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Der Bahnhof von Pamplona ist sehr einfacher Natur eine offene Halle, in der die Majos und Señoritas in der Erwartung des ankommenden Zuges promenieren.
Im ganzen ist der Verkehr eben nicht groß, der Spanier besitzt nicht mehr die Wanderlust seiner Väter, die ihn Welten entdecken und Welten erobern machte und liebt es, in der Heimat zu bleiben, so schlecht die Verhältnisse auch dort geworden sind.
Der Schnellzug, der am Mittag von Saragossa eintrifft, wurde erwartet, die Halle war gefüllt mit Menschen; denn wenn der Spanier auch nicht mehr liebt, zu reisen, liebt er es doch zu flanieren und müßig sich umherzutreiben, wo es irgend etwas zu sehen gibt.
Deshalb waren Offiziere und Soldaten der Garnison, Kloster- und Weltgeistliche, Frauen und Mädchen, Müßiggänger aller Art, Handwerker und Maultiertreiber, Limonenhändler und Landleute hier versammelt. Unter den letzteren bemerkte man noch häufig die alte baskische Tracht, die rote Jacke, die langen weiten Beinkleider mit der braunen Leibbinde, die spitze Mütze zum Unterschied von der Basquina der Soldaten und der französischen Basken, und die Alpargatas, die mit bunten Bändern befestigten Sandalen.
Ein in dieser Weise nach der uralten Landessitte gekleideter Mann, der ruhig an einem der hölzernen Pfeiler lehnte und die lange schwarze Zigarre rauchte, erregte nicht bloß die Aufmerksamkeit der niederen Personen, die ihn mit einer achtungsvollen Vertraulichkeit grüßten, sondern auch der besseren Klassen. Er schien trotz seines einfachen rauhen Äußern und Wesens eine sehr bekannte Persönlichkeit, und selten ging eine Mutter mit ihren Sprößlingen in seiner Nähe vorüber, ohne auf ihn zu deuten und ihnen zu sagen: el cazador de osos.
Der Mann war nicht mehr jung, er mochte wohl schon sechzig Jahre zählen, aber seine hohe schlanke Figur von athletischem Bau war ungebeugt und schien dem Alter, allen Anstrengungen und Mühseligkeiten zu trotzen. Er trug die baskischen weiten Beinkleider, aber statt der roten Jacke ein offenes weites Wams von starkem braunem Leder und in dem roten Gürtel, der seine schmalen Hüften einschnürte, steckte in lederner Scheide ein langes katalanisches Messer mit einem Griff von Ebenholz. Statt der üblichen leichten Sandalen hatte der Mann Stücke von ungegerbtem Leder um die Füße geschlagen und über den Knöcheln zusammengebunden.
Die offenen Falten des Hemdes, das nur am Hals von dem Tuch mit dem nationalen Knoten zusammengehalten wurde, zeigte einen starken Haarwuchs auf der kräftigen Brust, der jedoch an zwei Stellen wie von breiten Narben gelichtet war. Kinn und Wangen des Mannes umgab ein langer Bart. Die Farbe des Gesichts war tief gebräunt von dem fast steten Aufenthalt im Freien. Graue Augen von festem durchdringendem Blick belebten das kräftige noch im Alter stattliche Gesicht, dessen eine Hälfte jedoch von einer furchtbaren Narbe entstellt wurde, welche fast die ganze linke Wange bedeckte bis zum Mund und sich hier in den Bart verlor, indem sie einen Teil der Oberlippe verzogen hatte, so daß man die kräftigen weißen Zähne des alten Mannes durch die Barthaare wie Elfenbein schimmern sah. Es mußte die ganze Wange herausgerissen oder zerfleischt gewesen sein, wie die Spuren dieser Narbe zeigten.
Der »Cazador« oder Jäger, als welchen ihn die Frauen bezeichnet hatten, trug auf der einen Seite einen ledernen Sack um seine Schultern, der einem Jägerranzen glich und in der Tat auch diesen Beruf erfüllte, und hatte eine lange Flinte von großem Kaliber und grober aber solider Arbeit in der Hand, während er mit einem jungen Mann sich unterhielt, dessen Äußeres in jeder Beziehung gerade das Gegenteil des seinen war.
Diese Person war der junge Graf von Lerida, Don Juan, oder wie man will, der Kapitän Waterford, El Tuerto, und welche sonstige Namen bei Gelegenheit zu führen ihm beliebte.
Don Juan trug wie der Jäger das baskische Kostüm, nur statt des Alpargartas hohe, bis zum Knie reichende Stiefeln von ungeschwärztem Leder und die rote Baskina statt der spitzen Mütze. An dem Gürtel hing ein starker tunesischer Dolch, anscheinend seine einzige Bewaffnung. Beide Männer rauchten ihre Cigarros und bliesen während der Pausen ihrer Unterhaltung den Rauch hinaus in die blaue Luft.
»So habe ich also Ihr Wort, Señor Don Romero Castillos,« sagte der Graf, »daß ich und der Freund, den ich erwarte, morgen abend die gewünschten Posten erhalten werden?«
Don Castillos, denn es war in der Tat der berühmte Bärenjäger der navarresischen Berge – neigte den Kopf.
»Ich hatte ihn eigentlich für mich bestimmt, Condefito, indes, Sie wissen, daß ein Baske einem Manne Ihres Geschlechts nie einen Wunsch verweigern wird. Aber dieser Franzose wird einen schweren Stand haben, wenn Sie ihn nicht mit Ihrem sicheren Blick und Ihrer festen Hand unterstützen. Ich kenne nur einen der Gavacchos, den ich Aug' im Aug' mit dem Oso Bär. der Pyrenäen nicht die Farbe habe wechseln sehen.«
»Und wer ist das?«
»Sie werden es sehen, denn es ist der Grande, den ich hier erwarte. Er ist gestern in Barcelona gelandet und hat mich durch den Telegraphen benachrichtigen lassen, daß er heute hier eintreffen wird. So sagt mir wenigstens Ines, denn Sie wissen, daß ich selbst nicht lesen kann.«
» Caramba – das ist wahr,« erwiderte lachend der Graf, »und es ist gefährlich, mit Ihnen zu korrespondieren, da alles durch Weiberhände geht. Aber Sie werden damit Ihre rechte Hand verlieren, da Doña Ines Sie morgen verläßt.«
»Ihre Heirat mit Tommaso ist kein Verlassen,« entgegnete der Baske, »ihr Haus ist nicht weit von dem meinen und sie wird täglich wohl ein paar Stunden übrig haben für die Geschäfte ihres alten Oheims.«
Der Graf dachte einige Augenblicke nach, dann sagte er in baskischer Sprache: »Gewiß, ich traue der Doña Ines die vortrefflichsten Eigenschaften zu, aber ist es nicht in der Tat gewagt, einem so jungen Mädchen oft so wichtige politische Geheimnisse anzuvertrauen?«
»Ines ist wenigstens vom Vater eine Baskin. Keine Escolduna Namen, den sich die Basken geben. wird die Ihren verraten.«
»Ich fürchte auch nicht Verrat, sondern eine Unvorsichtigkeit. Jeder Mensch hat seine schwachen Augenblicke – niemand weiß das besser als ich. Wäre dem nicht so, Papa Romero, so würde deine Junta ganz andere Dinge zu beraten haben, als jetzt der Fall ist. Wann soll die Versammlung stattfinden?«
»Mit Aufgang des Mondes.«
»Der Platz?«
»Die heilige Eiche von Guipuzcoa.«
»Und du fürchtest keinen Verrat? Seit der Aufhebung der Fueros wimmeln die Provinzen von der Schergen Herreras.«
Der Baske richtete sich stolz empor. »Das Statut des Königs Alfons macht jeden Beamten der Spanier, der sich ohne Erlaubnis des Juntagenerals innerhalb der Grenzen der drei Provinzen blicken läßt, vogelfrei und erlaubt ihn zu töten. Kein Alguazil oder Spion wird es wagen, sich der heiligen Eiche zu nahen.«
» Quien sabe!« meinte der Graf philosophisch, indem er den Rauch seiner Zigarre in die frische Luft blies. »Das war vor Zeiten. Marschall Narvaez und Espartero haben die Fueros vernichtet, wie du schon aus der Anwesenheit dieser Caballeros« – er wies auf einen Trupp Soldaten, der auf dem Bahnhof umherlungerte – »ersiehst. Denn so viel ich weiß, dürfen nach den alten Rechten königliche Soldaten nur in San Sebastian weilen.«
»Wir werden unsere Fueros wiedernehmen!« murmelte ingrimmig der Bärenjäger.
»Richtig – wenn Ihr Don Carlos auf den Thron Spaniens gesetzt habt, eher nicht. Um dies zu erreichen, gilt es aber nicht bloß Mut und Einigkeit, sondern auch Vorsicht, und für eine solche Vorsicht halte ich es, daß Señor Ramiro Castillos, ein Hidalgo vom reinsten Blut, verschiedene spanische und andere Herren zur Bärenjagd geladen hat, welche dazu dienen sollen, die Zusammenkunft der Häupter der Karlisten zu verbergen.«
Der Baske, der von dem scharfen Blick des jungen Mannes seine Absichten so richtig durchschaut sah, stieß unwillig den Kolben seiner Flinte auf den Boden.
»Traurig genug, Señor Conde, daß es so ist. Hinge unsere Jugend mehr an den heiligen Sitten der Väter, statt sich an den liederlichen Höfen von Madrid und Paris umherzutreiben oder Königin Isabella zu dienen, es stände anders mit dem Schicksal Biskayas.«
Wiederum lachte der junge Mann. »Wenn deine Bemerkung auf mich gemünzt ist, Don Ramiro, so verliert sie ihren Stachel. Du weißt, daß ich in einem anderen Lande erzogen bin, und ich sage dir, – wenn der Teufel nicht vor wenig Tagen in Gestalt eines hübschen Weibes wieder sein Spiel getrieben hätte, würde ich allein mehr für die Wiedereinsetzung der alten Königsfamilie getan haben, als alle eure Juntas und Konspirationen, die im Grunde nicht mehr sind wie Flohstiche. Aber da kommt der Zug und wir müssen unser weiteres Gespräch über den Gegenstand verschieben. Jedenfalls will ich bei der Versammlung sein, wenn ich meinen Bären erlegt habe und mir nicht ein paar hübsche Augen eine bessere Unterhaltung versprechen.«
»Nimm dich in acht, Graf,« sagte ärgerlich der alte Mann. »Dergleichen magst du meinetwegen im Palácio Real treiben, aber nicht in den Bergen von Biskaya. Du weißt, daß die Escalduni keinen Spaß darin verstehen. Es ist ein Elend, daß Männer wie du ihr Leben an solche Dinge hängen, und wüßte ich nicht, daß du sonst ein baskisches Herz hast, und wäre ich nicht der Freund deines Vaters gewesen, würde ich nimmer dir gestattet haben, deinen Fuß über die Schwelle meines Hauses zu setzen. Aber hüte dich und denke an dein Wort.«
»Ich habe es dir verpfändet, daß jede Bewohnerin desselben von meinen Galanterien verschont bleiben soll,« bemerkte hochmütig der Conde, »und ein Lerida hat einem Mann noch niemals sein Wort gebrochen. Jetzt laß mich sehen, ob ein Pariser das seine hält.«
Das Andrängen der Versammelten nach der Haltestelle des daherschnaubenden Zuges war jetzt größer geworden und verhinderte jeden weiteren Austausch von Bemerkungen. Die beiden Basken zogen es vielmehr vor, sich etwas weiter zurückzuziehen, um die Aussteigenden desto bequemer beobachten zu können.
Der Zug hält in Pamplona eine Viertelstunde, ehe er nach Alsasua und Tolosa weitergeht, und die Reisenden stürzten sich aus den Waggons.
»Willkommen, Monsieur le Marquis,« sagte vortretend der junge Abenteurer, »ich habe die Ehre, Sie auf spanischem Boden zu begrüßen!«
»Ah, Mylord von Lerida,« erwiderte höflich der junge Franzose, denn es war in der Tat der Ordonnanzoffizier des Kaisers, der Vetter der schönen Bretagnerin. »Sie sehen, daß ich Wort gehalten. Wahrhaftig, ich hätte Sie fast nicht erkannt in dieser Verwandlung. Erlauben Sie, Hoheit, Ihnen meine Hand zu reichen!« Mit diesen Worten wandte er sich höflich nach dem Wagen zurück, um einem älteren Herrn beim Aussteigen behilflich zu sein, wohl mehr, um so einer vertrauten Begrüßung mit seinem Gegner zu entgehen.
Der Aussteigende war ein Mann von etwa 45 Jahren mittlerer Figur, etwas zum Embonpoint geneigt, aber sonst rüstig und kräftig. Sein Gesicht war braun, der Bart leicht ergrauend, das Profil erinnerte an eine historische Person.
» Pesthe!« sagte er lachend, »was denken Sie, Marquis! Ich komme von der Jagd der wilden Bergschafe, um trotz meiner Gicht in den Pyrenäen nach Bären herumzuklettern, und Sie bieten mir Ihren Arm! Es wäre doch zu viel von einem Republikaner, wie ich, verlangt, sich aus die kaiserliche Armee stützen zu wollen.«
Er sprang mit leichtem Schwung aus dem Waggon, hielt zwei Finger an den Mund und ließ einen grellen Pfiff erklingen, der dem der Lokomotive nichts nachgab. Ein baumlanger Mensch in Jägerlivree drängte sich sogleich zu seinem Herrn.
»Was befehlen Altezza?«
»Sorge, daß mein Gepäck im Bahnhof untergebracht wird, bis auf die Gewehre und das Felleisen, und sieh dich um nach einer Carozella.«
»Sie werden sie nicht nötig haben, Hoheit,« sagte die tiefe Stimme des Basken hinter ihm. »Es ist für alles Sorge getragen.«
»Ha, Signor Ramiro! Es freut mich, alter Freund, dich wieder zu sehen, obschon du meine Einladung nach Ajaccio verschmäht hast. Was machen deine Feinde, die Bären?«
»Sie warten auf Ihr Blei, Hoheit. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Sohn unserer Berge vorzustellen, der sich auch zur Jagd eingefunden, den Grafen Juan von Lerida, einen etwas wilden Burschen, aber tüchtigen Jäger zu Wasser und zu Land.«
»Mein alter Kamerad vergißt, Ihnen meinen Namen zu nennen,« bemerkte der Fremde auf den fragenden Blick des jungen Mannes. »Ihr Freund, mein Reisegefährte von Saragossa her, wird vielleicht die Güte haben, es nachzuholen.«
»Seine Hoheit der Prinz Peter Bonaparte,« stellte der Marquis de la Houdinière vor.
»Verzeihung, Hoheit, daß ich Sie nicht erkannte. Es war vor einigen Tagen das erste Mal, daß ich die Ehre hatte, am kaiserlichen Hof zu sein.«
»Sie würden mich auch schwerlich dort gefunden haben,« meinte lachend der Prinz, indem er dem jungen Mann auf die Schulter klopfte. »Mein Vetter, der Kaiser, und ich sind gerade keine besonderen Freunde, und ich liebe das Schranzenwesen wicht. Aber nun, Ramiro, wie kommen wir nach deiner Höhle?«
»Beim Kreuz von Montserrat,« brummte der Alte, »ich hielt schon meine Vorstellung für überflüssig, well ich glaubte, ein wilder Teufel müsse den anderen kennen. Aber Altezza sollten wissen, daß es in unseren Bergen keine Staatskarossen gibt und daß, wer sich nicht auf seine Beine verlassen kann, mit den vieren eines Maultieres zufrieden sein muß.«
»Ich ziehe die letzteren vor,« sagte lachend der Prinz, »denn die anderen wirst du ohnehin genug strapazieren. Aber unser Gepäck?«
»Ein Gebirgskarren hält vor dem Bahnhof. – Die Tiere stehen dort!«
» Adelante!«
Es hatten sich noch zwei Teilnehmer der Jagd zu der Gesellschaft gefunden, der eine ein englischer Offizier der Garnison Malta mit seinem Gastfreund, einem als eifrigen Jäger bekannten Oberst des Lanzier-Regiments, das in Pamplona und Saragossa in Garnison liegt. Mauro erwartete seine Herren bei den Arrieros, und nachdem die Diener der beiden Franzosen für Unterbringung des Gepäcks gesorgt, brach die kleine Kavalkade aus etwa zwölf Reitern einschließlich der Diener bestehend auf, um sich nach Casa Castilla auf den Weg zu machen.
Der kaiserliche Ordonnanzoffizier benutzte die erste Gelegenheit, die der oft sehr schmale und rauhe Weg bot, sich seinem Gegner anzuschließen.
»Sie sehen, Herr Graf,« sagte er ernst, »daß ich Ihrem Wunsche gefolgt bin. Aber diese ganze Sache gewinnt mehr den Anschein einer Lustpartie, als der ernsten Entscheidung, die wir verabredet, und ich will nicht hoffen, daß Sie mit mir Ihren Scherz getrieben haben.«
»Ohne Sorge, Herr Marquis! Die Partie, zu der wir gehen, wird für die Spieler ernst genug sein und Sie zufrieden stellen.«
»Aber ich sehe nicht ein, wie es zu einem Rencontre zwischen uns beiden kommen soll?«
»Haben Sie nur die Güte, mich in dem, was Sie mich diesen Abend tun sehen, zu unterstützen. Bis dahin, Herr Marquis, lassen Sie uns plaudern als gute Bekannte, was Ihre Einladung rechtfertigen muß; denn ich will Ihnen offen gestehen, daß die Franzosen hier sonst nicht sehr gern gesehen sind. Wir sind beide jung, und Sie werden Gelegenheit haben, hier manches zu sehen, von dem Sie in den Salons von Paris bei Ihrer Rückkunft erzählen können, vorausgesetzt, daß diese erfolgt, was ich von Herzen wünsche.«
Der Franzose verbeugte sich mit kalter Höflichkeit.
»Und nun, wie haben Sie die Schönheiten am Hof von Madrid gefunden? – Oder, – wenn Ihnen das besser behagt, wenden Sie Ihren Blick auf die toten Schönheiten unseres Landes, und sagen Sie mir, ob diese Kette von rauhen Felsen und aufsteigenden Bergen nicht auch ihre Reize hat, die so ergreifend auf den Geist wirken, wie nur immer ein Paar blaue oder schwarze Augen auf das Herz!«
Und in der Tat war der Anblick wohl geeignet, die Aufmerksamkeit zu fesseln. Der Weg, den die Gesellschaft genommen, war eine kurze Strecke der Straße nach Ostiz gefolgt und hatte sich dann zur Linken gewendet, dem Ufer eines Bergwassers folgend, das von der Höhe des Maldabich herabbraust. Je weiter sie kamen, desto rauher und wilder wurde die Gegend. Im Westen streckte sich die Kette der Cantabrischen Gebirge und im Nordosten erhob sich die Riesenwand des Maldabich und die wenigen mit Schnee bedeckten Häupter der Mittel-Pyrenäen.
Die rauhere Beschaffenheit des Gebirges und der bis hierher fühlbare Hauch der afrikanischen Wüstenwinde ist die Ursache, daß diese Seite der Bergkette von den Raubtieren, die sie noch bewohnen: dem Luchs, der wilden Katze, dem Wolf und dem Bären, mehr gesucht ist, als die kultiviertere Nordseite.
Ein großartiges Bergtheater, von Tolosa bis zum Salazaro reichend, bot sich anfangs den Blicken der Reisenden; aber je weiter sie in die Gave eindrangen, desto enger begrenzt wurde es und drängte sich oft zu engen Felsenschluchten zusammen, die wieder zu geräumigen Plateaus führten, von denen der Blick nach Süden das weite Flußgebiet des Ebro und der Arga schweift.
Einen dieser Punkte bildete die Hochterrasse, die sie nach einem etwa zweistündigen Ritt erreichten und auf der sich die Wohnung des berühmten Bärenjägers befand. Die Wohnungen der baskischen Landbewohner stehen selten in Dörfern zusammen, sie bilden einzelne zwischen den Bergen zerstreute Gehöfte.
Die Casa Castilla war wie alle die Häuser der meist wohlhabenden Bewohner ein langes einstöckiges Gebäude unter dem Schatten gewaltiger Nußbäume, mit Maisstroh gedeckt, zur Seite der landesübliche Kalköfen, worin der Kalk zum Düngen der Maisfelder gebrannt wird. Die Wirtschaftsgebäude hatten jedoch nur eine geringe Ausdehnung, da der Besitzer sich eben weniger mit dem Landbau beschäftigte. Wie in den Alpen der kühnste Gemsenschütze einen durch das ganze Land verbreiteten Ruf hat, so in den Pyrenäen noch heutigen Tages der kecke Jäger, der die Spur des zottigen Bären aufzufinden weiß und ihn in seiner Höhle anzugreifen wagt.
Als die kleine Kavalkade die Höhe erreichte, sah sie den Platz vor dem Hause bereits von einer Gesellschaft besetzt, die ihrer Ankunft bei Spiel und Tanz harrte. Die Pfeife und die baskische Trommel waren in voller Tätigkeit und die Strahlen der untergehenden Sonne beleuchteten die tanzenden Paare. Die Tafel unter den Bäumen war mit kräftigen Speisen, Bärenschinken, Lammsvierteln und Maiskuchen bedeckt, und obschon der Baske im ganzen sehr mäßig ist, fehlte es doch nicht an Krügen mit dem edlen über das Gebirge gepaschten Wein von Roussillon oder mit dem starken katalanischen Branntwein.
Der Graf von Lerida erinnerte sich, daß es der Abend vor der Hochzeit der Nichte des Hausherrn war, und da er die baskischen Sitten genügend kannte, erzählte er seinem Gefährten, daß die benachbarten Landsleute sich versammelt hätten, um nach altem Herkommen dem jungen Paar die ganze Ausstattung seiner Wirtschaft zu bringen.
Ein Rudel großer gelbbrauner zottiger Hunde begrüßte mit wildem Geheul zuerst die Gesellschaft! Zwei der Tiere von wahrhaft riesigem Wuchs stürzten mit weiten Sätzen ihren Kameraden voran und sprangen an ihrem Gebieter in die Höhe, während ein Veteran dieser Hundekolonie, ein alter grauer Bursche, langsam daher kam, gleich als halte er es unter seiner Würde, dem wilden Spiel seiner Nachkommenschaft sich anzuschließen. Dennoch war er es, den zuerst der Bärenjäger begrüßte.
»Willkommen Negro, alter Bursche,« sagte der Hausherr, indem er sich von dem Sattel seines Maultiers beugte und den Kopf des Hundes klopfte. »Es ist verständig von dir, daß du deine Kräfte für morgen sparst, denn hier bringe ich dir Gesellschaft, vor der du deinem Hause Ehre machen mußt. Hier Tomaso, nimm die Zügel des Tiers, indes ich meine Gäste auf der Schwelle meines Hauses nach alter Sitte willkommen heiße. Ich hoffe, du hast über Tanz und Spiel nicht die wichtigeren Geschäfte vergessen.«
Die Worte galten einem hochgewachsenen jungen Mann von etwa drei- bis vierundzwanzig Jahren mit ausdrucksvollem Gesicht, der eben beschäftigt war, die Hunde von den Fremden zu verjagen.
»Ohne Sorge, Vater,« sagte der junge Baske, – »es ist alles geordnet und ich habe mich noch diesen Morgen überzeugt, daß die Spuren frisch waren.«
Der alte Jäger hatte sich aus dem Sattel geschwungen und war in den Kreis seiner Landsleute getreten, die ihn mit Handschlag begrüßten. Er selbst verneigte sich ehrerbietig vor einem Mönch, der den Vorsitz am Tisch gehabt und sich weniger der Mäßigkeit befleißigt zu haben schien, als die anderen Gäste, denn die Farbe seiner feisten Wangen und der breiten Nase war ziemlich glühend.
»Wie geht es dir, Pater Antonio? ich habe deine Aufträge in Pamplona besorgt, die Briefe abgegeben und bringe dir ein Pfund echten Portorico mit.«
»Du sollst meinen Segen haben dafür, Sohn Ramiro,« sagte mit salbungsvoller Stimme der Mönch. »Du bist stets eine gute Stütze der Kirche gewesen und es tut mir wirklich leid, daß ich dein Haus verlassen muß. Aber ein armer Geistlicher, dessen Kloster die heidnischen Progressisten geschlossen haben, hat keinen Willen und muß froh sein, wenn seine Oberen sich seiner noch erinnern.«
In dem schlaffen aufgedunsenen Gesicht des Mönchs lag ein unangenehmer Zug, der mehr auf Egoismus und eine gewisse niedere Schlauheit, als auf die gerühmte Demut und Armut schließen ließ. Bei der hohen und unbedingten Verehrung, welche das baskische Volk jedoch für alles, was den geistlichen Namen trägt, hat, konnte ein Mißtrauen gegen die Worte des Pfaffen in der ehrlichen Seele des Bärenjägers und seiner Umgebung nicht aufkommen. Seine Antwort war daher, daß sein Haus bereit sei, ihn auch noch fernere Jahre zu beherbergen, damit er ihm und den Nachbarn die Wohltaten der Kirche spende, und daß, wenn es ihm in Madrid nicht gefallen sollte, er lieber in ihre rauhen Berge zurückkehren möge. Dann aber wandte sich der Hausherr nach der Gruppe seiner Landsleute und winkte seiner Nichte, die dort schon mit einem Krug und einem hölzernen Teller bereit stand, und ging seinen Gästen entgegen, die ihre Tiere verlassen hatten und näher traten.
»Señores,« sagte er, den baskischen Dialekt mit der spanischen Sprache vertauschend, »Sie sind willkommen in dem Hause eines Escaldunac. Was ich habe, ist Ihr Eigentum. Nehmen Sie das Brot und Salz der Gastfreundschaft, und die heilige Jungfrau segne Ihren Ein- und Ausgang.«
Zugleich bot das Mädchen dem Prinzen den Teller, auf dem kleine Stücken Maisbrot und ein Häufchen Salz lagen. Der Prinz nahm ein Stück, tauchte es nach der Landessitte in das Salz und aß einen Bissen davon.
» Cospetto, Freund Castillos,« sagte er munter, mit der Linken das Kinn des Mädchens erhebend, – »deine Nichte ist verteufelt herangewachsen und hübsch geworden, seit ich das letzte Mal in deiner Bärenhöhle war, was beiläufig gesagt, sieben Jahre her ist. – Nun, nun, Schätzchen,« fuhr er zwanglos fort, als das Mädchen, eine feine schlanke Gestalt, mit der Röte des Unwillens auf den Wangen, einen Schritt zurücktrat, »du brauchst vor mir keine Besorgnis zu haben, wie etwa vor jenen jungen Herren dort, denn ich schaukelte dich mehr als einen Abend auf den Knien. Überdies bin ich versehen und ganz zufrieden mit meinem Kinde aus dem Volk, und beneide daher den glücklichen Bräutigam nicht, der dich morgen heimführen soll. Aber Ihr müßt gestatten, daß ich mich den Nachbarn anschließe und meinen Anteil zu Eurer Ausstattung beitrage.«
Damit zog er eine seidene Börse aus der Tasche, durch deren Maschen Gold- und Silberstücke schimmerten, und reichte sie dem Mädchen, das darin nach Landesbrauch durchaus keine Beleidigung fand, sondern den Beutel aus der Hand des Gebers empfing und diese dafür küßte.
Es genügt, das Haupt oder die vornehmste Person der Gäste in dieser Weise willkommen zu heißen, und der Hausherr nahm daher nur die Kanne aus der Hand seiner Nichte, füllte einen Becher mit dem dunklen Wein von Roussillon und trank auf das Wohl der Fremden, worauf er sie einlud, es sich bequem zu machen und Speise und Trank zu sich zu nehmen.
Da die meisten seit dem Morgen nichts oder nur wenig genossen hatten, ließen sie sich die Einladung nicht wiederholen und bald saß die aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzte Jagdgesellschaft um den roh gezimmerten Tisch und langte wacker zu.
Der junge Franzose hatte mit Aufmerksamkeit das schöne Mädchen betrachtet, das jetzt die Pflichten der Wirtin übte. Sie trug zwar die gewöhnliche Kleidung der baskischen Frauen, das anschließende dunkle Leibchen mit engen Ärmeln und den kurzen faltigen, bis über die Waden reichenden Rock, sowie das Pannelo, das bunte, fezartig um das Haar gewundene Tuch; aber dies Haar war nicht blond, sondern von einer blau schillernden Schwärze, die Gestalt nicht hoch und kräftig, wie die der mit großem Mut und Stolz begabten Töchter des Landes, sondern klein und zierlich, und Hände und Füße waren von auffallender Feinheit. Auch das Gesicht, obschon von dunkler Färbung, zeigte nicht den Schnitt der Eingeborenen, sondern war schmal und wies eine eigentümliche Schönheit auf, große schwarze, mandelförmig geschnittene Augen von träumerischem Ausdruck, und einen zwar nicht kleinen, aber mit wunderschönen Zähnen besetzten Mund.
»Sie sehen nach Inez, Monsieur,« sagte der Mönch in schlechtem Grenz-Französisch zu seinem Nachbar, dem Marquis; denn obschon er bereits eine stattliche Mahlzeit eingenommen, hatte er doch nicht versäumt, sich wieder mit an den Tisch zu setzen, – »und wundern sich wahrscheinlich, daß sie so ganz anders aussieht, als unsere Mädchen, die dort mit den Burschen den Bolero tanzen. Aber Inez ist nur zur Hälfte eine Baskin und stammt mit der anderen aus heidnischem Blut.«
»Aus heidnischem Blut?«
»Nun, Monsieur, ich will damit nicht sagen, daß ihre Mutter nicht eine gute Christin gewesen sei, aber sie war zweifelsohne eine Moriska!«
»Eine Maurin?«
»Still, Señor Caballero, sprechen wir nicht so laut. Don Castillos hört es nicht gern, daß sein jüngerer Bruder, der Stierkämpfer, eine Tochter Granadas zur Frau genommen.«
»Und warum befindet sich die Señora Inez hier und nicht bei ihren Eltern?« fragte der kaiserliche Ordonnanzoffizier, der mit großer Teilnahme den Bewegungen des Mädchens sorgte.
»Bah – er starb in seinem Beruf. Ein andalusischer Stier spießte ihn in der Arena von Madrid auf seine Hörner, da er – sonst der beste Espada Spaniens – fehlstieß, man sagt, verwirrt und betrübt über den in der Nacht vorher erfolgten Tod seines Weibes. Es sind zwölf Jahre her. Es war bei den Festen, damals, als der Rebell Espartero nach Madrid zurückgerufen wurde und das törichte Volk sich vor Freuden nicht zu lassen wußte.«
»Und Don Castillos nahm alsdann die Waise zu sich?«
Der Mönch sah sich vorsichtig um, ehe er antwortete. »Es war ein Jahr später, Monsieur. Sie müssen wissen, daß Don Castillos ein alter Karlist ist, der schon in seiner Jugend unter Merino und Zumalacarreguy gegen die Regierung focht. Im Jahre Achtundvierzig war er mit Cabrera tätig und nur die allgemeine Amnestie rettete seinen Kopf. Damals war er das einzige Mal in seinem Leben in Madrid, um die Waise seines Bruders zu holen. Das Kind war etwa sechs Jahr alt, als er es hierher brachte, und es ist von ihm seitdem streng in den Sitten des Landes erzogen worden, wie sehr sich auch das andalusische Blut dagegen empören mochte.«
»Und der Bräutigam?«
»Er ist ein ziemlich wackerer Bursche, der Sohn eines alten Waffengefährten Don Ramiros, zwar nicht der klügste Kopf, aber ein tüchtiger Landbauer und Jäger. Dort unten sehen Sie das Haus, das er morgen mit seiner jungen Frau beziehen wird. Er bleibt als Pächter auf der Besitzung des alten Castillos, der Geld genug in seiner Truhe hat, um zehn Nachbarn auszustatten. Aber sehen Sie, Señor, da gibt es ein Schauspiel, das wir nicht versäumen dürfen.«
Er wies nach dem freien Platz unter den Bäumen, wo die jungen Leute der Nachbarschaft ihre ländlichen Tänze ausgeführt hatten. Jetzt waren alle um die Braut versammelt und bestürmten sie leidenschaftlich, einen Tanz auszuführen. Lange sträubte sich Inez, denn sie wußte, daß der Oheim die Tänze ihrer südlicheren Heimat, zu der sie eben die Gefährtinnen aufgefordert, nicht gern sah, – aber die junge Schar plagte den alten Jäger der Art und versprach dafür, morgen bei der Jagd ihr Bestes zu tun, damit der Bär nicht durch ihre Posten schlüpfen sollte, daß er endlich – halb der Eitelkeit, den Fremden die Talente des Mädchens zu zeigen – nachgab und der schönen Moriska die Erlaubnis erteilte, den Fandango zu tanzen.
Schnell wie der Blitz verschwanden die jungen Mädchen in dem Hause und kamen bald darauf mit Guitarren, Tamburins und Castagnetten zurück.
Inez hatte die Gelegenheit benutzt, ihr Pannelo, das baskische Kopftuch, mit dem kleidsamen Rebozo, dem schwarzen, auf die Schulter fallenden Schleier, zu vertauschen.
Trommel und Pfeife mußten alsbald einem Tamburin und der Guitarre Platz machen. Die ganze Tischgesellschaft hatte sich erhoben und bildete einen weiten Kreis um die drei Paare, die sich zum Tanz aufgestellt hatten. Tommaso war, wie sich von selbst versteht, der Tänzer seiner Braut, zwei junge Männer der Nachbarschaft standen den beiden andern Mädchen gegenüber.
Jetzt klangen die Schellen des Tamburins, die schwirrenden Töne der Guitarre fielen ein und das Klappern der Castagnetten bezeichnete den rechten Takt.
Die rechte Fußspitze vorgestellt, die linke Hand mit dem Schleier erhoben, den zierlichen Körper halb nach vorn geneigt, begrüßte die schöne Moriska ihren ziemlich plumpen und unbeholfenen Tänzer.
Die Stellung war so reizend und graziös, daß der Prinz in die Hände klatschte und alle andern lebhaft in den Applaus einstimmten.
Jetzt rauschte die herausfordernde Melodie, bald klagend, bald übermütig neckend, zu dem feurigen liebedürftenden und liebebringenden Tanz des Südens, dem Fandango mit seinem Fliehen und Locken, seiner Grazie und seiner Leidenschaft, seinem Necken und Hingeben.
Nur wenige Minuten hatte der Tanz gedauert, als Tomaso den jüngsten und gewandtesten seiner Mittänzer an die eigene Stelle schob und die beiden andern Paare den Tanz aufgaben und sich unter die Zuschauer zurückzogen.
Die schöne Moriska schien diese stillschweigende Anerkennung ihres Sieges gar nicht zu bemerken und sich ganz der Leidenschaft des Tanzes hinzugeben. Ihre Wangen röteten sich tiefer, das sonst so träumerische Auge blitzte voll Glut und ihre Bewegungen wurden feuriger, stürmischer. Kaum vermochte ihr junger Gegentänzer ihnen zu folgen und als er jetzt auf einem Knie vor ihr lag, die Arme bittend und verlangend zu ihr erhoben, und sie kokett um ihn schwebte, nicht das einfache Landmädchen der Gebirge, sondern die graziöseste Ballerina, brach das Bravo der Zuschauer aufs neue los. Auf dem zierlichen Fuß sich hebend, in der Hüfte den geschmeidigen Oberkörper halb rückwärts wendend, neigte sie sich über den Knienden, den Schleier um ihn zu schlingen, und ihr feuchter, liebespendender Blick suchte den Bräutigam, der ihr gerade gegenüber neben Don Juan, dem Grafen von Lerida, stand.
Plötzlich erbleichte ihre Wange, sie fuhr mit beiden Händen zum Herzen und wäre kraftlos zu Boden gesunken, wenn ihr Tänzer sie nicht aufgefangen hätte.
» Ojo malo!« seufzte das Mädchen. »Die heilige Jungfrau beschütze mich!«
Im ersten Augenblick glaubten die Umstehenden in dem Zusammensinken der schönen Tänzerin ein reizendes Schlußstück zu sehen und applaudierten auf das lebhafteste, – erst als sie länger als nötig in dem Arm des Tänzers liegen blieb und dieser bemüht war, sie wieder aufzurichten, eilten ihre Gespielinnen und Tomaso herbei, und der Hausherr schalt sich selbst, daß er den Bitten nachgegeben und dem jungen Mädchen den aufreizenden und anstrengenden Tanz gestattet hatte.
Die schöne Moriska erholte sich übrigens bald wieder, doch weigerte sie sich zu sagen, was ihre plötzliche Ohnmächte veranlaßt hatte, und schob sie gleichfalls auf die Anstrengung des Tanzes. Auf den Befehl des Oheims zog sie sich alsbald in das Haus zurück, um das nötige zum Nachtmahl und zur Beherbergung der Fremden einzurichten.
Die Sonne war jetzt untergegangen und der Mond, der schon hoch am Himmel stand, warf sein glänzendes weißes Licht auf die mächtigen Formen der Berge und die zur Ebene niedersteigenden Felsterrassen.
Die Gesellschaft der Männer hatte sich, ihre Zigarren rauchend, aus dem freien Platz versammelt und besprach die Aussichten und die Vorbereitungen der morgenden Jagd. Etwas abseits von den älteren lehnte an dem Stamm eines der Nußbäume der Graf von Lerida.
Unter einer Gesellschaft eingefleischter Jäger bildete natürlich das Hauptgespräch die Jagd, und da die meisten derselben in mehr als einem fremden Weltteil gewesen waren, schlug der Hausherr vor, daß jeder von ihnen eines seiner Jagdabenteuer aus der Ferne zum Besten geben solle.
»Unter der Bedingung, Señor Don Ramiro,« sagte der spanische Oberst, »daß Sie uns später etwas aus Ihren Pyrenäen erzählen und wie Sie zu der schlimmen Narbe da auf Ihrer Wange gekommen sind. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß es die Tatze eines Ihrer guten Freunde, der Bären, war, die Ihnen die schlimme Wunde beibrachte. Ich hoffe, daß der Bursche sich nicht lange dessen gefreut hat.«
»Sein Pelz liegt vor meinem Lager,« sagte finster der Jäger, »und seit sechsundzwanzig Jahren tritt ihn mein Fuß, so oft ich mich niederlege oder erhebe mit einer Verwünschung aus der Tiefe meiner Seele. Dreiundfünfzig seiner Kameraden haben seitdem gebüßt, Sie können ihre Köpfe oder Klauen in dem Hause sehen.«
» Diavolo – das ist eine hübsche Zahl, um die ich Sie beneide. Und Ihre Geschichte?«
»Ich will sie Ihnen mitteilen, obschon sie, so alt ich bin, mit ihren Erinnerungen mir das Herz schwer macht. Aber lassen Sie mich dieselbe bis zuletzt aufsparen, denn ich schwöre Ihnen, Caballeros, daß sie nicht dazu taugt, eine Gesellschaft zu erheitern.«
» Muy bien!« sagte der Oberst, indem er seine Zigarette wegwarf und sich eine neue drehte, »so will ich selbst beginnen. Was wollen Sie hören? Ich war auf den Philippinen und der Havanna. Ah – die Havanna! gut, daß ich daran denke, ich kann Ihnen da gleich erzählen, wie ich die Ehre hatte, mit Kapitän Welmore hier bekannt zu werden, denn ich fürchte, daß ihn sonst seine Bescheidenheit verhindern würde, von dem wichtigen Dienst zu sprechen, den er mir geleistet.«
» By jove,« sagte der Engländer, »es ist nicht der Mühe wert, davon zu reden, was ein Mann dem andern im Feldlager oder in der Einöde tut.«
»Das mag von dem Gläubiger gelten, Señor Capitano,« erwiderte der Spanier stolz, »aber nicht von dem Schuldner. Hören Sie also, Caballeros.«
Die Unterhaltung wurde in spanischer Sprache geführt, die alle, bis auf den Ordonnanzoffizier des Kaisers, verstanden.
»Es sind fünf Jahre her,« begann der Oberst, »ich stand damals als Kapitän der Lanziers in der Havanna, als ich von dem Gouverneur den Auftrag erhielt, wegen irgendeiner kleinen politischen Verhandlung nach Trinidad zu gehen. Die Engländer hatten eines unserer Schiffe unter dem Verdacht, Sklaven transportiert zu haben, mit Beschlag belegt und weigerten sich, es herauszugeben. Das war wenigstens der Vorwand, die Hauptsache aber waren einige geheime Verhandlungen zum Schutz gegen die amerikanischen Flibustier, die unter dem geheimen Schutz des demokratischen Präsidenten die Revolution nach der Insel trugen. Sie werden sich der Zeit erinnern, denn ein paar Monate vorher hatte das Pronunciamento O'Donnells und Serranos stattgefunden und Marie Christine war von dem Ministerium Espartero gefangen gesetzt oder wenigstens interniert worden.
Genug – die Verhandlungen waren bald günstig beendet, da man damals schon in England mit mißtrauischen Blicken auf die amerikanischen Intrigen in Mexiko und auf den Antillen zu sehen begann, und ich hatte daher Zeit genug, vor meiner Rückkehr mich meiner Leidenschaft für die Jagd hinzugeben.
Ich hatte so viel von der üppigen Vegetation und dem Tierleben an den Ufern des gewaltigen Orinoko gehört, daß ich beschloß, einen oder zwei Monate in den Tiefen seiner Wälder zuzubringen. Allen Jagdbedarf hatte ich bei mir und so schiffte ich mich denn eines Morgens in Port Spain ein und war am vierten Tage in der Boca di Navios, der Hauptmündung des Riesenstroms. Bis zur Insel Tortola und Guiana ging damals allmonatlich das Dampfschiff, und nachdem ich mich am letzteren Ort in dem Haufe des Kaufherrn Salvedra zwei Tage aufgehalten und mit den nötigen Vorräten versehen hatte, mietete ich eine Pirogue mit sechs indianischen Ruderern, und in Begleitung meines Burschen und eines Schwarzen trat ich den Weg in den Urwald an.
Der Führer der Barke gehörte einem den Europäern befreundeten Stamme der Tupi an und war nach der Versicherung meines Gastfreundes ein zuverlässiger Mann, der schon mehrfach Expeditionen von Jägern, Naturforschern und Abenteurern in das Innere des Landes und selbst über die großen Katarakte des Orinoko hinaus geführt hatte. Aber während diejenigen Reisenden, welche den beiden ersten Kategorien angehört hatten, meist glücklich von ihm zurückgebracht worden, war noch niemals einer der dritten Art zurückgekehrt. Das verderbliche Goldfieber, das sie angetrieben, das nach der Sage jenseits der großen Bergketten am ebenso sagenhaften See Parime liegende fabelhafte El Dorado aufzusuchen und sich unter die wilden Stämme der Ureinwohner zu wagen, hatte ihnen allen den Tod gebracht.
Da ich, wenn auch vielleicht Abenteuerlust genug, doch keineswegs Zeit hatte, mich auf eine so gewagte und hoffnungslose Unternehmung einzulassen, hatte ich Tura-put, so hieß der Indianer, nur gedungen, mich bis jenseits Bolivar und der Mündung eines Seitenflusses zu bringen und konnte also seiner Aufmerksamkeit und Treue sicher sein; denn ich muß sagen, daß die Sage von jenem Gold- und Diamantenland sich nicht bloß unter den golddürstigen Weißen erhalten hat, sondern daß sie auch unter den Stämmen der Eingeborenen selbst existiert und daß diese höchst ungern und widerwillig sehen, wenn ein Versuch zur Auffindung des fabelhaften Landes gemacht wird.
Mein Bursche Miguel war ein tüchtiger, wachsamer und zäher Soldat, ein Katalonier und von erprobtem Mut, der Neger Pompejo ein kräftiger, gewandter, nur etwas furchtsamer Bursche.
So ausgerüstet, verließen wir in der Mitte des April Guiana und waren binnen vierundzwanzig Stunden in den Tiefen des Urwaldes begraben.
So viel ich weiß, kennt niemand von Ihnen mit Ausnahme des Kapitän Welmore die Tropen. Denken Sie sich alles, was man von der Üppigkeit ihres Pflanzenwuchses und dem Reichtum ihres Tierlebens erzählt, an den Ufern des Orinoko vereinigt. Dichte Wände des kolossalen Baum- und Strauchwuchses, von den Netzen der Lianen, selbst dem Beil und Jagdmesser undurchdringlich gemacht, schlossen oft stundenlang die Ufer des Flusses ein und wechselten mit offenen Sümpfen, in denen der Alligator und der Tapir haust, mit Savannen, in deren smaragdgrünem, bis zu 6 Fuß hohem Grase der Hirsch und das Reh sich tummelt, bis das Schnauben des Kuguars oder des gefleckten Panthers sie schreckt, – oder mit hallenartigen Gängen des offenen, majestätischen Urwalds, wo in den Ästen der Zamangbäume Herden von Affen schnattern und sich übersprangen.
Scharen bunter Papageien wiegten sich in den Wipfeln der Bäume, der Kakadu und der Arara ließ ihren uns wohlbekannten Ton in der Wildnis erschallen, und die bunte Schar der Kolibri gaukelte wie funkelnde Diamanten an den bunten Kelchen der Lianen und den wunderbaren Blüten der Orchideen umher.
Es war ein wunderbarer Anblick für den träumenden Reisenden, ein ebenso köstlicher, verlockender für den Jäger.
Sie können denken, daß ich den Zweck meiner Fahrt nicht vergaß. Gar oft während des Tageslichts wurde die Einsamkeit der Ufer durch den Knall meiner Büchsflinte unterbrochen, und selbst in der Nacht, – während unsere Pirogue fünfzehn bis zwanzig Schritt vom Ufer lag, um vor der Annäherung der Raubtiere gesichert zu sein, fuhr oft der tötende Blitz aus meinem Rohr nach der Stelle hin, wo sich zwei grüne Feuerkugeln im Dunkel der Gebüsche gezeigt hatten, und der Todesschrei eines Puma verkündete, daß die Kugel ihr Ziel getroffen. Freilich, wenn wir dann am Morgen landeten, um unsere Beute zu suchen, fanden wir diese meist von den Coyoten schon bis auf die Knochen verzehrt.
Dennoch hatte ich bereits in meiner Pirogue eine hübsche Sammlung von Jagdtrophäen aller Art aufzuweisen. Wiederholt waren wir die Mündungen kleinerer sich in den Riesenstrom ergießender Flüsse eine Strecke fort in das Innere gefahren, weil ich gefunden hatte, daß sich hier – in der Tiefe des Urwalds – die beste Jagdbeute holen ließ, als mir – am Tage vor der schon beschlossenen Rückfahrt – ein Abenteuer begegnete, das mich leicht der Mühe der Rückkehr hätte überheben können.
Wir waren in die Mündung des Coroni, eines großen Seitenstroms des Orinoko, der aus dem Paridagebirge kommt, eingefahren. Schon lange hatte mich die Lust angewandelt, eine Nacht auf dem Lande, mitten im Urwalde zu verbringen, um allen jenen seltsamen und wunderbaren Stimmen, welche die Dunkelheit mit sich führt, in unmittelbarer Nähe zu lauschen. Vergeblich warnte mich der alte Führer der Pirogue, ich bestand auf meinem Sinn, und als wir am Nachmittag des zehnten Tages unserer Fahrt uns am Eingang eines jener sumpfigen Creeks befanden, die sich von den Ufern der Flüsse eine Strecke weit in das Land hinein zu ziehen pflegen, beschloß ich, meinen Willen auszuführen. Pompejus, der Neger, und einer der indianischen Ruderer sollten mich begleiten, um meine Gewehre, meine Hängematte, den Pancho und einigen Mundvorrat zu tragen, Miguel aber in der Pirogue zurückbleiben, die mich an der anderen Seite des Creeks erwarten mochte, den ich umgehen wollte. Die Erfahrung hatte mich bereits belehrt, daß dies gewöhnlich durch einen Marsch von vier bis fünf Stunden geschehen konnte.
So machte ich mich denn, es mochte ungefähr Nachmittag gegen 4 Uhr sein, also nachdem die größte Hitze vorüber war, trotz aller Warnungen des alten Tupi und der Bitten Miguels, ihn mit mir zu nehmen, auf den Weg. Ich zog es vor, einen sicheren Mann an Bord der Pirogue zu lassen, um der Vollziehung meiner Befehle gewiß zu sein.
Ich trug über die Schulter gehängt meine Büchsflinte bei mir und im Gürtel meines ledernen Jagdhemdes einen sechsläufigen kurzen Revolver. Pompejus führte außer der Tasche mit Schießbedarf und einem Korb mit den Mundvorräten eine leichte Jagdflinte, während der Indianer die von den Fasern der Aloë geflochtene Hängematte und die wollenen Decken trug.
Wir waren so bereits mehr als drei Stunden weit marschiert, immer tiefer in den hier leicht passierbaren Urwald eindringend und ich hatte bereits mehrere treffliche Schüsse getan, als der sinkende Abend uns daran erinnerte, bald an eine Stelle zu denken, wo wir unser Nachtlager aufschlagen konnten. Ich hatte mich wieder dem Creek genähert, aber gefunden, daß dieser sich tiefer hinein in das Land erstreckte, als ich vermutet hatte, und wahrscheinlich in mehrere Arme sich teilte; denn als wir endlich ein Ende desselben umgangen hatten, fand es sich, daß wir uns auf einer Art Landzunge befanden, deren fester Boden hinein lief in den Sumpf und auf zwei Seiten von demselben umgeben war. Obschon der Ort mir wenig gefiel und ein überaus unheimliches Aussehen hatte, auch die Nähe des Sumpfes mit seinen Mosquitos und zahllosen Insekten keine angenehme Nachbarschaft war, mußte ich mich doch entschließen, hier Halt zu machen, denn wir waren schon seit einer Stunde unter dem Schatten des Waldes im Halbdunkel marschiert und meine Uhr wies mir, daß die Sonne in wenig Minuten untergehen werde und also die volle Dunkelheit sofort folgen würde.
Es galt also, die wenigen Minuten noch zu benutzen, um einen möglichst günstigen Ort für unser Nachtlager zu wählen.
Der hohe Urwald trat auf beiden Seiten bis dicht an die mit dichtem Schilf und Rohr bedeckten Ufer des Sumpfes heran. In der Mitte jedoch war der gleich einem Hügelrücken gebildete feste und leicht ansteigende Boden nur von wenigen, bereits abgestorbenen oder absterbenden Bäumen besetzt. Verfaulende Stämme lagen auf dem Boden umher und waren dicht von Lianen umwuchert. Obwohl ihr Moder reichen Nachwuchs erzeugt hatte, war doch das üppige Gesträuch an vielen Stellen zertreten und niedergedrückt, was mich darauf schließen ließ, daß an diese Stelle viele wilde Tiere des Waldes zur Tränke kommen mußten. Dahin deutete auch der Umstand, daß das Schilf und Geröhr an mehreren Stellen auf gleiche Weise wie die Büsche niedergedrückt war, so daß sich förmliche Wege gebildet hatten, in denen ein Kahn leicht hätte zum Ufer gelangen können.
Ein Umstand, der mir damals zwar auffiel, den ich aber erst später beachtete, war, daß ein Teil der in der Nähe des Ufers stehenden Bäume bis zu einer gewissen Höhe ihrer Rinde oder wenigstens der unteren Zweige beraubt war, ein Umstand, der sich leicht wieder dem Wechsel der wilden Tiere zuschreiben ließ und zugleich die Ursache sein mochte, daß so viele von ihnen abgestorben waren. Nur die dem Mimosengeschlecht, namentlich den wilden Akazienarten angehörenden Dornen tragenden Bäume oder Kaktussträucher waren verschont und im üppigsten Grün. Sie werden wissen, daß einzelne dieser Gewächse mehr als fußlange sehr scharfe und starke Stacheln tragen.
Zwei dieser Bäume standen etwas höher hinauf in mäßiger Entfernung von einander und ihre Äste reichten so dicht zusammen, daß sich bequem zwischen ihnen eine Hängematte aufschlagen ließ.
Alle diese Eigentümlichkeiten des Platzes, die ich rasch erfaßte, bewogen mich noch mehr, hier mein Lager aufzuschlagen. Ich rechnete dabei darauf, daß mir beim Anbruch des Tages, wo gewöhnlich die Raubtiere der sonst unzugänglichen Wildnis zur Tränke gehen, einige schöne Exemplare trefflich zum Schuß kommen würden. Ich beabsichtigte daher, am frühen Morgen noch vor Anbruch der Tagesdämmerung einen der Bäume zu ersteigen oder mich im Gebüsch zu verbergen, um hier einen bequemen und sicheren Stand zum Schuß zu haben, bis dahin aber, da ich in der Tat sehr ermüdet war, einige Stunden zu ruhen.
Ich ließ deshalb meine Hängematte aufschlagen und – teils weil ich nicht etwa ein in der Nacht umherschleichendes Tier verscheuchen wollte, teils weil die Äste dort bequemer waren, mußte Hurah-nee, der Indianer, indem er auf die Schultern des Negers stieg, die Matte so hoch aufschlagen, daß sie über Mannshöhe vom Boden hing und ich nur auf gleiche Weise hinein gelangen konnte. Mehrere Schritte entfernt davon, dem Zugang des Creeks entgegen, wurde ein Feuer angemacht, das meine beiden Begleiter wenigstens während der ersten Hälfte der Nacht abwechselnd unterhalten sollten, teils um die wilden Tiere solange von dem Platze abzuhalten, teils um durch seinen Rauch, der gerade auf meine Lagerstätte zukam, die lästigen Moskitos zu verscheuchen.
Nachdem wir unsere Gewehre und Taschen an den nächsten Bäumen aufgehangen hatten, um sie vor dem Tau der Nacht zu schützen, machten wir uns daran, unser Abendbrot an dem Feuer zu bereiten, indem wir die Stücken eines von uns geschossenen Hirsches brieten und zu einem Becher Paraguaytee verzehrten. Dann, nachdem ich noch meinen Begleitern gute Wache empfohlen und bestimmt hatte, daß sie mich eine Stunde vor Tagesanbruch wecken sollten, damit ich alsdann diese Wache übernehmen und meine Vorbereitungen treffen könnte, stieg ich auf die breiten Schultern des Negers und kroch in meine Hängematte.
Von tiefer Müdigkeit befallen, die selbst meine kaum halb gerauchte Zigarette meinen Lippen entfallen ließ, sah ich noch undeutlich durch den Rauch des Feuers, wie der Neger und der Indianer einiges trocknes Holz zusammentrugen, sich an dem Feuer niederkauerten und nach kurzer Besprechung der Indianer sich wieder erhob und nach einem der rindenlosen Bäume ging, während der Schwarze behaglich den Wollkopf auf die Knie gesenkt neben den glühenden Bränden hocken blieb.
Darüber sanken mir die Augenlieder zu und ich fiel in einen tiefen Schlaf.
Es konnte indes noch nicht Stunden gewährt haben, als mich plötzlich ein so gellender, entsetzlicher Schrei emporschreckte, daß ich fast die Balance in meiner Hängematte verloren hätte und herausgestürzt wäre. Ich drehte mich indes mühsam nach dem Feuer um, dem ich des Rauches wegen den Rücken gekehrt hatte, und richtete meine Blicke nach der Stelle, von woher unzweifelhaft jener Schrei gekommen war.
Ein ebenso seltsamer als furchtbarer Anblick bot sich mir dar.
Das Feuer war total erloschen, nur glühende Kohlen leuchteten noch und verbreiteten einiges Licht in ihrer nächsten Umgebung. Wahrscheinlich war der Neger auf seinem Wachposten eingeschlafen und hatte versäumt, die Flammen mit neuen Reisern zu nähren.
Ich sah deutlich seine dunkle Gestalt, wie sie neben dem glimmenden Herde kniete, etwas zurückgebeugt, die Hände wie abwehrend vorgestreckt, ja ich konnte selbst genau sein Gesicht erkennen, dessen Farbe von der Schwärze des Ebenholzes fast zum Aschgrau übergegangen war, und den Ausdruck des höchsten Entsetzens zeigte. Die weißen Augäpfel waren weit vorgequollen, der Mund weit geöffnet, das Wollhaar auf seinem Schädel schien sich zu sträuben.
Und was war die Ursache dieses Entsetzens? – ich kannte die Furchtsamkeit des Burschen und vermutete im ersten Augenblick keine sonderliche Gefahr. Dennoch begann ich, mich in meiner Hängematte aufzurichten, um nötigenfalls herunterzuspringen und ihm zu Hilfe zu eilen. Zunächst wollte ich wissen, was ihn denn so sehr erschreckt.
»Was ist's – was gibt's, Pompejo? warum schreist du?«
» Padre de Dios! zu Hilfe, Sennor – Pompejo sein ein toter Mensch!«
Der arme Bursche schien die Antwort kaum aus der Kehle würgen zu können. Ich blickte noch einmal genauer hin – aber ich konnte noch nichts sehen, als einige dunkle, hin und her sich bewegende, und dann im Schein der Kohlen metallisch funkelnde Linien.
Ich war im Begriff, mich herunter zu lassen, als ein Ruf aus der Luft mich zurückhielt und mich erbeben machte.
» Alto, Señor! – bleiben zurück, Señor, wenn dir Leben lieb ist! Serpientes! Die Schlangen.«
Es war die Stimme Hurah-nees, des Indianers. Sie kam aus den Ästen eines Baumes, den er erstiegen, um vorsichtig dort die Stunden zu verschlafen, bis die Reihe der Wache an ihn kam.
Ich erschauderte bei seinen letzten Worten, denn ich hatte von jeher einen großen Abscheu vor allen Schlangen empfunden.
Dennoch wäre ich dem armen Neger zu Hilfe geeilt, wenn nicht in diesem Augenblick sein furchtbares Schicksal bereits entschieden worden wäre, von dem menschliche Hilfe ihn nicht mehr zu retten vermochte.
Die Bewegung, die er bei dem Ruf gemacht, vielleicht der Ton unserer Stimmen, hatte den scheußlichen Reptilen das Signal gegeben. Das schreckliche Rasseln ihrer Klappern, das ich hörte, das Warnungssignal, das die Hand Gottes ihnen angeheftet, verdoppelte sich, ich sah die dunklen Windungen der Schlangen auf ihn losschießen, an ihm haften bleiben!
Der Schlangen!
Ja, Caballeros, erst jetzt bemerkte ist, daß der Unglückliche nicht von einer oder zwei der schrecklichen Geschöpfe bedroht war. Überall, rings im Kreise zischte und wand es sich, wohin mein Auge, das sich an die Dunkelheit gewöhnte, auch sah, überall kroch und wand es sich am Boden, hob sich und züngelte giftig nach dem Leben.
Der Unglückliche war bei dem ersten Stich, dem ersten Bitz emporgesprungen, er hatte versucht, seinen Feind von sich abzuschütteln, sich des giftigen Gewürms zu erwehren. Er kämpfte mit Händen und Füßen dagegen, er versuchte zu fliehen.
Aber wohin er schlug, wohin er trat, wimmelte es am Boden von den glatten feuchten Körpern. Sie krümmten und wanden sich um seine Glieder, schlugen ihre scharfen spitzen Zähne in seine Adern, glitten an seinen Kleidern, an seinem Leibe empor. Noch höre ich sein dem Brüllen wilder Tiere ähnliches Schmerzens- und Angstgeschrei, noch sehe ich sein Winden und Ringen – bis zu meiner eigenen Todesstunde wird es vor meiner Seele stehen.
Drei oder vier Schritte sich im Kreise drehend machte der Unglückliche, dann glitt sein Fuß auf den glatten Körpern, womit der Boden förmlich bedeckt war, aus; er stürzte nieder und wälzte sich auf seinen Feinden bis in die noch glühenden Kohlen, die umher stoben.
Ich war so entsetzt von dem furchtbaren Anblick, daß ich kein Glied rühren, nicht einmal das Auge von dem scheußlichen Schauspiel abwenden konnte – selbst der Laut blieb in der Kehle stecken – gelähmt, stumm sah ich dem Kampfe zu; ich wußte, daß jeder Hilfeversuch vergebens war, daß es sich nutzlos in einen gräßlichen Tod stürzen hieß.
Der Kampf dauerte etwa zehn Minuten – mit jedem Moment wurde die Kraft des armen Opfers schwächer, sei es, daß bereits die Wirkung des furchtbaren Giftes durch seine Adern rann, sei es der Schmerz, der Blutverlust, der hundertfach sich um seine Glieder windenden Gegner, der die Stärke des sonst so kräftigen Mannes so bald erlahmen ließ, – der Körper lag quer über der Feuerstätte, nur einzelne Zuckungen noch bewegten ihn – endlich hörten auch diese aus – er lag still.
Aber um ihn und über ihn kroch und ringelte und zischte und klapperte ein unheimliches Leben. Der ganze Körper des Toten war bedeckt von den scheußlichen Reptilien, die jetzt untereinander in Hader und Streit zu geraten schienen. Der ganze Boden unter mir bis zum Creek hin schien ein wimmelndes Schlangennest, bedeckt von den eklen zischenden Würmern.
Ich saß noch immer lautlos, ohne Bewegung in meiner Hängematte. Bisher hatte die herrschende Dunkelheit mich nur einen Teil des Schauspiels, nur unbestimmte Formen und Windungen erblicken lassen – aber das Grauenhafte sollte sich noch steigern.
Der Mond ging auf und trat bald über die Einfassung des Creeks und der Lichtung. Das Mondlicht unter den Tropen ist so hell und klar, daß es fast einem trüben Tage gleicht und jeden Gegenstand deutlich erkennen läßt. In diesem Schein lag die Lichtung jetzt vor meinen Blicken – ich sah ihn sich spiegeln in dem trüben Wasser des Sumpfes, ich sah ihn blitzen und zittern in den sich windenden Leibern der Reptile.
Hunderte von Schlangen wälzten und ringelten sich aus dem Boden der Lichtung. Es schienen Lurche verschiedener Gattung, von der dunklen Wasserschlange, der in Südamerika so häufigen Korallenschlange bis zur giftigsten Viper, der Horn- und der graubraunen Klapperschlange mit ihren Ringeln und Häuten.
Alles, was ich bisher gelesen und gehört über das einsame Leben der Lurche, war hier in das Gegenteil verkehrt. Ich konnte damals und auch später bei ruhigerem Nachdenken mir diesen Widerspruch und das gräuliche Schauspiel vor mir nur dadurch erklären, daß es die Begattungszeit dieser widrigen Geschöpfe sein mußte, oder daß besondere örtliche Umstände obwalteten, welche ihr Erscheinen in solcher Menge gerade an dieser Stelle veranlaßten. Später habe ich von den Indianern gehört, daß die Reptilien wegen des Fehlens der Augenlider das helle Sonnenlicht scheuen und es lieben, im Mondschein auf dem Boden zu spielen. Der Ort, an dem wir leider unser Nachtlager aufgeschlagen, war überdies durch das Geröhr, das, dichte Buschwerk und die verfaulenden Holzstämme, welche überall umherlagen, sehr günstig für den Aufenthalt ihrer Brut.
Bisher hatten der Indianer und ich nach seinem ersten Anruf, der mir offenbar das Leben gerettet hatte, weiter kein Wort gewechselt; die Nerven des armen Burschen mochten in keinem anderen Zustand, als die meinen sein, und ich hatte wahrhaftig keine Neigung zu einer Unterhaltung, obschon mir das Bewußtsein der Nähe eines anderen menschlichen Wesens einige Beruhigung gewährte. Ich begann jetzt nachzudenken über die Lage, in der wir uns befanden.
Die Schlangen hatten den toten Körper verlassen. Ich wußte aus Büchern und Erzählungen, daß sie niemals tote Körper zu verzehren suchen, daß überdies die Bildung ihrer Kiefern und Zähne ohnehin nicht erlaubt, einzelne Stücken Fleisch abzureißen und zu verzehren, sondern nur einen ganzen Körper hinunterzuwürgen. Der Körper des Negers lag also bis auf die zahlreichen Bisse, die ihn getötet, unverletzt da, seine Augen waren weit geöffnet und die Leiche gewährte einen furchtbaren Anblick, der sich von Viertelstunde zu Viertelstunde steigerte, wie sie von dem Gift aufzuschwellen und eine – wie im Mondlicht schien – fast bläuliche Färbung anzunehmen begann.
Der nächste Gedanke war, ob mich das Gewürm erreichen könne.
Ich wußte, daß, wenn auch im ganzen die Lurche ein träges Geschlecht sind, doch mehrere Schlangenarten auf die Bäume kriechen können.
Nach einiger Überlegung hielt ich mich aber für gesichert vor dieser Gefahr. Keine der Schlangen, die auf dem Boden unter mir spielten und sich ringelten, war über 4 bis 5 Fuß lang. Sie konnten also wohl nicht die wohl 4 Fuß dicken Bäume, zwischen denen meine Matte aufgehängt war, umschlingen, um sich hinaus zu winden. Ich befand mich mehr als 6 Fuß über dem Boden, – ich war also außer ihrem Bereich.
Ich war überdies zweifelhaft, ob sie mich bemerkt hatten, denn das Gehör der Schlangen ist sehr mangelhaft. Jedenfalls schienen sie mich nicht zu beachten und setzten ihre Spiele ungestört fort, wobei sie sich namentlich um den Feuerplatz drängten. Sie lieben die Wärme, und die noch heiße Asche schien ihnen wohl zu tun. Wahrscheinlich war die von dem Feuer ausgegangene Wärme auch der Grund, daß sie so zeitig ihre Schlupfwinkel verlassen und den schlafenden Neger umgeben hatten. Hätte er sich nicht gerührt oder wäre er nicht erwacht und hätte durch seine Bewegungen die Lurche gereizt, so wäre er vielleicht gar nicht von ihnen angefallen worden, denn für gewöhnlich fliehen die Schlangen die Nähe des Menschen und greifen ihn nicht an.
Alle diese Betrachtungen gaben mir die Überzeugung, daß es am besten sein würde, mich ganz ruhig zu verhalten. Ich fühlte nach meinem Jagdmesser, das ich mit heraufgenommen zu haben mich deutlich erinnerte, und fand es. Im Begriff, mich wieder in der Hängematte auszustrecken, fühlte ich etwas Hartes unter mir. Ich griff darnach – und ein Gefühl der Freude durchzuckte mich, es war der sechsläufige Revolver, den ich bei mir führte.
Sie werden alle schon das Gefühl der Sicherheit und des wiederbelebten Mutes empfunden haben, das jedem Mann der Besitz einer vertrauten Waffe gibt. So ging es auch mir. Obschon der Revolver, ja selbst meine gute Büchsflinte, die da drüben am Baum hing, gegen die Menge der Reptile gänzlich unzureichend gewesen wäre, fühlte ich mich doch ruhiger und sah jetzt selbst mit einem gewissen Interesse, so weit es der Ekel erlaubte, den mir die Lurche einflößten, auf ihr Spiel und Treiben am Boden. Nur auf den toten Körper durften meine Augen nicht fallen, denn jedesmal durchschauerte es mich dann bis auf das Mark der Knochen.
So mochten bereits mehr als zwei Stunden vergangen und der Anbruch des Tages konnte nicht mehr fern sein. Schon hörte ich das Klappen des Picos, des grünen Spechts der tropischen Urwälder und das Pfeifen der blaugefiederten Amsel zwischen dem Brüllen der Ochsenfrösche.
In der Ferne heulte ein Jaguar – drüben über dem Creek antwortete ihm ein anderer.
Das Leben des Urwaldes begann zu erwachen!
Das war die Zeit, die ich meinen Leuten bestimmt hatte, mich zu wecken, um meinen Teil von diesem erwachenden Leben zu nehmen.
Dios la sabe! – wie war alles ganz anders gekommen! ich kam mir vor, als sei ich selbst jetzt das gefährdete Wild!
In der Tat sollte dies Gefühl bald zur Wahrheit werden! Ich blickte wieder hinab auf den Boden – die Schlangen waren fast alle verschwunden, die letzten schlüpften eben mit größter Eile über den Boden hinweg in ihre Schlupfwinkel.
Zugleich ließ sich in dem dichten Gebüsch des Ufers ein Rauschen und Brechen hören, als drängten mächtige Körper sich hindurch. Die schlankeren Bäume, die dort standen, schienen in eine wellenförmigere Bewegung zu geraten und hin und her zu schwanken. Da aber der Mond bereits auf der anderen Seite der Lichtung hinter die mächtige Waldwand getreten und die Morgendämmerung noch zu wenig vorgeschritten war und der Urwald jetzt düstere Schatten warf, konnte ich nichts deutlich erkennen. Aber wiederholt hörte ich das Rauschen und Brechen.
Von Minute zu Minute wurde es aber heller. Ich setzte mich jetzt aufrecht in die Hängematte, um meinem Gefährten, dem Indianer auf dem Baum zuzurufen. Ich konnte bereits deutlich seine Gestalt zwischen der Gabel der Äste des abgestorbenen Zamangbaumes sehen, in die er sich eingeklemmt und wo er die schreckliche Nacht zugebracht hatte. Er mußte meine Erhebung bemerkt haben, denn zu meinem Erstaunen machte er allerlei telegraphische Zeichen und Grimassen, aus denen ich nur entnehmen konnte, daß ich mich ruhig verhalten und wieder niederlegen sollte.
Was bedeutete dies? War eine neue Gefahr vorhanden?
Jetzt bei dem beginnenden Licht des Tages fühlte ich mich kräftiger, mutiger – ich konnte der Gefahr ins Auge schauen, welcher Art sie auch sei. Nur auf den geschwollenen Körper des Negers, der wenige Schritte von mir lag, konnte ich nicht ohne Aufregung sehen und vermied es daher, meine Blicke dahin zu richten.
Das Rauschen in den Büschen hatte aufgehört, dagegen begann das tausendschmettrige Konzert der Vögel in dem Walde, welche das Emporsteigen der Sonne verkündeten und begrüßten.
Ich erinnere mich des ersten Zwecks der Wahl unseres Nachtlagers. Hätte ich mein treues Gewehr zur Hand gehabt, ich wäre jetzt fast ganz wieder beruhigt und der beobachtende besonnene Jäger auf dem Anstand gewesen, und fast war ich entschlossen, trotz der Warnung des Indianers meinen Platz zu verlassen, um mich der Waffe zu bemächtigen. Nach einiger Überlegung beschloß ich jedoch noch eine halbe Stunde zu warten, und legte mich, den erhobenen Kopf in die Hand gestützt, wieder in die Schlingen der Matte.
Die Sonne mußte sich über den Horizont erhoben haben, denn es wurde wie mit einem Schlage hell. Zugleich erhob sich drüben im Urwald ein Geräusch, – das meinem Jägerohr wohl vertraut war. Es war das Galoppieren eines Rudels Wild über den Boden.
Also trotz seiner scheußlichen Bewohner diente der Ort unseres Nachtlagers dennoch zur Tränke der Tiere des Waldes.
Ich bedauerte jetzt um so mehr mein Gewehr nicht zur Hand zu haben, jedoch ein Ton, den ich alsbald hörte, störte meine Erwartung. Es war das heisere Brüllen eines Puma. Zugleich konnte ich deutlich sehen, wie in einiger Entfernung ein Rudel der kleinen Tropenhirsche durch den Wald flüchtete, verfolgt von zwei, dem Katzengeschlecht angehörenden Raubtieren. Die Erfahrung der bisherigen Jagdtage belehrte mich, daß es Pumas sein mußten, welche dem Rudel Wild auf dem Weg zur Tränke aufgelauert hatten und die Jagd nach ihrem Morgenfraß hielten.
Die Ruhe war in wenigen Minuten wieder hergestellt – der Feind mußte sich weit entfernt haben, denn bald darauf hörte ich aufs neue das Geräusch sich nähernder Tiere.
Obschon der Wind vom Creek her in den Wald stand, mußten die Ausdünstungen des Sumpfes noch unsere Witterung überwiegen, denn die sonst so scheue und vorsichtige Gesellschaft, es war ein Tapir mit seinem Weibchen und zwei Jungen, trotteten unbesorgt aus der Tiefe des Urwaldes heran, um den Tag in ihrem Lieblingselement, dem Wasser und Schlamm, zuzubringen. Ich war ganz unglücklich darüber, die schöne Gelegenheit versäumen zu müssen, denn trotz aller Bemühungen war ich auf meiner Fahrt bisher nie zu einem glücklichen Schuß auf das überaus scheue Wild gekommen.
Die Dickhäuter kamen schnaubend und grunzend heran; einen Augenblick blieben sie bei dem Leichnam des Negers stehen und berochen ihn, da sie aber Pflanzenfresser sind und ihnen der Geruch wahrscheinlich zuwider war, eilten sie, sich in das Wasser zu stürzen.
Plötzlich, noch ehe der vorderste Tapir, das Männchen, das Ufer erreicht hatte, schoß aus dem Dickicht gleich einem bunten Strahl ein langer dicker Streif und umwand das arme Tier.
Es war das Werk eines Moments! Ich hörte das jämmerliche Aufschreien der Tiere, ich sah gelbbraune, dicke Ringe sich hoch über dasselbe wegbäumen und eng zusammenziehen, ich sah einen eiförmigen platten Kopf sich erheben, eine lange gespaltene Zunge aus dem widrigen Rachen sich ausstrecken – madre de Dios! ich war aus der Scylla in die Charybdis geraten, – das Gewühl der Nattern und Vipern war ich los, um es mit der Nähe der furchtbaren Anaconda, der Cucuriuba der Brasilianer zu vertauschen.
Und nicht genug an dem einen Feinde! Am Boden hin schoß und huschte eine zweite gelbbraune Gestalt nach der Beute; es war die Zeit der Paarung – dem Männchen folgte das Weibchen – zwei der entsetzlichen Riesenschlangen, von denen ich verkümmerte Exemplare bisher nur in den Menagerien gesehen, wandten sich unter mir am Boden.
Für gewöhnlich lebt die Boa gleich den meisten Schlangenarten einsam in den Tiefen des Urwaldes und ihr Charakter ist träg und phlegmatisch. Nur der Hunger treibt sie aus diesem Zustande und die Zeit, wo das Weibchen des Reptils das Männchen sucht, zeigt beide in einem Zustande gewisser Reizbarkeit und macht sie im höchsten Grade gefährlich.
Der Sprung der Ungetüme nach ihrer Beute war übrigens verfehlt. Das Tapirmännchen, obschon von dem Anprall und der ersten Umschlingung zu Boden geworfen, stand bald wieder aus seinen plumpen Füßen und stürzte sich mit dem Instinkt, den ihm die Natur eingepflanzt, nach dem Wasser. Vergeblich versuchte die Cucuriuba es daran zu hindern. Bei der ersten Berührung mit dem Wasser löste die Schlange ihre Ringe, da die Boa niemals ins Wasser geht, und schnellte sich zurück nach dem Lande, um dem zweiten Tapir den Weg zu verlegen. Aber das trotz seiner Ungestalt äußerst bewegliche und rasche Tier hatte bereits die gefährliche Wendung seines plumpen Körpers gemacht, und galoppierte zurück in den Urwald, an der zweiten Schlange vorbei, die sich auf eines der Jungen geworfen und das quickende Ferkel bereits ganz mit ihren Ringen umwunden hatte. Auch das zweite Junge entkam, indem es in das Geröhricht sprang.
Die wilde Szene des tropischen Tierlebens ging übrigens rascher vorbei, als ich sie hier zu erzählen vermochte. Sie hatte trotz aller Schrecklichkeit und Gefahr etwas so Aufregendes für mich, daß ich mich soweit als möglich aus der Hängematte legte, wodurch diese natürlich in ein Schwanken kam.
Durch diese Bewegung schien die erste Schlange, welcher der Tapir entronnen, aufmerksam zu werden und mich zu erblicken. Niemals werde ich den grünen Strahl des Auges vergessen, das sie mit erhobenem Kopf jetzt auf mich richtete. Mit einem wellenförmigen Aufsprung schnellte sie bis dicht vor mein luftiges, schwankendes Lager hin und versuchte ihren Oberleib in die Höhe zu richten.
Aber obschon sie wohl an 4 Fuß sich erhob und ihr weiter roter Rachen mich giftig und drohend angähnte, vermochte sie mich nicht zu erreichen. Nur die ägyptische Brillenschlange vermag sich in ihrer ganzen Länge zu erheben und aufrecht zu erhalten.
Ich hatte den Revolver gefaßt, um – so wie der Kopf des Untieres mir nahe kam, – ihr die ganze Ladung in den Rachen zu schießen, aber ich sparte den Schuß, als ich mich überzeugte, daß die Boa nicht näher zu kommen vermochte.
Es war eine der größten ihrer Art, wie ich nachher erfuhr, ein Weibchen, die bei den Lurchen größer und stärker sind, als die Männchen. Sie mochte nach meiner Schätzung 20 bis 22 Fuß messen und hatte die Dicke eines Mannesschenkels. Die männliche Boa, die sich in diesem Augenblick unbekümmert um meine Anwesenheit und um die Wut ihrer Gefährtin mit der Hinunterschlingung des jungen Tapirs beschäftigte, konnte wohl 5 Fuß kürzer sein.
Es war ein ekler, widerwärtiger Anblick, wie der in entsetzlicher Weise erweiterte Rachen der Schlange das kleine trotz dem Zerbrechen aller Knochen noch lebende und sich sträubende Tier von hinten her in sich aufzunehmen und zu verschlingen begann. Ich hatte bei meinem Widerwillen gegen alle Reptile stets vermieden, einem solchen Experiment in den Menagerien mit Kaninchen, Hühnern und anderen kleinen Tieren beizuwohnen, – und mußte jetzt in der Wildnis der mitgefährdete Zeuge ihrer eklen Mahlzeit sein.
Die Anakonda fuhr indessen fort, sich auf und nieder zu wälzen. Oft fuhr sie wie ein Blitzstrahl in förmlichen Sätzen über den ganzen Platz, oft ringelte sie sich in einen Kreis und schnellte dann mit Gewalt empor – aber die Beute, die sie suchte, das heißt meine werte Person, war und blieb aus ihrem Bereich. Das Mißlingen des Versuchs auf den Tapir, dem ihre Umschlingung wahrscheinlich mehrere Rippen gebrochen hatte und dessen klägliches Stöhnen ich aus dem Sumpf wiederholt hörte, sowie mein Anblick schien die Wut des Ungeheuers bis zum Äußersten zu steigern. Der Riesenwurm fuhr jetzt aus den nächsten der absterbenden Bäume los, wickelte sich in Spiralen um seinen Stamm bis zur Höhe meines Lagers und versuchte dann sich gegen dieses hin zu schnellen. Aber die Entfernung war zu weit, die Schlange fiel jedesmal aus der Hälfte des Raumes zur Erde.
Anfangs befürchtete ich, daß sie einen der beiden Bäume ersteigen würde, deren Äste meine Hängematte trugen, wo sie an jenen sich hinwindend leicht dies gefährliche Lager hätte erreichen können. In der Tat machte sie auch ein- oder zweimal den Versuch, aber ihr Instinkt sagte ihr, daß derselbe ihr Verderben sein würde, denn die starken Stacheln des Holzes mußten sich in ihren Leib bohren.
Dies erklärte mir auch, weshalb die beiden Dornbäume frisch und grün geblieben waren, während die meisten anderen ringsum ihrer Rinde beraubt waren.
Die gräulichen Lurche oder einer von ihnen, hatten offenbar seit langer Zeit ihr Lager an dieser Stelle und trieben hier ihre Spiele und Mördereien.
Ich hatte bisher vermieden, den Indianer auf seinem Baume anzurufen. Die Anakondas schienen ihn noch nicht wahrgenommen zu haben, und ich fürchtete, durch einen Anruf oder durch Zeichen ihre Aufmerksamkeit dahin zu richten. Jetzt aber schoß die Schlange gerade auf den Baum los, auf dem er sich befand und begann sich tut seinem Stamm empor zu winden.
Der Baum befand sich etwa fünfzehn bis zwanzig Schritt von mir entfernt.
Der arme Bursche hatte kaum den Besuch bemerkt, der ihn bedrohte, als er alle Fassung verlor und ein klägliches Geschrei nach Hilfe erhob. Die Anakonda schien erst jetzt seiner ansichtig zu werden, sie löste den Kopf von dem Stamm, legte ihn weit zurück und züngelte hinauf nach ihrer Beute. Dies war mehr, als ich ertragen konnte. Ich erhob den Revolver und feuerte rasch hintereinander zwei Kugeln gegen das Ungeheuer.
Sei es, daß eine derselben trotz der ziemlich großen Entfernung sie verletzt hatte, sei es, daß blos der Knall des Schusses ihrer Wut eine andere Richtung gegeben, die Schlange löste ihre Ringe, schnellte von dem Baum fort und wieder auf mich los.
Ich rief dem Indianer zu: »Rette dich!«
Hurah-nee benutzte den Augenblick. Er fuhr an dem Stamme herunter, der bisher sein Versteck gebildet, plumpte in den seinen Fall brechenden Moder und entrann mit aller Kraft seiner Beine hinein in den Wald. Vergeblich schoß die Schlange ihm nach, – er war bereits außer ihrem Bereich.
Ich war jetzt allein!
Die Sonne war höher gestiegen, und zu der ohnehin schrecklichen Lage, in der ich mich befand, gesellten sich noch andere fast ebenso schlimme Plagen.
Mein Hut war bei meinen letzten Bewegungen hinuntergefallen. Die Anakonda schoß auf ihn zu und bald war er eine formlose Masse. Ich hatte jetzt nichts zum Schutz meines Kopfes gegen die immer brennender werdenden Sonnenstrahlen, als den leichten Schleier, mit dem ich mich am Abend gegen die Stiche der Moskitos geschützt hatte, und mein Tuch.
Ich versuchte, mir daraus eine Art Turban als Kopfbedeckung zu machen.
Durch die Glut der Sonne begann ferner die Verwesung des Körpers des Negers reißende Fortschritte zu machen.
Ein pestilenzialischer Geruch erhob sich von dem Leichnam des unglücklichen Negers, – er war so unerträglich, daß es mich am Atmen hinderte.
Noch einmal schoß ich auf die Schlange, als sie mir zu nahe kam. Aber – selbst wenn ich bei dem schwankenden Standpunkt getroffen haben mochte, – welche Wirkung konnte die unbedeutende Revolverkugel auf den gewaltigen Leib hervorbringen?
Während all dieser Zeit lag die männliche Boa fast unbeweglich auf dem Platz. Sie hatte das ganze Tapir-Ferkel hinuntergewürgt und sonnte ihren aufgeschwellten Leib jetzt behaglich zur Verdauung, zu der sie Tage, vielleicht Wochen nötig hatte, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Sie würde also an diesem Ort bleiben!
Dennoch wußte ich, daß von dieser Bestie nach dem Fraß mir wenig Gefahr drohte. Sie war unbehilflich geworden und konnte mich schwerlich verfolgen.
Mein Feind war die weibliche Boa, die der Hunger, die verfehlten Angriffe, die Verwundungen nur unermüdlicher, nur noch zorniger gemacht zu haben schienen.
Sie fuhr mit einer Schnellkraft über den Boden, von Baum zu Baum, die wahrhaft entsetzlich war. Die Stämme, um die sie sich ringelte, schwankten hin und her und bogen ihre Wipfel.
Es hatte etwas Teuflisches, wie die beiden Schlangen, wenn sie still lagen, mich mit ihren erweiterten grünen Augen anstarrten. Mir schien es, als läge darin der Ausdruck triumphierender Gewißheit, daß ich zuletzt doch ihre Beute werden müsse.
Mit aller Gewalt hielt ich meinen immer mehr sinkenden Mut aufrecht. Ich gab mich der Hoffnung hin, daß es dem Indianer gelungen sein werde, obschon er ohne Verteidigungswaffen war, durch den Urwald entweder zurück zu der Stelle zu gelangen, von der wir am Nachmittag vorher ausgegangen waren, oder zu der anderen Seite des Creeks, wo die Pirogue mich erwarten sollte. Ich wußte, daß der Soldat Miguel sicher seinen Herrn nicht im Stich lassen werde, und da er wenigstens noch mit Schießgewehr versehen war, mit Hilfe der Indianer eine Diversion zu unserer Befreiung machen würde. Es galt also nur, mich in Geduld zu fassen und zu warten.
Zu warten allerdings in einer fürchterlichen Lage!
Ay mi! die Sonne brannte so heftig auf mich nieder, daß sie mir das Gehirn zu versengen drohte. Dazu die pestilenzialischen Dünste, der Durst, der mir die Zunge am Gaumen kleben ließ. Meine Gedanken begannen sich zu verwirren, die rastlosen Sprünge und Bewegungen der Boa schienen sie mir zu hundert ähnlichen Geschöpfen zu vermehren. Ich glaubte mich in die überstandene Nacht zurückversetzt, und statt der Vipern die ganze Lichtung mit den gräulichen Gestalten der Anakondas erfüllt zu sehen.
In lichteren Augenblicken betete ich zu Gott und den Heiligen, mir wenigstens meine Besinnung zu erhalten, und berechnete die Aussichten auf Rettung, die mir etwa noch blieben.
Denn Stunde auf Stunde war verronnen seit der Flucht des Indianers, ohne daß sich ein Laut von der Annäherung meiner Befreier hören ließ.
Wie leicht konnte der arme Bursche auf seinem Wege das Opfer eines der im Urwald unbehindert umherschweifenden Raubtiere geworden sein? Wie leicht konnte er sich verirrt und die Pirogue nicht gefunden haben! Und selbst wenn er sie angetroffen, würden die nur mangelhaft bewaffneten Bootsleute es wagen, meinem Diener zur Rettung seines Herrn zu folgen, den Kampf mit den gefürchteten Cucuriubas aufzunehmen? Und allein konnte der treue Bursche nichts unternehmen, er war hilflos ohne Führer in den Wirrnissen des Urwaldes.
All dieses ging mir durch das erhitzte Gehirn, während die Stunden flohen und die Sonne bereits stark im Sinken war.
Barmherziger Gott – sollte ich etwa noch eine solche Nacht zubringen, wie die vorige, in der verpesteten Luft, umgeben von dem Hexentanz der zahllosen Lurche?
Lieber den Tod!
Ich faßte den Entschluß, auszuharren, bis die Schatten der Bäume im Westen die Lichtung deckten, um dann auf alle Gefahr hin den Versuch zu machen, zu entfliehen. Ich hatte noch zwei Kugeln in meinem Revolver, eine sollte dem Ungetüm gehören, die andere mir selbst, ehe es mich erreichte.
Eine Aussicht, daß die Boas die Lichtung bei einbrechender Nacht verlassen würden, war nicht vorhanden. Der männliche Lurch lag trag und unbehilflich, das Weibchen würde ihn sicher nicht verlassen, selbst wenn seine Wut sich gelegt hatte.
Die Schatten wuchsen!
Ich überlegte nochmals alle Chancen, die mir blieben – ob ich nach dem Baum eilen könnte, an dem unsere Waffen hingen, ob ich meine Flucht geradezu in das Dickicht oder das Wasser nehmen sollte? Eins war so schlimm und gefährlich, wie das andere. Im Schlamm des Sumpfes versinken war eine so schreckliche Todesart, als in der Umarmung der Boa zu ersticken.
Die Schatten wuchsen!
Mir war wie dem zum Tode Verurteilten; wäre ich in einer Kirche meines Glaubens gewesen, so hätte ich gebeichtet und mich zum Tode vorbereitet, so vermochte ich nur mit mir selbst über das vergangene Leben zu rechten.
Und immer noch keine Spur der ersehnten Hilfe!
Ich hatte mich jetzt entschlossen, auf alle Gefahr hin den Versuch zu machen, den Baumstamm zu erreichen, an dem die Gewehre hingen. Meine Büchsflinte war auf beiden Läufen geladen, – es war wenigstens Aussicht, daß ich mich verteidigen konnte. Ohne Waffen und Munition mußte ich ohnehin in der Wildnis untergehen, wenn ich mich dort verirrte, selbst im Falle meine Flucht gelang.
Es waren etwa noch zwei Ellen Raum zwischen den Spitzen der Schatten und der Stelle, deren Erreichung ich mir als den unvermeidlichen Zielpunkt der Ausführung meines Entschlusses bestimmt hatte.
Ich begann meine Vorbereitungen zu treffen so vorsichtig als möglich, um die Aufmerksamkeit und den Zorn der Boa nicht zu reizen, die jetzt um denselben Stamm sich geringelt hatte, der während der Nacht dem Indianer zur Zufluchtsstätte gedient hatte. Verschiedene, meist zufällige Versuche während des Tages hatten mich belehrt, daß das Ungetüm, dessen Augen mich kaum einen Moment verließen, sobald ich eine Bewegung nach einer Seite hin machte, stets nach dieser Richtung hin zu schießen pflegte und dort sich um den nächsten Baum wand, um von dieser Stütze aus den Sprung nach mir zu tun.
Indem ich sie also nach der entgegengesetzten Seite jagte, konnte es mir vielleicht gelingen, meine Waffen zu erreichen und mich zur Wehr zu setzen, ehe die Anaconga, die stets den verwesenden Körper des Negers vermied und einen Umweg nahm, nach dieser Seite zurückkehrte.
Einen Moment noch, und der höchste Schatten der Bäume erreichte die Stelle, die ich ihm bestimmt hatte.
Ich richtete ein kurzes Gebet an die heilige Jungfrau und empfahl mich ihrem Schutz. Dann ließ ich meine Füße aus der Hängematte gleiten, stützte mich mit der Rechten auf den Strick derselben und machte mich bereit, mich hinabzuschwingen.
Der Schatten hatte den Punkt erreicht.
Ich machte eine rasche Bewegung nach der entgegengesetzten Seite.
Die Anaconda schoß wie ein Blitz dahin und wickelte ihr Schwanzende zwei, dreimal um den Stamm.
Es war der Moment! ich schlug rasch ein Kreuz, warf mich nach der andern Seite und dann – – –
Cielo! das waren Menschenstimmen!
Ich warf mich zurück, ich klammerte mich an die Hängematte fest, die ich schon halb verlassen – nur mit Mühe konnte ich wieder Halt in ihr gewinnen.
» Hoi ho! Hallo, Capitano!«
Die Stimmen kamen vom Creek her.
Ich schoß den Revolver in die Luft, ich schrie so laut ich konnte.
Das Ungetüm unter mir schien Gefahr zu wittern, die Anaconda rollte hin und her – ihr geöffneter Rachen fletschte nach allen Seiten.
»Hier! hier!«
In das Geröhricht, in die offene Gasse des Creek, der von den wilden Tieren gebildet war, schoß mit kräftigen Ruderschlägen ein Kahn, – zwei Indianer lenkten ihn, einer davon, der alte Uthi, – drei Europäer, die Flinten in der Hand, standen darin; Miguel, mein treuer Diener, darunter.
Der Nachen hielt einige Schritt vom Ufer – ein großer, stattlicher Mann im Jagdhemd übersah mit einem Blick die Situation. »Halten Sie sich ruhig, Sir!« rief er – »das ist unsere Sache! Feuer, ihr Männer, auf die Bestie dort!«
Drei Flinten knallten fast zu gleicher Zeit – die Kugeln, wenigstens die eine oder die andere derselben – mußte getroffen haben. Die Anaconda bäumte sich in die Höhe – ihr Kopf züngelte hin und her, ihr Schweif peitschte den Boden. Dann, ihren Gefährten im Stich lassend, schoß sie in das Gestrüpp, das noch weit hin unter ihrer wilden Flucht sich bog.
Ohne die andere Schlange, die unbehilflich sich hin und her krümmte, und gleichfalls sich fort zu winden suchte, zu fürchten, sprang der Fremde im Jagdhemd ans Land, gefolgt von seinen Gefährten. Er schien mit der Natur der scheußlichen Reptile besser bekannt, denn er näherte sich sofort der männlichen Boa von hinten, setzte ihr den zweiten Lauf seiner Doppelflinte fast auf den Kopf und zerschmetterte ihn mit einem Schuß. Dann sprang er rasch zur Seite, um von den konvulsivischen Schlägen des Riesenleibes nicht getroffen zu werden.
Miguel, mein Bursche, war sofort zu mir geeilt, mit seiner Hilfe verließ ich die Hängematte. Aber ich fühlte mich jetzt so krank und schwach, daß ich mich kaum auf den Füßen erhalten konnte.
Der Fremde trat auf mich zu und nahm meine Hand. »Gott sei Dank, Sir, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind. Aber nun eilen Sie, diesen Ort zu verlassen. Wir wollen mit dem Nachen an einer anderen Stelle landen, wo Sie sich in reiner Luft und entfernt von dieser schrecklichen Umgebung erholen können.«
Ich war außerstande, meinem Retter zu antworten, ich konnte ihm nur die Hand drücken, – wie ich es jetzt tue!«
Der spanische Oberst hatte schon längst während der Erzählung seine Zigarre ausgehen lassen, er warf sie jetzt fort und reichte Kapitän Welmore die Hand, die ihm dieser herzlich schüttelte.
»Dies ist der Mann,« fuhr er fort, »dem ich mein Leben danke und dessen Schuldner ich lebenslang bleiben werde.«
»Sie hätten dasselbe für mich getan,« sagte einfach der Engländer.
»Ich hoffe es zu Gott! – Doch um unseren Freunden hier weiter zu erzählen, wie es gekommen, erlauben Sie mir, lieber Kamerad, noch einige Worte hinzuzufügen. Hurah-nee war in der Tat seine Flucht geglückt. Er hatte sich bald mit dem gewöhnlichen Scharfsinn des Indianers in dem Urwald zurechtgefunden und nach angestrengtem Lauf die Stelle wieder erreicht, von der wir am Nachmittag vorher ausgegangen waren. Zufällig fand er unsere Pirogue noch an dem Platz, der alte Bootsführer hatte uns nicht so zeitig zurückerwartet.
Mit fliegenden Worten berichtete Hurah-nee, was geschehen, natürlich mit allen Übertreibungen, die ihm die Furcht eingegeben, und nach denen ich schon zehnmal von den Boas mit Haut und Haar verspeist sein mußte. Vergeblich verlangte Miguel, daß man sich aufmachen solle, wenigstens meine Überreste zu suchen, der Alte verweigerte jeden Schritt, nachdem er gehört, daß der Platz des Ereignisses der berüchtigte Schlangen-Creek sei, von dem die Einbildung der Eingeborenen die fabelhaftesten Dinge erzählte und dem sie wissentlich um keinen Preis zu nahe gekommen wären.
Bei der gänzlichen Unkenntnis der Eigentümlichkeiten des Urwaldes vermochte der arme Bursche nicht allein mir zu Hilfe zu kommen, obschon er den besten Willen dazu hatte.
So mußte er sich denn in den Beschluß des alten Bootsmanns fügen, nach der letzten Niederlassung zurückzukehren, um von dort vielleicht Beistand zu holen.
Aber die Pirogue hatte noch keine halbe Stunde auf dem Rückwege zurückgelegt, als ihnen ein anderes Fahrzeug begegnete, das Europäer trug.
Es war Kapitän Welmore, der damals im britischen Guinea in Garnison stand, und gleich mir in Begleitung eines Dieners auf einem Jagdausflug am Orinoco begriffen war. Er wollte oder sollte dabei bis Bolivia hinaufgehen und traf zufällig mit meinen Flüchtlingen zusammen.
Als Miguel jetzt Europäer vor sich sah, rief er sie an und teilte seine Not und die Lage der Dinge mit. Sofort beschloß der brave Kapitän, meine Spur aufzusuchen und nötigte durch Drohungen meine Bootsleute, wieder mit ihm umzukehren. Zum Glück hatte die Pirogue des Kapitäns ein leichteres Kanoe bei sich, dessen man sich bedienen konnte, um in den Creek einzufahren, statt den weiten Weg durch den Urwald zurückzulegen. Man war erst in einen falschen Arm des Creeks gekommen, ehe man die wirkliche Richtung fand. So war es ihnen gelungen, noch im letzten Augenblick zu meiner Rettung herbeizukommen.
Dies alles erfuhr ich, während wir auf der anderen Seite des Creeks an einer kleinen Quelle im Urwald lagerten, indes bei einem behaglichen Feuer das Wild briet, das der Begleiter des Kapitäns erlegt hatte. Nichts erinnerte mich mehr an die so furchtbar verlebten Stunden, als der Körper der Anaconda, den unsere Indianer nicht versäumt hatten, hinter der Pirogue herzuschleifen, und den sie setzt an dem hohen Ast eines Baumes ausgehängt hatten, um die feinschuppige Haut abzustreifen.
Damals schlossen wir, der Brite und der Spanier, die beiden Nationen, die schon so oft »Schulter an Schulter« gefochten, Freundschaft, die hoffentlich für das Leben dauern wird.
Am andern Morgen, als ich neugestärkt und frisch erwachte, kehrten wir nach der Mündung des Creeks zu unserer Pirogue zurück. Der Kapitän fuhr nach Westen gegen Bolivia, ich kehrte zurück nach Tortola und gleich darauf nach der Havanna. Ich hatte vollständig genug von den Tropen! Ein Jahr darauf ging mein Regiment nach Spanien zurück. Dies, Señores, ist die Geschichte von meiner Jagd am Orinoco!«
»Erlauben Sie mir, noch hinzuzufügen,« sagte der Engländer, »daß ich bei meiner Rückkehr nach Georgetown in meiner Wohnung die Haut der Anaconda mit einem silbernen, mit Edelsteinen statt der Augen und Zähne besetzten Kopf vor meinem Lager fand. Sie hat noch in meiner Wohnung zu Malta den Ehrenplatz unter so manchen alten und lieben Erinnerungen.«
Nochmals reichten sich die beiden Freunde die Hand.
Das interessante Abenteuer hatte die Teilnehmer aller Mitglieder der Jagdgesellschaft gefesselt, selbst Don Juan war näher getreten und hatte mit großem Interesse zugehört. Jetzt wurde der Hergang lebhaft besprochen und der Graf von Lerida warf manche Bemerkungen über die Natur der Tropen ein.
»Wie, Señor Compatriote,« sagte der Graf erstaunt, »es scheint, daß Sie auch die Tropen besucht haben?«
»Ich habe sie an zwei Stellen gesehen,« erwiderte gleichgültig der Abenteurer, »und zwar in Südamerika, als ich die Antillen besuchte, und auf der Rückkehr von Ostindien in Sumatra.«
»Der Señor Conde ist ein Seemann,« bemerkte der Hauswirt, »wie alle Escalduni, die an der Küste geboren werden. Ich habe alte befahrene Männer ihm das Zeugnis eines tüchtigen, entschlossenen und umsichtigen Seemanns geben hören.«
Der Oberst verbeugte sich. »Das ist etwas anderes,« sagte er verbindlich, »es ist sonst etwas Seltenes, die Liebe zum edlen Waidwerk mit der zum Salzwasser verbunden zu sehen. Das gibt drei Elemente, aus der Sie Ihre Beute holen können, Señor Conde, die Luft, die Erde und das Wasser.«
»Fügen Sie das Feuer hinzu,« sagte ein anderer der Gäste, »so haben Sie gleich alle vier und das Rechte getroffen. Don Juan de Lerida steht in dem Ruf, das Feuer schöner Augen zu suchen, um dort gleichfalls Jagdbeute zu machen!«
Alle lachten, selbst der Graf. » Caramba, Señor – woher wissen Sie das so genau?«
»Eine sehr heilige Person hat es mir noch gestern geklagt.«
»Und welche, wenn ich bitten darf?«
» Ay! ich brauche ihren Namen nicht zu verschweigen. Se. Gnaden der Herr Bischof von Tarragona.«
Der junge Abenteurer blies eine Rauchwolke in die Abendluft. Er wußte jetzt, daß der Prälat seinen Brief erhalten, der jenem das Scheitern seines Unternehmens gemeldet hatte. » Quien sabe!« meinte er trocken. »Ich habe nicht geglaubt, daß ich Seiner Gnaden je schon ins Geheg gekommen wäre.«
Diesmal hatte er die Lacher auf seiner Seite bis auf einige der älteren Basken, die mit fanatischer Verehrung an den geistlichen Würdenträgern hängen. Pater Antonio rieb sich vergnügt die Hände, als er trotzdem salbungsvoll sein: » Pu Sennor Conde!« ertönen ließ.
»Schöne Augen,« sagte der Prinz, »sind für einen Jäger oft sehr gefährlich und verlockend. Ich habe es selbst an mir erfahren und das Abenteuer hatte einige Ähnlichkeit mit dem Ihren, Señor Coronel, nur daß die Schlangen, von denen ich auf meiner einsamen Warte bewacht wurde, die wilden Söhne vom Pindus mit ihren langen Flinten waren.«
»Albanesen?«
»So ist ihr allgemeiner Name, doch hält jede Völkerschaft, vielmehr jeder Bezirk, stark auf seinen besonderen. Was mir passierte, geschah in den acroceraunischen Gefilden des Acheron und Phlegeton, und es hätte nicht viel gefehlt, daß ich selbst zu den Unterirdischen hinabgestiegen wäre.«
»Altezza dürfen sich der allgemeinen Pflicht nicht entziehen, ein Abenteuer zum besten zu geben,« sagte verbindlich der spanische Offizier. »Wie wäre es, wenn Sie sich entschlössen, uns die Geschichte vom Acheron mitzuteilen?«
» Por mi causa! es ist eine so gut wie die andere,« sagte der Prinz, »obschon mich diese da unverdient in schlimmen Ruf gebracht hat. So hören Sie denn, Caballeros. Wir wollen mein Abenteuer nennen:
Der Prinz rückte behaglich seine breite Figur auf dem Steinsitz, den er eingenommen, und begann:
»Ich war in meiner Jugend ein etwas wilder Bursche und habe von meiner Familie vielleicht noch das meiste korsische Blut in den Adern. Jedenfalls liebte ich stets die Unabhängigkeit und kannte wenig Furcht, weder vor göttlichen noch menschlichen Gesetzen. Sie sehen, daß ich mich nicht besser mache als ich bin, oder vielmehr war; denn das Alter hat mich doch etwas zahm gemacht und mir andere Ansichten gebracht.
Es war in den ersten Monaten des Jahres 1838. Da ich 1815 geboren bin, war ich damals 23 Jahr, und wie gesagt, ein etwas wildes Blut. Mein Vater Lucian, der einzige der Brüder, der bekanntlich den Mut hatte, die ihm gebotene Krone von Spanien und Italien auszuschlagen und sich mit der Ehre zu begnügen, am 18. Brumaire als Präsident des Rates der Fünfhundert seinen Bruder gerettet zu haben, – hatte in meiner Jugend wenig Zeit, sich um mich zu bekümmern. Die Bonapartes waren damals das gehetzte Wild, Italien, England, Amerika, die Schweiz abwechselnd ihre Zufluchtsstätten. Auch der Fürst von Canino spielte den ewigen Juden. Meine Mutter, die schöne Laurence de Bleschamp, war zu gut, um mir ernste Schranken zu setzen, und so mußte die Welt die Erzieherin meines stürmischen, unruhigen Charakters werden. Vielleicht wissen Sie, daß man mir schuld gab, mich schon 1831 bei dem Aufstand in der Romagna beteiligt zu haben, bei dem Vetter Louis seine ersten sehr zweifelhaften Lorbeeren pflückte und seinen Bruder bei Rimini im Stich ließ. Genug, ich, der sechzehnjährige Knabe mußte für den armen Bonaparte büßen und wurde sechs Monate in Livorno gefangen gehalten, ehe man mich losließ und nach Amerika verbannte. Dort sah ich meinen Oheim Joseph und half als achtzehnjähriger Kavalleriemajor im Dienst der Republik Neu-Granada General Florest und die Truppen von Escuador schlagen. Sie sehen, Señor Coronel, daß auch ich meine tropischen Studien gemacht habe. Aber die Hetzhunde der europäischen Diplomatie ließen mir auch dort keine Ruhe, und ich kehrte im Jahre 34 nach Italien zurück, wo ich mit meinem jüngeren Bruder Antoine auf den Gütern von Canino lebte.«
»Eine schlimme Zeit, Altezza,« sprach der alte Baske. »Ich hörte mehr als einmal von Ihnen sprechen im Lager des Infanten Don Carlos.«
»Ich weiß, was du meinst, Ramiro, und leugne es nicht. Es war allerdings eine tolle Zeit. In den wilden Einöden der Apenninen an der toskanischen Grenze nur mit Banditen, Schmugglern und Wilddieben als Nachbar und Umgang wird man gerade nicht zahmer. Aber das Mißtrauen und die Chikanen der Österreicher hätten auch eine mildere Natur wild machen können. Man beschuldigte uns, ein revolutionäres Freikorps errichten zu wollen und unter dem Vorwand, daß ich den Banditen Saltamachione, den gefährlichsten Schurken in ganz Italien und Protegé des päpstlichen Stuhls, über den Haufen geschossen habe, ließ man mich wie einen Verbrecher durch päpstliche Sbirren im Kaffeehaus während des Frühstücks überfallen. Genug – wer kann es mir verdenken, daß ich mich nicht geduldig fangen ließ wie ein Lamm, sondern den Sbirrenoffizier über den Haufen stieß und noch einen zweiten Häscher hors de combat setzte, ehe man mich überwältigen konnte. Trug ich doch selbst eine starke Wunde davon. Man schleppte mich nach Rom in den Kerker und machte mir den Prozeß. Am 26. September 1836, also 21 Jahr alt, wurde ich zum Tode verurteilt. Aber Seine Heiligkeit Papst Gregor XVI., der mich durch seine Sbirren fangen ließ, begnadigte mich zum Exil, und ein zweites Mal zog ich über den atlantischen Ozean nach dem freien Amerika.
Es würde zu weit führen, Ihnen zu erzählen, warum ich es wieder verließ. Genug – ich kehrte nach Europa zurück und damals war es, im Januar 1838, wo ich mich in Corfu aufhielt.«
Der Prinz machte eine kleine Pause in seiner Erzählung, dann fuhr er fort:
»Sie werden sich erinnern, daß mein älterer Bruder Paul Marie an dem Befreiungskampf der Hellenen teilnahm und auf der von ihm kommandierten Fregatte Hellas, als Lord Cochrane im Hafen von Nauplia zwei türkische Schiffe angriff, durch einen unglücklichen Zufall, indem sein eigenes Pistol sich gegen ihn entlud, fiel. An der Küste von Navarino liegt er begraben, französische Soldaten gruben sein Grab und setzten ihm den Stein.
Dieses Grab wollte ich mit besuchen, als ich eines Tages auf der Esplanade mit einigen Offizieren der Garnison plaudernd meine Absicht kund gab, am andern Morgen über die Meerenge zu setzen und einen Jagdausflug in den Epirus zu unternehmen.
Daß alle Welt mich sofort vor dem Wagestück warnte, ließ mich natürlich desto mehr auf meinem Entschluß bestehen. Man schilderte mir den Charakter der wilden, räuberischen, von keinem Gesetz gebändigten Bewohner des weißen Landes mit den schlimmsten Farben und malte mir die Gefahren aus, denen ich mich aussetzte. Noch wenige Tage vorher war Master Barclay, einer der Offiziere des 11. Regiments, das damals in Corfu garnisonierte, bei einem ähnlichen Jagdausflug von mehreren albanesischen Räubern überfallen und gefangen genommen worden und sie hatten ihn in die Berge geschleppt, um ein bedeutendes Lösegeld zu erpressen, worüber noch unterhandelt wurde. Ich blieb fest und sagte ihnen Lebewohl mit dem Versprechen, die Entführung ihres Kameraden, wenn sich die Gelegenheit bieten sollte, den Räubern heimzuzahlen.
Daß mich außer der Lust, das seltsame verrufene Land zu durchstreifen und in seinen Schluchten und an den Ufern seiner Seen meiner Jagdlust zu fröhnen, auch noch ein anderer Grund antrieb, fand ich nicht für nötig, zu verraten.
Dennoch war dies der Fall.
Es herrschte damals im ganzen wenig Verkehr zwischen den ionischen Inseln und der gegenüberliegenden Küste des Festlandes, der türkischen Provinz Albanien. Wenn ich es eine türkische Provinz nenne, so meine ich eben nur den geographischen Namen. In Wahrheit war gerade damals die türkische Herrschaft so gut wie Null. Seit der Ermordung des Löwen von Janina, des berühmten Ali Tebelin, die Alexander Dumas im Monte Christo so interessant erzählt im Jahre 1822, – seit dem kaum 8 Jahre vor meiner Ankunft beendeten Freiheitskampf und der schändlichen Ermordung der Arnautenchefs durch den Großvezier Mehemed-Reschid auf dem Bankett zu Monastir und den daraus hervorgegangenen Kämpfen, war es der Pforte noch nicht gelungen, das Land zu beruhigen und ihre Herrschaft weiter zu sichern, als durch die Besatzung einiger elenden Küstenforts. Von Skadar herunter bis Arta hält im Innern des Landes jeder Beg Das Oberhaupt des Phis oder Stammes; die Begs bilden gleichsam den Adel des Landes. sich für unabhängig genug, der Herrschaft in Konstantinopel zu trotzen.
Viele von Ihnen, Señores, werden das kühne, stolze Volk der Albanesen aus eigener Anschauung kennen. Nur der Krieg, der Raub und die Jagd dünkt den meisten ihrer Phis oder Stämme die einzig würdige Beschäftigung des Mannes.
Nicht besser sind sie in der Heimat. Der Stamm- und Familienzwist, der Ehrgeiz und die Eifersucht macht alle heldenmütigen Taten für ihre Freiheit nutzlos und zersplittert ihre Macht. Der schlaue, zähe Türke trägt zuletzt den Sieg davon über den stolzen Palikaren.
Sie haben bereits gehört, daß noch ein geheimer Grund wich veranlaßte, den beabsichtigten Jagdausflug nicht aufzugeben.
Einige Tage vorher stand ich auf den Felsenwällen der prächtigen Zitadelle von Corfu, die rechts einen weiten Blick in die reichbewaldeten Täler des alten Corcyra bis zu der Quelle der Cressida bietet, wo die schöne Nymphe Nausikaa den Ulysses zu fesseln suchte – links nach der felsigen Küste des Epirus. Ich hatte mich eben nach dieser Seite gewendet, als ich einige Schritte von mir entfernt einen jungen Mann gleich mir erblickte, der auf der Mauer saß und sehnsüchtig hinüberblickte nach dem weißen Lande.
Ein tiefes Stöhnen, das aus seiner Brust herauf über die schmalen Lippen drang, ließ mich erkennen, mit welchen Gefühlen er nach den Bergen seiner Heimat hinsah, denn wie seine Kleidung mir zeigte, war er ein Albanese. Er trug den Phistan, Die um die Hüfte getragene bis über das Knie reichende, einem faltigen Weiberrock ähnliche Fustanelle. die roten, bis zum Knie reichenden Gamaschen und den Abas, den Mantel von Ziegenhaaren. Dagegen hatte er die in seiner Heimat notwendigerweise zu seiner Tracht gehörenden Waffen abgelegt. Ein strenges Verbot des Generalgouverneurs untersagte dem Fremden das Tragen derselben.
Es war ein hübscher Bursche mit den charakteristischen Zügen der Arnauten von reinem Blut, der hohen schlanken Gestalt mit der breiten Brust, dem langen, freien Hals und dem schmalen Gesicht, dessen leicht gebräunte Farbe nur der lange, pechschwarze Schnurrbart zu beiden Seiten des Mundes, und das kleine, aber feurige schwarze Auge unterbrachen.
Ich wußte sofort, daß er ein albanesischer Flüchtling war, der aus irgendeiner Ursache die Heimat verlassen hatte und über den Kanal gekommen war, um hier Schutz zu finden. Er konnte etwa in meinem Alter sein.
Ich empfand sofort ein gewisses Interesse an ihm und beschloß, ihn anzureden. Der junge Arnaut sprach Italienisch, und so konnte ich mich leicht mit ihm unterhalten.
Ich erfuhr, daß er, ähnlich dem sanften Heiligen, von dessen Wundertaten und Tod noch heute der Pliack Der Hausherr. an seinem Herde zur Laute singt, Damas hieß und auf der Insel war, um sich für ein englisches Regiment anwerben zu lassen, oder Gelegenheit zu suchen, nach Kairo zu gelangen.
Das alles erklärte mir aber seine tiefe Traurigkeit nicht.
Ich sagte ihm im Laufe des Gesprächs, daß ich beabsichtige, in den nächsten Tagen nach dem Epirus zu gehen.
Sofort überflog eine helle Röte sein Gesicht. »Ich wünschte, Signor,« sagte er, »ich könnte Sie begleiten! Sie sind glücklich, daß Sie den Adler schießen und die weißen Berge betreten werden.«
Und warum gehst du nicht selbst, wenn du solche Sehnsucht nach dem Lande da drüben hast?
»Ich darf es nicht betreten. Ich habe Unglück gehabt in der Tscheta und so lange die krveno volo Die Versammlung, welche über die Fehden der Stämme richtet. nicht gesessen, bin ich vogelfrei. Mein Stamm hat nicht die Macht mehr, mich zu schützen und ich bin zu arm, die krvina Das Blutgeld. zu zahlen. Ich kann mein Wort nicht halten und niemals Narida sehen!«
»Wer ist Narida?«
»Meine Geliebte, Franke, die Rose der weißen Berge,« sagte der junge Albanese stolz. »Aber ihr Vater ist der Beg der Balsichiden, der meine war Wasil Foscati, der letzte Buluk-Baschi der Sulioten, die Ali von Janina vor zwanzig Jahren von dem Ufer des Yrac in die Berge der Tosken versetzte. Es herrschte die Tscheta Blutfehde. zwischen unsern Familien, und ich habe das Unglück gehabt, Arslan, den letzten Bruder meiner Geliebten, zu töten.«
Siehe da – da hatte ich ein ganzes Stück Romantik vor mir – Romeo und Julia und den erschlagenen Tybald.
Nur daß es sich hier nicht um den zahmen Kampf der Montecchi und Capuletti handelte, sondern um Blutrache, gegen die unsere korsische noch ein Kinderspiel ist.
Ein näheres Gespräch ergab folgendes. Der junge Mann stammte aus einer der Philatis, der hellenischen Gemeinden von Epirus, sein Großvater war damals, als Ali von Janina die Sulioten vernichtete, nach Acroceraunien verbannt worden und hatte dort seine Kula Ein befestigter Turm, der Wohnsitz des Stammhauptes, gleichsam die Ritterburg des Abendlandes. im Chimära Gebirge in der Nähe eines der eingebornen Phis erbaut, dessen Haupt sein früherer Waffenbruder gewesen war. Ich weiß nicht mehr, durch welchen Umstand bald nachher Feindschaft zwischen ihnen entstanden war, eine jener Tschetas, die Albanien mehr verwüstet haben, als der Säbel der Türken, die trügerischen Versprechungen der Russen und die Habgier Österreichs. Sie müssen wissen, daß diese Tschetas, unter den verschiedenen Völkerschaften Albaniens, den Marditen, Ghegen, Ljapen und Schapuren, mit einer Erbitterung ausgefochten werden, die, wie ich schon erwähnt, selbst über die Blutrache der Korsen und die Kämpfe der Indianer geht. Die kämpfenden Phare rauben einander die Herden, zerstören ihre Häuser, entwurzeln ihre Fruchtbäume – nur die Kirchen und die Weiber werden verschont. Inmitten der wütendsten Tschetas bleibt das Weib geheiligt, das oft genug selbst am Kampfe und an der Rache Anteil nimmt, und kann unangefochten von einem Ort zum andern gehen.
Fällt der Feind lebendig in ihre Hände, so wird er – wenn eben die Tscheta nicht sein Blut fordert – zum Sklaven gemacht. Dem Toten schneidet der Sieger den Kopf ab, falzt ihn ein und pflanzt ihn in seinem Dorfe auf einem Spieße auf. Dieser Brauch wird nicht nur von den muselmännischen und griechischen, sondern selbst von den katholischen und lateinischen Buren Krieger. geübt.
Wenn zwei Albanesen von verschiedenen Clans einander begegnen, so fragen sie einander: » Kum phis?«, das heißt: welches Stammes? indem sie die Hand an dem in einer Spitze auslaufenden, reich mit Silber beschlagenen Griff ihrer Pistole haben, denn jeder argwohnt, der andere könne einem Stamm angehören, dem der seine einen Kopf schuldig ist. Der nächste Verwandte des Ermordeten hat die Verpflichtung, denselben zu rächen, ja, wenn einer von zwei Brüdern seinen Vater ermordet, so muß der andere seinen leiblichen Bruder dem väterlichen Schatten opfern. Tut er es nicht, so vererbt sich die Verpflichtung zur Rache auf seinen Sohn und so fort bis auf den letzten Sprößling des Stammes. Auf dem Totenbett noch zählt der Pliak, der Greis, die Köpfe zusammen, die seinem Phis fehlen, und macht es seinen Söhnen zur heiligen Pflicht, dieselben zu rächen.
Genug, zwischen den beiden Paaren, dem Sulioten Foscatis und dem Schamuren Adre-Beg herrschte eine solche Tscheta, die schon manches Leben gekostet hatte. Aber die Liebe geht wie ein versöhnender Engel selbst durch den blutigen Streit und frägt nicht nach Freund und Feind. Damas, der Foscati, liebte die schöne Narida, die Tochter des Balsichiden und sie hatte ihm gelobt, ihre Familie zu verlassen und ihm zu folgen, wenn er sie rufen würde, um ihn in fremde Lande zu begleiten, denn Damas war seines Gewerbes nach einer der berühmten Wasserkünstler Albaniens, die schon vor 2000 Jahren die merkwürdigen oft 20 französische Meilen langen Wasserleitungen erbauten, welche die Städte des Orients und selbst des europäischen Südens mit dem notwendigen Element versehen. Ein alter Argyriner, der bei seinem Vater Schutz und Unterkommen gefunden, hatte ihn die merkwürdige Kunst gelehrt. Sein Unterhalt war daher auch in der Fremde gesichert.
Der Kampf zwischen den beiden Familien hatte einige Zeit geruht, da ein Teil ihrer jungen Leute mit ihren Bannern, der eine nach Konstantinopel, der andere nach Kairo, Ibrahim zu Hilfe gezogen war, als unglücklicherweise, etwa zwei Monate vor meiner Ankunft in Korfu Damas mit dem Bruder seiner Geliebten, dem jungen Arslan zusammengetroffen war, den der alte Beg in seiner Heimat behalten, weil er der einzige ihm noch von Krankheit und Schlachtfeldern gelassene Sohn war. Der junge Arslan war sehr heißen Blutes, und da er eine Ahnung von dem Verhältnis der beiden Liebenden haben mochte, überfiel er den ruhigeren, wenn auch nicht weniger entschlossenen Damas erst mit Worten, dann mit den Waffen und zwang ihn zum Kampf. Damas hatte das Unglück, seinen Gegner, den Bruder seiner Geliebten, durch einen Schuß seines Djeferdane Der Karabiner der Albanesen. zu töten und entwich an die Küste und von dort nach Korfu, da sein Phis zu geschwächt war, um ihn zu schützen.
Das war die Geschichte des jungen Paars. Ich fragte den Suterrazzi, ob er seitdem keine Nachricht von seiner Geliebten erhalten habe und ob er glaube, daß sie trotz der Bluttat noch immer an ihm hänge, und er meinte dies mit Bestimmtheit bejahen zu können, da sie ihm geschworen, ihm aus dem väterlichen Hause zu folgen, wenn er sie rufen würde. Eine Gelegenheit, in Verbindung mit ihr zu treten, hatte er freilich noch nicht gefunden.
Ich hatte Gefallen an dem jungen Albanesen gefunden und traf am Abend wieder mit ihm zusammen.
Damas gab mir eine Menge Ratschläge für mein Unternehmen und riet mir, mich an Adre-Beg zu wenden, da dieser der mächtigste und einflußreichste Häuptling gerade in der Gegend war, die ich besuchen wollte, um den Adler und den Wolf zu schießen. Der Beg war selbst in seiner Jugend ein berühmter Jäger gewesen, liebte noch die Jagd, und als sein Gast hatte ich nichts auf meinen Ausflügen zu befürchten. Zugleich konnte ich hier am besten für die Befreiung des englischen Offiziers wirken, wenn diese noch nicht erfolgt sei, denn dieser war sicher von kimoriotischen Räubern entführt worden, und Adre-Beg hatte bedeutenden Einfluß auf diese. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich denn auch, daß die türkischen Khawassen der Küste, die Sicherheits- und Steuerbeamten, sehr häufig mit diesen Räuberhorden unter einer Decke spielen, indem sie ihnen die Gelegenheit zu einem Streich nachweisen und dann die Beute mit ihnen teilen. Im Laufe des Gesprächs, während wir eine Bottiglia griechischen Weines tranken, machte ich dem Foscati den Vorschlag, mich zu begleiten und ich versprach, ihm bei seiner Entführung der Geliebten zu helfen.
Der Gedanke, den ich anfangs nur flüchtig hingeworfen, elektrisierte ihn. Er wurde hin und her überlegt, und kurz und gut, wir beschlossen, daß er mich, gehörig entstellt und verkleidet, als Diener begleiten sollte. Damas sollte die Rolle eines Corfuaners spielen, der der schipetarischen und griechischen Sprache mächtig sei und den ich daher als Dolmetscher und Begleiter engagiert hätte. Ein falscher Bart nach dem Abschneiden des seinen und europäische Kleidung mußten ihn leicht unkenntlich machen. Mein wirklicher Diener sollte zwar gleichfalls mit, aber in Sajadu bei der von mir gemieteten Tartane bleiben und meine Befehle erwarten, da es leicht möglich war, daß wir nicht über den belebten Hafenort zurückkehren konnten, sondern uns an einem anderen Punkt der Küste einschiffen müßten, wenn es Damas gelang, seiner! Zweck zu erreichen.
Ich verschaffte mir von dem britischen Gouverneur einen Schutzbrief an den Ajan, den türkischen Gouverneur von Sajadu, der mir um so williger erteilt wurde, als ich mich erbot, die Verhandlungen wegen Befreiung des Kapitän Barclay persönlich zu betreiben, und am Morgen nach jenem Abschied von den Offizieren machten wir drei uns wirklich auf den Weg. Ich hatte erst beabsichtigt, nicht in dem offenen Hafen, sondern einer der zum Ausladen der Schaluppen bestimmten kleinen Buchten zu landen, zu denen die Ljapis die wenigen Produkte ihres Landes bringen, um sie gegen die aus Kalabrien herüberkommenden Waffen, groben Tücher und Mäntel zu vertauschen, aber einige Flintenschüsse, mit denen wir von den türkischen Steuerbeamten begrüßt wurden, veranlaßten mich, in Sajuda selbst einzulaufen. Ich zeigte meinen Schutzbrief vor und erhielt die Erlaubnis, auf meine Gefahr ins Innere des Landes zu gehen. Ich mietete sofort durch Damas drei Pferde und machte mich mit meinem Jagdgepäck auf den Weg, angeblich, um mich in die Gegend von Janina zu begeben. Doch jenseits des Ortes änderte ich sofort die Richtung nach Norden. Als Begleiter der Pferde hatten wir einen türkischen Burschen mitgenommen, und da für die Tiere hinreichende Sicherheit geleistet war und ihm ein gutes Bakschis versprochen wurde, schien ihm die Richtung, die er einschlug, sehr gleichgültig; später überzeugte ich mich allerdings, daß dies nicht der Fall sei.
Wir ritten demnach in die Einöden des Kondowunigebirges, an zahlreichen der alten verfallenen oder gesprengten Kulas vorüber und obschon in den Djetas die Einwohner uns trotzig und drohend genug anschauten, kamen wir doch ungehindert vorwärts.
Dem Suterrazzi war jeder Fuß breit Landes in dieser Gegend wohl bekannt, obschon er sich natürlich hütete, es merken zu lassen. Wir nahten uns jetzt dem Teil, wo seine väterliche Kula stand und auf dem nächsten Felsengipfel die seiner Feinde, aber die Nacht war bereits herangekommen und wir mußten in einem einsamen Hane Halt machen. Wir hatten beschlossen, am andern Tage erst gegen Mittag aufzubrechen, um nicht vor Abend an dem Ziel unserer Reise anzukommen, denn Damasos wünschte eine genaue Prüfung zu vermeiden, ehe er sich mit dem Mädchen verständigt hatte. Ich nahm also, als ich früh am Morgen auf meinem Lager von Schaffellen erwachte, meine Flinte und ging in die Berge um vielleicht ein Wild zu unserem Morgenmahl zu schießen.
Ich mochte etwa eine Stunde herumgewandert sein, hatte auch bereits ein Paar der roten Rebhühner erlegt, als ich über mir den Schrei eines Adlers hörte. Der mächtige Vogel mußte durch irgend etwas von seinem Felsenhorst aufgescheucht sein, und kreiste in weiten Ringen über der Stelle durch die blaue Luft. Obschon die Entfernung sehr weit war, konnte ich mich nicht enthalten, einen Schuß nach ihm zu tun.
Fast in demselben Augenblick oder wenigstens unmittelbar nachher, knallte in geringer Entfernung ein zweiter Schuß.
Der Adler taumelte in der Luft, er versuchte vergeblich, sich auf seinen Schwingen zu halten, und flatterte endlich schwerfällig zu Boden, aber nicht, wie ich erwartet hatte, in meiner Nähe, sondern in einiger Entfernung auf die andere Seite eines Felsenvorsprungs, der mir seinen Anblick verbarg.
Überzeugt, daß meine Kugel den stolzen Vogel erlegt habe, eilte ich mich meiner Beute zu versichern und die Stelle zu erreichen, wohin er gefallen sein mußte. Als ich dazu um einen vorspringenden Felsblock bog, sah ich auch den Adler am Boden liegen, im Todeskampf mit seinen mächtigen Flügeln die Erde schlagend. Aber neben ihm stand bereits ein anderer Schütze, ein alter Arnaut von hohem Wuchs und einem achtunggebietenden Aussehen, die Arnaüka in der Hand, die lange wohl 12 Pfund schwere albanesische Flinte, deren Lauf mittels 30 Ringen aufgeschäftet ist. Er war eben beschäftigt, sie wieder zu laden und achtete weder des Vogels noch meiner Annäherung. Dieser Umstand schien mir ein Beweis, daß er selbst nicht glaubte, mit seinem plumpen ungeschickten Gewehr den guten Schuß getan zu haben, und um so mehr war ich geneigt, auf meinem Anrecht zu bestehen.
Ich näherte mich also dem alten Jäger mit selbstbewußter Miene und sagte den türkischen Gruß: Salem aleikum!
Der Alte hatte eben die Kugel in den Lauf gestoßen, sah mich ohne Verwunderung an und sagte dann in der Lingua franca: »Du irrst dich, Franke, ich bin ein Christ.«
»Destoweniger,« bemerkte ich, »wirst du einem Glaubensgenossen sein erlegtes Wild mißgönnen. Meinetwegen magst du übrigens den Adler behalten, ich wünsche ihm nur einige Schwungfedern als Zeichen meines Schusses auszuziehen.«
»Die Federn sind das Zeichen des Schützen,« sagte der Alte stolz. »Niemand anders darf sie berühren.«
» Cospetto, dann gehören sie mir.« Ich beugte mich nieder, um die Jagdtrophäe aus dem Flügel des jetzt verendeten Vogels zu ziehen, aber der Albanese setzte den Fuß auf denselben.
»Nicht so rasch, Franke,« sagte er. »Die Söhne der weißen Berge sind nicht gewohnt, auf ihrem eignen Boden sich von den Fremden berauben zu lassen.«
Ich sah ihn erstaunt an, – zum erstenmal kam mir ein gelinder Zweifel, ob ich auch wirklich den Adler geschossen hätte. »Aber zum Henker, Mann,« sagte ich hitzig, »glaubst du denn wirklich, mit deinem plumpen Dinge da einen solchen Schuß getan zu haben?«
Der Schipetare hob den Vogel in die Höhe und schlug einige Rückenfedern zurück. Ich sah, daß die Kugel den ganzen Körper des Adlers durchbohrt hatte, und am Rücken wieder hinausgegangen war. Ein spöttischer Blick, den der Alte dabei auf meine Flinte warf, vermehrte meinen Ärger.
»Glaubt der junge Franke wirklich,« sagte er, »daß sein Djeferdane Eigentlich: das Patengeschenk. So heißt der beliebte Karabiner der Albanesen. den Adler in solcher Höhe treffen konnte?«
»Ich denke doch,« erwiderte ich, »daß meine französische Flinte weiter trägt, als deine plumpe Muskete!«
»Laß uns sehen!«
Er sah sich einen Augenblick um. Auf einer beinahe 300 Schritte von uns entfernten Felsenfläche weidete eines der schwarzen Schafe, von den Herden der Gebirgsbewohner. Nicht weit davon bei den anderen Tieren saß der Hirt, ein stumpfsinniger Ljape und blies auf dem Lituus, der selbstverfertigten hölzernen Flöte.
Der alte Arnaut hob sein Gewehr, zielte einen Augenblick und schoß. Das schwarze Schaf stürzte unter schmerzlichem Geblök zusammen und fiel von dem Felsen, der Hirt aber erhob ein großes Geschrei.
Ich trat beschämt von dem Adler zurück, ich wußte zu gut, daß meine Flinte kaum die Hälfte dieser Strecke mit Sicherheit getragen hätte.
»Du bist kein Ingles, Franke?« fragte der Albanese, offenbar um mir das Zugeständnis meines Irrtums zu ersparen.
»Warum glaubst du das?«
»Die Inglesi verschwenden ihr Pulver nicht. Du scheinst auch keiner der Weißröcke zu sein. Was willst du hier?«
»Ich bin ein Franzose, der sich zufällig auf Corfu aufhält, und hier herüber gekommen, um einige Tage in den Bergen und an den Seen zu jagen.«
Das ernste, fast finstere Gesicht des Schipetaren erheiterte sich sichtbar. »Wenn du ein Franzose bist,« sagte er zu meiner Verwunderung in französischer Sprache, »so sei willkommen in dem Lande der Schipetaren. Ich liebe die Française. Und dein Gesicht kommt mir bekannt vor, als hätte ich es schon gesehen.«
Ich erinnerte mich, daß man mir oft gesagt, ich habe einige Ähnlichkeit nicht bloß mit meinem Vater, sondern auch mit meinem Oheim. »Warst du je in Frankreich oder in Italien?«
»Niemals!«
»Dann ist es nicht möglich.«
»Und dennoch muß es sein. Ich weiß, daß ich dein Gesicht gesehen habe vor vielen vielen Jahren, als ich noch jung war. Wie ist dein Name, Franke?«
»Pierre Bonaparte!«
Der alte Schipetare ließ sein Gewehr auf den Boden fallen. »Bonaparte? Du bist der große Sultan der Franzosen, dem ich den Brief brachte in Iskendria mit meines Vaters Tartane von Kephalonia her?«
Ich mußte unwillkürlich lachen, daß der Albanese einen Zeitraum von fast 39 Jahren so leicht übersprang, denn ich erinnerte mich allerdings von meinem Vater Lucian gehört zu haben, daß er im Jahre 1799 seinem Bruder Napoleon von Kephalonia aus durch einen griechischen oder albanesischen Seeräuber jene Nachricht durch die englische Blockade-Eskadre nach Alessandria schmuggeln ließ, die diesen veranlaßte, die ägyptische Armee zu verlassen und heimlich sich nach Frankreich einzuschiffen.
»Du übersiehst die Zeit, mein Alter,« sagte ich freundlich. »Es sind seitdem 39 Jahre vergangen, und der, dem du die Depesche durch die Engländer hindurch zutrugst, war mein Oheim, der spätere Kaiser der Franzosen Napoleon Bonaparte! Du mußt also noch jünger gewesen sein, als ich es bin.«
Der alte Schipetare öffnete die Jacke auf seiner Brust und zog ein auf derselben an einer Haarschnur hängendes Ledersäckchen hervor, das er sorgfältig öffnete. Es enthielt eine alte goldene Uhr mit einer gleichen Kette. Ich nahm sie in die Hand – auf der Rückseite standen in der Tat die beiden Buchstaben eingraviert N. B.
»Er schenkte sie mir,« sagte der alte Mann stolz, »und fünfzig goldne Mamudiehs hinzu. Ich habe sie stets auf meiner Brust getragen, in mehr als hundert blutigen Gefechten. Die heilige Marianne sei gesegnet, daß sie mir vor meinem Ende noch nach vielem Leid das Glück gewährt, das Blut des großen Sultans der Franken, der auch unser Land von den Venetianern und den Weißröcken befreit hat, in meiner Kula zu sehen. Du wirst Adre-Beg nicht die Schmach antun, dein Haupt so lange du in den weißen Bergen weilst, an einem andern Ort niederzulegen, als in seinem Hause.«
»Wie, du bist Adre-Beg?«
»Ich bin es. Die Kula meines Phis ist kaum zwei Stunden von hier. Es ist zwar kein Haus der Freude, und die Totenklage ist darin erklungen, seit der Mond zweimal gewechselt. Aber Adre-Begs Name ist noch immer gefürchtet in den Bergen. Die Vögel des Himmels und die Tiere des Waldes gehören dir, und kein Schipetare wird es wagen, die Hand gegen dich zu erheben.«
Es erregte mir ein unangenehmes Gefühl, daß ich dem Mann gewissermaßen sein letztes Kind stehlen helfen sollte, der in seiner Jugend meiner Familie einen so bedeutenden Dienst erwiesen hatte, und der mir jetzt so vertrauensvoll Gastfreundschaft anbot; in einem Augenblick dachte ich daran, den Suterrazzi nach Korfu zurückzuschicken oder ihn seinem Schicksal zu überlassen. Im nächsten aber erinnerte ich mich, daß ich ihm mein Wort gegeben, und daß ich ihn sein Heil versuchen lassen könne, ohne mich dareinzumischen.
»Du ladest mich also selbst in dein Haus, wackerer Adre-Beg?« fragte ich. »Ich rechne es als eine Gunst, die du mir erweisen wirst, Herr! Nun gut, ich nehme es an auf einige Tage, denn ich wollte ohnehin dich aufsuchen in einer anderen Angelegenheit. Aber ich bin nicht allein.«
»Wen du auch in mein Haus führst, Herr, er wird mir willkommen sein,« erwiderte einfach der alte Palikare.
Ich ergriff die Gelegenheit, um mich, wenigstens vor mir selbst, der Verantwortlichkeit zu entziehen. »Nein,« sagte ich, »ich will dir offen sagen, daß ich für meine Begleiter nicht stehen kann. Der eine ist der Führer unserer Pferde, der andere ein Grieche, den ich erst vor einigen Tagen in Korfu engagiert habe und der meinen Dolmetscher machen sollte, was, wie ich jetzt gesehen, nicht nötig ist. Ich habe gehört, daß die Bewohner dieses wilden Landes einander selbst wenig trauen, es ist also deine Sache, die Augen offen zu halten. Ich stehe in keiner Weise für meine Begleiter, nur muß ich verlangen, daß sie ebenso ungefährdet deine Phar Jeder Phis (Stamm) hat ein Hauptdorf: Phar oder Djeta genannt. verlassen werden, wie sie dieselben betreten haben.« Der Beg lächelte ein wenig. »Weisheit der Vorsicht taugt wenig zu einem schwarzen Haar wie das deine,« sagte er. »Aber beruhige dich, Herr, Adre-Beg ist alt genug in seinem Hause, um es vor dem bösen Blick und schlimmen Menschen zu schützen. Aber jetzt gestatte mir, nach Hause zu eilen und alles zu deinem Empfang vorzubereiten. Wenn die Sonne sich zum Untergang neigt, erwarte ich dich auf der Schwelle meiner Kula.«
Er reichte mir nochmals die Hand, schüttelte sie herzlich und nahm dann sein Gewehr wieder empor, worauf er alsbald zwischen den Felsen verschwand.
Ich kehrte in tiefes Nachdenken versunken jetzt in den Hain zurück, nachdem ich den Hirten reichlich für sein Schaf entschädigt hatte; ich muß gestehen, mir war doch nicht ganz wohl bei der Sache zumute.
Damas erwartete mich bereits vor der Tür der schmutzigen Lehmhütte. Ich teilte ihm sofort mit, was geschehen war, es ihm überlassend, ob er mir weiter folgen wolle oder nicht, aber die Hoffnung, seine Geliebte zu sehen, überwand alle Bedenken.
Nachdem wir einen Teil des erlegten Schafes verzehrt, das der Hirt auf meine Weisung in die Hane gebracht, machten wir uns wieder auf den Weg.
Wir ritten langsam, wie es in dieser weglosen steinigen Einöde allein möglich war, etwa zwei Stunden vorwärts, als der Suterrazzi an meine Seite kam.
»Excellenza,« sagte er, – »sehen Sie dort die weißen Häuser auf der Höhe des Berges?«
»Ja!«
»Es ist der Phar des Foscati. Mein Vater und meine Verwandten wohnen dort. – Und hier,« – er wies nach einem breiten zweistöckigen Turm, der sich auf der andern Seite der Schluchten erhob, »das ist die Kula Adre-Begs, des Balsichiden.« Er hatte die Worte kaum geendet, als rechts und links vor uns Schüsse knallten. Ich war anfangs erschrocken, denn ich glaubte, daß sie uns galten, – aber, wenn dies auch der Fall, überzeugte ich mich doch bald, daß es nicht in feindlicher Absicht war, sondern eine Ehrenbezeugung, mit welcher der alte Arnaut meine Ankunft feierte.
Er hatte seine Phis-Angehörigen zusammengerufen und die Männer an dem Wege aufgestellt, den wir kommen mußten. Mit dem Abschießen ihrer Djeferdanes und ihrer Flinten zeigten sie unsere Ankunft an, sowie wir uns näherten, und schlossen sich dann unserem Zuge an.
In der Begleitung von etwa dreißig dieser Schützen erstiegen wir den Felsenhügel, auf dessen Plateau die Kula stand, während sich auf der anderen Seite der Phar, das Dorf des Clans, in einer Schlucht ausbreitete.
Ich habe bereits erwähnt, daß die Burg des Stammoberhauptes aus einem von Steinen gebauten viereckigen und zweistöckigen Turm bestand, von sehr rohem Äußeren, aber geräumig genug, um im Fall der Not die sämtlichen männlichen Mitglieder des Stammes aufzunehmen. Der Bau rührte offenbar noch aus älterer Zeit her und war der Zerstörung entgangen, welche vor zwanzig Jahren der grausame Pascha von Janina über alle diese kleinen Feudalschlösser verhängt hatte und deren Spuren wir genugsam auf unserem Wege getroffen.
Ein Paar schuppenartige Gebäude in der Nähe des Turms dienten für die Herden des Begs. Pferde besitzen die Arnauten nur wenige, da sie ihnen in den Gebirgen nicht viel nützen würden. Sie verlassen sich auf die Kraft ihrer Beine.
An der Schwelle seiner Kula erwartete uns Adre-Beg, umgeben von den Ältesten des Phis und seiner Familie. Diese bestand aus den Kindern seiner älteren Söhne und seiner Tochter Narida. Ein wildes Freudengeschrei erhob sich bei unserer Ankunft, eine Salve von Schüssen und das Zusammenschlagen ihrer Yatagans begrüßte mich, als ich den Fuß aus dem Bügel hob.
Adre-Beg selbst war herbeigetreten, nur ihn mir zu halten. Dann nahm er mich bei der Hand und führte mich zu dem Halbkreis. »Söhne der Beschitaren, unserer tapfern Väter,« sagte er, »dies ist der Sohn des großen Sultans der Franken, von dessen Taten gegen die Osmenli, die Inglee und die Weißröcke selbst die Piesmen Die Volksgesänge. unserer Berge erzählen. Ehret ihn und die mit ihm sind, als die Gastfreunde Adre-Begs und unseres Phis und verteidigt sie mit eurem Blut gegen alle Feinde.«
Dann nahm er aus der Hand seiner Tochter einen hölzernen Teller mit Salz und streute dieses vor uns her auf den Boden.
Jetzt waren wir seine Gastfreunde; – es ist kein Beispiel bekannt, daß ein Beduine oder ein Albanese je das heilige Gesetz der Gastfreundschaft gebrochen hätten.
Ich hatte die Gelegenheit benutzt, die von Damasos gerühmte Schönheit seiner Geliebten zu prüfen.
In der Tat, das Mädchen konnte sich mit den stolzesten Schönheiten Englands, dem Lande schöner Frauen, messen.
Sie war von hoher, königlicher Gestalt, die durch den dunklen, von vier flatternden bunten Schürzen umgebenen Rock gehoben wurde. Der der Tracht der Männer gleiche, von vergoldeten Knöpfen und bunten Seidenstickereien glänzende Überrock, vielmehr eine bis an die Hüften reichende Jacke mit aufgeschlitzten Ärmeln, ließ vorne ihre offene Brust sehen. Der rote, über und über mit Münzen und Tressen verzierte Fes bedeckte einen üppigen Haarwuchs, welcher in drei langen Strähnen über ihre Schultern fiel. Ihre Füße waren unbekleidet und nur mit roten Saffianschuhen versehen.
Ich habe, wie gesagt, selten ein edleres weibliches Gesicht gesehen. Es hatte den Typus ihres Volkes, die schmale gebogene Nase, die etwas flache Stirn und das ausdrucksvolle, nur von schmaler dunkler Braue überspannte Auge. Aber Mund und Kinn drückten einen ungemein entschlossenen und festen Willen aus. Ihre Blicke waren auf mich gerichtet und sie beachtete meinen Begleiter kaum. Es war also nicht anzunehmen, daß sie Damas erkannt hatte, der kühn und glücklich in seiner Verkleidung den Augen der Männer trotzte.
Dennoch war es der Fall gewesen; ein einziger Blick hatte genügt für die Jungfrau, ihren Verdacht zu erregen und ihren Geliebten zu erkennen.
Aber kein Zeichen verriet es weder ihm noch ihrer Umgebung.
Ich wurde nunmehr über die etwa in Manneshöhe angebrachten leiterartigen und transportablen Stufen in das Innere des Turms geführt, der aus einem einzigen weiten Raum bestand, dessen Wände roh und nur mit einigen Fellen, Decken und Waffen behangen waren.
Selbst Kleidungsstücke waren nur wenige vorhanden. Obschon die Albanesen sonst Putz und Reinlichkeit lieben, ist es doch eine sehr schmutzige Sitte, daß sie ihren Phistan, die aus 122 schräg geschnittenen Streifen bestehende oft mit Seidenstickerei geschmückte Fustanelle so lange tragen, bis er in Stücke fällt. Der Bure tut sich etwas darauf zugute, nur einen zu besitzen und ihn ohne Wechsel so lange zu tragen, bis er in Stücke fällt, während der Grieche diese schöne und kleidsame Tracht häufig wechselt. Der Albanese bedarf auch sehr weniger Bequemlichkeiten zu seinem Lager. Er breitet eine Matte von Palmblättern oder einen erbeuteten Teppich auf den bloßen Boden aus, benutzt seinen Abas als Kopfkissen und schläft darauf in seiner vollen Kleidung. Da ich Ihnen einmal eine kleine Skizze seiner Sitten gegeben habe, will ich auch gleich bemerken, daß der vorhin erwähnte leiterartige Aufgang in keinem Hause fehlt, um durch seine Fortnahme dasselbe desto leichter zu einer kleinen Festung umschaffen zu können.
Nach der Landessitte war alles zu meinem Empfang vorbereitet. Der ganze Phis schien seine Decken und Teppiche zusammengebracht zu haben, und um den offenen Herd neben dem Turme waren die Frauen und Mädchen des Clans beschäftigt, den Kotsche zu bereiten, das ganze gebratene Schaf, welches unzerteilt den im Kreise sitzenden Buren aufgetragen wird, die es mit ihren Dolchen zerschneiden, sowie den Pilaw und die Yahni Ein Ragout von gekochtem Fleisch mit trocknen Erbsen., die Nationalgerichte. Ich wurde im Innern des Turms zu dem Ehrenplatz geleitet und sofort begann das Mahl, bei dem der starke Slibowitza und einheimischer Wein die Runde machten.
Ich benutzte die Gelegenheit, um meinen Wirt zu fragen, ob er mit dem Stamm der Berg-Kimarioten in Verbindung stehe, oder leicht in Verbindung treten könne.
Der Beg warf mir einen etwas mißtrauischen Blick zu. »Was will der junge Aga aus dem Blut des großen Sultan der Franken mit den Räubern des Gebirges?«
Ich sagte ihm den Grund und daß ich es übernommen hätte, wegen der Auslösung des Kapitän Barclay bei meiner Anwesenheit in Epirus zu verhandeln.
»Ist der Gefangene dein Freund?«
Ich mußte die Frage verneinen. »Ich habe ihn in meinem Leben nicht gesehen!«
»Was kümmerst du dich da um sein Schicksal? Die Buren des Gebirges brauchen wahrscheinlich Kleider und Waffen. Er ist ein Inglese, die Schipetaren hassen die Männer mit den weißen Haaren, die ihren Tartanen die Insel versperren und sie ohne Ursache in Grund schießen mit ihren Kanonen.«
Die leichte Manier, wie der alte Klephte von dem Recht der Seeräuberei sprach, welcher die Engländer allerdings scharf auf die Finger sahen, amüsierte mich. Ich erklärte ihm jedoch, daß ich das Versprechen gegeben hätte, für die Befreiung des Offiziers tätig zu sein, obschon er nicht mein Landsmann wäre, und daß der Gouverneur in Corfu gedroht habe, eine Kompagnie Truppen auf der albanischen Insel landen und die nächste Phare ohne Rücksicht niederbrennen zu lassen, wenn Kapitän Barclay nicht binnen drei Tagen wohlbehalten nach Corfu zurückgekehrt sei.
Mehr als diese Drohung schien jedoch die Mitteilung zu wirken, daß ich eine Summe von fünfzig Guineen bei mir habe, welche ich bei der Freigebung des Kapitäns zahlen wolle. Die Räuber hatten zwar mehr als das Zehnfache gefordert, der Gouverneur aber kannte seine Leute und erklärte, nicht einen Schilling darüber hinaus bewilligen zu wollen.
Ich erhaschte im Fluge einen Blick, den der alte Klephte mit einem der Buren austauschte, der mir nach verschiedenen Wahrnehmungen nicht zum Phis zu gehören, sondern gleich mir ein Gast zu sein schien.
Gleich nach dem Mahle, während die Frauen die Schibuks brachten und anzündeten, entfernte sich übrigens Adre-Beg mit dem Manne auf einige Minuten aus dem Turm, und als er zurück kam, war er allein. Ich fragte ihn nochmals, ob er mir bei der Befreiung des Offiziers behilflich sein könne und wolle? Er antwortete: »Wir wollen sehen! Vorläufig hat der junge Aga Zeit und mag morgen mit uns auf die Jagd gehen an die Ufer des Sees und in die Wildnis, wo die Wölfe hausen. Die drei Tage, welche der Ajan der feuerspeienden Feste bestimmt hat, sind noch nicht vorüber.«
Nach der Mahlzeit räumten die Frauen das einfache hölzerne Geschirr fort und brachten jetzt zu meinem Erstaunen große silberne Krüge, reich vergoldet, von köstlicher Arbeit und antiker Form, mit leichtem griechischen Wein gefüllt zum Vorschein und gossen ihn in ebensolche Becher, die offenbar aus der Zeit der venetianischen Herrschaft in diesem Lande herstammten.
Während die Becher die Runde machten, sah ich die schöne Tochter des Hauses sich ihrem Vater nähern, der nach Art der Türken mit gekreuzten Beinen auf seinem Teppich saß, und ihm die mirditische Laute reichen.
Er sah sie erstaunt an, auf mich deutend, aber sie erwiderte ihm einige Worte, die, wie ich später von Damas hörte, die Aufforderung enthielten, dem Fremdling die Taten des Stammes zu singen. Dies ist eine, dem Buren zu willkommene Aufforderung, als daß er sie verweigern sollte, und der Pliak rührte mit raschem Schlag die klirrenden Saiten und begann, von den Taten und Abenteuern aus alter und neuer Zeit und den Helden seiner Nation zu erzählen.
Während der alte Beg sein Piesmen vortrug, hatte ich bemerkt, daß die schöne Tochter desselben den Turm verlassen hatte, und daß ihr bald darauf Damasos gefolgt war, was niemand auffallen konnte, da der größte Teil der Stamm-Angehörigen draußen bei angezündeten Feuern lagerte und die Reste der Mahlzeit verzehrte, welche die Familienhäupter in dem Innern der Kula gehalten hatten.
Erst spät kehrte er zurück. Ein Blick sagte mir, daß es ihm gelungen war, sich mit seiner Geliebten zu verständigen.
Am andern Morgen brachen wir, wie am Abend verabredet worden, zeitig auf, um in den Schluchten des Kondovuni-Gebirges den Wolf zu jagen und den Adler zu schießen. Es würde langweilig sein unsere Jagdabenteuer zu beschreiben. Bei dem öden verwüsteten Zustande des Landes fehlte es an Raubtieren nicht, und ich hatte das Glück, zwei Wölfe zu erlegen, was meine französische Flinte in den Augen Adre-Begs wieder zu einigen Ehren brachte.
Es war am Nachmittag, als wir an einem kleinen Gebirgssee lagerten, der von zahllosen wilden Enten bedeckt war. Während wir dort ein Mahl einnahmen, sah ich plötzlich den Arnauten zwischen den Felsen und Büschen erscheinen, der am Abend vorher meine Aufmerksamkeit erregt hat, und auf uns zukommen. Adre Beg ging ihm entgegen und hatte ein lange, und wie es mir schien, oft sehr lebhafte und heftige Unterredung mit ihm. Endlich schienen sie sich verständigt zu haben und mein Gastherr kam zu mir.
»Freund,« sagte er, »bestehst du noch darauf, den Aga der Inglese aus seiner Gefangenschaft zu erlösen?«
»Gewiß. Hast du Nachricht von ihm? Wo ist er?«
»Er ist hier – dort hinter jenem Felsen!«
Ich wollte sogleich dahin, aber der Beg hielt mich zurück. »Warte,« sagte er. »Ich habe einige Verbindungen unter den Kimarioten, und da ich dir gerne einen Dienst leisten wollte, weil du aus dem Blute dessen bist, deß Gabe ich auf meiner Brust trage, habe ich mit ihnen verhandelt. Sie wollen ihren Gefangenen freilassen, wenn du dich dazu verstehst, das Doppelte der Summe zu geben, die du gestern geboten hast.«
Ich war froh, so leichten Kaufs davon zu kommen und die Befreiung des Kapitäns Barcleys vermitteln zu können. Auf den Rat Adre-Begs wurde abgemacht, daß ich die fünfzig Goldstücke sofort bei der Auslieferung des Gefangenen erlegen und daß die andere Hälfte der Summe in Sajadu bezahlte werden sollte, wohin zwei der Palikaren den Kapitän begleiten würden.
Die Räuber waren ganz unbesorgt für ihre Sicherheit, sie bauten auf unser Wort und wußten überdies, daß es ihnen an Freunden und Genossen an der Küste nicht fehlte.
Als dieser Punkt geordnet war, gab der Kimariote durch einen schrillen Pfiff ein Zeichen, und sofort erschienen in den Felsen zwei andere Palikaren, den Engländer in ihrer Mitte und geleiteten ihn auf uns zu.
Kapitän Barcley, den ich bei dieser Gelegenheit, wie erwähnt, zum erstenmal sah, befand sich übrigens auf freiem Fuß und schien unbesorgt über sein Schicksal. Die Räuber hatten ihn nur seiner Waffen, seines Geldes, der Uhr und einiger Ringe beraubt, von denen er den einen, auf welchen er besonderen Wert legte, später auf meine Vermittlung und gegen eine kleine Summe sofort wieder erhielt.
Ich eilte ihm sogleich entgegen, stellte mich ihm vor und brachte ihm die Grüße seiner Freunde und Kameraden. Er dankte mir aufs herzlichste für die wenige Mühe, die ich gehabt hatte, und nahm munter an unserm Mahl teil. Nach Beendigung desselben machten wir uns alle auf den Weg und kehrten nach der Kula meines Wirts zurück. Die drei Räuber begleiteten uns.
Ich hatte Damas mit dem Pferdejungen dort zurückgelassen, war übrigens entschlossen, mochte er nun sein Ziel erreicht haben oder nicht, am andern Tage gleichfalls aufzubrechen und nach der Küste zurückzukehren. Ich hatte soviel von dem albanesischen Leben gesehen und gehört, um es satt zu haben.
In dem Turm des Beg fanden wir alles wieder zu einer festlichen Aufnahme bereitet. Ein vorausgesandter Bote hatte die Vermehrung unserer Jagdgesellschaft angezeigt, und auf dem Herde briet der Kotsche und schmorte der Yahni.
Sobald wir zurückgekommen waren, suchte ich Gelegenheit, mit dem Suterrazzi allein zu sprechen, was sich leicht tun ließ. Ich habe bereits erwähnt, daß es mir unangenehm war, mich in die Sache eingelassen zu haben, aber ich hatte ihm mein Wort gegeben und mußte es halten selbst auf jede Gefahr hin für meine Person. Überdies war ich jung wie er, fühlte deshalb mit ihm und hatte genug gesehen, daß der alte Palikare, so ehrenwert er sich auch gegen mich benommen, doch im Grunde auch nichts besser war, wie ein Räuber und an der Gefangenhaltung des englischen Offiziers seinen guten Teil haben mochte. Wahrscheinlich hatten nur die alten Erinnerungen, die in ihm erweckt worden, mich vor einem gleichen Schicksal bewahrt.
Damas erzählte mir, daß es ihm vollkommen gelungen sei, sich mit seiner Geliebten zu verständigen. Trotz seiner Verkleidung hatte sie ihn auf den ersten Blick erkannt und ihm bald Gelegenheit gegeben, sich ihr zu nähern. Sie hatte eingewilligt, ihrem früheren Versprechen gemäß die Ihren zu verlassen und ihn zu begleiten. Es war deshalb zwischen ihnen verabredet worden, daß an dem Tage, an welchem ich die Kula ihres Vaters verlassen, wobei mich der Beg mit seinen Buren nach der Sitte des Landes wahrscheinlich eine Strecke begleiten würde, sie die Gelegenheit benutzen solle, um sich aus dem Phar der Ihren unter einem Vorwande zu entfernen und uns dann an einem bestimmten Ort zu treffen; wir wollten dann so rasch als möglich unsern Weg nach Sajadu fortsetzen und uns einschiffen. Zu dem Ende wollte sich Kapitän Barcley, den ich so wenig als möglich in die Geschichte hineinzuziehen wünschte, ersuchen, meinen Diener zu benachrichtigen.
Nachdem dieser Plan flüchtig besprochen war, an dessen Ausführung ich keinen andern Anteil haben wollte, als daß ich den beiden Flüchtlingen meinen Schutz gewährte, kehrte ich in den Turm zurück.
Der Abend verging wie der vorige; ich erklärte Adre-Beg, daß ich ihn am andern Tage verlassen und von Sajadu einen weitern Ausflug auf der gewöhnlichen Straße über Philates nach Janina und Suli machen wolle, da ich es nicht wagen könne, quer durch das Gebirge und das unruhige Land meine Richtung dahin zu nehmen. In der Tat beabsichtigte ich dies auch, sobald ich mich erst von dem Paare befreit hätte. Es wurde verabredet, daß Adre-Beg mit seinen Männern mich am andern Morgen noch in eine sehr wildreiche nach dem Tal von Delvino und den Quellen der Wojutza hin belegene Gegend begleiten sollte, wo ihm befreundete Stämme wohnten, um dort einige Stunden den Berghirsch und das Geflügel zu jagen. Da dies der Richtung unseres Weges nur wenig Abbruch tat, konnten wir hoffen, dennoch am Spätabend den Hafen zu erreichen.
Nachdem diese Bestimmungen und Verabredungen getroffen waren und Adre-Beg Boten ausgesandt hatte, um in der Nachbarschaft ein Reittier für Kapitän Barcley aufzutreiben, bildete der Kreis sich wie gestern um den Weinkrug, und die Erzählungen und Piesmen der Krieger begannen.
Auch die Chimarioten, die Räuber und Wächter des Offiziers nahmen daran teil. Von ihm hörte ich, daß man ihn während seiner Gefangenschaft, die er hauptsächlich dem Verrat der türkischen Küstenwächter zuschrieb, ziemlich gut behandelt hatte, daß er aber unzweifelhaft in kurzem erschossen worden wäre, gleich den Gefangenen der Banditen in den Abruzzen, wenn man sich geweigert, seine Auslösung zu bewirken. Nur dem Einfluß Adre-Begs glaubte er es übrigens zuschreiben zu dürfen, daß er so wohlfeilen Kaufs fortgekommen sei. Den Rest der Summe konnte er leicht in dem Hafenort bei einem griechischen Kaufmann, der Geschäftsverbindungen nach Corfu hatte, aufbringen. Ich händigte ihm, da man ihn dessen beraubt, den sonst ziemlich wertlosen Schutzbrief des Gouverneurs ein und bat ihn, sofort meinen Diener aufzusuchen und ihm die nötigen Instruktionen zu geben.
Dann horchten wir den Klängen der Kephten.
Es waren wilde, blutige Taten, welche die Palikaren sangen, Taten, die dem zivilisierten Europäer oft genug mit Grausamkeit und schauderhafter Treulosigkeit befleckt erscheinen, in den Augen dieses Volkes jedoch nichts Unehrenhaftes haben. Als einer der Männer – es waren, wie ich schon früher bemerkt habe, meist nur ältere noch im Phis anwesend, – ihrem Oberhaupt die Laute reichte, lehnte er sie ab. Sein Wink rief Narida herbei, und er befahl ihr, von den Frauen von Suli zu singen.
Es war die furchtbare Erzählung von den weiblichen Bewohnern des Dorfes, die sich um der Verfolgung der Türken zu entgehen lieber gemeinsam, einander die Hände reichend, in den tiefen Abgrund stürzten, als in die Gewalt der gierigen Sieger zu fallen.
Es wird vielleicht von Interesse für Sie in der Beurteilung dieses Volkes sein, wenn ich an dieser Stelle bemerke, daß gleich wie hier unter dem Bergvolk der Basken auch unter den Albanesen und Griechen die strengsten Begriffe von Sittlichkeit unter den Frauen herrschten. Unzucht ist in diesem Lande etwas Unerhörtes, und ließe sich ein Weib oder ein Mädchen einen Fehltritt zuschulden kommen, sie würde samt ihrem Verführer unfehlbar ermordet. Ungeachtet dieser strengen Sitten ist der Albanese keineswegs von Eifersucht geplagt; er läßt seine Frau und Töchter allenthalben frei und unverschleiert umhergehen, überzeugt, daß ihre Energie und Körperkraft jeden Angriff zurückzuweisen imstande ist.
Ich habe diese kurze Bemerkung auch für nötig gehalten, um einem irrigen Urteil über die Handlungsweise des jungen Mädchens vorzubeugen, die treu ihrem Liebesschwur bereit war, das Haus ihres Vaters zu verlassen und dem Geliebten zu folgen.
Das schöne Mädchen hatte sich bei ihrem Gesang neben ihren Vater auf den Teppich gekauert, sie blieb jetzt dort sitzen gegen die sonstige Gewohnheit der Familie. Ich begriff sehr wohl, was in ihr vorging.
Der nächste der Sänger erzählte von dem furchtbaren Vrokolak, den Vampyren und Blutsaugern.
Die Stimmung der Gesellschaft wurde, trotz des kreisenden Weins, von all' diesen schaurigen Gesängen immer düsterer und schon wollte ich sie unterbrechen und das Gespräch auf mildere Gegenstände leiten, als der Hausherr die Hand erhob.
»Singe die Piasme vom Schicksal Adre-Begs,« sagte er zu dem Barden des Stammes, dem Schipetaren, welcher fertig die italienische Sprache redete und uns bisher das Vorgetragene verdolmetscht hatte. »Singe es in der Sprache, der ihre Ohren geöffnet sind, – die unseren bedürfen der Worte nicht, denn was geschehen, ist blutig eingegraben in unsere Herzen. Aber unsere Gäste sollen wissen, warum die jungen Zweige eines alten Stammes nicht hier sind, um mit ihnen den Adler, den Wolf und den Bären zu jagen.«
Ich erschrak bei dieser Wendung der Unterhaltung. Ein Blick auf den Suterrazzi, der mit anderen hinter dem Mädchen stand, zeigte mir, daß er die Farbe wechselte. Nur Narida selbst zeigte nicht eine Spur von Bewegung, ihr schönes Gesicht blieb so ernst und ruhig wie immer.
Der alte Beg zog den Handjar aus seinem Gürtel, entblößte die Klinge und legte sie vor sich nieder; alle seine anwesenden Stammesgenossen taten dasselbe.
Eine schreckliche Besorgnis erfaßte mich. Sollte der Hausherr eine Ahnung von der Anwesenheit seines Todfeindes, sollte er die Verkleidung entdeckt, sollte das Mädchen ihren Geliebten verraten haben?
Aber ich sah, daß Damas sich wieder gefaßt hatte und ruhig blieb, und ich dachte mir, daß die Entblößung der Waffen eine Sitte des Volks sei, wie es in der Tat der Fall ist, wenn von einer Blutschuld geredet wird, die noch der Sühnung harrt.
Der Schipetare, der eigentliche Barde des Stammes, begann seinen monotonen Sang. Er schilderte die Jugend des Beg, sein Leben in den Bergen und auf der trügerischen See, – jene Fahrt durch die Schiffe der Inglese nach dem fernen Alessandria zu dem großen Sultan der Franken, seine ferneren Kriegstaten in Ägypten, in Syrien, gegen die feindlichen Nachbarn seines Landes.
Dann kam er auf seine Söhne.
Der alte Beg hatte deren drei gehabt. Den ältesten, der zu den Leibwächtern Ali-Paschas gehörte, ließ der grausame Tyrann von Janina wegen eines ungerechten Verdachtes hinrichten. Aber es war der Herr – es war Kismet des Ermordeten. Der zweite Sohn, Boris mit Namen, fiel unter den Sulioten vor Missolunghi in der Nacht, als Marko Bozzaris versuchte, sich durch das türkische Lager zu schlagen und den Heldentod fand.
Dann sprach der Sänger von dem jüngsten Sohn, von Arslan, den sein Feind, der Grieche Damasos, tötete.
Er beschrieb ihn als einen jungen Buren von kühnem Herzen und schönem Antlitz, den Stolz des Vaters und die Hoffnung seines Stammes. Weil er der einzige war vom Geschlecht der Balsichiden, Jede der albanesischen Familien hat ihr Wappen und Banner. Einer der toskischen Stämme führt seinen Namen nach dem alten normannischen Herrschergeschlecht der Stadt Avlona welche die Normannen in ihren Kreuzzügen gründeten. hatte ihn der Vater zurückbehalten von dem Ägypterzug, zu seinem Unheil, daß er dem Damas begegnen und von seiner Kugel fallen mußte, zur Zeit als der Tschete der Stämme ruhte. Er beschrieb die glänzenden Eigenschaften, die Großmut, die Tapferkeit, die Klugheit des jungen Beg und häufte Verwünschungen auf das Haupt seines Gegners, dessen Tücke ihm hinterlistig den Tod gegeben.
Mit einem wilden Schrei schloß der Gesang und die Männer ringsum wiederholten ihn, schlugen die Klingen gegeneinander und stimmten dann den fürchterlichen Brokovalos an, den Kriegsgesang, den schon die Gefährten Skandebegs beim Beginn der Schlacht sangen, und der wahrscheinlich noch aus Pyrrhus Zeit stammt.
Der Eindruck war wahrhaft schreckenerregend.
Sie können denken, was ich dabei empfand, ich, der einzige, der das Geheimnis der beiden Liebenden vor mir teilte. Ich konnte mich nicht enthalten, sie anzusehen.
Der Suterrazzi zitterte – ich konnte das Beben seiner Glieder sehen, während er auf das Mädchen blickte.
Sie hielt das Haupt niedergebeugt, was ich von dem Gesicht sehen konnte, war bleich wie Wachs.
Dann erhob einer der älteren Buren seine Stimme und sagte:
»Das Blut eines Balsichiden ist vergossen – noch rauscht es auf der Erde. Hat vielleicht der krveno kolo auf dem Hügel gesessen und haben die Glocken der Phare geläutet, damit zwölf Mütter vom Stamme des Schuldigen sich, ihre Säuglinge im Arm, den Richtern des krveno kolo, Die »Blutrunde«, das Gericht von 12 bis 24 Greisen, welche die Stammesfehden unter gewissen Zeremonien entscheiden und die Krvina, den »Blutpreis« bestimmen. zu Füßen werfen und nach der Krvina fragen?«
Die Stimmen der Männer antworteten im Chor: »Die Glocken haben nicht geläutet, die Krvina ist nicht gezahlt worden!«
»Und niemals würde ich sie annehmen – ich schwöre es dreimal bei der schwarzen Schlange!« rief Adre-Beg mit heiserer Stimme.
Bei diesem furchtbarsten Schwur, den der Albanese kennt, sah ich jetzt auch das Mädchen erbeben. Sie wußte jetzt, daß jede Hoffnung auf eine Aussöhnung vergeblich war.
»Und warum ist denn der Mord nicht gerächt?« fragte wieder der alte Palikare. »Ein Bure wartet auf das Blut seines Mörders! Hat der Stamm der Balsechiden keine Krieger mehr, die seine Feinde vernichten!«
»Die jungen Buren des Phis,« erwiderte der Beg, »sind ausgezogen zum Heere des Sultans von Kairo.«
»Hat Arslan-Beg keinen Sohn, keinen Bruder, keinen Neffen, welche die Tscheta übten?«
»Arslan war jung – keine Witwe trauert um ihn. Die Söhne seines Bruders sind Knaben. Die Arnaüka ist für ihre Hand noch zu schwer.«
»Hat Arslan-Beg keine Schwester?«
Der Schlag war gefallen – aller Augen wandten sich auf das unglückliche Mädchen.
»Arslan-Beg,« sagte der Hausherr mit festem Ton, »hat eine Schwester, Adre-Beg hat eine Tochter. Die Hand Naridas weiß die Waffe so gut zu führen, wie ein Mann! Aber der Mörder ist geflohen – fort über das Meer! Wäre es anders, so würde mein Fluch die treffen, die Arslans Blut zu rächen haben.«
Narida hatte ihr Haupt verhüllt; – obgleich ich von Herzen und vom Blut – wenn auch nicht von Geburt – ein Korse bin und der Korse die Blutrache übt wie der Albanese, vermochte ich doch die Scene nicht länger zu ertragen. Ich sprang auf und bat den Hausherrn um die Erlaubnis, mich zur Ruhe begeben zu dürfen.
Als sich alle erhoben hatten und ich mich wieder umsah, war Narida verschwunden.
Ich sah sie diesen Abend nicht wieder, auch Damasos suchte sie, wie er mir später vertraute, vergeblich außerhalb des Turms, um noch einige beruhigende Worte mit ihr zu sprechen.
Unsere Lagerstätte war in dem oberen Geschoß des Turms bereitet und wir legten uns bald zur Ruhe. Aber so ermüdet ich auch von den Anstrengungen und Aufregungen des Tages war, ich vermochte nur wenig zu schlafen.
Ich dachte fortwährend an das Mädchen, und ob sie wirklich dem Suterrazzi ihr Wort halten würde.
Erst lange nach Mitternacht schlief ich ein; mit Anbruch des Tages weckte uns der Hausherr.
Alle Anstalten zu unserer Abreise waren getroffen. Die drei Chimarioten harrten mit einem kleinen Bergpferde des Kapitäns, unsere eigenen Pferde waren bereit.
Obschon der Kapitän allein den Weg mit den drei Banditen zu machen hatte, war doch keine Gefahr für ihn dabei. Es lag nahe, daß sie selbst für seine Sicherheit sorgen würden, um den Rest der versprochenen Summe zu erhalten. Ich wiederholte dem Kapitän nochmals meinen Auftrag in betreff meines Dieners und meiner Tartane und mahnte ihn dann zur Eile. Mit einem Händedruck schieden wir, in der Hoffnung, uns nach einer oder zwei Wochen in Korfu wieder zu treffen.
Bald darauf brachen auch wir auf. Narida war erschienen, um uns das Frühstück zu bereiten, und an der guten Laune des Suterrazzi konnte ich bemerken, daß er mit dem Mädchen gesprochen haben mußte und daß sie trotz der schauerlichen Scene am Abend bereit war, ihr Versprechen zu erfüllen und ihn zu begleiten. Es fiel mir auf, daß ihr Antlitz, während sie die Geschäfte der Hausfrau erfüllte, fast so bleich war als ich es bei dem Schwur ihres Vaters gesehen hatte, niemals den Blutpreis anzunehmen und den Tod seines Sohnes zu rächen, aber ich schrieb es der natürlichen Erregung zu, für immer von ihrer Familie und der Heimat scheiden zu sollen. Nur ein einziges Mal sah ich, daß ihr Auge lang und forschend auf mich gerichtet war.
Ich beschenkte die Kinder und die Frauen der Kula reichlich, soweit es meine Mittel erlaubten, grüßte die Tochter des Hauses und dann brachen wir auf. Adre-Beg und drei Bewohner des Phars begleiteten uns.
Der Verlauf unserer Jagd ist Nebensache. Wir setzten sie auf dem Gebiet und in Gesellschaft der Jäger eines befreundeten Stammes bis zum Mittag fort, und dann trennte ich mich von meinem Gastfreund, seine weitere Begleitung ablehnend, da die Jäger erklärten, daß die Gegend, die wir zu durchziehen hatten, um auf den Weg nach Sajadu wieder zu gelangen, ohne Gefahr passiert werden könne.
Es war, als ob das Schicksal die Flucht des jungen Paars begünstigen wolle, denn Adre-Beg hatte beschlossen, bei seinen Freunden bis zum andern Tage zu verweilen.
Damas war sehr redselig auf dem Wege, obschon ich ihm wenig Antwort gab. Mir kam es immer noch vor, als hätte ich erhaltene Gastfreundschaft schlecht vergolten und dies Gefühl verstimmte mich.
Die Sonne neigte sich stark zum Untergang, als wir endlich den freilich kaum erkennbaren Weg nach Sajadu erreichten. Wir ritten eine Strecke weit fort, da die Stelle, wo ihn nach der Behauptung des Suterrazzi das Mädchen erwarten wollte, noch weiter hin lag. Ich gestehe, ich wünschte von Herzen, daß sie ihren Sinn geändert haben und ich nichts von ihr zu sehen bekommen möchte.
So weit ich sehen konnte, war kein weibliches Wesen zu erblicken. Nur ein Albanese, den Karabiner in der Hand, saß eine Strecke weiter auf einem Stein am Wege.
Als wir näherkamen, erhob er sich – es war ein junger unbärtiger Mann, mit ernstem, bleichem Gesicht – im nächsten Augenblick bei den letzten Strahlen der Sonne erkannte ich ihn – es war Narida selbst.
Ich rief Damas, der eben seiner Geliebten entgegenstürzen wollte, einige warnende Worte in italienischer Sprache zu, mit den Augen aus unsern Pferdediener deutend und er verstand den Wink. Er wechselte nur einige kurze leise Reden mit dem Mädchen, das – wie ich bemerkte – auffallend einsilbige Antworten gab, dann befahl er dem Burschen, ab- und hinter ihm aufs Pferd zu steigen, während Narida dessen Platz einnahm. Ohne Aufenthalt ritten wir dann so rasch als der Weg und die jetzt schnell hereinbrechende Dunkelheit erlaubten, weiter.
Wir konnten etwa noch eine Stunde von Sajadu entfernt sein, als eine kleine dunkle Gestalt uns in den Weg trat, die meinen Namen nannte.
Ich hielt erstaunt an.
»Bist du der Aga, der den Inglese-Offizier von den Räubern des Gebirges geholt hat?« fragte der Knabe.
»Wahrscheinlich bin ich derselbe, den du meinst. Von wem kommst du?«
»Der Kaufmann Stephanos Arotolus schickt mich mit einem Brief des englischen Capitano. Ich sollte näher an der Stadt auf dich warten, aber ich zog es vor, hierher zu gehen, da dort zehn Klephten auf euch an der Straße lauern.«
»Teufel! das ist sehr freundlich von dir, Bursche, und du sollst dafür belohnt werden. Gib schnell den Brief.«
Ich war vom Pferde gestiegen, das ich dem Knaben zu halten gab. Zum Glück hatte ich mein Taschenfeuerzeug bei mir, in dem sich ein Endchen Wachslicht befand. Ich zündete es sofort an und las in dem Schutz meines Pferdes vor dem Luftzug den Brief.
Der Inhalt war nicht sehr erfreulich.
Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen erzählt habe, wir hätten bei dem Versuch, an der Küste zu landen, ein Rekontre mit den türkischen Küstenwächtern oder Zollbeamten gehabt, bei dem einige Kugeln gewechselt worden waren. Ich wußte nicht, welche Wirkung unsere Flintenschüsse gehabt hatten, die wir als Erwiderung der ihren im Morgennebel getan, aber wie es schien, hatte eine der Kugeln einen der Räuber und Diebe, denn etwas anderes ist das ganze Gesindel an der acroceraunischen Küste nicht, getötet. Kurzum, als Kapitän Barcley nach Sajadu kam, war – während sonst kein Hahn um den alten Schurken gekräht hätte, – ein Mordlärmen darüber entstanden, blos weil die türkischen Behörden sich damit von der Verantwortlichkeit befreien wollten, daß ein englischer Offizier unter ihren Augen von den Klephten entführt worden war. Mein Diener hatte auf einen erhaltenen Wink mit der Tartane eiligst wieder die See und die Küste von Korfu suchen müssen und der Esel von Ajan Gouverneur. hatte unsere Verhaftung befohlen, sobald ich nach Sajadu zurückkehrte. Wahrscheinlich war er es aber selbst gewesen, der meinem Burschen den nötigen Wink hatte zukommen lassen, uns aus dem Staube zu machen. Kurzum, bei der fanatischen Aufregung des muselmännischen Pöbels am Ort drohte uns Gefahr und der Kapitän warnte mich, den Hafen zu betreten. Dagegen versprach er, sofort dafür in Korfu zu sorgen, daß mein Diener mit der Tartane alsbald wieder unter Segel gehen und mich an einer von ihm genau bezeichneten Stelle oberhalb Sajadu in einer der zahlreichen dort belegenen Felsenbuchten erwarten solle.
Diese Nachricht war allerdings ein starker Strich durch unsere Pläne und gefährdete das flüchtige Paar fast nicht weniger als mich. Ich rief daher Damas und das Mädchen zu mir und teilte ihnen mit, was geschehen.
Während ich ihnen den Brief vorlas, fiel mir noch eine Nachschrift auf der anderen Seite des Blattes ins Auge.
Der Kapitän schrieb noch, daß der Erschossene einem Stamme der Kymarioten angehört und daß er gehört habe, die drei Klephten, welche ihn nach Sajadu gebracht und dort den Rest des Lösegeldes in Empfang genommen hatten, hätten sich wahrscheinlich blos aus räuberischen Absichten plötzlich ihrer Abstammung und Blutsfreundschaft erinnert und beschlossen, mich unterwegs aufzuheben, wenn nicht zu töten. Kapitän Barcley hatte dies alles von dem griechischen Agenten gehört, der ihm das Geld vorgeschossen und ihn sofort in seinem eigenen Fahrzeug nach Corfu bringen lassen wollte. Der Mann hatte auch den Boten besorgt und den Knaben gewählt, um möglichst jeden Verdacht zu vermeiden.
Schluß des dritten Bandes.