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Aber in Spanien …!

Bord der Victory,
Hafen von Cartasena am 28. Dezember 1860.

An
Seine Exzellenz
den Herrn Grafen Juan da Lerida in Madrid

Kapitän Jones meldet durch die Überbringer, daß der San Martino eingetroffen und zu einer Ladung von Waffen und Munition nach Gaëta von der Regierung geheuert worden ist.

Kapitän Jones hat das Kommando der Victory wieder übernommen und sendet dem Befehl gemäß diese Meldung durch Rafaël den Portugiesen und Nicolo den Malteser, die Seespinne begleitet.

Jones Waterford.

Nachschrift.

Mylord, welche Teufelei ist wieder in Sicht, daß Sie die beiden größten Schufte der ganzen Mannschaft zu sich beordern? Ich beschwöre Sie, nehmen Sie sich in acht und wenn Gefahr ist, rufen Sie mich lieber.

Die Nachrichten, welche die Victory von Roccabruna gebracht hat, sind gut, der Knabe ist wohl. Hüten Sie sich.

T.


Ein elegantes Gigk mit einem jener prächtigen andalusischen Pferde bespannt rollte den Salon del Prado entlang von dem Palast Buen-Retiro her. Es war gegen Sonnenuntergang, und die breite Promenade, eine der berühmtesten der Welt, war bereits dicht gefüllt von Promenierenden, Fahrenden, Reitenden und jener eleganten müßigen Menge, die vor dem Theater und den Tertullias ihre Zeit auf den Spaziergängen und vor den Kaffeehäusern hinbringt.

Der Herr des eleganten Gefährts schien mit aller Welt bekannt, bald begrüßte er vertraulich die schönen, mit einem eleganten Fächerspiel antwortenden Insassen einer aristokratischen Equipage, bald einen sein Cigaro vor dem Café rauchenden Offizier, – dort wieder eine Gruppe politisierender Abgeordneter und hier selbst einen mit steifer Grandezza sich fast bis zur Erde verneigenden Escrivano. Er rief munter eine Gruppe von jungen Leuten, die um eine der zahlreichen Bildsäulen standen und die promenierenden Senoritas lorgnettierten, eine kurze Bemerkung zu, grüßte höflich einen Geistlichen und nickte wenige Augenblicke darauf einer hübschen Kastanienverkäuferin, die an dem Rande eines der Springbrunnen ihre Calderata aufgeschlagen, zu. Dabei hütete er sich wohl, ein Versehen in der Art des Grußes zu machen, indem er den Charakter desselben sehr wohl nach dem der Person vom Respektvollen bis zum Vertraulichen und Protegierenden abmaß.

Der Kavalier, denn ein solcher war er ohne Zweifel nach Haltung und Eleganz, war ein Mann von etwa 28 Jahren, nicht viel über Mittelgröße, von elastischem Wuchs mit schwarzem, krausem und wohlgepflegtem Bart, Handschuh, Hut und Peitsche waren untadelhaft und der kurze Jockeypaletot, den er trug, stand bei dem prächtigen, milden Winterwetter offen und ließ eine elegante dunkle Gesellschaftstoilette sehen.

Wenn man mit Recht sagen kann: Paris ist Frankreich, muß es von Spanien gerade im Gegensatz heißen: Madrid ist nicht Spanien und ist es niemals gewesen. Was irgend an Intelligenz, Fähigkeit, Energie, Spekulation und Industrie, ja bis in die gewöhnlichsten Branchen des Handels hinunter sich in Madrid findet, ist von Fremden oder dem Zuzug aus den Provinzen repräsentiert.

Nur eines ist unbestrittenes eigenstes Eigentum der spanischen Hauptstadt: die Sittenverderbnis und die Intrigen! – –

Der Hof war seit etwa vier Wochen nach dem strengen Reglement der spanischen Etikette aus dem Escurial, der letzten der der Reihe nach bezogenen Sommer- und Herbstresidenzen, zurückgekehrt und hatte sein Lager wieder im Palacio Real an der Westseite der Stadt aufgeschlagen. Mit ihm war das Heer der Granden und der Häupter der vornehmen Familien nebst dem unzähligen Troß ihrer Dienerschaft wieder gekehrt, der von Geschlecht zu Geschlecht an dem Wohlstand der alten Familien nagt, ohne abgeschüttelt werden zu können. Die Cortes tagten und die politischen Intrigen waren im vollen Gange.

Ein Reiter in Zivil, gefolgt von zwei stattlich gekleideten Lakaien, kam den Prado herauf, von allen Begegnenden mit großer Achtung begrüßt. Auch der Herr des Gigks zog tief den Hut und parierte den feurigen Andalusier, als der Reiter Miene machte, den Kopf seines Pferdes nach ihm zu lenken. Derselbe war ein Mann hoch in den Vierzigern, mit geistvollem, klugen Gesicht, dessen Farbe wie die ganze Haltung der mittelgroßen, zähen Figur den alten Soldaten verriet.

»Sieh da, lieber Graf,« sagte der Reiter – »ich habe Sie lange nicht gesehen. Warum besuchen Sie mich nicht?«

Der Angeredete antwortete mit einer Gegenfrage. »Euer Gnaden hatte ich nicht die Ehre, im Escurial zu sehen, ich würde sonst nicht ermangelt haben, meine Aufwartung zu machen.«

»Pah – Sie wissen wahrscheinlich, daß in diesem Augenblick meine Person bei Hofe grade nicht sehr beliebt ist. Die Progessisten wollen die neue Schuld nicht bewilligen, und die Auflösung der Cortes ist vor der Tür. Man spielt jetzt Seiner Heiligkeit zuliebe die enragierten Freunde des legitimen Throns der Bourbons aus der Verwandtschaft der Frau Königin Mutter, während man die nähere Linie … Aber lassen wir das! – Ich erwarte Sie bei mir, denn ich habe Ihnen etwas inbetreff Ihres Schützlings zu sagen. Warten Sie – da fällt mir ein – morgen ist der Tag der Oper.«

»Ich glaube.«

»Nun – wenn Sie sich nicht scheuen, sich mit einem alten Soldaten zu kompromittieren, den man nicht einmal mehr für gut genug hält, die Marokkaner zu schlagen, so biete ich Ihnen einen Platz in der Loge der Frau Gräfin an. Aber, wie gesagt, genieren Sie sich nicht, denn einem Galant'homme wie Sie wird es nicht an besseren Einladungen fehlen. Also – so oder so – auf Wiedersehen, Herr Namensvetter!«

Der General grüßte und ritt weiter, der Conte wollte eben wieder die Zügel fassen, als eine Hand sich auf den Bock legte.

»Guten Abend, Graf Juan! Hat Ihnen Prim einige Augenblicke Zeit für mich gelassen?«

In der Tat war es der berühmte Graf von Reuß, der soeben mit dem jungen Abenteurer gesprochen, der – wie sich der Leser vielleicht noch aus der Vorstellung in der Villa Eugenie erinnern wird – ihn im Jahre 1853 nach Varna begleitet hatte.

»Ah – Doktor Ruiz – mit Vergnügen, ich stehe zu Diensten und wollte ohnehin mein Gigk nach Hause schicken. Da – nimm!« er warf dem Jokai die Zügel zu. – »Sage Mauro, daß er um sieben Uhr mich an dem bestimmten Ort erwartet.«

Der Graf nahm den Arm des Journalisten und schlenderte mit ihm durch die Menge.

»Lassen Sie uns französisch sprechen, Graf,« sagte dieser, eine gedrungene Gestalt mit niederer, breiter Stirn, scharfgebogener Nase und durch die Brillengläser blitzenden Augen. »Wissen Sie, daß mein Journal heute unterdrückt worden ist?«

»Teufel! Ich hätte Senor Herrera in der Tat nicht den Mut zugetraut!«

»O, das ist doch nichts! Olozaga, Rivera und Sagasta interpellierten heute in der Kammer und der Marschall erklärte, daß die Regierung entschlossen sei, alle radikalen Journale zu unterdrücken, wenn sie fortführen, den Antrag gegen die weltliche Herrschaft des Papstes und auf Abberufung der spanischen Schiffe von Gaëta zu unterstützen.«

Der Graf lachte. »Also daher weht der Wind! Kardinal y Brêa schien in der Tat im Escurial willkommen, und Monsignore Barili ist nicht umsonst in Rom gewesen. Vielleicht bringt er Ihrer Majestät die goldene Tugendrose von Seiner Heiligkeit mit. Aber in der Tat, mein lieber Ruiz, die Sprache Ihres Journals ging wirklich auch etwas über das gewöhnliche Maß hinaus.«

»Für was haben wir eine Konstitution – Preßgesetz, wenn der Mann nicht seine Meinung sagen darf? Wissen Sie von den neuesten Maßregeln gegen die Protestanten?«

»Was gibt es wieder? Sie wissen, ich bin selbst so ein halber Ketzer von meiner Mutter her.«

»Sie erinnern sich – Sie waren ja einige Tage im Oktober in Madrid, – daß der Missionar oder Evangelist Matamoros damals auf die Requisitionen von Granada her verhaftet und eingekerkert wurde.«

»Ich glaubte, die Sache wäre längst tot und vergessen.«

»Gott bewahre. Man hat unter dem Bett die Papiere des Senor Matamoros gefunden, welche die genaue Liste aller Protestanten in Spanien enthalten und die Inquisition – Sie erinnern sich, Senor Conde, daß das Inquisitionsgericht seit der Rückkehr der Königin Christine im stillen wieder in voller Tätigkeit ist?«

»Ich habe davon gehört,« sagte der andere vorsichtig.

»Und zwar nicht allein in Glaubenssachen – auch in die politischen Prozesse sucht es sich mehr und mehr hinein zu mischen! Mil demonios! Das muß ein Ende nehmen! Ein Mönch Censor über eine politische Presse! Aber um auf das zurückzukommen, was ich Ihnen erzählen wollte, – man hat eine Protesta mit zahlreichen Unterschriften gefunden und es sind seitdem eine Menge Verhaftungen vorgenommen worden, teils öffentlich, teils im stillen. Wir dürfen das nicht dulden. – England und die protestantischen Staaten müssen sich ins Mittel legen. Ich habe bereits einen Aufruf an die Evangelical-Alliance gerichtet …«

»Aber, mein lieber Doktor,« unterbrach ihn der Graf, »verzeihen Sie mir, aber warum dieser Eifer? So viel ich weiß, sind Sie weder Protestant noch Katholik.«

Der Journalist wurde etwas rot und verlegen. »Allerdings – ich bin Jude,« sagte er. »Aber es ist Menschenpflicht; der erste Artikel eines freien Staates ist die Freiheit des Bekenntnisses, und in unserm Spanien besteht noch heute das Gesetz zu Recht, welches gestattet, jeden Glaubenswechsel mit acht Jahren Kerker und Strafarbeit zu bestrafen.«

»Aber nur den Abfall von der römisch-katholischen Kirche,« lachte der Graf – »Sie können ganz getrost den Talmud abschwören, ohne nach Ceuta zu kommen.«

»Sie sind ein Spötter, Sie haben kein Herz für die Volksrechte und die wahre Freiheit. Aber wenn man auch meinen » el futuro« unterdrückt hat, ich werde sofort ein neues Journal gründen, ich werde Artikel schreiben, gegen welche der ami du peuple Das berüchtigte Journal Marats. eine Kinderlektüre sein soll. – Ich werde das Journal la democracia nennen, hier ist bereits das Programm, zweitausend Aktien, jede zu hundert Realen – à propos, Senor Conde, wie viel Aktien darf ich für Sie notieren?«

»Geben Sie mir fünfzig – und erlauben Sie mir Ihnen den Betrag gleich einzuhändigen.«

»Oh, Senor Conde …«

»Keine Bedenklichkeiten – klare Rechnung erhält die Freundschaft! Fünftausend Realen sind etwa vierzehnhundert Franken …«

»Vierzehnhundertsiebenundsiebzig ein halb,« sagte der Doktor rasch.

» Muy bien! Ich sehe, Sie verleugnen Ihre Erziehung nicht, und das ist viel wert bei einem Mann! Sagen wir also fünfzehnhundert Franken. Hier sind drei Banknoten zu 500 Franken – die Papiere können Sie mir später einhändigen.«

Der Doktor machte ein sehr vergnügtes Gesicht. »Sie sind ein wahrer Mann des Volks, Conde,« sagte er, plötzlich sehr vertraulich. »Ja, wenn alle Aristokraten so dächten – aber ich weiß, Sie waren früher ein Mitglied des ›jungen Spaniens‹, wenn Sie auch die Juntas nicht mehr besuchen. Ich werde für Sie bürgen, wenn von Ihnen die Rede sein sollte.«

»Das eben, lieber Doktor,« meinte der Kavalier, indem er den jüdischen Journalisten fester unter den Arm faßte und ihn nach einer weniger belebten Partie der breiten Promenade führte, – »das eben ist es, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte. Sie wissen, Sie reden mit einem Freunde. Wie stehen Sie mit den geheimen Gesellschaften?«

»O, vortrefflich – nur …«

»Welche Gesellschaft ist in diesem Augenblick die einflußreichste in Madrid?«

»Wie meinen Sie das – in der Kammer, bei Hofe – unter der Armee, im Volke? Sie müssen wissen, es ist da überall ein Unterschied.«

»Lassen Sie uns eine nach der andern nehmen. Also zunächst in den Cortes.«

»Wir haben neben den Fraktionen der Moderados und der Progressisten die Radikalen. Man fürchtet bei Hofe noch immer die Mazoneria.« Die Freimaurerei.

»Sie hat sich überlebt. Steht General Isturiz noch immer an der Spitze der sublimes templarios?« Los sublimes templarios – die hohen Templer.

»Das ist mehr, als ich weiß – das war vor unserer Zeit, amigo!« Es zuckte dem Aristokraten in der Hand, dem würdigen Vertreter der Presse einen Stoß zu geben für die Benennung, aber er bezwang sich. »Sagen wir also die Armee.«

»Wenn Sie die alten Esparteros meinen – los hijos del sol Die Söhne der Sonne, schon 1826 unter den von Amerika mit Rodil zurückgekommenen Offizieren gebildet. sollen noch immer bestehen. Unter dem jungen Militär sind es die Libertad und die Antonisten, die den meisten Einfluß haben.«

»Ah – Monsieur d'Orleans! Das ist ziemlich offen intrigiert«

»Im Vertrauen kann ich Ihnen sagen, daß die Hauptagitation jetzt unter der Flotte besteht. An der Spitze soll Topete stehen. Der Sitz der Agitation ist in Cadix und Cartagena.«

»Kommen wir zum Volke. Haben die Kommuneros noch immer die alte Organisation?«

»Sie sind längst von den Isabellinos, dem jungen Spanien, überflügelt, aber …«

»Nun?«

»Sagen Sie mir offen, amigo, um was es sich handelt, und ich kann Ihnen dann vielleicht die beste Auskunft geben. Handelt es sich darum, das Kabinett zu stürzen?«

»Bewahre – vielleicht später! Madame Negrete ist eine so liebenswürdige Frau, daß man ihren Mann möglichst bei den Geschäften und von ihrem Boudoir entfernt halten muß. – Nein – höchstens bei Gelegenheit ein kleiner Tumult! – Vielleicht die Entführung einer hübschen Nonne oder dergleichen, Sie kennen meine Schwachheit in diesem Punkt. So etwas, was der Guardia für eine Nacht zu tun gibt.«

»Und was würden Sie daran wenden, Senor Conde?«

»Fünfhundert Napoleons!«

» Optime – dafür sollen Sie zwölf Stunden lang mindestens eine vollständige kleine Revolte haben. Die Gesellschaft der Lenadores Holzhacker, eine der kommunistischen Verbindungen. ist dazu die geeignetste. Soll ich Sie heute abend einführen?«

»Ich danke – das wird Ihre Sache bleiben. Wie steht es mit den karlistischen Umtrieben?«

»Die Gesellschaften des Sterns und der Würgengel üben noch immer eine geheime Tätigkeit, ja ich vermute, daß Mitglieder derselben sich in die radikalen Verbindungen haben aufnehmen lassen. Und wann wünschen Sie Ihr Pronunciamento?«

»Haben Sie denn schon eine Ursache dazu?«

» Vamos! Nichts leichter als das. Schon die heutige Drohung des Marschalls Der Minister-Präsident Marschall Odonnell. gegen die Presse gibt Anlaß genug. Wir wollen diesem Ministerium zeigen, daß wir uns dergleichen nicht bieten lassen. Es ist ein Glück, daß gerade der beste Spürhund der Polizei sich nicht in Madrid befindet, denn man ist in der Tat nie sicher vor ihm und seinen hundert Masken. Die anderen sind Schlafmützen oder halten für einige Duros selbst mit.«

»Wen meinen Sie?«

»Den Secretario Cuerta – sollten Euer Excellenza ihn noch nicht kennen?«

»Nicht von Person. Aber ich muß Sie hier verlassen, Doktor, denn ich habe noch einige Geschäfte. Wollen Sie mich morgen vor der Siesta besuchen, so sprechen wir weiter – bis dahin Gott befohlen!«

Er verließ den Journalisten, sah nach der Uhr und wandte dann seine Schritte dem nächsten Eingang des Parks von Buen-Retiro zu.

Vor dem Tor des Gitters stand eine hübsche Florista, eine jener Blumenverkäuferinnen, die man in Madrid auf dem Prado und den anderen Promenaden meist noch jung und hübsch findet, während die berühmten Blumenmädchen der Piazza von San Marco recht gut mit dem Berliner Corps de Ballet in Alter und Erfahrung wetteifern können.

Unfern des Eingangs hielt eine elegante Pariser Equipage, deren Inhaber ausgestiegen waren, um zu promenieren. Zwei gepuderte Bediente standen an dem Bock und plauderten mit dem Rosselenker. Auf dem Schlag des Wagens befand sich in zierlichem Miniatur ein quadriertes Wappen und darüber eine Herzogskrone.

»Hast du Fra Antonio gesehen, kleine Heidin?« fragte der Graf, indem er eines der kleinen Blumensträußchen wählte und dafür einen Duro in den Korb der Verkäuferin gleiten ließ.

»Heilige Mutter Gottes, wie haben Sie mich erschreckt, schöner Senor. Aber was reden Sie von Heidin, Senor Don Juan? Ich bin eine alte Christin so gut wie Sie, und all die meinen sind schon viel hundert Jahre gute Katholiken, wenn wir auch arme Gitanos sind.«

»Nun, ich zweifle keinen Augenblick, daß du die Messe hörst, obschon dein hübsches braunes Gesicht besser an ein Feuer in einer Schlucht der Sierra Morena paßt, an dem die alte Hexenmutter den Kessel kocht, als vor ein Sanctuarium. Warum hast du mir so lange keine Blumen gebracht?«

»Der Senor Padre hat mir gesagt, Excellenza wären verreist und hätten befohlen, ich solle meine Sträuße einstweilen alle Morgen bei ihm abgeben.«

»Der Schuft! Ich werde ihm das Fell über die Ohren ziehen für die Lüge! Und so hast du ihm deine Blumen gebracht?«

Die Gitana warf spröd und spöttisch den schönen Hals zurück. »Was denken Sie von der Paxarilla, Vögelchen. Senor Don Juan! Ich würde den dicken, häßlichen Mönch besuchen? – Er könnte höchstens mein Messer zu kosten bekommen, wenn er mich nicht in Ruhe läßt, und wenn er mir zehnmal mit dem geistlichen Bann droht, wie noch eben.«

Der Conde lachte. »Beruhige dich, Kleine, ich will es schon in Ordnung mit ihm bringen. Wer stieg aus dem Wagen, der dort hält?«

» Carai! Wollten Sie das gern wissen, blanker Caballero? Was brauchen Sie nach den Senoritas zu fragen, wenn Sie die kleine Paxarilla wirklich lieben?«

»Sei nicht albern, Kind – Du bist mein Vögelchen und ich fragte nach einer Dame! Besuche mich dieser Tage, Herzchen. – Noch eins – Ihr wohnt doch noch im Quartier der Andalusier?«

»Wenn Euer Gnaden sich unserer Hütte erinnern wollen!«

» Caramba, warum sollte ich nicht. Und dein Bruder?«

»Gomez wird nächstens den Stier töten,« sagte das Mädchen mit einem gewissen Stolz. »Der Corregidor selbst hat ihn berufen, als die beste Espada der sieben Provinzen.«

» Muy bien – ich werde ihn sehen. Einstweilen sage ihm, daß ich mit ihm zu sprechen hätte.«

Die Blumenhändlerin knixte. » A Dios, Senor Don Juan!« Er war bereits den breiten Gang der schönen Kastanienallee hinauf geschritten und hatte sich zur Linken gewendet. »Ich hoffe, daß Madame la Duchesse heute nicht von dem alten Narren, ihrem würdigen Gemahl begleitet ist. So versprach es wenigstens ihr Billet. – Sieh da, der Mann, den ich brauche, Fra Antonio – und dort die Herzogin, nur von ihrer Camarera begleitet.«

In der Nähe des großen Teiches hatte sein scharfes Auge unter den Spaziergängern zwei Damen entdeckt, von denen die jüngere, eine vornehme schlanke Gestalt in eleganter Pariser Wintertoilette, die Gesuchte war. Zugleich sah er auf einer Bank am Bassin in sehr bequemer Stellung den Padre Antonio sitzen und die Daumen übereinander drehen.

Er trat leise hinter ihn.

»Schuft!«

Der Anruf schien dem Pfaffen nicht ungewohnt, denn er drehte sich hastig um. »Ah, Senor Conde, Sie Spaßvogel, ich hätte es mir denken können, daß Sie es sind. Ich habe schon lange auf Sie gewartet.«

»Ihr werdet noch zeitig genug das angenehme Gefühl des Ohrenabschneidens erfahren, wenn Ihr noch einmal versucht, mir ins Gehege zu kommen.«

»Bei allen Märtyrern, Excellenza, Sie tun mir unrecht. Die Paxarilla ist eine schändliche Lügnerin und will Ihnen bloß einen Floh ins Ohr setzen. Auf Ehre und Gewissen, ich habe die Zigeunerhexe mit keinem Finger angerührt.«

Don Juan lachte herzlich. »Du hast dich selber verraten, amigo, wer spricht von der Zigeunerin? Aber bleib ihr vom Leibe, oder ich schicke dir ihren Bruder, den Espada, über den Hals, und du weißt, der ist gewohnt, Stiere abzustechen.«

Der Cura murmelte etwas, das halb wie eine Entschuldigung, halb wie eine Verwünschung klang, indem er sich dabei den Schweiß trocknete, denn der Caballero vertiefte sich mit hastigen Schritten in die Gänge und er mußte sich fast in Trab setzen, um ihm zu folgen. »Der heilige Dominikus bewahre mich, – man sollte wirklich keinem Frauenzimmer unter fünfzig Jahren mehr die Beichte hören, um all der Bosheit und Verleumdung zu entgehen.«

»Welche Nachrichten von der kleinen Ines?«

»Man hat sie in Klausur zu den Karmeliterinnen gebracht. Heilige Jungfrau, wird das einen Lärm geben!«

»So hat sie gestanden und ihren Onkel verraten?«

»Gott behüte – stumm wie ein Fisch ist die Närrin. Man sollte dem Weibsbild Daumschrauben setzen. Aber das meine ich nicht!«

»Und was meint Ihr denn?«

Der Mönch blieb stehen. »Uf – ich kann nicht mehr! Wenn Sie so weiter laufen, als wäre die heilige Hermandad hinter Ihnen, Senor Conde, erfahren Sie kein Wort von mir.«

Don Juan blieb stehen. »So sprecht – aber rasch!«

»Wissen Sie, daß die Senora Ines –«

»Nun?«

»Daß sie sich Mutter fühlt, ohne je Frau gewesen zu sein?«

» Caramba – wie wäre das möglich, der arme Tommaso müßte denn die Hochzeitsnacht vor der Trauung gefeiert haben, was sonst unter meinen höchst moralischen Landsleuten gerade nicht Sitte zu sein pflegt.«

Der Cura schielte ihn bedeutsam von der Seite an. »Das ist es eben! Euer Gnaden wissen selbst am besten, daß der arme Bursche in der Nacht nach seiner Trauung, statt bei seiner jungen Frau im Bett zu liegen, sich mit der Bärin herumbalgte und dabei zu Tode fiel. Und dennoch schwört sie Stein und Bein und will die Hostie darauf nehmen, daß ihr Ehegatte in selber Nacht bei ihr gewesen ist.«

»So war es vielleicht sein Geist!«

»Ein Geist von Fleisch und Blut! Euer Excellenza …«

»Was?«

Die Augen des Conde richteten sich mit einem so drohenden Ausdruck auf den Mönch, daß das vertrauliche Faunenlächeln desselben rasch wieder verschwand.

»Nun, ist ein solches Wunder etwa nicht möglich?«

»O, gewiß, Senor Conde, aber …«

»Die junge Frau hat ganz recht, wenn sie glaubt, daß die Liebessehnsucht des Gatten in jener verhängnisvollen Nacht wenigstens seinen Geist zu ihr zurückgeführt hat. Die würdigen Schwestern Karmeliterinnen werden für ihr Kloster den größten Vorteil ziehen, wenn sie ein solches Wunder proklamieren können! Ihr werdet Euch natürlich als ihr Seelsorger und Beichtvater für die Tugend der Senora Ines bei ihnen verbürgen können.«

Der Cura kraute sich an der Glatze. »Sie sind nur jetzt so schändlich ungläubig hier in Madrid,« meinte er zweifelhaft. »Die Sache wird viel Geld kosten!«

»Das jedenfalls nicht aus Eurer Tasche kommt. – Also sprecht mit der Mutter Äbtissin!«

»Es ist merkwürdig, Senor Conde, was eine Börse mit Geld für eine Überzeugungskraft hat.«

»Mir fällt da ein – man müßte ganz Madrid für das Wunder interessieren, oder wenigstens für die junge Witwe.«

»Teufel – ich wüßte gerade nicht, ob das den Herren vom Gerichtshofe so angenehm sein würde.«

»Was kümmert das mich. Die hohe Polizei mag ihre schmutzigen Klauen von den hübschen Weibern lassen. Die alten kann sie immerhin nehmen.«

»Und wie wollten Sie das anfangen, Excellenza?«

»Ihr seid verteufelt neugierig, Padre, und kennt doch unsern Kontrakt!«

»Die Heiligen mögen sich des erbarmen, ich bin ein armer, geschlagener Mann, daß ich mich mit einem solchen Tollkopf eingelassen.«

»Sagt das nicht, es war jedenfalls das Gescheiteste, was Ihr tun konntet nach dem abscheulichen Verrat an Eurem Freund und Wohltäter.«

»Senor Don Juan, ich schwöre Ihnen …«

»Schwört nicht falsch, Pfaffe, Ihr wißt, daß ich die Beweise in Händen habe von jenem schurkischen Cuerta selbst. A propos – wo ist der Bursche?«

»Ich weiß es nicht – bei den sieben Märtyrern, es ist wahr!«

»Ich will's glauben, er wäre auch ein zu großer Dummkopf, wenn er einem Wanst, wie Ihr, Staatsmissionen anvertrauen wollte. Aber ich werde es schon erfahren. Einstweilen habt Ihr gesehen, was von den Versprechungen der hohen Polizei zu halten ist!«

»Leider! Es ist eine undankbare Welt,« näselte der Cura, indem er die Augen verdrehte.

»Nachdem sie Euch die Würmer aus der Nase gezogen und Euer Zeugnis gebraucht, hat Euch Senor Cuerta die Tür gewiesen und der Prior erklärt, er kenne Euch nicht mehr, da Ihr länger als zehn Jahre als Weltpfaffe auf eigene Hand in der Provinz Euch herumgetrieben!«

»Wahr, wahr!« stöhnte der Mönch und trocknete sich die Stirn. »Aber lauft nur nicht so entsetzlich, Senor Conde!«

»Ihr hättet verhungern können für Euren schändlichen Verrat hier in Madrid, wenn ich mich Eurer nicht angenommen hätte, denn Ihr wißt sehr wohl, daß Ihr Euch in Navara und dem Baskenland nicht wieder sehen lassen dürft, ohne einen Strick für Euren Speckhals zu gewinnen und zur Zierde des nächsten Baums zu dienen!«

»Es ist eine schlimme Welt,« jammerte der Gepeinigte.

Aber der Graf war nicht der Mann, ihn so leichten Kaufs loszulassen. »Nun denn – führt Ihr nicht ein Leben, wie Gott in Frankreich, seit ich Euch als meinen Großalmosenier, Oberkuppler oder Beichtvater – gebt Euch einen Titel, wie Ihr wollt! – engagiert habe? – Selbst der Schurke Cuerta und die ganze Klerisey sind wieder auf du und du mit Euch, seit Ihr nichts mehr von ihnen verlangt!«

»Das Gesindel! Ich wünschte, ich könnte sie alle auszahlen. – Aber leiste ich nicht dafür der hohen Gesellschaft der Kontrebandista, für die man mich engagiert, und Ihnen selbst alle Dienste, die ich kann? – Habe ich mich nicht selbst in die Gefängnisse gewagt und spioniert? – Habe ich nicht Ihnen zu Gefallen selbst gegen das sechste Gebot sündigen helfen und muß ich armer, geplagter Mann nicht selbst das Sakrament der Beichte Ihnen zuliebe mißbrauchen und verraten?«

»Schweig, Pfaffe – du warst soeben neugierig und du weißt, daß das verboten ist. Ein Wort von mir und es gibt noch Anhänger des Grafen Montemolin genug hier, die deinen Verrat mit einem tüchtigen Stoß ihrer Navaja bezahlen würden.«

»Aber Sie wissen, Senor Conde – das Geheimnis, das ich Ihnen erzählte, – es würde mir Vergebung erkaufen. Jenes Dokument, mit dem der hochselige König den Widerruf zurückgenommen – das letzte Testament –«

»Bah, Unsinn! Die Sache ist eine alte Geschichte; – Calomardes Minister Colomarde wußte den König im September 1832 während einer gefährlichen Krankheit zum Widerruf der pragmatischen Sanktion zu bewegen, dem Marie Christine selbst beistimmen mußte – ihrem Einfluß gelang es aber bald, die Zurücknahme wieder zu erreichen. Intrige ist von den Cortes selbst desavouiert. Ist das Weib tot?«

»Diese Nacht ist Senora Inisilla gestorben, ich habe ihr die letzte Ölung gegeben.«

»Dann erzählt mir die Geschichte bei Gelegenheit näher! – Aufgepaßt jetzt! – Noch eins! Wie steht es mit Castillos?«

»Das Urteil ist heute gefällt. Fünf Jahre nach Ceuta. Da sie ihm nichts beweisen konnten, haben sie ihn so billig müssen davon kommen lassen!«

»Schuft, der Ihr seid, das billig zu nennen! Er hat also nichts verraten?«

»Keinen Menschen, und da der verfluchte Hund das Papier gefressen hatte …«

»Und was wird mit ihm?« unterbrach ihn hastig und halblaut der Caballero, denn sie waren jetzt dicht hinter den beiden Frauen.

»Am nächsten Montag wird er mit den andern Galeerensklaven nach Kadix transportiert.«

Eben wandte sich die jüngere Dame um. »Beschäftigt die Camerara,« flüsterte der Graf seinem Begleiter zu und zog dann hastig den Hut, sich tief verbeugend.

Die Dame dankte mit jenem koketten Fächerschlag, der nur den Frauen Spaniens eigen.

»Ah – Senor Conde – was verschafft uns das Vergnügen, Sie hier zu treffen?«

»Der glücklichste Zufall der Welt für mich, Altezza. Darf ich die Ehre haben, der Frau Herzogin meinen Respekt zu Füßen zu legen und meine Begleitung auf Ihrer Promenade anzubieten?«

»Ein so geschätzter Freund meines Gemahls, der heute verhindert war, mit mir den schönen Sonnenschein zu genießen, kann nur willkommen sein. Ihren Arm, Senor Conde – der Spaziergang hat mich in der Tat etwas ermüdet.«

Er bot ihr galant seinen Arm und die schöne Frau stützte sich leicht darauf im Weiterschreiten. Ein kurzer Wink hatte die Kammerfrau bedeutet, zurückzubleiben und Pater Antonio machte sich eifrig an dieselbe und verwickelte sie in eine Unterredung aus dem letzten Hof- und Stadtklatsch.

Die Dame, die der Kavalier als Herzogin angeredet, mochte zwei- bis dreiunddreißig Jahre zählen, doch ließen die Künste der feinen Toilette sie noch unter jenem Wendepunkt des weiblichen Lebens erscheinen, der bei den Frauen des Südens noch schärfer sich bemerklich macht, als bei denen des Nordens. Ihre Gestalt war schlank und elegant, das Gesicht schmal und von jener durchsichtigen, samtartigen Blässe, welche oft ein heißblütiges, verzehrendes Temperament verbirgt. Um Augen und Mund lag etwas Abgespanntes, Schattenartiges, was der kühn gebogenen, schmalen Nase und den feurigen schwarzen Augen den Ausdruck verzehrenden, nie befriedigten Verlangens gab. Der Mund war ziemlich groß, mit hübschen Zähnen und jenen dunklen Schatten auf der Oberlippe, welches vielen Frauen Italiens und Spaniens weniger zur Zierde als – zum Kennzeichen gereicht.

Sie waren kaum außer Hörweite, als die Herzogin sich heftig zu ihrem Begleiter wandte.

»Wo waren Sie gestern und vorgestern, mein Herr, daß man Sie nicht gesehen hat?«

»Euer Gnaden wissen, daß mir der ungenierte Zutritt im Palast nicht zusteht, und daß ich mich Ihnen nur in den konventionellen Formen des Besuchs nahen darf.«

»Das ist Ihre gewöhnliche Ausflucht,« sagte die Herzogin heftig, – »es würden sich zehn Gelegenheiten finden, mich zu sehen; aber Sie haben dieselben kaum ein einziges Mal benutzt, seit wir in der Stadt sind.«

»Und dennoch war meine Sehnsucht unbegrenzt. Aber ich hatte eine Menge Hindernisse zu beseitigen. – Geschäfte, – Konferenzen, – Sie wissen, daß ich einen für mich sehr wichtigen Prozeß bei dem obersten Gerichtshofe zu führen habe.«

»Der gute Wille, mein Herr, würde das alles ersetzen, aber ich fürchte, daß ich Ihrer Flatterhaftigkeit bereits langweilig geworden bin!«

»Madame – teure Maria, wie können Sie so sprechen! Es macht mich unglücklich, Sie das sagen zu hören. Sie wissen ja, daß ich nicht schuld bin, neulich im Park –«

»Ja – der Herzog kam kurz vor der Ausfahrt auf den Gedanken, mich zu begleiten. Aber Sie hätten sich uns anschließen sollen.«

»Und hätte ich dann meine Augen, meine Lippen verhindern können, jene Sprache zu reden, die ihnen in Ihrer Nähe Bedürfnis sind?«

»O Juan, wenn Sie wahr sprächen!«

»Kann eine Frau, wie Sie, daran zweifeln?«

»Wir wollen sehen, mein Herr! – Hier haben Sie die Erlaubnis des Herzogs, die Ihnen gestattet, das Staatsarchiv zu besuchen und dort jene Einsichten zu nehmen, die Sie für Ihren Prozeß nötig halten.«

»O, Sie sind ein Engel, Maria!« – er küßte zärtlich ihre Hand, die ihm das Papier reichte. Seine Augen überflogen dasselbe rasch – ein malitiöses Lächeln zuckte um seinen Mund. »Seine Gnaden, der Herr Herzog, sind sehr gütig – mir diese offizielle Erlaubnis durch Ihre Hand zu erteilen, sie sichert mir wenigstens die Gelegenheit, mich öfters in Ihrer Nähe zu befinden, nur …«

»Nur? Was, mein Herr?«

»Ist dies die Erlaubnis, die am Ende jeder Gelehrte und Beamte erhält und die mir nur die Einsicht in die öffentlichen Dokumente gestattet, – die Zeichen fehlen darauf, welche die Archivare ermächtigen, mir Einsicht in die wichtigeren Papiere zu gestatten.«

Sie sah ihn scharf an. – »Sie wissen, Graf, daß das nur auf spezielle Erlaubnis der Königin geschehen darf.«

»Das weiß ich und ich weiß auch, daß Ihre Majestät die Königin Isabella Ihre persönliche Freundin ist. Da aber jene Dokumente, deren Zitate ich zu der Gewinnung des Prozesses benötigt bin, aus der Zeit vor Aushebung der Fueros datieren, und die Archive von Bilbao und Irun damals nach Madrid gebracht wurden, und da mein Prozeß gegen die Interessen der Krone geht … Erlauben Sie mir also, Frau Herzogin, Ihnen und dem Herrn Herzog für die bewiesene Güte zu danken und diese Erlaubnis in Ihre Hände zurückzulegen.«

Er reichte ihr das Papier und trat mit einer kalten Verbeugung zurück.

Eine dunkle Röte überflog das Gesicht der Dame. »Sie sind ein Undankbarer, Senor,« sagte sie. – »Sehen Sie – was ich für Sie getan habe und dann sagen Sie mir, ob ich das Interesse der Königin gegen das Ihre vorziehe?« Sie zog ein zusammengefaltetes Papier aus dem Busen und reichte es ihm, indem sie scheu umherblickte.

»Die Unterschrift der Königin?«

»Sie ist es – begreifen Sie wohl, Senor, was ich getan? Ich habe das Blankett aus der Schatulle des Herzogs entwendet. Wenn es entdeckt wird, werden er und ich verbannt oder eingekerkert. Und das für Sie!«

Er achtete kaum der Angst, mit der sie ihm das Blankett gereicht. Sein Auge ruhte mit einem dämonischen Funkeln auf dem Papier.

»Aber es fehlt die Kontrasignatur des Herzogs!«

»Wollen Sie ihn etwa wissen lassen, was ich für Sie getan? Ich dächte, das wäre Ihre Sache?«

»Sie geben mir dies zur freien Benutzung?«

»Zur freien Benutzung für Ihr Interesse! Ich gebe es Ihnen als Beweis meiner Liebe – alles, alles!«

Seine Augen leuchteten. »Dank, Maria! Und Ihr Haus am Tor von Valencia?«

Sie sah ihn leidenschaftlich an. »Ich werde diese Nacht dort zubringen, wie ich jeden Dienstag tue.«

»Dann – um ein Uhr!«

»Auf Wiedersehen!«

Die ganze glühende, leidenschaftliche Hoffnung der Vergeltung für das, was sie getan, lag in dem glühenden Blick, mit dem sie ihm die Hand reichte.

Er küßte sie ehrerbietig.

»Ich lege mich Euer Gnaden zu Füßen und bitte Sie, Seiner Hoheit meinen Respekt zu vermelden. Darf ich die Ehre haben, die Frau Herzogin zu ihrem Wagen zu führen?«

Die Camarera mit dem Mönch waren herbeigekommen.

»Ich will Sie nicht bemühen, Senor Conde, ich weiß, daß diese Stunde im Prado oder auf der Puerta del Sol unseren jungen Herren unersetzlich ist. Der Herr Herzog hofft, Sie in unserer nächsten Tertulia zu sehen.«

»Ich werde nicht ermangeln.«

Die vornehme Dame zog die hermelinverbrämte Mantilla fester um ihre Schulter, neigte graziös den Fächer zur Entlassung und wendete sich nach dem nächsten Ausgang des Parks.

»Uf!« sagte der Mönch, als die Frauen weit genug entfernt waren – »muß das eine fromme Dame sein! Alle Morgen um sechs Uhr schon in der Messe, wie mir die Senora Camarista erzählte, und alle Woche, wie's Gott und die Heiligen geben, vierundzwanzig Stunden Kasteiung im Kloster der frommen Schwestern von der Buße Magdalenas.«

Der Graf antwortete ihm nicht – er ging mehrere Minuten in tiefem Nachdenken neben ihm her. »Kennst du einen Schlosser?« fragte er.

»Beim heiligen Augustin, warum sollte ich nicht? Da ist Meister Antonio Perez, der Hof-Carriero Schlösser. Seiner Königlichen Hoheit des Infanten Don Sebastian, dann neben der Straße Alcala …«

»Nein, nein,« unterbrach ihn der Kavalier – »einen gewöhnlichen Mann, der einen armen Burschen etwa als Lehrling annehmen möchte.«

»Ah – ich verstehe, Senor Conde, ein Kind der Liebe, das Sie ehrlich versorgen und zu einem wackern Handwerker ausbilden möchten. Da ist vor dem Tor von Toledo gleich in der zweiten Straße links ein armer Kerl, der lahme Carriero genannt, der würde mit Entzücken ein Dutzend Duros für einen Bankert verdienen und ihn dafür zum ehrlichsten Mann von der Welt hämmern. Soll ich vielleicht …«

»Ich danke, Padre – ich werde das schon besorgen. Also die Donna Inisilla, die alte Dienerin der Königin Mutter, ist endlich tot?«

»Diese Nacht, Senor Conde, wie ich Ihnen bereits gesagt. Die Heiligen mögen sich ihrer armen Seele im Fegefeuer erbarmen, denn sie hat kaum soviel hinterlassen, um ein Dutzend anständiger Messen lesen zu lassen. – Sie war auch ein Beispiel des Undanks der Großen dieser Welt!«

Er verdrehte bezeichnend die Augen.

»Unsinn – die Königin Marie Christine steht wohl in dem Ruf, geizig und habsüchtig zu sein, aber sie ist viel zu klug, ohne Ursache eine alte Dienerin zu verstoßen, die um mancherlei Geheimnisse wissen mußte, und deren hatte Ihre Majestät bekanntlich nicht wenige.«

»O, Senor Conde, tun Sie Ihrer gesegneten Majestät nicht Unrecht. Die Donna Inisilla soll eine ganz hübsche Summe erhalten haben, als die verdammten Progressisten die Königin das erstemal zwangen, nach Frankreich zu gehen, aber die Donna hatte einen Neffen, der ein arger Verschwender war und sie bis aufs Hemd ausgeplündert hat, und als sie sich später wieder an die Königin wandte, ist sie mit strenger Strafe bedroht worden. So wurde ihre Armut immer größer, und es war ihr nichts geblieben, als das Häuschen in der Vorstadt, in dem der Zufall mich Wohnung finden ließ.«

»Nun und ihre Geheimnisse?«

»Es sind manche wunderliche Geschichten, die sie mir unter dem Siegel der Beichte vertraut hat. Da ist zunächst die Liebschaft der Königin mit dem deutschen Baron, den sie zu ihrem Kammerherrn machte – dann die skandalösen Zusammenkünfte auf den Jagden …«

»Gleichgültige Dinge – Ihre Majestät hat ihre Liebschaften nach Schocken gezählt. Aber was faseltet Ihr doch von einem Testament?«

»Es ist keine Faselei, Senor Conde,« beteuerte der Pfaffe, »Donna Inisilla hat mir die Wahrheit auf dem Totenbett zugeschworen. Die arme Dame hat den König in seiner letzten Krankheit pflegen helfen und in der Nacht des 28. September 1833 …«

»Am Tage darauf starb ja wohl König Ferdinand VII?«

»In jener Nacht hatte sie die Wache – niemand glaubte seinen Tod so nahe, ja der erste Leibarzt hatte erklärt, daß das geheiligte Leben außer Gefahr sei und der König sich in der Besserung befinde. Der Doktor schlief in einem andern Teil des Palastes, die Königin in dem zweiten Zimmer von dem ihres Gemahls, denn sie ließ bekanntlich bis an sein Ende niemanden zu ihm, außer in ihrer Gegenwart, und dann auch nur ihre Vertrautesten.«

Der Graf hatte seine Schritte nach einer abgelegenen Bank gelenkt und ließ sich nieder. Auf einen Wink setzte sich der Mönch neben ihn.

»Weiter in Eurem Märchen!«

»Es ist kein Märchen, Senor Conde. Hören Sie nur weiter, was die alte Inisilla erzählte. Sie wäre in dem Stuhl des Königs etwas eingenickt, als der Kranke plötzlich die Hand auf ihren Arm gelegt hätte. ›Hörtest du nichts, schläfrige Wärterin? – Es hat geklopft!‹ – Senor, ich erzähle indes mit den Worten meines Beichtkindes. Also: – ich fuhr empor und wollte nach der Tür – aber die Hand des Königs hielt mich zurück. ›Nicht da hinaus, öffne die Tür dort!‹ – ›Aber Majestät, die ist verschlossen, Ihro Majestät die Königin hat sie selbst verschlossen und den Schlüssel an sich behalten, damit Euer Majestät nicht gestört werden. Jedermann ist der Eingang verboten.‹ – Der König griff unter die Kissen seines Bettes und zog einen Schlüssel hervor, den er mir gab. ›Verriegele die Tür dort!‹ – Ich tat es. – ›So – nun öffne!‹ – Ich schloß zitternd die zweite Tür auf, die aus dem Königlichen Schlafgemach nach den Zimmern geht, welche zum großen Audienzsaal führen.

»Kaum hatte ich die Tür geöffnet, als dieselbe ruhig zurückgestoßen wurde und drei Männer hereintraten, von denen der eine eine brennende Wachskerze trug.

»Eine lang über die Brust herabhängende Kapuze, wie jene, welche die Mitglieder der Begräbnis-Gesellschaften zu tragen pflegen, verhüllte ihre Züge.

»›Ah – sind Sie da, Hochwürdigster?‹ fragte der König.

»›Glaubten Euer Majestät, daß die heilige Kirche Sie in Ihrer letzten Not verlassen würde?‹ antwortete eine tiefe Stimme.

»›Nehmen Sie diese da vor,‹ sagte der König, auf mich deutend. ›Sie ist die Tochter eines alten Dieners unseres Hauses, vielleicht ist Treue und Rechtschaffenheit in ihr!‹«

»Was mir die Kranke,« fuhr der Mönch in seiner Erzählung fort, »von den Beschwörungen mitteilte, welche der Verhüllte, offenbar ein hohes Mitglied der Kirche, an sie verwandte, um sie zu einem furchtbaren Eide der Geheimhaltung alles dessen, was sie gesehen, zu veranlassen, ist unnötig, Ihnen wieder zu erzählen. Sie kennen die Macht der Geistlichkeit! – Genug, sie leistete den Eid, von dem ich sie auf dem Totenbett absolvieren konnte!«

Der Graf betrachtete den Pfaffen mit einem Blicke tiefer Verachtung. »Nun weiter?«

»Der König hatte sich leicht auf seinen rechten Arm gestützt. Sein Gesicht trug unverkennbar die Spuren der bevorstehenden Auflösung.«

» Corpo de Christo,« sagte er, »man hat das Gerücht verbreitet, wie ich gehört, daß ich meines gesunden Verstandes nicht mächtig sein sollte! – Par Dios – deswegen habe ich Sie, Senor, berufen, um mir dies zu bezeugen!«

»Euer Majestät,« sagte einer der Verhüllten, »befinden sich unzweifelhaft in vollster Dispositionsfähigkeit. Ich mache mir eine Ehre daraus, dies durch meine amtliche Unterschrift zu bestätigen.«

»Nun wohl, Excellenca,« sprach der König, »ich danke Ihnen, daß Sie der Aufforderung meines Beichtvaters entsprochen haben. Ich bin ein armer, verlassener Mann, obschon der König eines mächtigen Reichs, – ich habe viele Irrtümer begangen, der schlimmste war sicher meine Heirat mit der Neapolitanerin; – aber ich möchte gern, ehe ich von dieser Welt scheide, das Unrecht an meiner Familie so weit noch gut machen, als ich es kann!«

»Euer Majestät,« sagte der erste der Verhüllten, »werden in Ihrem Gewissen sicher kein Verlangen empfinden, das nicht mit den Interessen der heiligen Kirche in Eintrag steht.«

»Der kranke König,« erzählte die Wärterin weiter, »lächelte bitter. Mir war, als hätte ich die Stimme des ersten Sprechers schon öfter gehört, aber ich hatte keine Ruhe, darüber nachzudenken.«

»Sie haben recht, Monsignore – mit den Interessen der heiligen Kirche! – Indessen habe ich auch einige weltliche meines Hauses zu vertreten. – Haben Sie das Testament hier?«

Der dritte der Verhüllten war vorgetreten. »Hier ist das Papier, Sire, und erinnern Sie sich, daß es eben nur ein Papier ist, ohne Ihre Unterschrift!«

Der König war bei dem Klang dieser Stimme wie unter einer plötzlichen Konvulsion zurückgefahren. Ich hatte ihn noch nie so bleich und entsetzt gesehen während seiner ganzen langen Krankheit. Er machte eine starke Anstrengung, sich von seinem Bett zu erheben, doch vermochte er es nicht.

»Wie – höre ich recht – Eure Eminenz?«

»Ich bin hierher gekommen,« sagte die ruhige, milde Stimme des dritten der Verhüllten, »um mit Ihnen, mein vielgeliebter Sohn, ehe das ewige Ziel eintritt, das Gott der Herr jedem Menschenleben gesetzt hat, die Zukunft des heiligen katholischen Glaubens zu sichern!«

Der König faßte nach der Hand des Sprechers und küßte sie.

»Euer Eminenz sehen in mir Ihren geringen Knecht!«

»Höre mich an, mein Sohn, und beherzige die Worte, die ich dir im Namen des heiligen Vaters zu sagen habe! – Ich kenne diese beiden Männer als getreue Anhänger des heiligen apostolischen Stuhls, – doch dieses Weib – ich weiß nichts von ihr – –«

»Es war leider notwendig,« sagte einer der andern Verhüllten, »daß wir sie ohne Vorbereitung den Eid leisten ließen. Sie muß uns noch wichtige Dienste leisten, ohne daß es doch nötig ist, daß sie alles hört. Können wir sie entfernen?«

»Da hinein,« sagte der König und wies nach der Tür des kleinen Kabinetts, in dem er sich zu waschen pflegte. Es hat keinen Ausgang. Ich eilte selbst auf die Tür zu, denn eine unbestimmte Angst vor der Zukunft und den Folgen, welche dieses Geheimnis für mich haben konnte, hatte mich ergriffen. Man schloß die Tür hinter mir und ich stand zitternd in dem nicht allzugroßen Kabinett.

Eine Weile war ich eben ganz betäubt und achtete auf nichts, als auf meine Besorgnis. Die Königin hatte alle Personen des gewöhnlichen Dienstes während der Krisis der Krankheit zu entfernen gewußt, selbst die ersten Kammerdiener des Königs durften ihren Dienst nur in ihrer Gegenwart versehen, nur auf mich setzte sie unbedingtes Vertrauen, und nun geschah etwas – offenbar von anderer Hand Vorbereitetes, Wichtiges, von dem sie nichts wußte, und ich hatte die Hand dazu geboten!

Endlich hatte ich mich so weit gefaßt, daß ich wieder auf die Vorgänge in dem Schlafgemach des Königs achten konnte. Ich schlich leise an die Tür und legte das Ohr an das Schlüsselloch – nicht aus persönlicher Neugierde, sondern einzig im Interesse meiner Herrin, der Königin.

Die Unterredung hatte schon eine Weile gedauert, aber ich konnte jedes Wort des noch folgenden deutlich verstehen.

»Die Sache steht einfach so,« sagte der zweite der Verhüllten. »Wenn Euer Majestät das Recht gehabt haben, durch das Edikt vom 10. Oktober 1830 das Gesetz der › Siste partidas‹ wieder herzustellen, haben Sie auch das Recht, das Edikt zu widerrufen. Der Minister Calomarde hat Euer Majestät damals dies klar und deutlich bewiesen. Wenn nun Euer Majestät am 31. Dezember 1832 diese Wiederherstellung widerriefen, so beweist das eben nur, daß Herstellung und Widerruf ganz in Ihrer Hand liegen, daß also stets eine letzte, gehörig beglaubigte Verfügung die allein gültige sein wird. Eine solche wäre dies Testament – obschon wir hoffen wollen, daß Gott Euer Majestät noch lange Jahre erhalten möge.«

»Sie wissen das besser,« sprach matt der König, »sonst wären Sie nicht hier. Es ist aber schlimm, daß ich mit dem Bewußtsein hinüber gehen soll, das Erbe meines Kindes selbst wieder in Frage gestellt zu haben.«

»Euer Majestät selbst,« sagte der erste, den der König angesprochen, »haben jene Skrupel über die Königin gehegt und deshalb mich auffordern lassen, die Frage Seiner Heiligkeit vorzulegen. Es ist gewiß, daß die Königin Maria Christina sich zu der Partei der Moderados, wenn nicht gar der Progressisten neigt und ihnen bedeutende Konzessionen gemacht hat. Die heilige Kirche würde mit dem Übergang der unbedingten Regierungsgewalt in ihre Hände, ohne eine gewisse Reserve, ihre Herrschaft in Spanien in Frage gestellt sehen, was Sie doch selbst zu verhindern wünschen, Sire. Seine Heiligkeit der Papst hat ganz die ungeheure Tragweite dieser Frage für die katholische Kirche begriffen, und seinen designierten Nachfolger gesendet, Ihnen seinen Segen und seine Entscheidung zu überbringen.«

»Ich habe Euer Majestät bereits diesen Willen verkündet,« sprach die milde Stimme des dritten Verhüllten. »Die heilige Kirche bürgt Ihnen dafür, daß von diesem Dokument nie Gebrauch gemacht werden soll, so lange die Regentin und die künftige Königin treue Schützer des apostolischen Stuhls bleiben. Jesus Christus hat die Nachfolger des Apostels über die Könige der Erde gesetzt, damit ihre unfehlbare Weisheit diese auf dem richtigen Wege erhalte. In der Stunde des Todes ist auch der mächtigste König nur ein der göttlichen Gnade bedürfender Mensch. Denen Gott in diesem Leben große Macht gegeben, von denen wird er auch hohe Verantwortung fordern. Bedenke das, o König, und handle danach!«

»Und verspricht Seine Heiligkeit wirklich, diesen meinen letzten Willen nur in der Stunde der äußersten Gefahr für das Seelenheil meiner katholischen Untertanen zu verkünden?«

»Er verspricht es durch meinen Mund und ich gelobe es gleichfalls!«

»Geben Sie mir die Feder, Senor!«

Es war eine tiefe Stille in dem Sterbezimmer König Ferdinands, ich hörte die Feder auf dem Papier kratzen; dann hörte ich den König sagen: »Nein – geben Sie mir das andere auch! Es würde keine Gültigkeit haben, wenn nicht die Bestätigung sich in dem Königlichen Archiv zu Madrid befände.«

»Aber dann wird die Königin …«

»Nein!« sagte der König mit fester Stimme. »Siegeln Sie es vor meinen Augen ein, ich werde noch die Kraft haben, auf das Kuvert zu schreiben: ›Nur auf den Befehl Seiner Heiligkeit des regierenden Papstes zu eröffnen. Im tiefsten Geheimnis zu bewahren.‹«

»Ihr Wille soll erfüllt werden, Sire,« sagte der Kardinal. »Das Duplikat wird dem Kustoden des Königlichen Archivs ausgehändigt und er in Eid darüber genommen werden, während das Original in dem geheimen Archiv des Vatikans niedergelegt wird. Sind Euer Majestät hiermit zufrieden?«

Der Kranke schien ganz erschöpft in die Kissen zurückgesunken zu sein, denn ich hörte kaum sein schwaches »Ja!«

»Was beschließen Euer Majestät, das mit der Frau geschieht, die wenigstens das Geheimnis unserer Anwesenheit kennt. Wird ihr Eid genügen oder müssen wir …«

Der König unterbrach ihn hastig: »Nein, nein – keine Gewalttat. Sie wird schweigen – übrigens weiß sie nichts, als Ihren Besuch!«

»So wollen wir es riskieren. Sie scheint klug und gehorsam genug, um zu begreifen, daß jedes törichte Wort ihr Verderben sein würde.«

»Euer Majestät,« sagte der dritte der Unbekannten, der mit der milden Stimme, »haben durch diese Handlung nach ihrem eigenen Wunsche das schwere und vielfache Unrecht gesühnt, was die Regierung Spaniens in den letzten Jahren durch die höchst beklagenswerten sogenannten Reformen der heiligen Kirche angetan hat. Seine Heiligkeit der Papst Gregor XVI. will anerkennen, daß Euer Majestät durch den schlimmen Geist der Zeit zu vielen dieser Schritte gezwungen worden sind Durch die Revolution von 1812 und 1820. und sich vorläufig mit der Sühne und Sicherung begnügen, die Euer Majestät mit diesem Dokument geleistet haben. So bin ich denn ermächtigt, Euer Majestät seinen Segen und die Absolution zu erteilen, ohne welche jene Herrlichkeit nicht zu erreichen ist, die uns Gott durch den Mund der Apostel verheißen hat!«

Es herrschte eine tiefe Stille in dem Gemach, ich hörte das Murmeln der Gebete und war selbst in die Knie gesunken.

Endlich sagte der König: »Danken Sie dem Heiligen Vater und bitten Sie ihn, meiner in seinen Gebeten zu gedenken. – Möge seine Regierung noch lang und glücklich sein, leichter, als die meine. Und auch die Ihre, Bernetti Die Kardinale Bernetti und Albani trieben bekanntlich den Papst zur Unterdrückung aller verheißenen Reformen und zu dem heftigen Auftreten gegen Spanien, Preußen und Sardinien., wenn Sie seinen Sitz auf dem heiligen Stuhl eingenommen haben. – Ich fühle mich sehr erschöpft, ich bitte – rufen Sie die Camarera!«

Ich war im Nu am andern Ende des Kabinetts auf den Knieen, dort fand man mich, als sie die Tür öffneten und mich hinein riefen.

Der König war offenbar in einem sehr angegriffenen, erregten Zustand, was mir große Besorgnis machte. Ich eilte, ihm die Medizin zu geben, welche die Ärzte verordnet hatten und machte die Fremden darauf aufmerksam. Man befahl mir, noch eine Viertelstunde zu warten und dann die Königin wecken zu lassen. Indem man mir nochmals die strengste Geheimhaltung des Besuches anbefahl und mich mit ewigem Kerker bedrohte, wenn ich eine Silbe davon verlauten ließe, entfernten sich die drei mit dem Befehl, den Schlüssel, den ich zur Öffnung der Tür aus der Hand des Königs erhalten, sorgfältig zu verbergen und ihn bei der ersten Gelegenheit in den Manzanares oder einen Brunnen zu versenken. Es könne meinen Kopf kosten, sagte man mir, wenn die Königin mich im Besitz dieses Schlüssels fände.

Ich hatte bereits, von der Gefährlichkeit des Geheimnisses durchdrungen, bei mir beschlossen, völliges Stillschweigen sowohl über das Erlauschte, als über den ganzen Vorgang zu bewahren, selbst der Königin gegenüber, denn ich konnte bei ihrem launenhaften Charakter nicht wissen, was sie mit mir tun würde. Aber obschon ich stets bis zu diesem meinem Sterbetage das Geheimnis bewahrte, scheint die Königin doch später eine Ahnung oder einen Verdacht gefaßt zu haben, daß König Ferdinand vor seinem Tode noch andere Personen empfangen habe, als die sie zugelassen, und um die sie wußte; denn es wurde nach vier Jahren, als sie sich mit ihrer Schwester Luise Charlotte, der Gemahlin des Infanten Don Francisco de Paula, überwarf und diese nach Paris zog, noch eine strenge Untersuchung von ihr angeordnet und jedermann vernommen, der damals am Krankenlager des Königs beschäftigt war. Mich hat sie persönlich befragt – aber ich wußte nichts und das war es, was ihr Vertrauen zu mir erkaltete. Überdies mochte mich der damalige Senor Munoz nicht leiden, weil ich ihn einst überrascht, als er mit einer jungen Magd hübsch getan, und so kam es, daß sie sich von mir trennte, noch ehe sie nach Frankreich floh.«

Der Mönch schöpfte tief Atem nach dieser anstrengenden Erzählung und blähte sich im Gefühl seiner Wichtigkeit.

»Und was tat die Donna Inisilla mit dem König?«

»Was sollte sie tun? – Seine geheiligte Majestät der König Don Ferdinand VII. lag bald darauf, wie mir die ehemalige Camarera erzählte, im heftigsten Fieberparoxismus und tobte und raste, als sie die Königin und die ganze Umgebung zu Hilfe gerufen, und ist auch nicht wieder zu Verstande gekommen, bis er am Tage darauf selig verschieden ist.«

»Und das alles hat Euch die Donna Inisilla auf ihrem sehr redseligen Sterbebett erzählt?« fragte der Caballero.

»O, Senor Don Juan, Sie wissen, daß das nach und nach geschah während ihrer Krankheit, und daß ich Ihnen die Hauptsachen schon früher mitgeteilt habe. Nur kam die arme Dame in ihrer Todesangst und Not immer wieder darauf zurück, um sich das Herz zu erleichtern.«

Der Graf hatte sich erhoben.

»Habt Ihr denn über die saubere und alberne Geschichte zu jemand gesprochen?«

»Gott bewahre, Senor Conde – Sie sind der erste und einzige! Bedenken Sie – das Geheimnis der Beichte –«

Der Graf hatte seinen Arm mit eisernem Griff gefaßt.

»Padre Antonio,« sagte er, »Ihr erinnert Euch doch wohl, daß, wenn auch nicht mehr dem Namen nach die Inquisition in Madrid besteht, doch immer noch das geistliche Gericht existiert, das dieselben Funktionen übt und fast dieselbe Macht hat.«

»Um der heiligen Jungfrau willen, Senor Conde, Sie werden doch einen Ihnen allzusehr ergebenen Mann nicht verraten!«

»Ihr seid ein ebenso großer Tölpel als Schuft,« sagte drohend der junge Mann. »Ein Tölpel, weil Ihr die abgeschmackten und boshaften Phantasien einer schwatzhaften alten Närrin für bare Münze nehmt, die – selbst wenn sie wahr wären, – nicht mehr die geringste Wichtigkeit haben, denn die pragmatische Sanktion des Königs Ferdinand ist durch die Bestätigung der Cortes schon vor länger als siebenundzwanzig Jahren zum Landesgesetz erhoben und von allen Höfen Europas anerkannt worden; – und ein Schuft, weil Ihr, gleichgültig wem, Dinge, die, wenn auch an sich absurd, in der Beichte mitgeteilt wurden, verraten habt. Ich versichere Euch, daß – wenn ein Laut davon über Eure Lippen geht – Ihr unzweifelhaft eines Tages spurlos verschwunden sein und in einem Kerker vermodern werdet, wozu es noch Klöster genug in diesem gelobten Lande gibt, und selbst die Kontrabandista könnte Euch nicht retten!«

»Heiliger Laurentio,« stammelte der Mönch, dem es schon zumute war, als befände er sich auf dem Rost des berühmten Schutzheiligen des Escurials, – »ich will schweigen wie das Grab, wenn Euer Gnaden meinen, daß mich die verdammte Geschichte in Unheil bringen könnte; ich …«

»Geht nach Hause und legt hübsch die Dame Inisilla in das ihre,« unterbrach ihn der Graf. »Wenn das geschehen, so kommt in mein Hotel und fragt nach Mauro, er wird meine Befehle für Euch haben. Und jetzt packt Euch und bringt Euren Abend nicht etwa in einem Bordell oder einer Bodega zu. – Hier ist etwas Geld zu Messen für Eure verstorbene Hauswirtin.«

Er reichte ihm einige Gold-Piaster und verließ ihn, ohne sich weiter um ihn zu bekümmern.

Trotz seiner verächtlichen Abwehr der Mitteilungen des Pfaffen war der Schritt des Abenteurers, als er an dem künstlichen See entlang schritt, der den Park von Buen Retiro ziert, doch weniger elastisch als sonst, und seine Stirn mit scharfen Falten ernsten Nachdenkens bedeckt.

Der Winter – der oft auf der Höhe der Mancha ziemlich rauh auftritt und selbst Schnee und Eis bringt – war in diesem Jahr sehr mild, die Luft wie bei uns in den Maitagen und das hatte eben die große Zahl von Spaziergängern ins Freie gelockt. Wenn die Witterung es nur halbwegs erlaubt, macht der Spanier seinen Spaziergang, wie er ja überhaupt gewohnt ist, einen großen Teil seiner Zeit – und er hat unendlich viel Zeit! – im Freien zuzubringen. Es waren noch zwei Stunden hin bis zu der Zeit, zu welcher der Graf seinen Leibdiener bestellt hatte, und er benutzte sie, um sich in einem Fiaker nach dem nördlichen Stadtteil fahren zu lassen.

In einer der engsten Straßen trat er in einen unscheinbaren Trödelladen, an dessen Tür eine Menge alter Bücher, Broschüren und Kupferstiche ausgestellt waren.

» Buona sera, Senor Don Urbano da Tormina,« sagte er, höflich den Hut abnehmend und den Inhaber des Ladens begrüßend. »Wie ist Ihr Befinden und wie gehen die Geschäfte?«

Der Besitzer des Bücherladens, der antiquario oder vendidor de libros viejos war eines jener Originale, wie sie selbst in Kastilien immer mehr verschwinden. Er war ein alter, großer und überaus hagerer Mann, was durch die eng anliegende graue Kleidung, Wams, Kniehosen, weiße wollene Strümpfe und Schuhe mit großen Rosetten noch mehr hervortrat. Dazu trug er über der linken Schulter den alten kurzen spanischen Mantel und einen abgeschabten und sehr spitzen kastilianischen Hut. Mit dem langen grauen Kinn- und dem steif aufgedrehten Schnurrbart fehlte ihm nur der Degen, um aus ihm einen der alten bettelhaften Hidalgos aus der Zeit des Don Quichotte zu machen.

»Erzeigen Sie mir die Gunst, Senor, Platz zu nehmen in meinem unbedeutenden Laden,« sagte der Antiquario mit einer demütigen und dennoch höchst würdevollen Miene. »Es ist mir eine hohe Ehre, meinen Namen von Ihnen gekannt zu sehen, wenn auch mein altes Gedächtnis mir nicht sagt, wer mir die Gnade erweist, mich aufzusuchen.«

»Das tut wenig zur Sache, Senor Don Urbano,« sagte der Besucher, »wenn es Sie aber interessiert, das zu wissen, so habe ich die Ehre, Ihnen zu sagen, daß ich der Graf Juan da Lerida bin, der Sohn des ehemaligen Corregidors von Irun.«

Das hagere Gesicht des Antiquario wurde sehr lang und ganz aschfahl. »O, Senor Conde,« stammelte er, »welche Ehre! Ich erinnere mich, den Herrn Grafen, Ihren Vater, vor länger als vierzig Jahren gekannt zu haben. Er erzeigte mir die Gnade, mich zuweilen zu besuchen, als mein Geschäft noch in besseren Umständen war.«

»So scheint es, Senor Don Urbano. Sie sind ja wohl ein eifriger Bibliomane, gerade wie der hochgelehrte Archivario Ihrer Majestät der Königin, Don Rafael Cervantes, der sich rühmt, ein Nachkomme unseres berühmten Dichters zu sein?«

Der Alte verbeugte sich geschmeichelt und erfreut, indem dieser Beginn ihn von einer Furcht zu befreien schien. Aber er sollte sich getäuscht haben. »Euer Excellenca sind allzugütig, mich mit einem so hohen und gelehrten Herrn vergleichen zu wollen. Ich bin nur eine schwache Leuchte gegen einen so großen Stern am Himmel der gelehrten Welt, obschon ich nicht leugnen will, auch einiges Wenige zur Bewahrung der Wissenschaft beigetragen zu haben.«

»Sein Sie nicht zu bescheiden, Senor Don Urbano,« meinte lächelnd der Graf, »und sagen Sie mir, ob der Herr Archivar Ihrer Majestät immer noch die alten Liebhabereien hat: als Gelehrter alte Scharteken zusammen zu suchen, und als Spanier gleich leidenschaftlich die Stierhetze zu verehren?«

»Sotanes letzteres,« erklärte der Antiquario, »dürfte der einzige Fehler des hochgelehrten Herrn sein. Was die erstere Liebhaberei betrifft, so ist es zu bedauern, daß der Senor Archivario leider sich von Betrügern und Unwissenden so oft täuschen läßt und die wahren Perlen der alten Typographia mit anderen weit geringeren Werken verwechselt.«

»Während Sie dieselben besser zu schätzen wissen. A propos – ich bin zwar kein großer Kenner, aber doch mitunter ein Sammler. Haben Sie vielleicht einige seltene Inkunablen auf Lager?«

Der Antiquario war auf seinem Steckenpferd. »O, Excellenca, ich kann Ihnen vortreffliches zeigen. Da ist das » Catholicon« des Janna, gedruckt zu Mainz in dem Jahre 1460 von dem würdigen Meister Gutenbergus selbst, sowie ein Missale, welches ein gewisser Pommarzo um das Jahr 1465 in dem Kloster Subiaco für Seine Heiligkeit den Papst Pius II. gedruckt haben soll.«

»Und haben Sie nichts von alten spanischen Drucken?«

Der Antiquario zeigte eine gewisse Verlegenheit. »Euer Excellenca sind gewiß zu gelehrt, um sich nicht zu erinnern, daß die alten spanischen Drucke sehr selten sind, sintemalen die heilige Inquisition etwas strenge in dieser Beziehung zu Werke gegangen ist, so daß selbst die große Bibliothek des Escurial nur zwei Werke der ersten Druckerei zu Valencia besitzt.«

»Da erinnere ich mich,« sagte leichthin der Graf, – »Sie müssen ja wohl noch im Besitz zweier Kisten mit alten Manuskripten und Büchern sein, die der Graf, mein Vater, bei der Rückkehr von seinem Posten in Lima mitbrachte und die er während seines Aufenthaltes in Madrid bei Ihnen niederlegte?«

Der Schlag war gefallen, der Antiquario konnte nur mit Mühe sich aufrecht erhalten.

»Nein – nein, Senor Conde – ich weiß nichts davon – die Sache ist so lange her und ich bin so oft verzogen. – Sie werden mich nicht beschuldigen …«

»Gott bewahre, was kümmere ich mich um die alten Scharteken, welche die Väter Jesu vor dreihundert Jahren in Lima, oder der Vizekönig Antonio de Mendoza um dieselbe Zeit – richtig, es war im Jahre 1550 – in Mexiko gedruckt haben. Nur habe ich da in einer Brieftasche meines verstorbenen Vaters ein Verzeichnis solcher jedenfalls merkwürdigen Drucke gefunden, und darunter steht mit einer Handschrift, die Sie vielleicht kennen werden, die Bescheinigung eines gewissen Librero Buchhändler. Urbano Tormina, diese Bücher in zwei Kisten zur Verwahrung erhalten zu haben mit der Verpflichtung, sie jederzeit zurück zu liefern oder eine Entschädigung von dreitausend Piastern dafür zu zahlen. Sehen Sie selbst, Senor Don Urbano!«

Diesmal sank der arme Antiquario wirklich in die Knie und streckte die Hände verzweiflungsvoll in die Höhe, ein Bild jammervollen Leidens. »Erbarmen, Senor Conde, haben Sie Mitleid mit einem Greise! Bei der heiligen Jungfrau, ich besitze nicht den zehnten Teil dieser Summe!«

»Also haben Sie die Bücher nicht mehr – Sie haben sie verkauft, verloren?« fragte der Caballero mit strenger Miene.

Der Vorwurf traf den alten Enthusiasten ins tiefste Herz. »Was denken Sie von mir, Senor Conde,« sagte er mit Entrüstung, »ich einen Schatz wie diese Unicas verkaufen oder verlieren? Die gedruckte Instruktion des Peter Oliveira an die Vorstände der Missionen vom Jahre 1583 ist ein Schatz, den keine europäische Bibliothek besitzt. Ich habe gehungert und gedürstet, um meine geliebten Bücher zu bewahren, – Sie rauben mir das Leben, wenn Sie mir diese Bücher nehmen.«

»Genug, genug, Senor Don Urbano,« sagte der junge Mann, nicht ohne gerührt zu sein von dem wahren Ausdruck der Verzweiflung in dem Gesicht des alten Sammlers, – »ich wiederhole Ihnen, ich mache mir herzlich wenig aus diesem Teil der Hinterlassenschaft meines verehrten Erzeugers. Wir wollen uns verständigen darüber.«

Der alte Mann war aufgesprungen, seine Augen funkelten, er hätte am liebsten den Conde an seine Brust gedrückt, wenn es die ihm zur Natur gewordene steife Förmlichkeit und Grandezza erlaubt hätte, die nur vor der Angst über den drohenden Verlust seines Schatzes einige Augenblicke ihn verlassen hatte.

»Hören Sie mich an, Senor Don Urbano,« sagte der junge Graf. »Sie mögen meinetwegen die wertvolleren Folianten und Pergamente behalten …«

»O Excellenza!«

»Aber Sie müssen ein anderes Opfer bringen. Anstatt der zwei Kisten verlange ich eine von Ihnen, gefüllt mit einer Anzahl solcher alter Scharteken, nach denen der Senor Archivario hascht und die er noch nicht besitzt.«

»Oh, Senor Conde – der Mann ist in Wahrheit ein Ignorant …«

»Das kümmert mich nicht. Ich habe mich ihm gefällig zu zeigen und bei ihm beliebt zu machen. – Also schaffen Sie mir einen Haufen Bücher oder alte Mönchsschriften, wie er sie liebt und kauft – es versteht sich von selbst, daß ich sie nicht umsonst verlange, sondern Ihnen bezahlen werde, und hier nehmen Sie diese Banknote aus zweihundert Duros dafür voraus!«

Der arme Antiquar glaubte sich in den siebenten Himmel versetzt bei dieser Großmut. Er wollte sofort seinen ganzen Laden auskramen und der Graf hatte Mühe, sich vor einem ellenlangen Verzeichnis zu retten, das er ihm herzusagen drohte von alle dem, was er gern für die alten mexikanischen Bücher opfern wollte.

Es wurde bestimmt, daß schon am nächsten Tage der Antiquario ihm einige alte, seltene Bücher in seine Wohnung bringen und im Laufe der Woche eine größere Portion folgen lassen sollte, worauf er nebst dem Rest der Bezahlung den Schein des verstorbenen Corregidor zurückerhalten würde. Unter diesem Versprechen und der Zusage strengster Geheimhaltung schied der Caballero von dem alten Buchhändler und rief auf der Straße das nächste Kabriolet an, das ihn nach der Puerta del Sol führen sollte.

Wer hat den Namen die »Puerta del Sol« – Sonnentor – von Madrid nicht gehört oder gelesen, und sich dabei ein wunderbar phantastisches Bild dieses berühmtesten Versammlungsortes der Madrider Bevölkerung gemacht, dieses Platzes, von dem eigentlich alle die Revolutionen ausgegangen sind, die seit Jahrzehntelang Spanien zum unruhigsten Lande der Welt gemacht haben.

Aber wie sehr findet man sich enttäuscht von dem Anblick des Platzes, auf dem während des ganzen Tages, namentlich aber in der Winterszeit zwischen 12 und 2 Uhr mittags und wiederum beim Sinken der Sonne, halb Madrid versammelt ist. Sechs große Straßen, darunter die schöne Straße Alcala und die Calle Mayor, welche Madrid von Osten nach Westen durchschneiden und in zwei große Hälften teilen, – münden auf diesen engen, kleinen, von unbedeutenden Gebäuden umgebenen Platz und strömen eine solche Masse von Fußgängern, Reitern, Omnibussen und Equipagen jeder Art aus, daß die Passage, namentlich auf den schmalen Trottoirs, oft ganz gehindert ist. Es bedarf all der Höflichkeit des spanischen Volkscharakters, der wohl zu Ausbrüchen der Leidenschaft, aber fast nie zu rohem und gemeinem Schimpfen führt, um die tausend oft komischen, oft ernsten Fährlichkeiten dieses Gedränges erträglich zu machen.

Die Gaslaternen brannten bereits, als der Graf auf den Platz gelangte, auf dem täglich Hunderte und aber Hunderte von Rendez-vous gegeben werden. Er sah nach der Uhr und drängte sich langsam durch die Menge, welche das Trottoir füllte und vor den Kaffeehäusern und Läden stand, nach dem Portal der unbedeutenden Kirche, welche die eine Seite einnimmt. Mit ebenso großer Gewandtheit wie Scherz und Höflichkeit wußte er sich zwischen den Gruppen durchzuwinden, bald hier einen Scherz spendend oder die in Gefahr geratende Mantilla einer alten Senora schützend, bald dort einem hübschen Kinde, das von dem Trottoir zu gleiten drohte, galant Hilfe leistend und dafür einen dankenden Glutblick in Empfang nehmend.

So war er bis zur Kirche durchgedrungen und lehnte hier an einer Säule des halbdunkeln Portals, mit scharfem Auge die Vorübergehenden und das Treiben auf dem Platze musternd.

Plötzlich schien er gefunden zu haben, was er suchte, denn er schnalzte scharf und laut mit der Zunge in eigentümlicher Weise und sofort blieben drei Personen, die eben am Portal vorübergingen, stehen und wandten sich nach demselben hin.

Der Graf trat einen Schritt vor, wie um sich zu zeigen, und kehrte sogleich auf seinen Posten zurück.

Von den drei Personen näherten sich zwei – ein junger Mensch in eine weite katalonische Manta gehüllt, und ein zwergartiger Knabe in der Kleidung eines Grooms. Der dritte blieb in einiger Entfernung zurück.

»Wie kommt es, Mauro, daß du jetzt erst kommst,« sagte der Graf streng, »während ich dir doch sagen ließ, mich hier zu erwarten. Du weißt, daß ich meine Befehle nicht gern vergeblich gebe.«

»Verzeihung, Exzellenza,« sagte der Grieche – »es ist ein Besuch eingetroffen, der Sie durchaus noch diesen Abend zu sprechen wünschte. Dies hielt mich auf, da ich nicht wußte, ob ich ihn mit hierher oder nach der Tertulia des Herrn Gesandten bringen durfte.«

»Wer ist der Signor?« – Frage und Antwort wurden italienisch gesprochen.

»Ich weiß den Namen nicht, aber als er mich daran erinnerte, fiel mir ein, daß ich ihn zweimal in London bei Euer Exzellenza gesehen habe. So brachte ich ihn mit.«

»Rufe den Senor hierher!«

Der Fremde näherte sich; als er vor dem Grafen stand, hob er – ehe er den Zipfel des Mantels von seinem Gesicht zurückschlug – warnend den Finger.

»Ich habe die Ehre, Sie zu grüßen, Mylord da Lerida!« sagte er auf englisch.

»Wie …«

»Führen Sie mich an einen sichern Platz, wo ich Sie sprechen kann.«

»Wenn es Eile hat, ist es am kürzesten, wir ziehen uns hier ein wenig zurück – meine Diener werden aufpassen.« Er führte den Fremden einige Schritte tiefer in das Portal. »Den Henker, Oberst, was führt Sie hierher nach Madrid?«

»Der Befehl Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen von Asturien!«

»Des Prinzen von Asturien?«

»Nun ja – Sie wissen doch, daß der Prinz Fernando am 2. Januar in Steiermark plötzlich gestorben ist?«

»Ah so – die Zeitungen meldeten es heute morgen. Und Seine Hoheit?«

»Er ist jetzt der alleinige Thronerbe und, wie Sie wissen, der einzige der Brüder, der nicht die Entsagung unterschrieben, also auch nicht des schimpflichen Widerrufs bedurfte. Seine Königliche Hoheit befindet sich in diesem Augenblick an Bord des »Montgomery« im Hafen von Pontevedra und hat mich Ihnen nach Madrid nachgeschickt, um zu hören, wie die Sachen hier stehen. Wenn es gelingt, das Ministerium Odonnell zu stürzen, hat Lord Palmerston Waffen und Geld zugesagt für eine Erhebung. Die Gelegenheit ist günstig, wie wir wissen. Die Verhaftungen in Navarra und Biscaya haben die höchste Erbitterung erregt – und ebenso unter den Progressisten die Maßregeln der Regierung gegen die Protestanten. In England wird die öffentliche Meinung jeden Aufstand unterstützen.«

»Seine Königliche Hoheit, lieber Leizell,« sagte der Graf, »ist, wie Sie wissen, immer etwas zu enthusiasmiert. Der französische Einfluß ist in diesem Augenblick überwiegend, und wissen Sie denn, wer hier ist?«

»Wie soll ich das wissen; wir haben uns bei der Nachricht von dem Tode des Infanten sofort in Plymouth eingeschifft und ich komme direkt über Orense und Valladolid hierher und kann mich höchstens 24 Stunden aufhalten,« sagte Oberst Leizell, der Privatsekretär des Infanten Juan Karlos. »Monsieur Jacques Ein anderer Vertrauter des Prinzen Juan Karlos. hat die Tour nach Taragona übernommen, um mit dem Bischof Verabredungen zu treffen und die Folgen jener infamen Überrumpelung zu redressieren. Die Sache war so vortrefflich eingeleitet und wäre Ihr kecker Streich gelungen, wären wir jetzt Herren von Spanien.«

» Quien sabe!« meinte der Graf gleichmütig. »Ich habe augenblicklich einen Ersatz dafür auf dem Korn, der uns vielleicht noch weiter hilft, jedenfalls auf Spanien direkten Einfluß hat. Was meinen Sie zu einem Widerruf der pragmatischen Sanktion seitens des verstorbenen Königs?«

»Ah bah – das bekannte Dokument Calomardos? – Sie wissen, Senor Don Juan, daß es nicht einen Schuß Pulver wert ist, da der Schwächling es zurückgenommen, von den Neapolitanerinnen gezwungen!«

»Nein – ich spreche nicht von diesem! Ich rede von einem letzten Widerruf auf dem Sterbebett, kaum zwölf Stunden vor seinem Tode! Einem Widerruf, der nicht widerrufen ist, in Form eines im geheimen selbst gesetzlich registrierten und legalisierten Testaments, dem Anschein nach aber selbst der Königin im Detail unbekannt!«

» Goddam – das wäre! Machen Sie keinen Scherz, Senor Don Juan!«

»Ich denke nicht daran, zu scherzen! Noch mehr! Das Testament ist in zwei Ausfertigungen vorhanden, die eine befindet sich im Vatikan. Die Drohung mit diesem Dokument erklärt das bisher für uns undurchdringliche Geheimnis, warum die liberale Regierung der Königin Isabella Seine Heiligkeit den Papst und Gaëta unter ihren Schutz genommen, Italien und der ganzen andern Welt entgegen, und warum die klugen Kardinale in Rom, die lieber mit einer fertigen Macht rechnen, als mit einer unfertigen, zukünftigen, nichts mehr von einer karlistischen Erhebung wissen wollen, die jetzt bei König Victor Emanuel und Herrn Cavour ihre Unterstützung suchen muß!«

»Mylord – dies Geheimnis ist unbezahlbar und wenn wir dies Dokument erreichen könnten …«

»Ehe acht Tage um sind, wird es in meiner Hand sein. Hören Sie mich an, Oberst, es ist unnötig und gefährlich, daß Sie sich hier den Exterminadores Die »Würgengel«, nebst dem »Stern« die geheimen karlistischen Gesellschaften in Madrid. zeigen – es sind in jeder Gesellschaft Spione und nie ist einer größeren Zahl zu trauen. Das Ministerium muß vollständig ungewarnt bleiben und überrascht werden. Alles ist vorbereitet, daß der Ausbruch am 17. Januar, am Feste San Antonio, Das Fest der Einsegnung der Tiere. erfolgen kann, das ohnehin große Menschenmassen versammelt. Am Tage vorher wird ein Stiergefecht stattfinden, und wie es in der Ankündigung heißt, zu Ehren der neuen Schwangerschaft Ihrer Majestät. Herr Marfori kann sich dadurch nur geschmeichelt fühlen! Wir brauchen das Schauspiel, um damit die Befreiung des Senor Castillos und der andern zu decken. Die Polizei, wenn sie nicht allzudumm ist, wird sofort den Zusammenhang wittern und strenge Maßregeln auch für den andern Tag ergreifen, was natürlich die Bevölkerung aller Klassen auf das höchste erbittern muß. Ein Zusammenstoß kann nicht ausbleiben und wir werden ihn aufs beste benutzen. Das andere ist Ihre Sache.«

»Der Plan ist vortrefflich und ganz Ihrer Tätigkeit würdig. Aber das Testament?«

»Es wird an demselben Tage in meiner Hand sein. Sobald hier alles in Bewegung und die Regierung gestürzt ist, bringe ich es selbst nach Triest – meine Yacht ankert bereits im Hafen von Cartagena, binnen zwei Tagen bin ich in Genua, am dritten in Triest, wenn mich der Graf Montemolin, oder vielmehr der König nicht etwa in Genua erwarten will. Es ist Ihre Sache, ihn zu informieren.«

»Der Graf Montemolin?« frug der Oberst zaudernd.

»Nun ja – in seinem Namen müssen doch die Proklamationen geschehen.«

»Ich meinte nur – weil Sie selbst erwähnten, Mylord, daß er und der Infant Ferdinand durch ihre Verzichtleistung auf die Krone sich des Treugelöbnisses der Legitimisten begeben hätten …«

»Caraï, Senor Colonel, wenn Sie alle Gelöbnisse, die seit dreißig oder vierzig Jahren in Spanien geleistet worden sind, im Sinne ihres Wortlauts nehmen wollen, dann schicken Sie die ganze Königliche Familie, Christinos und Karlisten, die sämtlichen Minister, die Cortes, die Generale und die ganze Armee dahin, wo der Pfeffer wächst, denn alle haben mindestens zehnmal gelogen und ihr Wort gebrochen. – Zum Henker, was wollen Sie? Wir können doch unmöglich meinen erlauchten Namensvetter, obschon er der einzige Mann von Kopf und Energie ist, mir nichts, dir nichts zum König von Spanien proklamieren, während sein älterer Bruder noch lebt?«

»Freilich, – solange er lebt! – Im Fall seines Todes …«

»Wäre der Infant Don Juan natürlich König Karlos für uns. Zerbrechen wir uns indes die Köpfe nicht mit solchen Hypothesen – wir müssen uns augenblicklich mit dem Grafen Montemolin begnügen! – Und nun, Senor Colonel, müssen wir uns trennen, denn ich habe noch verschiedne Geschäfte diese Nacht. Es versteht sich, daß Sie meine Wohnung bis zu Ihrer Abreise benutzen.«

»Wenn Sie erlauben! Doch was war das mit einer französischen Intrige?«

»Sie werden sich erinnern, daß die Kaiserin Eugenie eine vertraute Freundin unserer dicken Isabella ist und sie bei jeder Gelegenheit vertritt und unterstützt. Sie scheint ihr einen Wink gegeben zu haben von dem, was ihr droht, denn augenblicklich befindet sich einer der Vertrauten des Kaisers hier, um gegen das englische Projekt des iberischen Föderativ-Staats zu unterhandeln.«

»Aber England unterstützt unsere Sache!«

Der Graf lachte. »Sind Sie wirklich so naiv in der Politik, daß Sie glauben, England könne nicht zwei Karten spielen? Sehen Sie nach Amerika, wo Lord Palmerston einen tüchtigen Bürgerkrieg erzielen wird. Spanien liegt dem Kabinett von St. James als milchende Kuh fast noch mehr am Herzen. Das ganze Land ist überschwemmt mit englischen Ingenieuren, Minensuchern und Aktien-Gesellschaften. Eine Zersplitterung des Staates Spanien in föderierte Provinzial-Republiken oder in ein Königreich Kastilien, Aragonien und Andalusien wäre ganz im englischen Interesse, überhaupt jede Gelegenheit, um sich wieder auf der Halbinsel einzumischen. Deshalb unterstützt man augenblicklich den Küchenjungen Marfori und seine Agitation für den alten Narvaez. Morgen kann es anders sein! Nützen wir die Chancen! Und nun, Colonel, würde ich Sie von Herzen gern in die Tertulia Seiner Exzellenz des Herrn Adolphe Barrot, Botschafter des großmächtigsten Kaisers der Franzosen, mitnehmen, wo heute der ganze Hof versammelt ist, aber ich fürchte, daß Sie keinen Nutzen davon haben würden, und so müssen Sie sich schon morgen früh mit meiner Erzählung begnügen. Soll Mauro Sie nach meiner Wohnung zurückbegleiten?«

»Es ist nicht nötig, Mylord! Auf Wiedersehen!«

Der Graf schnalzte wie vorhin mit der Zunge und sogleich kam der griechische Diener herbei. »Was ist das dort für ein Zusammenlauf an der Fontaine? Was wird dort verteilt?« fragte er. »Warten Sie einen Augenblick, Colonel, das Gedränge und die Aufmerksamkeit sind jetzt zu groß. Schicke Seespinne ja nach einem der Blätter!«

In der Tat hatten sich auf dem Platz gegenüber dem Ministerium de la Gobernacion Das Ministerium des Innern, das frühere Postgebäude. dichte Gruppen gebildet, in deren Mitte ein oder der andere ein gedrucktes Flugblatt verlas, das von zwei Personen auf dem Platz verteilt wurde. Eben waren einige Beamte der Guardia civile beschäftigt, die weitere Verteilung zu verhindern oder die Personen zu verhaften, und durch den Widerstand derselben entstand großer Lärm, indem sich das Volk ihrer annahm, so daß selbst die Wagenreihen halten mußten.

»Ich glaube, wir werden da etwas Interessantes zu hören bekommen,« sagte der Graf. »Da kommt Seespinne, und dem Taugenichts scheint es wirklich gelungen, eines der konfiszierten Blätter zu erwischen.«

Wie eine Schlange wand sich der verkrüppelte taubstumme Knabe, dessen Augen, Scharfsinn und Gelenkigkeit die fehlenden Sinne wirklich zu ersetzen schienen, durch die Menge und war im nächsten Augenblick bei seinem Mitdiener, dem er das Blatt überlieferte und der es seinem Herrn reichte.

Don Juan überflog es mit den Augen. » Caramba,« sagte er, »nimmt die Geschichte wieder überhand?! Das dürfte man nutzen, wenn man der Sache nur auf die Spur kommen könnte! Da – lesen Sie.«

Er reichte dem Vertrauten des Infanten das Blatt. Der Inhalt lautete:

 

Mitbürger!

An Euch, Väter und Mütter, die Ihr mit Sorge und Mühe eine geliebte Tochter auferzogen zum Trost Eures Alters! – an Euch, Ihr Brüder und Freunde, die Ihr Euch an der frischen Jugend einer geliebten Schwester von Kindheit auf erfreut habt, die Ihr sie einst als die brave Gattin eines braven Mannes zu sehen hoffet! – an Dich, Volk von Madrid, das Gefühl hat für Sitte und Recht, wende ich – ein verlassener betrogener Vater – mich mit dem Schmerzensruf: wo ist mein Kind? Helft mir meine Tochter suchen!

Vor zwei Tagen noch besaß ich eine Tochter, ein vierzehnjähriges frommes, ach vielleicht nur zu frommes Kind! seit gestern morgen ist sie verschwunden, spurlos verschwunden, wie seit drei Jahren – Ihr erinnert Euch des, Madrilenen! – viele junge Mädchen verschwunden sind, ohne daß man ihr Verbleiben erforschen konnte.

Sind sie die Opfer von Räubern und Mördern geworden? ich bezweifle es! Die Bravos und Ladrones morden nur aus Rache und Habgier.

Sind sie verunglückt? – Wo ist ihre Spur? Der Manzanares behält keine Leichen.

Sind sie entführt? Wer hat sie entführt? Zu welchem Zweck? – Freilich – es gibt in Spanien noch Orte, von denen man seltener zurückkehrt, als aus dem Manzanares und aus den Klauen der Räuber!

Meine Tochter Dolores Villalobos Landero ging gestern morgen zur Messe nach Santa Maria.

Sie ist nicht zurückgekehrt! Mitbürger, helft mir mein Kind suchen und den Entführer zur Rechenschaft ziehen – stehe er so hoch, wie er wolle!

Martin Villalobos Landero,
Kapitän a. D. vom Regiment Cordova.

 

Dem erschütternden Aufruf folgte eine kurze Personalbeschreibung des verschwundenen Mädchens.

Es war nicht zu verwundern, daß der Inhalt des Blattes, welches der unglückliche Vater selbst mit einem Verwandten auf der Puerta del Sol verteilt hatte, eine große Aufregung in diesem leicht erregbaren Publikum hervorgebracht hatte.

Wie der Graf mit flüchtigen Worten seinem Gesellschafter erzählte, waren allerdings seit etwa zwei Jahren in Madrid wiederholt sehr junge Mädchen im Alter von etwa 14 bis 18 Jahren, und meist aus guten Familien, auf eine unerklärliche Weise verschwunden, ohne daß man eine Spur von ihnen auffinden konnte.

Der Volksmund behauptete, daß man die jungen Geschöpfe gegen den Willen der Eltern zum Klosterleben verlockt und in entfernte Klöster gesteckt habe. Trotz der Aufhebung der Jesuiten und der Einziehung vieler Klöster unter der Regentschaft Esparteros hatte die römische Propaganda doch den größten Einfluß bewahrt, viele der ausgewiesenen Jesuiten waren unter dem Schutz des Hofes und des berüchtigten Beichtvaters der Königin, des Jesuiten Claret, nach Spanien zurückgekehrt und bekleideten ganz offen ansehnliche Stellen. Die geistliche Gerichtsbarkeit war unter anderem Namen wieder eingeführt und der Klosterunfug nahm wieder überhand unter der Firma geistlicher und wohltätiger Gesellschaften.

Seltsamerweise hatten all die verschwundenen jungen Mädchen in der Kirche Santa Maria Dieselbe wurde bei der Revolution 1868 zerstört. ihre Meß- und Beichtgänge gehalten.

Auf dem Platz hatte der Tumult größere Dimensionen angenommen; die Polizei hatte den verlassenen Vater verhaftet und das Volk hatte ihn wieder befreit. Man warf mit Steinen gegen die Guardia, die sich nach dem Ministerium zurückgezogen hatte und dort verteidigte.

» Caramba,« fluchte halb lachend der Graf, »zu früh, zu früh! Ich wollte sonst was darum geben, wenn der Spektakel acht Tage später gekommen wäre. Welcher prächtige Anfang eines Pronunciamento! Aber es ist nichts vorbereitet, wir müssen warten, und da kommt auch bereits eine Abteilung der berittenen Wache, um den Platz rein zu fegen. Kommen Sie, Oberst, es ist Zeit, daß wir uns davonmachen!«

Sie eilten, von den Dienern gefolgt, in die Calle Mayor, zu der die Menge vor der berittenen Sicherheitswache flüchtete, und bogen in die nächste Querstraße.

»So – nun sind Sie in Sicherheit,« sagte der Graf. »Also auf Wiedersehen morgen früh!«

Er drückte dem Sekretär die Hand und schlug den Weg nach der Alcala ein. An einer abgelegenen Stelle der Querstraße blieb er stehen und winkte den beiden Dienern.

»Du hast gesehen und gehört, was auf der Puerta del Sol soeben passiert?« sagte er zu dem Griechen.

»Ja, Mylord!«

»Du sprichst genug Spanisch, um Erkundigungen einzuziehen. Suche zu erfahren, ob der Verbreiter jenes Flugblattes wirklich verhaftet oder wieder freigegeben ist und wo er wohnt. Es liegt mir daran. – Ist in dem Hause der Lukasstraße alles in Ordnung?«

»Wie Sie befohlen, Herr!«

»Die Waffen?«

»Zwei Revolver liegen in der Schatulle.«

»Ich kehre wahrscheinlich erst spät am Morgen zurück, du brauchst mich nicht zu erwarten. Seespinne genügt. Vor zehn Uhr morgen früh empfange ich niemand. Bis dahin muß ein Auftrag vollzogen sein, den ich dir zu geben habe.«

»Befehlen Sie, Mylord!«

»Du wirst morgen Seespinne seine schlechtesten Kleider anziehen und läßt ihn durch den Portugiesen zu einem alten Schlosser bringen, der nahe dem Toledo-Tor in der Calle de la Solana wohnt und unter dem Namen der Lahme bekannt ist. Er soll ihn für seinen Verwandten ausgeben, den er zur Probe in die Lehre geben wolle, um seine mechanischen Fertigkeiten auszubeuten. Sein Wunsch sei, daß der Schlosser zunächst ihm den Gebrauch der Schlüssel und das Öffnen jeder Art von Schlössern lehren möge. Er soll ihm 50 Duros als Lehrgeld zahlen, das wird jede Bedenklichkeit des alten Schurken beseitigen. Seespinne wird die nötige Instruktion von mir selbst erhalten.«

»Der Wechselbalg wird an Ort und Stelle gebracht werden. Soll ich ihn gleich mit mir nehmen?«

»Nein – ich brauche ihn noch. Jetzt geh und rufe einen Fiaker.«

Die Droschke erster Klasse wurde geholt, der Jockey an Bord spediert und der Graf befahl:

»Zum Hotel der französischen Gesandtschaft!«



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