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(Fortsetzung.)
Der in den Ewestschen Salon Eintretende, der das Gespräch der drei Herren unterbrach, war ein mittelgroßer schlanker Mann mit markierten, etwas zerrissenen Zügen und brauner Gesichtsfarbe, das Gesicht von einem schwarzen Backenbart mit großem Schnurrbart eingerahmt, das Kinn glatt rasiert, die von starken Brauen bedeckten Augen dunkel, klug und rastlos. Obschon er keineswegs die charakteristischen Züge der jüdischen Rasse, vielmehr etwas Ruhiges, fast Aristokratisches hatte, konnte bei schärferer Beobachtung doch an dieser Abstammung kein Zweifel sein. Desto schärfer waren sie an seinen beiden Begleitern und den beiden Damen ausgeprägt, die ihm folgten.
Einer der beiden Herren mit der kurzen, beleibten Figur und der ordinär jüdischen Physiognomie ist uns bekannt aus jener Szene am Sterbebett des alten Geldleihers und der Eröffnung des Testaments. Es war der fürstliche Hofbankier Moritz Cahn mit seiner hochästhetischen Gattin Elvira. Die andere Dame, die in ihrer vollbusigen Figur etwas Ammenartiges hatte, wenn dem nicht die kostbare Toilette widersprochen hätte, war die Gattin des zuerst Eingetretenen. Sie wurde geführt von einem Herrn, dessen äußeres wohl Aufmerksamkeit verdiente, obschon ihn die trotz ihrer Korpulenz recht hübsche Frau häufig mit großer Deplaisance zu betrachten schien, wenn das scharfe Auge ihres Gatten sie nicht kontrollierte. Der Herr, der sie führte, war groß und sehr hager, man hätte sagen können, er bestehe nur aus Sehnen, Knochen und Haut. Seine Haut war gelblich dunkel, das Haar ergrauend, die Stirn schmal. Die buschigen Augenbrauen überdeckten zwei tiefliegende, unstäte blitzende Augen. Es wäre schwer gewesen, das Alter des Fremden zu bestimmen. Eine schnabelartige Nase über dem spöttisch zusammengezogenen Munde mit den tiefen Falten um die Winkel gab dem Gesicht etwas Herbes, Strenges. Der ganze Charakter dieser Erscheinung hatte etwas Ruheloses, Rastloses, Unheimliches. Der Mann war in einen langen, englischen Surtout von brauner Farbe mit weiten Taschen gekleidet und das weiße Halstuch und der niedere, breitkrämpige Hut hätte ihm etwas Quäkerartiges gegeben, wenn der Charakter des Gesichtes nicht jede Milde und Ruhe ausgeschlossen hätte.
»Aber Gerson,« sagte die dicke Dame, die im Salon sitzenden drei Herren durch das goldene Lorgnon fixierend, »kannst du nicht ein Separates nehmen, es ist doch nobler, als ein Melée – und für was sind wir denn aus der Symphonie gegangen so zeitig, ohne zu hören die Erotika von Herrn von Beethoven, wenn wir nicht einmal haben ein separates Appartement?«
»Es ist alles besetzt, Kind,« beruhigte sie der Gatte, »und du weißt, daß man mich hier aufsuchen wird.«
»Gott, wie empfindlich! – Daß man nicht einmal haben kann für sein Geld, was man braucht zur Komfortabilität. So bestelle wenigstens, daß wir bekommen können das erste, was wird evacuiert. Sie begreifen nicht, liebe Freundin, was es noch ist kleinstädtisch bei uns in Berlin. Ich sage Ihnen, als wir waren diesen Herbst in Paris, wo wir haben mitgemacht die Soireen bei Herrn von Fould und Herrn von Pereire, wir haben stets gespeist im Maison dorable immer im besonderen Kabinett.«
»Ohne daß es Ihnen langweilig wurde?« fragte der Lange mit der Schnabelnase. Der Ton seiner Stimme war scharf, höhnisch – wer diesen Ton einmal gehört hatte, konnte ihn schwerlich wieder vergessen. – Vielleicht, daß der arme, umdüsterte Mann in der einsamen, vergitterten Zelle auf dem Sonnenstein – – –
»Wie können Sie nur so sprechen, – als ob etwas langweilig wäre in dem göttlichen Paris! – Was sagen Sie, meine Liebe?«
»Ich hätte so gern ihn gekannt!«
»Wen denn?«
»Wen anders als Heine, unsern Heine!«
Die dicke Dame stieß ihren Gemahl an, der bereits sich mit Herrn von Cahn in die Speisekarte vertieft hatte. »Hast du gestanden mit ihm in Verbindung, Gerson? Vielleicht bei der Anleihe für die Nordbahn? Wenn ich nicht irre, steht er mit unter deinem Zirkular!«
»Nein – geehrte Freundin,« sagte die ästhetische Elvira, »ich meine nicht die Hamburger Firma, sondern den göttlichen Dichter des »Romanzero« – den tiefen Kenner des weiblichen Herzens!«
Der Fremde zuckte verächtlich die Achseln. »Sprechen Ihre Damen Englisch?«
»Gott, was würde Elvira nicht sprechen!« meinte Herr Cahn, »aber ich glaube, sie versteht's nischt.«
»Sie beide verstehen es?«
»Es ist doch gewesen ein Teil von meiner guten Erziehung. Ich bin doch gewesen anderthalb Jahr in Liverpool, Herr Resavah!«
Der Berliner Bankier begnügte sich mit einer stummen Bejahung.
»So lassen Sie uns Englisch sprechen, die Herren dort sitzen zwar weit genug entfernt, daß sie nichts verstehen können, aber für ernste Dinge gehören auch Frauenohren nicht.«
»Ich versichere Sie, Herr Resavah, wenn die Elvira ist bei der schönen Literatur …«
»Moc Turtle!« unterbrach ihn der Bankier, »wünschen Sie Moc Turtle, Herr Resavah? Wir können Ihnen freilich kein amerikanisches Souper bieten.«
Der ernste Fremde winkte abwehrend. »Ich speise nie zu Nacht. Meine Zeit ist gemessen, ich darf« – er lächelte seltsam, – »mir keine Ruhe gönnen in meiner Aufgabe, gleich dem Ewigen Juden. Doktor Straußthal in London hat mir Sie als die beiden richtigen Personen bezeichnet und hatte die Güte, Sie durch den Telegraphen heute zu der Zusammenkunft einzuladen. Da ich Sie nicht mehr in Ihrem Kontor fand, als ich vor einer Stunde von Amsterdam eintraf, suchte ich Sie auf.«
Der Berliner Bankier zuckte die Achseln: »Sind Sie verheiratet?«
Der Amerikaner machte eine abwehrende Geberde. »Ich lebe einsam, – doch lassen Sie mich weiter sprechen. Die große Operation, für die ich arbeite, fordert Männer wie Sie – eine bedeutende, angesehene Firma, mit großen Geschäften und Operationen vertraut, sie begreifend und Vertrauen genießend« – sein funkelnder Blick weilte auf dem Berliner Bankier, der sich höflich für das Kompliment verneigte, – »und das Talent der niederen Spekulation, der Vertrautheit mit den tausend kleinen Quellen des Kapitals im Volk, und dem Weg, es herauszulocken und zu gewinnen.«
Der Hofbankier wußte nicht, ob er sich gleichfalls verbeugen sollte.
»Das Geschäft,« fuhr der Fremde fort, »das ich Ihnen vorzuschlagen habe, kann der Berliner Börse Millionen eintragen. Doch zuvor muß ich wissen, ob für diesen Teil der Weltbörse bereits die rechte Zeit gekommen, und bitte Sie, mir einige Fragen über die politischen Verhältnisse hier zu beantworten.«
»Mit Vergnügen. – Nur einen Augenblick, man würde aufmerksam werden dort, wenn man uns nicht mit unserm Souper beschäftigt sähe. Louis, bringen Sie den Champagner!!« – – –
»Ich versichere Sie, meine Beste,« sagte die zarte Elvira, »es sind das höchst ästhetische Abende bei Lessings, und ich wundere mich, daß Sie nicht sind dort eingeführt. Der Herr von Auerswald ist jedes Mal dort!«
»Ich werde Gerson bitten, auch einzuladen die Minister.«
»Vielleicht können Sie mir geben Auskunft, meine Beste, über die mystische Unterhaltung, die jetzt ist Mode in den Zirkeln von Distinktion. Ich möchte sie gerne auch einführen bei uns. Sie lieben doch die Mystik?«
»Miß Dick? – Nein – die englische Gouvernante von unseren Kindern heißt Miß Aymer, ein vornehmer Name, wie ich mir habe sagen lassen drüben über der La Manche und sie ißt deshalb mit an unserem Tisch, Gerson will es.«
»Nein, Sie mißverstehen mich mit der Mystik, – ich meine das Tischrücken, die Korrespondenz mit dem Überirdischen. Ich habe gehört, daß man zusammenkommt alle Mittwoch abend in der Wilhelmstraße und beschwört die verstorbenen Geister.«
»Gott soll mir bewahren, Sie machen mir graulich! …«
Die silbernen Messer und Gabeln arbeiteten, die Champagnergläser klangen. Der Amerikaner trank nur Wasser.
»Gott der Herr, was sie doch drüben sein müssen in New-York – Sie kommen ja doch von New-York, Herr Resavah? – für mäßige Leute! Wenn ich habe Geld, will ich auch genießen das Leben!«
»Da sehen Sie die künftigen Herren der Welt,« sagte mit Hohn der Journalist zu seinen beiden Gesellschaftern. »Lassen Sie sie erst in der Kammer und in der Regierung festen Fuß gefaßt haben – und die neue Ära braucht Anleihen! Und Sie werden staunen, mit welcher rapiden Schnelligkeit die alten Prinzipien des christlichen Staates, des Gewerbes, des Grundbesitzes, der Armee und der Beamtentreue über den Haufen geworfen werden.«
»Sie eifern ja gegen das Nationalitätsprinzip ärger als das neue Kleeblatt Bucher, Berg und Rodbertus,« meinte lachend der Diplomat. »Was sagen Sie zu ihrem Fehdehandschuh gegen den Nationalverein?«
»Er wird so arg nicht gemeint sein, doch sage ich Ihnen offen meine Meinung, daß in allen Dreien mehr konservatives Element steckt, als man glaubt. Bucher ist ein gescheiter Kopf, der klügste von der ganzen sonst ziemlich lächerlichen Steuerverweigerungssippe von Neunundvierzig, – er hat in England unhaltbare Theorien vergessen und praktisch denken gelernt, und seine zähe Arbeitskraft wird vielleicht noch einmal eine Rolle spielen, wenn der rechte Hammer an dies Mineral schlägt. Rodbertus hat gute Theorien für die Landwirtschaft …«
»Aber Herr von Patow,« unterbrach ihn der Assessor, »will nun einmal die Grundsteuer durchsetzen!«
»Bah – die östlichen Provinzen sind ans Scheren gewöhnt, im Grunde kann man die Grundsteuer ertragen, sie fällt auf Mieter und Konsumenten. Was Herrn von Berg, den dritten im Kleeblatt betrifft …«
»Oh Freund! Sie haben immer ein Faible für den geleckten Abbé gehabt. – Aber was sagen Sie zu dem Antrag Vincke wegen Italiens in der Antwort auf die Thronrede? –«
Die Unterhaltung wandte sich den politischen Tagesneuigkeiten zu. – – – – – – – – – – – –
Der hagere Amerikaner hatte die gedankenvolle Stirn in die Hand gestützt, während er der Gabelarbeit der anderen zusah. Die Zeit schien ihm kostbar, denn er sah wiederholt nach der Uhr.
»Meinetwegen speisen Sie nachher,« sagte er endlich brüsk in englischer Sprache. »Die Regierung, die Sie Ihre neue Ära nennen, besteht jetzt seit zwei Jahren – man hat also Zeit gehabt. Was hat das Volk Israels in diesen zwei Jahren gewonnen?«
»Wir sind aus dem besten Wege des Einflusses.«
»Bah – das ist nichts gesagt. – Sind die Fesseln des Handwerks gelöst zum besten des Kapitals?«
»Der Abgeordnete Reichenheim, mein Freund, bereitet eine liberale Gewerbeordnung vor.«
»Ordnung ist Schranke – sie muß fallen! – Ist die Agiotage frei?«
»Um die Börse, die Aktien frei zu lassen, wird eine neue Besteuerung des Grundbesitzes erfolgen. Die Banken sind so frei, wie in irgendeinem Lande der Welt. Die Aktienausgabe ist im Steigen. Es läßt sich mit Sicherheit annehmen, daß die Börse im vorigen Jahre um hundert Millionen mehr umgeschlagen als im Jahre vorher.«
»Der Staatskredit?«
»Er ist im Schwanken. Von 1850 bis zur Abdankung des verstorbenen Königs hat der Staat 93 Millionen neue Schulden kreiert, – seit den zwei Jahren allein weitere 48 Millionen, dazu eine Vermehrung des Papiergeldes um 40 Millionen, die Eisenbahn-Anleihe 19 Millionen, rechnen Sie selbst!«
»Also im Sinken?«
»Total, während die Privat-Spekulation floriert. Das steigende Militärbudget neben der Schwäche und Unentschlossenheit der Regierung diskreditiert ihren Kredit. Das Geld sucht ausländische Verwendung.«
»Er ist unbeliebt von Achtundvierzig her – man traut ihm nichts anderes zu, als die Liebhaberei für Soldaten.«
»Wie steht unser Einfluß in Ihrer Kammer?«
»Es muß besser werden – außer dem Abgeordneten Reichenheim, der ist ein reicher Mann durch die Seehandlung und sein Genie und gibt schöne Diners an die Mitglieder von der Fraktion – niemand! Aber wir haben die Augen gerichtet auf eine junge Kraft, einen jungen Juristen, der Courage hat, denn er hat gestanden auf den Barrikaden von Wien, und der hat eine Suade, daß es eine Freude ist, ihn zu hören von dem, was er versteht und was er nicht versteht. Er hat kein Geld, aber wenn wir ihm machen erst Ruf, wird er sich durchbeißen wie Oleum.«
»Beantworten Sie mir noch eine Frage,« sagte der Amerikaner. »Wie stehen unsere Leute hier zu der Presse?«
»Sie ist bereits zum Teil in unserer Hand – ehe zehn Jahre vergehen, wird sie es hoffentlich ganz sein! Die Blätter der sogenannten Fortschrittspartei und der Demokratie gehören unseren Leuten; die Idee, die Welttelegraphie für die Presse in unsere Hand zu nehmen, sichert uns einen Einfluß auf alle, selbst die konservativen Zeitungen, und bis in die Kabinette der regierenden Herren.«
»Mein Schwager, der Nathan Schlesinger,« meinte der Hofbankier – »hat ä ausgebreitete Bekanntschaft mit den Herrn, die schreiben vors Theater und vor die Zeitungen. Gott, ä paar Aktien – und wir kriegen rein, was wir woll'n!«
Der Amerikaner lächelte höhnisch. »Es ist mir lieb zu hören, daß man auch in Preußen bereits so weit ist. Also merken Sie auf. Die fundierte Staatsschuld der Vereinigten Staaten beträgt gegenwärtig 75 Millionen Dollars, der Umlauf der Noten das Dreifache. Aber auch die Staatsschuld wird steigen. Ist es möglich, von Berlin auf den deutschen Markt fünfzig Millionen amerikanische Effekten zu werfen?«
»Der Zwist mit Carolina wird den Kurs drücken,« bemerkte vorsichtig der Bankier.
»Darum biete ich sie Ihnen in Kommission mit fünfzehn Prozent Diskonto.«
»Der Vorschlag ließe sich hören. Was meinen Sie, Herr Cahn?«
»Wenn Sie geben wollen zwanzig Perzent, will ich unterbringen zehn Millionen, – auf mein Wort!«
»Das ist nicht alles!« – Er beugte leise das Haupt vor. »Fassen Sie den Gebetriemen und geloben Sie Geheimhaltung dessen, was ich Ihnen sagen werde auf zwei Monate.«
Die beiden Geldmänner steckten die Hand unter ihre Weste. »Wir geloben!«
»Dann mögen Sie wissen, daß der Krieg zwischen den Südstaaten und den Nordstaaten bereits eine im geheimen beschlossene Sache ist. Buchanan steht im Solde der virginischen Pflanzer. Jefferson Davis, dem künftigen Präsidenten des Südens, ist von Lord Palmerston und Graf Walewsky die stille Unterstützung Englands und Frankreichs zugesagt. – Der Ausbruch des Krieges erfolgt alsbald nach dem ersten April.«
»Aber das sind Nachrichten von ungeheurer Tragweite! –«
»Wenn die Börse von Berlin sie richtig benutzt, muß sie verdienen zwei Millionen. – Aber das ist nicht alles!«
»Gott der Gerechte, Herr Resavah, wie kommen Sie zu den Nachrichten? Sind Sie ä verkleideter Minister?«
»Weiter. Wie steht die mexikanische Schuld?«
»So viel ich beurteilen kann, partizipieren die deutschen Börsen mit kaum drei Millionen Piaster.«
»Aber desto höher Paris, London und Madrid. Hamburg und Bremen haben über zehn Millionen Francs an Ausfuhrforderungen. Merken Sie auf! Ehe sechs Monate vergehen, wird Juarez den mexikanischen Kongreß beschließen lassen, alle Zahlungen an das Ausland auf zwei Jahre zu suspendieren.«
»Gott der Gerechte, Herr Resavah, was wird das geben für Bankerotte!«
Der klügere Berliner wiegte gedankenvoll den Kopf; er überschlug bereits seine Operationen. – – – –
»Ich sage Ihnen, prachtvoll! – Amarantfarbene Seide mit Brüsseler Spitzen aus der Schweiz – Gerson hat sie ihr besorgt!«
»Es ist doch schade, daß nun die Opernbälle ausfallen dies Jahr. Ich weiß nicht, es hatte so etwas Phantastisches, Tausend und eine Nacht! Ganz Freiligrath. – Ist es wahr, daß die Pellet ist schwer erkrankt? – Warum hat Pauline heut nicht gesungen im Konzert?«
»Sie ist vielleicht auch krank – ich werde fragen lassen Herrn Rosenberg, unsern zweiten Kommis, er ist mit ihr doch auf du und du. – Werden Sie mitmachen nach Königsberg zur Krönung? – Die lange Meyer will auch hin mit Gewalt. Sie kennen doch die Meyer?«
»Meyer? Von welcher Linie?« – – – – – –
Der Journalist hatte sich erhoben. »Das Konzert im Opernhause muß sogleich aus sein – ich habe versprochen, jemand dort zu treffen. Schade, ich wäre gern noch länger geblieben – das Gesicht dort drüben interessiert mich, ich habe in der Tat lange kein eigentümlicheres gesehen.«
Er hatte Hut und Stock genommen und wollte gehen, als der Hoflieferant eilig hereinschob.
»Diener, meine Herrschaften! Alles in Ordnung? – Louis, Sie sehen ja, daß die Flasche leer ist! Geschwind das Dessert für die Damen! – Willst du schon gehen, Doktor? – Der Prinz Murat ist heute abgereist. – Was sagst du zu dem großen Postdiebstahl? Unerhörte Frechheit! Aber die Unsicherheit ist nicht mehr auszuhalten.«
»Was ist's mit dem Postdiebstahl?« fragte der Diplomat, indes der Journalist hinter dem Rücken des Eifrigen den Salon verließ.
»Zweimalhunderttausend Taler! – Eine unerhörte Frechheit! Heute abend sieben Uhr – auf dem Wege von der Post in der Königstraße nach dem Anhalter Bahnhof! Auf offener Straße, der Wagen geöffnet – Fürstenberg erzählte es eben drüben! – He, Fritz – es schellt auf Numero Drei! Vergessen Sie nicht, frisches Rostbeaf zu empfehlen, und die Poularden! – Komme gleich!«
Der Salon füllte sich – die königlichen Theater waren zwar wegen der Landestrauer geschlossen, aber man half sich mit seriösen Konzerten, und die Privattheater hatten bereits wieder die Vorstellungen eröffnet. Es kamen verschiedene Abgeordnete von der Fraktion Blankenburg, Offiziere, Mitglieder des alten Adels, die indes vorzogen, nach dem Zimmer am Büfett zu gehen, als sie die Börse so laut vertreten sahen; denn durch einen unglücklichen Zufall für den Hofbankier hatte sein würdiger Schwager, Herr Nathan Schlesinger, entdeckt, daß die Firma I. M. Cahn u. Comp. sich aus dem Konzert hierher zurückgezogen hatte.
»Gehorsamster Diener, Herr Kommerzienrat! – Bitte, genieren Sie sich nicht – ein ausgezeichnetes Geschäft heute für die Baisse, die Österreicher total matt! War im Zirkus – Prima-Qualität die kleine Pamela. Haben Sie schon gespeist? – Ein Glas, Kellner! – Was ich sagen wollte, Herr Schwager, die Marianne wünscht Sie noch zu sprechen vor Ihrer Abreise.«
»Hab' keine Zeit,« knurrte der Hofbankier. »Du tätest auch besser, zu geh'n nach Hause, als die Frau sitzen zu lassen so allein!«
Herr Schlesinger schenkte sich den Rest des Champagners in das Glas, »wollen wir trinken noch eine? He – Louis …«
»Wir gehen gleich nach Haus, wenn du willst trinken, kannst du trinken allein!«
»Ja – also um zu erzählen – wissen Sie, wem ich heute begegnet bin in der Zimmerstraße?«
»Was interessieren mich Ihre Bekanntschaften, Herr Schwager! – Ein lästiger Mensch – so ungenteel!«
»Sie werden sich erinnern tun an die Friederike, das hübsche Hausmädchen, was Sie haben gehabt im Sommer?«
»Ich erinnere mich, – wir haben seitdem gehabt drei – es ist so unangenehm, – die Dienstboten sind heutzutage so ungebildet, so prätensiös! – Geht es Ihnen auch so, Beste?«
Der Hofbankier war auf seinen Stuhl zurückgesunken und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn. »Was interessieren uns deine Geschichten, wem du begegnest in den Straßen, wo du streichst herum, statt zu machen Geschäfte. Verschone uns! Wenn du willst trinken, werd' ich kommen lassen noch eine – noch eine halbe Flasche!«
»Sie is ja doch gewesen zwei Jahr bei Euch in Kondition. Ich wollt erst geh'n auf die andere Seite der Straße, da sie gar zu erbärmlich ausgeseh'n und hat gehabt ein Kind auf dem Arm, ein ganz kleines Kind, kaum vierzehn Tage alt, – aber ich bin doch ein guter Mensch und hab' gedacht: Was kann mir's kosten? Höchstens vier gute Groschen! Und da bin ich aus Mitleid steh'n geblieben und hab' sie angesprochen und hab' gefragt, wie's ihr geht.«
Der Hofbankier saß wie auf Kohlen; er wäre gern aufgebrochen, aber er wagte doch nicht, den wichtigsten Gast zu beleidigen, der starr vor sich hinblickte, während der große Berliner Börsenmann noch in seinen Berechnungen vertieft war. Überdies fing Frau Elvira jetzt an, sich für die Sache zu interessieren.
»Also, ein Kind? Abscheulich! – Denken Sie, Beste, meine Jungfer ein Kind!«
»Gott, wo bleibt die Moral!«
»Nun, Herr Schwager – was hat sie Ihnen denn gesagt?«
Herr Schlesinger hatte bereits die halbe Flasche geleert. »Man kann nicht stehen auf einem Bein wie ein Storch, obschon bei der Geschichte der Storch die Hauptrolle spielt. Schwager Moritz, du erlaubst! Louis, noch eine Flasche Rosé auf die Rechnung von Herrn I. M. Cahn u. Co.«
Der Hofbankier hätte ihm gern drei bezahlt, wenn er nur das Maul gehalten hätte.
»Was sie mir gesagt hat, das arme Geschöpf, Frau Schwägerin?«
»Ja – ich weiß doch nicht, daß sie Gelegenheit gehabt hätte in einem so anständigen Hause, wie das meine. Freilich – ein solches Geschöpf!«
»Sie wollen wissen, wer ist der Vater?«
»Nun ja, ich wäre doch neugierig!«
Der Bankier rückte unruhig hin und her, hätte er mit dem Schaumwein seinen würdigen Schwager vergiften können, ehe dieser den Mund auftat, er hätte es sofort getan.
Herr Nathan Schlesinger schien etwas von diesen Gefühlen zu merken, denn er zögerte auffallend mit der Antwort und machte sich allerlei zu schaffen, und als der große Berliner Bankier mit seinen Kalküls fertig schien und sich wieder zur Gesellschaft wandte, fragte er achtungsvoll: »Ist's wahr, Herr Kommerzienrat, daß der kleine Meier, der Disponent von I. M. Cahn u. Comp., tritt in Ihr Kontor?«
»Herr Cahn ist so gütig gewesen, mir ihn abzutreten. In der Tat ein gescheiter Kopf.«
»Aber Nathan,« sagte die Frau Hofbankier ungeduldig, »Sie haben mir noch immer nicht erzählt, was die Friederike Ihnen von dem Vater des Kindes gesagt hat?«
»Nischt, garnischt! – Sie hat mir garnischt gesagt, aber geweint hat sie, daß sich die Pflastersteine hätten erweichen können, und als ich aus gutem Herzen aus den Viergroschen hab' gemacht ein polnisches Achtgroschenstück und hab's ihr geben wollen, denken Sie! – hat sie's verweigert und gesagt, wenn ich ihr Arbeit verschaffen wollte, würd' sie mir dankbar sein für sich und ihr Kind, aber Almosen könne sie nicht nehmen, obschon sie mir erzählt hat, daß die Gläubiger haben verkauft das Haus von ihrem Vater, der erstickt ist am Kohlendampf zur rechten Zeit.«
»Du kannst sagen deiner Frau, der Marianne,« unterbrach ihn der Hofbankier, »daß ich morgen komme zu ihr. Herr von Resavah, Sie wollen aufbrechen so früh?«
Der Amerikaner mit dem merkwürdigen Gesicht hatte sich erhoben – seine Augen schienen in das Leere zu starren – weit, weit hinaus! »Es ist Zeit,« sagte er, »daß ich meinen Stab weitersetze und meine Mission erfülle. Was ich hier zu tun hatte, ist geschehen, Sie wissen, was das Kapital, das heißt die Macht, immer weiter in die Hände unseres Volkes bringen muß. Achten Sie darauf und leben Sie wohl! Der Bahnzug geht in einer Stunde, und mein Weg ist weit!«
Der Kellner half ihn: den einfachen Überzieher, den er getragen, umlegen. Die beiden Bankiers schüttelten ihm die Hände und begleiteten ihn zur Tür, als er sich kurz und stumm von den Damen verabschiedet hatte.
»Gott der Gerechte – was für ein unangenehmer Mann!« sagte die Bankiersfrau, als er fort war, »die Amerikaner sind doch ein merkwürdiges Volk! – Finden Sie nicht auch, meine Beste?«
»Ich weiß nicht,« meinte die empfindsame Elvira, »ich finde die Physiognomie interessant, so etwas Lord Byron im Harold oder Döhring als Mephisto!«
Die Herren kehrten zurück.
(Schluß des zweiten Bandes.)
Herrosé & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.