muß!«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Graf hat Sie ihr gegenüber einen Feigen genannt, der nicht einmal den Muth hätte, ihre Gunst mit der Waffe in der Hand zu vertheidigen. Es kann einer Dame von dem Charakter der Signora Bignatelli nicht gleichgültig sein, ihren Geliebten beschimpfen zu lassen.«
»Der Teufel ist ihr Geliebter, Sie verdienten, daß ich Sie selbst über den Haufen stäche für eine solche Infamie, Sapieha,« tobte der Graf in der brüsk aufgerissenen Thür. »Genug des Geschwätzes – der deutsche Lump ist in unserer Gewalt, und er soll dieses Zimmer nicht verlassen, bis er mir Genugthuung gegeben oder um Verzeihung für seine Frechheit gebeten hat, seine schmutzigen Augen zu einer italienischen Dame zu erheben, so wahr ich Sforza heiße!«
Hinter dem Grafen waren seine beiden Freunde eingetreten.
Der Rittmeister hatte den Sessel zurückgestoßen und sich erhoben. Einen Augenblick schien er überrascht, aber bald hatte er seine ruhige feste Haltung wieder gewonnen.
»Sieh da meine Herren, also ein förmlicher Ueberfall in einem recht geschickt angelegten Hinterhalt?! Guten Abend Marchese Ferari, Ihr Diener Signor Balduccio. Ich konnte in der That keine bessere Gesellschaft für ein solches Unternehmen erwarten!«
»Ihr Spott ist am unrechten Ort, Signor,« sagte der Marchese. »Ein Mann von Ehre würde sich nicht hinter seinem Dienst versteckt haben, um für eine Beleidigung die Genugthuung zu verzögern.«
Der Offizier sah ihm ruhig und kalt in's Gesicht. »Sie sagen eine Thorheit, Signor – der Beleidigte war ich, und ich denke, wenn der Baron von Trautmannsdorf achtundvierzig Stunden sich gedulden kann, ehe er seinem Beleidiger die deutsche Klinge um die Ohren legt, braucht irgend ein italienischer Edelmann sich nicht über Verzögerung zu beklagen!«
»Genug des Redens,« rief aufgebracht der Graf, indem er das Tuch von einem Tisch zur Seite riß, – »hier sind die nöthigen Waffen, wählen Sie, wenn Sie nicht mit Stockschlägen die Treppe hinunter geworfen sein wollen!« Auf dem Tisch lagen ein Paar Degen, Pistolen und zwei Stilets von der berühmten mailänder Arbeit.
»Ich werde jede Gewaltthat gegen Sie hier verhindern, Herr Baron,« sagte der Doktor dazwischentretend, »aber ich bin auch bereit, Ihnen zu secundiren, wenn Sie nicht einen dieser Herren vorziehen.«
Eine leichte Röthe begann die Stirn des Offiziers zu färben, das große blaue Auge nahm einen eigenthümlichen Glanz an und um den sonst so gutmüthigen Mund lagerte sich ein Zug von Härte.
Ein besserer Beobachter, als die Italiener, würde erkannt haben, daß in der kalten nordischen Natur jener Zorn aufzutauchen begann, der um so vernichtender wirkt, je langsamer er erweckt werden kann.
»Sie sind im Irrthum, meine Herren,« sagte er mit leichtem Spott. »Ich wußte, daß ich in Mailand war, und daß ich einen Sforza zum Gegner hatte.« Er warf mit einer leichten Bewegung den Mantel zurück und berührte mit der Hand einen Revolver, der in seiner Pallaschkoppel steckte. »Auch bin ich nicht allein gekommen, denn zehn Schritt von der Thür dieses gastlichen Hauses hält meine Ordonnanz.«
Er näherte sich dem Fenster – der Graf machte einen Schritt, als wolle er ihn daran hindern, aber ein so flammender Blick schoß aus den Augen des Offiziers, daß er unwillkürlich zurücktrat.
»Eine Bewegung, Signor«, sagte der Deutsche, den Griff des Revolvers fassend, »und ich zerschmettere Ihnen den Hirnschädel. – Sie erlauben wohl, meine Herren?«
Er öffnete das Fenster. »Heda, Kaspar!«
»Hier, Herr Rittmeister!« Der Kürassier kam mit dem Handpferd vor die Thür geritten.
»Reite nach Hause, Bursche, und nimm den Braunen mit«, befahl der Offizier. »Ich habe noch ein Geschäft und werde zu Fuß zurückkehren.«
»Zu Befehl, Herr Rittmeister!«
Man hörte den Soldaten die Pferde wenden und der leichte Trab des Fortreitenden klang von den Quadern des Pflasters herauf.
Der Baron schloß das Fenster, ging zu dem Sessel zurück und ließ sich darauf nieder.
So meine Herren, ich denke, nun können wir ungestört weiter plaudern!«
Die ruhige Sicherheit des deutschen Offiziers hatte ihren Eindruck nicht verfehlt – die ganze Gesellschaft war plötzlich sehr schweigsam geworden. Selbst dem nicht leicht verblüfften Doktor hatte diese Ruhe imponirt.
»Ich zweifle nicht daran,« sagte endlich der Cavaliere Balduccio, der im Aufstand von Achtundvierzig sich die Sporen und das Kapitainspatent der revolutionairen Regierung verdient hatte, »daß Graf Sforza sich befriedigt erklären wird, wenn der Herr Capitano di Cavalleria ihn für die ungebührliche Beleidigung um Entschuldigung bittet.«
Der Graf murmelte Etwas, das wie eine Weigerung klang.
Ein spöttisches Lächeln zuckte über das Gesicht des Offiziers, als er dem Vermittler starr in's Gesicht sah.
»Meine Herren, ich denke nicht daran, mich zu entschuldigen oder meine Worte zurückzunehmen!«
»Dann sollen Sie sterben, wie ein Hund, wenn Sie sich noch länger weigern! Dieser freche Uebermuth unserer Tyrannen ist unerträglich!«
»Keine Ihrer revolutionairen Tiraden, Signor Conte – ich bitte Sie. Ich bin jetzt bereit, Ihrem heißen Blut auf der Stelle Genugthuung zu geben – aber auf meine Bedingungen!«
»Es ist nichts Anderes nöthig, als die Wahl der Waffen!«
»O doch! – Zunächst, Signori, muß ich Ihnen sagen, daß, wenn ich mich zu Ihrem Duell hergebe, nur Einer von uns Beiden das Recht haben wird, zu leben!«
»Also ein Duell auf Tod und Leben,« sagte hämisch der Doktor. »Der Ueberlebende heirathet die Signora Bignatelli!«
»Nur Einer von uns hat Platz in der Welt! Er oder ich!«
»Es freut mich, daß der Herr Graf mit mir einverstanden über die Hauptbedingung ist. Was die Erwähnung der Dame betrifft, so muß ich mir die Bemerkung erlauben, daß ich den Ersten, der es noch einmal wagt, sie in unsere Unterhaltung zu mischen, zu Boden schlagen werde.«
Der Doktor sah auf die kräftige Hand und den muskulösen Arm des Rittmeisters und hielt es für gut, zu schweigen.
»Der zweite Punkt ist,« fuhr der Baron fort, »daß Sie, meine Herren, etwas Ihre eigene Sicherheit dabei vergessen haben, wenn das Duell in der gewöhnlichen Form und in der Wohnung des Signor Sapieha stattfinden sollte.«
»Gott bewahre,« sagte dieser. »Der Abend ist hell genug und es wird sich in den Gärten der Tosa leicht ein Platz finden.«
»Sie brauchen um unsere Sicherheit nicht besorgt zu sein, Signor«, sagte hämisch der Marchese. »Unsere Anstalten sind getroffen.«
»O doch, Signor. Die Adjutanten des Feldmarschalls namentlich, wenn sie den Dienst haben, pflegen nicht so unbemerkt zu verschwinden, ohne daß man nachfragt. Mein Vorschlag würde Sie sämmtlich vollständig der Unannehmlichkeit einer Antwort entheben.«
»So lassen Sie hören!«
»Wir sind also darüber einig, daß Einer von uns Beiden das Leben räumen soll?«
»Ja – hundert Mal Ja!«
»Gut. Dann ist das einfachste Mittel ein Duell nach amerikanischer Sitte.«
»Ein vortrefflicher Gedanke«, sagte der Doktor, sich die Hände reibend. »Sie sind gewiß in Amerika gewesen, Signor Barone?«
»Ich habe vor drei Jahren die Vereinigten Staaten bereist.«
»Aber ich verstehe noch nicht, was Sie meinen«, bemerkte der Marchese, einen besorgten Blick auf seinen Clienten werfend. »Die Sache ist sehr einfach. Wir brauchen bloß zwei Couverts und zwei Wechsel-Formulare!«
Diesmal, ich muß gestehen«, sagte der Doktor, »verstehe auch ich nicht!«
»Ich meine, da wir uns in einem Lande befinden, dessen Adel von jeher zugleich Kaufmann zu sein liebte, ist es am besten, wir behandeln die Sache geschäftsmäßig.«
Der Marchese, dessen Vater ein Handelsherr in Livorno gewesen war, biß sich auf die Lippen.
»Couverts und Wechsel stehen zu Diensten – ich habe einige Formulare in meinem Portefeuille«, bemerkte diensteifrig der Doktor, indem er Schreibmaterialien herbeiholte.
Er legte zwei Wechselformulare vor dem Rittmeister nieder, da er für die Spielschulden der Gesellschaft Vorrath davon hatte.
»Jetzt, Signor Conte«, sagte der Rittmeister mit strengem Ton, der von der bisherigen fast leichtfertigen Conversation seltsam abstach, »haben Sie die Güte, eines der Formulare auf Zahlung Ihres Lebens nach Sicht auszustellen und mit Ihrem Ehrenwort zu acceptiren.«
»Was soll die Komödie? das ist keine Manier unter Männern von Ehre!«
Der Offizier erhob sich. »Sie verlangen meinen Tod, Herr, und ich bin bereit, Ihnen die Sache leicht zu machen und alle Folgen zu ersparen. Ich verpfände mein Ehrenwort, daß, wenn das Loos mich trifft, ich zehn Minuten, nachdem mir dieser Wechsel auf mein Leben präsentirt sein wird, ich mir eine Kugel durch den Kopf schießen werde. Niemand wird dann den Grafen Sforza und seine Sekundanten beargwohnen. Ich verlange dasselbe von Ihnen.«
»Das ist teuflisch, unerhört! Sie werden kein Narr sein, Sforza, sich auf einen solchen Vorschlag einzulassen!«
»Die Idee ist magnifique,« meinte der Doktor. »Es ist ein Glücksspiel wie jedes andere, der Einsatz ist blos das Leben!«
Der Offizier stand, die Faust auf den Tisch gestützt, in seiner festen, martialischen Haltung und ließ seine Augen mit dem Ausdruck einer tiefen Verachtung über die Gesellschaft laufen. Seine Brauen waren jetzt fest zusammen gezogen und der ganze Ausdruck des Gesichts deutete auf eine Furcht erregende Entschlossenheit.
»Signori,« sagte er – »Sie haben mich durch eine Täuschung hierher gelockt, nicht viel besser, als in einen Hinterhalt. Ich erkläre mich bereit, den Wunsch dieses Herrn zu erfüllen und jetzt zögert er, weil er nur den schimpfenden Muth eines Raufbolds, nicht den eines Mannes hat, der bereit ist dem Tode wirklich entgegen zu gehen. Ich gebe Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit, meine Bedingungen anzunehmen, aber ich sage Ihnen, daß wenn dies nicht geschieht, ich das Zimmer verlassen werde und sollte es über vier Leichen geschehen, ohne mich nach Ihrem Belieben zu duelliren, und daß ich morgen in dem Caffeehause des Domplatzes vor hundert Zeugen den Grafen Sforza für einen Feigling erklären werde, mit dem ein Mann von Ehre sich ferner nicht zu befassen hat!«
Der Mailänder Graf ballte wild die Hände. »Das werden Sie niemals – es sei! – ich nehme Ihre Bedingungen an!«
Er riß unter dem allgemeinen Schweigen das Papier zu sich und acceptirte den Wechsel – auf sein Leben!
Das Papier lautete:
Mailand, den 12. Januar 1858.
»Zehn Minuten nach Sicht« zahle ich für diesen Wechsel an die Ordre »des Vorzeigers« die Summe von »meinem Leben mit eigener Hand«; den Werth »verpflichtet auf Ehrenwort«.
Die Querschrift:
Angenommen
Heinrich Freiherr von Trautmannsdorf.
Francesco Conte Sforza.
Der Italiener warf das furchtbare Papier seinem Gegner über den Tisch zurück.
»Cospetto – enden Sie! Wo sind die Würfel?«
Sein Gesicht war todtenbleich, die Zähne fest zusammen, auf seiner Stirn standen große Schweißtropfen.
Der Baron war ruhig und kalt wie bisher.
»Es bedarf deren nicht. Mein Herr, da Sie sich zu meinem Sekundanten angeboten, haben Sie die Güte, diese beiden Papiere gleich zusammen gefaltet, jedes in eines dieser Couverts zu legen und sie mit dem Ring da an Ihrem Finger zu versiegeln.
Der Doktor that es schweigend.
»Werfen Sie die Briefe in Ihren Hut!«
Er geschah – Lazare deckte sein Taschentuch darüber und schüttelte die furchtbaren Loose.
»Jetzt, Signor Conde, verpflichtet sich Jeder von uns mit seinem Ehrenwort, den Brief den er zieht nicht vor drei Stunden zu öffnen. Wir behalten damit Zeit, noch Einiges auf dieser an sich ganz hübschen Welt zu ordnen. Es ist jetzt acht Uhr – um eilf Uhr werde ich mein Couvert öffnen und, wenn das Loos mich getroffen hat, Ihnen zu Diensten stehen. Merken Sie wohl auf, wer den Wechsel zieht, hat das Recht, seinen Namen zu streichen und dem Andern sein Accept zur Einlösung zu präsentiren, zu jeder Zeit und an jedem Ort, selbst oder durch einen Dritten, wie es ihm gefällt. Die Einlösung ist nach zehn Minuten der Tod durch eigene Hand unter Vernichtung des Wechsels. Sind Sie damit einverstanden?«
Der Graf schaute wie geistesabwesend umher – sein Auge begegnete dem des Marchese, es winkte ihm Zustimmung.
»Ja!« sagte er fast tonlos.
»So wählen Sie!«
Er zögerte – trotz aller Mühe bebte seine Hand convulsivisch, als er sie erhob, und er ließ sie wieder sinken.
»Zum Teufel – wählen Sie, Herr!«
Der Graf steckte die Hand unter das Tuch und zog eines der Couverts rasch hervor – sein Gesicht war erdfahl.
Der Doktor reichte den Hut dem Baron, der das zweite Couvert herausnahm und ohne einen Blick darauf zu werfen es in die Brusttasche seiner Uniform steckte. Er griff nach seinem Helm.
»Jetzt, meine Herren, denk' ich, ist unsere Unterhaltung wohl beendigt. Signor von Sapieha, ich hoffe, Ihre Thür wird jetzt für mich wieder offen sein?«
Der Doktor verbeugte sich und griff nach dem Armleuchter.
»Ich danke – ich habe den Weg allein heraufgefunden. Gute Nacht, Signori! – Von 11 Uhr an Signor Sforza gehört Einer von uns dem Andern! Bis dahin – seien Sie nicht eifersüchtig!«
Ein leichter Spott funkelte in seinen hellen Augen bei der kurzen Verbeugung, dann verließ er das Gemach, dessen Thür sich vor ihm auf die Klingel des Doktors öffnete. Der Schlag seines Pallasch klirrte durch das Vorzimmer und von den Stufen der Treppe.
Die Zurückgebliebenen sahen sich eine Weile schweigend an – der Graf in seinen Sessel zurückgesunken, das Couvert noch zwischen seinen Fingern, starrte finster vor sich hin.
Dann unterbrach ein Hohngelächter des Marchese die Stille.
»Der Narr! Er hat sich selbst betrogen – er ist ein todter Mann. Oeffne den Wisch doch, Sforza, Du hast Deinen Zweck erreicht!«
»Ich will nicht!«
»Nach Belieben – es ist übrigens gleich, was er enthält. Ich werde dafür sorgen, daß wenn er den fatalen Wechsel gezogen hat, er Dich in den nächsten vierzig Stunden nicht zu Gesicht bekommt. Auf, Signori, die Zeit der Versammlung ist da und General Garibaldi ist nicht der Mann, geduldig zu warten!«
Der Doktor unterdrückte seine Bewegung bei der unerwarteten Entdeckung.
»Aber, Signor Marchese, der Graf, wenn er die Niete gezogen haben sollte, kann sich schwerlich immer dem Rittmeister entziehen?!«
»Uebermorgen um diese Zeit, lieber Doktor,« sagte der Marchese hämisch, »ist der Rittmeister von Trautmannsdorf so oder so ein todter Mann und hoffentlich mancher Andere mit ihm. – Morgen sollen Sie mehr hören, denn ich sehe, wir können uns auf Sie verlassen. Vorwärts, Sforza, es ist Zeit!«
Er zog ihn empor – die Drei entfernten sich. Lazare blieb allein.
Um dieselbe Stunde, 8 Uhr, fand sich der alte Juwelier aus Mantua, gegen die Kälte in seinen warmen Roquelaure gehüllt und von einem jüngeren Glaubensgenossen begleitet, an der Thür der Casa Paulina ein.
Es belauerte ihn dabei kein verrätherisches Auge, denn es war dem Buckligen, trotz aller Mühe, nicht gelungen, die Spur seines früheren Herrn wieder aufzufinden und er mußte sich daher begnügen, ihm zu der bekannten Zeit vor dem Albergo grande aufzulauern.
»Gieb den Sack her mit dem Gold, Marco,« sagte der Greis, »ich werde ihn doch tragen selbst in das Haus und Du kannst gehen heim, denn ich werde kehren allein zurück, da ich hab' noch ein anderes Geschäft.«
»Es ist Nacht, und viel fremdes Volk in Mailand Padrone, soll ich nicht lieber auf Euch warten?«
»Es ist nicht nöthig, Marco mein Sohn, und Du sollst sein bedankt für Deinen guten Willen. Ich werde Dich nicht vergessen morgen bei meiner Abreise nach Mantua. Es thut Niemand einen alten Mann Etwas, der bei sich hat kein Geld. Grüße Zaccheo, Deinen Herrn und sage ihm, ich würde sein in höchstens zwei Stunden zurück.«
Er nahm den schweren Beutel, den ihm der Jüngere reichte und trug ihn mühsam in den geöffneten und erleuchteten Flur des Hauses.
Man schien ihm – wenn auch nicht aus unfreundlicher Absicht – dennoch aufgepaßt zu haben; denn er war kaum in das Haus eingetreten, als ein jüngerer Mann von vornehmer Haltung und eleganter Kleidung ihm folgte, als komme er als Besuch in das Haus.
Der Juwelier sah sich verlegen um, er wußte nicht, an wen er sich wenden solle, als der Fremde an ihm vorüberging.
»Sie sind der Wechsler Mortara aus Mantua?«
»Ja, Signor!«
»Folgen Sie mir!«
»Ich bin bestellt hierher – aber ich weiß nicht ...«
»Im Auftrag des Obersten Türr!«
Der Jude nickte. »Gehen Sie voran, Signor!«
»Geben Sie mir den Beutel da, er ist für Sie zu schwer.«
»Ich werde tragen den Beutel, bis ich habe die Quittung.«
Der Andere lachte. »Wie Sie wollen! Aber kommen Sie!«
Er ging ihm voran; aber anstatt die Treppe hinauf zu steigen, ging er um dieselbe her nach der hinteren Seite des Gebäudes, durch ein leeres aber erleuchtetes Zimmer, öffnete die Thür desselben, die nach der Veranda auf der Gartenseite führte und trat auf diese.
Der alte Mann sah sich plötzlich wieder im Freien und er blieb zögernd stehen, als sein Begleiter bereits die Stufen der Freitreppe hinabschritt.
»Was soll ich thun im Garten? ich bin doch bestellt in das Haus der Signora Manara!«
»Aber sein Sie nicht albern – Sie sehen doch, daß ich expreß auf Sie gewartet habe und Sie führen soll. Kommen Sie, wir haben keine Zeit.«
Der Wechsler sah, daß er sich fügen mußte und folgte dem Fremden, der ihn auf dem hartgefrorenen Fußboden des Gartens an dem Hause entlang und dann längs des im rechten Winkel an dasselbe stoßenden Glashauses weiterführte, das zur Ueberwinterung der Orangerie und der tropischen Pflanzen diente, die bei dem im Winter oft sehr rauhen Klima Mailands nicht im Freien gelassen werden dürfen.
In dem Glashaus brannte matt eine kleine Lampe.
Am Ende desselben stieß ein gewöhnlicher Gärtnerschuppen an zur Aufbewahrung der Geräthschaften. Der Fremde schien sehr vertraut mit dem Wege, denn er wandte sich um den Haufen derselben zu einer im Winkel befindlichen niederen Thür in der Mauer und klopfte an dieselbe.
»Brescia!« sagte er laut.
Die Thür öffnete sich sogleich und die Beiden schritten hindurch. Der Jude bemerkte an der inneren Seite einen in seinen Mantel gehüllten unkenntlichen Mann, der die Thür sogleich wieder schloß. Sie befanden sich in einem zweiten Garten, der aber weit schmaler war, als der der Casa Paulina und den Sie quer überschritten, bis sie wieder an die nächste Gartenmauer stießen.
Auch hier war eine Verbindungsthür, die sich auf die nämliche Parole öffnete und sie in den dritten Garten eintreten ließ.
Der alte Mortara war nicht genau genug bekannt mit dem Innern Mailands, um sich orientiren zu können; aber er bemerkte doch so viel, daß das Haus, das zu dem dritten Garten gehörte und in kurzer Entfernung vor ihnen lag, zu einer anderen Straße führen mußte, als die, in welcher die Casa Paulina liegt.
Sein Begleiter ließ ihm jedoch keine Zeit zu weiteren Betrachtungen, sondern brachte ihn nach der Veranda der völlig dunkelen Hinterseite des Hauses, stieg einige Stufen mit ihm empor und leitete ihn, seinen Arm fassend, durch den Flur und ein finsteres Zimmer.
Der Jude hörte hier den Fremden mit einem im Dunkel befindlichen Mann einige leise Worte wechseln, dann öffnete sich plötzlich eine mit dicker Portiere verhangene Thür und ein Lichtstrom fiel daraus in das Vorzimmer.
»Treten Sie ein, Signor Mortara!«
Der Greis, etwas ängstlich und befangen durch alle diese Vorbereitungen, die ihm leicht bewiesen hätten, in welche gefährliche Gesellschaft er zu treten im Begriff war, wenn er darüber noch einen Zweifel gehabt hätte, trat ein.
Das Gemach schien eine Art Garten-Salon und war ziemlich groß. Die Fenster, alle drei nach dem Garten gehend, waren hermetisch verhängt, so daß kein verrätherischer Lichtstrahl herausdringen konnte. Der Salon war elegant möblirt, erwärmt und wohl erleuchtet. Eine Anzahl von Männern, etwa zwanzig bis fünfundzwanzig an der Zahl, waren auf den Sesseln und Causeuses und um verschiedene Tische in einzelnen, sich lebhaft unterhaltenden Gruppen versammelt, die dem Eintritt des Juden und seines Begleiters nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten.
Der Letztere führte den Juwelier zu einem Tisch neben der Kohlenpfanne, die das Zimmer erwärmte, an dem drei Männer über einen großen Plan gebeugt saßen; ein rascher Blick belehrte den Juden, daß es ein Plan von Mailand war.
Die Drei um den Tisch waren von sehr verschiedenem Aeußern. In der großen schlanken Gestalt des Einen erkannte der Wechsler sogleich, obschon er jetzt gewöhnliche bürgerliche Kleidung trug, den Fischer aus dem Corso der Porta Nuova, den Landmann vom Gardasee und den ungarischen Obersten Türr wieder.
Der Zweite war eine mittelgroße kräftige Gestalt, ein Mann von etwa 50 Jahren in einfacher Kleidung, mit hoher Stirn und kleinen freundlichen Augen, kurz mit jenem Gesicht, das bereits fast jedes Kind in Italien aus den zahllosen Portraits kannte, Giuseppe Garibaldi, der berühmte Condottieri des neunzehnten Jahrhunderts, der Kämpfer für die sogenannte Freiheit Italiens, das heißt: für den Wechsel der Herrschaft!
Hinter ihm auf einem Stuhl lag eine Mönchskutte.
Der Dritte war ein großer stattlicher Mann mit dunklem Haar, in der vollen Manneskraft, mit scharf geschnittenem klugen Gesicht. Obschon er Civilkleidung trug, konnte man ihm doch leicht den Militair ansehen.
»Signor Mortara«, sagte der Begleiter des Wechslers.
»Oh hier kommt was wir brauchen, General«, sprach der Ungar. »Ich wußte wohl, daß er Wort halten würde. Seien Sie willkommen, Signor Mortara, ich hoffe, Sie bringen einen tüchtigen Sack Gold mit?«
»Fünfzigtausend Lire, Signor Colonello, wie Sie mir befohlen. Es sind Zwanzig- und Vierzig-Lirestücke, Dukaten und russische Imperials.«
»Kennen Sie mich noch, Signor Mortara?« frug der General.
»Oh Excellenza,« sagte der Jude demüthig und nicht ohne Erregung, »wer könnte den Mann vergessen, der für Italien hundert Mal sein Leben eingesetzt hat. Excellenza haben sich verändert nur wenig seit den zehn Jahren, daß ich Sie nicht gesehen, mit Ausnahme der Falten auf der Stirn. Zehn Jahre, Signor Generale, sind eine lange Zeit und schreiben ihre Schrift auch auf das Antlitz der Mächtigen, wie sie zeichnen den Geringen.«
»Ich denke, Signor Moltara«, sagte der General freundlich, indem er dem alten Wechsler die Hand reichte, »es fehlten schon zu jener Zeit die Falten auf meiner Stirn wahrhaftig nicht; denn nicht allein der Mangel und der stündliche Kampf um das nackte Leben hatten ihre Furchen gezogen, mehr noch das tiefe Leid der Seele. Es war damals, Signor«, wandte er sich zu dem Dritten am Tisch, »als ich das Liebste, was ich auf der Welt besaß, Aniella, mein Weib, auf jenem schrecklichen Rückzug in ihr Grab in der Ebene von Ravenna legte und mit bloß sechs Gefährten, mein wackerer François darunter, auf offenem Kahn, von den österreichischen Kreuzern verfolgt, an der Küste der Adria mich nach Venedig durchschlagen wollte. Sie wissen, daß wir jenseits Comacchio in die Sümpfe flüchten mußten und Unsägliches ertrugen, ehe wir im Geheimen Mantua erreichten, weil in des Wolfes Höhle man uns gewiß am wenigsten suchte. Dieser Mann war es, auf dessen bloßen Ruf der Rechtschaffenheit hin ich vertraute, indem ich ihn in den elenden Schlupfwinkel holen ließ, wo wir lagen, um ihm die wenigen Werthgegenstände, die ich bei mir hatte, zum Kauf anzubieten. Ich weiß, daß wenn er uns nicht erkannte, er doch mindestens wußte, daß wir elende Flüchtlinge waren, ohne Mittel und Beistand, und er handelte wie ein Ehrenmann, indem er mir mehr als den wahren Werth zahlte, ohne zu feilschen, und mir Winke gab, die es uns möglich machten, binnen vier Tagen die sardinische Gränze zu erreichen. Darum, Signor Mortara, habe ich Vertrauen zu Ihnen als einem Ehrenmann und habe, was mir Gott gegeben zur Vollendung des großen Werkes der Befreiung Italiens, Ihren Händen anvertraut!«
Der alte Jude beugte sich tief über die Hand des Generals.
»Excellenza,« sagte er bewegt, »Samuel Mortara ist Nichts als ein Handelsmann, aber er ist ein ehrlicher Mann, der nicht betrügen kann Die, so ihm vertrauen, ob ihn schon oft betrogen haben, denen er vertraut. Der Gott Israels hat ihn beschützt, als er ist gewesen in großer Gefahr zu verlieren das anvertraute Gut. Ich bin kein Mann der Politik und habe meinen Verkehr hüben und drüben, ich weiß nicht, wem ich soll wünschen den Sieg; aber ich weiß, daß wenn lebten viele Männer in diesem Land mit aufrichtigem Herzen wie Sie, so stände es gut um das schöne Italien und würde nicht sein Haß und Ungerechtigkeit vom Fuß der Alpen bis zum Porto di Palo!«
»Nun ich denke, Signol Mortara, das wird anders werden, wenn Italien erst vereint unter einem gerechten und weisen constitutionellen Herrscher ist, wie König Victor Emanuel! Sie sollen sein Hofbanquier werden!«
Der Wechsler, der sich bereits daran gemacht, den Beutel zu öffnen und die Goldrollen auf den Tisch zu zählen, warf einen raschen Seitenblick auf den Redner, den Herrn mit der militairischen Haltung.
»Der König Victor Emanuel ist ein großer und mächtiger Herr und er wird haben ein Herz für sein Volk, das nicht sein soll eine bloße Waare oder Zahl in der Hand Derer, die der allmächtige Gott hat gesetzt auf die Throne der Erde. Aber der König Victor Emanuel, den Gott segnen möge, hat vergessen, wie ich höre, sehr zeitig, was geschehen ist seinem Vater vor ihm, und der Samuel Mortara ist ein alter Mann, der besitzt keinen Ehrgeiz, als daß sein Name genannt wird am Rialto wie an der Piazza dell Annunziata als der eines rechtschaffenen Mannes.«
Der General hatte seinen Gefährten bei der Erwähnung des Volks, das nicht als Waare oder bloße Zahl betrachtet werden soll, angesehen. »Er hat Sie geschlagen, Freund«, sagte er lächelnd. »Ich hoffe, daß Signor Mortara nicht etwa besser unterrichtet ist über den Vertrag von Plombières als wir! – Bleiben Sie, was und wie Sie sind, Signor Mortara, und ich glaube, es wird für uns Alle gut sein. Haben Sie vielleicht Nachrichten heute aus Paris? ich frage, weil heutzutage die Herren von der Börse gewöhnlich besser bedient zu sein pflegen, als selbst die Diplomaten und die Regierungen.«
Der Juwelier hielt in dem Aufzählen der Goldrollen inne. Sein trotz des hohen Alters noch immer scharfes schwarzes Auge heftete sich durchdringend auf das Gesicht des Nizzesen.
»Signor Generale, Euer Excellenza wollen wissen von mir, was es in Paris Neues giebt?«
»Ich frage Sie darum. Aber vor Allem, lassen Sie die Excellenza fort – ich bin General Garibaldi, für Freund und Feind, sonst Nichts.«
»Nun Signor Generale, es ist vor kaum einer Stunde von einem zuverlässigen Geschäftsfreund in Paris eingetroffen eine telegraphische Depesche an mich, oder vielmehr an Manegi ... meinen Gastfreund!«
Die Unterredung hatte jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit der Versammlung auf sich gezogen, und die Anwesenden traten näher.
»Nachrichten aus Paris? – Wie lauten sie?«
»Diavolo! Hat den Spitzbuben endlich der Teufel geholt?«
»Cenrinegato!«
Aehnliche Fragen und Ausrufe tönten von allen Seiten.
»Es steht Alles gut in Paris«, sagte mit einem unterdrückten Lächeln der Wechsler. »Die Course sind um ½ Procent an der heutigen Börse in die Höhe gegangen!«
»Zum Teufel mit Ihren Procenten – das nennt der alte Wucherer eine gute Nachricht!«
Ein Gelächter begleitete die Sottise.
»Mazzini scheint zu schlafen, in der That!«
»Still da – bedenkt, daß wir nicht allein sind!«
»Erwähnt Ihre Depesche den Kaiser oder politische Neuigkeiten?« frug der General, ohne auf die Exclamationen mehr als ein Achselzucken zu antworten.
»Signor Generale«, sagte der Wechsler – »der Kaiser Louis Napoleon scheint gewesen bei dem Abgang von der Depesche noch in guter Gesundheit.« Er betonte das Wort. »Unser Geschäftsfreund ist ein so zuverlässiger Mann, daß er gewiß hätte geschrieben jedes Ereigniß von Bedeutung« fuhr er fort. Dann sich verbeugend sagte er rasch und leise: »Wir wissen, daß ist Signor Mazzini in Paris und daß kommen kann eine böse und schlimme Zeit!«
Das Antlitz des Generals wurde sehr ernst. »Bitte, Oberst«, sagte er zu dem Ungar, »beschäftige einige Augenblicke diese Herren, ich muß einige Worte mit Signor Mortara reden. Kommen Sie hierher, Signor!«
Er trat von dem Tisch zurück nach einer leeren Stelle des Salons.
»Was bedeuten Ihre Worte, Signor Mortara, seien Sie aufrichtig, was wissen Sie?«
»Ich weiß Nichts, Signor Generale, und mag Nichts wissen, und ich muß Sie machen darauf aufmerksam, mir zu sagen kein Geheimniß von der Politik, denn ich bin gezwungen, es wieder zu sagen Ihren Feinden, wenn ich nicht kommen will in großes Leid. Ich weiß nur, daß der Signor Mazzini heimlich ist in Paris und mancher Andere mit ihm, und daß gekommen ist stets ein großes Unglück und eine große Krisis für das Land und für die Börse, wo er gehabt hat die Hand im Spiel.«
»Signor Mortara, ich billige Vieles nicht, was geschieht und möchte es ändern können, aber die Freiheit ...«
»Halten Sie ein, Signor Generale – ich darf Nichts hören von der Politik, aus dem Grunde, den ich habe Ihnen gesagt. Geben Sie mir den Empfangschein von dem Geld und lassen Sie mich gehen meiner Wege. Ich werde machen Ihre Geschäfte nach wie vor, wenn Sie mir schenken Ihr Vertrauen – aber ich will Nichts zu thun haben mit der Politik.«
»Wir dürfen aber auf Ihr Schweigen über das, was Sie hier gesehen, rechnen?«
»Sie haben gereicht dem Juden Mortara die Hand,« sagte der alte Wechsler mit Gefühl, »was ist wie die Hand von dem großen Simson Italiens, und der Jude Mortara wird das nicht vergessen die wenigen Tage, die er noch hat zu leben. Der Kaufmann hat seine Pflicht wie der Christenpriester in der Beichte und der Arzt – ich kenne nur den Signor Garibaldi, der mir anvertraut hat ein Geschäft, und meine Zunge sollte eher verdorren, als daß sie verriethe das Vertrauen!«
Der General trat zu dem Tisch zurück und schrieb einige Zeilen. »Hier ist Ihre Quittung, Signor Mortara und gehen Sie mit Gott. Ich habe Sie selbst hierher bemüht, weil ich die Gelegenheit wahrnehmen wollte, Ihnen persönlich zu sagen, daß ich keinen rechtschaffeneren Mann in Italien gefunden habe. Jetzt leben Sie wohl und wenn Sie einen Rath von mir annehmen wollen und nicht wichtige Interessen Ihre längere Anwesenheit hier erfordern, so kehren Sie sobald als möglich nach Mantua zurück.«
»Ich will abreisen morgen früh!«
»Ich wünsche es. Gutenacht Signor und erinnern Sie sich in allen Fällen, daß sie an mir einen Freund besitzen. Bringen Sie den Mann auf demselben Wege zurück.«
Der Wechsler verneigte sich demüthig und folgte seinem früheren Führer, der ihm einen Wink gab.
Als sie das Gemach verließen, begegneten ihnen in der Thür drei Personen, die hastig eintraten.
Es war Graf Sforza mit seinen beiden Freunden, die sich sogleich unter die Versammlung mischten. Der Marchese Ferrari sprach während der darauf folgenden allgemeinen Unterhaltung eine kurze Zeit leise mit dem General.
Es waren etwa fünf Minuten nach dem Weggang des Juden verflossen, als der General auf den Tisch klopfte, an dem er stand.
Sofort schwieg die allgemeine Unterhaltung.
»Signori,« sagte er – »man meldet mir, daß die Versammlung vollzählig und wir auf Niemand mehr zu warten haben. Unsere Zeit ist kostbar, denn die Argusaugen unserer Feinde erlauben uns nur eine kurze Berathung und die Stunde der That ist nahe.«
»Gott sei Dank, daß die Patrioten sich endlich ermannt haben und daß wir unsere Dolche mit dem Blut der deutschen Tyrannen färben können« rief eine tiefe grollende Stimme
»Sagen Sie besser unsere Schwerter, Graf Cadolini« sagte der General mit Strenge – »es ist würdiger der großen Sache, der wir dienen! – Um wie viel Uhr wird der Zug am Mittwoch beginnen?«
»Um 11 Uhr, General!«
»Ich hoffe,« sagte der Advokat Armelonghi, ein Parmigiane, »daß bis dahin unsere Freunde aus Paris von sich hören lassen.«
»Es ist nöthig, daß wir schon heute unsere Eintheilung treffen,« fuhr der General fort, indem er sich über den Plan beugte. »Signor Ricasoli, wie viel zuverlässige Leute sind mit Ihnen aus Florenz hier?«
»Hundertundfünf, General.«
»Notiren Sie es, Türr. Signor d'Anzi, Sie werden mit den Florentinern den Angriff von dem erzbischöflichen Palast her machen. Wie steht es in Florenz?«
»Malanchini und Peruzzi, der Direktor der Livorner Bahn, haben Alles vorbereitet. Im Augenblick wo die Nachricht von dem Kampf in Mailand ankommt, werden die Unseren den Palast besetzen und den Herzog gefangen nehmen. Der Advokat Gabotti, Rodolfi, Celestino Bianchi und der Conte Satanassi leiten die Unternehmung.«
»Gut – wenn Sie die Scharfschützen gewinnen können, ist der Sieg uns sicher. Ich kenne das Corps. Jetzt Armelonghi, wie Viele mit dem Zuzug von Parma?«
»Professor Riot und der Graf San Vitali, trotz seiner Verwandtschaft mit Marie Louise, stehen an der Spitze. Professor Maini bringt morgen neunzig Mann, ich habe bereits fünfundsechszig, Kerle, die dem heiligen Vater den Pantoffel stehlen würden!«
»Sie werden den Posten an der Piazza de Tribunale nehmen. Sobald der Zug vollständig auf dem Domplatz versammelt ist, sperren Sie die Zugänge von dem Corso der Porta Nuova.«
»Sie sollen nur über unsere Leichen den Weg zum Castell finden.«
»Das Castell ist Türr's Sache. Es bildet unsere Rückzugslinie für den Fall, daß wir überwältigt werden. Graf Spaletti – wie steht es mit den Modenesen?«
»Leider nur Zweiundvierzig, General. Nur die Dragoner sind auf unserer Seite, die Jäger und die Nobelgarde schwören zu dem Tyrannen!«
»Nehmen Sie das Polizei-Amt und die Straße vom Palazzo Marino. Graf Batthyànyi, wollen Sie mit Ihrem Landsmann den Angriff auf das Castell theilen?«
Die Augen der meisten Anwesenden, die ihn noch nicht kannten, wandten sich auf den Ungar, der sich in diesem Kreise der Verkleidung entledigt hatte.
»General,« sagte er, einen Schritt vortretend, »ich möchte Sie bitten, mich bei sich zu behalten und mich Ihre Befehle an die gefährlichsten Punkte bringen zu lassen. Sie werden dann sehen, daß mein Leben Ihrer Sache zu Gebote steht, wenn ich auch nicht dafür meinen Arm erheben kann.«
Ein Murmeln der Mißbilligung wurde unter der Versammlung laut. »Was will er dann hier – er ist ein Verräther!«
»Wie, Signor Batthyànyi, – Sie, ein tapferer Mann, der sich in Wien und im ungarischen Feldzuge auszeichnete, – der Held des Kaukasus – Sie verweigern den Kampf gegen Ihren und unsern Feind?«
»Ich wiederhole Ihnen, daß ich Ihnen mein Leben biete, wenn es der Sache der Freiheit nützen kann. Ich hoffe, es wird sich ein Posten der Gefahr für mich finden, auch ohne daß ich nöthig habe, den Säbel zu ziehen!«
»Das begreife ich nicht!«
»Signor Generale und Sie Signori, die Sache ist leicht erklärt. Ich habe bereits vor zehn Jahren mein Ehrenwort gegeben, nie mehr meinen Säbel gegen die Soldaten des Kaiser zu ziehen.«
»Sie thaten es gezwungen!«
»Nein, Signor Garibaldi, freiwillig, wenn es auch nur ein Knabe war, dem ich es gab.Villafranca, dritter Theil Aber nur um diesen Preis konnte ich die österreichischen Posten passiren und mein Leben retten.«
»Aber ich habe sagen hören, daß Sie sich im ungarischen Kriege tapfer geschlagen und in den bedeutendsten Schlachten waren?«
Der Oberst Türr mischte sich ein. »Mit dem Säbel in der Scheide, General, aber stets in den ersten Reihen; das Wort meines Freundes und wie er es hielt, war bekannt genug in der Armee. Ich glaubte, Sie wüßten den Umstand, sonst hätte ich ihn sicher bei unseren Fahrten an der tscherkessischen Küste erwähnt, als wir Sefer Bey kennen lernten. Uebrigens bürge ich mit meinem Wort für den Grafen und wenn Einer der Signori noch den geringsten Zweifel hegt, so bitte ich ihn, sich an mich zu wenden.«
Die Entschlossenheit und die Gesinnung des Obersten waren zu bekannt, als daß Jemand noch gewagt hätte, eine Einwendung zu erheben.
»Es bedurfte des Wortes unseres Freundes nicht, Signor Conte,« sagte der General. »Als Sie heute Mittag in Ihrer Verkleidung uns folgten und den Obersten ansprachen, war Ihre Ankunft allein mir so lieb, als hätten Sie uns hundert Ihrer tapferen Landsleute zugeführt. Auch hoffe ich, daß Ihre Anwesenheit und Ihr Ruf auf diese nicht ohne Einfluß bleiben wird. Wir müssen die Nachricht davon morgen vorsichtig unter den ungarischen Truppen verbreiten. Uebrigens werden Sie bei mir bleiben und Sie sollen über den Mangel an Gelegenheit nicht klagen, Ihren Muth und Ihre Gesinnung zu beweisen.«
»Signor Generale,« sagte der Graf Sforza, »ich finde, daß Sie in den Dispositionen uns Mailänder selbst bis jetzt vergessen haben!«
»Sie irren, Graf – unsere Freunde aus Mailand haben ihren Posten überall. Sie müssen an allen Punkten das Volk entflammen, sobald das Zeichen zum Angriff gegeben ist, die nationalen Fahnen, Kokarden und Waffen vertheilen, die einzelnen Haufen führen und das Gefecht aus den Fenstern und von den Dächern leiten. Für Sie, Signor Conte, habe ich einen besonderen Auftrag.«
Der Graf verbeugte sich geschmeichelt.
»Sie werden Mailand noch diese Nacht verlassen!«
»Wie – ich, Signor Generale? das ist unmöglich!«
»Wer sich der Sache des Vaterlandes weiht, Signor Conte, verzichtet auf seinen eigenen Willen und seine erste Pflicht ist Gehorsam.«
Der Marchese stieß ihn an. »Gehorche – es ist zu Deinem Besten!«
»Ich bin bereit, Signor Generale!«
»Sie werden um Mitternacht abreisen – nicht auf dem gewöhnlichen Wege mit der Eisenbahn, sondern zu Wagen auf der Landstraße über Gorgonzola nach Bergamo, da Sie mit unsern dortigen Brüdern genau bekannt sind und es eines vertrauten Mitgliedes bedarf, um wichtige Papiere dahin zu bringen. Sie müssen besondere Vorsicht bei Ihrer Abreise verwenden, da Sie sicher unter der Aufsicht der deutschen Polizei stehen. Sie werden zu dem Zweck um Mitternacht zu Fuß durch die Porta Orientale die Stadt verlassen. In die Nähe des Lazareths bestellen Sie einen Wagen. Nehmen Sie Gold hier, so viel Sie brauchen, wenn Sie keine genügende Summe bei sich tragen, und sorgen Sie sofort für einen zuverlässigen Vetturin. Um 11 Uhr, Herr Graf, können Sie bei der Oberstin Manara Ihre Instruktionen und die Papiere in Empfang nehmen. Sorgen Sie vor Allem, daß zu der bestimmten Stunde jenseits Bergamo die Telegraphendrähte zerstört sind und die Brücke über den Serio gesprengt wird. Morgen Abend, meine Herren, um dieselbe Zeit und auf dieselbe Weise werden wir uns nochmals versammeln. Bis dahin alle mögliche Vorsicht, denn der Verrath schläft nicht!«
Die Versammlung löste sich sofort wieder in einzelne Besprechungen auf, dann entfernten sich die Meisten – nur etwa fünf oder sechs der Verschworenen blieben zurück und sammelten sich um den General. Graf Sforza hatte sich nach einer kurzen Verabredung mit seinen Freunden gleichfalls entfernt.
»Sie haben Nichts von der Hilfe unserer Freunde in Turin gesprochen, Signor Garibaldi – und das ist doch das Wichtigste!« sagte der Advokat Armelonghi.
»Daß wir des Beistandes sicher sind, ist den Mitgliedern bekannt, die näheren Details der militairischen Operationen bleiben besser bis zum letzten Augenblick Geheimniß. Ich sollte meinen, daß die Anwesenheit dieses Herrn genügende Bürgschaft ist.« Es wies auf den Fremden an seiner Seite, der sich bisher an der Unterhaltung nicht betheiligt hatte.
»General Cialdini,« erwiederte der Advokat – »ist uns sehr willkommen, aber da die sardinische Hilfe sich vorerst auf die Herzogtümer beschränken soll, wird eine Mittheilung von ihm uns desto willkommener sein!«
»Ich bin bevollmächtigt, das Einrücken eines Regiments Bersaglieri und zweier Infanterie-Regimenter mit Artillerie von Alessandria und Genua aus zuzusichern, sobald in Parma die Regierung gestürzt ist. Zwei andere Regimenter werden sofort die modenesische Grenze bei Aulla und Carrara überschreiten. Die Regimenter sind consignirt und marschfertig – die Dispositionen so getroffen, daß sie sofort unterstützt werden können.«
»Aber warum überschreitet man nicht direkt den Ticino und rückt auf Mailand?«
Der Piemontese wechselte mit dem Führer der Revolutionspartei einen bedeutsamen Blick.
»Das hieße, Oesterreich geradezu den Krieg erklären.«
»Und warum zaudert man damit?«
»Signor Armelonghi,« sagte der turiner Offizier lächelnd, »verzeihen Sie mir, Sie sind ein vortrefflicher Redner auf der Tribüne und ich zweifle auch keinen Augenblick, daß Sie ein eben so vortreffliches Mitglied des Parlaments und der Regierung sein werden, aber dies sind Dinge, die wir Soldaten besser verstehen müssen. Um einen Krieg mit einer Macht wie Oesterreich anzufangen, bedarf es sehr bedeutender Vorbereitungen und guter Bundesgenossen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß sich auf den Ruf des Kampfes gegen die deutsche Zwingherrschaft, der übermorgen von diesen Mauern ausgehen soll, ganz Italien erheben wird und daß, wenn der König Victor Emanuel sich an die Spitze der neuen Erhebung stellt, alle Sympathien in Europa für ihn und gegen Oesterreich sein werden. Aber zunächst existirt für uns leider noch der mailänder Friede vom 6. August, welcher uns den europäischen Kabineten gegenüber gewisse Rücksichten auflegt. Aus diesem Grunde, abgesehen davon, daß unsere stillen Vorbereitungen noch nicht genügend vorgeschritten sind, müssen wir uns vorerst darauf beschränken, auf den Hilferuf des Volks unsere Truppen in die Herzogtümer einrücken zu lassen und dort die Sache der Freiheit zu der unseren zu machen. Das wiener Kabinet wird dies natürlich nicht leiden wollen und ist durch Tractate verbunden, die Fürsten zu schützen. Es wird also die Initiative gegen uns ergreifen und uns den Krieg erklären müssen, während es zugleich in Mailand und Venedig durch die Erhebung Beschäftigung genug hat. Das ist Alles, was Graf Cavour wünscht. Der Vertrag von Plombières verpflichtet Frankreich, uns, im Fall wir angegriffen werden, zu Hilfe zu kommen und das bisherige Zögern des Kaisers wird damit auf der Stelle beseitigt werden, England wird durch seine Politik und seine Presse das übrige Europa in Schach halten und Frankreich für uns seinen alten Streit mit Oesterreich in der Lombardei ausfechten.«
»Ja, – aber dann den besten Antheil an der Beute sich zueignen. Wir haben die Uneigennützigkeit Louis Napoleons an dem Beispiel von Rom vor Augen.«
Der General zuckte die Achseln. »Wer weiß,« sagte er kalt, »es können mancherlei Umstände eintreten, die Vieles ändern. Vertrauen Sie auf den guten Willen des Königs und auf die Klugheit des Grafen Cavour. Ich denke, der Vertrag von Plombières war schon ein großer Schachzug weiter zu unserm Ziel.«
»Bene! – wenn er überhaupt zur Ausführung kommt. Und überdies kennt man nicht einmal die geheimen Clauseln.«
»Der General lachte. »Sie sind gar zu mißtrauisch, Signor Armelonghi. Kommen Sie, es ist Zeit, daß wir aufbrechen. Da Sie in der Straße Maraviglia wohnen, haben wir so ziemlich denselben Weg.«
Nach einigen kurzen weiteren Verabredungen gingen sie; – Oberst Türr hatte seinen Landsmann zu einem Ausgang durch die Gärten begleitet, es waren jetzt außer dem General Garibaldi nur noch drei der Verschworenen anwesend.
Der General blieb nachdenkend an dem Tisch sitzen – es lasteten offenbar noch andere schwere Gedanken auf seiner Seele als die eben gepflogenen Verhandlungen.
»Der Piemontese hat sich ziemlich schlau aus der Affaire gezogen,« sagte finster der Kapitain d'Anzi, »ohne zu verrathen, daß dies Spiel für einen Andern berechnet ist und der Vetter an die Stelle des Neffen treten soll! Aber jetzt, haben Sie Mittheilungen, General, von Signor Mazzini und der Rückkehr des Prinzen?«
»Sie wird zur rechten Zeit erfolgen. Er wird die Ereignisse in Schottland abwarten und kann von dort in drei Tagen in Paris sein. Laforgne meldet mir, daß die Unzufriedenen in der Armee, deren es von dem Krimkrieg her nicht wenige giebt, bei der Revolution den Prinzen sofort ausrufen würden.«
»Aber wann wird dies geschehen? – haben Sie Nachrichten von Paris?«
»Sie haben gehört, was der Jude uns gesagt hat. Seine Nachricht wird durch ein anderes Telegramm bestätigt!«
»Per bacco – Orsini wird uns doch nicht im Stich lassen?« sagte der Zweite der Zurückgebliebenen. »Ich wünschte, ich wäre selbst gegangen, dann wären die Brüder des Dolches der Vollziehung ihres Urtheils sicher gewesen!«
»Signor Paveri,« sagte der General finster zu dem ehemaligen Spießgesellen Ciceruacchio's, »Sie wissen, wie alle Brüder, daß ich mich dieser That widersetzt und keinen Theil daran habe. Der heilige Baum der Freiheit muß leider mit Blut begossen werden, aber nicht der Meuchelmord sollte unsern großen Kampf schänden.«
»Sie sind ein Lauer, General, Sie vertheidigen den Tyrannen?«
»Ich vertheidige ihn nicht, ich bin der Erste, der seinen Verrath verdammt und das Schwert gegen seine Söldner gezogen hat. Aber ich will ihn bekämpfen, nicht meuchelmorden.«
»Sein Urtheil ist gesprochen,« sagte finster der Dritte. »Zehn Jahre, seit jener Nacht in den von seinen Bomben zerschmetterten Gewölben von San Pietro in Montorio schwebt der Dolch der Gerechtigkeit über ihm – er darf sich nicht beklagen, daß ihm nicht Zeit gelassen worden wäre zur Umkehr. Er falle!«
»Und wenn Orsini und Pierri Feiglinge sind,« fügte der wilde Paveri nochmals hinzu – »so wird es Männer geben, die an ihre Stelle zu treten wissen.«
»Halten Sie ein mit der Beschuldigung, Signor Paveri und Sie Martinetti. Felicio Orsini und Pierri sind Männer, die noch nie ihr Wort gebrochen und die ihr Leben so wenig in einer schlimmen Sache achten werden, als sie es in einer guten thaten. Dies wenigstens will ich zu ihrer Ehre sagen. Und nun Gute Nacht Signori und möge Jeder mit gutem Gewissen das Blut verantworten können, was die nächsten Tage kosten werden!«
Eine Bewegung mit dem Kopf verabschiedete die drei Mahner des furchtbaren Bundes, während der General zugleich mehrere Schriften und Briefe vornahm und sich in sie vertiefte.
Wir haben den alten Juwelier verlassen, als er aus der Versammlung der Verschworenen, die für Mailand eine neue Bluthochzeit vorbereiteten, durch seinen früheren Begleiter fortgeführt wurde. Der Jude folgte auf demselben Wege, den er hergeleitet worden, zurück, ohne gegen seinen schweigsamen Gefährten eine Bemerkung laut werden zu lassen, denn er hatte Stoff genug zum Nachdenken. Wenn er auch sorgfältig vermied, von den politischen Geheimnissen und Plänen der Umsturzpartei eine vertrauliche Mittheilung zu empfangen, um seinem Versprechen nicht ungetreu zu werden, so befähigten ihn die lange Erfahrung seines Lebens und seine scharfe Beobachtungsgabe doch, durch Kombination die bevorstehenden Ereignisse so gut zu errathen, als wäre er direkt in das Geheimniß gezogen worden.
Als der Wechsler die Casa Paulina verlassen, schlug er so eilfertig, als ihm sein Alter erlaubte, den Weg nach dem Albergo grande ein, wo der Baron von Neuillat ihn erwartete. Es war schon 9 Uhr vorüber, als er auf dem Platz vor dem Hotel anlangte und er war im Begriff einzutreten, als eine leichte Hand sich auf seine Schultern legte.
Er wandte sich um und sah in dem Schein der Gaslaternen einen jungen Mann neben sich in einfacher dunkler Kleidung, dessen Züge über seine Jahre hinaus ernst waren.
»Entschuldigen Sie, Signor,« sagte dieser, »ich suche den Juwelier und Geldwechsler Samuel Mortara aus Mantua.«
»Bin ich doch selber der Samuel Mortara. Aber ich kenne Sie nicht, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen und habe keine Zeit.«
»Ich habe diesen Brief an Sie abzugeben.«
»Es ist gut, ich werde ihn lesen nachher, denn ich muß fort.«
»Nein,« sagte der junge Mann mit bestimmtem Ausdruck. »Ich habe den Auftrag, daß Sie auf der Stelle die Zeilen lesen und mir folgen sollen.«
»Ihnen folgen? Gott der Gerechte, was hab' ich mit Ihnen zu thun, daß ich soll vernachlässigen meine Geschäfte und gehen mit einem wildfremden Menschen bei Nachtzeit.«
»Ich bitte, lesen Sie den Brief.«
Die Neugier des alten Wechslers war jetzt selbst rege geworden und er trat unter die nächste Straßenlaterne und öffnete den Brief, während der junge Mann, der Novize aus dem Dienst des Superiors der Jesuiten von Bologna, nur wenige Schritte von ihm stehen blieb.
In einiger Entfernung konnte man einen geschlossenen Fiacre halten sehen, an dessen Schlage ein großer kräftiger Mann, einer der Akoluthen des Jesuiten-Kollegiums stand.
Der Juwelier hatte kaum einen Blick auf die Handschrift des geöffneten Briefes geworfen, als er zusammenfuhr, gleich als hätte ihn eine Schlange gestochen.
Der Brief lautete:
An
Signor Samuelo Mortara
aus Mantua.
Wichtige Interessen erfordern, daß Sie sogleich dem Ueberbringer dieser Aufforderung zu mir folgen. Sie wissen, was auf dem Spiele steht.
Der General Graf Mortara.
»Junger Herr,« sagte der betroffene Wechsler, »haben Sie die Freundlichkeit zu sagen Seiner Excellenz, daß ich kommen werde sogleich in einer Stunde, in einer halben Stunde, wenn ich hab' abgemacht zuvor noch ein kleines Geschäft.«
»Ich bedauere, Signor,« erwiederte der Jüngling, »daß ich Sie bitten muß, sogleich mir zu folgen. Ich habe den Befehl, Sie unter allen Umständen mitzubringen.«
Er winkte zugleich nach dem Wagen – der Mann am Schlage trat augenblicklich näher und stellte sich neben den Juwelier.
»Aber ich will gehen bloß einen Augenblick zu dem Herrn Baron von Neuillat, einem Freunde Sr. Excellenz des Herrn Grafen, der mich bestellt hat zu dieser Stunde, um ihm zu sagen, daß ich nicht bleiben kann bei ihm.«
»Ich kann Ihnen keinen Augenblick gestatten. Der Wagen wartet. Steigen Sie ein.«
Der Mann, der hinzugetreten, faßte seinen Arm.
»Kommen Sie, Signor.«
»Gott der Gerechte – Sie wollen brauchen Gewalt?«
Der alte schwächliche Greis sah ein, daß er keinen Widerstand leisten konnte, ohne Lärmen auf der Straße zu erheben, und das durfte er nicht, ohne mit seinem vornehmen Verwandten geradezu zu brechen. Er fügte sich daher und stieg in den Wagen.
Der Novize setzte sich zu ihm, der Laienbruder auf den Bock – der Wagen rollte eilig die Straße fort und schlug den Weg nach der Porta Romana ein.
Sobald er in gehöriger Entfernung war, kam hinter der nächsten Ecke die Gestalt des buckligen Spions hervor. Der ungetreue Diener rieb sich vergnügt die Hände, indem er boshaft seinem alten Patron nachsah, dann schlich er nach dem Portal des Hôtels und frug den Schweizer, ob der gnädige Herr Baron von Neuillat zu Hause und ob er zu sprechen sei für Einen, der zu ihm beschieden wäre.
Der im Vorzimmer des Superior diensthaltende Bruder öffnete die Thür – der Wechsler trat, von dem Novizen begleitet, ein.
An dem Eingang der Probstei, als er sah, wohin er geführt werden sollte, hatte er zwar nochmals einen Versuch gemacht, loszukommen, aber sein zweiter handfester Begleiter hatte den alten Mann ohne Weiteres beim Arm gefaßt und ihn mit überzeugender Gewalt in das Innere gebracht. Als der Juwelier sah, daß er sich fügen müsse, hatte er seinen Entschluß gefaßt und erschien jetzt ruhig und gefaßt vor den Personen, die ihn in dem Studirzimmer des Jesuiten erwarteten.
Es waren der Superior selbst, der modenesische General und der Doktor Lazare.
Der Juwelier machte eine demüthige Verbeugung und blieb stumm an der Thür stehen. Ein scharfer kurzer Blick auf den Jesuiten hatte ihm genügt, zu sehen, in welch' bedrohlicher Gesellschaft er sich befand und daß es doppelt galt auf seiner Hut zu sein. Er kannte den Jesuiten zwar nicht von Person, aber aus der Kenntniß der Verhältnisse und der Gesellschaft seines Verwandten schloß er sogleich auf die richtige Person und das Herz zog sich ihm in banger Besorgniß zusammen, denn der Ruf des Superiors des Kollegiums von Bologna lehrte ihn, daß er mit einem der mächtigsten und strengsten Feinde seiner Nation zu thun habe.
Der Superior erwiderte den demüthigen Gruß des Juden mit einem kurzen und kalten Kopfnicken und sah dann auf den Grafen, gleichsam zur Aufforderung, das Gespräch zu beginnen.
Der General hatte in seinem Lehnstuhl Platz behalten, in seiner Miene lag ein finsterer Hohn, als er sich zu dem alten Juden wandte.
»Es freut mich, Signor Mortara, daß wir uns hier in Mailand treffen,« sagte er. »Sie wußten gewiß nicht, daß ich auch hier war, sonst hätten Sie sicher meine Einladung nicht erst abgewartet, um mich aufzusuchen!«
»Was sollte ich belästigen Ew. Excellenz,« sagte der Jude, »wenn ich nicht habe Geschäfte mit Ihnen.«
»O doch, Signor Mortara, ich sollte meinen, in einer Zeit wie die gegenwärtige und bei Ihren Verbindungen hätten Sie Gelegenheit, mich öfter heimzusuchen. Ich finde, daß Sie seit einiger Zeit etwas sparsam sind mit Ihren Mittheilungen.«
»Wenn Ew. Excellenz mich fragen wollen, werde ich antworten, so viel ich weiß. Ich habe nicht wissen können, daß der vornehme General, der Conte Mortara, so begehre des armen jüdischen Wechslers Mortara, daß er selbst schickt die Erwählten der Kirche mit Stangen und Spießen, um einen alten Mann zu fahen.«
Der General biß sich auf die Lippen. »Wo haben Sie diesen Herrn getroffen, Bruder Felicio?«
Der Novize sah seinen Oberen an, ehe er die Frage beantwortete. Erst als dieser den Kopf leicht neigte, sagte er: »Vor dem Albergo grande, Signor.«
»Ah – also vor dem Hôtel unseres Freundes, des Baron Neuillat.«
Der Jude machte unwillkürlich eine Bewegung – er sah aus dieser Bemerkung, daß sein Verkehr mit dem französischen Legitimisten den scharfen Augen seines Verfolgers nicht entgangen war.
Jetzt zum ersten Mal mischte sich der Superior in das Gespräch.
»Warte in dem Vorzimmer, Felicio. Ich werde Dich rufen, wenn ich Dich brauche.
Der Novize kreuzte die Hände über die Brust, verbeugte sich und verließ das Zimmer.
»Nun, Signor,« sagte der General, »es scheint, es sind sehr dringende Geschäfte, die Sie noch so spät Abends zu dem Kammerherrn Sr. Majestät geführt haben.«
»Die vornehmen Herrn,« wich der Juwelier aus, »sind doch besetzt in der Zeit so viel, daß sie nicht immer haben einen Augenblick für einen alten Mann wie ich. Der Herr Baron haben mich doch bestellt heute Abend um 9 Uhr zu sich.«
»So? also er hat Sie bestellt? – aber diesen Morgen, als ich ihn traf, wußte er ja noch Nichts von Ihrer Anwesenheit in Mailand!«
»Ich habe gehabt die Ehre zu sehen den Herrn Baron auf dem Corso der Porta nuova.«
Der Superior wandte sich zu dem Grafen. »Ich bitte Sie, Signor Conte, kommen Sie zur Sache. Unsere Zeit ist zu kostbar, um sie an einen unwürdigen Juden zu verschwenden.«
»Ew. Hochwürden haben Recht. Also Signor Banchiere, was hat der anonyme Brief zu bedeuten, den Sie an Herrn von Neuillat gerichtet haben, und wenn etwas Wahres an der Sache ist, warum haben Sie mich nicht, Ihrer Pflicht gemäß, zuerst davon benachrichtigt?«
Der alte Juwelier zögerte einige Augenblicke mit der Antwort. Schon der Beginn des Verhörs hatte ihm bewiesen, daß sein Feind Kenntniß von der Warnung hatte, die er dem Legitimisten gegeben, doch konnte er nicht wissen, wie weit sich diese erstreckte und er beschloß daher, mit möglichster Vorsicht zu antworten.
»Ein Kaufmann, Excellenza, erhält der Nachrichten so mancherlei, ohne wissen zu können, was wahr und was falsch.«
»Weichen Sie meiner Frage nicht aus. Haben Sie dem Baron Neuillat ein anonymes Schreiben gesandt, das auf bevorstehende wichtige Ereignisse in Frankreich anspielt?«
»Wenn der Herr Graf auch gesehen haben einen solchen Brief, werden Sie doch nicht können behaupten, daß ihn geschrieben hat der alte Mortara.«
»Das sind Ausflüchte. Sie können sich einer anderen Hand bedient haben. Antworten Sie kurz und gut. Wissen Sie von dem Briefe?«
»Wenn es der Brief ist, den ich meine – ja!«
»Also doch. Warum haben Sie mir nicht die Andeutung zugehen lassen, die dem Baron darin gemacht wird?«
»Ich habe doch nicht wollen belästigen Euer Excellenz mit Dingen, die sind so zweifelhaft und unsicher, daß ich leisten kann keine Bürgschaft dafür.«
»Aber Sie hielten dieselben für wichtig genug, um einen Andern davon in Kenntniß zu setzen. Doch davon später. Jetzt sagen Sie uns, was wissen Sie von den Verhältnissen in Frankreich?«
Der Wechsler bedachte sich. »Signor Conte,« sagte er dann, »Sie wissen, daß ich mich um die Politik nur bekümmere, so weit sie angeht meinen Handel und Verkehr. Aber ich habe Ursach, zu glauben, daß in Paris bevorsteht eine große Revolution.«
»Der Brief bezeichnet ausdrücklich das Leben des Kaisers in Gefahr!«
»Gott der Gerechte,« sagte vorsichtig der Jude – »das Leben eines solchen Mannes ist immer bedroht – wir haben gehabt, wenn ich mich recht erinnere, das Attentat von Bellamare und Pianori!«
»Also ein Attentat auf das Leben Louis Napoleons?«
»Gott soll mir behüten, daß ich sage, ich weiß Etwas von einem Attentat auf das Leben eines so gewaltigen Herrn! Ich will Nichts zu thun haben mit dem Kriminalgericht.«
»Thorheit! Meinen Sie etwa, in Oesterreich oder Italien würde Jemand etwas dawider haben, wenn den französischen Usurpator eine wohlgezielte Kugel träfe? – Machen Sie keine Umschweife – was haben Sie aus Paris gehört? Sie erinnern sich doch unsers Vertrages!«
»Ja, Signor Conte, und ich bete täglich zu Jehova, daß er Ihr Herz rühren möge, damit Sie einen alten Mann nicht länger verfolgen!«
»Schweig mit Deinem falschen Gott, Jude,« sagte finster der Superior, »und beleidige mein Ohr nicht mit solchen Anrufungen!«
Der Jude wandte sich nach ihm. »Der Gott, den ich hab' angerufen gegen die Ungerechtigkeit ist doch derselbe Gott, zu dem beten die Christen wie die Juden; sind wir doch Kinder einer Verheißung, die nur getrennt hat der Glaube über den Messias.«
»Schweige mit Deinen Lästerreden,« unterbrach ihn finster der Jesuit. »Ein Jude ist schlimmer denn der ärgste Heide, denn Dein verfluchtes Volk hat die Gnade Gottes von sich gestoßen und den Heiland gekreuzigt.«
»Was können die Enkel dafür, was ihre Väter gethan vor achtzehnhundert Jahren? Es ist vergossen worden auch viel unschuldiges Blut unter den Christen selbst, und Jeder sagt, sein Glaube sei der rechte!«
»Wir sind nicht hier, um Ihre Spitzfindigkeiten zu hören,« sprach der General. »Da Sie sich des Vertrages erinnern, so fordere ich Sie auf Grund desselben auf, uns rasch und kurz zu sagen, was Sie von den Vorgängen in Paris wissen!«
»Das will ich, Excellenza, aber erinnern Sie sich auch, daß Sie versprochen haben, nicht zu forschen nach den Quellen.«
Der General machte statt der Antwort ein Zeichen mit der Hand, fortzufahren.
»Der große Mann der Revolution, Signor Mazzini ist in Paris!«
»Das ist nichts Seltenes – der höllische Bösewicht ist unterm Schutz dieser ehr- und gottvergessenen Engländer überall!«
»Lassen Sie den Mann weiter reden, Signor Conte« unterbrach der klügere Superior die Acclamation. »Ist Mazzini allein dort?«
»Es sind abgereist vor ihm aus England Viele, die verbannt sind aus ihrer Heimath, wenn sie wahren wollen ihren Kopf.«
»Also Feinde der Kirche und des Thrones. Wissen Sie Namen?«
Der Jude zögerte. Dann sagte er: »Ich kenne die Namen nicht, aber ich weiß, daß sind Italiener darunter und Männer, die gehören zu einem schlimmen und blutigen Bund!«
»Carbonari oder von der Marianne?«
»Es ist ein Bund, der noch schlimmer ist als der der Carbonari in alter Zeit. Man sagt, er heiße der Bund der Brüder des Dolches!«
Der Priester wechselte einen raschen bedeutsamen Blick mit dem General.
»Das sind die Mörder des Herzogs von Parma, die blutigen Bösewichter, denen die neuen Meuchelmorde in Modena und den Legationen zuzuschreiben sind, die Mitglieder des schändlichen Todtenbundes!«
»Ich glaube, daß er führt auch diesen Namen« sagte schüchtern der Jude.
»Wenn diese Männer nach Paris gegangen sind und Mazzini sich dort befindet,« fuhr nachdenkend der Superior fort »so hat das allerdings seine Bedeutung. Aber die italienische Bewegung setzt ihre Hoffnungen in diesem Augenblick gerade auf den Kaiser Louis Napoleon, weshalb sollte man da Etwas gegen ihn unternehmen?«
»Rom!«
Es war das erste Mal, daß sich mit diesem Fingerzeig der Doktor in das Verhör mischte.
»Das ist wahr – aber gerade wegen Rom muß man ihn schonen und den Thronwechsel verhindern. Sr. Majestät der König Heinrich V. ist ein treuer Sohn der Kirche und würde ihrem Schutz noch mehr Garantieen bieten, als die bloße Einwirkung einer Frau, wenn sie auch so fromm ist, wie die Kaiserin Eugenie.«
Der Doktor verzog höhnisch den Mund. »Wer beweist Ihnen denn, Monsignore, daß bei einem Umsturz in Paris die Bourbonen wieder an's Ruder kommen würden?«
»Aber Sie vergessen die Fusion, und daß die Orleans wenig Anhänger haben, während die Zahl der Legitimisten stark ist.«
»An die Stelle des Sohnes der Revolution, wie Se. Majestät der Kaiser Louis Napoleon sich zu nennen liebt, um das Recht zu haben, seine Mutter auszubeuten, würde der Repräsentant der Revolution, der Prinz Napoleon treten und dieser hat keine Spanierin zur Frau.«
»Das ist wahr – und es wäre ein gefährlicher Tausch. Wenn dieser Mann Recht hat, ist die Situation wohl zu überlegen. Doch das wollen wir nachher thun. Jetzt, Signor,« fuhr der General fort, »sagen Sie uns gefälligst, haben Sie Nachricht aus Paris selbst?«
»Ja, Excellenza!«
»Und wie lautet diese?«
»Die Polizei des Signor Pietri scheint doch zu sein blind, es sind sehr viele Fremde in Paris und sollte sich ereignen ein Unglück, werden viele Hände bereit sein zu bauen die Barikaden.«
»Von wann lauten Ihre letzten Nachrichten?«
»Ich hab' erhalten ein Telegramm von heute Nachmittag 2 Uhr.«
»Und das sagt?«
»Daß Alles gut geht in Paris und die Course gestiegen sind um ein halbes Prozent.
»Haben Sie das Telegramm bei sich?«
»Ja wohl, Excellenz – ich kann haben die Ehre, es Ihnen zu zeigen.«
Der Wechsler zog die alte schmutzige Brieftasche heraus, öffnete sie und suchte ein Papier. »Hier, Signor Conte!« Er reichte ihm das Original der Depesche, von der er früher dem General Garibaldi gesprochen.
»Das ist eine gewöhnliche kaufmännische Meldung, so viel ich davon verstehe,« sagte der General. »Lesen Sie, Signor Dottore!«
Der Doktor Lazare, der sich, bis auf die erwähnten Bemerkungen, bisher von dem Gespräch gänzlich fern gehalten hatte, trat näher.
Der Wechsler hielt das alte schmutzige Portefeuille, aus dem er so eben das Telegramm genommen, offen in der Hand.
In demselben Augenblick, als der Spion an ihm vorüberging, schien dieser zu stolpern, wollte sich halten, und schlug dabei dem Wechsler die Brieftasche aus der Hand, daß mehrere der darin enthaltenen Papiere zerstreut auf den Fußboden fielen.
»Entschuldigen Sie, Signor, meine Ungeschicklichkeit!«
Er war eilig dabei, dem alten Mann zu helfen, die Papiere wieder aufzusuchen. Der Wechsler raffte sie hastig zusammen und steckte sie in die weite Tasche seines Ueberrocks, ohne zu bemerken, daß es dem Doktor gelungen war, einen kleinen schmalen Zettel zurückzubehalten.
Nachdem der Letztere das Telegramm gelesen, zog er sich wieder auf seinen Platz zurück, und den eroberten Zettel um seinen Finger wickelnd, las er ihn unbemerkt. Das Papier enthielt eine gewöhnliche kaufmännische Berechnung von Gold-Agio mit dem Datum des Tages. »Ist das die ganze Nachricht, Signor?« frug der Graf, das Telegramm zurückgebend.
»Ja, Excellenza, aber sie genügt, zu beweisen, daß Alles ruhig ist in Paris,«
»Es ist immerhin von Ihnen eben so unklug, als unrecht, daß Sie mir die Nachrichten verheimlicht haben und sie offenbar einem Anderen früher mittheilen wollten, als mir. Sie haben damit unser Uebereinkommen gebrochen, und ich bin sehr geneigt, Sie dafür zu bestrafen und mein Gewissen zu beruhigen, das mir ohnehin Vorwürfe macht, daß ich meine erste Pflicht als Christ vernachlässige für einen Undankbaren.«
Der alte Mann wurde sehr bleich und sein Gesicht zeigte Angst und Besorgniß.
»Signor, Sie werden rauben einem alten Mann, der mit einem Fuß steht bereits im Grabe, nicht sein Einziges, für was er hat gesorgt Tag und Nacht. Ich habe Ihnen doch gedient treu, mehr als ich vielleicht verantworten kann als rechtschaffener Mann.«
»Es wird von Ihrem weiteren Verhalten abhängen,« sagte kalt der General, »ob ich noch länger Nachsicht üben soll. Ich fordere Sie auf, diesem Herrn hier einige Fragen zu beantworten. Sie würden die Folgen einer Weigerung sich selbst zuzuschreiben haben.«
Der Superior warf einen finstern strengen Blick auf den alten Mann.
»Kennen Sie mich?«
Der Juwelier beugte sich demüthig fast bis zur Erde. »Wer sollte nicht kennen, wenn er ist gewesen zu Rom oder Bologna, den gelehrten Rektor der hohen und mächtigen Gesellschaft, die trägt den Namen des Messias der Christen, der der Erste ist nach dem General, Monsignore Corpasini, wie ich glaube.«
»Wohl, Jude, dann weißt Du, was Du von mir zu erwarten hast. Die Gesellschaft Jesu wacht über Kirche und Staat und hat auf Deinesgleichen ihr Auge. Sie weiß, daß Dir nicht zu trauen und daß Du mit den Feinden der Ordnung und des Gehorsams verkehrst.«
»Gnädigster Herr Prälat, ich bin ein Mann des Handels, ich kann nicht sehen den Leuten in's Herz und es ist nicht meine Sache, zu prüfen ob der Name auf dem Wechsel gehört einem Mann der Monarchie oder der Republik, wenn er nur gut ist für das Geld.«
»Das sind Ausflüchte. Wir wissen, daß Du gefährlichen Verbrechern zur Flucht geholfen und mit dem wucherisch und in Sünden erworbenem Gelde die Rebellion unterstützt hast!«
»So mir der Gott Abrahams helfe,« sagte energisch der alte Mann, »ich bin gewesen immer ein treuer Unterthan des Kaisers und wenn ich hab' Mitleid gehabt mit einem unglücklichen Mann, ist es nicht geschehen von wegen der Politik. Ich hab' mein Geld nicht erworben mit Wucher und Hab' damit gedient Freund und Feind als ehrlicher Handelsmann.«
»Du hast im Jahre 1856 eine Anzahl sehr werthvoller Diamanten verkauft?«
»Ich bin doch ein Juwelier,« sagte der Jude, »und handle mit edlem Gestein. Ich kaufe und verkaufe jedes Jahr viel Diamanten und Smaragden und anderes Gestein.«
»Der Hochwürdige Herr meint die Diamanten, welche zur Zeit des Raubanfalls auf Sie in Ihrem Besitz waren,« warf der General ein.
»Wenn ich hab' meine Rechnungsbücher zur Hand, kann ich geben allein Auskunft genau.«
»Du weißt vollkommen, was wir meinen, Jude, denn jene Diamanten waren Millionen werth. Wir wollen wissen, wessen Eigenthum sie waren?«
»Wenn Euer Gnaden meinen die Steine, die mir hat stehlen wollen ein falscher Knecht, dem der Fluch sei dafür, so kann ich Ihnen sagen, daß sie mir sind anvertraut worden von einem vornehmen Lord aus dem mächtigen England zum Verkauf.«
Sein Name?«
»Es ist der große und berühmte Herr, genannt der Graf oder Marchese von Heresford.«
»Der Freund Garibaldi's, der Beschützer aller Verbrecher und Rebellen!«
»Ich habe doch nicht zu fragen,« sagte der Wechsler, »was thut der reiche Lord mit seinem Geld. Er hat mir anvertraut die Diamanten und ich habe sie verkauft für ihn nach Wien und Paris und Konstantinopel.«
»Aber er war gar nicht der Eigenthümer! Die Steine sind aus den heiligen Kirchenschätzen Roms während der schändlichen Revolution gestohlen worden und ihr Preis hat die fluchwürdige Bestimmung, der Auflehnung gegen kirchliche und menschliche Ordnung zu dienen!« Der Jude zuckte die Achseln. »Hochwürdige Gnaden,« sagte er lächelnd, »können Sie wissen, woher der Peterspfennig kommt und was aus ihm wird, wenn die Diener des großen Rabbi der Christenheit ihn wieder zahlen als Sold an die Herren Schweizer oder Gens'darmen? Wie kann ich einstehen für das Gold, das rollt bald hier, bald da!«
»An wen sind die großen Summen ausgezahlt worden? fing der Priester mit Strenge.
»Wie soll ich wissen das aus dem Kopf? bin ich doch ein alter Mann und zähle über 70 Jahr und mein Gedächtnis wird schwach.«
»Willst Du leugnen, verräterischer Jude, daß Du bedeutende Summen in Mailand, Venedig, Rom und Neapel angelegt hast, um dort den Plänen der Bösen zu dienen? Das Geschäft mit dem englischen Ketzer ist nur ein Vorwand. Nimm Dich in Acht, mich zu reizen und gestehe die Wahrheit. Wer sind Deine Helfershelfer in Rom und hier, und wer ist der wahre Eigenthümer des Geldes?«
Der Wechsler zuckte nochmals die Achseln. »Wie kann ich anders sagen, als ich bereits gesagt!«
»Die Namen, Jude!«
»Die Namen stehen in meinen Büchern, aber die Bücher des Kaufmanns sind sein Heiligthum. Er hat sie nur auszuliefern dem Gericht, wenn er ist banquerott, und die Firma Samuel Mortara zu Mantua hat guten Kredit in jeder Hauptstadt der Welt.«
Der Doktor hatte während des Streits mit Bleistift einige Worte auf den Zettel geschrieben, den er vorhin vom Boden escamotirt und schob denselben dem Superior zu.
Die Worte lauteten:
»Er muß heute die nachstehende Zahlung gemacht haben. An Wen? Er hat die Quittung sicher bei sich.«
»Elender Jude, Du weigerst Dich dennoch zu gestehen?« Er las das Papier.
»Ich habe Nichts zu gestehen. Wie kann ich antworten Euer Gnaden auf eine Anklage, die ist so unbestimmt!«
»Nun bei dem heiligen Ignatio, unserm Schutzpatron,« sagte finster der Prälat. »Ich will sie bestimmt genug stellen. Du hast hier in Mailand eine bedeutende Summe ausgezahlt?«
Der Jude erbleichte. »Hab' ich doch gemacht in drei Tagen, daß ich hier bin, gar manches Geschäft.«
»Ich meine die 50 000 Lire in Gold, Napoleondor's, Dukaten und russischen Imperials, die Du heute ausgezahlt hast!«
Der alte Mann machte eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens. Da der Schreibtisch mit den Büchern ihn von seinem Peiniger trennte, hatte er die Manipulation, die das Verhör des Superiors unterstützt, nicht bemerken können.
»Es ist möglich – wie kann ich reden von einem Geschäft, was ist nicht mein allein!«
»An wen geschah die Zahlung?«
»Ich habe doch immer gehört,« sagte hastig der Wechsler, »daß die Priester der Christen nicht verrathen dürfen die Geheimnisse des Beichtstuhls so wenig, wie der Arzt verrathen darf seine Patienten. Der Kredit des Wechslers beruht auf Vertrauen und er hat doch nicht das Recht zu verrathen seinen Geschäftsfreund so wenig wie der Arzt und der Priester!«
»Frecher Jude, wagst Du das heilige Sakrament der Beichte zu lästern und mit Deinem schmutzigen Wucher gleich zu stellen? Nimm Dich in Acht, daß ich Dich nicht dem Inquisitionsgericht zur Bestrafung übergebe!«
»Ich hab' doch nicht daran gedacht zu lästern den Glauben der Christen,« sagte allen Muth zusammenraffend der alte Mann, »und es ist doch aufgehoben schon lang in Oesterreich die Inquisition, wenn sie auch noch besteht zu Rom. Ich habe doch Nichts mehr hier zu thun und muß geh'n nach Haus!«
»Du bleibst!« Der Superior klingelte.
Sofort trat der Novize Felicio ein.
»Wo ist der Bruder Andrea?«
»Im Vorsaal, Hochwürdiger Herr!«
»So rufe ihn sogleich herein und kehre mit ihm zurück.«
Einige Augenblicke darauf trat der Laienbruder mit dem Novizen ein.
Wir haben bereits bemerkt, daß der Fra Andrea ein überaus kräftig gebauter, an einen Faustkämpfer im Circus erinnernder Bursche war.
»Halte Dich bereit, meine Befehle zu vollziehen,« sagte der Superior zu dem Klopffechter. »Und nun, Signor Mortara, wollen Sie uns sagen, an wen Sie heute die 50 000 Lire bezahlt haben?« »Ich protestire doch gegen die Gewalt, es giebt in Mailand noch Recht und Gesetz auch für den Juden und ich brauche nicht Rechenschaft zu geben über mein Geld!«
»Zum letzten Mal – willst Du die Quittung herausgeben, nichtswürdiger Jude, oder soll ich Dir die Papiere mit Gewalt entreißen lassen?«
»Sie haben keine Macht über mich, – ich protestire, ich rufe um Hilfe – ich ...«
Der Superior gab dem geistlichen Bravo einen Wink. »Durchsuche ihn und nimm ihm seine Papiere ab!«
Der Bruder schritt, ohne ein Wort zu sagen, auf den alten Mann los, der vor ihm flüchtete und streckte die kräftige Faust aus, um ihn zu ergreifen. »Komm her Jude und laß Deine Taschen untersuchen – Dein Sträuben hilft Dir nichts!«
»Gott Abrahams und Jakobs – ist denn kein Mensch hier, der schützt einen ehrlichen Mann vor Gewalt ... zu Hilfe! zu Hilfe!«
»Ei, Signor Mortara – wer in aller Welt thut Ihnen Etwas?« sagte von der Thür her lachend eine fremde Stimme. »Der hochwürdigste Superior steht zwar in dem Ruf, gern Proselyten zu machen, aber an Ihnen wär es doch etwas zu spät! Seien Sie unbesorgt, man treibt sicher nur einen Scherz mit Ihnen!«
Bei dem ersten Wort hatten sich Aller Augen nach der Thür gewandt – in der geöffneten stand der Baron von Neuillat, der Agent und Freund zweier ihres Thrones beraubten Zweige der Bourbons.
»Entschuldigen Sie mich, hochwürdigster Freund,« sagte der Baron mit dem sichern leichten Ton des Weltmanns, dessen Takt und Gewandtheit sich sogleich zum Herrn der Situation zu machen versteht, »daß ich nicht erst die Meldung abwartete und direkt eingetreten bin. Aber ich denke, unter Freunden bedarf es des Ceremoniells nicht und ich wehrte den dienstfertigen Eifer Ihres Bruder Secretairs ab. Ich konnte nicht umhin, mir noch heute Abend das Vergnügen zu machen, Sie zu begrüßen, da ich von dem Herrn General gehört, daß Sie sich in Mailand befänden.«
Der Jesuit verbeugte sich mit ziemlich finsterer Miene, indem er die dargebotene Hand annahm.
»Ich dachte mir, lieber General,« fuhr der Baron fort, »daß ich Sie bei unserm gemeinschaftlichen Freunde treffen würde und daß wir den traurigen Abend verplaudern könnten, zum Beispiel mit Erinnerungen aus Spanien, an das mich unwillkürlich eine merkwürdige Ähnlichkeit mahnt. Sie ist Ihnen gewiß auch schon aufgefallen!«
»Was meinen Sie, Baron?« frug der Graf, der sehr gut wußte, wo dieser hinauswollte, dem es aber Vergnügen machte, seinem Verbündeten etwas Unangenehmes zu bereiten.
Der Baron hatte sich bereits selbst einen Sessel herbeigezogen. »Nun – ich meine das Gesicht des jungen Fraters oder Scholastikers dort – ich bin wirklich nicht so eingeweiht in die Abzeichen Ihrer geistlichen Uniform, hochwürdigster Freund, um mich in der Titulatur nicht leicht irren zu können. Aber das bleibt sich gleich – Thatsache ist, daß er eine frappante Aehnlichkeit hat mit..« »Nun?«
»Ei mit dem armen Fürsten Felix Lichnowski, den die Revolutionäre so schändlich in Frankfurt ermordeten!«
Die Stirn des Jesuiten hatte sich bei all' seiner Selbstbeherrschung mit einer dunkelen Röthe überzogen. Er erhob den Finger und deutete nach der Thür.
»Entferne Dich und nimm Andrea mit Dir!«
Die Worte galten dem Novizen, der sogleich in schweigendem Gehorsam sich verbeugte und mit seinem Gefährten das Gemach verließ.
Dem Baron, der ihn mit seinem Augenglase lorgnettirt, war es nicht entgangen, daß dem jungen Jesuiten unwillkürlich bei seinen Worten eine Bewegung der lebhaften Aufmerksamkeit entschlüpft war und daß seine Augen sich mit einem raschen Blitz aus der gewöhnlichen niedergeschlagenen Haltung auf ihn gerichtet hatten.
Aber auch dem Superior war die Bemerkung nicht entgangen. Sobald die Beiden das Gemach verlassen, wandte er sich zu dem Baron.
»Ich muß Sie tadeln, lieber Sohn,« sagte er salbungsvoll, »gleich bei unserem Wiedersehen. Man soll die jungen Gemüther, die sich dem strengen Dienst unsers heiligen Ordens gewidmet, auch nicht durch Erwähnung so zufälliger Dinge, wie die Aehnlichkeit mit den Reichen und Vornehmen der Welt, in Versuchung führen.«
»Verzeihung Monsignore,« lächelte der Diplomat, »ich dachte nicht, daß die Erinnerung an einen Todten schaden könne. Aber wir sprechen ein anderes Mal davon. Es freut mich, daß ich Signor Mortara bei Ihnen getroffen – ich hatte ihn selbst gebeten, diesen Abend zu mir zu kommen, da ich ein Geschäft mit ihm hatte, aber die Ihren gehen vor und das entschuldigt, daß er nicht Wort gehalten.«
Der Baron verschwieg, daß er von dem buckligen Spion die Entführung des alten Wechslers nach der Wohnung des Superiors erfahren hatte und eben deshalb gekommen war.
Der alte Mann hatte sich sofort nach dem Eintritt des Barons in seine Nähe gedrängt, als sei er überzeugt, dort Schutz zu finden gegen seine Verfolger.
»Euer Excellenz werden nicht zürnen, daß ich nicht gehalten habe Wort,« murmelte er – »bin ich doch gewesen auf dem Wege zu Ihnen, als man mich geholt hat mit Gewalt von der Thür des Albergo hierher!«
»Da sieht man, Signor Mortara, was Sie für ein gesuchter Mann sind,« sagte lächelnd der Baron, »Aber wir können von unserm Geschäft nachher oder morgen sprechen. Doch ich störe vielleicht Monsignore, denn Sie haben Besuch. In diesem Fall ziehe ich mich zurück und nehme Signor Mortara mit mir, wenn sie seiner nicht mehr bedürfen.« Er lorgnettirte den Doktor.
»Ich habe doch Nichts zu schaffen hier,« sagte hastig der Wechsler, »ich werde doch gehen mit Ihnen.«
Der Superior wechselte einen Blick mit dem Modenesen, dann sagte er kalt: »Wir bedauern, den Signor Mortara noch aufhalten zu müssen, da unser Gespräch noch nicht zu Ende ist.«
»Also störe ich – dann bitte ich um Entschuldigung und besuche Sie ein ander Mal.« Der Baron erhob sich und griff nach dem Hut.
»Sie sind ein treuer Sohn der Kirche und der von Gott eingesetzten Throne,« sagte der Jesuit – »wir nehmen keinen Anstand, in Ihrer Gegenwart eine Sache weiter zu verhandeln, die beider Interessen betrifft. Ich bitte, bleiben Sie.«
Herr von Neuillat nahm seinen Platz wieder ein, der Juwelier blieb neben seinem Sessel stehen.
»Dieser alte Mann« fuhr der Superior fort, »ist, wie wir sichere Beweise haben, ein Feind der Ruhe und Ordnung und unterstützt die abtrünnigen Mörder und Rebellen, welche die Ruhe Italiens und der Welt bedrohen, mit seinem wucherisch erworbenen Reichthum. Er kennt ihre Geheimnisse und leugnet nicht, heute eine Summe von 50 000 Lire hier in Mailand ausgezahlt zu haben – er hat die Papiere darüber bei sich, aber er weigert sich, diese herauszugeben oder zu gestehen, wer der Empfänger war.«
»Aber was führt Sie zu der Vermuthung, daß das Geld gerade an die Feinde der Regierung gezahlt worden und die Sache nicht ein einfaches Handelsgeschäft gewesen ist, wie Signor Mortara deren meines Wissens sehr bedeutende macht?«
»Wir wissen, daß sich unter der Menge der herbeigeströmten Fremden höchst verdächtige und gefährliche Personen in Mailand eingeschlichen haben. Dieser Mann hat vor drei Jahren Diamanten von ungeheurem Werth im Auftrage eines bekannten Freundes der Führer der revolutionairen Propaganda, Mazzini's und Garibaldi's verwerthet und die Gelder an verschiedenen Stellen deponirt, die er nicht nennen will. Seine Weigerung, zu beweisen, an wen er heute Abend 50 000 Lire ausgezahlt; sein Verkehr mit offenbar verkleideten höchst verdächtigen Personen, gleich nachdem er sich von Ihnen auf dem Corso getrennt hatte, und wobei von dieser Summe geredet worden ist, die er beschaffen sollte, sind Beweise genug.«
»Wenn dem so ist, General, warum zeigen Sie die Sache nicht ganz einfach der österreichischen Polizei an? Sie wird Mittel genug haben, den Signor Mortara zum Reden zu zwingen!«
Der Jesuit und sein Bundesgenosse schwiegen einen Augenblick etwas verlegen, denn sie konnten die geheimen Gründe ihres Eifers unmöglich eingestehen. Dann sagte der Superior: »Wir halten es für besser, erst die Beweise in Händen zu haben, ehe wir die Behörden beunruhigen. Die Kirche, mein Sohn, hat, den Heiligen sei Dank, in diesem Lande noch genügende Macht, einen ungläubigen und verstockten Feind zu zwingen!« »Euer Hochwürden waren wahrscheinlich gerade daran, als ich sie störte,« erwiederte lächelnd der Diplomat. »Dann bin ich allerdings sehr zur unrechten Zeit gekommen. Indeß, ich erlaube mir doch, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß eine Anwendung von Gewalt gegen einen Bürger des Kaiserstaats, der sonst unverdächtig ist und die Achtung angesehener Personen genießt, durch Fremde hier auf österreichischem Gebiet doch am Ende nicht gut geheißen werden könnte.«
Die dichten Brauen des Geistlichen zogen sich zu einer finstern Falte zusammen und seine Augen schossen einen drohenden Blitz auf den kecken Warner, der sehr kaltblütig ihn erwiederte.
»Es scheint, Signor Baron,« sagte der Jesuit spitzig, – »Sie haben die alte Neigung bewahrt, den Absichten der heiligen Kirche hindernd in den Weg zu treten.«
»Der Himmel soll mich davor bewahren, hochwürdiger Freund,« lächelte der Baron, »daß ich, ein bescheidener und abgenutzter Privatmann, mit Ihrem mächtigen Orden anbinden sollte. Es scheint, Sie meinen unser Abenteuer damals am Thurm von Azcoitia. Aber wie gesagt, wenn wir auch vielleicht eine lebendige Erinnerung davon in Ihrem Novizen in der Nähe haben, – ich denke nicht daran, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, nur hielt ich es für eine Freundespflicht, Sie vor jedem falschen Schritt zu warnen, da wir uns hier nicht in Bologna oder Rom, sondern auf dem Gebiet Sr. Majestät des Kaisers von Oesterreich befinden.«
Die Art und Weise, wie er all' die Worte so leicht, so gleichgültig hinwarf, während doch jedes von ihnen voll Bedeutung blieb, war in der That das Meisterstück diplomatischer Routine.
Das finstere gallige Gesicht des Jesuiten wurde wo möglich noch fahler, doch die ungeheuere Selbstbeherrschung, die die erste Regel der Erziehung seines Ordens ist, ließ ihn seine volle äußerliche Ruhe bewahren.
Er fühlte, daß mit dem Eintritt des Barons von Anwendung einer Gewalt gegen den alten Wechsler nicht mehr die Rede sein konnte, aber er wußte zugleich, daß er ein sichereres Mittel in Händen hatte.
»Sie haben vollkommen Recht, Baron,« sagte er kalt. »Wir denken nicht daran, den Signor Mortara zwingen zu wollen, die Geheimnisse seines Geschäfts uns mitzutheilen. Er hat die Erlaubniß, sich zu entfernen, so bald er will. Sie werden mich einen Augenblick entschuldigen, wenn ich zunächst eine Depesche nach Bologna expedire an meinen Substituten.«
Der Baron verbeugte sich, »Bitte, lassen Sie sich durch mich nicht stören. – Nun, Signor Mortara, wenn es Ihnen genehm, erwarten Sie mich in meinem Hôtel.«
Aber der alte Mann schien den freundlichen Wink zu seiner Entfernung ganz zu überhören. Sein faltiges sorgenvolles Gesicht war blaß geworden und er heftete seine Augen mit einer sichtlichen Angst auf die Lippen des Geistlichen.
»Signor Dottore,« fuhr der Superior fort, »Sie haben vielleicht die Güte, ein Telegramm für mich niederzuschreiben. Es ist jetzt 10 Uhr – in einer Stunde kann die Ordre in Bologna sein und man kann die nöthigen Anstalten treffen, um sie morgen in aller Frühe zu vollziehen.«
»Mit Vergnügen, Hochwürdiger Herr!« Der Doktor Lazare hatte sich eilig an den Tisch gesetzt und das Papier vor sich hingezogen. Sein Lächeln bewies, daß er irgend eine Bosheit erwartete und sich im Voraus schon darüber freute.
»Adressiren Sie an den Padre Filippo, Subrektor des Jesuiten-Kollegiums zu Bologna,« diktirte der Superior.
»Weiter Reverendissimo!«
»Geliebter Bruder! Nimm den Knaben, der durch das Band der heiligen Taufe unserer christlichen Gemeinschaft gehört, sofort aus dem Hause seiner ungläubigen leiblichen Verwandtschaft und überliefere ihn selbst dem Collegio Romano.««
Der alte Mann war hastig einen Schritt auf den Tisch zugetreten und streckte seine zitternden Hände gegen den Jesuiten.
»Halten Sie ein, Signor Superior – was wollen Sie doch thun – wer ist der Knabe, den Sie wollen nehmen aus dem Haus seiner Eltern und schicken in's Kollegium zu Rom?«
»Schreiben Sie weiter, Signor Doktore,« sagte, ohne den Juwelier eines Blickes zu würdigen, der Prälat. »»Uebergieb dem hochwürdigsten General den Bericht, der in Betreff des Knaben Edgardo Moltara bereit liegt mit dem Zeugniß der Amme.««
Der alte Wechsler that einen Schrei bei dem Namen, er stürzte an den Tisch, als wolle er dem Fremden die Feder entreißen, seine gebrechliche hagere Gestalt schien auf einmal all' die Beweglichkeit, die Leidenschaftlichkeit seines Namens wieder erhalten zu haben.
»Was wollen Sie thun mit dem Knaben Edgardo, der doch ist Blut von meinem Blut und gehört dem Glauben seiner Väter? Er ist doch geboren als Jud' und soll bleiben ein Jud', wie es ist unser Gebot und Recht!« »Geben :Sie mir das Telegramm her zur Unterzeichnung.«
Der Doktor schob das Papier über den Tisch nach dem Superior hin – aber der Wechsler faßte krampfhaft den Arm desselben.
»Bei dem Gotte Jehova, der doch ist der Gott der Christen wie der Juden und straft die Ungerechtigkeit – nehmen Sie nicht einem alten Mann sein Kind! Warum wollen Sie doch machen den Knaben zu einem Christen, wo er doch gehört zu unserm Volk? Warum soll er büßen, was gethan das einfältige Weib, seine Amme? und wenn er muß gelöst werden mit Geld – ich werde doch geben ungerechter Weise mein Geld – tausend römische Thaler – ich will geben zehntausend, wenn ich bekomme den Knaben!«
»Ungläubiger Jude – berühre mich nicht? wagst Du es für das Heil einer Christenseele Dein schmutziges Geld zu bieten? Schon zu lange hat die heilige Kirche um höherer Interessen willen gezögert – aber Dein Ungehorsam, Dein Verrath haben ihre Nachsicht erstickt!«
Er ergriff die Feder und unterzeichnete mit raschem Zug das verhängnißvolle Zeichen, das Monogramm des Ordens.
Der alte Mann fiel auf die Knie – schwere Schweißtropfen perlten an seinen dünnen grauen Haaren. »Haben Sie Erbarmen mit einem Greis,« jammerte er, »der doch steht mit einem Fuß schon im Grab und niemals Hat Unrecht gethan wissentlich einem Christen! Mögen Sie uns treten und berauben und nehmen unser Leben und Geld – aber Sie haben doch nicht Recht, uns zu nehmen den Gott unserer Väter! Lassen Sie den Knaben bleiben beim Gesetz Moses, den doch auch achten die Christen als den Vorgänger ihres Messias!«
»Schweig mit Deinen Lästerungen!«
Der General hatte sich von seinem Sessel erhoben und war neben den Prälaten getreten.
»Wollen Sie sagen, an wen Sie die 50 000 Lire diesen Abend gezahlt haben und uns alle Auskunft geben, die wir für nöthig halten?«
Der alte Mann antwortete nicht auf die Frage, er wandte sich vielmehr zu ihm und faßte nach orientalischer Sitte nach seinem Rock.
»Hat der Gott Abrahams uns nicht gestraft schon genug,« rief er, »daß geworden ist die Tochter meines Vaters abtrünnig von dem Glauben ihrer Väter und geflohen ist in die Arme unserer Verfolger? Wenn Sie auch sind ein vornehmer Herr und ein General – Sie sind doch von unserm Blut und sollten sich annehmen unserer Noth, statt daß Sie hassen gleich den Amalekitern das Haus Ihrer Väter!«
Der alte Mann hätte freilich nichts Schlimmeres thun können, als seinen hochmüthigen und rachsüchtigen Verwandten an die ihm verhaßte und sorgfältig verheimlichte Blutsfreundschaft zu erinnern.
Eine dunkele Gluth überzog das Gesicht des modenesischen Generals, der das sarkastische Lächeln um den Mund des Barons sehr wohl verstand.
»Sie haben in Ihrer Verstocktheit keinen Beistand von mir zu erwarten. Gott und die Heiligen haben gewollt,« sagte der Modenese streng, »daß meine Mutter das Licht der allein seelig machenden Kirche erkannt hat – zwischen uns ist keine Gemeinschaft mehr, als die meiner Pflicht, jenen Knaben dem ewigen Verderben zu entreißen.«
Es schien allmälig in dem alten gebrechlichen Juden eine volle Umwandlung seiner Gefühle vor sich zu gehen.
Er hatte sich aus der demüthigen Stellung des Flehenden erhoben und während er noch immer neben dem Tisch stand, auf dem das verhängnißvolle Papier lag, stützte er die geballte Hand fest auf den Rand desselben.
»Jedes Ding auf der Welt thut doch haben seinen Preis,« sagte er schneidend. »Sie sollen mir doch sagen zum Wenigsten, was der Wechsler Samuel Mortara von Mantua soll zahlen, daß sein Neffe und Erbe nicht gezwungen wird zu dem Glauben der Christen!«
Der Superior drehte sich langsam zu dem alten Mann.
»An wen und wo haben Sie heute Abend die 50 000 Lire gezahlt?«
Der Wechsler preßte die welke Hand auf die Stirn, es ging offenbar ein großer Kampf in seinem Innern vor.
»Was hat zu thun mein Geschäft mit dem Knaben Edgardo?«
»Sie sind hier, um Fragen zu beantworten, nicht um solche zu thun. Noch ein Mal – wer hat die 50 000 Lire von Ihnen erhalten?«
Der Jude schwieg.
»Sie weigern also die Antwort?«
»Euer Gnaden werden doch haben Erbarmen mit einem alten Mann,« keuchte mit gepreßter Stimme der Jude. »Sie werden doch nicht treiben die Sache so weit. Der Name des Samuel Mortara ist stets gewesen geachtet und geehrt an jeder Börse Europa's als der eines ehrlichen Mannes, der nie gebrochen hat sein Wort und getäuscht hat das Vertrauen, so man in ihn gesetzt. Ich will doch fahren in die Grube und mein Haupt legen in den Schooß des schwarzen Engels, als der ehrliche Mann, wie ich gelebt. – Ich kann doch nicht antworten auf die Frage Euer Excellenza, ohne zu werden ein Lügner und ein wortbrüchiger Mann.«
»Ist dies ihr letztes Wort?«
»Ein rechtlicher Mann kann nur haben ein Wort. Ich werde doch Freunde finden, die schützen mein Recht und verhindern den Raub des Knaben, der meinem Herzen theuer.« Sein Blick traf den Baron.
»Signor Mortara mag vielleicht allzuängstlich in der Gewissenhaftigkeit gegen seine Geschäftsfreunde und Kunden sein,« sagte dieser. »Aber ich bitte, bester Freund, ängstigen Sie den alten Mann nicht länger und lassen Sie ihn gehen.«
»Ich halte Ihren Schützling durchaus nicht, er mag dieses Haus verlassen, wir haben Nichts mehr mit ihm zu schaffen.« – Er ergriff die Glocke und schellte, der Novize trat sogleich ein.
»Laß Andrea sofort dieses Papier nach dem Telegraphenbüreau bringen und gieb ihm das Geld für die Kosten. In einer halben Stunde muß er zurück sein mit der Bescheinigung.« Der junge Mann nahm gehorsam das Papier und wandte sich nach der Thür.
In diesem Augenblick machte der alte Jude eine Bewegung, als wolle er ihm nachstürzen. Seine zitternden Hände streckten sich nach ihm aus, seine welken Lippen öffneten sich zu einem Ruf der Verzweiflung. Dann taumelte er zurück und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Man hörte sein Schluchzen und Stöhnen.
Selbst das Marmorherz des Jesuiten schien ein Gefühl der Theilnahme zu überkommen.
»Signor Mortara – noch ist es Zeit? – Wem haben Sie die 50 000 Lire ausgezahlt.
Der alte Jude schüttelte das Haupt und streckte mit einer abwehrenden Bewegung die Hand aus.
»Das Gebot, das der Gott Zebaoth gegeben dem Moses auf dem Berge Horeb lautet: Du sollst nicht führen mich in Versuchung. Als der Teufel ist getreten zu dem Messias der Christen auf dem Sinai, hat Euer Messias gesagt: Hebe Dich weg von mir Satanas!«
»Er lästert! – Möge denn der Zorn der Kirche kommen auf Dein Haupt, verstockter Jude!« rief zornig der Priester. »Fort mit Dir, Felicio!«
Der Novize verschwand – in der Stille, die in dem Gemach herrschte, hörte man draußen die schweren Schritte des Laienbruders und das Schlagen der Thür, die hinter ihm zufiel.
Wohl fünf Minuten lang sprach keiner der Anwesenden ein Wort. Dann wies der Superior mit harter unfreundlicher Miene nach der Thür.
»Entfernen Sie sich, Signor Mortara, – ich will dies Haus nicht länger befleckt haben durch die Gegenwart eines Ungläubigen!«
Der alte Mann erhob sich aus seiner gebückten zusammengesunkenen Stellung, in der er über die Lehne eines Sessels sich hingebeugt. Er schlich den Kopf geneigt zu der Thür, ein Bild der Verzweiflung und des Jammers.
Der Baron und der Spion hatten gleichfalls ihre Plätze verlassen. Der Letztere ging an dem Wechsler vorüber.
Indem er neben ihm sich befand, beugte er sich zu dem alten Mann und sagte ihm ein einziges Wort in's Ohr.
Der Wechsler sah ihn wie aus einem Traume erwachend an, er hatte begriffen, daß Jener sein Geheimniß kannte.
Das Wort, das ihm der Spion zugeflüstert, war ein Name. Der Name hieß: Garibaldi!
Der Baron von Neuillat hatte einfach seinen Hut genommen.
Plötzlich, an der Schwelle des Gemachs, blieb der Greis stehen und wandte sich um. Die gekrümmte Gestalt richtete sich empor und schien zu wachsen in der Leidenschaft, die jetzt die verschrumpften Sehnen und Glieder streckte. Die matten eingesunkenen Augen blitzten drohend und seine Hände faßten krampfhaft seinen Rock und schüttelten ihn nach der Sitte des orientalischen Fluchs, die den Staub schüttelt von dem Gewand auf der Schwelle des Feindes. »Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs möge seine Vergeltung schütten über Euer Haupt, stolze Christen und wenn Ihr unterliegt Euern Feinden, so wenig Erbarmen haben mit Euch, wie Ihr gezeigt einem alten Mann. Ihr habt genommen von meinem Herzen das Kind, auf das ich gesetzt meine Hoffnung und gespart und gesorgt und wollt es zwingen zum Glauben Eures Volks in dem falschen Rom, dessen Priester sich dünken die Herren der Welt. Ihr, die Ihr habt tausendmal verkauft das Blut für das Gold und habt verkauft Euren eigenen Messias, Ihr wollt nicht nehmen mein Gold für mein Blut, weil Ihr haßt in mir den Jud'! Wohlan denn, so will der verachtete Jud' werfen sein Geld in den Schoos Eurer Feinde und es soll helfen, zu brechen Eure Macht und den großen Rabbi der Christen stürzen von seinem Thron, daß die Macht seiner Diener verwehe wie der Staub vor dem Winde!«
»Frecher Jude, Du wagst es, Deinen Herrn zu lästern?«
»Wer hat Euch gemacht zu unsern Herrn, daß Ihr nehmt unsern Leib und unser Blut und das Lamm wollt machen zum Wolf, der Ihr seid im Gewand der Demuth! Aber Eure Herrschaft thut doch sein vorbei und nicht die Kutte regiert mehr die Welt, sondern das blanke Gold, und Jehova hat gegeben seinem erwählten Volk wiederum die Macht durch das Geld in seine Hand, daß es auf's Neue beginne den Kampf gegen die falschen Christen und sie schlage und sie werfe in das Ghetto, worein Ihr gesperrt uns Jahrhunderte lang. Das Gold der Juden soll die feilen Waffen der Christen kaufen, daß sie sich zerfleischen untereinander selbst; und für den Judenknaben Mortara, dem Ihr nehmt die Freiheit, zu folgen dem Glauben seiner Väter, um ihn zu zwingen zum falschen Priester Eures falschen Messias, soll Italien frei werden von der Zwingherrschaft Eures Priesters in Rom! Bei dem Gott Abrahams schwör' ich den Eid, daß, wenn der Samuel Mortara vergeblich klopft an die Pforten des Vatikans um Gerechtigkeit für sein Volk, sollen doch Die da sitzen auf den Thronen der Christen umstürzen selber den Thron Petri und rächen in Eurem Blut die Schmach, die Ihr angethan habt meinem Volk!«
Der Baron war zu dem zeternden Greise getreten und versuchte ihn fortzuziehen. »Um Himmelswillen, Signor Mortara, schweigen Sie. Sie werden Gerechtigkeit finden, aber Sie reden sich hier um den Kopf!«
Der Superior, bleich vor Zorn, schellte heftig mit der Klingel, daß der Novize und mehrere der geistlichen Diener erschrocken herbeistürzten.
»Ihr habt nicht gewollt mein Gold für mein Kind – aber das Gold der Juden soll pochen an Euer Thore bis sie stürzen zusammen und wieder befreit ist mein Kind! Möge das Blut, das vergossen wird, kommen über Euer eigen Haupt, und das Haupt des Verräthers, der gezeugt ist in Unehren mit der Tochter des Volkes Abrahams und vergessen hat seines Blutes im Staub liegen auf der Schwelle der Verfolgten! Möge die Hand verdorren, die geschrieben den grausamen Befehl und der Mund, der ihn gesprochen, möge ...«
»Hinaus! Fort mit dem Lästerer!«
Unter dem Anschein, als wolle er ihn selbst entfernen, drängte sich der Doktor Lazare zwischen die Diener des Hauses und den Greis, denn die leidenschaftliche Erregung desselben gegen seine christlichen Genossen hatte ihm im Geheimen ein boshaftes Vergnügen gemacht; aber schon hatte die Hand des Barons den Arm des Greises gefaßt und schleppte ihn mit Gewalt aus dem Zimmer, die Diener von jeder Mißhandlung zurückwehrend, und er verließ mit dem jetzt Willenlosen und Tiefgebeugten das Haus.
Der General, der Jesuit und der Spion blieben allein zurück in dem Gemach und einige Minuten schweigend um den Tisch stehen.
»Wollen Euer Hochwürden wirklich den kleinen Mortara zu einem Christen machen?« frug endlich der Doktor. »Der Alte wird ein entsetzliches Geschrei erheben und die Zeitungen werden mit allen Händen danach greifen!«
Der Superior sah streng empor.
»Was kümmert uns das Geschrei der Zeitungen – die Macht der Kirche steht fest und es ist Zeit, daß ihr Kampf gegen den Materialismus des Geldes und die Gottlosigkeit der Presse offen beginnt. Der Knabe Mortara soll der Beweis werden, daß ihr Wille und ihr Gesetz unbeugsam sind!«
»Und den Alten,« sagte der General hämisch, »überlassen Sie mir. Er hat sich selbst die Grube gegraben. Morgen werde ich die Polizei von seinen Gesinnungen benachrichtigen. Sie wird ihn zwingen, zu gestehen, was sein Trotz uns verweigerte.«
»Ich, Signori,« sprach mit bedeutsamen Lächeln der Doktor – »hoffe es morgen schon zu wissen und mehr dazu. Und deshalb, Signori, leben Sie wohl für heute!«
Die Fenster der Casa Paulina waren glänzend erleuchtet – in dem Salon der Oberstin Manara hatte sich eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft versammelt, Fremde und Einheimische, darunter der Marchese Ferari und der Kapitain Balduccio, einige der Personen, die zwei Stunden vorher sich an der geheimen Versammlung betheiligt hatten, es aber wagen durften, unter den Augen der österreichischen Polizei sich, als zu dem Schauspiel des Leichenbegängnisses herüber gekommen, öffentlich in Mailand zu zeigen, und nebst der Gräfin Montalto Carnaro mehrere Damen aus der Bekanntschaft der Oberstin.
Das große Ereigniß des Tages, die Ausstellung der Leiche des Marschalls und die bevorstehende Leichenfeier bildete natürlich den Gegenstand der allgemeinen Unterhaltung, da absichtlich Personen eingeladen worden, welche mit den geheimen Zwecken der Gesellschaft nichts weniger als bekannt waren, um dieser jeden Anschein der Politik zu nehmen.
Die Signorina Bignatelli hatte sich gegen halb eilf Uhr unter dem Vorwand einer heftigen Migraine und unter dem gewandten Schutz der Gräfin Törkyöny entfernt, die es sich nicht nehmen ließ, die junge Gebieterin des Hauses selbst bis in ihr Zimmer zu geleiten. Dort empfahl sie ihr Vorsicht, wünschte ihr mit bedeutsamen Lächeln vor der Zofe eine gute Nacht und schied mit dem Versprechen, in der Gesellschaft jede weitere Störung ihrer Ruhe zu verhindern.
Sie war eben erst kurze Zeit wieder in den Salon getreten, als Graf Sforza erschien und in seiner Begleitung den Doktor Lazare oder vielleicht Herrn von Sapieha mitbrachte, den er zum Mal in den Cercle der Oberstin einführte und der Dame des Hauses vorstellte.
Die vertraute Bekanntschaft mit mehreren der anwesenden Cavaliere, seine Gewandtheit und sein ganzes Auftreten sicherten dem Doktor die höflichste Aufnahme und bald war er in verschiedene Unterhaltungen mit den Damen und Herren verflochten, indem er sich geschickt von einer der Gruppen zur anderen bewegte und alle im Geheimen beobachtete.
Der Conte hatte sofort ungestüm nach seiner Verlobten gefragt, sich aber mit der Antwort begnügen müssen, daß sie sich wegen Unwohlseins habe verabschieden müssen, und war jetzt in eine eifrige geheime Unterhaltung mit der Gräfin Montalto verwickelt, während die Wirthin diese mit ihrer Nähe deckte und jede Störung geschickt zu verhindern wußte.
Diese Gelegenheit benutzte der Doktor, um zu der Gräfin Törkyöny zu treten, der er sich vorhin in aller Form hatte vorstellen lassen.
Selbst wenn er nicht bereits durch die Andeutungen und Mittheilungen des Grafen, der ihn von Eifersucht verzehrt sofort nach der Versammlung der Verschworenen und den kurzen Vorbereitungen zu seiner Abreise wieder aufgesucht hatte, den Charakter der Gesellschaft gekannt hätte, würde er sich schwerlich von deren gleichgültigem Anschein haben täuschen lassen. Seine scharfe Beobachtungsgabe zeigte ihm in einzelnen Blicken und Worten, daß der größere Theil der Anwesenden sich wohl verstand und ganz andere Zwecke verfolgte, als die allgemeine Unterhaltung.
Die Gräfin stand in einem der offenen Nebenzimmer anscheinend mit der Durchsicht eines Albums beschäftigt, als der Doktor, nachdem er sich geschickt durch die einzelnen Gruppen in ihre Nähe gebracht, wie zufällig zu ihr trat und eine allgemeine Conversation mir ihr anknüpfte.
Unter den Phrasen derselben fand leicht eine Verständigung der beiden Verbündeten statt, während sie eine Stellung eingenommen hatten, daß Niemand sich unbemerkt ihnen nähern konnte.
»Ich erwartete nicht, Dich hier zu sehen,« sagte die Gräfin. »Nach Deinem Billet sollte es erst nach Mitternacht im Garten geschehen.«
»Sprich vorsichtig. Sieh nach der Montalto!«
»Was ist mit ihr? ich verliere sie nicht aus den Augen!«
»Halte Dich auf Alles gefaßt – ich glaube wir sind unserm Ziele nahe und diese Nacht noch kann uns zum Zweck bringen. Wo ist die Erbin?« »Seit einer Viertelstunde bereits in den Armen ihres Liebhabers.«
»Wo? – genau!«
»In dem Pavillon an der Mauer nach der Seite des Lentasio.«
»Wie kommt der Rittmeister dahin?« »Wenige Schritte davon ist die Thür nach der Gasse. Sie wirft ihm den Schlüssel durch die Jalousie zu, wenn Alles sicher ist. Halt ...«
»Nun?«
»So eben hat die Montalto an Sforza ein kleines Packet gegeben.«
Der Doktor hatte sich über die Zeichnungen gebeugt und deutete mit dem Finger auf sie, denn eben gingen zwei Gäste zufällig vorüber.
»Die Sepiascizze ist vortrefflich. – Es sind Papiere, die ich haben muß und sollte er mein Stilet kosten. Merk' auf, wenn ihr Gespräch endet – ich darf ihn nicht aus den Augen verlieren, – Die Kleine hat Dir also vollständig vertraut?«
»Sie hat mir vor einer halben Stunde in ihrem Schlafzimmer Diamanten ihrer verstorbenen Mutter ausgehändigt, die wenigstens zehntausend Thaler werth sind, um sie zu verkaufen und das Geld zu ihrer Befreiung von ihrem Verlobten anzuwenden.«
»Wir werden es billiger haben. Kann man in das Innere des Pavillons gelangen?«
»Mit leichter Mühe. Das innere Zimmer hat keine Riegel – der Eingang des kleinen Vorzimmers von den Stufen würde für eine geschickte Hand leicht zu öffnen sein, auch wenn sie das Turtelpärchen verschlossen haben sollte. Aber warum? – Der Graf steht auf.«
»Dann schnell – Du wirst Alles erfahren. Nochmals, halte Dich bereit, verlaß die Gesellschaft, wenn wir gehen und wenn Du mein Zeichen hörst, so sei am Fenster!« »Ihre Kritik, Signor, über diese Skizzen,« sagte die Gräfin laut, »zeigt den vollendeten Kenner und die liebenswürdige Nachsicht des galanten Cavaliers. Ich danke Ihnen im Namen meiner Freundin, der Malerin, dafür.«
Sie deutete mit einer Bewegung der Hand nach der Oberstin, die eben herbeikam.
Der Doktor wechselte einige gleichgültige Redensarten mit der Dame des Hauses, bis Graf Sforza zu ihnen herantrat.
»Sie entschuldigen, Signora, wenn ich mich entferne und meinen Freund Ihrer angenehmen Gesellschaft entführe. – Wir wollen morgen einen kleinen Ausflug in die Nachbarschaft machen und ich bitte Sie deshalb auch, bei meiner Braut mich zu entschuldigen. – Ich hoffe, daß Sie dieselbe vor jeder Zudringlichkeit bewahren,« fügte er leise hinzu! – »nur so lange, bis unser Werk gethan!«
Er nahm den Arm des Doktors und entfernte sich mit ihm. Indem er durch den Salon ging, flüsterte er dem Marchese Ferari zu: »Wir treffen uns an der Ecke der Straße.«
Der Angeredete bejahte. »Sobald Balduccio sein Spiel beendet, kommen wir!«
Der Graf hatte mit dem Doktor das Haus verlassen, beide in ihre Mäntel gehüllt.
Sie gingen schweigend die Straße entlang, bis sie nach dem Platz des Lentasio einbogen.
Der Nobile schaute sich um, der Platz war leer, da der Trauerfeier wegen an dem Abend keine Theatervorstellung stattgefunden. Nachdem er sich überzeugt, daß sie allein waren, lud er mit einer hastigen Bewegung seinen Begleiter ein, auf einer der Marmorbänke Platz zu nehmen.
»Sie müssen mir Rede stehen, Sapieha,« sagte er mit unterdrückter Leidenschaft, »denn ich will wissen, woran ich bin, ehe ich Mailand verlasse.«
»So gehen Sie wirklich, Signor Conte?«
»In einer Stunde muß ich Mailand im Rücken haben. Der Vetturin, der mich nach Bergamo bringen soll, wartet an dem Kreuzweg der Strada Ferrata gegenüber dem Eingang zum Lazareth. Auch deshalb muß ich mit Ihnen sprechen. Ich habe Vertrauen zu Ihnen und Sie müssen mir einen Dienst erweisen.«
»Sie wissen, daß ich stets dazu bereit bin, doch ist es schwer, wenn man nur halbes Vertrauen genießt.«
»Das soll sich ändern, wir konnten früher nicht wissen, ob man sich ganz auf Sie verlassen könne. Ich habe mich überzeugt und es ist jetzt nur eine Form, wenn ich Ihren Eid fordere, Alles was Sie erfahren, selbst dem Priester nicht zu verrathen.«
»Bah – ich gehöre zur griechisch-unirten Kirche, Graf und da sind wir so penible mit der Beichte. Aber ich schwöre Ihnen mit Vergnügen, wenn Sie dies beruhigen kann, daß Ihre Geheimnisse bei mir so sicher sind wie bei Ihnen.«
»Wohlan denn – Sie wissen bereits, daß ich noch heute fort muß nach Bergamo.«
»Sie haben es mir gesagt – aber wie werden Sie bei Nacht durch die Wachen am Thor passiren?«
»Nichts leichter als das – wir kennen die Loosung: »»Custozza««. Wir haben nicht umsonst unsere Freunde in der Armee unserer Tyrannen. Der Wagen wartet an der bestimmten Stelle und weicht nicht von dort, bis ihm der Name dessen, der mich nach Bergamo sendet, gegeben ist.«
»Also Garibaldi?«
»Richtig. Sie wissen bereits, daß er unter dem Schutz der Fremdenmenge, die angeblich das Leichenbegängniß her gezogen, sich hier befindet. Aber was Sie nicht wissen ist, daß außer ihm die zuverlässigsten Mitglieder des Bundes des jungen Italiens sich hier versammelt haben und übermorgen im Augenblick des Leichenbegängnisses sich tausend bewaffnete Arme erheben werden um über die Söldner der Tyrannen herzufallen und Italien das Signal zur allgemeinen Erhebung zu geben, die der österreichischen Herrschaft ein Ende machen wird.«
»Aber die Truppenzahl der Oesterreicher ist nicht unbeträchtlich – unterschätzen Sie nicht die Gefahr?«
»Cospetto – die ganze Bevölkerung von Mailand wird sich wie ein Mann erheben und uns anschließen, wenn sie erst Blut sieht. Die Truppen mit Ausnahme einer geringen Besatzung des Kastells, die Türr leicht überwältigen wird, sind sämmtlich bei dem Leichencondukt und ohne Munition, da sie keine Ahnung von dem Schicksal haben, das ihrer wartet. Unter einem Führer, wie Garibaldi, kann der Ausgang nicht zweifelhaft sein. Das Blut der verhaßten Deutschen wird die Straßenrinnen von Mailand füllen.«
»Aber selbst wenn der Hauptstreich hier gelingt, es wird rasch Hilfe aus allen Garnisonen mit der Eisenbahn hier sein.« »Per bacco, Sie trauen uns wenig Umsicht zu. Alle Generale, die besten Führer der österreichischen Armee werden sich übermorgen in Mailand befinden und unsere Dolche und Kugeln werden sie zuerst finden. Auf der ganzen Eisenbahn bis Venedig sind unsere Vertrauten vertheilt, jeden Verrath zu verhindern und im Augenblick des Losbruchs die Schienen und die Telegraphendräthe zu zerstören. Um dies zu überwachen, muß ich eben nach Bergamo und Brescia. Sobald Mailand das Signal gegeben, werden in den anderen Städten bis Venedig Aufstände erfolgen, die den Garnisonen hinreichende Beschäftigung geben. Parma, Florenz und Modena sind längst bereit, bei dem ersten Zeichen die Trikolore zu erheben und ihre Tyrannen zu verjagen oder noch besser, sie ganz unschädlich zu machen. Und was ich hier in der Brusttasche trage, wird auch dem Furchtsamsten Vertrauen geben.«
»Zum Henker – Sie tragen doch nicht eine Alliance in der Tasche?«
»Und warum das nicht? – rechnen Sie in Polen nicht mit Bestimmtheit auf eine Unterstützung Frankreichs im günstigen Augenblick? Nun wohl, unser Weg nach Paris geht über Turin und ich habe hier die Beweise, daß Graf Cavour uns nicht im Stich lassen wird. Wenn Sie wüßten, was in Paris vielleicht schon in 24 Stunden geschieht, – würden Sie nicht zweifeln, daß wir auch dort der Hilfe sicher sind.«
Bei all' seiner Selbstbeherrschung hatte der Doktor eine Bewegung nicht unterdrücken können, als er sich unerwartet, so greifbar am Ziel sah und die Hand zuckte unwillkürlich unter dem Mantel nach dem kurzen Stilet in der Brusttasche seines Gilets, um durch einen kräftigen Stoß sich der wichtigen Dokumente zu bemächtigen. Aber eine kurze Ueberlegung bewies ihm, daß er denselben Zweck auf sicherere Weise erreichen würde, indem er sich der eigenen Leidenschaften seines Opfers bediente. Er hatte gesehen, daß der Graf auf der Soiree der Oberstin stark dem feurigen Schaumwein von Asti zugesprochen und daß seine Heftigkeit nur des Anstoßes bedurfte, um auszubrechen.
»Das ändert die Aussichten. Aber in welcher Art kann ich Ihnen persönlich dienen, Freund?«
»Ferari und Balduccio bleiben hier, aber sie werden mit der Rolle, die sie in dem Unternehmen spielen, genug zu thun haben. Ferari hat es überdies übernommen, für diesen deutschen Flegel zu sorgen und ihn mir vom Halse zu schaffen. Aber um was ich Sie bitten will, ist an dem Tage den Schutz der Damen zu übernehmen und Julia zu überwachen, denn die Gräfin wird es sicher an einer Demonstration nicht fehlen lassen.«
»Ich fürchte, Signor Conte, ich werde da Nichts mehr zu beschützen haben, was für Sie von Werth ist!«
Der Italiener fuhr empor. »Beim Blute Christi, ich will endlich wissen, was Ihre Anspielungen bedeuten! Wenn Sie mein Freund sind, so sprechen Sie offen heraus – ich fordere Beweise, um zu handeln!«
»So glauben Sie wirklich an die naive Unschuld der kleinen Bignatelli?«
»Ich glaube an die Tugend keines Weibes, aber die Oberstin wacht über diese und – Höll' und Teufel, wenn es wahr wäre, daß man mich betrogen ...«
»Nun wohl, Signor Conte – wenn Sie Ueberzeugung wollen, ich kann sie Ihnen verschaffen.«
Der Italiener hatte knirschend seinen Arm gefaßt. »Reden Sie – Julia ...«
»Die schöne Signorina Julia Bignatelli liegt in diesem Augenblick wiederum in den sehr kräftigen Armen ihres Liebhabers, des Baron von Trautmannsdorf und ich bin bereit, sie Ihnen in dieser Situation zu zeigen.«
»Dann soll sie sterben mit ihm, so wahr ich Sforza heiße. Führen Sie mich hin oder ich ermorde Sie selbst.«
»Sachte, sachte, Signor Conte,« sagte lachend der Doktor. »Ich finde es in der Ordnung, daß Sie sich eine kleine Revange dafür bereiten wollen, daß Ihre Braut einen Andern küßt, und daß Sie Ihren Nebenbuhler an den ersten besten Laternenpfahl befördern möchten. Aber an einer so reichen und hübschen Dame, wie die kleine Julia, Ihre Rache zu kühlen, das wäre vor der Hochzeit geradezu eine Dummheit, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie Nichts weiter erfahren, ehe Sie nicht vernünftig geworden.«
Der Graf schwieg einige Augenblicke, während er die Lippen fast blutig biß, dann sagte er mit dumpfer Stimme:
»Führen Sie mich – ich werde Ihrem Rath folgen!«
Der Doktor hatte sich bereits erhoben und wies nach der Richtung der Casa Paulina. »So lassen Sie uns gehen, dort werden wir auch Ihre Freunde treffen. Unterwegs sollen Sie das Nöthige erfahren.« Sie gingen hastig über den Platz der Querstraße zu, die an der Gartenmauer der Casa nach dem Corso der Porta Romana zuläuft.
»Haben Sie Waffen bei sich, Signor Conte?«
»Nur mein Stilet, aber die Klinge ist vorzüglich, und meine Terzerols. Meine andere Waffen finde ich im Wagen.«
»So geben Sie mir die Terzerole – sie nutzen Nichts und könnten unnöthigen Lärmen machen. – So! Sie kennen den Pavillon im Garten der Casa – nach dem Theater zu?«
»Jawohl!«
»Nun – dort pflegt die Signorina ihre kleinen Liebesfreuden abzuhalten und sie befindet sich in diesem Augenblick wieder daselbst, wenn das Pärchen sich nicht etwa schon getrennt hat, was ich kaum glaube. Aber wir können uns leicht davon überzeugen.«
Er wandte seinen Schritt nach der Villa, wo die Gartenmauer an die Anlagen stößt.
Ueber der Mauer, in der Höhe von etwa 20 Fuß erhob sich das Belvedere mit dem Pavillon.
Die Jalousieen waren dicht geschlossen, im ersten Augenblick Nichts zu bemerken.
Aber das Auge der Eifersucht sieht scharf.
Der Graf preßte den Arm Lazare's. »Ha – sehen Sie dort, jenen leuchtenden Punkt – beim Himmel, es ist Licht in dem Pavillon.«
»Da tafeln sie wahrscheinlich zusammen, oder erfreuen sich sonst allerlei Genüsse. – Nichts da – Sie sollen es bequemer haben, kommen Sie!«
Er zog den Sträubenden mit sich fort in die ziemlich enge Gasse hinein, die zum größten Theil von den Gartenmauern der Häuser nach der Hauptstraße zu gebildet wird.
Der Doktor blieb an dem Pförtchen stehen, das hier in den Garten fühlte. »So – jetzt sind wir am Ziel – und die beiden Gestalten dort am Eingang des Corso's sind Ihre Freunde, die Sie bereits erwarten. Aber ehe wir sie holen – sollen diese vollständig in das kleine Scandalosum eingeweiht werden? Es ist das später gerade nicht angenehm für einen Ehemann.«
»Nein – ich bin allein Mannes genug, mit dem Schurken fertig zu werden,« sagte hastig der Graf. »Sie mögen den Garten hier von Außen bewachen, damit er nicht entkommt. Kein Wort, Freund, von der Anwesenheit der Pflichtvergessenen! Sie allein dürfen mich begleiten. Aber wie kommen wir in den Garten?«
»Bah – Verliebte sind selten vorsichtig und da sehen Sie das Beispiel!« Er hatte an die Thür gedrückt und diese leise geöffnet. »Auf diesem Wege muß offenbar der Rittmeister eingetreten sein. – Jetzt, indeß ich das Feld rekognoszire, holen Sie Ihre Freunde hierher.«
Er trat in den Garten; wie gedacht, steckte der Schlüssel an der inneren Seite in der Thür und er zog ihn sofort ab. Alles war still umher, – das Geräusch einer kleinen Fontaine, die wenige Schritte entfernt von ihm plätscherte, unterbrach allein die Einsamkeit. Der Doktor trat einige Schritte vor und bog um ein trotz des Laubmangels dichtes Bosket, das ihm die Aussicht auf das Haus versperrte. Die Fenster des oberen Stockwerks waren erleuchtet, mit Ausnahme jener der Zimmer der jungen Erbin, ein Beweis, daß die Conversatione der Oberstin noch fortdauerte. Eben blitzte auch in dem Schlafzimmer der ungarischen Gräfin ein Licht auf, sie hatte also bereits die Gesellschaft verlassen, wie er es ihr angedeutet.
Der Doktor rieb sich mit einem boshaften Lächeln die Hände, »Es geht vortrefflich,« flüsterte er. »Es sollte mich sehr wundern, wenn der eifersüchtige Narr nicht Eins auf seinen Schädel bekäme, daß er genug hat und ich die Papiere ohne jede Mühe bekomme. Doch da sind sie!«
Er trat an das Pförtchen zurück, der Graf kam mit seinen beiden Vertrauten eben herbei.
»Ich habe meinen Freunden bereits mitgetheilt, Signor Sapieha,« sagte er hastig, »daß einer dieser frechen Tedeschi sich in den Garten eingeschlichen hat und Einverständnisse im Hause unterhält, um unser Geheimniß zu erspähen und uns alle an die österreichischen Galgen oder wenigstens nach Mantua oder dem Kufstein zu bringen. Der Spion darf nicht lebendig zurückkehren. Bleibe hier und bewache diese Thür, Kapitain, während Ferari sich an der Seite nach dem Lentasio verbirgt. Ihr habt doch Eure Stilete bei Euch?«
»Mailänder Stahl, lieber Junge, sei unbesorgt – ein Stoß zwischen die Schultern und das Spioniren soll ihm vergehen.«
»Sind Sie toll, Signori,« sagte der Doktor. »Der Körper eines österreichischen Offiziers morgen früh mit einem Dolchstoß auf der Straße gefunden, würde ganz Mailand in Allarm und alle Ihre Freunde in die Hände der Polizei bringen. Auch tödtet ein Dolchstoß nicht leicht so rasch, daß nicht Lärm dabei entstände.«
»Aber wir dürfen ihn unmöglich entkommen lassen und zum Handgemenge ist er uns wahrscheinlich zu stark.«
»Ich sehe, Signor Marchese, Ihre Landsleute können noch viel von den Indiern lernen. Geben Sie mir Beide ihre Taschentücher, Signori.«
Er nahm die dargereichten, ging zu der Fontaine und füllte sie mit nassem Sand, den er fest zusammendrehte. »So – da haben Sie eine vorzügliche Waffe, die noch lange nicht genug in unserm kultivirten Europa gewürdigt wird. Ein kräftiger Schlag mit diesem einfachen Streitkolben an die Schläfe oder in den Nacken hat dieselbe Wirkung wie ein guter Dolchstich, aber den Vorzug, daß er nicht die geringsten Spuren hinterläßt.«
Der Marchese probirte die eigenthümliche Waffe. »Es ist wahr,« sagte er – »sie muß einen furchtbaren Schlag haben. Wir wollen wenigstens sehen, was damit zu machen ist. Für den Nothfall bleibt mir immer der Stahl. Wenn Du uns brauchst, Sforza, so gieb das Signal.«
»Fort! fort!«
Der Graf hatte ungeduldig den Arm des Doktors gefaßt und drängte ihn in den Garten, dessen Thür der Spion leise in's Schloß drückte. »Wenn Sie noch länger zögern, erbreche ich allein die Thür des Pavillons!« »Still, still – ich hoffe, wir werden ohne Spektakel Zeuge einiger erotischen Amüsements sein können. Aber vergessen Sie Ihr Versprechen nicht, ruhig zu bleiben. Sie sind Ihrer Rache ja übermorgen sicher.«
Sie standen bereits an der Doppeltreppe des Ausgangs zu dem Pavillon, der unter hohen Nußbäumen an die Mauer stieß, und der Doktor war alsbald mit Katzentritten auf dem Plateau des künstlichen Hügels, auf dem das Gebäude stand, und besichtigte und betastete die Thür.
Sie war, wie er sich durch einen leisen Druck überzeugte, von Innen verschlossen; aber mit der Gewandtheit eines Diebes öffnete er mittelst der Spitze seines Stilets leicht das schlechte italienische Schloß.
Er winkte seinem Gefährten mit der Hand zur Stille und Vorsicht, dann glitten Beide in den engen dunklen Raum des Vorzimmers.
Ihnen gegenüber leuchtete unter der schlecht verwahrten Thür zu dem innern größeren Gemach ein breiter Lichtstrahl hervor – ein helles heiteres Lachen klang heraus, dann eine zärtliche schmeichelnde Stimme, der ein kräftigerer Ton antwortete.
Die Töne wurden zum Flüstern – der Laut zärtlicher Küsse mischte sich hinein – ein süßes Stöhnen leidenschaftlicher Erregung – jene süßen magnetischen, mehr gefühlten als gehörten Laute, wie sie allein die verschwiegenen Wände des jungfräulichen Brautgemachs empfangen; – dann –
Ein Fußstoß traf die leichte Thür, daß sie in Stücken flog – auf der Schwelle, den Mantel zurückgeworfen, stand mit wuthgeröthetem Gesicht der betrogene Verlobte – das Licht der Lampe züngelte wie eine Schlange auf dem Stahl in seiner Faust –
Eine weiche Hand hatte die seine, rauhe, an den Schwertgriff gewohnte erfaßt und zog ihn die Stufen hinauf.
Als sie durch das kleine dunkle Vorzimmer in das Boudoir getreten waren, das die größere Hälfte des Pavillons einnahm, empfand der deutsche Rittmeister ein wohlthuendes Gefühl. Auf dem Tisch brannte, durch die Glocke gedämpft, eine Lampe und hüllte alle Gegenstände in ihren sanften verführerischen Schein, die ganze Einrichtung athmete nach seinen Wünschen und Rathschlägen bei den geheimen Zusammenkünften, mehr die deutsche Gemüthlichkeit, als die italienische Nonchalonce, wenn auch noch immer die ernste Ordnung und Sauberkeit fehlte.
Die junge Erbin hatte ihn zu dem ziemlich breiten und geräumigen Divan gezogen, der eine Seite des Zimmers einnahm.
»Endlich, Enrico – wie unendlich habe ich mich gesehnt, Dich zu sprechen,« rief sie, die stattliche markige Gestalt des Freiherrn umschlingend. »Diese Verstellung, dieses Verhältniß, in dem ich wie eine Sklavin, wie eine Waare behandelt werde, ist nicht mehr zu ertragen!«
»Aber was hast Du, was willst Du, cara mia?«
»Was ich will?« rief die junge Italienerin leidenschaftlich. »Dich unbehindert an mein Herz drücken, in jedem Augenblick Dir sagen, daß ich Dich liebe; nicht mehr von dieser kalten nur für Politik zugänglichen Frau wie ein Kind am Gängelband behandelt werden und täglich dieses verhaßte Gesicht ertragen, das sich bereits mein Herr dünkt und von meinem Vermögen seinen zerrütteten Kredit wieder herstellen will. Ich bitte Dich, Enrico, Du bist ein Mann – mach diesem Zustand ein Ende! Du weißt, daß ich Dein bin und Alles will, was Du willst!«
Er hatte sie auf seinen Schoos gezogen. »Närrchen! mein liebes Herz – ist das auch wahr?«
Sie hatte die Arme um ihn geschlungen und seinen kräftigen Nacken zu sich nieder gezogen. Ihre brennenden rothen Lippen preßten sich auf die seinen, ihr Busen hob sich heiß athmend aus dem weißen verrätherischen Nachtkleid an seiner starken breiten Brust.
»Bin ich nicht Dein Eigenthum, liebe ich Dich nicht mit jeder Fiber meiner Seele? Kalter Tedescho, wie kannst Du so hart und gleichgültig sein bei dem Leiden Deiner Julia? Aber geht, Ihr Tedeschi tragt das Eis der Alpen statt eines glühenden Herzens in der Brust und Du vor Allem weißt nicht, was Liebe ist!«
Der Rittmeister strich ihr lachend die Haare aus dem Gesicht. »Du bist ein Kind und glaubst nicht an das, was Du sprichst. Laß uns von dem Nothwendigen reden, – was ist geschehen?«
»Heilige Jungfrau,« wehklagte die Signorina, »ist es noch nicht genug, daß Du heute Streit gehabt hast mit Signor Sforza? Was wird geschehen – ich zittere bei dem Gedanken daran, ich sehe Dich von ihren Dolchen durchbohrt – mein einziges Leben, das Glück meiner Seele, für das ich Alles hingegeben, selbst mein Vaterland! Glaube mir, sie sind gefährlich, ich kenne sie!«
Eine dunkle Wolke zog flüchtig über die Stirn des Offiziers, während er an das frevelhafte Spiel um Tod und Leben dachte und wußte, daß in der Brusttasche auf seinem Herzen die verhängnißvolle Entscheidung ruhte.
»Trage keine Sorge um mich, Julietta,« sagte er endlich – »ich kenne diese Herren, sie beißen wie schlimme Hunde in die Kette, die sie fesselt, aber ihr Bellen ist nicht gefährlich. Bevor 24 Stunden vergangen, wirst Du frei sein!«
Sie sah ihn fragend an. »So handelst Du in Verbindung mit der Gräfin?«
»Mit welcher Gräfin?«
»Ei – mit unserer Freundin, die mich heute so geschickt in der Villa Reale allein ließ und dann alle Schuld auf sich nahm. Mit der Contessa Zrynyi.«
»Sie hat Dir versprochen, Dich von dieser Verlobung zu befreien? sie weiß um unser Verhältniß?«
»Gewiß und auch, daß wir in diesem Augenblicke zusammen sind – sie ist bei der Oberstin, um allen Verdacht abzulenken.« Sie erzählte ihm naiv ihre Unterredung mit der Gräfin und daß sie am Abend, kurz vorher, bevor sie sich unter dem Vorwand der Migräne entfernt, ihr einige werthvolle Schmucksachen ihrer Mutter eingehändigt, um darauf ihr das Geld zu verschaffen, das die Gräfin als nöthig bezeichnet hatte.
Der Rittmeister schüttelte den Kopf. »Diese Protektion will mir nicht gefallen« sagte er warnend, – »die Frau steht in keinem besonderen Ruf und ist keine Vertraute für ein junges Mädchen. Sie stand schon früher auf Seite der Rebellen und geht hier nur mit unseren enragirtesten Feinden um. Du selbst mußt das wissen!«
»Oh, ich bürge für sie – sie meint es gut mit uns, und was die Politik betrifft, so weiß sie selbst Nichts, als daß sich, wie sie sagt, wichtige Ereignisse vorbereiten; denn sie hat mich nach den Fremden gefragt, mit denen die Oberstin sich einschließt und mir den Auftrag gegeben, genau aufzupassen und ihr Alles zu sagen.«
Der Rittmeister war aufmerksam geworden. »Von welchen Fremden sprichst Du?«
»Bah – es müssen Italianissimi sein, sie werden wieder ein Mal ein Bischen Revolution machen. Das wäre mir schon ganz recht, denn sicher ist der Sforza auch dabei und dann würde er todtgeschossen. Nicht wahr, Enrico, süßes Herz, Du thust mir einen Gefallen?«
»Welchen, mein Kind?«
»Wenn Du Dich mit dem Abscheulichen duellirst, wie die Gräfin sagt, daß es geschehen würde, dann tödtest Du ihn auf der Stelle, damit er mir nicht wieder vor die Augen kommt.«
Der Baron bog das Mädchen, das so unbefangen über das Todtschießen ihres Verlobten sprach, als verstände sich das von selbst, zurück und sah ihr in das hübsche Gesicht.
»Aber Julietta, hat Dich die Gräfin nicht vielleicht auch darauf aufmerksam gemacht, daß ich der Unterliegende sein könnte?« »Oh caro mio – was sprichst Du? warum willst Du mich erschrecken? Du und der Sforza? wie kann da ein Zweifel sein!«
Das naive Vertrauen schnitt ihm durch das Herz. Er fühlte die Pflicht, sie wenigstens auf das Unheil vorzubereiten, das über ihrer Liebe schwebte.
»Theure Julia,« sagte er ernst – »bedenke, daß Du Dein Herz einem Soldaten geschenkt hast, dessen Leben jeden Augenblick seinem Kaiser und Vaterland und der Kugel oder dem Stahl eines Feindes gehört. In dieser Stadt und bei dem unsinnigen Haß Deiner Landsleute ist das Leben auch des Tapfersten desto unsicherer, und Du mußt Dich an den Gedanken gewöhnen, daß die nächste Stunde uns auf immer trennen und die gebieterische Pflicht mich von Dir nehmen kann!«
Sie sah ihn mit Entsetzen an, – der Gedanke, daß er, der starke, lebenskräftige, geliebte Mann zum Opfer fallen könnte, war ihr gar nicht in den Sinn gekommen.
»Heilige Jungfrau, Enrico, rede nicht so! Wie könnte ich leben ohne Dich – Du mein Alles – mein Licht, meine Seligkeit! Du tödtest mich mit solchen frevlen Gedanken!«
Sie war von seinem Knie niedergesunken an ihm, ihre Arme zogen umschlingend seinen Kopf zu ihr nieder, ihre dunkelen Locken flogen über den entblößten Nacken und die heiß ihm entgegenwogende Brust. Die glühenden Lippen preßten sich auf die seinen, als wollten sie in dem Feuer, das ihnen entströmte, die Bürgschaft des Lebens geben. Die Nerven des kräftigen Mannes erbebten unter dieser leidenschaftlichen Umarmung. Er zog die Geliebte zu sich empor, er empfand in ihrem warmen Leben, in ihren heiß ihn umschlingenden Gliedern die ganze Seligkeit jenes Lebens, das er in dem kalten Stolz der Mannesehre so frevelhaft auf's Spiel gesetzt, das er ohne Kampf, ohne Rache, ohne Ringen und Widerstand vielleicht schon mit der nächsten Sonne von sich werfen und durch die eigene Hand mit der kalten Einsamkeit des Grabes vertauschen sollte.
Und vor ihm dieses Leben in seiner glühendsten verlockendsten Gestalt!
Der Ton jener übermüthigen Männerherrschaft, den er der Geliebten gegenüber stets gebraucht, schwand vor dem Ausbruch des wahren Gefühls, vor der Erregung der erweckten Leidenschaft.
Er zog sie halb mit Gewalt zu sich empor, er preßte sie an seine breite Brust, den entfesselten ihm aus dem leichten Nachtgewand entgegenwallenden Busen, sein Mund drückte heiße Küsse auf die ihm entgegenschwellenden Glieder.
»So liebst Du mich wirklich, Julietta, so würde mein Tod Dir wahren Schmerz bereiten?«
»Er ist der meine, Enrico, mit Dir allein ist Leben!«
»Und Du giebst mir das Deine?«
»Ganz – Leib und Seele – ich athme nur Dich, ich bin Dein Weib, das mit Dir lebt und stirbt!«
»Mein Weib! – Gewiß, und wenn alle Fanatiker Italiens sich dazwischen drängten, Du sollst es sein! Ich will die Seligkeit genießen und wenn die nächste Stunde den Tod brächte!«
Er hielt sie umschlungen; sie selbst mit dem stürmisch klopfenden Herzen, mit den flammenden Augen, dem glühenden verzehrenden Odem der Leidenschaft, zog ihn nieder zu sich auf die Kissen des breiten Divans.
Die Lampe warf ihren matten Schein – es war so still, so süß, so schwül in dem kleinen Gemach trotz des Winterfrostes draußen.
War es die Gluth, die aus dem Kohlenbecken aufstieg und das Zimmer erfüllte, oder war es die Gluth zweier junger zitternder Herzen, welche die Atmosphäre erfüllte?
»Heilige Jungfrau – war das nicht ein Geräusch?«
»Du irrst – nur der Wind, der draußen durch die Bäume fährt! – ich lasse Dich nicht – Du bist mein, mein Weib!«
Und wieder drückte er die Erschreckende in seinen Armen nieder und sie widerstrebte nicht, und die Herzen pochten aneinander und die glühenden Lippen suchten sich.
»Dein Enrico – Dein – Dein Weib, Dein Alles!«
Die Luft war so heiß – jeder Odemzug glühendes verzehrendes Feuer der Sinne, das aus allen Pulsen strömte – nur der Laut eines glühenden Kusses, eines ersterbenden Seufzers durchbebte das kleine Gemach.
Da plötzlich von gewaltigem Stoß flog die leichte Thür aus ihrem Schloß, in dem dunkelen Rahmen mit todtsprühenden Augen, mit fahlem Gesicht, mit zuckenden Lippen stand der Graf – der Bräutigam – der Betrogene.
Hinter ihm, im Dunkel des Vorzimmers lauschte ein zweites Gesicht, eine Miene voll Spannung und hämischen boshaften Ausdrucks.
Der Schein der Lampe blitzte auf die helle schmale Klinge des Stilets in der Hand des Nobile. Das heiße rachsüchtige Blut der Sforza schien aus den flammenden Augen zu springen.
»Metze – schändliche Buhlerin! Du sollst sterben, Du und Er!«
Mit dem Sprung des Tigers war er, den leichten Tisch umstürzend, an ihnen und hob die Faust zum Stoß.
Ein leichter Schrei – die Signorina war hinter ihren Geliebten geflüchtet und kauerte, das weiße Gewand um sich ziehend, in einer Ecke.
Die Klinge blitzte – im nächsten Augenblick klirrte sie nieder auf den Boden – die kräftige Hand des Deutschen hatte den Arm des Italieners am Handgelenk gefaßt und so gewaltig gepreßt, daß den zuckenden Fingern die Waffe entfiel.
»Nieder mit ihm, Sapieha! Wenn Sie ein Mann sind, schießen Sie ihn nieder!«
Der Rittmeister hatte seine ganze Kaltblütigkeit wieder gewonnen – sein Fuß stand auf den Dolch.
»Meuchelmörder!« sagte er verächtlich – »kommt heran, wenn Ihr es wagt!«
Seine kräftige Faust hatte den Italiener an die Thür zurück geschleudert, ein Schritt und er hatte den abgeschnallten Pallasch in der Linken und die Rechte am Korbgriff der treuen Waffe.
»Heran, feige Mörder!« Der Nobile, schäumend über die Schmach, streckte den Arm zurück. »Die Pistole, Sapieha – die Pistole!«
Aber der falsche Sapieha war nirgends zu sehen – er war plötzlich verschwunden und dachte an Nichts weniger, als seinem Gefährten die Feuerwaffe zu reichen.
Der Baron winkte dem Mädchen. »Ihren Mantel, Signora Julia, kommen Sie!«
Er hatte den seinen über die Schulter geworfen und half dem zitternden beschämten Mädchen, sich in den weiten dunklen Mantel einhüllen, unter dessen bergender Hülle sie durch den Garten geschlüpft war.
»Kommen Sie, Julia – dies ist kein Platz für Sie! – Geben Sie Raum, Signor!«
»Nicht von der Stelle und sollte ich Dich mit meinen Händen erwürgen!«
»Probiren Sie es! zum letzten Mal – fort von der Thür!«
Der Graf in seiner blinden Wuth, obschon er waffenlos war, wollte sich auf ihn stürzen, als eine Stimme an sein Ohr flüsterte: »Das Couvert – sein Leben ist in Ihrer Hand!«
Eine höllische Freude zuckte über das zornblasse Gesicht des Italieners. »Halt, Verräther, keinen Schritt weiter – Du selbst sollst Dich richten vor den Augen dieser Nichtswürdigen! Die Stunde ist längst vorüber – hier ist Dein Leben in meiner Hand!«
Er hielt das verhängnißvolle Couvert ihm entgegen – diesmal erbleichte auch der Offizier leicht – er ließ den Arm des Mädchens los, das erschrocken auf ihn starrte und trat einen Schritt zurück.
»Machen Sie ein Ende – ich werde als Mann mein Wort erfüllen, nur lassen Sie die Dame mich zuvor entfernen!«
»Nimmermehr – hier, vor ihren Füßen!« Er hatte das Siegel zerrissen und hielt das Papier ihm entgegen.
Der Rittmeister begegnete bleich mit finsterm aber entschlossenem Blick den funkelnden todsprühenden Augen seines Feindes, – dann heftete sich das seine langsam auf das Papier.
Ein rother Fleck zeigte sich auf seiner gebräunten Wange – dann verbreitete sich ein spöttisches Lächeln über sein männlich schönes Gesicht.
»Signor Conte,« sagte er leicht, den Arm des zitternden Mädchens wieder unter den seinen ziehend, – »ich bewahre mir die Revange für diese Scene, und merken Sie es wohl, ich ziehe es vor, Ihnen meinen Wechsel noch nicht zu präsentiren. Und jetzt machen Sie gefälligst Platz für mich und meine Braut!«
Der Graf zuckte zusammen, als wäre er von einem elektrischen Schlage getroffen. Seine Augen starrten auf das Papier in seiner Hand – die Röthe des Zornes, die bisher sein Gesicht überzogen, wurde zur fahlen Leichenfarbe.
Das Papier in seiner Hand – der Wechsel auf Tod und Leben – war leer – das leere Formular – ohne Schrift.
Seine Gestalt fiel gebrochen zusammen – er wich langsam, Zoll um Zoll zurück, wie der Deutsche, die Signorina am Arm, auf ihn zuschritt.
Die Thür war offen – der Doktor war verschwunden, – der Rittmeister verließ mit festem ruhigem Schritt, ohne es auch nur der Mühe werth zu halten, nach dem Gegner umzuschauen, das Gemach und den Pavillon.
Der Graf war haltlos, kraftlos, mit beiden Händen auf die Kissen des Divans gestützt, der wenige Augenblicke vorher der Zeuge seiner Schande und des Liebessieges seines Todfeindes gewesen war, zurückgeblieben.
Seine Augen waren starr auf den Boden geheftet – um seine Lippen zuckte es krampfhaft.
Jeder Nerv in ihm fühlte die Schrecken des Todes, den er sich selbst geben mußte, sobald Jener es forderte!
»Zum Teufel, das ist wirklich Pech, Conte,« sagte eine frivole Stimme neben ihm. »Der Coup war vortrefflich, und Sie hätten keine bessere Revange haben können für die verdorbene Hochzeitsnacht, als wenn dieser ungeschlachte Narr sich vor den Augen der kleinen Julietta selbst hätte aufhängen oder füsiliren müssen. Der Spaß wäre kostbar gewesen und hätte kaum jener Brautnacht nachgestanden, die ich in Temesvàr erlebte. Das ist nun Alles Nichts und Sie können alsbald das Vergnügen genießen, sich selbst eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wenn Sie sich nicht so schleunig als möglich aus dem Staube machen.«
Der Graf sah ihn wirr an, als verstände er ihn nicht. Seine Lippen murmelten einige unverständliche Worte.
»Kommen Sie, sein Sie ein Mann, es ist noch Nichts verloren, da er ein solcher Narr gewesen ist, Ihnen nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten« meinte der Doktor, seinen Arm schüttelnd. »Hoffentlich haben Ihre Freunde besseres Glück, als Sie selbst.«
Der Nobile fuhr mit einem wilden Fluch aus seiner Betäubung auf. »Sein Sie verdammt bis in die Tiefen der Hölle« rief er. »Warum gaben Sie mir das Pistol nicht, das Sie mir gestohlen?«
»Daß wir unnütz Lärm gemacht und uns vielleicht eine Patrouille auf den Hals gezogen hätten! Und wenn Sie ihn fehlten, schlug er Sie todt wie einen Hund. Aber still – hörten Sie Nichts?«
Er sprang nach der Jalousie und versuchte das Fenster zu öffnen.
Man hörte auf dem gefrornen Schnee draußen dicht unter den Fenstern des Pavillons einen raschen kräftigen Schritt – dann ein paar Worte, wie von Zweien, die sich begegnen und eine deutsche Verwünschung, im nächsten Augenblick einen schweren Fall.
»Beim Satan, Signor Conte – sie haben die Courage gehabt, ihm den Garaus zu machen. Jetzt fort von hier, sonst könnte uns die Sache gefährlich werden.« Er löschte rasch die Lampe und zog ihn aus dem Pavillon und die Stufen hinab durch den Garten.
Wenige Augenblicke darauf standen sie an dem Seitenpförtchen der Gartenmauer, das zu der engen Gasse führte. Es wurde hastig angeklopft.
»Ludovico, bist Du hier?«
»Ja« sagte öffnend der Doktor für den Grafen – »was giebt es, was ist geschehen?«
»Macht Euch aus dem Staube,« flüsterte keuchend der Marchese – »geht durch die Gärten – er ist todt oder zum Mindesten so betäubt, daß er vorerst das Aufstehen vergißt. Ihre Waffe ist vortrefflich, Dottore; Balduccio, der einen Augenblick vorher zu mir gekommen, weil Ihr so lange bliebt, traf ihn, als er eben um die Ecke auf den Platz bog, von hinten, während ich ihn aufhielt.«
»Wo ist der Kapitain?«
»Fort – um sich an einem andern Ende der Stadt sehen zu lassen. Ich eile nach dem Commercio, um mich dort zu zeigen. – Du weißt, wohin Du Dich zu wenden hast, Sforza – unseren Dank für den Dienst kassiren wir später ein!«
Er eilte, in seinen Mantel gehüllt, mit raschem Schritt der Hauptstraße zu.
Der Graf, sobald er den Fall seines Feindes erfahren, war plötzlich ein anderer Mensch und hatte seine Geistesgegenwart wieder gefunden.
»Der Schurke hat seinen Lohn gefunden, der Teufel hat uns den Strick erspart« sagte er boshaft. Die Bignatelli muß schweigen um ihrer Ehre willen und in einer Stunde habe ich Mailand im Rücken, bis hier aufgeräumt ist mit den verfluchten Tedeschi. Schließen Sie geschwind die Thür, Signor Dottore und dann fort – ich weiß einen anderen Ausgang.«
Er zog den Doktor mit sich fort nach dem Gartenschuppen, durch den am Abend der Wechsler Mortara geführt worden war.
»Wohin gehen wir, Signor Conte?«
»In Sicherheit! – Sie in Ihr Bett und ich in meinen Reisewagen vor dem Lazareth. – Dieser Weg führt mittels eines Durchgangs durch einen andern in den Garten der Gräfin Montalban, dort sind wir in einer anderen Straße und kein Verdacht kann auf uns fallen.«
»Das ist vortrefflich,« sagte der Doktor – »aber bitte, Signor Conte, erlauben Sie, daß ich mich an Ihnen festhalte; es ist sehr finster hier und der Weg mir nicht so bekannt, wie Ihnen.«
Er legte im Dunkel des Schuppens die Hand auf seine Schulter.
»Hier, Signor – hier – kommen Sie – hier – Diavolo – mir wird so schwindelig – ich – –«
Man hörte in dem finstern Durchgang ein Geräusch, wie vom Anstoßen eines Körpers, dann einen schweren Fall.
Einige Augenblicke herrschte tiefes Schweigen, dann knisterte das Streichen eines Feuerhölzchens und einige Augenblicke darauf erglühte der matte Schein eines kleinen Lichtes.
In seinem Schein hätte man sehen können, wie der Doktor, der es in seiner Hand trug, sich über den vor ihm am Boden liegenden regungslosen Körper des italienischen Nobile niederbeugte.
Er hielt ein kleines Schwämmchen in seiner anderen Hand, das er nochmals an Nase und Mund des Bewußtlosen fühlte.
»So – die Dosis wird genügen, um diesen würdigen Abkömmling der Sforza einige Stunden hier in diesem Winkel in Ruh und Frieden zu halten. – Und nun wollen wir sehen, wo er die Papiere verwahrt, wenn er nicht etwa bloß eitel geprahlt hat.«
Er befestigte das kleine Wachslicht auf einem zur Seite stehenden leeren Faß und begann den Körper des Chloroformirten umzudrehen, als wäre er ein Stück Holz, und seine Taschen zu durchsuchen.
»Ein Spiel Karten – und wahrhaftig, edler Herzog, ein Spiel mit den beliebten Signaturen! Behalten Sie es – es ist in guten Händen. – Teufel, eine Rolle Gold? ich wußte nicht, daß Sie noch so bei Kasse sind. – Ah, hier ist die Brieftasche. – Zwei Briefe nach Bergamo und Brescia – und hier,« er brach ohne Weiteres das Siegel – »wahrhaftig, das ist sehr unvorsichtig von Herrn Cavour, so direkt sich zu verpflichten! Die Papiere, die der Dummkopf da in seiner Tasche umherschleppt, sind mindestens hunderttausend Gulden werth und gleichen vollkommen die kleine Unterschlagung von Plombières aus. Nun geschwind zur Gräfin!«
Er gab dem bewußtlosen Körper noch einen Stoß mit dem Fuß, ehe er das Licht ausblies, und verließ dann eilig den Schuppen, indem er sich sofort nach der Terrasse am Hause wandte und wie ein Schatten unter das erleuchtete Fenster des Schlafzimmers seiner Vertrauten glitt.
Ein leises eigenthümliches Pfeifen war das Signal. Sogleich verschwand der Lichtschein in dem Zimmer und nach einigen Sekunden wurde leise das Fenster geöffnet und eine Frau erschien in demselben.
Er stand dicht unter dem Fenster, so daß ihre Köpfe sich fast berühren und sie in flüsterndem Tone sprechen konnten. »Wer ist da?«
»Du siehst es. Bist Du bereit? »Zu was?«
»Zum Henker – mich zu begleiten. Wir müssen, wie wir gehn und stehn, Mailand in einer halben Stunde im Rücken haben!«
»Um Himmels willen, was ist geschehen?«
»Ich bin im Besitz aller Nachrichten über die Pläne des turiner Kabinets. Garibaldi und die verwegensten Führer der italienischen Nationalpartei sind in der Stadt – Alles ist vorbereitet, daß morgen beim Begräbniß des Marschalls eine Erhebung hier und zugleich in Florenz und Parma und an anderen Orten ausbrechen kann, – man will die sicilianische Vesper erneuern, und ich denke, das ist kein Aufenthalt für uns.«
»Aber dann ist es am Besten, noch diese Nacht unsere Maske fallen zu lassen und uns unter den Schutz Gyulay's zu stellen. Die Truppen sind stark genug, um, wenn sie gewarnt sind, jede Emeute zu unterdrücken.«
»Das wäre Thorheit, Martha – ich habe nicht die geringste Lust, das Verdienst dieser Entdeckung mit einem schlauen Jesuiten oder einem Beamten des Statthalters zu theilen. Die Papiere aus Turin sichern Dir den Ausgang Deines Prozesses. Mögen sie sich morgen hier die Hälse abschneiden, je mehr, je besser – was kümmert's uns! Ueberdies wären wir hier keine Stunde länger von beiden Seiten sicher – die Verschwörung hat ihre Fäden bis in das Kastell. Auf allen Bahnen bis über Triest hinaus haben sie ihre Agenten und Vertraute, selbst unter militairischer Eskorte wäre die Reise auf dem gewöhnlichen Wege nicht ohne Gefahr. Aber sie selbst, oder, vielmehr dieser Dummkopf von Sforza hat mir die Mittel an die Hand gegeben, ihnen zu entgehen. Der Schwamm mit dem Chloroform, der neulich die kleine Spröde im Hôtel so hübsch betäubte und willig machte, hat seine Wirkung gethan und der künftige Herzog von Mailand liegt wie ein Stück Holz im Holzschuppen. Wenn er am Morgen aufwacht, wird er genug zu thun haben, sich über den Mord seines Rivalen zu rechtfertigen.«
»Ueber was?«
»Zum Henker, über den Tod Deines würdigen Protegés für die kleine Erbin, des langen Kürassiers!«
»Des Baron von Trautmannsdorf?«
»Gewiß – wir überraschten ihn in einer sehr priapischen Situation mit der feurigen Italienerin. Teufel – mir wurde ordentlich warm hinter der dünnen Thür bei dem Liebesgestöhne. Ich erzähle Dir unterwegs den Spaß – jetzt eile Dich. Sforza's Busenfreunde, die ruinirten Schlingel, haben den verliebten Herkules am Platz des Lentasio vor einer Viertelstunde erschlagen und wenn man die Leiche findet, wird's Lärmen genug geben – darum eile Dich, so lange die Luft rein ist!« »Der Baron ermordet, – vor einer Viertelstunde? – Du träumst!«
»Unsinn – ich hörte den Schlag – ich war beinahe dabei.« – –
»Aber ich habe den Baron vor fünf Minuten die Treppe aus der Wohnung der Oberstin herunter kommen sehen – und die Kammerjungfer erzählte mir so eben, als Du das Signal gabst, daß es in der Conversazione der Oberstin eine Scene gegeben und Alles noch in Aufregung und Verwirrung ist.«
»Was soll das heißen?«
»Die Letzten der Gesellschaft wollten eben aufbrechen, als der Baron plötzlich in den Salon trat, die Bignatelli in einen Mantel gehüllt am Arm, und sie der Oberstin und der Gesellschaft als seine Braut vorstellte. Dann war das Paar eben so rasch verschwunden und er brachte sie bis an ihr Zimmer, wo sie sich eingeschlossen hat.«
Der Doktor lachte. »Wahrhaftig, das ist ein resoluter Soldatenstreich – aber er konnte nicht anders nach dem, was wir gehört und gesehen. Aber wie ist mir denn – Du hast den Rittmeister vor fünf Minuten selbst gesehen?«
»Durch die Thürspalte, leibhaftig, wie er mit klirrendem Tritt durch den Flur aus dem Hause ging. Dann rief ich das Mädchen und sie erzählte mir noch, als ich Dein Zeichen hörte.«
»Höll' und Teufel, aber dann kann er nicht todt sein und die Narren haben, ohne zu sehen, einen Andern erschlagen!«
»Wahrscheinlich!« »Der weiße Reitermantel muß sie getäuscht haben. Um so schlimmer – der Trautmanndorf wird Lärm machen und der Teufel weiß, was geschehen kann – die Zeit ist jetzt doppelt kostbar – wenn Du nicht in fünf Minuten fertig bist, mach' ich mich allein aus dem Staub!«
»Aber mein Gott – ohne alle Vorbereitung – ich habe Nichts zur Hand.«
»Es muß sein und Du bist Mann genug, um Dich rasch zu entschließen. Wirf einen Mantel oder Pelz um und raffe Deinen Schmuck zusammen – für Geld ist unterwegs Alles zu haben – aber jede verlorene Minute kann uns die Frucht aller Mühe kosten!«
Es war nicht das erste Mal, daß die vornehme Intriguantin sich der Nothwendigkeit eines raschen Entschlusses, einer eiligen Flucht gegenüber sah. Mit der Mahnung, wenige Minuten zu warten, fuhr sie in's Zimmer zurück – im nächsten Augenblick war Licht gemacht – der Doktor sah ihren Schatten rasch umhergleiten, um das Nöthigste zusammen zu raffen.
Ungeduldig wiederholte er das Signal – nach kurzer Zeit erschien die Gräfin wieder am Fenster, in einen Pelzmantel gehüllt, eine kleine Chatoulle unter'm Arm.
»Nimm! – die Thür ist noch offen, es sind noch Leute bei der Oberstin. In fünf Minuten bin ich bei Dir auf der Straße!«
»An der Ecke von San Nazzaro, ich erwarte Dich!«
Er eilte fort – gleich darauf knarrte die Gartenpforte, die er wieder verschloß. Einen Augenblick lauschte er nach dem Platz des Lentasio, ob sich dort vielleicht Lärm über die Entdeckung des Todten hören ließ, aber er vernahm Nichts und ging jetzt hastig nach dem Corso.«
Noch keine zehn Minuten waren vergangen und er hatte kaum Zeit gehabt, einen der nächtlichen Fiakre an der Kreuzung der Straßen gegenüber der Kirche anzurufen, als auch die Gräfin erschien.
Er hob sie in den Wagen.
»Alla Strada Ferrata«, lautete sein Befehl. »Aber ein wenig rasch, mein Junge – an der Ecke des Lazareth-Platzes, wo wir wohnen, hältst Du und bekommst fünf Lire Trinkgeld!«
Der Kutscher schlug auf den müden Gaul und der Fiakre rollte ziemlich eilig dem Borgo di Porta Orientale zu.
Es war in den ersten Morgenstunden, der beginnende Wintertag warf sein fahles Licht über die noch ziemlich menschenleeren Straßen der reichen altberühmten Lombardenstadt.
In dem engen schmutzigen Hinterzimmer einer Spelunke in einer Seitengasse unfern der Biblioteca Ambrosiana saß der berühmte Vorkämpfer der italienischen Revolution nach kurzer Nachtruhe auf dem einfachen Lager bereits wieder an dem Tisch, mit dem Niederschreiben einiger Dispositionen für den morgenden Kampf beschäftigt, als sein Begleiter, der Seemann, die Thür öffnete und eintrat.
»Zwei Briefe General – sie waren dem Savarini, unserem Wirth, zur schleunigen Abgabe empfohlen. Der eine trägt das Zeichen der Montalban.«
Er hatte die eng zusammen gefaltenen Billets auf den Tisch geworfen, der General öffnete das nächste.
»Per Baccho,« sagte er ärgerlich, – »es geschieht wie ich fürchtete. Cialdini ist fort – die Diplomaten des Herrn Cavour werden erst Courage bekommen, wenn wir eine Schlacht geschlagen haben.«
»Aber warum – was giebt er an, General?«
»Lesen Sie selbst Oberst, – der Vertraute des Herzogs von Modena und der Jesuit Corpasini haben noch gestern Abend spät eine Unterredung mit Gyulai und dem Polizeimeister gehabt. Es soll eine genaue Fremdencontrolle stattfinden, wie seine Spione ihm melden. Bah – sie mögen allgemeinen Verdacht haben, daß sich genug ihnen unangenehme Gäste unter den Fremden eingeschlichen haben, und wann hätten die Oesterreicher nicht Verdacht? aber sie wissen offenbar Nichts weiter, sonst wären wir benachrichtigt. – Unsere Leute kennen die Gelegenheit und werden sich nicht fangen lassen. Der Einzige, der sich und uns hätte compromittiren können, weil er fremd ist in Mailand und seine Verkleidung zu auffallend, der Graf Batthyànyi, ist in Sicherheit bei der Montalban.«
Der Ungar hatte das Billet aufgenommen. »Glück auf den Weg! ich traue dem Fuchs Cialdini überhaupt nicht. Wir werden ohne ihn fertig werden und für den geringen Verlust sind wir auf der andern Seite durch den Tod eines erbitterten Feindes und tüchtigen Kopfes entschädigt.«
Der General hatte das zweite Billet bereits geöffnet, blickte aber jetzt bei der Bemerkung des Ungars auf.
»Wen meinen Sie, Türr?«
»Den General Graf Loyos hat gestern Abend auf der Straße der Schlag gerührt, man hat ihn in der Nähe des Lentasio bewußtlos gefunden und in der Nacht ist er verschieden. Er hatte scharfe Augen und war hier für uns ein gefährlicher Mann.«
Der General hatte in das zweite Billet gesehen, plötzlich sprang er auf.
»Zum Teufel, was ist das? – Die Gräfin verlangt, daß wir sofort zur Manara eilen, – es muß ein Unheil geschehen sein; Sforza ist nicht fort, er liegt unter seltsamen Umständen krank im Versteck bei der Montalban, und ihre Mietherin, die Gräfin Zryni ist plötzlich verschwunden!«
»Wenn den Grafen der Teufel holte, es wäre nicht viel verloren an ihm,« sagte der Oberst, »aber Sie haben ihm gestern wichtige Papiere anvertraut – gegen meine Ansicht. Wir müssen auf der Stelle zur Oberstin.«
Er nahm die Mönchskutte von der Wand, deren sich der General Garibaldi am gestrigen Tage bedient hatte, und reichte sie ihm.
»Nicht den Anzug« sagte der General – »es ist genug mit den Diensten, die er gestern gethan hat und wir dürfen dem Glück nicht zu viel vertrauen. Dort der Rock und Schurz eines Handwerkers wird es auch thun und Sie selbst nehmen einen österreichischen Militairmantel.«
Die Verkleidung war nach wenigen Minuten geschehen und nachdem der Wirth, auf den sie sich in jeder Beziehung verlassen konnten, herbei gerufen und instruirt war, verließen sie durch zwei verschiedene Ausgänge das Haus und gingen in einiger Entfernung hinter einander die Straßen entlang.
Diese waren trotz der großen Fremdenmenge zu dieser Zeit noch wenig belebt – ein kalter Sprühregen, zuweilen mit Graupen und Schneeflocken vermischt, durchnäßte die Vorübergehenden und der Italiener liebt Nichts weniger, als den Regen.
Eine halbe Stunde darauf trat der Oberst zuerst in die Casa Paulina. Als der General ihm folgte, traf er den Freund und Vertrauten bereits mit dem zuverlässigen greisen Diener der Oberstin an der Treppe und erhielt einen Wink, sich nach dem hintern Ausgang zu wenden. Der alte Mann führte sie sofort nach dem Glashaus und dem anstoßenden Schuppen.
»Die Gräfin wird Ihnen sogleich folgen,« berichtete er. »Sie ist in den Zimmern der fremden Dame, die so plötzlich verschwunden ist, um nochmals Alles genau zu untersuchen. Die Signorina hat sich eingeschlossen und will Niemand zu sich lassen unter dem Vorwand, daß sie krank ist. – Hier Signori,« er wies auf die Stelle in dem Schuppen, – »habe ich vor zwei Stunden den Signor Conte gefunden, als ich zur Gräfin eine Bestellung bringen sollte. Er war halb erfroren und ohne Besinnung.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Drüben in dem Gartenzimmer der Gräfin, mit dem fremden Mylord zusammen!«
»Gut – führe uns, und halte dann Auge und Ohr offen, mein Alter!«
»Bei der heiligen Madonna, das thue ich Signor. Ich habe nicht umsonst meinen seeligen Herrn, Ihren Kriegsgefährten, nach Rom begleitet und hinter ihm gestanden in mancher schlimmen Nacht, bis der Franzose ihn traf, dessen Seele dafür ewig im Fegefeuer brennen möge!«
Sie waren jetzt durch die Verbindungsthüren der Gärten gekommen und hatten das Hintergebäude des Hauses der Gräfin Montalban betreten, in dem am Abend vorher die Versammlung der Verschworenen gehalten worden. Auf ihr Zeichen wurde die Thür geöffnet und sie traten ein.
Auf einem Ruhebett an der Seitenwand des Gemachs lag der junge Nobile. Er war noch immer nicht zur vollen Besinnung gelangt, aber die krampfhaften Bewegungen der Glieder bewiesen, daß die Lebensthätigkeit sich wieder in ihm regte.
Um das Lager standen drei Personen, die Gräfin Montalban Coinello, Graf Stephan Batthyànyi, und ein junger Mann, der sich eifrig mit dem Kranken beschäftigte.
Es war ein junger bereits vielgesuchter Arzt, der auf den Universitäten in Deutschland studirt hatte und gegen die Manier des unsinnigen Blutlassens seiner älteren italienischen Kollegen eifrig zu Felde zog. Der General erinnerte sich, ihn am Abend vorher unter den Verschworenen gesehen zu haben.
Er winkte den Anwesenden, sich nicht stören zu lassen und trat zu dem Ruhebett.
»Wie steht es mit dem Grafen?«
»Es ist ein ganz abnormer Zustand« sagte der Arzt. »Signor Sforza hat offenbar mehrere Stunden an dem Ort gelegen, wo man ihn gefunden. In dem gewöhnlichen Laufe müßte die Kälte ihn getödtet haben, denn wir hatten diese Nacht 6 Grad, dennoch ist dies nicht geschehen und die geringe Einwirkung des Frostes auf seinen Zustand ist durch die gewöhnlichen Mittel rasch beseitigt worden. Es muß offenbar eine andere Influenza gewirkt haben, welche den Grafen in diesen Zustand versetzt und die den Körper zugleich für die Einwirkung der Kälte unempfindlich gemacht hat.«
»Und welche Einwirkung kann das gewesen sein?«
»Ich würde glauben Signor Generale, wenn dazu irgend ein Verdacht vorläge, daß man ihn ätherisirt hat.«
»Cospetto, so wenden Sie die Mittel an, die ihn wieder zu Verstande bringen können.«
»Aber die Betäubung ist noch sehr heftig, es könnte geschehen, daß die gewaltsame Einwirkung später lebensgefährliche Folgen haben dürfte.«
»Zum Henker, das ist ziemlich gleichgültig, Leute wie ihn voll Eitelkeit und Prätension finden wir zu Dutzenden. Ich muß sofort, auf jede Gefahr hin, einige Fragen von ihm beantwortet haben.«
»Ihr Befehl soll vollzogen werden General« sagte der Doktor. »Bitte Signora Contessa, geben Sie mir das Fläschchen, das ich auf den Tisch dort gestellt, herüber.«
Die Gräfin hatte es ihm rasch gereicht – der Doktor öffnete es, goß einen Theil des Salmiakgeistes, den es enthielt, in die Hand und befeuchtete damit die Schläfe des Patienten.
Es erfolgten einige willenlose Bewegungen und Zuckungen.
Der Arzt hielt ihm vorsichtig zwei Mal das Fläschchen an die Nase und ließ ihn den scharfen Geist einathmen.
Ein tiefes Stöhnen antwortete dem Experiment, dann schlug der Graf langsam die Augen auf und starrte mit gläsernem Blick umher.
Der Doktor wartete eine Weile, dann wiederholte er das Mittel noch ein Mal. Der Patient fuhr unwillkürlich mit dem Oberkörper in die Höhe, ein krampfhaftes Nießen erschütterte ihn, dann fuhr er mit der Hand an die Stirn und sah sich wild um.
»Diavolo – wo bin ich denn – was ist denn geschehen?«
»Ermuntern Sie sich, Signor Conte« sagte die Gräfin. »Sie sind im Kreise Ihrer Freunde. Kommen Sie erst recht wieder zu sich. Soll ich Ihnen Wasser oder ein Glas Wein reichen?«
»Wasser« sagte der Nobile, indem er sich mit Hilfe des Arztes ganz aufsetzte. »Ich habe einen rasenden Kopfschmerz und mir ist so wüst und dumpf, als hätte ich zu viel getrunken.«
»Fassen Sie Ihre Erinnerungen zusammen, Signor Conte« sagte streng der General. »Wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Vor Allem, wo sind die Papiere?«
»Welche Papiere?« »Die Briefe, die ich Ihnen gestern Abend hier durch die Gräfin Montalban übergeben ließ, um sie nach Bergamo und Brescia zu bringen.«
Der Graf drückte beide Hände gegen die Stirn – dann schien es ihm plötzlich wie ein Strahl der Erinnerung durch den Kopf zu fahren und er griff hastig nach der Brusttasche seines Rocks.
Er fühlte die Brieftasche und zog sie heraus.
»Hier, General, Gott sei Dank, da sind sie unversehrt!«
Er öffnete hastig die Brieftasche – aber er fuhr mit einer Bewegung des Schreckens zurück, – die Brieftasche war leer!
»Bei allen Heiligen – wo sind die Briefe?!« Er durchsuchte eilig alle Taschen – die Briefe waren verschwunden.
Der General sah finster auf ihn. »Nehmen Sie Ihre Gedanken zusammen, Signor, es handelt sich um Tod und Leben. Wann erinnern Sie sich, zuletzt die Briefe gehabt zu haben?«
»Ich habe das Portefeuille, in dem sie lagen, keinen Augenblick aus der Brusttasche genommen, seit ich die Gesellschaft der Oberstin Manara verlassen.«
»Und mit wem haben Sie seit diesem Augenblick verkehrt?
»Mit dem Marchese Ferari und dem Kapitain Balduccio, aber nur wenige Worte. Außerdem ...«
»Nun?«
»Mit dem Doktor Sapieha – einem zuverlässigen Mann, obschon ich nicht weiß, was ich denken soll, da er allein bei mir war, als jener Unfall mir zustieß.«
»Wer ist jener Mann?«
»Ein polnischer Emigrant – der vor Kurzem nach Mailand gekommen ist, aber ganz zu den Unsern gehört. Ich führte ihn gestern in der Gesellschaft der Oberstin Manara ein, nachdem er mir kurz vorher einen großen Dienst erwiesen hatte.«
»Er befindet sich seit acht Tagen in Mailand« bemerkte die Gräfin Montalban, »denn ich erinnere mich, daß er fast um dieselbe Zeit hier erschien, wie die Gräfin Zriny.«
»Und dieser Mann war bei Ihnen, als Sie das Bewußtsein verloren?«
»Gewiß – wir wollten eben den Garten der Casa verlassen.«
»Haben Sie dabei Auffallendes bemerkt? – keine Berührung von seiner Seite?«
»Es ist wahr – ich erinnere mich! – er trat mir auffallend nahe, er berührte mein Gesicht und da fühlte ich die plötzliche Betäubung.«
»Dann ist kein Zweifel, daß dieser Mann Sie chloroformirt hat« sagte der junge Arzt. »Wahrscheinlich mit einem Schwämmchen, das er in der Hand trug.«
»Es ist unzweifelhaft und dieser Mann ist offenbar ein Spion« bestätigte der General, »und ich kann mich nur wundern, daß wir nicht Alle längst verhaftet sind und im Kastell sitzen durch den Freund des Herrn Grafen.«
Dieser wollte eine vertheidigende Antwort geben, als sich rasch die Thür öffnete, und die Oberstin Manara eintrat.
Sie trug in der Hand einen offnen Brief und sah beunruhigt und erhitzt aus und ging gerade auf den General zu.
»Lesen Sie Signor Generale und beschließen Sie schnell, was geschehen soll. Wir sind die Opfer einer infamen Intrigue, einer Spionage, die uns Alle getäuscht hat!«
»Was ist dies?«
»Ein wahrscheinlich vergessenes oder durch einen Zufall liegen gebliebenes Papier, ein Brief, den ich in dem Schlafzimmer der verschwundenen Gräfin Zriny, – Ihrer Landsmännin, Signor« wandte sie sich an den Obersten – »gefunden habe!«
Der General nahm den Brief und las ihn laut vor. Es war das Billet, das am Nachmittag Lazare der Gräfin geschrieben, um ihr anzuzeigen, daß er sie sprechen müsse und daß Alles gut gehe.
Die Andeutungen des Inhalts ließen weder einen Zweifel, daß die beiden Personen in geheimem genauem Verkehr mit einander standen, noch daß ihr Zweck war, die Bewegungen der italienischen Nationalpartei zu bespioniren.
»Aber heilige Madonna, wer ist denn eigentlich dieser Mensch?« rief exaltirt die Gräfin. »Sie müssen ihn kennen, Sie haben ihn zu uns geführt, Sforza!«
»Ich weiß Nichts, als jetzt, daß er ein infamer Spion ist« sagte zähneknirschend der Nobile. Der Graf Batthyànyi, der aufmerksam den Entdeckungen zugehört, mischte sich hier ein.
»Ist der Brief ohne Unterschrift?«
»Ein L. steht darunter, weiter Nichts.« »Bitte lassen Sie mich die Handschrift sehen!« Er prüfte sie einen Augenblick am Licht dann richtete er sich finster empor.
»Noch eine Frage. Können Sie mir eine kurze Beschreibung der Person geben?«
»Es ist ein Mann im Anfang der Dreißiger, von mittler Größe, schlank, das Gesicht von auffallend blasser Farbe, ohne hager zu sein, Nase und Stirn vorspringend und gewölbt, das Haar kraus wie ein Negerkopf, aber Alles in bester Toilette, wohl gepflegt und von vornehmen Aussehen.«
»Dann herrscht kein Zweifel – Sie sind in die Hände des gefährlichsten Schurken gefallen, den ich kenne, eines Intriguanten und Verräthers nach beiden Seiten hin. Ich selbst bin zwei Mal nur durch ein halbes Wunder dem Tode entgangen, den er mir bereitet.«
»Aber per Baccho – wer ist er denn?«
»Die Dame Signora, die Sie in Ihrem Hause aufgenommen unter ihrem Familiennamen, ist eine Verwandte von mir, die Gräfin Törkyöny, die bei der wiener Revolution eine enragirte Rolle gespielt hat aber sonst im schlechtesten Ruf steht. Der Mann aber, den Sie mir mit dem Namen Sapieha bezeichnen, kann kein Anderer sein, als ihr damaliger Zuhalter, ein gewisser Lazare, zuerst Legionair, dann ein nichtswürdiger Verräther und Spion im ungarischen Kriege, aber ein Mensch von großem Talent und Scharfsinn!«
Der General hatte schweigend zugehört und nickte zustimmend. Dann wandte er das große klare Auge durchbohrend auf den mailänder Nobile.
»Sie haben diesem Mann Ihr Vertrauen geschenkt, Signor Conte?«
Der Graf erröthete. »Niemand konnte ihm mißtrauen!«
»Ich muß wissen, wie weit es geschehen ist. Aber ich verlange aufrichtigen und bestimmten Bescheid. Wußte jener Mann um Ihre Reise?«
»Ja Signor.«
»Und ihren Zweck und Ziel? Haben Sie ihm die Art und Weise gesagt, in welcher Sie nach Bergamo gehen sollten?«
»Ich muß gestehen, daß ich so thöricht gewesen bin – er hatte mein Vertrauen in anderer Weise gewonnen. – Ich habe ihm allerdings gesagt, daß der Vetturin mich auf der Strada Ferrata am Lazareth erwartete und ihm das Losungswort genannt.«
»Geben Sie uns die Adresse des Vetturins!«
»Er heißt Luigi Torri und wohnt an der Kirche San Sauro.«
Der General wandte sich zu der Gräfin. »Haben Sie die Güte Signora, und schicken Sie sofort eine vertraute Person zu diesem Mann und lassen Sie nachforschen, ob er sich zu Hause befindet. Der Umstand, daß der Verräther Ihnen jene Details abgelockt, ist auffallend.« Die Gräfin entfernte sich sogleich.
»Jetzt Signor Conte sagen Sie uns, ob der Schurke wissen konnte, welche Wichtigkeit die Ihnen anvertrauten Papiere hatten, und ob er Kenntniß von unserem morgenden Unternehmen hat?«
»Keine genaue,« sagte hastig der Mailänder, wie um sich zu entschuldigen.
Der General zuckte unwillig die Achseln. »Nachdem Ihre Unvorsichtigkeit uns Alle wahrscheinlich in's Verderben gebracht hat, sagen Sie wenigstens die Wahrheit. Kennt der Verräther unser Geheimniß?«
Der Graf sah verlegen zu Boden. »Ja,« sagte er endlich »er weiß von dem Aufstand.«
»Die Zeit, den Ort?«
Der Gefragte machte ein Zeichen der Bejahung.
»Dann ist es um so unerklärlicher, daß die Oesterreicher noch keine Schritte gegen uns gethan haben. Aber vielleicht ist es eine Falle – man will uns sicher machen und wenn wir morgen losbrechen, uns gerüstet begegnen. Was meinen Sie Oberst?«
Es fand eine ernste Berathung zwischen den Offizieren statt. Der Graf benutzte die Gelegenheit, um die Oberstin zur Seite zu führen und sie wegen ihrer Mündel zu befragen.
Signora Manara wußte offenbar noch Nichts von der Szene im Gartenhaus. Sie erzählte, daß gegen Mitternacht zu ihrer Aller Erstaunen, als die Gesellschaft eben im Aufbrechen begriffen gewesen war, plötzlich der Rittmeister Baron Trautmannsdorf in den Salon getreten sei, das in einen Mantel gehüllte zitternde Mädchen am Arm, und ihr und den Anwesenden mit lauter Stimme Julia als seine Braut vorgestellt habe. Ehe sie noch habe Einsprache erheben, oder über das seltsame Benehmen und das Eindringen des Deutschen Erklärung fordern können, sei das Paar eben so rasch wieder verschwunden gewesen; der Rittmeister hatte, wie die Diener ihr gemeldet, alsbald das Haus verlassen, Julia aber sich eingeschlossen und bis jetzt ihre Thür zu öffnen sich geweigert.
Die Dame hatte das Kammermädchen der Signorina darauf scharf in's Gebet genommen, aber nur so viel erfahren, daß ihre Herrin heimliche Zusammenkünfte mit dem verhaßten Deutschen gehabt haben müsse, und wollte nun von dem Grafen wissen, wie er so spät in den Garten der Casa gekommen und was dort vorgefallen sei.
Mit nicht geringem Schrecken hatte der Mailänder aus dieser Erzählung entnommen, daß sein glücklicher Nebenbuhler, der Mann, der sein Leben jeden Augenblick nach den Gesetzen einer thörichten, aber unerbittlichen Ehre fordern konnte, – nicht, wie er geglaubt, von der Hand seiner Freunde gefallen, sondern offenbar diesem Schicksal durch einen glücklichen Zufall entkommen war.
Wie und wodurch dies geschehen, das konnte er sich noch nicht klar machen, dazu waren überhaupt seine Gedanken noch zu verworren, denn sein Kopf schmerzte heftig und nur die Gefahr der Situation hatte ihn zur Aufbietung aller Kraft veranlaßt.
Die Oberstin hatte ihn eben so weit durch ihre Fragen in die Enge getrieben, ein Bekenntniß des Geschehenen abzulegen, als die Gräfin Montalban hastig wieder eintrat.
»Filippo, den ich nach dem Vetturin sandte,« berichtete sie, »ist soeben zurückgekehrt und bringt eine auffallende Nachricht. Der Vetturin hat seiner Bestellung gemäß zur bestimmten Stunde in der Strada Ferrata gehalten. Sein Knabe hat sich bei ihm befunden und hat Filippo selbst die Sache erzählt. Eine halbe Stunde nach Mitternacht sind ein Herr und eine Dame zu dem Wagen gekommen, der Herr hat dem Vetturin das Loosungswort gegeben und ihm ein ansehnliches Trinkgeld versprochen, wenn er sie möglichst rasch nach Bergamo bringe. Darauf find sie eilig fortgefahren. Der Vetturin ist noch nicht zurückgekehrt!«
»Die Beschreibung des Paars? Hat der Mann danach gefragt?«
»Sie paßt genau auf den angeblichen Sapieha und die Gräfin Zriny.«
»Dann ist es kein Zweifel, daß die beiden Verräther im Einverständniß entflohen sind« erklärte die Oberstin.
»Aber es bleibt dennoch Manches räthselhaft. Zunächst die Frage, ob sie den Plan der morgenden Erhebung verrathen haben oder nicht?«
»Signor Generale,« sagte der ungarische Flüchtling, »der Charakter dieses Mannes ist boshaft und grausam. Vielleicht zögert er absichtlich mit der Entdeckung bis zum letzten Augenblick. Es scheint offenbar, daß er die Frucht seines Verrathes, jene Papiere nicht in die Hände der hiesigen österreichischen Behörden hat geben wollen, sondern sie für einen andern Zweck, vielleicht für einen besseren Markt bestimmt hat. Es bleibt, meiner Ansicht nach, nur Eins zu thun!«
»Und das wäre?«
»Die Verräther auf Tod und Leben, so rasch es möglich ist, zu verfolgen und auf jede Gefahr hin zum Schweigen zu bringen.«
»Zum Schweigen des Grabes! Sie haben Recht Signor Batthyànyi, es muß sofort wenigstens der Versuch gemacht werden, so lange wir können. Aber wer soll – auf die Gefahr der Verhaftung hin – diesen Auftrag übernehmen?«
»Ich werde es thun General, wenn Sie mir das Vertrauen schenken.«
Der Graf Batthyànyi hatte es gesagt. Der General Garibaldi reichte ihm die Hand. »Das ist brav von Ihnen Signor, es ist das Beste. Aber Sie dürfen nicht allein gehen – überdies sind Sie auf dem Wege, den die Verräther genommen, unbekannt. Conte Sforza wird Sie begleiten, es ist das Geringste, was er zum Wiedergutmachen seines leichtfertigen Vertrauens thun kann.«
»Ich will den Schurken verfolgen, bis ich sein Herzblut habe« sagte hastig und eifrig der Nobile. Vielleicht dachte er an den Inhaber seines furchtbaren Wechsels.
»Wann geht der nächste Zug nach Bergamo?«
»Um 9 Uhr.«
»So haben Sie noch zwanzig Minuten Zeit. Signor Conte hat man Ihnen das Geld gelassen?«
»Hier ist es!« »Verdoppeln Sie die Summe Türr. Unsere Freundin hier wird für Waffen sorgen – da, nehmen Sie meine eigenen.« Er reichte ihnen einen mexikanischen Dolch und einen Revolver. »Lassen Sie sogleich einen Fiakre an die nächste Straßenecke kommen; Signor Batthyànyi, Sie müssen sich Ihrer Verkleidung als Engländer weiter bedienen, es ist wahrscheinlich die beste für unsern Zweck, wenn sie nicht schon verrathen ist. Obschon wir nicht wissen können, ob der Vetturin nicht vielleicht den Weg nach Como oder an den Lago Maggiore hat einschlagen müssen, wenn sie die schweizer Grenze erreichen wollten, müssen wir doch auf alle Gefahr hin die erste Vermuthung festhalten und die Verfolgung nach Bergamo richten. Sind Sie bereit Signor?«
Der Ungar war bereits in dem langen Sürtout seiner englischen Maske; dem Nobile hatte der junge Arzt seinen Mantel gegeben.
»Wir sind es, General!«
»Dann fort, ohne Aufenthalt. Die Eisenbahn erspart Ihnen sechs Stunden. Die Verräther können höchstens um 7 Uhr in Bergamo eingetroffen sein. Fort Signor und scheuen Sie keine Anstrengung und Gefahr, die Papiere wieder zu schaffen, wenn es nicht schon zu spät ist.«
»Leben Sie wohl General.«
»Sagen Sie Julia, daß ich mit ihr abrechnen werde, sobald ich zurückkehre. Sie soll mich nicht ungerächt betrogen haben!«
Die Frauen drängten ihn nach dem Ausgang. »Fort, fort Signori, oder Sie versäumen den Zug.« Sie waren fort. Oberst Türr wandte sich an den Freund und Führer.
»Was nun General?«
»Setzen Sie sich dorthin Oberst und Sie Signor Dottore und schreiben Sie. Wir müssen versuchen, den günstigen Zufall zu benutzen, daß der Verrath unsers Unternehmens verzögert worden ist. In einer Stunde müssen alle unsere Freunde benachrichtigt sein und Mailand sofort verlassen. Das Glück ist dies Mal wieder uns. – Das Unternehmen ist aufgegeben!«
Am andern Mittag fand der feierliche Leichencondukt zu Ehren des alten Helden von Novara statt.
Als der Erzbischof vor dem Dom das Allerheiligste erhob, sank die ganze unübersehbare Volksmenge nieder auf die Knie und beugte das Haupt.
Mailand blieb ruhig – die blutige Stunde, die den Kampf vom 1. Mai 1848 erneuern sollte, war noch nicht gekommen.
Erst kurz vor Beginn der Ceremonie war bei dem Gouvernement ein Brief aus Lecco am Comer See mit der Post eingetroffen, welcher anonym die flüchtige Benachrichtigung enthielt, daß von der revolutionären Partei bei Gelegenheit des Leichencondukts eine Schilderhebung versucht werden solle. Lazare und seine Gefährtin hatten sich damit nach allen Seiten sichern wollen. Aber Gyulai hatte die Nachricht nach kurzer Prüfung nicht der Beachtung werth gefunden und als eine anonyme Denunciation behandelt, wie deren täglich fast eingingen.