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Der Hofbankier.

Ein auf plärrenden Tönen auf- und niederwogendes Murmeln füllte das Gemach – es war das Schema Israel, das Gebet am Sterbelager, das die Anwesenden sprachen und dessen Worte sich mit den Stöhnen des Leidenden vermischten.

Der Arzt war vor kaum einer Viertelstunde fortgegangen – er hatte der Familie offen gesagt, daß die Auflösung noch vor dem Abend erfolgen werde. Jetzt war nur die Familie mit dem Sterbenden allein – nur von Zeit zu Zeit steckte ein kleiner buckliger Mann mit scharf geschnittenen orientalischen Zügen, die blaue Brille zwei scharf beobachtende Augen verbergend, den Kopf durch die Falten der Portiere.

Das Gemach war prächtig möbliert und doch nicht elegant, wie man es häufig jetzt in den wohlhabenden jüdischen Familien findet. Die Benutzung der Krankenstube hatte die Unordnung noch erhöht – kostbare, teure Möbel, Vorhänge, Teppiche – nirgends die ordnende Hand eines feinen guten Geschmacks, die selbst das einfachste Möblement so ansprechend und zierlich machen kann.

Die seidenen, oben von einem vergoldeten Seraph gehaltenen Vorhänge eines breiten Himmelbettes waren jetzt zurückgeschlagen. Auf den schwellenden Matratzen, unter der roten Seidendecke lag zusammengekrümmt die fleischlose, skelettartige Gestalt eines alten Mannes. Es war selbst in der Majestät des Todes etwas Kleinliches, Schäbiges in dieser Figur, das ihr den Charakter aufprägte, als gehöre sie nicht in die luxuriöse Umgebung, als würde dem Mann das Sterben dann um so schwerer, wenn er an die Verschwendung dachte, die man für sein Totenlager aufgewendet.

Der Mann war sehr alt – nicht eine Krankheit endete dies zähe Leben, sondern das Ausgehen der Kräfte. Deshalb war sein Atem kurz, kaum hörbar, und während die Finger in jenem schrecklichen Delirium der Nerven, das man das »Flockensuchen« der Sterbenden nennt, auf der Decke umherspielten und zerrten, fuhr doch von Zeit zu Zeit ein Strahl vollen Bewußtseins aus seinen Augen, und die blauen eingefallenen Lippen ließen Worte aus dem zahnlosen Mund dringen, die bekundeten, daß all die alten Leidenschaften und Gedanken des Lebens noch die scheidende Seele beschäftigten.

Die Umgebung des Sterbenden bestand aus vier Personen – aber nur eine von ihnen schien aus vollem Herzen teilzunehmen an dem alten Mann, und doch waren es alle seine nahen Verwandten.

Diese Teilnehmende war seine Gattin, eine Greisin wie er, wenn auch Wohl zehn oder fünfzehn Jahre jünger. Das faltenreiche, gewiß einst schöne Gesicht der in einen bequemen schwarzseidenen Überrock gekleideten Frau, das Haar von einer weißen Haube bedeckt, war nach dem Leidenden gerichtet und beugte sich oft zu ihm nieder, ihm Worte des Trostes zuflüsternd. Wie sie so da saß aus einem Lehnstuhl dicht am Bett, hatte sie wirklich ein ehrwürdiges, Teilnahme erweckendes Aussehen, wenn auch der ganze Ausdruck des Gesichts etwas Apathisches, Mattes zeigte. Es war, als habe der Kampf eines ganzen Lebens alle Energie in ihr aufgezehrt und sie gleichgültig gegen die meisten Eindrücke gemacht. Und in der Tat war das lange Leben an der Seite dieses jetzt sterbenden Mannes nichts gewesen, als eine fortlaufende Kette von Kämpfen ihres ursprünglich guten und freundlichen Gemüts gegen Geiz, Habsucht und Arglist, die nur ein Ziel gekannt – das Geld!

Dennoch – jetzt am Ende dieses Kampfes – hatte dies unter tausend Verletzungen verstumpfte Herz die ewige Teilnahme des Weibes für den Vater ihrer Kinder bewahrt, und Träne auf Träne stahl sich aus den grauen Wimpern und rollte über die gefurchten Wangen, wenn ihre zitternde Hand dem Kranken einen der Liebesdienste leistete, die jene furchtbare Stunde tragen helfen.

Dieser Geist der Liebe schien jedoch wenig ihre Kinder zu beseelen.

In dem großen Gemach, – dem Wohn- und Schlafzimmer seiner Mutter – ging der Sohn des Sterbenden rastlos auf und nieder, wobei jedoch der weiche Teppich seine Schritte unhörbar machte. Auch er war bereits ein Mann Mitte der Vierziger, eine kurze Gestalt mit behäbigem Embonpoint und dickem Kopf mit hoher Glatze, aber noch von dichtem, krausem, schwarzem Haar, das von Ölen und Pomaden glänzte, umgeben war. Die scharf gebogene Nase, das runde feste Kinn hatte er vom Vater, aber die Physiognomie war im Ganzen gemeiner, platter, und unter den dickbuschigen Brauen lagen ein Paar Augen, die jetzt Hochmut und Ärger ausdrückten. Auch seine Finger spielten, aber nicht mit den Flocken des Todes, sondern mit den Berloques der Uhrkette, um das Blitzen der Diamanten sehen zu lassen, die über das weiße dicke Fleisch vortraten, zu seinem eigenen Vergnügen; denn wenn ihn die roten und grünen Strahlen erfreut, hoben sich die Winkel des dicklippigen Mundes und er warf einen weniger ärgerlichen Blick auf die beiden Frauen, die mit ihm das Gemach teilten, oder nach der Portiere, durch deren Spalt alle Viertelstunde ein schmaler spitzer schlauer Kopf erschien und ihn fragend ansah.

Dann zuckte Herr Mortiz Cahn, der Hofbanquier, ungeduldig die breiten, feisten Achseln, warf einen Blick nach dem Sterbebett und schüttelte das Haupt als Zeichen, daß der alte Mann noch immer nicht sterben wolle.

Der fürstliche Hofbanquier trug einen feinen blauen Frack mit blanken Knöpfen und dunklem Sammetkragen, weiße Weste über dem kleinen Spitzbauch und äußerst feine Wäsche. Es fehlte nur eins an dem komfortablen Kostüm, das ihm erlaubt hätte, direkt vom Sterbebett zu Hofe zu fahren und die befohlene Summe dem Herrn Leibkammerdiener Serenissimi in blanken, unbeschnittenen Friedrichsd'oren oder guten preußischen Kassenanweisungen zu überbringen – das kleine rote, grüne, blaue oder gemischte Bändchen, oder besser der bunte Kordon um den Hals, nach dem sein Herz schon so lange und so sehnsüchtig schmachtete, fast sehnsüchtiger noch als nach dem Adels- und Baronsbrief, den seine glücklicheren Geschäftsfreunde, die Rothschilde, Sinas, Eskeles und Erlanger doch schon so lange besaßen.

Hätte er da das Ordenband gehabt, er hätte es gewiß getragen an diesem hochwichtigen Tag.

Der Verdruß, der die Stirn des künftigen Freiherrn faltete, rührte von seiner leiblichen Schwester her, einer der Damen, die wie zwei fauchende Katzen in den beiden Sofaecken saßen; denn zu seiner Gemahlin, der anderen, sah er nur mit einer gewissen Bewunderung auf. Das konnte auch gar nicht anders sein, denn Madame Elvire Cahn, geborene Lessing, stammte aus einer ästhetischen Judenfamilie in Berlin, sprach Italienisch und Englisch, war eine Freundin Ludmilla Assings und einiger anderen Emanzipierten aus dem Tiergarten oder der Potsdamer Straße und hatte bereits eine Novelle und verschiedene Gedichte herausgegeben. Sie war eine sehr kleine und zarte Erscheinung, die viel Essig trank, um einen recht blassen Teint zu bewahren, mit zwei langen, schwarzen Hängelocken nach Art der Kavaliere aus der Zeit Karls I. von England, um ihr an und für sich nicht unschönes schmales, nur durch eine zu dicke Nase gezeichnete Gesicht einzurahmen. Die tiefbraunen, schmachtenden Augen hielt sie entweder mit den langen Wimpern geschlossen, oder schlug sie melancholisch zur Decke empor, wobei der feine schwarze Pinselstrich aus dem unteren Lide ihre feurige Melancholie oder ihr melancholisches Feuer noch hob. Jedenfalls aber vermied sie konsequent, damit ihre Schwägerin in der andern Sofaecke anzuschauen.

Aber obschon sie in halber Wendung ihrer Schwägerin den Rücken kehrte, schienen deren giftige Blicke doch magnetisch auf ihre Nerven zu wirken und diese in peinlicher Unruhe zu halten. Die Schwägerin der Frau Hofbankier, die einzige Tochter des sterbenden Mannes, war eine ihr ganz entgegengesetzte Persönlichkeit. Breit auseinander gegangen, wie sehr häufig die orientalischen Frauen in der Ehe werden, saß sie fest und energisch auf ihrem Platz. Ihr volles Gesicht zeigte trotz der etwas hängenden Wangen noch eine gewisse Schönheit, und der ziemlich deutlich auf der Oberlippe sichtbare Bartflaum den kräftigen selbständigen Geist. Ihre dunklen herrischen Augen fuhren mit einer gewissen mühsam verhaltenen Erbitterung von einer Hälfte des ihr so nahe verwandten Ehepaars zur anderen und sahen dann wieder ungeduldig alle fünf Minuten auf die Uhr.

Der Kranke regte sich in seinem Bett und stöhnte lauter als vorher. Sogleich beugte sich die alte Frau über ihn. »Wie geht es dir, Itzig – leidest du sehr? Gott wird dir beistehn!«

Der alte Mann murmelte einige unverständliche mürrische Worte, allmählich wurden sie vernehmlicher. »Vier Perzent – er ist ein Narr, das Kapital ist doch verloren, er wird uns noch ruinieren der Moritz mit seine vornehme Freunde, und hatte doch machen können fünfundzwanzig Perzent! – Weh geschri'n über mein Geld, wo ist der Moritz, Rebecca, ich muß reden mit ihm, ich will reden mit euch allen, denn ihr werdet sein Bettler, wenn ihr treibt die Verschwendung so fort!«

Er hatte sich mit Hilfe der alten Frau aufgerichtet in den Kissen, über die er ärgerlich mit der Hand strich.

»Seide und Flaum? Wie kommst du dazu, mich zu legen auf seidene Kissen, Rebekka? Hab' ich darum gespart achtzig Jahr, daß ich noch soll verderben ä kostbares Bett mit meinem toten Leib? Wo ist der Moritz, mein Sohn?«

Auf den Wink der Mutter war der Hofbankier näher getreten – auch die Tochter hatte sich erhoben.

»Was gibt's? was soll's?«

Der Alte starrte ihn mit gläsernen Augen an. »Der wievielste ist heute?«

»Der Siebenundzwanzigste, Ätte!«

Er machte ein vergebliche Anstrengung, die Hand zum Kopf zu erheben.

»Bei'm Wasser Mosis – du wirst haben kein Geld zu bezahlen am Ultimo, wenn du gibst unser sauer Erworbenes an die Gojim, blos weil sie sind vornehme Herren! Der Nulandt ist klüger wie du!«

Der Sohn zuckte ungeduldig die Achseln. »Wir haben geseh'n, wer's aushält – ich oder er! Kümmert euch nicht mehr ums Geschäft und sterbt in Frieden!«

»Wie soll ich erwarten ruhig den Dalles, wenn ich seh' mein Geld verschwenden umher? Was tust du mit der Ehre, wenn du verlierst dein Geld? Ich nehm' zurück den Verkauf, ich will noch weiter ändern das Testament hier, wenn du nicht tust, wie ich will!«

Die Tochter schob den Bruder beiseite und drängte sich vor das Bett, die Hände in die Hüften gestemmt.

»Testament? – also ist doch gemacht ein Testament. Warum, wofür? Warum weiß ich nichts davon? Aber ich will's nicht leiden – ich will haben mein Recht und gleichen Teil und du sollst nicht sterben, bis ich weiß, was steht im Testament!«

Der elende Greis sah sie wild an. »Was will die Närrin? hat sie nicht gekriegt genug? Sie ist die ärgste Verschwenderin von euch – Sie und ihr Mann! Hab' ich doch verloren an seinem Bankrott zweimal mein Geld – dreißigtausend Taler bar!«

»Es ist nicht die Hälfte von dem, was mir gebührt! Ich will sehn das Testament, eh' Ihr sterbt, ich will wissen, ob meine Kinder betrogen sind.« Sie wollte mit Gewalt an das Bett, um die Kissen zu durchwühlen, unter denen, wie der Sterbende unwillkürlich angedeutet, wahrscheinlich ein Testament verborgen war. Die alte Frau rang jammernd die Hände, Herr Moritz Cahn zerrte mit aller Macht die Zeternde an Kleid und Haaren zurück, doch wäre es ihm kaum gelungen, wenn eine drohende Bewegung des Kranken ihm nicht zu Hilfe gekommen wäre.

Der alte Wucherer schien noch einmal die Gewalt über seine Glieder bekommen zu haben, er hielt den hagern skelettartigen Körper aufrecht ohne die Hilfe seiner Frau und schüttelte den dürren Arm gegen die Tobende. »Willst du haben die Verwünschung, meinen Fluch, über dein Haupt bis ins zehnte Glied, du schlechtes Weib? Aus meinen Augen mit ihr – werft sie hinaus – – ich – –« Er fuhr plötzlich mit den Händen durch die Luft und fiel röchelnd zurück.

»Gott Israels – er stirbt!«

Das Gefühl des Sohnes schien doch durchzubrechen durch den Panzer von Eitelkeit und Habsucht, der ihn gleichgültig gemacht gegen die schwere Stunde seines Erzeugers. Der Hofbankier hielt den Sterbenden in seinen Armen. Eine Minute lang starrten die Augen aus den tiefen Höhlen umher, ein Zittern lief durch den alten abgenutzten Leib, dann krallten die hagern Finger um einen der vergoldeten Knöpfe des blauen Fracks – der Mund schnappte nach Luft.

»Moritz mein Sohn – lauf – hol' ein schlechtes Gewand, dem nicht schadet der Krié – ich fühl's das ist der Tod, der holt sein Prozent – –«

Der Unterkiefer klappte nieder mit dem letzten Wort wie Frost schüttelte es die ausgemergelte Hülle – noch ein Stöhnen – der alte Mann war tot!

Die Tochter des eben gestorbenen Mannes war vor der Drohung der Verfluchung erschrocken zurückgewichen bis ans Ende des Gemachs und hatte einen Augenblick lang das Gesicht mit den breiten fleischigen Händen bedeckt. Als sie von dem Aufschrei der Matrone erschreckt, wieder emporsah und näher eilte, war es zu spät. Der Hofbankier zog eben seine Rechte aus der Brusttasche seines Fracks zurück, während seine Linke den hageren Körper des Greises in die Kissen zurücksinken ließ. Ein triumphierendes Lächeln zuckte um seine dicken Lippen. »Er ist hinüber gegangen in Frieden, laßt uns beten das Schema Israel.«

Die Mahnung des Sterbenden, in der sich mit dem letzten Atem des gebrechlichen Körpers noch sein Geiz aussprach, der seit Jahren so viele harte Kämpfe in der Familie verursacht, war überflüssig gewesen. Herr Moritz Cahn dachte nicht daran, das alttestamentarische Gebot des Krié – der Zerreißen aller Kleider auf dem Leibe bei dem Tod eines Angehörigen – zu vollziehen, ebensowenig wie Schiwe sitzend die Totengebete zu sprechen oder gar Asche auf sein Haupt zu streuen. Das Leben hatte viel zu viel Anforderungen an ihn, und als er jetzt, um doch in Rücksicht auf die strenggläubige alte Frau, die wehklagend über dem Bett des Toten lag, sich auf eines der Kissen niederließ und langsam den Gebetriemen hervor zu suchen begann, nachdem er sich begnügt sein Taschentuch zu zerreißen, tat er einen tiefen Atemzug, wie ein Mann, der von einer großen Sorge und Last befreit ist, und in seinem Auge funkelte es wie die Sicherheit einer goldenen Zukunft.

Die Tochter des Hauses hatte sich gleichfalls auf den Boden niedergelassen, doch waren auch ihre Gedanken wenig bei der Andacht, die ihre Lippen verrichteten. Hätte sie es gewagt, die Mutter anzurühren, sie würde sie fortgezogen haben von dem Bett, um es nach dem Testament zu durchwühlen, von dem der Alte gesprochen. Die Gleichgültigste bei der ganzen traurigen Szene war sicher die nervöse Gattin des Hofbankiers. Sie blieb sehr ruhig im Sofa sitzen, mit einem gewissen hochmütigen Mitleid die vom jüdischen Gesetz vorgeschriebenen Ceremonien ihrer Verwandten betrachtend, und ihr einziges Zeichen der Teilnahme war, daß sie das Buch fortlegte, sich dann erhob und hinaus ging, um dem Hauspersonal den Tod ihres Schwiegervaters zu verkünden, in Wahrheit aber, um der ihr unangenehmen Szene zu entweichen.

Das Sterbezimmer füllte sich alsbald. Der Erste, der erschien, war der bucklige Buchhalter, ein Inventar des Hauses. Er wußte in seiner Teilnahme so geschickt zu manövrieren, daß er zwischen die Tochter und den Sohn kam. Der Herr Hofbankier schien trotz der blauen Brille den fragenden Blick des kleinen Mannes zu fühlen, denn er zog aus der Brusttasche des Fracks, doch so, daß es die Schwester nicht sehen konnte, die Ecke eines Kouverts, worauf der Buchhalter sich auf die Erde setzte und die gewöhnlichen Sterbegebete begann.

Das andere Dienstpersonal, das nach ihm eintrat, bestand aus der Kammerjungfer der Frau Hofbankier, einer Französin, die sich nicht länger aufhielt, als um ihre Neugier zu befriedigen, und dann wieder verschwand, – der robusten Köchin, einem Hausmädchen, dem Bedienten und dem Kutscher.

Alle diese waren Christen.

Es ist eine sehr merkwürdige und bezeichnende Erscheinung, daß die Juden fast nur christliche Dienerschaft in ihr Haus aufnehmen; – sehr selten findet sich ein jüdisches Dienstmädchen, ein jüdischer Diener in ihren Häusern, es sei denn ein altes Inventarienstück, das zum Dienen herabgesunken. Schon Moses hat von den Kananitern zum auserwählten Volke gesagt: sie sollen deine Knechte sein und für dich arbeiten im Schweiße ihres Leibes! und noch heute, nach vierunddreißighundert Jahren, betrachtet sich der Jude als der Herr und macht den Christen zu seinem Kananiter.

Die anderen Mitglieder der Dienerschaft waren unbedeutende gewöhnliche Personen, die auf ihre Herrschaft schimpften, ihre Religion verspotteten und doch ihr Geld nahmen. Am besten bezahlt – ja sogar sehr gut und eine gewisse Diktatur im Hause ausübend – war die Köchin, denn sie kochte vortrefflich, und die Juden sind lecker.

Über dies Niveau erhob sich allein das Hausmädchen.

Sie hieß Friederike und war eine geborene Berlinerin. Eine große, schlanke und proportionierte Figur, mochte sie etwa 20 bis 22 Jahre zählen, hatte ein feines, hübsches Gesicht und große, sanfte, braune Augen, um die freilich tiefe Schatten lagen. Überhaupt war das Gesicht trotz der Jugend und sonstigen Frische des Mädchens blaß und leidend. Sie trug ihr schönes, reiches Haar zierlich und glatt gescheitelt, und ihre ganze Kleidung, wenn auch sehr einfach und gering, war sauber und nett.

Während die andern Dienstboten an der Tür stehen blieben und gedankenlos die Hände falteten, ging Friederike durch das Zimmer, kniete einige Augenblicke an dem Bett des Toten nieder, ihr Vaterunser sprechend, und richtete dann unter liebreichen, von einer gewissen Bildung zeugenden Worten die jammernde alte Frau auf und brachte sie zurück auf ihren Lehnstuhl.

Als sie so zu dem verständigen und liebevollen Samariterdienst durch das Zimmer ging, den weder Sohn noch Tochter geleistet hatten, warf der Hofbankier im Vorüberkommen einen sehr wenig der Trauer entsprechenden Blick auf die elastische, schöne Gestalt.

Indem hörte man unten einen Wagen rollen und vor dem Hause halten.

»Ah! Gott sei Dank,« sagte die Tochter des Hauses, »die Eisenbahn ist angekommen. Das ist mein Mann.«

Der Hofbankier hatte sich erhoben. »Willst du ihm nicht entgegen gehen, liebe Marianne?«

Sie sah ihm scharf in die Augen. »Ich? nein! Friederike, sieh zu, wer gekommen ist.«

Der Bankier lächelte spöttisch. »So will ich es selbst tun. Bleibe bei meiner Mutter, Mädchen, und bringe sie womöglich zur Ruhe.«

Er hatte kaum das Zimmer verlassen, als die Tochter die Dienstleute fortschickte, nach dem Sterbebette eilte und ohne sich um den Toten zu kümmern, hastig die Kissen des Lagers zu durchwühlen begann, ja als sie hier nichts fand, fühlte sie überall unter den Betten und zwischen den Matratzen umher.

Aber ihre Mühe war umsonst – von einem Testament war keine Spur vorhanden. Bestürzt stand sie da und wurde so von ihrem Bruder und Mann getroffen, die miteinander ins Zimmer traten.

Der letztere war klein, mager und sehr beweglich. Er mochte einige 30 Jahre zählen, hatte den kahlen Schädel unter einer eleganten Haartour von Lohsé verborgen und trug sich nach der neuesten Mode. Seine Frau war offenbar mehrere Jahre älter als er.

»Gott der Gerechte,« sagte er mit einem gewissen Lispeln, das er für fashionable hielt, – »welch schweres Unglück hat uns betroffen! Der alte würdige Herr, der beste Freund, den ich hatte, ein wahrer Vater für mich, daß er so früh sterben mußte! Ich hoffe, mein Engel, du hast wenigstens mit in Empfang genommen seinen Segen für mich. Ich habe auf die erste Nachricht alles im Stich gelassen, obschon übermorgen ist der Ultimo an der Börse und heute singt die göttliche Trebelli von den Italienern mit einer neuen Sängerin, Signora Piccolomini, ich sage Ihnen, Schwager, piekfein. Hätt' ich können geben dem Frankfurter Schnellzug die Geschwindigkeit vom Telegraphen, bei Gott, ich hätt's getan – und nun komm ich doch zu spät. Aber was steh' ich da und schwatze und hab' noch nicht begrüßt unsere würdige Mutter, die Krone vom Hause I. M. Cahn und Compagnie. Gott, müssen Sie gewesen sein betrübt, zu verlieren den Mann, mit dem Sie gelebt haben sechszig Jahre als ein Musterbild für die Welt!«

Er küßte der alten Frau die Hand, die indes nicht besonders erbaut schien von ihrem Schwiegersohn, ihm nur einige Worte sagte und dann von dem Hausmädchen, welche unterdes die Vorhänge des Sterbebettes geschlossen hatte, sich fortführen ließ.

Der Berliner Börsenagent, denn ein solcher war Herr Nathan Schlesinger, der Gatte der Tochter des Hauses, wandte sich jetzt wieder an diese.

»Ich hoffe, mein teurer Engel, all die großen Anstrengungen in der Pflege des alten Herrn werden nicht geschadet haben deiner kostbaren Gesundheit. Gott, was sollte werden aus mir und unsern Kindern, den süßen Geschöpfen, wenn du krank würdest und zusammenbrächst von all den Sorgen und Mühen! Ich würde mir raufen die Haare aus vor Verzweiflung.«

»Das wirst du wohl bleiben lassen, Nathan,« sagte die Dame sehr ruhig, »denn so viel ich weiß, hast du nicht viele mehr. Auch sehe ich nicht aus, als ob ich so zerbrechlich wäre, das wollen wir der Schwägerin überlassen. Aber nun genug des Unsinns, dazu bist du nicht hierher gekommen. Hier, frage diesen Mann, wie es mit unserer und unserer Kinder Erbschaft steht und ob der Vater ein Testament hinterlassen hat oder nicht? Ich wenigstens habe nichts finden können.«

Der Hofbankier lächelte. »Wenn du dir damit Mühe gegeben hast, liebe Schwester, so war sie vergeblich. Hättest du mich gefragt, so würde ich dir gesagt haben, daß unser Vater schon vor sechs Jahren ein Testament gemacht und bei dem Gericht rechtsgültig niedergelegt hat.«

»Wenn du das weißt, wirst du auch seinen Inhalt kennen,« sagte die Frau heftig. »Du warst von jeher ein Schleicher, Moritz, ein falscher Mensch. Ich kenne dich! Was steht in dem Testament? Ich sage dir, ich werde mich nicht betrügen lassen um mein Erbteil, wenn auch der hier schweigt, weil er ein leichtsinniger Mann ist und voll Schulden, der in deinen Händen steckt!«

Der Börsenagent schob die goldene Brille auf die Stirn. »Gott der Gerechte, mein Engel, wie kannst du sein so ungerecht mit mir? Ich, ein leichtsinniger Mann? Schwager – Sie wissen, sie meint's nicht so in ihrer Heftigkeit, als ob ich nicht wüßte, daß Sie nicht der Mann sind, um den Kindern Ihrer Schwester auch nur für einen Taler – was sag' ich, für einen Taler? für einen Pfennig zu kurz zu tun?«

»Der?«

Der ganze jahrelange Familienhaß lag in der einzigen Silbe. Dann wandte sie sich nochmals zu dem Bruder.

»Willst du mir sagen, wie das Testament lautet?«

»Ich weiß es nicht!«

»Du weißt es nicht? Das mache einer anderen weiß.«

»Und doch ist es so. Das Original ist bei'm Gericht deponiert, aber eine Abschrift hat unser Meier in Händen, wohl versiegelt mit dem Petschaft des Vaters und des Notars. Keiner von uns weiß, was es enthält.«

Der kleine verwachsene Buchhalter bekam auf einmal infolge dieser Nachricht ein besonderes Gewicht in den Augen des Ehepaares. Die Frau schoß auf ihn zu und faßte ihn bei den Schultern. »Ist das wahr, Meier, sprechen Sie?«

»Der Herr Hofbankier hat recht. Der alte Herr hat mir geschenkt das Vertrauen. Er wußte, daß er sich auf mich verlassen konnte.«

»Und Sie haben das Testament seit sechs Jahren in den Händen und haben mir nie ein Wort davon gesagt?«

Der Verwachsene zuckte die Achseln. »Madame Schlesinger waren in der Zeit so selten hier und ich niemals in Berlin. Überdies hat es mir der selige Herr streng verboten, davon zu sprechen.«

»Aber der da wußte es doch,« sagte die Frau, mit dem Finger auf ihren Bruder zeigend. »Hüte dich, Kleiner, daß du nicht auch gegen mich ein schlechtes Spiel führst!«

»Wie können Sie glauben – –«

»Geh' und hole das Testament!«

»Mein Engel,« sagte der Berliner Agent, »ich weiß, wie sehr dir das Wohl unserer Kinder am Herzen liegt, aber du wirst einsehen, daß dies nicht ist die Zeit und der Ort, um vorzunehmen eine so wichtige Familienhandlung, wo doch dabei sein muß die Mama. Überdies …«

»Nun, was noch?«

»Überdies ist gekommen mit mir ein Fremder, welcher dringende Geschäfte hat mit dem Schwager. Ich schlage vor, daß wir kommen morgen früh zusammen, um zu verlesen das Testament, bis wohin uns der Herr Meier den Gefallen tun wird, es bei sich zu behalten.«

Nach einigem Nachsinnen willigte Frau Schlesinger in dies Arrangement. Es war ihr selbst darum zu tun, ihren Mann vorher unter vier Augen zu sprechen.

»Wer ist der Herr, der mit dir gekommen ist?«

»Du kennst ihn nicht – er ist ein feiner Mann, der Doktor Straußthal aus London. Er hat vorzuschlagen dem Schwager und mir ein Geschäft.«

»Gewiß wieder einer von den Schwindlern an der Börse, mit denen du reingefallen bist noch jedesmal. Aber ich sage dir, Nathan, nicht einen Groschen sollst du haben von meinem Geld mehr für deine Spekulationen und fürs Vertun. Du hast Frau und Kind und brauchst nicht zu scharwenzeln hinter den Sängerinnen von der Oper und hinter den Tänzerinnen vorn Ballett, die doch blos lachen hinter dir her!«

Die würdige Familie verließ hierauf das Sterbezimmer, in dem der Tote allein zurückblieb, bis der Rabbiner und die Leichenfrauen eintraten.

Etwa eine Stunde später saßen die beiden Schwager mit einem Dritten in dem Arbeitskabinet des Hofbankier Cahn. Der Fremde war ein Mann von etwa 40 Jahren, von festem, gedrungenem, selbst etwas beleibtem Körperbau und einem äußerst charakteristischen Kopf. Die Stirn, im Bogen zurückweichend, war hoch und massiv, das ganze Gesicht, obschon in einigen Zügen die orientalische Abstammung verratend, hatte einen bei dieser Rasse ungewöhnlichen Ausdruck von Kraft und Energie. Die Nase war fest und breit, die Lippe unter dem kurzen Schnurrbart etwas aufgeworfen, das Kinn massiv, aber leicht zurück tretend. Das Gesicht war voll, das Haar braun und kurz gelockt, das Auge fest, ruhig, nachdenkend. Das Ganze war eine Persönlichkeit, die, wenn auch nicht Zutrauen, so doch Achtung gebot und welcher der Stempel einer energischen geistigen Tätigkeit aufgedrückt war.

Die Herren rauchten treffliche Zigarren, auf dem Tisch, um den sie – der Fremde und der Hofbankier im Sofa, Herr Schlesinger ihnen gegenüber – saßen, stand Chateau Lafitte und eine kleine Kollation.

»Sie würden also Seine Hoheit den Herrn Herzog nicht vermögen können, sich an die Spitze einer Aktienbank zu stellen?«

Der Hofbankier zuckte die Achseln. »Der vortreffliche Herr ist zu allem bereit, er protegiert die Kunst und den Nationalverein, er stellt sich mit Vergnügen an die Spitze von Turn- und Schützenvereinen, er schwärmt für das einige Deutschland und für Schleswig-Holstein meerumschlungen, – was heißt meerumschlungen? davor gibt die Börse nicht ein Viertel Prozent. Aber was ist das Reelle, das Solide – er hat keinen Sinn fürs Geld und es ist nichts zu machen mit ihm!«

»Aber er wird doch ebensogut eine Million brauchen können wie jeder andere!«

»Was heißt eine Million, mein bester Herr Straußthal? Die Millionen liegen heutzutage nicht auf der Straße!«

»Erlauben Sie, da bin ich anderer Meinung. Das Geld liegt allerdings sehr auf der Straße, nur muß dieselbe jetzt anstatt mit Steinen mit Eisenbahnschienen gepflastert sein. Ich habe den Kopf voll Projekte und bin von London expreß nach Deutschland gekommen, um Seiner Hoheit anzubieten, sich an die Spitze der Eisenbahn-Bewegung zu stellen, die über kurz oder lang kommen muß. Man hat Sie mir als seine rechte Hand in Finanzsachen gerühmt, als einen Mann von großer Einsicht und Klugheit. Da ich gewohnt bin, rasche Entschlüsse zu fassen, habe ich Ihren Herrn Schwager hierher begleitet und ich kann nur bedauern, daß Sie mir so gänzlich jede Hoffnung benehmen; denn es versteht sich von selbst, daß wir das Geschäft in Kompagnie gemacht hätten.«

»Aber warum bestehen Sie darauf, gerade Seine Hoheit an die Spitze zu stellen? Ich will Ihnen im Vertrauen sagen, daß das Privatvermögen des Herzogs nicht gerade sehr bedeutend ist. Ich muß das wissen, da ich es verwalte. Und was die Staatsgelder anbetrifft, so übt der Landtag strenge Kontrolle.«

»Wollen Sie in der Tat wissen warum?«

»Es muß ein tieferer Grund sein, den ich nicht beurteilen kann.«

»Nun wohl, Herr Cahn, was ich Ihnen hier sage, geschieht im Vertrauen. Ich hoffe, daß, wenn auch dieser Plan fehlgeschlagen ist, wir doch in Verbindung bleiben und vielleicht manches Geschäft miteinander machen werden.«

»Lassen Sie hören!« Der Bankier blies den Rauch seiner Zigarre in Ringeln in die Luft und lehnte sich bequem in die Sofaecke zurück.

»Zunächst ist es mir nicht im Traum eingefallen, daß Ihr Herzog auch nur einen Taler einschießen sollte.«

»Ah!«

»Was ich brauche, das sind Namen! vornehme Namen, die Kredit haben beim Publikum. Sie wissen, daß das erste Geheimnis im Börsenspiel ist, zu wagen! Es gibt nichts Dümmeres, als das Publikum. Es wird niemals einsehen, daß die Hunderttausende, die in Spekulation gewonnen werden, zuletzt doch immer aus seiner Tasche stammen. Die Berliner Börse ist auf dem besten Wege, das endlich zu begreifen, was man in Paris und Wien schon längst getan hat. Aber wenn ich heute komme, der unbekannte Doktor Straußthal, und verlange von Publikum seine Ersparnisse oder von der Regierung eine Konzession, so lacht man mich aus. Anders aber ist es, wenn einige Herzöge oder Grafen an der Spitze stehen. Da mag das Projekt noch so gewagt, noch so gefährlich sein, das Publikum wird Aktien kaufen und die Regierungen werden die Konzessionen geben; denn hohe Herren haben überall ihre Verbindungen und eine Hand wäscht die andere.«

»Aber sie werden den Löwenanteil verlangen!«

»Bewahre. Die hohen Herren haben immer ihre Passionen: die Pferde, das Spiel, die Maitressen! sie brauchen also immer Geld und ein gescheiter Geschäftsmann weiß das zu benutzen. Sollte diese Wahrheit Ihnen so unbekannt sein?«

Der Bankier begnügte sich zu schweigen.

»Also man muß die Herzöge und Grafen in die Gründungs-Komitees nehmen. Die Verwaltung selbst wird man ihnen mit leichter Mühe aus der Hand spielen: dahin gehört die zweite Kategorie, auf die ich nachher zu sprechen komme. Indem der vornehme Adel spielt an der Börse, gibt er das Beispiel aller Welt und hat nichts mehr voraus vor dem Kaufmann, der über kurz oder lang sein Herr sein wird, weil er klüger ist und das Geschäft besser versteht als jener. In fünfzig Jahren, Herr Cahn, darf es keinen Adel der Geburt mehr geben, sondern nur noch eine Aristokratie des Beutels.«

»Sie gehen zu hastig, lieber Freund,« meinte der Bankier. »Es ist doch etwas, ä gewisser nobler Hauch um die vornehme Gesellschaft. Man tut fühlen, daß man zu was Besserem geboren ist, als umzugehen mit dem Pöbel.«

»Nun, Ihnen kann es ja nicht schwer werden, sich nobilitieren zu lassen. Sie sind reich genug, und ein Paar Ordensbänder sind für einen klugen Mann leicht zu haben. Wenn Ihnen das Spaß macht, warum nicht?«

»Ich möchte mir eine Bemerkung erlauben,« schob der Börsenagent ein. »Unser Adel in Preußen ist sehr zurückhaltend und es wird schwer sein, ihn für ein solches Projekt zu gewinnen!«

»Bah – das ist meine Sache! Geld braucht jeder heute, und jeder will es so leicht als möglich erwerben. Ich würde das auf mich nehmen. Man wirft zuerst einen Zopf hin, etwa eine Unterstützung des Grundbesitzes, eine Bank zu sozialen Zwecken! Man bemächtigt sich der Prinzipien des Herrn Schulze-Delitzsch in nobleren Formen. Hat der Löwe erst Blut geleckt, so kommt der Appetit beim Essen! Aber dies kann alles nur der Anfang sein. Unser Ziel muß bleiben, die Aristokratie in Eisenbahn- und Bankspekulation zu verwickeln. Die Gegenstände dazu brauchen keineswegs im Lande zu liegen, je entfernter, desto besser, dann können die Aktionäre den Unternehmer desto weniger kontrollieren. Die Börse, der Unternehmungsgeist muß dem Staat die Prämien-Anleihe aus der Hand nehmen, es ist unnötig, daß dieser so bedeutende Vorteile zieht. Eisenbahnen, Banken und Prämien-Anleihen müssen alles Vermögen in die Hände der großen Spekulation bringen, dann erst kann diese einem Lande wirklich nützen und industrielle Unternehmungen beginnen, mit welchen den Leuten Arbeit und Brot geschaffen wird. Ich denke keineswegs inhuman, ich will jeden Arbeiter anständig verdienen lassen, aber die Hand darf nicht den Kopf regieren wollen, und wir sind auf dem besten Wege in unserer politischen Entwicklung, daß dies geschieht.«

»Aber die Beamten, Herr Doktor – es ist eine eigensinnige gefährliche Rasse und schlimmer herumzukriegen, als der Adel!«

»Darauf will ich eben noch zurückkommen. Ich rede hier nicht von dem untergeordneten Volk, sondern nur von Personen, die wirkliche Bedeutung haben, die Minister, die Geheimräte! Warum soll man sie nicht verdienen lassen, wenn sie uns nützen? Die Berliner großen Geldinstitute sind schon seit lange zu der Einsicht gekommen. Ein Geheimrat oder anderer hoher Beamter im Verwaltungsrat einer Bank, einer Eisenbahn, irgendeiner industriellen Unternehmung ist gar nicht mit Gold zu bezahlen. Zunächst erfährt man durch diese Quelle alles, was uns zu wissen nützlich und notwendig ist, eher als das Publikum davon Kenntnis erhält. Zweitens sind sie die Personen, welche das durchsetzen müssen, was im Interesse der Aktienunternehmungen ist, die Konzessionen, die Expropriationen, die Zinsgarantien und die Ausgabe der Prioritäten. Denken Sie sich zwei oder drei Geheimräte aus dem Handelsministerium als Mitglieder von Eisenbahn-Verwaltungen, zwei oder drei aus dem Finanzministerium als Mitglieder großer Geldinstitute! Werden sich die fünf oder sechstausend Taler, die jeder da bekommt, nicht hundertfach rentieren? – Leider sind sie noch nicht ganz so weit in Berlin, aber der Einfluß der Börse ist doch bereits in allen Branchen des Lebens deutlich erkennbar. Die neue Ära bricht mit dem alten Preußischen System. In einem Staate ist für die liberale Partei nur dann etwas zu machen, wenn der Staatshaushalt ein Defizit zeigt. Es gibt Gott sei Dank auch in Preußen kein Ministerium mehr, in dem nicht unsere Leute – denn wenn ich mich auch habe taufen lassen, habe ich doch Nationalgeist! – bereits ihren Fuß haben. Die Rechtsanwaltschaft ist zum großen Teil, die Presse mit wenig Ausnahmen in unserer Hand. Wir haben tüchtige Vertreter im Gemeinderat und im Abgeordneten-Haus, die Klubs und Vereine gehören uns, wie auch der einzelne gegen die Juden schreien mag! Das Theater – unser! Der Häuserbesitz – fragen Sie unter den Linden, in den fashionablen und lukrativen Stadtteilen nach, wieviel uns gehört! Indem wir das Geld an die Börse locken, entziehen wir es dem Grundbesitz und auch er muß durch Hypothekennot in unsere Hände fallen. Wie gesagt – ich denke nicht inhuman, aber ich halte die Herrschaft des Kapitals, das ist: des Verstandes – für notwendig!«

»Ich wundere mich,« sagte der Bankier, »daß bei solchen großen Plänen Sie sich nicht Wien zum Schauplatz ausgesucht haben. Es wäre ein Feld für Sie!«

»Nicht mehr! Andere sind uns dort zuvorgekommen, der Adel und die Beamten gehören bereits der Börse an, aber das große Publikum ist noch nicht reif genug. Es ist zu katholisch oder zu roh. Wir riskieren den Hals. Österreich ist für einen klugen Mann gut, um die gewonnenen Kapitalien sicher anzulegen, nicht aber um solche zu erwerben. Für einen Mann von Genie gibt es jetzt nur ein richtiges Feld, und das ist Berlin. Deshalb, Herr Cahn, wundere ich mich, daß ein Mann wie Sie in diesem kleinen thüringischen Städtchen, wenn es auch eine sogenannte Residenz ist, versauert, statt sich einen größeren Wirkungskreis zu suchen.«

»Auf Ehre, ich habe auch schon daran gedacht,« sagte der Bankier geschmeichelt. »Aber meine Geschäfte hier – sie sind solide, sie lassen sich nicht so rasch abwickeln.«

»Also auf Wiedersehen in ein oder zwei Jahren in Berlin. Auch ich werde schwerlich eher dort mein Domizil nehmen!«

Die drei Börsenmänner stießen darauf an.

»Bis dahin haben Sie Zeit, über die neuen Eisenbahnpläne nachzudenken, die ich Ihnen vorschlug: Berlin – Wien über Görlitz, Petersburg – Warschau – Leipzig – Frankfurt, Hamburg – Paris, Wien – Konstantinopel, Berlin – Köln als Konkurrenz gegen das Monopol der Potsdamer Bahn!«

Der Bankier lachte behaglich. »Dazu würde doch schon von Anfang an etwas mehr gehören, als das Haus J. M. Cahn und Komp. einschießen kann!«

Der Doktor begriff sofort. »Gauben Sie doch, Verehrtester, daß ich die erste Regel unserer Kunst begriffen habe. Ein Bankier schießt niemals eigenes Geld ein, er schlägt nur um und macht davon seine Prozente. Die englischen Versicherungsbanken haben Geld genug disponibel und sind damit nicht sehr ängstlich. Ich könnte Ihnen Beispiele erzählen! Ein Bankerott in England hat noch weniger auf sich, als, der Humanität sei Dank! schon in Deutschland der Fall. Überdies wäre das englische Geld, was wir in deutschen Spekulationen verbrauchten, eigentlich nur eigenes Gut; denn der Deutsche ist so gutmütig, daß er sich von dem englischen Schwindel immer kirren läßt. Sehen Sie z. B. die Lebensversicherungen an! – In früheren Zeiten zahlte England Subsidien zu den Kriegen, heute zu den Eisenbahnen!«

Er erhob sich.

»Und nun, verehrtester Freund, da wir uns wenigstens über einige allgemeine Prinzipien verständigt haben und ich Ihre persönliche Bekanntschaft gemacht, will ich mich Ihnen empfehlen. Ich gehe morgen nach Berlin und London mit dem Mittagszug zurück. – Apropos – Sie haben in Ihrem Geschäft ja wohl einen Herrn Jakob Meier?«

»Ja wohl,« sagte der Bankier einigermaßen erstaunt. »Was ist's mit ihm?«

»O, nicht viel. Er scheint mir ein ganz intelligenter Mensch, er hat eine kleine verunglückte Spekulation an der Berliner Börse in Südamerikanern gehabt, – aber ich bin sehr gern bereit, sie zu übernehmen für das vortreffliche Memoir, das er mir durch Ihren Schwager hier zugehen ließ, über eine Operation der nordamerikanischen Anleihe. Sie werden vielleicht die Güte haben, ihn morgen vormittag in die drei Mohren zu schicken, wo ich logiere.«

Der Hofbankier machte ein sehr merkwürdiges Gesicht bei der Nachricht, daß sein Buchhalter ein Genie sein sollte und auf eigene Hand spekulierte. Das erste war ihm zwar nicht ganz unbekannt, er glaubte es aber doch nur in seinem eigenen Interesse entwickelt, das zweite aber konsternierte ihn gewaltig und er warf einen sehr fragenden Blick aus seinen Schwager, den Agenten.

Herr Schlesinger tat jedoch überaus unschuldig und hielt die Augen fest aus sein Weinglas gerichtet.

»Ich werde nicht ermangeln,« sagte der Bankier endlich, »wir haben zwar morgen eine kleine Familien-Konferenz, Sie wissen, mein Vater ist heute gestorben, der alte Mann, trotz alles Schmerzes für uns, ein wahrer Segen für ihn, aber es wird sich immer noch dazu Zeit finden. Darf ich vielleicht wissen, was die Differenz beträgt von Joseph Meier? und werde ich nicht mehr die Ehre haben, Sie zu sehen?«

»Oh – was die Differenz betrifft, eine Lumperei, fünftausend Taler. In Beziehung der zweiten Frage – ich bin zwar sehr beschäftigt, wenn Sie mir aber etwas Besonderes mitzuteilen haben – –«

Der Börsenagent mischte sich in das Gespräch: »Schwager, Sie wissen, was wir morgen vorhaben – sollte es nicht gut sein, für alle möglichen Fälle – wenn vielleicht eine kleine Kontroverse sich erheben sollte – die Marianne ist unberechenbar – einen Unparteiischen dabei zu haben, der zur Sühne redet? Der Herr Doktor würde vielleicht die große Güte haben, der Verlesung des Testaments beizuwohnen!«

»Wenn ich Ihnen oder Herrn Schlesinger einen Dienst damit erweisen kann, mit vielem Vergnügen. Ich werde mich danach einrichten. Um welche Uhr wünschen Sie?«

Der Hofbankier schnitt ein sehr verlegenes Gesicht, – der Vorschlag war ihm offenbar höchst unangenehm und er wäre am liebsten seinem würdigen Schwager dafür an die Kehle gefahren, indes er konnte, ohne sich bloßzustellen, nicht mehr ausweichen, und so murmelte er denn eine Wiederholung der Einladung.

»Gut,« sagte der Spekulant, »Sie haben also die Güte, Herrn Meier mir um 9 Uhr nach dem Hotel zu schicken, und ich werde ihn hierher zurückbegleiten. Und jetzt, gute Nacht, meine Herren!«

Der Hofbankier begleitete ihn höflich bis zur Treppe, entschlossen seinem Schwager seine ganze Mißbilligung auszudrücken über die unpassende Einleitung. Als er aber in das Zimmer zurückkam, hatte sich dieser bereits salviert.

Herr Cahn trank ärgerlich den Rest der Flasche aus, denn er war ein viel zu guter Geschäftsmann, um so trefflichen Lafitte in die Bedientenstube gehen zu lassen, dann schellte er.

Die Tür wurde geöffnet aber statt des Bedienten erschien Friederike, das Hausmädchen. Als sie den Herrn allein sah, blieb sie unter der Tür stehen und behielt diese in der Hand.

»Was befehlen der gnädige Herr?«

»Wo ist Johann?«

»Die gnädige Frau hat ihn fortgeschickt nach der Modehandlung wegen der Trauer.«

»So komm doch herein und mach' die Tür zu, es ist kalt.«

Das Mädchen gehorchte zögernd, aber es blieb in der Nähe der Tür stehen.

»Wo ist der Meier?«

»Ich glaube, Madame Schlesinger hat ihn zu sich rufen lassen.«

»Ah – immer besser! Wenn er herunterkommt, soll er sogleich zu mir kommen. Hörst du?«

»Ja, gnädiger Herr!«

Der Bankier war aufgestanden und ging einige Mal in dem Zimmer auf und nieder.

»Haben der gnädige Herr noch etwas zu befehlen? Mamsell Lisette hat nach mir gerufen.«

Er blieb dicht vor ihr stehen und betrachtete sie mit einem Blick, der ihr blasses Gesicht mit dunkler Röte überzog.

»Ich habe vorhin einen Brief von Berlin bekommen!«

»Wegen meiner Eltern?«

»Ja, die Sache ist unangenehm, du mußt es wissen, aber ich habe jetzt keine Zeit; um zwölf Uhr, wenn alles ist im Schlaf, wirst du kommen zu mir!«

Sie faltete die Hände und sah ihn flehend an. »Ach, gnädiger Herr, wenn Sie die Güte haben wollten, mir es jetzt mitzuteilen – oder morgen!«

»Dummheiten, morgen ist es zu spät. Ich muß bereits morgen früh schreiben! Du kommst – ich befehle es dir, sonst trage die Folgen. Dumme Trine, sich noch so zu zieren! Also um zwölf, die Tür bleibt offen!«

Das Mädchen ließ die Hände sinken, zwei große Tränen rollten über ihre Wangen, ohne ein Wort weiter zu sagen, drehte sie sich um und ging hinaus.

Der Hofbankier rieb sich die Hände, was überhaupt seine Gewohnheit war, schon um die Brillanten an den kurzen dicken Fingern zu zeigen. »Die einfältige Dirne – aber es soll das letztemal sein, ich glaube es ist Zeit, daß sie wird geschafft aus dem Hause! – Der Meier, der Schuft! wie hat er sich doch verstellt gegen mich und was wird er machen morgen für Augen! Bei Gott, ich wollte geben zehn – fünf Louisd'or an die Sammlung für die Abgebrannten in der Zeitung, wenn die Sache erst wäre vorüber.«

Er griff nach der Berliner Nationalzeitung, die auf dem Tisch lag, um die Kurse zu studieren. – – –

Während der Unterredung der drei Börsenmänner in dem Parterre des Hauses, hatte eine andere unter vier Augen im zweiten Stock stattgefunden.

Dort waren die Fremdenzimmer, also auch die Wohnung der Tochter des Hauses, die längst darin eine Fremde war. Wir haben bereits gehört, daß Madame Schlesinger dahin den kleinen buckligen Buchhalter zitiert hatte.

Sie saß auf dem Sopha, die Lampe auf dem Tisch mit ihrer Lichtseite nach dem Stuhl gekehrt, auf welchem der kleine Mann ihr gegenüber hockte, offenbar in sehr unbehaglicher Stimmung.

»Und Sie wissen wirklich nicht, Meier, wie das Testament lautet?«

»Ich schwör's Ihnen zu mit zehn Eiden. Ich weiß nichts davon, nicht einmal von mir selber. Der alte Herr hat nur gesagt, daß er mich gesetzt hat auch ins Testament für meine treuen Dienste, und daß ich würde zufrieden sein mit ihm.«

Madame Schlesinger sah ihn scheel an – diese Aussicht schmälerte offenbar die Erbschaft. Aber sie besann sich und anstatt des barschen herrischen Wesens ward sie auf einmal zuckersüß.

»Meierchen,« sagte sie, »Sie wissen, was ich immer auf Sie gehalten habe, seit Sie ins Haus kamen, als ich noch ein kleines Schicksel war. Es sind jetzt sechsundzwanzig Jahr her – eine lange Zeit und ich habe viel Unglück gehabt seitdem. Meine Männer haben mich schlecht behandelt und ich wäre gewesen ein elendes Weib, wenn mir der Himmel nicht hätte gegeben Kraft und Ausdauer. Sie wissen, daß der Vater war sehr geizig und daß mein Bruder ist schlecht gegen mich. Was hab' ich gekriegt? Nichts als Siebentausend und eine lumpige Aussteuer, wenn ich mir dagegen ansehe die Pracht und die Verschwendung, die herrscht in diesem Hause. Ach Meier, ich bin gestraft worden hart genug!«

»Sie haben geheiratet gegen den Willen des alten Herrn. Marianne – Madame Schlesinger, wenn Sie hätten verstanden zu schätzen ein treues Herz, das voll Liebe schlug für Sie, statt zu sehen auf die grade Figur, wir könnten sein die ersten Leute in der Stadt, die Kompagnons vom Hause I. W. Cahn und Komp.«

»Unsinn, Kleiner – kommen Sie nicht auf die alten Geschichten zurück. Aber ich denke, wenn jetzt redlich geteilt wird, auch wenn eine anständige Summe abgeht für Sie – wieviel meinen Sie denn, daß der Ätte ausgesetzt hat vor Sie?« unterbrach sie ihre Betrachtung.

»Ich habe gedient dem Hause sechsundzwanzig Jahre treu und redlich, zuerst um ein Hundegeld, und vielmehr ist's auch später nicht geworden, denn der Alte und auch der Herr Hofbankier haben mich immer vertröstet auf die Zukunft. So bin ich treu geblieben dem Hause I. M. Cahn und Komp., wie ich bin treu geblieben meiner ersten Liebe und hab mir versagt die Freuden der Ehe, um mir zu ersparen etwas für meine alten Tage. Wenn ich rechne, daß der alte Herr gedacht hat an die sechsundzwanzig Jahr und hat geschrieben: ich will dem Meier geben tausend preußische Taler für jedes Jahr, – wird es dem Geschäft keinen Eintrag tun, und ich werde etwas haben, wenn die Zeit kommt, von der man sagt: sie gefällt mir nicht!«

Das Gesicht der Dame verzog sich gewaltig, als sie von den Sechsundzwanzigtausend hörte. Der Kleine schien trotz des Schattens, in dem sie saß, etwas davon zu merken, denn er beeilte sich, sogleich hinzuzufügen: »Im Grunde ist's doch nur geborgtes Geld, denn wenn ich sterbe, wem könnte ich's anders vermachen als den Kindern von meiner Liebe!«

Frau Schlesinger schien auf die späte Aussicht nicht viel zu geben. Sie meinte: »Wenn ich mir's recht bedenke – der Ätte hat zusammengeschlagen was in seinem Leben, er war ein reicher Mann. Das Geschäft allein ist wert unter Brüdern seine zweimalhunderttausend Taler. Wenn der Moritz macht Sperenzien, werd' ich darauf bestehen, daß es abgeschätzt wird. Sie müssen's wissen am besten.«

Der kleine Buchhalter sah sie höchst erstaunt an. »Aber meine beste Madam Schlesinger – das Geschäft –«

»Nun ja, das Geschäft! Ich weiß wohl, daß ich nicht darauf bestehen darf, bar ausgezahlt zu werden, weil das dem Geschäft hieße entziehen das Kapital. Im Vertrauen, Meier, will ich Ihnen auch sagen, daß mir nichts dran liegt, denn der Nathan, mein Mann, würd' es am Ende verspekulieren als Bulle an der Börse und gibt mir viel zu viel aus, weil er sich einbildet, er wär' ein großer Beschützer von der Kunst, der Narr! Aber der Moritz muß mir's verzinsen mit sechs und ein halb Prozent, macht im Jahr sechstausend fünfhundert Taler ohne das andere!«

Der Buchhalter war noch immer sehr betroffen. »Wenn Sie sich nur nicht täuschen, beste Madame Schlesinger,« sagte er endlich.

»Was? sollte das Geschäft nicht so viel wert sein? Von was macht mein Bruder denn das Haus? Von der Elvire, meiner Schwägerin, hat er doch nicht mehr mitgekriegt als zehntausend Taler, das weiß ich gewiß, und er hat sie viel zu teuer dafür, die verrückte Person!«

»Aber hat Ihnen denn der Herr Schlesinger nicht gesagt – er weiß es doch – –«

»Was?« Sie klatschte mit der breiten fleischigen Hand auf den Tisch.

»Daß der Herr das Geschäft schon vor sechs Jahren verkauft hat an den Herrn Hofbankier!« würgte endlich der in die Enge getriebene Buchhalter heraus.

Die Frau sprang auf, als wäre sie von einem elektrischen Strahl berührt. Der kleine Buchhalter mußte zufassen, sonst wäre die Lampe vom Tisch gefallen.

»Verkauft? – das Geschäft verkauft?«

»Ich dachte, Sie wüßten's längst. Aber freilich, Sie sind nicht hier gewesen seit vier Jahren! Es war zurzeit, als der selige Herr gemacht hat das Testament und niedergelegt in meine Hand. Er ist seither nur gewesen der Disponent im Geschäft von I. M. Cahn u. Komp.«

»Und das erfahre ich jetzt erst? Das hat gewußt der Nathan, der Lump, mein Mann, und hat mir nichts gesagt davon?«

Der Bucklige begnügte sich, die Achseln zu zucken, er hatte offenbar Furcht vor der Frau, die puterrot mit zuckenden Händen vor ihm stand, als wolle sie ihm jeden Augenblick in die Haare fahren.

Sie faßte sich endlich gewaltsam. »Was tu' ich damit,« sagte sie. »Der Vater ist gewesen der Herr und er war nicht der Mann, der verkauft hätte billig und wär's sein eigener Sohn. Wieviel hat der Moritz gegeben dafür?«

Der Kleine zuckte wieder die Achseln. »Ich weiß nichts davon, es steht im Testament?«

»Wo ist das Testament? her mit dem Testament, ich will wissen, woran ich bin!«

Herr Meier suchte sie zu beruhigen. »Beste Frau Schlesinger, machen Sie keinen Lärm. Morgen wird sich ja alles finden. Gewiß kann die Kaufsumme nicht klein sein, ich weiß es am besten, was es einbringt, und Sie werden Ihren guten Teil erhalten davon.«

»Nichts da – ich geh' hinunter auf der Stelle, ich werde sie zur Rede setzen, den Moritz und den Lump, meinen Mann, der mir verschwiegen hat die Sache!«

Der kleine Buchhalter warf sich verzweifelt vor die Tür. »Ich lasse Sie nicht hinaus in der Aufregung! Marianne, schönste Madame Schlesinger, bedenken Sie, was Sie wollen tun! Sie machen mich unglücklich, denn der Herr Hofbankier wird glauben, ich hätte geklatscht, ich wollte Sie aufhetzen gegen ihn!«

»Mir egal!«

»Aber nicht mir! Bedenken Sie um Gotteswillen den Skandal vor den Leuten! Der alte Herr ist kaum kalt …«

»Was kümmert's mich! er hat gehandelt wie ein Rabenvater an seinem Kind!«

»Sie wissen's nicht, Sie können nichts sagen davon! – Bedenken Sie die alte Mama, Ihre Mutter, die würdige Frau, sie hätte den Tod davon in der Stunde, und sie ist doch gewesen die, welche immer gehalten hat auf Sie und zur Sühne gesprochen.«

Der kleine Buchhalter hatte den einzigen Punkt getroffen, der die wütende Frau im Zaume halten konnte. Die Mutter, die in der Tat ehrwürdige und treffliche Matrone, war unantastbar für die Tochter wie für den Sohn. So egoistisch und schmutzig die beiden Charaktere auch sonst sein mochten, – die unbedingte Verehrung für die alte Frau, die Scheu, ihr zu nahe zu treten, war ein glänzender Lichtpunkt in diesem Bild von Habsucht und Neid. Zugleich kam dem Buchhalter ein anderer Umstand zu Hilfe, die erbitterte Frau von ihrem Vorhaben abzulenken.

Herr Nathan Schlesinger trat eben nach dem Abschied von dem Doktor, die Arie der Zerline: »Fürwahr, mein Wuchs ist nicht übel« trällernd, ins Zimmer.

Auf ihn fuhr die Frau, die wenigstens einen Gegenstand haben mußte, ihren Grimm auszulassen, als auf den am ersten berechtigten los und der kleine Meier benutzte schnell die Gelegenheit, sich aus dem Staube zu machen, indem er durchaus nicht den Wunsch hegte, der ehelichen Szene beizuwohnen.

Im Hausflur unten nahm er Hut und Mantel vom Nagel, da er gleiche Absichten auch in betreff seines Herrn Prinzipals hegte, und verschwand für den Abend aus dem Hause, in dem er in der Nähe des Kontors ein kleines Stübchen bewohnte, noch bevor das Hausmädchen Friederike das Zimmer des Bankiers verlassen hatte. – –


Es war Mitternacht! Im Hause des Hofbankiers war alles ruhig – nur aus einer Kammer im Hinterhause blinkte ein matter Lichtschein – die Leichenwächterinnen wachten dort bei dem Toten, um den kein anderer Mensch trauerte, als die alte Frau, der allen anderen längst zu lange gelebt hatte.

Frau Elvire hielt auf Anstand und vornehmen Brauch und ihr Schlafzimmer befand sich getrennt von dem ihres Gatten auf der entgegengesetzten Seite des Hauses neben dem Zimmer der beiden zarten Sprößlinge ihrer Ehe, bei denen die französische Kammerfrau schlief, die zugleich der Ersparnis halber das Amt der Bonne versah, die Kleinen spazieren trippeln ließ und mit sehr schlechtem Französisch aus der Kommunalschule von Neufchatel fütterte. Dem Herrn Cahn schien die Einrichtung ganz genehm, – den Grund werden wir wahrscheinlich noch erfahren.

Jetzt lag der Hofbankier in seinem französischen Himmelbett mit der breiten elastischen Doppelmatratze, dem Rollkissen zu Füßen und den zarten Daunen unterm Kopf und las, diesen auf den Arm gestützt, in einem Roman von Paul de Kock bei dem Licht der beiden Wachskerzen auf dem eleganten Nachttisch, von Zeit zu Zeit nach der brillantenbesetzten goldenen Ankeruhr sehend, die zwischen den Lichtern mit einigen Papieren und Briefen lag.

»Es ist zwölf Uhr – ich glaube wahrhaftig, die Närrin kommt am Ende nicht. Das sollte sie büßen!« Er griff unter das Kopfkissen und zog ein Kuvert hervor.

»Das verdammte Kodizill! was da drin stehen mag! Zum Henker, ich brauch' es ja bloß zu öffnen und wenn mir's nicht gefällt, es zu verbrennen. Selbst her kleine Hallunke, der Meier, weiß nur davon, daß ein Papier existierte – ich durfte es ihm nicht verschweigen, da sicher der alte Mann ihm davon gesprochen hat. Aber wer kann mir beweisen, daß es nicht ein gleichgültiges Blatt, ein letzter Brief an mich war? Ist es doch nur an die Mutter adressiert!«

Er sann einige Augenblicke nach, dann machte er hastig eine Bewegung, als wollte er das Siegel brechen.

Aber er stand wieder davon ab.

»Nein,« sagte er leise, es ist besser, ich tu's verbrennen ungelesen. Wenn ich nicht weiß den Inhalt, kann es nicht beschweren mein Gewissen. Als der alte Mann gemacht hat das Testament, ist er gewesen bei vollem Verstand, wie kann bezeugen der Advokat. Wie kann ich davor, wenn er geändert hat seinen Sinn, – es war auch alles abgemacht, schwarz auf weiß. Ich kann nicht leiden darunter –«

Er hob die Hand und näherte das Kuvert, auf dem eine einfache Adresse von der zitternden Hand des Verstorbenen geschrieben war, der Flamme der Kerzen – aber es war, als ob mit dieser Bewegung der Schatten des alten Mannes sich drohend vor ihm erhoben – er sah sein runzelvolles blasses Gesicht, er fühlte den durchbohrenden Blick seiner Augen.

Der erhobene Arm sank nieder.

»Nein – es könnte mir verschwarzen die Hand,« murmelte er feig – »die ich legte an das Papier. Ich will es doch lieber öffnen – vielleicht ist es nicht schlimm und ich kann spielen den Großmütigen, indem ich zeige das Kodizill.«

Sein Entschluß schien gefaßt, er öffnete vorsichtig das Kuvert und ließ es auf den Nachttisch fallen. Dann schlug er den zusammengefalteten Bogen auseinander und begann hastig zu lesen.

Aber der Inhalt schien wenig seinen Beifall zu haben. Sein Gesicht verzerrte sich – seine Zähne knirschten und er ballte krampfhaft das Papier zusammen. »Gott soll mir vergeben die Sünde, der Narr, der Lump – will er mich noch betrügen im Grabe? Rückgängig der Verkauf, ich soll geben mein gutes Geld dem leichtsinnigen Weib, meiner Schwester? – Nimmermehr – nimmermehr!« und wieder hob er das Blatt nach der Flamme – die Erbschaft der Madame Schlesinger war sehr in Gefahr!

Aber – wiederum schien der Schatten zwischen ihn und den Frevel zu treten, da drüben, dort an der Tür stand es – die dunkle Gestalt mit dem weißen gespenstigen Gesicht; – die wenigen Haare, die der Hofbankier noch hatte, begannen sich zu sträuben und seine Augen quollen aus den Höhlen, wie er mit offenem Mund auf die Erscheinung starrte, die eine Bewegung machte –

»Ah!«

Sie hatte die Tür hinter sich geschlossen, sie wandte sich um – es war das Mädchen, Friederike –

Das Ah! kam wie ein Ruf der Freude aus seiner zusammengepreßten Kehle, es fiel wie eine schwere Last von seiner Brust.

»Ah – du bist's! Wie kannst du mich so erschrecken, einfältiges Ding!«

Das Mädchen blieb an der Tür stehen, ihr angenehmes Gesicht war blaß und verweint. Sie trug ihr gewöhnliches Hauskleid und ein großes dunkles Tuch um den Kopf geschlagen. In der Hand, mit der sie es zusammenhielt, hatte sie ein Papier – einen Brief.

»Sie haben es befohlen, Herr Cahn, sonst hätte ich Sie nicht gestört,« sprach sie leise. »Ich bitte Sie, darf ich wieder gehen?«

Er bedachte sich einen Augenblick. »Nein!« sagte er dann hart. »Ich habe mit dir zu reden. Riegle die Tür ab, und dann komm hierher! – Es hat dich doch niemand gesehen?«

»Niemand!«

Während sie sich umwandte, den Befehl zu erfüllen, faltete er das Papier in seiner Hand wieder zusammen und legte es vor sich auf den Tisch. Er bemerkte oder beachtete es nicht, daß die Zugluft bei der Öffnung der Tür das Kuvert, aus dem er es vorher so vorsichtig genommen, vom Rand der kleinen Marmorplatte niedergeweht hatte auf den Teppich vor dem Bett.

»Komm her!«

Das Mädchen kam langsam näher – es war, als hinge eine Zentnerlast bei jedem Schritt an ihren kleinen, nur mit Strümpfen bekleideten Füßen.

In kurzer Entfernung blieb sie stehen.

»Herr Cahn – haben Sie Mitleid mit mir! – Sie wollten mir Nachricht geben von meinen Eltern – von meinem alten Vater, von meiner Mutter! O mein Gott, welche Schande bringe ich über ihre weißen Haare!«

Der Hofbankier hatte sich halb aufgerichtet von seinem schwellenden Lager, seine vorstehenden Augen überflogen jetzt mit ganz anderem Ausdruck, als sie vorhin gezeigt, die schöne hohe Gestalt des Mädchens.

»Warum kommst du angezogen hierher, als wolltest du machen eine Visite außerm Haus? Ist das ein Kostüm für ein Uhr nachts und wenn man kommt zu einem guten Freund?«

Das Mädchen trat einen Schritt näher und warf sich auf die Knie vor dem Bett, indem sie die Hände flehend emporstreckte. Dabei fiel ihr Tuch von Kopf und Schultern und enthüllte die schöne Form des ersteren, das weiche Haar, das jetzt fessellos das hübsche blasse Gesicht umgab und auf die vollen Schultern niederfiel.

»Haben Sie Mitleid mit mir, Herr Cahn,« wiederholte sie flehend. »Sie wissen, zu was Sie mich gemacht haben, und warum ich es geworden bin. Was wollen Sie mir sagen von meinem Vater? ich ängstige mich so sehr!«

Der Hofbankier sah mit Vergnügen in die großen braunen Augen, die so nahe vor ihm flehend zu ihm erhoben waren. Er strich ihr das schöne braune Haar aus der Stirn und begann dann die Knöpfe des einfachen Kleides über der vollen Brust zu lösen, das sie züchtig bis hoch an den weißen Hals hinauf geschlossen trug.

Die Unglückliche ließ es schaudernd aber ohne Widerstand geschehen.

»Meine Eltern? Wie ist es mit ihnen?« sagte sie nur.

Statt der Antwort langte der Bankier nach dem Papier, das sie in der Hand hielt. »Was hast du da?«

»Einen Brief von meinem Bruder, dem Unteroffizier bei der Garde – Sie wissen ja von ihm!«

»So – und woher hast du den Brief bekommen.? Ich hab' ihn doch nicht bemerkt unter den Briefen, die der Johann holt alle Tage von der Post? Alle Briefe in mein Haus gehen doch durch meine Hand.«

»Herr Meier gab mir ihn vorgestern!«

»Ah! der Meier! – Und was schreibt dir dein Bruder?«

Das Mädchen reichte ihm den Brief. Der Bankier zog ihn aus dem Kuvert und überflog rasch den Inhalt.

Der Brief war in fester markiger Handschrift geschrieben. Er war nur kurz, aber wohl geeignet, das Herz des armen Mädchens mit Kümmernissen zu erfüllen.

Der Bruder schrieb ihr, daß er in letzter Zeit Vater und Mutter oft in auffallend trauriger Stimmung getroffen. Die alten Leute hätten ihm aber durchaus nicht sagen wollen, wodurch ihre Ruhe gestört sei. Es läge ihm schwer auf dem Herzen und so hielte er's denn für das Beste, sie gäbe ihren Dienst, in den sie ohnehin gegen seinen Willen gegangen, auf und kehre zu den Eltern zurück, um sie zu pflegen und aufzuheitern.

Der Hofbankier faltete den Brief wieder zusammen, legte ihn auf den Tisch und sah eine kurze Weile vor sich hin, während das noch immer vor dem Bett kniende Mädchen mit ängstlicher Spannung zu ihm empor sah.

»Also du will fort, nach Hause, nach Berlin?«

Ein ängstlicher Seufzer hob die entblößte Brust des Mädchens. »Ich möchte wohl,« sagte sie leise, »aber …«

»Du meinst deine Dienstzeit ist nicht um?« unterbrach sie der Bankier. »Aber das tut nichts – du kannst zu meiner Frau sagen, deine Mutter sei plötzlich krank geworden. Ich werde dafür sorgen, daß dir kein Hindernis gelegt wird in den Weg und du sollst den Lohn haben für das ganze Quartal und noch Reisegeld dazu, wenn du dich gut beträgst!«

»Aber meine Eltern, um Himmelswillen, gnädiger Herr – Sie wissen, was die alten Leute so schwer bedrückt! Wie ist es mit der Hypothek, Sie sagten mir heute abend, daß Sie eine schlimme Nachricht bekommen hätten.«

»Ja so! Das ist wahr. Laß uns die Geschichte einmal ausführlich besprechen. Aber komm herein zu mir – was liegst du hier auf den Knien und betest mich an wie das goldene Kalb?«

»Nein, nein! Ich beschwöre Sie – sprechen Sie!«

Das Mädchen war sehr schön in ihrer Angst, wie die zarte Farbe ihrer Wangen sich leicht rötete. Der Hofbankier tätschelte plump mit den kurzen dicken Fingern zwischen ihren weichen Haaren, auf dem vollen weichen Nacken, seine Augen fingen an, von lüsterner Gier zu funkeln.

»Warum ist dein Vater, der Schuhmacher Krause, auch so eigensinnig, das Haus, die alte Kajüte, behalten zu wollen,« sagte er. »Heutzutage wohnt ein kleiner Handwerker besser zu Miete.«

»Das Häuschen ist unsere ganze Habe,« stöhnte das Mädchen. »Wir beide sind darin geboren, auch der Vater, schon dem Großvater selig hat es gehört. Es würde der Tod des alten Mannes sein, wenn er es verlassen müßte.«

»Bah – das sind Narrheiten! Das verstößt gegen die Mobilisierung des Grundeigentums, und die moderne Nationalökonomie. Wenn der alte Schuster solche Schrullen hatte, hätte er keine Schulden darauf machen sollen.«

»Ich habe es Ihnen gesagt, Herr, die Hypothek ist noch aus der Kriegszeit, wo es den Bürgern so schlimm ging!«

»Ja, die erste, zu sechstausend Talern, und das mag die alte Bude wohl wert sein, wenigstens der Platz. Aber die zweite – die dreitausend Taler – das ist ein sehr unsicheres Geld und der Aaron Hirsch will nicht länger sein Geld stehen haben auf so unsicheren Füßen, wo er kann machen jeden Tag auf der Börse mit Vergnügen seine acht, zehn Prozent!«

»Barmherziger Gott,« stöhnte das Mädchen, »so wäre es wirklich wahr? Aber ich weiß, Herr Meier, der durch Ihre gütige Verwendung bei dem Unglück, das den Vater traf, das Geld vorschoß, hat regelmäßig seine Zinsen bekommen!«

»Fünf Prozent – lumpige fünf Prozent!«

»Es sind ja doch christliche Zinsen und mehr zu nehmen, wäre Wucher! Es wohnen ordentliche Leute in dem Hause, die pünktlich Miete zahlen und ich weiß, daß das Haus mehr wert ist, als daraufsteht, man hat dem Vater früher zwölftausend Taler dafür geboten.«

»Das muß lange her sein, – heutzutage ist das Geld rar,« sagte der Bankier, immer gieriger die Gestalt des Mädchens betastend und das Kleid gewaltsam von ihren Schultern zerrend, wogegen sie sich nur schüchtern zu sträuben wagte. »Jetzt ist eine zweite Hypothek ein unsicher Ding. Wenn nichts daraufstände auf dem Hause als die sechstausend, wollte ich nichts sagen, obschon man immer mehr verdienen kann mit seinem Geld. Häuser und Güterbesitzen, gehört nur für die reichen Leute.«

»Sie wissen so gut wie ich, Herr Cahn,« flehte das Mädchen, die zügellosen gierigen Hände des Hofbankiers mit tiefem Erröten zurückdrängend, – »daß der Vater nichts für das Unglück kann, das ihn vor zwei Jahren traf.«

»Nichts davor kann? – was braucht er zu sein ein Narr und sich zu verbürgen für andere Leut?«

»Es war ein Kriegskamerad vom Vater – sie haben zusammen geblutet in den großen Schlachten. Er stellte Kaution für ihn mit der zweiten Hypothek.«

»Ja – und als der saubere Herr Rendant plötzlich gemacht den Defekt und ihm gefehlt das Geld in der Kasse, hat der Freund, der Handwerksmann, bluten müssen für ihn und verloren die Hypothek.«

Das Mädchen starrte, die Hände ineinandergeschlungen, vor sich hin. »Gott im Himmel allein weiß es, wie das gekommen. Herr Hartung war ein so ehrlicher, braver Mann, der keinem Menschen auch nur einen Pfennig Wert entfremdet hätte. Ein halbes Jahr später wollte er in Pension treten und da hätten meine Eltern das Geld wiederbekommen – da geschah das Schreckliche – da fehlten die achtzehnhundert Taler – es war ein Glück, daß Gott den alten Herrn bald zu sich nahm – er überlebte es nur wenig Tage!«

»Ein Glück – du hast recht – sonst hätt' er doch geendet im Zuchthaus!«

Noch immer beharrte das Mädchen in ihrer Stellung. »Der arme Fritz,« flüsterte sie.

»Fritz? wer ist Fritz?«

»Sein unglücklicher Sohn, Herr!«

»Ah – der Lüderjahn! der wahrscheinlich gestohlen hat seinem Vater das Geld und dann auf und davongegangen ins Weite.«

Diesmal flammten die Wangen des Mädchen purpurn auf und ihr sonst so sanftes Auge blitzte wie drohend auf den Bankier. »Das ist nicht wahr, Herr – Fritz war kein schlechter Mensch, kein Dieb – wenn er auch seinem Vater schweres Herzeleid gemacht hat, weil er der neuen Zeit anhing und Achtundvierzig schon als Knabe mit dem Volk auf den Barrikaden gefochten hat. Ich weiß es wie heute noch, als sie ihn in unser Haus brachten mit dem Hieb über die Stirn – das Gesicht mit Blut überströmt. Ich war damals ein zehnjähriges Kind und meine Tränen vermischten sich mit seinem Blut. Nein, nein – der Fritz war kein Dieb!«

»Schau,« sagte der Bankier spöttisch, »das Jüngferchen wird ja ordentlich beredt, wenn es die Verteidigung gilt von dem Taugenichts, seinem Jugendfreund. Vielleicht gar so 'ne kleine Amorschaft, he?«

»Was ich auch für ihn gefühlt haben mag,« sprach das entwürdigte Mädchen mit einem tiefen Ernst, indem sie sich mit einer hastigen Bewegung der Berührung des Bankiers entzog – »das ist eine Sache zwischen mir und Gott und vorbei für diese Welt. Sie, Herr, wissen das am besten. Als ich vor zwei Jahren in Ihr Haus kam, da war ich rein und seiner Liebe noch würdig, obschon ich gerade, um ihn zu meiden, das väterliche Haus verließ und in Dienst ging, weil schon damals der Erwerb der Eltern gering war und ich nicht untätig ihr Brot essen wollte. Bald darauf geschah das Unglück – die ältesten Kinder des Herrn Hartung, um deren Erziehung er gedarbt hatte, damit sie etwas werden sollten im Leben, der Geheimsekretär und die reiche Rentierfrau – sie weigerten sich, die Schuld zu bezahlen und die Kaution einzulösen nach dem Tode des Vaters. Damals war es, wo der jüngste Bruder nach einem schrecklichen Streit mit seinen Geschwistern aus und davonging in die weite Welt. Aber ein Dieb ist der Fritz nicht gewesen; – und nun Herr, sagen Sie mir, was ist es mit meinen Eltern, was ist es mit der Schuld?«

»Du weißt, daß ein Geschäftsfreund von mir in Berlin, der Herr Aaron Hirsch übernommen hat die Hypothek auf meine Bitte, damit das Haus nicht verkauft wurde von der Behörde, die haben mußte ihre Kaution. Ich wollte dir zeigen, daß ich besitze ein weiches Herz, das nicht widerstehen kann den Tränen aus ein Paar hübschen Augen, wie sie stehen in deinem Gesicht.«

Das Mädchen schauderte zusammen. »Ja – ich weiß es, ich habe es teuer genug erkauft! Als damals die Mutter mir schrieb voll Verzweiflung und Jammer – und meinte, ich hätte ja einen so reichen Herrn, der vielleicht ein gutes Werk tun würde an ehrlichen Leuten, wo er nichts zu riskieren hätte, sondern gute Sicherheit und ehrlichen Zins, da bat ich Sie auf meinen Knien darum, hier in diesem Zimmer; denn ich wußte, daß es der Tod des Vaters sein würde, wenn er das Haus verlassen müßte. Und dennoch …«

»Hab' ich nicht gleich getan nach deiner Bitte?« unterbrach sie der Hofbankier hastig, – »hab' ich etwa eine Belohnung dafür gefordert, daß ich getan ein gutes Werk und bewogen meinen Freund Aaron Hirsch, zu kaufen die zweite Hypothek?«

»Damals nicht,« sagte sie schaudernd – »aber die Zeit sollte kommen! O gewiß, Vater und Mutter hätten lieber ihr graues Haupt auf einen Stein in der Heide gebettet unter Gottes freiem Himmel, als das sie zugelassen hätten, womit ich ihre Ruhe später erkaufen mußte!«

»Was kann ich dafür,« meinte Herr Moritz Cahn philosophisch, »daß der Aaron Meier ist ein strenger Geschäftsmann, der sieht auf seinen Vorteil. Er hat gekauft die zweifelhafte Hypothek teuer genug!«

»Ja – für weniger als zwei Dritteil ihres Wertes! Und wäre es nur das gewesen – aber der Vater mußte überdies einen Wechsel ausstellen auf die ganze Kaufsumme, der alle Vierteljahre erneuert werden sollte. Ich verstehe nicht viel von dergleichen Dingen, aber es scheint mir denn doch, daß das nicht nötig war, wo er die Hypothek selbst hatte, und daß doppelte Zinsen Wucherzinsen sein müssen, die göttliche und menschliche Gesetze verbieten.«

Der Hofbankier zuckte die Achseln. »Was verstehen die Weiber vom Geschäft! Die Wuchergesetze sind ein Unsinn, sie werden auch einmal abgeschafft werden in Preußen über kurz oder lang. – Man kann es dem Aaron nicht verdenken, wenn er will haben doppelte Sicherheit für sein Kapital und nicht Schaden leiden an den Zinsen. Freilich – er ist mitunter zu hart!«

»Warum kauften Sie damals nicht selbst die Hypothek, wie ich Sie bat, da Sie doch ein so reicher Herr sind?«

Herr Cahn schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich mache niemals ein Geschäft in Hypotheken,« sagte er. »Das ist gegen mein Prinzip im Handel und Wandel. Aber nun komm hierher – ich hab' es satt, und mach' keine Sperenzien, die nicht mehr am Ort sind zwischen uns, oder es sollte mir leid tun um deine Eltern!«

»Meine Eltern? Sprechen Sie, Herr Cahn – ich beschwöre Sie!« Sie hatte sich unwillkürlich hastig wieder dem Bett genähert. Der Bankier ergriff sie an dem halb entblößten Arm und zog sie mit Gewalt zu sich auf das Bett, wo er wie ein wildes Tier über die Unglückliche herfiel.

»Der Aaron Meier,« keuchte er – »hat gekündigt die Hypothek, er will haben sein Geld – die Klage ist beim Gericht –«

Ein Jammerschrei des Mädchens antwortete ihm.

»Wenn du bist vernünftig, will ich helfen noch einmal – Still! Mach' mich nicht bös – Dein Vater ist ruiniert, wenn ich will – –«

Ein halb erstickter Seufzer war die einzige Antwort –

Es war ein schauriges Schweigen in dem Gemach – kein Wort weiter – nur zuweilen ein röchelndes Stöhnen.


Eine halbe Stunde darauf – nur eine der Kerzen brannte noch – die andere war umgestürzt auf den Boden gefallen und hatte ein Loch in den kostbaren Teppich gesengt – erhob sich das Hausmädchen von dem Lager des Hofbankiers. Sie war noch blässer denn vorhin, als sie eintrat. Schweigend, zuweilen wie von einem Frost durchschauert, legte sie die halb zerrissenen Kleider wieder an.

Herr Moritz Cahn hatte sich auf den Ellbogen gestützt, er atmete schwer – die Glotzaugen lagen jetzt in tiefen Höhlen.

»Verlaß dich drauf, Kind – ich werde sorgen noch einmal dafür, daß dem Alten nichts passiert,« sagte er schwach. »So – Riekchen, wenn du bist fertig, geh' dahin zu dem Wandschrank neben meinem Sekretär und mach' auf die Tür. In dem mittelsten Fach steht eine Karaffe – bring' sie her und ein Glas!«

Das Mädchen gehorchte schweigend. Sie setzte die mit rubinglühendem Burgunder gefüllte Kristallflasche auf die Platte des Nachttisches vor den Hofbankier, der mit zitternder Hand einen Pokal von venetianischem Glase füllte und ihn ohne abzusetzen austrank.

Der feurige Wein schien seine erschlafften Nerven wieder zu beleben.

Er füllte den Pokal noch einmal zur Hälfte, trank noch einen Schluck und reichte das Glas dann dem Mädchen.

»Da – trink!«

Sie wies schweigend den Trank zurück und fuhr fort, sich anzukleiden.

»Dummes Ding – was soll die Ziererei! – Na, wie du willst. Du wirst also morgen oder übermorgen nach Berlin zurückkehren. Ich besuche dich dort einmal.«

Friederike schlug die Hände vor das Gesicht, ihre Tränen drangen heiß durch die schlanken Finger.

Endlich ließ sie, erschöpft von ihrem Schmerz, die Arme sinken.

»Ach Herr Cahn – wie soll ich nach Hause zurückkehren zu meinen unglücklichen Eltern – denen ich meine Schande nicht verbergen kann? Sie wissen nicht, wie unglücklich Sie mich gemacht haben. Ich fürchte, ich bin – –«

Er ließ sie nicht ausreden. Er griff hastig nach seinen Beinkleidern und zog aus der Tasche das Portemonnaie, das er öffnete.

»Dummheiten,« sagte er – »da hier nimm, es ist das Reisegeld, es sind zwei Louisdor, – das Agio steht fünfzehn ein Halb! – Hier, nimm deinen Brief und geh' – es ist schon spät!«

Sie ließ das Geld auf dem Tisch liegen, auf den er es gelegt, und griff nur nach dem Brief ihres Bruders, des wackeren braven Soldaten, der nicht wußte von der Not der Eltern, die sie allein kannte durch die Mutter, – am wenigsten von dem schrecklichen Opfer, das sie gebracht. Ihr Fuß trat auf ein Papier am Boden, sie hob es auf, das Kuvert ihres Briefes, und schob es mit dem Brief in den entweihten Busen.

Der Hofbankier hatte ihr gleichzeitig zugesehen, plötzlich schien ihm eine gute Idee zu kommen.

»So,« murmelte er – »das geht – es ist nicht meine Hand, die treffen würde am Ende ein Fluch! – Du kannst mir noch einen Gefallen tun, Kind,« sagte er laut, »damit ich nicht erst aufzustehen brauche vom Bett. – Hier, nimm diese Papiere und das Licht« – er zog das Kodizill des Vaters, das er bei ihrem Eintritt unter dem Leuchter geborgen, unter diesem hervor, überzeugte sich, das es das richtige Papier war und drückte es ihr, mit dem nebenliegenden Kuvert zu einer Kugel zerknüllt, in die Hand. »Tu' mir den Gefallen, und verbrenne das, ehe du gehst, da drüben dort in dem Kamin.«

Sie sah ihn etwas überrascht an, fügte sich aber in das seltsame Verlangen. Die Augen des Bankiers verließen ihre Hand mit dem Papier nicht einen Moment, wie sie zu dem offenen feuerlosen Kamin ging, sich niederbeugte, das Papier an der Flamme der Kerze von mehreren Seiten anzündete und es zwischen die Stahlböcke warf, wo es rasch zu leichter Asche verbrannte.

Erst als er sich davon überzeugt, atmete er hoch und schwer aus.

»So – schön Dank! Nu kannst du gehen, Kind!«

»Sie wandte sich ohne Gruß, das Tuch wieder um den Kopf geschlagen, nach der Tür. Erst dort blieb sie stehen und kehrte sich, ehe sie den Riegel zurückschob, wieder nach dem Mann um, der bereits behaglich sich auf seinem Lager dehnte.

»Herr Cahn – gnädiger Herr – erfüllen Sie mir eine Bitte!«

»Was ist's? Du hast liegen lassen das Geld – ist's der Prinzessin nicht gewesen genug zur Fahrt nach Berlin?«

»Ich will nicht Ihr Geld, aber …«

»Nu?«

»Bitte, – begleiten Sie mich bis an die Treppe und bleiben Sie dort stehen, bis ich durch den Gang an dem Kontor vorüber bin.«

»Du bist meschugge, Mädchen! Ich soll hinausgehen im Hemd an die zugige Treppe und mir holen den Schnupfen? Was ist das für eine verrückte Idee – was soll das bedeuten?«

»Herr Meier könnte mich sehen, er ist so oft auf in der Nacht!«

»Unsinn! Du bist nicht gescheut! Und dann sollte ich mich etwa kompromittieren vor dem buckligen Schuft! – Der Meier liegt längst in den Federn, es ist alles still im Haus. Wenn dich einer bemerkt, – was schadet's – du kannst sagen, daß du kommst von der Frau oder den Leichenwächtern – aber ich … Ich bitt' dich, mach, daß du kommst fort!«

Er legte sich zurück zwischen die Daunen und griff nach dem silbernen Löscher, um ihn auf die Kerze zu stülpen.


Die Tür öffnete sich leise, ein kurzer Lichtstrahl fiel hinaus auf den Flur und in ihm wankte das unglückliche Opfer der Luft und der Verräterei des reichen Mannes hinaus. Das Gesicht des armen Mädchens war totenbleich, große schwere Tränen rannen über ihre Wangen, als sie so, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen, mit trostlosem Blick hinaus starrte in das Dunkel des Treppenflurs.

Hinter ihr klang der Ton des Vorschiebens eines Nachtriegels. Das weckte sie aus ihrer Erstarrung. Sie schauderte zusammen und lauschte dann ängstlich umher, aber nichts rührte sich in dem stillem Hause, alles schien in festem Schlaf – ihre Schuld und ihr Elend hatte keine Zeugen.

»Allmächtiger Gott – wie soll das enden? Es bleibt mir nichts als der Tod!«

Leise, unhörbar, schlich sie bis an das Geländer der Treppe, faßte es mit der Hand und glitt auf den teppichbelegten Stufen geräuschlos hinunter. Die Unglückliche – sie mußte den entsetzlichen Weg schon oft gemacht haben, – denn sie hatte Übung darin …

Auf der untersten Treppenstufe blieb sie lauschend stehen – sie wußte, daß sie den schlimmsten Teil noch zu machen hatte, denn ihr Weg führte an den Kontors vorbei durch einen Korridor nach dem Hinterflügel des Hauses, wo im Halbgeschoß ihr kleines Zimmer lag.

Ein tiefer Atemzug der Befriedigung glitt über ihre Lippen, nirgends war eine Spur von Lichtschein, nirgends ein Geräusch. Das arme Mädchen trug keine Schuhe, auf den Strümpfen war sie den traurigen Gang geschlichen. – jetzt eilte sie mit beflügeltem unhörbarem Tritt den Korridor entlang; noch wenige Schritte und sie war am Fuß der schmalen Stiege, die hinauf zu ihrer sicheren Kammer führte.

Plötzlich stieß sie einen halblauten Ruf des Schreckens, des Entsetzens aus.

»Still, Närrchen!«

Eine kalte feuchte Hand hatte die ihre erfaßt, gerade über dem Gelenk und zog sie an sich.

»Du tust doch sein ein undankbares Geschöpf, daß du nicht willst geben wenigstens das Dessert von der Tafel an einen guten Freund,« flüsterte eine widerliche süße Stimme. »Kommen Sie herein, Riekchen – der Herr Hofbankier ist heute gewesen sehr ungenügsam – hab' ich doch schon lange gewartet auf Sie!«

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, Herr Meier, lassen Sie mich gehen!«

»Unsinn, Kindchen, Unsinn! Der bucklige Meier hat bei Tage kein Glück bei den Schickselchen – soll er sich entgehen lassen das Vergnügen, was er kann haben bei Nacht umsonst bloß für sein Schweigen, und daß er nichts gehört hat und nichts gesehen? – Oder« – fuhr der Verwachsene mit drohenderem Tone fort – »soll ich vielleicht rufen laut, wer da umherschleicht durch den Gang, daß der Johann und der Hausknecht erwachen und Sie sehen? Dann können Sie geben Antwort und sich verdefendieren, was Sie gemacht haben oben im ersten Stock um ein Uhr in der Nacht. Nun – wie ist's?«

Er hatte ihre Hand losgelassen, – sie hätte fliehen können, aber sie blieb stumm, bebend stehen.

Wieder hatte er ihren Arm gefaßt und zog sie in die geöffnete Tür seines Schlafzimmers, das sich neben dem Kassenzimmer und den Kontors befand. Mechanisch folgte sie ihm, nur ein Schluchzen der Verzweiflung drang aus der Tiefe ihrer Brust.

Als der verwachsene Buchhalter die Tür geschlossen, den Schlüssel inwendig umgedreht und in die Tasche seines alten Schlafrocks gesteckt hatte, ging er nach dem Tisch, und man hörte ihn ein Zündholz nehmen.

Aber die Hand des Mädchens faßte jetzt seinen Arm.

»Nein! kein Licht,« sagte sie dumpf. »Nehmen Sie mich, wenn es denn nicht anders sein kann und Sie die Gewalttat verantworten wollen an einem unglückseligen Geschöpf – aber das Licht ersparen Sie mir, das meine Schande und meine Sünde bescheint. Ich wollte, ich läge, wo die Spree am tiefsten ist!«

»Närrchen, das Sie sind! Wir könnten leben so gut zusammen und so vergnügt – Sie und Moritz Cahn und Kompagnie. Ich schwör's Ihnen, so soll es in Wirklichkeit heißen, eh' ein Jahr vergeht!«

Es folgte eine Szene, so schrecklich und empörend, daß die Feder den Dienst weigert, sie näher zu beschreiben.


Als nach einer halben Stunde Friederike Krause, die Tochter des alten Schuhmachermeisters in Berlin, des Veteranen von 1813 – das Hausmädchen im Hause des reichen fürstlichen Hofbankiers – wieder an der Tür des Zimmers stand, in das sie der verwachsene Buchhalter gezerrt hatte, waren ihre Tränen versiegt – eine gewisse finstere Abgestumpftheit gegen Schmerz und Schmach hatte sich ihrer Seele bemächtigt.

»Geben Sie den Schlüssel, Herr Meier, oder schließen Sie selbst auf! – Gott sei Dank, es ist das letztemal, morgen verlasse ich dies Haus!«

Der kleine Buchhalter in seinem adamitischen Kostüm war ihr gefolgt. »Wie, Mamsell Riekchen, sagte er nicht ohne Teilnahme, – »Sie wollen fort?«

»Der Herr Hofbankier hat es mir endlich gestattet heute Nacht,« sagte sie ruhig, indem sie seine letzten Zärtlichkeiten unwillig von sich abschüttelte. »Ich bitte, lassen Sie mich – Sie und er haben ihr Teil erhalten, was wollen Sie noch mehr von mir? – Sie wissen, was mich ins Verderben gebracht hat – dort oben, und hier unten, – hoffentlich bald noch tiefer! – Ich möchte meine Eltern gern noch einmal sehen – der Herr Hofbankier hat mir gesagt, daß sein Freund, der Herr Hirsch in Berlin, die Hypothek nicht mehr länger stehen lassen wolle, – daß er ihn höchstens noch bewegen könne zu einem Termin.«

Der kleine bucklige Buchhalter schwieg einige Augenblicke. »Es tut mir leid, Mamsell Riekchen,« sagte er dann. »Beim Gott Abrahams, – ich wollt', ich könnt' helfen selbst Ihrem Alten, denn es ist keine Gefahr bei dem Geschäft, aber ich hab' Unglück gehabt an der Berliner Börse mit den Amerikanern und muß mich erst wieder raffen empor. – Bleiben Sie noch einen Augenblick! – Es ist vielleicht nicht recht, was ich getan habe an Ihnen, aber was wollen Sie, jeder muß benutzen sein Kapital, sei es Geld oder sein Witz, um zu gewinnen und sich zu machen das Leben angenehm. Was wollen Sie, glauben Sie, daß der kleine Meier nicht auch hat Blut? Ich wär' gewesen ein Narr, wenn ich mir die Entdeckung mit dem Herrn Cahn nicht hätte gemacht zu Nutzen. Aber ich bin gewesen erst der zweite, – nicht der erste, und – so wahr ich lebe – ich möchte nicht sein der erste! – Wenn der Herr Moritz Cahn helfen will, kann er's selbst am besten. Er läßt mich zwar nicht leicht sehen in seine Privatgeschäfte in Berlin – aber glauben Sie denn wirklich, daß der Herr Aaron Hirsch gekauft hat die Hypothek von seinem Geld? Der Aaron Hirsch ist doch wie Wachs in der Hand vom Herrn Cahn.«

»Ich dachte es mir fast,« sagte sie leise, »aber ich habe nicht geglaubt, daß die Menschen so schlecht sein könnten, daß man sich eine Wohltat bezahlen lassen könnte mit dem Unglück eines armen Geschöpfes.«

»Handel und Wandel,« meinte Herr Meier philosophisch. »Aber ich will Ihnen was sagen, Mamsell Riekchen, – wenn ich auch nicht bin viel besser, wie der Herr Cahn, bin ich doch noch nicht ganz so schlimm. Ich habe gehabt ein Paar schöne Stunden durch Sie, wozu sonst nicht kommt ein Mensch wie ich, und die ich behalte in der Erinnerung, wenn es auch gewesen ist Unrecht und für Sie Leid und Verdruß. Wenn morgen – oder vielmehr heute – eröffnet wird das Testament, bin ich nicht mehr abhängig vom Herrn Cahn und kann tun, was ich will. Ich werde kommen nach Berlin und mich überzeugen von dem Wert vom Haus, und wenn Ihr Vater geben will sieben Perzent, werd' ich nehmen die Hypothek für fünf Jahr. Wenigstens will ich sorgen dafür, daß nicht doppelt bezahlt wird die Hypothek und der Wechsel, das ist eine faule Geschichte. Apropos – da ist noch gekommen mit der Abendpost ein Brief für Sie – ich hab' ihn an mich genommen aus der Posttasche ehe sie durchsieht der Herr Cahn – nehmen Sie und jetzt gehen Sie fort!«

Er hatte ihr leise die Tür aufgeschlossen und griff nach ihrer Hand – sie ließ sie ihm einen Augenblick, es war etwas in den Worten des kleinen verwachsenen Juden gewesen, was doch wie ein Tautropfen gefallen war auf ihr gebrochenes erstarrtes Herz.

Dann schlich sie ebenso leise hinaus und die schmale Stiege hinauf zu ihrem Zimmer.

Der kleine Jacob Meier zündete sich ein Licht an, um sein Lager wieder in Ordnung zu bringen für die Stunden der Nacht, die ihm noch blieben, und murmelte dabei verschiedene Dinge in den Bart.

Als er sich dabei umwandte, fiel sein Auge auf zwei Papiere am Boden – es war der Brief des Unteroffiziers von der Garde und das Couvert, die das Mädchen, nachdem ihr Peiniger das Schreiben gelesen, droben unter ihr Brusttuch geschoben hatte.

»Sie hat verloren ihren Brief – ich bin doch gewesen zu ungestüm mit ihr!« Die bezeichnende Neugier seines Volkes bewog ihn, die Papiere näher einzusehen, zuerst hielt er, um sich zu überzeugen, daß der Brief auch an das Mädchen sei, das Couvert ans Licht, aber er hatte kaum einen flüchtigen Blick darauf geworfen, als er aufschrak, das Couvert dichter zum Licht hielt und die Aufschrift mit größter Aufmerksamkeit las.

»Soll mich Gott – was ist das – überschrieben an die alte Frau – ›zu eröffnen nach meinem Tod!‹ – und hier – das Siegel ist gebrochen, aber ich tu' kennen das Petschaft – was der alte Mann immer gehabt hat an seiner Uhr! – Ich will verschwarzen, wenn es nicht ist das Papier, das der Moritz Cahn heute genommen hat aus den Kissen vom Bett, als der Alte ist gestorben, und das er mir gezeigt hat nachher. – Es ist gewesen darin das Codizill, nach dem gesucht hat vergeblich die Marianne – und richtig –« er hatte es sorgfältig auseinandergeschlagen – »hier steht's geschrieben von der Hand des alten Mann's auf der innern Seite, deutlich und klar: ›Ein Codizill zu meinem Testament, zur Nachachtung für meine Erben!‹ Richtig – so steht's – wie kommt die Friederike dazu, denn das hier ist nicht das richtige Papier, das ist ein Brief von dem Kriegsmann, ihrem Bruder.«

Er dachte einige Augenblicke nach, aber die Lösung des Rätsels lag für ihn sehr nahe.

»Es kann nicht anders sein – sie war oben bei ihm, sie hat ihm vielleicht gezeigt den Brief und verwechselt durch einen Zufall die Couverts.« Sein scharfer Verstand, seine schlaue Kombinationsgabe erriet sofort den richtigen Hergang. »Bei dem Gotte Abrahams und Jakobs, meines Ältervaters – der Herr Hofbankier Moritz Cahn und Comp. ist in meiner Hand, wenn es gilt zu beweisen, daß vorhanden gewesen ein Codizill. Aber was heißt? Warum soll ich sprechen davon eh' ich weiß, was steht in dem Testament Gutes vor mir? Der alte Cahn war ein boshafter Mensch, er könnte ebenso gut zunichte gemacht haben meine Aussichten durch das Codizill! – Wenigstens will ich sprechen mit dem Mädchen, damit ich kann beweisen, woher ist gekommen das Couvert! Es kann auch gut sein für sie!«

Er hüllte die verschrobenen Glieder wieder in den alten schmutzigen Schlafrock und öffnete, nachdem er sein Licht ausgelöscht, leise die Tür. Es war das erstemal, daß er es wagen wollte, an die Schlafzimmertür der Unglücklichen zu pochen. Aber er hatte kaum die Schwelle des eigenen übertreten, als er einen Laut, wie einen entfernten Schrei und dann einen dumpfen Schlag hörte. Es wurde ihm unheimlich dabei in dem finstern Korridor – er fürchtete, daß Personen im Hause bereits wach sein müßten, vielleicht im andern Seitengebäude, wo der Tote lag, und er schlüpfte eiligst wieder in seine Stube, die er sorgfältig verschloß, worauf er in das Bett kroch und über die Ereignisse des Tages und der Nacht nachdachte. – – –


Jener leichte aber schrille Schrei – jener Schlag war aus dem kleinen ofenlosen Zimmer des unglücklichen Mädchens gekommen, das ziemlich abgesondert lag und das sie allein bewohnte. Als sie sich zurückgeflüchtet dahin von dem traurigen Wege, den sie diese Nacht gegangen, sank sie erst an ihrem ärmlichen Bett nieder, über dem, wie sie wußte, ein Paar Photographien ihrer alten Eltern hingen, drückte das Gesicht in die Kissen und schluchzte laut. Erst nachdem längere Zeit die bitteren Tränen ihrem Herzen Luft gemacht hatten, erinnerte sie sich des erhaltenen Briefes, machte Licht und las ihn.

Es war eine ungelenke, grobe Handschrift, sehr unorthographisch, aber sie kannte sie wohl. Sie war die ihres Vaters.

Schon die ersten Sätze machten sie erbeben. Der alte Schuhmacher schrieb:

 

»Geliebte Tochter! mein gutes Kind!

Gott der Herr hat jedem Menschen seine Zeit zugemessen auf Erden! Deine Mutter und ich glauben, daß die unsere gekommen ist. Weine nicht darüber, wenn es geschieht – unser Segen wird immer mit Dir sein, mit Dir und dem Wilhelm. Wir hätten Dich gern noch einmal gesehen vor unserem Ende, aber es würde uns doch das Herz zu schwer machen. Der arme Junge – es wird ihn schwer treffen, wenn er hört, daß das Haus, in dem er geboren, versubhastiert werden soll – hoffentlich gibt es, wie es schlimme und böse Menschen gibt, auch noch gute Menschen, die ein Gebot tun, von dem Euch was übrig bleibt. Denn wenn es auch klein ist, so ist die Gegend doch gut, der Laden vorn zahlt dreihundert Taler Miete und wir hätten es oft gut verkaufen können. Zu den schlimmen Menschen gehört sicher der Herr Aaron Hirsch. Aber vielleicht braucht er wirklich sein Geld und ich tu' ihm Unrecht und das möcht' ich doch gern keinem Menschen tun vor dem großen Wege, der vor uns liegt. Aber Du wirst einsehen, daß wir unmöglich erleben können, wie es in den vielen Zeitungen steht und im Gericht in der Jüdenstraße, daß das Haus des alten Schuhmachermeisters und Unteroffiziers Krause öffentlich verauktioniert wird, weil er seine Schulden nicht bezahlen kann. Das ist doch gar zu schwer, nachdem man so lange redlich und ehrlich gelebt und gearbeitet hat. Aber die Zinsen waren zu hoch für die Hypothek und den Wechsel, alles doppelt gegen ehemals, und das Geschäft ging schlecht, da ich nicht mehr recht fort kann mit der Arbeit und der Aufsicht über den Gesellen von wegen meiner Augen. So ist es denn vielleicht das Beste für Euch und uns.

Und so leb' denn wohl mein Kind und tröste den Wilhelm, der unsere Lage nicht kennt, wie du, denn ich hab' es ihm immer verheimlicht. Gott segne Dich dafür, was Du getan durch Deinen guten Herrn, das Unglück wenigstens so lange als möglich aufzuschieben, und der Himmel lohne es auch ihm und allen, die Dir Gutes getan. Und jetzt, liebes Kind, liegt mir noch etwas schwer auf dem Herzen, das ist, daß ich hart gegen Dich war mit dem Fritz Hartung, weil er ein Demokrat geworden und seinem alten Vater Kummer machte, und mir auch. Denn ich hatte den Jungen gern, wie er klein war und er hätte sich sollen ein Beispiel nehmen an dem Wilhelm in der Treue für unseren König. Aber jetzt, vor dem letzten großen Marsch in die Ewigkeit, sieht man das Ding doch anders an, nicht wegen der Treue und dem Gehorsam, denn die müssen bleiben, so wie für Gott, so für den König, denn sie halten die Welt zusammen. Aber es mag unter dem vielen schlechten Gesindel doch auch gute Demokraten geben, die nur mit manchen Gesetzen und Einrichtungen nicht zufrieden sind, zum Beispiel, daß man einem ehrlichen Mann, der redlich die Zinsen bezahlt und noch mehr, das Haus überm Kopf wegnehmen kann. Ich will daher niemand verdammen wegen seiner Meinung, mit der es ist, wie mit der Religion. Wenn daher der Fritz Hartung wieder kommen sollte – sie sagen, er sei in Amerika, – und ist sonst ein ehrlicher Mann geblieben, so hast Du unseren Segen dazu, und Deine Mutter, die arme Frau, die mich nicht allein läßt im Leben wie im Sterben, denkt wie ich. Und nun liebe Tochter, leb' wohl, denn ich hab' seit meiner Jugend keinen so langen Brief geschrieben wie diesen und alle Dinge haben ihr Ende, nur Gott nicht, auf dessen Gnade wir hoffen, ich und Deine Mutter, die neben mir sitzt und weint. So lebe denn wohl, bis wir uns wiedersehen am Tage der Verheißung und unser Segen sei mit Dir jetzt und immerdar – in Ewigkeit! Amen!«

Verschwommene Flecken mit verlöschter Dinte standen unter dem Brief – – sie hatte ihn gelesen, mit unendlicher Kraft – bis zu Ende, und mit einem schrillen, aus der Tiefe ihrer zerrissenen Seele quellenden Schrei fiel sie ohnmächtig auf den Fußboden der kalten Kammer.



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