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(Fortsetzung.)
Der tolle Irländer hatte auf seiner Flucht vor erneut schönen Mädchen mit 20 000 Lstr. am nördlichen Ausgange der Stadt den Renner angehalten, dessen Muskeln er bereits so schwer erprobt, und erwartete seinen Wegweiser, der endlich im gemütlichen Trabe seines Maultiers ankam.
»Bei San Patrik, Signor Tonelletto, Sie nehmen sich Zeit!« meinte der Irländer.
»Eile mit Weile, Signor Uffiziale! Offizier. Diejenigen, die im Galopp beginnen, kommen nicht immer im Trabe an, obschon ich damit nicht sagen will, daß ich Euer Exzellenz den Sprung über den Wagen hinweg auf Kosten meines Genicks nachmachen möchte. Sie reiten da ein Pferd, das Sie durch die ganze sardinische Armee hindurchtragen mag, ohne daß einer der Schufte auch nur den Schweif fassen kann.«
Wie jeder Reiter fühlte sich auch der neue Leutnant geschmeichelt bei dem Lob seines Pferdes und gewann dadurch größeres Vertrauen zu feinem Begleiter als bisher.
»Ich habe in Galway wohl noch andere Stücke gemacht, Signor Brigante, als den kleinen Sprung von vorhin, aber man muß erst sein Tier kennen. Und nun, Amice, wollen wir uns verständigen, ehe wir weiter reiten; denn ich weiß gern, woran ich mit den Leuten bin.«
» Per Baccho, – das ist auch meine Meinung!«
»Nun denn – Ihr wißt, wohin meine Bestimmung lautet?«
»Ich habe den Auftrag, Euer Exzellenz sicher und noch diese Nacht nach Ancona zu bringen, – das heißt, wenn es Gott und die Heiligen gestatten.«
»Ich glaube nicht, daß sie viel dawider haben werden! – Kennt Ihr den Inhalt meines Auftrags, Signor Tonelletto?«
»Nein, Signore, indes ich denke mir, daß er für den morgenden Tag von Wichtigkeit sein muß, sonst würde man Euer Exzellenz und mich nicht gewählt haben, unsere Haut zu Markte zu tragen.«
»Das muß jeder Soldat. Ich muß Euch sagen, daß ich mit der Gegend gar nicht bekannt bin und höchstens weiß, daß Ancona nach Norden und an der Küste liegt, und daß zwischen uns und der Festung Herr Cialdini mit seiner Armee steht. Welchen Weg werden wir nehmen?«
»An der Küste entlang bis Umala.«
»Denkt Ihr, daß wir dabei auf die Posten der Piemontesen stoßen?«
»Die Burschen verdienten, bei den Beinen aufgehängt zu werden, wenn sie ihre Schildwachen nicht bis an das Meer ausgedehnt hätten; indes hoffe ich, daß ihrer dort nur wenige sein werden, da der Weg für eine Armee allzuschwer zu passieren ist.«
»Gut! so laßt uns vorwärts reiten.«
Der Brigantenchef legte jedoch die Hand auf den Zügel seines Pferdes.
»Noch einen Augenblick, Exzellenza! Sie haben Ihre Fragen getan, jetzt möchte ich einige an Sie richten; denn Sie wollen bedenken, daß, wenn ich auch nur ein armer Bandit bin und Sie ein Offizier und Nobili sind, mein Leben mir doch gerade so viel gilt, als Ihnen das Ihre!«
Der Irländer lachte. »Meister Tonelletto,« sagte er, »bei dieser Annahme würden Sie sich schlecht stehen. Wir Galwaier sind gewöhnt, unsern Hals für einen Fuchsbalg oder eine bloße Laune jede Stunde aufs Spiel zu setzen.«
»Das mag sein, die Kugel des dümmsten Sbirren Seiner Heiligkeit kann auch den besten Capitano töten! Was ich zunächst fragen wollte, ist: vertrauen mir Euer Exzellenz?«
»Ich sehe nicht ein, was ich anderes tun könnte? Es scheinen dies klügere Leute als ich getan zu haben, und man hat mir keine Wahl gelassen.«
»Das meine ich nicht. Ich frage, ob Euer Exzellenza nicht dienstlich, sondern persönlich volles und festes Vertrauen zu mir haben wollen?«
Der junge Offizier bedachte sich einige Augenblicke, ehe er antwortete. »Signor Tonelletto,« sagte er endlich, – »Sie werden begreifen, daß ich mich eigentlich da in einer etwas kitzlichen Lage befinde. Ich sehe Sie zum erstenmal in meinem Leben und der Ruf, in welchem die Herren Briganti bei uns stehen, ist eben nicht der beste.«
»Euer Exzellenza irren; wir sehen uns nicht zum erstenmal!«
»Bei Sankt Patrik, daß ich nicht wüßte!«
»Wir haben uns vor vier Wochen in Rom gesehen!«
»In Rom? ich war nur fünf Tage dort!«
»Lange genug, um sich in einen schlimmen Handel zu verstricken. Erinnern Euer Exzellenz sich des Abends in einer Osteria des Monte Capitolino?«
Der Irländer fuhr betroffen zurück. »Was wißt Ihr davon!«
»O Signore – nichts, oder vielleicht alles! Ein Fremder war in eine Gesellschaft französischer Soldaten geraten und beschuldigte einen des falschen Spiels. Bei der entstandenen Schlägerei hatte er das Unglück, seinem Gegner den eignen Säbel in den Leib zu stoßen, aber so viel Verstand, aus dem Fenster zu springen, denn General Goyon versteht wenig Spaß in dergleichen Dingen und hätte ihn, ob Notwehr oder nicht, einfach füsilieren lassen. Der arme Bursche kannte die Straßen nicht und hätte leicht den Verfolgern in die Hände fallen können, wenn nicht ein Mönch vom Orden des heiligen Franziskus, der den Vorgang mit angesehen, ihm nachgegangen wäre und ihn zurecht gewiesen hätte.«
» All Right! so wahr ich auf den Namen Terenz getauft bin! Und der Bettelpfaffe war ein so wackrer Bursche, daß er mir riet, sofort den andern Morgen zu Monsignore de Merode zu gehen, der allein mich schützen könne.«
»Wie ich sehe, haben Sie auch meinen Rat befolgt, Signore Luogotenente!«
»Den Teufel auch, Mary ließ mir keine Ruh, bis ich es tat, obschon ich mich den Henker um General Goyon und seine Froschfresser gekümmert hätte. Merode schickte mich zum General Schmidt und dieser alsbald nach Perugia, wo sie auch was besseres hätten tun können, als mit diesen Spitzbuben von Piemontesen zu kapitulieren. Aber Akuschla, mein Liebling, was redet Ihr da für Zeug, daß Ihr mir den Rat gegeben hättet?«
»Eine Mönchskutte, Signor, ist, wie ich sehe, noch immer eine gute Maske.«
»So waret Ihr selbst der Pfaffe?«
» Si Signore – wenn Sie nichts dawider haben! Unsereins muß manchmal zu einem kleinen Hilfsmittel greifen, wenn man seinen Geschäften nachgehen will.«
»Dann Signor Brigante hat einmal ein ehrlicher Mann in einer Kutte gesteckt, und ich schulde Euch Dank.«
»Trauen Euer Exzellenza mir also jetzt?«
»So wahr ich die Smaragdinsel meine Mutter nenne!«
»Ich meine nicht das gewöhnliche Maß von Vertrauen, wofür wohl meine Wahl als Führer bürgt, sondern auch für den Fall, daß uns Schwierigkeiten aufstoßen und es den Anschein haben sollte, als bräche ich mein Versprechen?«
»Ich will Euch ganz vertrauen!«
»Erinnern Sie sich daran, Signor Luogotenente. Und nun, – Sie tragen eine Depesche?«
»Es gehört nicht viel Witz dazu, das zu erraten.«
»Die Piemontesen werden es natürlich ebensogut tun, wenn das Unglück will, daß wir in ihre Hände fallen. Man würde Sie natürlich durchsuchen. Haben Sie für diesen Fall an einen guten Versteck gedacht?«
»Ich habe sie hier in meiner Brusttasche.«
Der Brigante lachte. »Das ist natürlich der letzte Ort, wo man sie sucht. Nein, Signore, wir müssen einen geschickteren ausfindig machen. Ist das Schreiben groß?«
»Kaum wie eine halbe Hand. Man scheint darauf Bedacht genommen zu haben.«
»Desto besser. Zunächst nehmen Eure Exzellenz dies Säckchen von Aalhaut und wickeln es da hinein, schon dafür, wenn wir einen Ritt durch Wasser machen müßten. Was meinen Sie ferner dazu, wenn Sie das Papier in den Schweif Ihres Pferdes bänden?«
»Um es zu verlieren?«
»Ich stehe dafür, daß ich es derart befestigen will, daß kein Auge es sehen kann und Sie es sicher morgen früh an derselben Stelle finden.«
Der Irländer hatte Verstand genug, den Vorteil dieses Rates einzusehen, er hielt sein Pferd an, mit dem er während des Gesprächs neben seinem Gefährten Schritt gehalten, holte den Brief heraus und gab ihn dem Abgestiegenen, indem er sich im Sattel zurückbog. Der Bandit knüpfte mit großer Geschicklichkeit das zu einer kleinsten Form zusammengebogene Papier in den dichten Schweif des Pferdes, wo es wirklich ein ganz vortreffliches Versteck fand und durch die Dunkelheit der Hülle nicht leicht bemerkt werden konnte.
»Euer Exzellenza sind ein vorsichtiger Soldat selbst gegen Freunde,« sagte er lächelnd, als er wieder aufstieg, »können aber jetzt unbesorgt den Griff Ihrer Pistole wieder loslassen. Wenn Sie mir künftig einmal die Ehre erweisen, mich in den Sabiner Bergen zu besuchen, werde ich Ihnen zeigen, daß ich ohne Sorge unter Ihrem Schutz schlafe, selbst wenn die Gendarmen meines Vetters Antonelli mir auf der Ferse wären. Und nun, Signor Luogotenente lassen Sie uns etwas vorwärts traben, so lange wir noch innerhalb unserer Posten sind.«
Der Vorschlag war der Ungeduld des Irländers nur erwünscht, und beide ritten jetzt auf Feldwegen weiter, mehrmals aufgehalten von den hier postierten Schildwachen, denen sie Losung und Feldruf gaben.
Wir müssen hier der nachfolgenden Ereignisse wegen eine kurze Schilderung des Terrains einschalten, aus dem sich später die Schlacht bewegte.
Die Stadt Loretto liegt auf einem Hügel, etwa 1½ Meile vom Meer, in das sich ein nördlich des Hügels vorüberströmender kleiner Fluß, der Musone, ergießt. Das Tal desselben hat eine wechselnde Breite von 5 bis 6000 Schritt und ist mit Bäumen bepflanzt und von Gräben durchzogen.
Eine Miglie unterhalb Loretto fällt links in den Musone ein ziemlich bedeutender Nebenfluß, der Aspio, und in dem Winkel, welche diese beiden Flüsse vor ihrer Vereinigung bilden, erstreckt sich von dem etwa 2 Meilen entfernten Osimo her eine bewaldete Hügelgruppe, auf welcher die kleinen Ortschaften Castelfidardo und Crocette, und weiter hinauf die Ortschaft Rochetto liegen.
Östlich vom Aspio und auf seinem linken Ufer erhebt sich gleichfalls eine Hügelgruppe, die um den Monte di Ancona gelagert ist und zwischen dem Fluß und dem Meere liegt. Das Tal des Aspio ist nicht so breit als das des Musone, hat aber im Vereine mit diesem eine ziemlich bedeutende Ausdehnung, die ein fast freies Terrain darbietet.
Oberhalb der Mündung des Aspio zwischen dieser und der des Vallato befindet sich die erste leicht zu passierende Furt durch den Musone, gegenüber der Hügelreihe von Castelfidardo und Crocette.
Sie hatten bereits die Stelle passiert, der gegenüber von Norden her der Aspio sich in den Musone ergießt, und wo die zweite gangbare Furt sich befindet, als der Brigante sein Tier anhielt.
»Wir müssen absteigen, Signor, und von jetzt ab jedes Geräusch vermeiden. Es gibt nahe der Mündung des Flusses ins Meer noch eine dritte Stelle, die allenfalls für Reiter zu passieren, aber nur wenigen bekannt ist. Zuvor aber muß ich rekognoszieren, ob dort Posten der Feinde stehen.«
Sie führten vorsichtig ihre Tiere vorwärts, bis sie zwischen den Hecken versteckt das Rauschen des Flusses hörten. Dann gab der Bandit dem Offizier den Zügel seines Tieres und schlich vorwärts.
Das Flußtal ist hier ziemlich weit geöffnet, erst tausend Schritte weiter beginnen wieder die Hügel des Montefreddo, die sich nach Umana ziehen und dann eine schross abfallende Küstenwand bis Ancona bilden.
Auf dem ersten dieser Hügel steht ein altes verfallenes Gemäuer, vielleicht früher eine Kapelle oder Warte, da man von hier aus das Ufer bis zum Meer übersieht. Aus den Öffnungen dieses Gemäuers blinkte ein lustiges Feuer, – die Piemontesen hatten also in der Tat ihre Posten bis hierher vorgeschoben. Am Ufer des Musone und des Aspio schienen jedoch keine Vedetten zu stehen, wenigstens ließ sich nichts davon sehen.
Wenige Minuten darauf kehrte der Brigante zu dem Offizier zurück und berichtete ihm iiber den Stand der Dinge.
»Wir können es wagen, nach der Küste hin durchzubrechen, – aber es ist immer ein zweifelhaftes Spiel. Sind Euer Exzellenz Jäger?«
» Goddam – ich habe mehr als hundert Füchse niedergehetzt.«
»Darum handelt es sich nicht. Ich meine, ob Sie gewohnt sind, ein Wild zu beschleichen?«
»Zum Henker – ich denke wohl! Hab ich doch oft genug den Birkhahn und den Rothirsch im Gebirge belauert.«
» Bene! Was meinen Sie, wenn wir jene Bursche dort in dem alten Steinhaufen ein wenig ausholten? Ich kenne den Ort.«
»Meinetwegen. Aber wo sollen wir die Pferde lassen?«
»Es ist eine buschige Schlucht am Fuß des Hügels, wo wir sie sicher verbergen können, wenn kein Posten dort steht.«
»Vorwärts also!«
Sie hatten ihre Tiere wieder bestiegen und ritten jetzt vorsichtig am Ufer entlang, sich im Schatten der Bäume haltend, bis zu der Mündung eines Baches, der, kurz bevor der Musone ins Meer mündet, sich in diesen ergießt. Hier verbreitert sich der Fluß und ist an einer Stelle trotz anscheinender Tiefe so seicht, daß man ihn passieren kann. Dies geschah ohne Hindernis und das Paar, der Italiener voran, ritt nun eine ziemliche Strecke im Bett des Baches aufwärts, während man das nahe Brausen des Meeres hörte.
Sie waren auf diese Weise etwa zweitausend Schritt vorwärts gekommen, als sich das linke Ufer zu buschbewachsenen Hügeln erhob und von der Höhe ein Lichtschein fiel.
» Silentio Signore!« flüsterte der Brigante. »Jetzt zwischen den beiden Taxusbüschen hier hinauf – und dann herunter vom Pferd.«
Das edle Roß klimmte den Abhang hinauf und der Offizier sah sich alsbald von dem tiefen Dunkel einer Schlucht umgeben, die in jene Höhe zu führen schien, von welcher der Lichtschein gekommen war und jetzt laute Stimmen erklangen.
Geräuschlos ließen sich die beiden Reiter niedergleiten, der Brigante band die Zügel der Tiere ins Gebüsch an einen Ast und faßte die Hand des Offiziers, den er vorsichtig hinter sich herzog.
Die Schlucht teilte sich einige Schritte weiter und lies rechts und links um den Hügel bis zu dessen Höhe. Der Brigante wählte den Weg rechts, und als sie noch eine kurze Strecke gestiegen waren, befanden sie sich, für den Irländer sehr unerwartet, auf einer Wand, welche die erwähnte Ruine überragte und ihr gleichsam zur Rücklehne gedient hatte.
Es mochte in der Tat früher eine Klause oder Kapelle gewesen sein, die aber wahrscheinlich schon seit länger als hundert Jahren verfallen war, denn das Gemäuer trug kein Dach mehr und war an vielen Stellen geborsten. Buschwerk und Schlingpflanzen wucherten über die niederen Mauern, in deren Mitte ein lustiges Feuer brannte, um das sieben Bersaglieri lagerten.
Zwei derselben, der Unteroffizier und ein anderer älterer Soldat trugen die Krim-Medaille, die anderen bis auf zwei, die Medaille von Solferino. Es waren also kriegserprobte Leute, denen gegenüber um so größere Vorsicht zu beobachten war.
» Cospetto,« meinte der alte Unteroffizier – »ich sage euch, Bursche, selbst unser Kampf bei San Martino hatte nichts zu bedeuten gegen die Schlachten in der Krim. Diese Austriaci sind ganz gute Soldaten, aber die russischen Barbaren stehen auf dem Platz, wo sie hingestellt sind, bis man sie dreimal totgeschlagen hat, ein so zähes Leben haben sie. Mit dem Lumpenpack, was die Päpstlichen zusammengebracht haben, werden wir morgen in einer Stunde fertig.«
»Aber man sagt, daß 25 000 Franzosen im Anmarsch sind,« bemerkte schüchtern einer der Rekruten.
»Dummheit! ich hörte den Major gestern davon sprechen. Für was hätte denn der Kaiser Louis Napoleon Nizza und Savoyen bekommen? Ich war im vorigen Kriege Ordonnanz im Hauptquartier und könnte euch ganz andere Dinge erzählen, wenn es sich für einen alten Soldaten schickte, zu plaudern. Unser Graf Cavour ist ein Teufelskerl, und General Cialdini hat ein weites Gewissen. Wenn wir erst Rom haben, jagen wir die Österreicher aus Venedig, wie die Mäuse vom Kornboden.«
»Die im Neapolitanischen sollen eine Schlacht verloren haben!« bemerkte einer der Soldaten, mit dem Daumen über die Schulter weisend.
»Die Rothemden? – Es schadet dem Gesindel nichts. Ein ehrlicher Soldat will nichts mit ihnen zu tun haben. Droben am Comersee und vor Peschiera haben sie uns bei jeder Gelegenheit sitzen lassen. Sie sind nur gut zum Lärmmachen und Plündern. Wäre das Jammervolk des Re Bomba nicht noch schlechter und feiger gewesen, als sie, würden sie alle in der Meerenge ersoffen sein.«
»Aber der General Lamoricière soll schon viele Schlachten gewonnen haben.«
»Eine Schwalbe macht keinen Sommer und eine Wurst den Kohl noch nicht fett. Ich sage dir, Giovanni, wenn sie die Fremden nicht hätten, wären sie alle schon davongelaufen. Ich kenne unsere Landsleute südwärts vom Po – der Himmel hat sie im Zorn zu Soldaten gemacht.«
»Vater Andrea,« meinte sein Nachbar – »es ist am Ende doch nicht recht, daß wir gegen den heiligen Vater fechten! – Wenn uns nun der Kirchenbann träfe?«
»Dummkopf! wir haben Bischöfe genug bei uns, die ihn wieder aufheben. Ein hübsches Teil der Kuttenträger ist auf unserer Seite, und wenn sie im Vatikan wüßten, daß die Pfaffen unsere besten Spione sind, würden sie den unnützen Widerstand aufgeben. Selbst drüben in Loretto fehlt es uns nicht an Spionen und eben deswegen sitzen wir hier, um auf irgendeine Mönchskutte zu warten.«
»Aber das ist ja ganz aus dem Wege.«
»Bist ein Grüner und verstehst das nicht! Der Mann kann doch nicht über die Brücke des Musone zu uns kommen! Die Päpstlichen würden ihm den Rücken mit Kugeln spicken. Der General wartet nur auf die Nachricht, um sie aus Loretto zu räuchern, während unsere Flotte sich vor Ancona legt.«
»Also die sechs Kriegsschiffe, die wir gestern sahen? Die Leute meinten, es wären Franzosen!«
»Der Teufel hole die Franzosen. Sie werden es zeitig genug merken, daß es Admiral Persano ist. – Halt! – war das nicht ein Pfiff?«
Das Signal, durch den Tonfall als solches kenntlich, wiederholte sich. Der Unteroffizier war aus dem Gemäuer getreten und gab eine gleiche Antwort. Drunten in den Gebüschen rasselte es.
»Wer da?« rief er hinunter.
»Gutfreund! – Palermo!«
»Richtig – das ist das Wort. – Steigen Sie den Fußweg links herauf – er ist der nächste und bequemste! – So – reichen Sie mir die Hand – da sind Sie! – Sie haben uns lange warten lassen, ehrwürdiger Bruder!«
Der Brigante hatte die Hand des Offiziers, der freilich nur wenig von dem Gespräch verstanden, stark gepreßt bei der Erwähnung der sardinischen Flotte.
»Merken Sie auf, Signore, – San Antonio hat uns hierhergeführt, die Verräter zu belauschen.«
Der Bersaglieri trat mit dem Angekommenen in das Innere des Gemäuers, wo die Flamme sie hell beschien.
Einige der Soldaten erhoben sich, die anderen blieben ruhig am Boden liegen, alle aber wandten neugierig die Augen auf den Fremden.
Dieser warf sich erschöpft auf einen Stein. Er trug eine aufgeschürzte Kapuzinerkutte, und als er, von den Soldaten sich abwendend, die sein Haupt verhüllende Kapuze ein wenig lüftete, um sich den Schweiß abzutrocknen, bemerkte der Irländer, daß er trotz der Tonsur ein noch junger Mann mit markiertem energischem Gesicht war. Gleich darauf zog der Fremde wieder die Hülle darüber, so daß nur die feurigen dunklen Augen noch hervorleuchteten.
»Ich sehe, Fra – Sie haben das Licht verstanden, das ich Ihnen als Wegweiser anzündete. Aber Ihre Kutte trieft von Wasser – wollen Sie dieselbe nicht ablegen und einen Augenblick trocknen?«
»Nein! – ich bedarf nur weniger Minuten, mich von dem raschen Lauf zu erholen. Ich bin durch den Musone gegangen und das Wasser reichte mir bis an den Hals. Sie sollen gleich hören, warum. Wo ist der General?«
»In der Kirche von Rochetto – dorthin soll ich Sie bringen.«
»Der Kriegsrat dauerte so lange und der Prinzipe konnte nicht eher die Depesche niederschreiben. Überdies mußte ich mich hüten, mit zwei ihrer Späher zusammenzutreffen. Wissen Sie vielleicht, ob Ihre Posten vor einerhalben Stunde – so viel können sie Vorsprung haben, da ich den Weg, so rasch ich konnte, lief, – zwei Reiter angehalten haben?«
»Ich habe meine Wachen nur bis zur Küste ausgestellt.«
»Eben dort dürften sie versucht haben ihren Weg zu nehmen. Es ist ein Offizier mit seinem Führer, die Depeschen nach Ancona bringen.«
Der Alte strich sich den Schnauzbart. » Diavolo – das wäre fatal! Aber sie können unmöglich dort passiert sein, zwei meiner besten Leute sind zwischen hier und dem Strande aufgestellt und wir hätten gewiß einen Schuß gehört. Aber vielleicht sind sie noch nicht herüber und kommen noch.«
»Dann haben sie sich wahrscheinlich nach dem Aspiotal gewendet.«
» Cospetto, das kümmert mich nicht, – dort haben andere Posten die Wache. Aber die Sache geht mir im Kopf herum. Sie brauchen meine Begleitung nicht, Fra, – Stephano und der Fiorentino hier werden Sie ins Hauptquartier nach Rochetto bringen, indes ich mit zwei anderen die Wache bis zum Strande revidiere und verstärke. Michelo und Pignerolese bleiben hier auf Posten. Keine Katze, die nicht die Losung ›Palermo und Cavour‹ weiß, soll bei uns durchschlüpfen. – Macht euch fertig, Männer, und führt den Bruder über die Brücke auf den Weg nach Umana. – Seht nach euren Büchsen, Leute!«
Es erfolgte das kurze Geräusch des Aufbruchs. Der Mönch hatte sich so weit wieder erholt, daß er rüstig seinen beiden Begleitern folgen konnte. Den Schluck Branntwein, den ihm der Unteroffizier bot, wies er zurück.
Draußen vor der Ruine trennten sie sich, der Veteran mit den beiden Bersaglieris nahm seine Richtung links den Abhang hinab, während der Kapuziner mit den beiden anderen den Pfad einschlug, der entlang der westlichen Seite des Hügels in die Berge nach dem Montefreddo führt und in einiger Entfernung die Straße von Crocette nach Umana kreuzt.
Mit aller Aufmerksamkeit horchten die verborgenen Lauscher, ob die Patrouille etwa unglücklicherweise ihre in der Schlucht verborgenen Tiere entdecken würde, aber sie schien diese weiter oberhalb des Versteckes passiert zu haben, denn fünf bis zehn Minuten vergingen, ohne daß sich etwas hören ließ.
Die beiden zurückgebliebenen Piemontesen, zufällig die jüngsten des kleinen Kommandos, machten es sich nach dem Fortgehen ihres strengen Vorgesetzten noch bequemer, lehnten ihre Büchsen an die Wand, machten aus ihren Mänteln ein Kopfkissen und streckten sich am Feuer nieder.
In dem ungewissen Schein, den die Flamme heraufwarf, sah der Offizier, daß der Brigante ihm winkte, vorsichtig einige Schritte zurückzutreten.
»Der heiligen Jungfrau sei Dank,« flüsterte dieser ihm zu, als das geschehen, »daß Ihr Pferd nicht geschnaubt, Signore. Ich habe dafür der Santa Casa eine faustdicke Kerze gelobt. Aber was machen wir nun?«
»Ich habe leider nur wenig verstanden – aber der Mönch schien mir ein Spion zu sein von drüben her. Ich hätte große Lust gehabt, ihm eine Pistolenkugel durch den Schädel zu jagen, wenn ich nicht an meinen Auftrag gedacht hätte.«
» Cospetto, Signor Luogotenente, vielleicht läßt sich beides vereinigen. Ich möchte mir den Padre, der das Brot der heiligen Kirche ißt und sie verrät, gern etwas in der Nähe ansehen, um ihn wiederzuerkennen.« – Mit wenigen Worten verständigte er ihn dann näher über den Inhalt des Gesprächs und den Plan, den er vorschlug.
Dem Irländer konnte nichts willkommener sein, als der kühne Streich, der sich ihm bot.
Leise schlichen sie wieder zu dem Gemäuer zurück. Das Plateau des Gesteins reichte so weit vor, daß an einer Stelle sich die zerbröckelte Mauer unmittelbar unter ihnen befand.
Ein Blick zeigte ihnen, daß die beiden Bersaglieri noch in derselben Stellung am Feuer lagen. Sie hatten sich vorgenommen, bis zum Eingang der Ruine zu schleichen und so die Fahrlässigen zu überraschen, ein Zufall aber beschleunigte, wahrscheinlich zum Glück für den Erfolg, ihr keckes Unternehmen.
Während nämlich der Irländer sich vorbog, um sich über den Eingang zu orientieren, klirrte sein Säbel auf dem Gestein und einer der Schläfer richtete sich halb empor, zu sehen, woher das Geräusch käme.
Die Zögerung eines Momentes mußte ihre Absicht vereiteln. Mit dem Ruf: »Drauf, Kamerad!« setzte der kecke Abenteurer den Fuß auf die Mauer und sprang mit einem Satz mitten zwischen die erschrockenen Wachen; im nächsten Augenblick hatte er einen der Bersaglieri an der Kehle und drückte sie so kräftig zusammen, daß der arme Bursche, ganz blau im Gesicht, mit Händen und Füßen zappelte.
Tonelletto war dem Offizier auf dem Fuß gefolgt und hatte sich zwischen den andern Piemontesen und die Büchsen geworfen; der Lauf seiner Pistole war sogleich auf den Kopf seines Gegners gerichtet.
»Silenzio, Bursche! Keinen Laut, oder ich schieße dir die Kugel durch den Kopf! – Brav gemacht, Exzellenza! Halten Sie den Schurken nur etwas fest, indes ich hier mit dem andern fertig werde. – So, mein Junge – bei der heiligen Jungfrau, von der ihr Kirchenschänder freilich wenig genug wißt, es soll euch nichts geschehen, wenn ihr euch geduldig fügt. Leg' dein Bratenmesser weg da und tu' die Hände auf den Rücken, aber merk' dir, keinen Laut, oder ich will dir die Zunge aus dem Halse reißen!«
Er hatte rasch aus seiner Tasche ein Bündel dünner Stricke geholt und schnürte sie dem Piemontesen um Arme und Leib, daß er die ersteren nicht zu rühren vermochte.
»Jetzt, Spitzbube, setz' dich nieder auf den Boden und Sie, Signor Luogotenente, reichen Sie mir den andern Kerl her.«
Der arme Bursche war halb erstickt, als er aus der Hand des Irländers in die des Banditen überging, und seine Knebelung erfolgte ohne Mühe.
»Jetzt, Signore,« sagte der Führer, »halten Sie einen Augenblick Wache, und wenn einer der Schurken auch nur Miene macht, sich zu rühren, so schneiden Sie ihm ohne Barmherzigkeit die Kehle durch von einem Ohr zum andern.« Er nahm die beiden Büchsen der Jäger mit sich und entfernte sich.
Bald darauf hörte das scharfe Ohr des Irländers, der, den Säbel in der Hand, die beiden Gefangenen bewachte, ihn die beiden Tiere an der Ruine vorüberführen.
Nach fünf Minuten kam der Brigante wieder. »Ich habe den Weg gefunden und ihre Büchsen in das Gebüsch geworfen,« sagte er auf Französisch. »Jetzt müssen wir noch für das Schweigen der Burschen da sorgen und ihre Mäntel nehmen. Hier – ziehen Sie diesen da über Ihre Uniform und setzen Sie den Hut auf statt des Kaskets.«
Die Umwandlung war rasch geschehen, ebenso bei dem Italiener selbst.
»Jetzt ziehen Sie Ihrem Burschen da die Stiefeln aus und stopfen Sie ihm sein Taschentuch zwischen die Zähne, daß er in der nächsten halben Stunde keinen Laut von sich geben kann. – So – gut gemacht! Hinüber mit den Stiefeln über die Mauer und nun die Füße noch zusammengebunden! Der Weg ist so voll spitzer Steine und Dornen, daß sie gewiß vorziehen werden, ihren Sergeanten oder Korporal hübsch hier am Feuer zu erwarten. Und nun buona notte, ihr Halunken, und lernt einmal fühlen, was es heißt, die heilige Kirche bestehlen zu wollen! Ich wünschte, ich hätte nur eure obersten Spitzbuben, die Herren Cialdini oder Garibaldi oder gar den Re gentilhuomo einmal so in der Hand! – Kommen Sie, Signor!«
Die beiden Wachen hilflos zurücklassend, eilten sie jetzt zu den Pferden und schwangen sich auf, während der Irländer noch immer herzlich über das verdutzte Gesicht lachte, das der Rekrut gemacht, als er ihn so unverhofft an der Kehle packte.
Sie waren beide sogleich im Sattel und ritten jetzt scharf und unbekümmert vorwärts, da sie in der Dunkelheit die piemontesischen Uniformen unkenntlich machen mußten und sie überdies das Paßwort kannten.
Sie schienen mit der freilich unabweislichen Vorsichtsmaßregel aber doch sich allzulange aufgehalten zu haben, denn sie waren bereits zehn Minuten vorwärts geritten, ohne auf die Vorangegangenen, die sie verfolgen wollten, zu stoßen.
»Der Teufel hole die Bursche und ihre langen Beine, die sicher die Ungeduld des eidbrüchigen Mönchs noch länger gemacht hat,« grollte der Brigante. »Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir gleich an der Brücke und haben sie noch immer nicht eingeholt! – Was denken Sie jetzt – schlagen wir rechts den Weg nach Umana ein oder folgen wir ihnen noch eine Strecke und wenden uns dann querfeldein nach den Bergen?«
»Wir müssen den Schurken haben, auf jede Gefahr!«
»Gut. Wir wollen es wenigstens versuchen. Für alle Fälle merken sich Euer Excellenca, daß der Weg, den wir jetzt kreuzen, in gerader Richtung durch die Berge nach Umana führt und ebenso der nächste, den wir passieren werden, von Rochetto dahin. Es ist auf der Hälfte ein Weiler – ich kenne die Wirtin, sie ist eine Gutgesinnte, und dort müssen wir rechts ab.«
Sie trabten weiter und sahen schon die Brücke vor sich, als sie das: » Chi va là?« einer Schildwache anrief.
»Amici! – Palermo!«
»Feldgeschrei?«
»Cavour!«
»Passiert!«
»Höre, Kamerad,« fragte der verkleidete Brigante, »ist nicht eben ein Priester mit zwei Bersaglieri hier vorüber gekommen?«
»Noch keine fünf Minuten. Sie gehen dort auf dem Fußweg nach Rochetto!« »Dann gute Wache. Avanti!«
Sie trabten weiter – der Mond trat hinter einer Wolkenwand eben hervor und zeigte ihnen kaum zweihundert Schritte entfernt die drei Wanderer.
»Jetzt vorwärts Signor, hauen Sie den Schuft über den Schädel und dann rechts ab querfeldein, bis wir den Weg wieder finden!«
Der Irländer gab seinem Renner die Sporen und galoppierte vorwärts – er sah noch, wie die drei stehen blieben und zur Seite traten.
»Heda – seid Ihr des Teufels! Ihr reitet ja jeden Christenmenschen über den Haufen!«
Im nächsten Augenblick war das wirklich geschehen, der Bersagliere purzelte kopfüber auf den Boden und streckte fluchend die Beine in die Luft.
Aber der Irländer holte nicht, wie sein Begleiter es geraten, zum Hiebe über den Schädel des verräterischen Mönchs aus, – er ließ den Säbel am Band des Handgelenks hängen, faßte mit eiserner Faust, sich vom Sattel beugend, die Kutte im Nacken des Mönchs und warf ihn mit gewaltigem Ruck quer vor sich über den Sattelbogen.
Dies war das Werk eines Augenblicks. Im nächsten knallte ein Schuß hinter ihm drein und die Kugel pfiff über seinen Kopf weg. Der zweite Bersagliere hatte geschossen, wurde aber gleich darauf von dem Maultier des Brigante über den Haufen geworfen.
Mit einem lustigen Hurra! rieß der tolle Irländer sein Pferd rechts hinüber auf das wüste Land, und sprengte querfeldein, mit der rechten Hand den Mönch auf dem Sattelknopf niederdrückend, der sich wie eine Schlange wand und wie ein gestochener Stier brüllte. »Halt Ruhe Bursche, oder ich drücke dir die Kehle zu,« zürnte der wilde Reiter, indem er die beiden hagern Hände des Ringenden in seiner gewaltigen Faust zusammenpreßte und ihn so im Gleichgewicht hielt – »mit mußt du, und sollte ich nur Fetzen von dir nach Ancona bringen!«
Aber die gewaltsame Tat so nah einer Feldwache hatte sofort dieselbe in Alarm gebracht, der sich bald über die ganze Postenkette verbreitete.
Schüsse aufs Geratewohl knallten hinter den Reitern her. In den ersten Minuten noch hörte der Leutnant den Brigante ihm folgen, aber bei dem rasenden Karrier seines Vollblutpferdes blieb das Maultier bald zurück, und als Sir Terenz sich noch einmal umsah, war nichts mehr von seinem Begleiter zu erblicken.
Dagegen knallten ringsumher Schüsse und die piemontesischen Posten schienen wie aus der Erde zu wachsen.
Der kühne Reiter hatte, der früheren Weisung seines Begleiters gemäß, den tollen Lauf seines trefflichen Pferdes nach Nordost gerichtet. Die linke Hand mit dem Zügel in halber Brusthöhe, den Oberkörper vorgebeugt, die Augen fest zwischen den Ohren seines Pferdes auf den Boden gerichtet, schoß er dahin, während die Hand schwer auf der Brust seines Gefangenen lag. Aber er war ein zu geübter Reiter, als daß er sich hätte verhehlen können, daß die doppelte Last das edle Tier dennoch bald ermatten mußte. Einen Augenblick schwankte er, ob er dem Gefangenen nicht die Kehle zudrücken und ihn tot von dem Sattel werfen sollte, wie ein giftiges Gewürm, das er zertreten. Aber sein von Natur aus ritterlicher Charakter und der mit seiner Jugenderziehung verknüpfte Gedanke, daß er einen Priester morden würde, hielt ihn zurück. Jetzt sah er einen breiten Graben vor sich, und den Renner zusammennehmend, mit Sporenstich und Zungenschlag ihn unterstützend, setzte er mit gewaltigem Sprunge hinüber.
Das edle Tier stand zitternd und die Flanken heftig wiegend auf festem Boden. Sir Terenz erkannte, daß er endlich auf dem gesuchten Wege angekommen war und gönnte dem keuchenden Roß nicht lange Ruhe. Sein Spornstich trieb es aufs neue zum rasenden Lauf, aber er hatte noch keine zweihundert Schritt zurückgelegt, als vor ihm Stimmen laut wurden, Waffen klirrten und ein Reiterhaufe ihm entgegen kam.
Der Irländer begriff, daß nur wenig Aussicht ihm blieb. Einen Sprung über den gleich breiten Graben zur Linken hätte das Pferd unmöglich wiederholen können. So blieb ihm nur die Aussicht, sich vielleicht durch die entgegenkommenden Reiter durchzuschlagen.
Vorwärts über den Hals des Pferdes gebeugt, ließ er die Hände des Gefangenen los und faßte den Griff seines Säbels.
Eine befehlende Stimme donnerte ihm ein »Ferma!« Halt! entgegen – er war dicht vor den Reitern, die den Weg sperrten – im nächsten Moment stieß er selbst einen lauten Schrei aus, ließ die Zügel fallen und fuhr mit der Linken nach der Seite, an der er noch den Griff des Messers faßte, das der Mönch ihm mit der frei gewordenen Faust zwischen die Rippen gestoßen hatte. Indem er fühlte, daß sein Pferd gewaltsam angehalten wurde, ward es ihm schwarz vor den Augen und er sank aus dem Sattel.
»Eine Fackel her. Was gibt es hier?« fragte eine befehlende Stimme in italienischer Sprache. »Was bedeutet der Alarm? Stellen Sie die Ruhe her, Angrogna!«
Das edle Roß des Irländers stand mit zitternden Flanken und keuchendem Atem, sein kühner Reiter lag bewußtlos am Boden; aber der Gefangene, der so blutig und geschickt sich befreit, stand neben ihm, jetzt selbst den Zügel des Pferdes in der Hand.
»Signori,« sagte er, selbst noch keuchend – »ich suche den Obergeneral; ich war auf dem Wege zu ihm nach Rochetto, als ich von einem verwegenen Feinde gefangen genommen und fortgeschleppt wurde. Ich glaube, mich nicht zu irren, daß der Mann hier am Boden ein Offizier Lamoricières ist und Depeschen nach Ancona bringt.«
»Desto besser, daß wir ihn haben; leuchte jemand hierher. Richtig – die Uniform der Freikorps unter einem unserer Mäntel. – Wer sind Sie? wo kommen Sie her?«
»Ich kann meine Meldung nur General Cialdini machen, aber sie ist von Wichtigkeit.«
»Der bin ich selbst. Reden Sie!«
Der Mönch sah im Licht der Fackel, die herbeigebracht worden war, die zahlreiche Suite um den General en chef, die ihn auf den Rekognoszierungsritt begleitet hatte, und konnte an der Identität nicht zweifeln.
»Euer Exzellenz bitte ich um ein geheimes Gehör,« sagte er flüsternd. »Ich komme von Loretto mit Nachrichten vom Prinzen Carracciolo.«
»Ah – excellente! das trifft sich gut! ich erwarte die Nachricht mit Sehnsucht!« Der General wandte sich an seine Begleitung. »Wenn ich nicht irre, sind ja wohl Häuser hier in der Nähe?«
»Kaum tausend Schritt von hier, ein großer borghetto!« Weiler.
»Dann sitzen Sie auf, Signor und folgen Sie mir dahin.«
Der Mönch zögerte. »Exzellenza – was soll mit dem Gefangenen hier geschehen? Mein Messerstich befreite mich von ihm – aber er scheint noch am Leben und könnte vielleicht Aussagen machen. – –«
»Jedenfalls muß er visitiert werden. Lassen Sie zwei Mann der Eskorte absitzen, Major Monalteri, und ihn auf einem Mantel uns nachtragen. Avanti, Signori!«
Die Kavalkade setzte sich in Bewegung – der Mönch hatte sich auf das Pferd seines Überwältigers geschwungen, hielt es aber zurück, bis die Beorderten den blutenden Körper aufgenommen, dann ritt er neben diesem her zum Casale. Weiler, Vorwerk. – – – – – – – – – – – – – –
Eine Viertelstunde später stand der Kapuziner in einer geräumigen, aber niedern, weiß getünchten Stube des Weilers vor dem Tisch, hinter dem der Obergeneral auf einer Bank saß, während ein Adjutant an der andern Seite schrieb.
An der Wand gegenüber auf einem breiten italienischen Bett lag der Leutnant Terenz O'Donnel, halb entkleidet, das aufgeschnittene Hemd steif von geronnenem Blut, das Auge geschlossen. Der Wundarzt war eben mit dem Verband fertig geworden.
An der Türe stand ein Offizier.
»Wie steht es mit dem Mann, Dottore?« fragte der General.
»Es ist ein schwerer Stich, Excellenza, den er erhalten – aber es ist möglich, daß er am Leben bleibt, wenn er Ruhe und Pflege hat. So viel ich bis jetzt sehen kann, ist die Wunde nicht absolut tödlich.«
Der Mönch wandte sich mit teilnehmendem Ausdruck auf dem Gesicht nach seinem Opfer. Er hatte jetzt die Kapuze zurückgeschlagen und der Schein der Lichter fiel hell auf sein Antlitz.
Er war – wie der verwundete Offizier schon in der Ruine bemerkte – noch jung, aber sein Gesicht trug scharfe, von geistigem Leben tief gefurchte Züge. Unter einer breiten kühnen Stirn glänzten tiefliegende Augen mit wilder Energie und doch lag in ihnen auch wieder ein tiefes Empfinden, eine gewisse Güte und Sorge. Es war offenbar der Kopf eines Denkers, der vielleicht schon viel gerungen mit dem Leben.
»Haben Sie genau seine Kleidung und seinen Körper untersucht, Signor Dottore?« fuhr der General fort.
»Ganz genau, Exzellenza, bis auf die Haut. Jede Falte! Mit Ausnahme der Brieftafel in seiner Brusttasche und der Börse mit den wenigen Napoleond'ors war nichts bei ihm zu finden.«
»Nach den Papieren ist er ein Engländer! Das sind gewöhnlich hartnäckige Burschen, und er wird nicht anders sein, wenn er zur Besinnung kommt. Sie glauben also, Padre, daß der Mann dort ein Adjutant Lamoricières ist und nach Ancona bestimmt war?«
»Ich weiß bestimmt, daß ein Offizier etwa eine halbe Stunde vorher, ehe ich meinen Weg antreten konnte, mit einem Führer Loretto verlassen hat. Aber ich kann nicht mit Sicherheit angeben, welchen Weg er genommen.«
»Nun, cospetto – er muß es sein! Wie anders käme er sonst in unsere Linien? Er muß übrigens Wind von Ihnen gehabt haben, so gut, wie Sie von ihm. Aber was ist mit dem Führer geworden? Ist er gefangen oder erschossen?«
Die Frage war an den Offizier an der Tür gerichtet.
»Es ist kein Rapport darüber eingegangen!«
Der General zuckte ungeduldig die Achseln. »Und was, Padre, denken Sie, das der Auftrag dieses Burschen gewesen ist?«
»Euer Exzellenz werden das besser beurteilen können, als ich. Nach meiner Meinung aber zweifelsohne der Befehl zu einem Ausfall, während Lamoricière Ihre Truppen von vorn angreift, um sich durchzuschlagen.«
»Die Meinung hat viel für sich. Wir sind nach dem Bericht des Principe zwar mehr als doppelt so stark, aber eine Diversion im Rücken der Truppen ist immer gefährlich. Glücklicherweise haben wir die Mittel in Händen, sie zu verhindern. Kapitano Morelli, sehen Sie zu, ob sich hier in der Casa ein Mensch findet, der Sie sofort auf dem nächsten Weg nach Falconara führen kann.«
Der Offizier salutierte und verließ das Gemach.
»Sie glauben also, daß wir uns auf diese ordre de bataille verlassen können, Padre?«
»Der Principe hat sie dem Prior selbst übergeben. Ich war zugegen.«
»Sein Bericht von gestern morgen, der uns zu der Diversion gegen Macerata veranlaßte, um die Division Pimodan abzuschneiden, hat uns getäuscht. Aber das kann passieren. Können Sie der kurzen Meldung des Principe noch Details beifügen?«
»Der Principe wird bei den Dragonern kommandieren. Ein Vertrauter, der Kapitän Negroni, führt einen Zug Geschütze. Sobald die erste Unordnung sich zeigt, wird er das Feuer einstellen.«
»Sind die Proklamationen an die italienischen Soldaten verteilt?«
Den Geist der sardinischen Proklamationen kennzeichnet diejenige, welche General Cialdini beim Einrücken in den Kirchenstaat gegenüber einem berühmten Führer wie Lamoricière (de la Moricière) erließ. Sie lautet:
»Soldaten! Ich führe euch gegen eine Bande fremder Abenteurer, welche das Verlangen nach Plünderung und Raub in unser Land gebracht hat. Schlagt und zerstreut unerbittlich diese miserablen Mörder, damit sie durch eure Hand den Zorn eines Volkes fühlen, welches seine Unabhängigkeit will. Soldaten! Perugia will eine Rache und soll sie, wenn auch spät, haben.
Der General Cialdini,
Kommandant des 4. Korps.«
»Es geschieht diese Nacht. Schon jetzt ist die Stimmung der Indigeni sehr schlecht, sie klagen über Anstrengung und schlechte Verproviantierung. Sie werden kaum den ersten Kanonenschüssen stand halten. Ist der Angriff des General Pimodan zurückgewiesen, so ist die Auflösung die unmittelbare Folge.
»General Pimodan ist ein guter Soldat – aber seine undisziplinierten Banden taugen nichts. Er soll sich den Starrkopf am Castelfidardo einrennen. Nach den Nachrichten, die Sie mir gebracht, hoffe ich, Herrn Lamoricière mit seiner ganzen sogenannten Armee zu fangen. Wir sind sehr in Ihrer Schuld, Padre. Hier ist eine Note der Mailänder Bank auf tausend Lire.«
Der Kapuziner wies das Papier unwillig zurück.
»Euer Exzellenz verkennen mich. General Garibaldi würde niemals gewagt haben, dem Padre Gavazzi Geld für eine seiner Reden zu bieten.«
Der General lachte übermütig. »Ah – also von dieser Sorte. Sie treiben die Spionage aus Patriotismus, Pater! Desto besser, dann bin ich Ihrer desto sicherer, und spare mein Geld.«
»Signor Generale,« sagte der Mönch und seine kleine Gestalt schien sich zu heben und zu wachsen mit seinen Worten, »Sie irren sich dennoch über das, was ich will. Mein Zweck ist, die heilige Kirche frei und rein zu sehen von allem Irdischen, damit sie ihr Licht leuchten lasse über die ganze Welt, frei und unbefleckt von irdischen Interessen. Darum muß die weltliche Herrschaft des Papstes fallen und mit ihr jener Schmutz, jenes Gomorra von Tyrannei und Schmach, das auf Rom lastet. Ich bin Italiener genug, um zu wünschen, daß das unsterbliche Rom nicht in den Händen der Fremden sei, gleichviel ob Österreicher oder Franzosen. Sind diese vertrieben, und dazu hat Gott Ihrem König das Schwert in die Hand gegeben, dann werden die Bürger des alten Rom wissen, was ihre Pflicht ist, und die befreite Religion wird mit dem freien Bürgertum Hand in Hand gehen und ein leuchtendes Vorbild sein allen Völkern der Erde! Die Republik in der Kirche wie im Staat ist das einzig wahre Ziel eines freien Sinnes.«
Der General lächelte höhnisch. »Also ein Mann aus der Schule des Herrn Mazzini! Nun, ehrwürdiger junger Herr, ich will Sie in Ihrem Martyrium nicht aufhalten. Gewöhnlich verschmähen sonst die Herren Republikaner gerade auch nicht die Scudi. Ob Republik oder Königtum – das wollen wir später ausmachen, wenn ich diese fremden Landläufer mit ihrem französischen Großsprecher erst davon gejagt. Ich hoffe, Sie selbst leisten uns noch einige gute Dienste in Rom, und deshalb will ich Ihre Sprache vergessen. Für ein Unterkommen diese Nacht wird sich hier wohl ein Platz finden, und morgen, wenn die Armee des Herrn von Merode ihre Lektion bekommen, mögen Sie nach Loretto oder Rom zurückkehren, vor dem ich in zehn Tagen spätestens zu stehen hoffe.«
Der General war aufgestanden und wandte sich zu dem Arzt.
»Braucht der Mann da noch Hilfe? – Er ist ein Engländer und wir müssen in ihm die Nationalität schonen.«
»Es wird jemand bei ihm bleiben müssen, da das Wundfieber bald ausbrechen kann und die Umschläge von Zeit zu Zeit erneuert werden müssen.«
»Euer Exzellenz wollen erlauben,« unterbrach der Mönch, »daß ich bei dem Verwundeten die Wache übernehme. Ich habe einige Kenntnis der Behandlung.«
Der General lachte. »Sie sind ein seltsamer Heiliger! Erst stoßen Sie ihm sehr unkirchlich das Messer zwischen die Rippen und dann wollen Sie ihn kurieren helfen. Meinetwegen, Pater …, wie heißen Sie doch? der Principe schreibt Ihren Namen nicht.«
»Fra Rafaelo!«
»Also Fra Rafaelo – ich habe nichts dawider. Sie sind hier in Sicherheit, das Gefecht wird auf keinen Fall bis hierher dringen.«
»Ich werde auf dem Schlachtfelde sein, um die Seelen der Krieger, die ihr Blut für die Freiheit vergossen, mit meinem Gebet in den Schoß der heiligen Jungfrau zu geleiten.«
Der General zuckte ungeduldig die Achseln. In dem Augenblick öffnete sich die Tür und der Stabskapitän, den der Oberbefehlshaber vorhin mit seinem Auftrag hinausgeschickt, trat, von einem Mann und einer Frau begleitet, wieder ein.
Der Mann war von untersetzter Gestalt, etwa vierzig, mit kurzem schwarzen Bart, das Gesicht nicht unschön, aber der Ausdruck stupid und einfältig, wozu das tief über die Stirn gekämmte Haar beitrug. Er hatte den breitrandigen Hut der Landleute dieser Gegend in der Hand und trug einen langen schmutzigen Leinwandrock. Die Frau war eine frische alte Pächterin mit grauem Haar und der Witwenhaube.
Der General sah auf. »Haben Sie einen passenden Führer gefunden, Morelli?«
»Hier diesen Mann, Exzellenza. Er ist ein Verwandter der Fittaiuola Pächterin. und, wie sie sagt, mit den Wegen genügend bekannt. Der andere Knecht liegt krank und der Sohn des Hauses ist fort – wahrscheinlich davon gelaufen vor den Soldaten.«
»Die heilige Jungfrau möge Euer Gnaden die Lüge verzeihen,« sagte die alte Frau redefertig. »Sie haben meinen armen Jungen unter die difesa del paese Landwehr; die sog. Auxiliartruppen. genommen, die den heiligen Vater beschützen sollen vor diesen schrecklichen Franzosen, und sie werden den letzten Trost einer armen Witwe totschießen, wozu ihn die Heiligen mir doch sicher nicht geschenkt haben.«
»Der Mann da ist in Ihrem Dienst?«
»Mein leiblicher Verwandter, Excellenza – meiner seligen Mutter selige Schwester …«
»Schon gut! Ihr müßt Euch für vierundzwanzig Stunden ohne ihn behelfen. Dienst des Königs! Kennst du die Wege, um einen Offizier auf den nächsten Feldwegen an der Festung vorbei nach Falconara noch diese Nacht zu bringen.«
Der Knecht lachte dumm. » Si Signore – warum sollte ich nicht?«
Bei dem Klang dieser Stimme lief es wie ein leises Zucken über die Glieder des bisher bewußtlos auf dem Bett liegenden Verwundeten.
»Du wirst zwanzig Livre erhalten, wenn du es tust, eine Kugel durch den Kopf, wenn du den Weg verlierst. Merke dir das!«
»Heilige Rosalia,« klagte die Pächterin – »da müßte ich ja ganz allein hier bleiben unter all dem Kriegsvolk. Haben Euer Exzellenza Gnade mit einer armen alten Frau!«
»Der Pater dort bleibt zurück bei dem Verwundeten. Ich denke, ein Pfaffe ist euch Weibern stets die liebste Gesellschaft.« – Er fuhr alsdann in französischer Sprache zu dem Adjutanten gewendet, fort: »Schreiben Sie, Major, dem Admiral Persano: General Cialdini ersucht Se. Exzellenz, morgen Vormittag sofort das Bombardement von Ancona zu beginnen, um die Besatzung an jedem Ausfall zu verhindern, da die Truppen Sr. Majestät zu dieser Zeit mit der Vernichtung der Horden des Herrn Lamoricière beschäftigt sein werden. – So – geben Sie her!« Er unterschrieb mit raschem Zug.
»Die Flotte finden Sie auf der Höhe von Falconara stationiert, Kapitän Morelli,« wandte er sich wieder zu diesem. »Jedenfalls wird dort ein Boot liegen. Geben Sie sogleich das Signal, daß eine Depesche von Wichtigkeit unterwegs ist. Sie nehmen eine Ordonnanz und diesen Mann. Sie haben gehört, was ich ihm versprochen habe: ein Goldstück oder eine Kugel.«
In diesem Augenblick sagte der Arzt, der das Zimmer noch nicht verlassen: »General, der Kranke hat die Augen geöffnet, er ist zum Bewußtsein zurückgekehrt.«
In der Tat hatte der Irländer die Augen groß aufgeschlagen und richtete sie forschend von einem der Anwesenden auf den andern. Indem sie den Knecht des Casale streiften, nahmen sie einen fragenden Ausdruck an. Er fuhr mit der Hand zweimal über die Stirn, als wolle er seine Erinnerungen sammeln.
General Cialdini war sofort an das Bett getreten. »Verstehen Sie Italienisch, Signor?«
Der Verwundete machte ein verneinendes Zeichen.
»Gut, also Französisch, da es mit meinem Englischen mäßig bestellt ist. Sie befinden sich als Gefangener in meinen Händen. Ich bin der General Cialdini!«
Der Verwundete sah ihn gleichgültig an, es zuckte sogar wie leiser Hohn um seine Mundwinkel.
»Sie sind in einer Uniform der Unseren gefangen genommen worden, mitten in unserem Lager, waren also offenbar auf einer feindlichen Unternehmung begriffen und ich könnte Sie nach Kriegsrecht als Spion ohne weiteres erschießen lassen. Aber ich habe Mitleid mit Ihnen, da Sie ohnedies schon dabei gefährlich verwundet worden sind. Gestehen Sie offen, welchen Auftrag Sie hatten?«
Der Gefangene zog die Brauen finster zusammen und seine Augen warfen einen stolzen Blick auf den General.
»Sie reden mit einem Gentleman, Sir, ich bin Offizier!«
»Das tut hier nichts zur Sache. Ich weiß, daß Sie Depeschen nach Ancona zu bringen haben. Wo sind dieselben? Da Sie gefangen sind, kann die Auslieferung Ihrer Ehre nicht schaden.«
»Suchen Sie!«
»Sie werden mich zu mir widerstrebenden Maßregeln zwingen. Diesen zu entgehen ist es sogar Ihre Pflicht, die Papiere auszuhändigen.«
»Suchen Sie!«
Der General stampfte unwillig auf den Boden. » Capaccio! Starrkopf. diese Engländer sind einer wie der andere. Warum sind Sie noch hier?« wandte er sich zornig an den Kapitän.
»Euer Excellenza haben noch nicht bestimmt, wie ich diesen Bauernlümmel fortbringen soll. Damit wir rasch vorwärts kommen, müßte er doch beritten gemacht werden und wir haben hier keine überflüssigen Pferde.«
»Es wird sich doch in den Ställen dieser Wirtschaft irgendein alter Gaul finden – nehmen Sie diesen ohne weiteres.«
Der Knecht lachte dumm. »Nä« – sagte er täppisch, »Sie werden keinen Roßschwanz finden – nichts als das abgetriebene Pferd von dem armen Kerl da, den sie gestochen oder geschossen haben, und ich will lieber hier bei der Muhme bleiben.«
»Darüber, guter Freund, wird man dich schwerlich fragen. Aber der Kerl hat in seiner Dummheit uns einen Ausweg gezeigt. Nehmen Sie das Pferd des Gefangenen, es scheint ein gutes Tier, so viel ich im Dunkel sah – den Rückweg kann er zu Fuß machen. Und nun fort, und geben Sie Befehl, daß man meine Pferde vorführt. Wir finden Arbeit in Rochetto.«
Der Stabskapitän faßte den Bauer am Arm, um ihn fortzuführen. Während dieser den Hut hob, um eine tölpische Reverenz zu machen, hielt er ihn so, daß nur der Verwundete sein Gesicht sehen konnte.
Mit diesem ging eine blitzähnliche Veränderung vor, die Züge drückten einen wilden Triumph aus, das bisher so träge Auge schleuderte einen Blitz des Verständnisses. Eben so rasch war aber auch jede Spur dieses Ausdrucks wieder verschwunden, als er sich zur Tür wandte.
Der Verwundete lachte trotz seines Zustandes laut auf.
Der General, der ihm den Rücken gekehrt hatte, wandte sich verdrießlich um, während der Stabskapitän mit dem Bauer und seiner laut lamentierenden alten Verwandten das Zimmer verließ und der Adjutant das Schreibzeug einpackte. »Was ist Ihnen so lächerlich, Monsieur? doch nicht Ihre Lage, die schlimm genug ist.«
» By jove, General,« – sagte Sir Terenz mit lustigem Gesicht trotz der Schmerzen, die er empfand – »Sie haben sich einen guten Tölpel von Boten ausgesucht! Und einem solchen stecken Sie mein echtes Vollblut zwischen die Beine! Auf Ehre, General, Sie sind kein guter Sportsmann! Doch ich habe schon davon aus der Krim gehört.«
General Cialdini, der in der Tat kein besonderer Reiter war, wurde dunkelrot und schnitt ein grimmiges Gesicht. »Zum letztenmal – wollen Sie gestehen, wo die Depesche des Herrn Lamoricière ist?«
»Auf dem besten Wege nach Ancona, General!«
Dieser verbiß einen Fluch zwischen den Lippen. »Wenn Sie nicht der Überbringer von Papieren sind, was zum Teufel führte Sie denn zwischen unsere Linien?«
»Ich wollte einen entlaufenen Mönch zurückholen in sein Kloster, General!« Der Irländer wies spöttisch auf den Kapuziner, der – seit er sich an dem Bett niedergelassen, – unbeirrt in seinem Brevier las und auch jetzt um den Hohn sich nicht zu kümmern schien, vielmehr aufstand und das Kissen des Kranken zurechtschob.
»Sie werden gut tun, Monsieur,« sagte der General trocken, »wenn Sie den Pater höflich behandeln, Ihr Leben dürfte von seiner Pflege abhängen, denn ich habe keine Doktoren für Sie übrig. Sind die Pferde da? Kommen Sie, Minghetti, dieser verdammte Engländer hat mir fast ebensoviel Galle gemacht, wie vorgestern der unverschämte Berliner Journalist, der mit Gewalt durch unsere Linien nach Ancona wollte.«
Der Major lachte. »Ah – Signor Wachenhusen!«
»Ich glaube, so heißt er. Gute Nacht, Herr, und ich will um Ihretwillen wünschen – a reviderci!«
Die beiden Offiziere verließen die Stube – gleich darauf hörte man die ganze Kavalkade davon galoppieren auf der Straße nach Rochetto.
Sir Terenz lag wohl eine Viertelstunde in tiefem Nachdenken, die Augen an die Decke gerichtet. Zuweilen zuckte der Schmerz der Wunde über sein offenes Gesicht, öfter aber noch umspielte ein munteres spöttisches Lächeln die etwas blaß gewordenen Lippen, gleich, als freue er sich über einen gelungenen Streich.
Endlich wurde der Schmerz heftiger und er machte eine Bewegung, sich auf die Seite zu werfen.
»Sie dürfen sich nicht so gewaltsam rühren, Sir,« sagte eine freundliche wohlklingende Stimme in gutem Englisch, doch mit romanischem Akzent, – »der Arzt hat strenge Ruhe befohlen, damit die Blutung sich nicht aufs neue ergießt. – Wünschen Sie etwas?«
Der Irländer sah erstaunt zur Seite, der junge Kapuziner stand an seinem Bett.
»Sie hier? – was tun Sie hier?«
»Sie hörten es von Sr. Exzellenz, dem General Cialdini, ich bin zu Ihrer Pflege zurückgeblieben.«
»Nachdem Sie mir selbst das Messer in die Seite gestoßen?«
»Dafür schleppten Sie mich wie der Schlächter ein Kalb über dem Sattel Ihres Pferdes fort. Ist es ein Unrecht, sein Leben, wenigstens seine Freiheit, zu verteidigen? Ich denke, Sir, wir sind quitt!«
»Ich liebe die Verräter nicht, die ihre eigene Sache verkaufen!«
»Ich bin ein Priester der katholischen Kirche, nicht des päpstlichen Staates. Der Priester ehrt die ewigen und heiligen Wahrheiten der Religion und wird gern sein Leben zu ihrer Verbreitung einsetzen – der Mann wünscht die Größe und Freiheit seines Vaterlandes. Sie sind allem Anschein nach – sonst ständen Sie nicht als Fremder in der römischen Armee – ein guter Katholik – aber ein Sohn Irlands. Wünschen Sie nicht, Ihre Heimat frei zu sehen von der Tyrannei Englands?«
»Mit meinem Leben, wie jeder Sohn Erins!«
»Und dennoch kämpfen Sie unter dem Vorwand der Beschützung der Religion gegen ein Volk, das gleichfalls seine Freiheit, seine Selbständigkeit erstrebt, statt sich dem großen Bunde anzuschließen, der im stillen für die Freiheit Irlands und für das Recht seines Glaubens kämpft.«
»Des Bundes – was meinen Sie? O'Connel ist tot.«
»Haben Sie nie von den Feniern gehört?«
Der Irländer starrte ihn an. – »Man hat mir allerdings in Dublin diesen Namen genannt, aber – – wie kommen Sie dazu, was wissen Sie von Irland? Wie kommt es, daß Sie, ein italienischer Mönch, ein junger Mann, so fertig die Sprache meiner entfernten Heimat sprechen?«
»Nicht die Sprache Ihrer Heimat – nur die Sprache Ihrer Tyrannen. Aber jeder Cicerone in Rom spricht Englisch, warum nicht ein Schüler des Collegiums della Sapienza. Doch diese Unterhaltung regt Sie auf und schadet Ihnen. Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß auch ein Mann der katholischen Kirche die Armee der päpstlichen Regierung als seine Feinde bekämpfen und die sardinische Hilfe als Befreier begrüßen kann, ohne deshalb ein Verräter an seinem Vaterlande oder ein Frevler an seinem Glauben zu sein. Jetzt, Sir, kein Wort weiter und schlafen Sie, und wenn Sie nicht mehr in mir den ungetreuen Mönch sehen, – dann morgen mehr in dem freien Umbrien!«
Wir bitten den Leser, die oben gegebene kurze Beschreibung des Tals des Musone, – des Schauplatzes der Schlacht – sich in das Gedächtnis zurückzurufen.
Die Piemontesen hatten schon am 17. die Position zwischen den beiden aufgenommen Brücken über den Musone und den Vallato mit starken Infanterie-Posten nebst Artillerie hinter Verschanzungen besetzt, denen als Soutiens am Fuß der Hügelgruppe von Castelfidardo und Crocette zwei Regimenter Kavallerie und 8 Geschütze dienten. Die Abhänge der Hügel waren mit gedeckten Infanterie-Kolonnen und Geschützen besetzt – die Reserven standen in Castelfidardo, Camerano und Osimo.
Noch im Laufe der Nacht hatte auf die erhaltenen Nachrichten General Cialdini seine Position in den Gehöften, welche den beiden Furten durch den Musone gegenüber lagen, bedeutend verstärkt, so daß er dieselben unter scharfem Feuer hielt. Die letzte Batterie stand bei dem Weiler, in dem wir soeben den verwundeten Irländer zurückgelassen haben.
Nach der vom päpstlichen Obergeneral gegebenen Disposition sollte General Pimondan den Angriff eröffnen, die westliche Furt passieren und den Feind auf der Höhe von Castelfidardo so lange beschäftigen, bis die zweite Linie und der Convoi unter Oberst Croft die untere oder östliche Furt passiert hatte.
Wir wissen, daß diese Disposition bereits verraten war!
Um 7½ Uhr rangierten sich die Truppen des General Pimodan auf der Höhe von Loretto – es waren 4½ Bataillone, 12 Geschütze und 3 Eskadrons.
Der General ritt die Fronten entlang, er sprach mit vielen Offizieren und ermunterte sie. Namentlich war es die deutsche und die franko-belgische Legion, die er lebhaft begrüßte. Als er die Indigeni passierte, wurde sein männlich edles Gesicht finster.
Es schlug 9 von der Kathedrale, vor deren Marmorstufen der Obergeneral mit einer zahlreichen und glänzenden Suite hielt.
General Lamoricière reichte dem tapfern Kameraden die Hand.
»Es ist Zeit,« sagte er. »Sorgen Sie, daß Sie diesen Abend Ihrer jungen Frau Die Gemahlin des General Pimodan stammte gleichfalls aus den ersten Legitimistenfamilien Frankreichs (Montmorenci-Leval und Mirapoir) und war die Tochter der verwitweten Marquise von Couronnel. nach Paris von Ancona aus gute Nachrichten schreiben können.«
Offiziere, welche sich bei diesem Abschied in der Nähe befanden, erinnerten sich später, daß bei der Erwähnung seiner jungen und schönen Gattin General Pimodan einen Augenblick die Farbe wechselte.
Ohne eine Antwort zu geben, salutierte er und sprengte, den Degen erhebend, vorwärts.
Der Oberst Corbucci, welcher die Avantgarde kommandierte, gab sofort das Zeichen, die Trommeln wirbelten, und das Bataillon Carabinieri, gefolgt von vier Geschützen, stieg die Höhe hinab.
Hinter ihnen stellte sich das Gros auf, das erste Jägerbataillon, die Cacciatori, ein halbes Bataillon Franko-Belgier, unter dem heldenmütigen Bacdelièvre, und acht Geschütze.
Das linke Ufer des Musone war nur von einigen piemontesischen Bersaglieris besetzt, die in den Gärten neben der westlichen Furt versteckt, ein lebhaftes Feuer auf die Carabinieris eröffneten, sich aber dann zurückzogen, um sie weiter gegen die Hauptstellung zu locken. Der Plan des Generals Cialdini ging infolge der verratenen Dispositionen dahin, die ganze päpstliche Armee den Musone überschreiten zu machen, und im Tale des Aspio sie dann mit seiner starken Stellung bei Castelfidardo und Rochetto in der linken Flanke zu fassen und zu vernichten.
Die päpstlichen Carabinieri gingen rasch und entschlossen über den Fluß, rallierten sich in der Vertiefung am linken Ufer und ihnen folgten, von dem anscheinenden Erfolg getäuscht, die beiden Bataillone des Gros, das erste Jägerbataillon (Cacciatori) und die franco-belgische Legion, Tirailleure, obgleich junge Soldaten, doch eine vortreffliche Truppe. Die drei Bataillone wurden sofort in drei Kolonnen formiert.
General Pimodan mit seinem Stab war im Augenblick neben ihnen.
»Oberst Corbucci!«
»General!«
»Das erste Gehöft dort am Abhang scheint nur von einem Bataillon besetzt. Wir müssen es haben als Stützpunkt für den Angriff auf das Plateau und das Geschütz. Die Artillerie dort beherrscht alle Abhänge. Geben Sie das Signal zum Angriff.«
Die Trommeln wirbelten und die Carabinieri und Jäger stürzten gegen die Villa vor, von einem scharfen Feuer empfangen.
Plötzlich schlugen Flintenkugeln vom Flusse her in der Nähe des Generals ein.
Er wandte sich erstaunt um.
» Pas que Dieu! was fällt dem Major ein? Kapitän Lenord – geschwind zu diesen Dummköpfen und lassen Sie das Feuer einstellen. Dort stürzen bereits Leute der Angriffskolonne!«
Die Reserven – das zweite Jägerbataillon, Indigeni, eingeborne Truppen – und ein Bataillon Bersaglieri, Schützen; Cacciatori: Jäger. Deutsche, hatten mit den Geschützen bereits die Furt passiert. Aus Besorgnis vor einigen Kugeln, die unter die Jäger einschlugen, hatte der Major des Bataillons die unglückliche Idee gehabt, eine Kompagnie als Tirailleurs in den Rohrfeldern aufzulösen, und die des Feuers ungewohnten Soldaten schossen aufs Geratewohl nach allen Richtungen.
Oberst Corbucci hatte unterdes die Höhe erstürmt und das Gehöft genommen. Die Päpstlichen machten hundert Gefangene und setzten sich zwischen den Gebäuden fest, trotz des Feuers der piemontesischen Batterie, die bei der zweiten Villa, etwa 900 Schritt auf dem Plateau entfernt, aufgestellt war.
Bis jetzt hielt der Obergeneral noch jenseits des Flusses auf der Höhe von Loretto, den Gang des Gefechts beobachtend. Die Straße von Loretto hinunter rechts nach der Furt wälzte sich jetzt die Kolonne des Trains, um sich dem Marsch anzuschließen.
In der Gruppe des zahlreichen Stabes waren die Gläser teils auf das Gefecht, teils auf die niederziehenden Kolonnen gerichtet.
»Ah – sehen Sie, Marmont – Oberst Blumenstiel läßt vier Geschütze am Abhange auffahren zur Verteidigung der genommenen Casa und zur Vorbereitung des Angriffs. Ich möchte wohl dabei sein. Bacdelièvre wird wieder alle Lorbeeren einstecken und dann unerträglich sein!«
Der junge Herzog von Ragusa warf einen flüchtigen Blick hinüber nach der Position von Castelfidardo und richtete sein Glas dann wieder auf die Wagenkolonne.
»Was zum Teufel haben Sie denn da so Merkwürdiges zwischen den Sanitätskarren und Bagagewagen?«
» Vraiement, Chevigné – es ist die Engländerin, die gestern abend ankam. Wo zum Henker hat sie denn Pferde herbekommen, da es uns selbst so sehr daran fehlt.«
»Sie ist um Mitternacht noch bis zum General gedrungen und hat sich die Erlaubnis ausgewirkt, den Truppen nach Ancona zu folgen,« sagte der Kapitän Catelienau.
»Armer Paddy, seine Flucht wird ihm also wenig helfen. Aber ich möchte wissen, ob der Bursche, der in Wahrheit ein verteufelter Reiter ist, glücklich nach Ancona gelangt ist? Wenn ihr Ausfall uns helfen soll, müssen wir in der nächsten halben Stunde ihr Feuer von Umana oder Camerano her hören.«
Auch der General beobachtete nach dieser Richtung.
»Sehen Sie, Catelienau, Pimodan geht scharf darauf. Dort unten ist jetzt auch die Batterie Richter im Feuer. – Was ist aus der Schwester des Irländers geworden? ich hatte gestern abend keine Zeit mehr, mich darum zu kümmern!«
»Sie war im Lazarett tätig – ein famoses Mädchen! – Ah – verdammt!«
»Was ist?«
»Wenn ich nicht irre, ist soeben Kapitän Richter gefallen, das Feuer der Halbbatterie stockt – –
«Nein! es wird wieder aufgenommen, Leutnant Daudier ist ein tüchtiger Offizier.«
Der General wandte sich um. »Kapitän Chevigné, reiten Sie hinunter und sagen Sie Oberst Croft, daß die Reserven dort hinter jenen Büschen außerhalb des Feuers eine gute Stellung finden werden. – Ah – da geht Pimodan vor! –«
Unwillkürlich drängte er selbst sein Pferd vorwärts. Die Adjutanten folgten ihm. Als der junge Herzog von Ragusa zur Seite lenkte, stieß er auf eine in dieser Umgebung seltsame Gruppe.
»Wie, Sie hier meine Damen? Das ist kein Platz für Sie. Führen Sie die Damen zurück, Herr Kaplan, oder wenigstens dort hinüber zum Train!«
Ein lachendes schelmisches Gesicht sah ihn an. »Ei, Herr Herzog, wer wird so ungalant gegen die Neugierde der Frauen sein. Ich möchte mir gern einmal eine Schlacht und die Heldentaten all der schönen Herren in der Nähe ansehen!«
Es war die muntere Irländerin, die – über ihrem etwas abenteuerlichen Kostüm eine offene Nonnenkutte, sehr ungeistlich aus dieser hervorschaute und die Reitgerte gegen den kleinen fahlen Maulesel handhabte, der sie trug. Neben ihr standen die hohe Gestalt der fremden Klosterfrau und deren plumper Begleiter, der mit der größten Mißbilligung aber sehr unverwandt auf die muntere Reiterin blickte.
»Werden wir meinen Bruder in Ancona treffen, Herr Herzog?« fuhr die Irländerin fort.
»Ich hoffe es, Mylady – wenn wir selbst hinkommen!« fügte er leise bei. – »Aber da Sie nun einmal nicht in Loretto bleiben wollen, kann ich Sie wirklich nicht ohne Schutz lassen. Heda – Monsieur de Laroche-Beauvoir, kommen Sie gefälligst einen Augenblick hierher.«
Einer der Guiden, ein blutjunger Mensch, der eben vorüber kurbettierte, kam heran.
»Ich werde es bei Herrn von Bourbon verantworten, Herr Marquis,« fuhr der Stabskapitän fort, »daß ich Sie hier zu einem Dienst presse. Indes der Dienst der Frauen ist so ehrenvoll wie der des Schlachtfeldes. Ich bitte Sie, diese Damen unter ihren jungen Schutz zu nehmen und Sorge zu tragen, daß sie ungehindert unserem Wagenzug sich anschließen können. – Verzeihung, aber dort ruft mich der Dienst!«
Er salutierte mit eleganter Negligence, als wäre er den Frauen auf der Promenade von Longchamp begegnet, statt im Donner der Schlacht, und galoppierte hinter der Suite des Obergenerals her, der eilig nach der Furt ritt.
Der erste Angriff des General Pimodan auf das zweite Gehöft des Plateaus von Castelfidardo war zurückgeschlagen worden.
Die kleinen Kolonnen aus den Franco-Belgiern und aus Abteilungen der Carabinieri und des ersten Jägerbataillons bestehend, unter dem Kommando des tapferen Majors der Belgier war trotz des heftigen Gewehrfeuers vom Gehöft aus und dem daran stoßenden Gehölz entschlossen vorwärts gegangen, hatte die wohl 700 Schritt lange ungedeckte Strecke durchlaufen und war bis zum Rande des Abhangs vorgedrungen, als sie das Linienfeuer eines deployierten Bataillons empfing, welches so viele Leute außer Gefecht setzte, daß Major Bacdelièvre den weitern Angriff aufgeben und das Signal zum Rückzug geben mußte. Trotz der großen Verluste und des nachdrängenden Feindes geschah dieser in voller Ordnung.
Dennoch war die tapfere Schar in höchster Gefahr. Die Piemontesen drängten in voller Wucht nach und waren bereits auf fünfzig Schritt heran, als der Major »Kehrt!« befahl. Ein wohlgezieltes Feuer empfing die Piemontesen und dann stürzten die wackern Belgier sich mit dem Bajonett auf den Feind, der den Chok nicht aushielt, sondern unter dem Feuer der von Leutnant Daudier kommandierten wenigen Geschütze sich eilig zurückzog.
So erreichte der Rest der Kolonne glücklich wieder das erste Gehöft, von General Pimodan empfangen, der, obschon im Gesicht verwundet, auf seinem Posten geblieben war.
Der Feind hatte viele Verluste gehabt, aber auch eine große Anzahl der Päpstlichen war gefallen und dies war um so mehr von Gewicht, als sie zu den besseren Truppen gehörten und ihre Zahl ohnehin nur gering war.
General Lamoricière hatte dies Resultat beobachtet, und einsehend, daß die zweite Position nicht mit den bereits auf dieser Stelle befindlichen Truppen genommen werden konnte, gab er dem Obersten Alet den Befehl, mit dem ersten Schweizerregiment aus der zweiten Linie vorzurücken und die Reserven zur Unterstützung des Gehöftes zu senden.
Gegen dieses brachen jetzt die Piemontesen in aufgelösten Tirailleurschwärmen aus dem Gehölz vor. Ihr Feuer fügte den hinter den Gebäuden postierten Reserven bedeutenden Schaden zu, bis Bacdelièvre mit dem Rest seiner Truppe sie nochmals in das Gehölz zurückwarf.
Unterdes wurde das von General Lamoricière befohlene Manöver der Infanterie zwar ausgeführt, aber nur das erste Bataillon der Jäger und das zweite Bataillon Bersaglieri, Deutsche aus den österreichischen Werbedepots, erreichten das Gehöft.
Die Schweizer waren bis auf die Offiziere nicht mehr die alten – nur der Name ihrer unverbrüchlichen Treue existierte noch – nicht der Geist selbst. Noch einmal tönte aus den Reihen des Regiments, während der Held von Constantine an ihnen vorübersprengte, das kühne » En avant!«, aber kaum ist es deployiert und die ersten Granaten der Piemontesen krepieren in seinen Reihen, den Tod verbreitend, als es in wilder Flucht auseinanderstiebte und das Reserveechelon mit sich fortriß.
Vergeblich warfen sich der Obergeneral, der tapfere Oberst Alet und die Schweizeroffiziere den Fliehenden entgegen, – das Beispiel derselben wirkt ansteckend und die Cacciatori, die feigen Isaliner, folgen der wilden Flucht der Esteri. Fremde geworbene Truppen.
Nur die deutschen Bersaglieri unter ihrem braven Major Fuchtmann halten Stand.
Der Verrat scheint nur diesen Moment erwartet zu haben.
Bei dem Rest der Artillerie, der auf der Chaussee hält, kommandiert der neapolitanische Offizier, der am Abend vorher mit dem Principe Caracciolo den Irländer belauschte.
Kaum sieht Kapitän Negroni jene Flucht, als er befiehlt, die Geschütze zu wenden und zu retirieren. Die Kanoniere versuchen vergeblich auf der Chaussee umzukehren, da dies nicht geht, schneiden sie auf den Befehl ihres verräterischen Offiziers die Stränge durch und jagen querfeldein mit den Pferden davon.
Inmitten dieser allgemeinen Flucht versucht der Obergeneral vergeblich die Infanterie hinter Aufwürfen und Häusern zu sammeln. Die Obersten Croft und Alet halten zu Pferde in dem fliehenden Strom, aber sie haben jede Autorität über das feige Gesindel verloren. Lamoricière befiehlt ihnen endlich, den Versuch jenseits des Musone hinter den Ufern und Dämmen zu erneuern und mit den gesammelten Truppen die Furt am Aspio zu passieren und den Weg nach Umana einzuschlagen.
Währenddem folgt Sturm auf Sturm der Piemontesen, auf das von General Pimodan besetzte Gehöft, in dem sich jetzt die Deutschen an der Seite der Franco-Belgier schlagen. Cialdini haßt die Franzosen – ein Triumph über zwei französische Generale ist ihm nach der Rolle willkommen, die ihn die Franzosen in der Krim und der Lombardei spielen ließen!
Zwischen den Gebäuden sammelt General Pimodan die Reste seiner Schar zu einem letzten Vorstoß gegen die dunklen Kolonnen der Bersaglieri, die wiederum den Abhang herabziehen. Es sind die dezimierten Carabinieri, zwei Kompagnien seines Jägerbataillons, die Franco-Belgier und die deutschen Bersaglieri des Major Fuchtmann. Eine Kugel hat ihn schon früher unter dem Auge verwundet, das Gesicht ist mit Blut überströmt, aber dennoch behält er das Kommando. Vierzehn piemontesische Geschütze sprühen jetzt ihre Kartätschen gegen die tapfere kleine Schar. Der Baron von Bacdelièvre bittet ihn, zurückzugehen und sich verbinden zu lassen. »Es ist nichts. Kinder! – Vorwärts!« – Da trifft eine zweite Kugel seinen rechten Arm. Er nimmt den Degen in die Linke und kommandiert weiter. Begeistert von diesem Beispiel, werfen sich die Soldaten gegen den anstürmenden Feind – er weicht!
Da trifft eine dritte Kugel den General ins rechte Bein. Er schwankt im Sattel – sein Adjutant eilt herbei. Aber der Tapfere hebt den Degen hoch in der Linken. »Gott ist mit uns, Kinder! vorwärts! vorwärts!« und erst die vierte Kugel mitten durch den Leib wirft ihn tot vom Pferde. Die Szene ist genau historisch.
Die Piemontesen weichen nochmals.
In diesem Augenblick kommt der General en chef herbei. Er hat keine Zeit, dem gefallenen Freunde mehr als einen Blick des Bedauerns zu widmen. Er übergibt das Kommando dem Obersten Graf Coudenhove mit dem Befehl, sobald er sich nicht mehr halten könne, gegen den Fluß zurückzugehen und womöglich die Artillerie zu retten.
Um ihn darin zu unterstützen, eilt er zur Kavallerie in der Ebene. Aber er findet von dieser nur noch die Schwadron Chevaulegers – Deutsche! – geführt vom Grafen Zichy, und die Guiden – die italienischen Dragoner – haben Kehrt gemacht!
Die Auflösung und Flucht ist jetzt allgemein! Ein großer Teil der Flüchtlinge lief den Musone hinab, ohne auf die andere Seite zurückzukehren. Zum Glück verhinderte noch der Pulverrauch und das Gebüsch den Feind, die Desorganisation zu sehen und sich zunutze zu machen. Der Obergeneral beauftragt die Kapitäns Lorgeril und Lepri und den Leutnant Maistre, zu versuchen, die Ausreißer zu sammeln.
In dem Augenblick, wo er selbst im Grunde hält und sieht, daß Graf Coudenhove eben seinen Rückzug beginnt, taucht aus dem Pulverdampf eine seltsame Gestalt neben ihm auf, ein Landmann im weiten Leinenrock, darunter die Samtjacke und den roten Brustlatz der Banditen von Subiaco. Der Mann sitzt auf einem bis zum äußersten abgetriebenen Pferde von edelster Rasse, das unter ihm zusammenzubrechen droht.
»General, der Weg durch die Berge über Umana ist frei!«
Der General wendet sich erstaunt um und sieht ihn an.
»Sprechen Sie die Wahrheit? Wer sind Sie? wo kommen sie her?«
»Von Ancona selbst. Dieser Herr hier wird mich kennen« – der Landmann weist auf den jungen Herzog von Ragusa – »und das arme Tier, das ich reite, kennt Euer Excellenca selbst!«
»Bei Gott – es ist der Mann, der gestern abend Leutnant O'Donnel mit der Depesche nach Ancona geleitete!«
Die Stirn des Generals wirft eine drohende Falte. »Und wenn Sie glücklich nach der Festung gelangt sind, warum hat man meine Befehle nicht erfüllt? Wo ist der treulose Offizier?«
»Schwer verwundet in den Händen des Feindes. Erst diesen Morgen gelang es mir, in die Festung zu kommen.«
»Und meine Depesche?«
»Sie ist unter dem Schwanz Ihres Pferdes durch die sardinische Armee passiert, ich habe sie statt des braven Offiziers dem Kommandanten überliefert.«
»So war es immer noch Zeit. Wenn der Graf von Quatrebarbe meine Befehle erfüllt hätte, wären wir jetzt nicht geschlagen!«
»Excellenca,« unterbrach der Brigante ehrerbietig diesen Ausruf an seine Umgebung – »ich weiß zwar nicht was die Depesche enthielt, – aber seit diesem Morgen wird Ancona von der sardinischen Flotte bombardiert! Ich bin zurückgekehrt, Ihnen dies zu melden.«
Ein allgemeiner Ruf des Erstaunens begleitete diese Erklärung des Ausbleibens der erwarteten Hilfe.
General Lamoricière sah einige Augenblicke starr vor sich nieder – die Hand des gewaltigen Geschicks streifte über den glänzenden Lorbeer von zweiundzwanzig Siegen am Atlas!
Dann erhob er sich wie ein Held, der auch das Unglück mit eherner Stirn trägt.
»Ich danke Ihnen für den Dienst, den Sie der Sache der heiligen Kirche geleistet. Kennen Sie eine Furt im Aspio, durch welche wir den Weg nach Umana erreichen könnten? denn die Brücke ist unter dem Feuer ihrer Batterien.«
»Ja, General!«
»So bringen Sie diesen Mann zu dem Grafen Zichy, Herr Herzog, und lassen Sie die Furt aufsuchen und besetzen. Dorthin, meine Herren, muß alles dirigiert werden, was wir noch zusammenraffen können. Ein Rückzug nach Loretto wäre das sichere Verderben.«
»Aber die Flüchtigen jenseits des Musone?«
»Versuchen Sie, zu retten, was möglich ist, Kapitän Chevigné – jede weitere Disposition muß ich Ihnen überlassen.«
Der General sprengte vorwärts; Marmont gab dem Briganten ein Zeichen, ihm zu folgen, als dieser sich an den Offizier wandte, der eben den Auftrag wegen der Flüchtigen jenseits des Musone erhalten hatte.
»Signor Capitano,« sagte er, »darf ich mir erlauben, Ihnen einen Rat anzubieten?«
»Sprechen Sie, – Sie scheinen ebenso gewandt als mutig!«
»Dann wäre es der, sich in die Berge meiner Heimat zu werfen. Es würde ebenso schwer sein, Rom wie Ancona zu erreichen, und in den Abruzzen können Sie dem Feinde mehr Schaden zufügen, als hinter den Wällen einer Festung. Wenn Sie Ihre Leute nach Civita-Nuova führen wollen, werde ich Sie morgen früh dort treffen, sobald ich den General bis Umana geführt habe.«
»Also ein Brigantenkrieg? Parbleu, ich nehme es an! Was meinen Sie, Marmont, daß man von dem Banditenchef Chevigné im Fauburg St. Germain und im Feuilleton der France erzählen wird?«
»Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen gehen! Und nun Gott befohlen, auf Wiedersehen in Rom oder in einer andern Welt!«
Sie sprengten nach verschiedenen Richtungen davon.
* * *
Wir haben jetzt den Frauen zu folgen, die sich in das Getümmel der Schlacht gewagt, um sich dem Marsch nach Ancona anzuschließen.
Der Vetturin, welcher die englische Dame nach Loretto gebracht, hatte sich geweigert, sie weiterzufahren, und Miß Mary ihm kurz entschlossen Wagen und Pferde zu einer unverschämten Summe abgekauft. Dies war das Gefährt, das der lange Diener oder Begleiter der Dame jetzt leitete, unterstützt von der polyglotten Suada des kleinen Kuriers, der zum Gelächter der Trainsoldaten und der Eskorte in vier oder fünf Sprachen bat, drohte und schimpfte, um seinem Wagen einen guten Platz in der Kolonne zu sichern, was ihm auch vollständig gelang.
Der Wagenzug hatte zur größeren Hälfte bereits die Furt über den Musone oberhalb des Aspio passiert, als die Flucht der päpstlichen Truppen begann und bald allgemein wurde. Die Eskorte trieb jetzt vorwärts und es entstand die größte Unordnung, als ein umgeworfener Munitionskarren den ohnehin in schlechtem Stande befindlichen Feldweg sperrte und einige Granaten zwischen die Wagen einschlugen. Alles fuhr jetzt wild durcheinander, querfeldein oder suchte den Rückweg über den Musone zu gewinnen.
Scheu gemacht durch den Lärm der Schlacht ließen sich die Pferde von der Hand des Master Wilckens nicht mehr halten und rasten querfeldein durch das Tal auf die Brücke über den Aspio zu, die von sardinischer Kavallerie besetzt war, während von dem Hügel daneben eine Batterie die päpstlichen Reserven mit Granaten bewarf.
Von dieser Stelle aus leitete General Cialdini den Kampf, und am Ufer des Flusses hatte die Ambulance ihre blutige Werkstätte aufgeschlagen.
Mit Verwunderung hatte man den einzelnen Wagen heranrasen sehen, dessen Aussehen darauf schließen ließ, daß er zur Equipage eines der feindlichen Oberoffiziere gehörte, und der Ches des Stabes sandte sofort einen Offizier ab, um sich zu erkundigen; denn eben hatten dicht an der Brücke die vor der Kavallerie zurückprallenden Pferde die Kalesche umgeworfen, die sofort von einem Schwarm Soldaten umringt war.
Der General en chef war nicht wenig erstaunt, als er zehn Minuten später eine junge schöne Dame in steifer englischer Haltung trotz der etwas derangierten Toilette am Arme eines seiner Ordonnanzoffiziere auf sich zukommen sah, gefolgt von Monsieur Jean, dem Kurier, der von seinem Purzelbaum eine tüchtige Beule an der Stirn davongetragen hatte, und von einem Kapuzinermönch.
Der Offizier führte Miß Mary bis dicht zu dem Pferde des Generals, machte ihr eine Verbeugung und trat dann lächelnd zurück, indem er sich begnügte zu sagen:
» Madame, voilà le général en chef!«
Die Tochter Großbritanniens begnügte sich mit einem leichten Kopfnicken, sah den General an und fragte:
»Sprechen Sie Englisch, Sir?«
»Ein wenig. Wer sind Sie? was wollen Sie? Hier ist kein passender Ort für Damen und ich habe keine Zeit für Klagen!«
Miß Judith wendete sich statt der Antwort zu dem Kurier um.
»Meinen Paß, Master Jean!«
» Directly, directly, Euer Gnaden! San Pancratio, mort de ma vie! wo steckt denn gleich das verdammte Papier! Ah excusez Madame – ich habe es in mio sombrero stecken, den ich bei dem verdammten Fall verloren. In un momento, Signora et Messieurs – ich bin immediatamente wieder da!« und er begann mit seinen kurzen Beinen eilig nach der Stelle zurückzutraben, wo der Wagen umgestürzt war, unter dem Gelächter der ganzen Suite.
»Zum Henker, was sollen die Narrheiten! wer sind Sie?« schrie der General erbost in italienischer Sprache.
»Ah, Sir, – Sie sind kein Gentleman, wenn Sie in Gegenwart einer Lady fluchen!« sagte die Dame in bestem Italienisch. »Wenn Sie nicht Englisch verstehen, Sir, warum sagten Sie es nicht? Ich bin Lady Judith Hoghborn aus London, und muß nach Ancona!«
»Da können Sie jetzt nicht hin! Ancona ist eine belagerte Stadt und man passiert nicht durch die Linien,« erwiderte der General grob.
O doch, Sir – ich werde mich bei unserm Konsul beschweren!« Der General hatte einen grimmigen Fluch auf den Lippen, verbiß ihn aber, da er das Zucken des Lachens auf den Gesichtern seiner ganzen Umgebung sah. Dabei fiel sein Blick auf den Kapuziner und sein ganzer Ärger brach gegen diesen los.
»Was will der Pfaffe hier? Wie kommen Sie hierher? ich habe Ihnen doch befohlen, bei dem gefangenen Offizier zu bleiben?«
»Ich war auf dem Verbandplatz, wo ich hingehöre, zum Trost der Verwundeten und Sterbenden. So war ich Zeuge des Unfalls dieser Dame, und da ich glaubte, dieselbe verstände nur Englisch, begleitete ich sie hierher, um nötigenfalls als Dolmetscher zu dienen.«
»Wir haben unsere Feldgeistlichen und brauchen Sie nicht!« brauste der General auf. »Da Sie so gut Englisch sprechen, haben Sie wahrscheinlich erfahren, wie der Gefangene heißt?«
»Leutnant Terenz O'Donnel, ein Irländer! Er liegt augenblicklich im Wundfieber unter der Pflege der Pächterin, und wenn Euer Excellenca einen Arzt befehlen wollten – –«
»Terenz O'Donnel?« unterbrach ihn die Lady. »Wo ist dieser Herr?«
»Er liegt verwundet in einem Kasale, eine Miglie von hier!«
» Well! well! Dann brauche ich nicht nach Ancona! Verzeihung, Sir, daß ich Sie belästigt! – Er ist mein Verlobter, ich bitte, führen Sie mich zu ihm!«
Und mit leichtem hochmütigen Kopfnicken wandte sie dem General den Rücken, winkte dem Pater, sie zu begleiten, und ging nach dem Wagen zurück, den Master Wilckens unterdes mit Hilfe der Soldaten wieder aufgerichtet hatte und in den man eben einige Schwerverwundete hob.
Diesmal genierte sich der General en chef nicht, mit einem derben Fluch alle verrückten Engländerinnen bis in die unterste Tiefe der gewöhnlichen Heimat aller bösen Plagegeister zu verwünschen, und sprengte unter dem Kichern seiner Offiziere davon, von denen mancher sehr gern die Stelle des Kapuziners als Führer der schönen Lady vertreten hätte.
Graf Zichy mit seiner Schwadron, von der ein Zzug im Gewirr abkam, ohne sich wieder anschließen zu können, hatte mit der Hilfe des Briganten eine Furt im Aspio gefunden, dieselbe passiert und als Vorhut der Infanterie die Richtung nach Umana eingeschlagen, wohin sich jetzt alles dirigierte, was nicht bereits gefangen oder jenseits des Musone zurückgegangen war. Überall ließ der Obergeneral Offiziere zurück, welche den zerstreuten Truppen die Route angeben sollten, die er genommen.
Graf Coudenhove hatte mit dem Rest der Division Pimodan noch einige Zeit das genommene Gehöft behauptet, dann aber sich nach dem Musone zurückgezogen. Hierbei bildete das deutsche Bersaglieribataillon die Arrieregarde und rettete durch seine entschlossene Haltung die Division nebst dem größten Teil der Geschütze.
Die Artillerie, welche zuerst wieder die Furt passierte, schlug eiligst die Straße nach Loretto ein, ohne sich um die von dem General aufgestellten Offiziere zu kümmern. Die Infanterie folgte in Auflösung diesem Beispiel. Die Generalstabsoffiziere, welche kein Gehör fanden, verließen zum Teil die Truppen, um wieder den General zu erreichen. – – – – – – – – – – – – – – –
Wir haben erzählt, wie beim Beginn des Gefechts die Schwester des Irländers mit der westfälischen Klosterfrau und ihrem geistlichen Begleiter sich anschickte, dem Train über den Musone zu folgen, um Ancona zu erreichen, und wie einer der Stabsoffiziere sie dem Schutz eines jungen Guiden übergeben hatte.
Der junge Edelmann, aus einer der ältesten Legitimistenfamilien Frankreichs, zählte kaum siebzehn Jahre, aber die Tränen seiner Mutter, der vornehmen Marquise, die zurückgezogen auf ihrem Schloß in der Vendée dem einzigen Sohne und Erben lebte, hatten nicht vermocht, ihn zurückzuhalten, als der Notruf des bedrängten Oberhaupts der katholischen Christenheit erklungen war.
Der Auftrag, den er erhalten, schien ihm große Freude zu machen, denn mit hoher Röte auf dem jugendlich feinen Gesicht und den Hut in der Hand näherte er sich den beiden Frauen und erklärte, daß er zu ihren Befehlen stehe. Er fragte die Nonne, ob sie von seinem Pferde Gebrauch machen könne, und erst als diese sich mit Bestimmtheit weigerte und der Vikar ihm erklärte, daß ein Gelübde die fromme Schwester verpflichte, auch den Rückweg nach der fernen Heimat zu Fuß zurückzulegen, ließ er sich bewegen, wieder sein Pferd zu besteigen, und bat nun die beiden Frauen, ihm dicht zur Seite zu bleiben.
»Wir haben keine Besorgnis, Monsieur, unter dem Schutz eines so tapfern Ritters,« meinte die Irländerin lächelnd, »und wollen hoffen, daß die Kanonenkugeln der Piemontesen so galant sind wie Sie.«
Der Vikar, der den französischen Unterricht des Alumnats zum Teil vergessen, sah unwillig auf die leichtsinnige Sprecherin.
»Die Gnade Gottes und der Heiligen ist es, der wir in dieser großen Not vertrauen müssen,« sagte er unwillig. »Es ist Frevel, Gott zu versuchen, und wir hätten in dem Kloster bleiben sollen, bis die Männer des Krieges das Feld geräumt.«
»Ei, hochwürdiger Herr, haben Sie Furcht?« fragte lächelnd Miß Mary.
»Niemals, wo es die Erfüllung meiner Pflicht gilt. Nur meine ich, wir hätten warten sollen, bis die Schlacht entschieden war!« Er sah mit finsterm Blick auf die barmherzige Schwester.
Sie hörte den Vorwurf nicht, oder wollte ihn nicht hören. Hoffte das junge, gebrochene Herz vielleicht, daß eine mitleidige Kugel sich verirren würde? Ohne aufsehen, schritt sie vorwärts. Selbst die rohen Soldaten schienen Respekt vor ihrem ernsten bleichen Gesicht zu haben, mehr als vor den Guiden des Generals, und an die aufopfernde Pflege denkend, welche die Frauen ihres Ordens den Kranken in den Lazaretten widmeten, machten sie ihr sorgsam Platz, halfen ihr durch die Furt und warnten sie vor den gefährlichen Stellen, wo die Kugeln der feindlichen Batterien einschlagen konnten.
In dem Augenblick, wo die Wagen durch die Furt in das Tal des Aspio gelangten, befand sich das erste Fremdenregiment in voller Auflösung.
Alles ist Pulverdampf, Verwirrung, Schrecken. Die Soldaten des Fremden- und Schweizer-Regiments sind von panischer Furcht ergriffen, vergebens stemmen sich die Offiziere der wilden Flucht entgegen, ihre Stimme verhallt ungehört, sie werden mit fortgerissen, ja – wo sie sich mit Gewalt zu widersetzen suchen, braucht man die Waffen gegen sie!
Der Strom der Flüchtigen hat auch die kleine Gruppe in seine Strudel gezogen und droht sie mit fortzuziehen. Vergebens sucht der junge Guide seine Schutzbefohlenen daraus zu retten, der Ansturm drängt auch ihn zur Seite. Ein verwundeter Offizier wankt auf seinen Säbel gestützt daher – er kann nicht weiter und lehnt sich auf einen umgestürzten Munitionskarren, von dein der Führer die Pferde abgeschnitten hat und entflohen ist.
»Verdammtes Gesindel! nicht wert, daß ein ehrlicher Mann einen Schuß daran verwendet!«
Der Ausruf in deutscher Sprache trifft das Ohr der Nonne. »Heilige Madonna – Vetter Kerssen! – Sie sind verwundet?«
Die barmherzige Schwester reißt sich los von der Hand des Vikars, sie kniet neben dem langsam Sinkenden und bemüht sich, das Blut zu stillen, das aus einer Schußwunde im Schenkel quillt.
»Amalie – barmherziger Gott, wie kommen Sie in das Getümmel? Retten Sie sich, fliehen Sie zurück nach Loretto – ich fürchte, die Schlacht ist verloren!«
»Nicht ohne Sie, Vetter – kommen Sie, stützen Sie sich auf meine Schulter. Man wird mein Gewand achten und uns beistehen!«
Sie bemüht sich, ihn aufzurichten – eine aufgelöste Reiterkolonne braust daher und bricht sich zum Glück für das Paar an dem niedergeworfenen Karren. Sie hat die Nonne und den Offizier von den bisherigen Begleitern! getrennt, die vergeblich im Rauch und Getümmel sie suchen. Es sind die italienischen Dragoner des Fürsten Caracciolo, die so feige Kehrt gemacht, ohne angegriffen und verfolgt zu sein.
»Gott sei Dank, hier ist ein Offizier! Zu Hilfe, Signor, einem verwundeten Kameraden!«
Der Principe pariert einen Augenblick sein Pferd an dem Zufluchtsort der Nonne, er beugt sich nieder, um in dem Pulverdampf besser ihr und dem Verwundeten ins Gesicht zu sehen.
» Cospetto! mein Kampfhahn von gestern! Nun, ich hoffe, du hast deinen Teil und die Piemontesen haben mich der Mühe überhoben, dich Respekt zu lehren!«
Mit Hohnlachen wendet er das Pferd zur Seite und galoppiert weiter.
»Feiger Schurke!« murmelt der Verwundete, und eine Ohnmacht umfängt seine Sinne.
Der tapfere Nobile ist kaum zweihundert Schritt weiter gesprengt, als er zum zweitenmal sein Pferd anhält.
» Diavolo – – - ist das nicht die Schöne von gestern? Das wäre ein glücklicher Streich!« und er jagt hinter dein Guiden her, der, den Maulesel am Zügel, die schöne Reiterin aus dem Gedränge zu führen sucht, während der Vikar sich an dem Halfter festhält.
»Sieh da, schöne Donna! – Erlauben Sie, Herr Kamerad, dieses wandernde Dämchen in Sicherheit zu bringen, soll meine Sorge sein!« und er entreißt dem jungen Guiden den Zügel.
»Herr – was unterstehen Sie sich? Zurück, die Dame steht unter meinem Schutz!«
»Sie müssen erst einen Bart haben, ehe Sie auf Weiber ausgehen. Fort, Bursche!« der Verräter hat bereits das Tier der jungen Irländerin mehrere Schritte mit fortgezogen, die um Hilfe ruft.
Im Nu ist der junge Edelmann an der Seite des Italieners. »Feiger Schurke – weg die Hand oder ich stoße dich nieder!«
Und ritterlich blitzt die Klinge des jungen Mannes gegen den Wüstling.
Da kracht zweimal em Revolverschuß – der junge Marquis öffnet die Arme und sinkt auf den Hals seines Pferdes.
»Mörder!«
Der Principe hat den Zügel des Maulesels losgelassen, von dem sich die Irländerin heruntergeworfen, – die begangene Tat jagt ihn ohne weiteren Versuch gegen sie in die Flucht und er verschwindet im Pulverdampf. Der Vikar, der hinter ihnen drein gestürzt, findet den unglücklichen blutenden Jüngling in den Armen des bebenden Mädchens. – – – – – – – – – – – – – –
General Lamoricière, mit den Guiden und den Offizieren, die sich um ihn reihen konnten, hat sich zu der Infanterie-Kolonne begeben, die die Stabsoffiziere unter den Ausreißern gesammelt haben. Es sind ihrer etwa 4-500 Mann und sie nehmen die Richtung nach Umana durch die Furt des Aspio, die der Kapitän Graf Zichy mit seinen Reitern besetzt hat. Die Majors Dupasquier und Bell kommandieren die kleine Kolonne, der sich alles anschließt, was ihr begegnet. An ihrer Spitze neben den Tambours, welche den Regimentsmarsch schlagen, marschierte der Kapitän Delbeck mit der geretteten Fahne des ersten Schweizerregiments. Die alten Soldaten desselben, die vieux troupiers, die wenigen, welche der Flucht widerstanden, hatten sich um ihr altes Banner gesellt und waren guten Mutes. Die Spitze der Kavallerie überzeugte sich bald, daß die Route nach Umana frei sei, wie der Brigante es angegeben.
Es war ein trauriger Zug für den Feldherrn, der so der Siegesgöttin, der steten Begleiterin seiner früheren Jahre, den Rücken wendete.
Die kleine Kolonne war beim Verlassen des Schlachtfeldes wohl kaum vom Feinde bemerkt worden. Erst als sie die Hügel erreichte, erschienen plötzlich piemontesische Bersaglieri, deren Tirailleurs die linke Flanke und die Queue der Infanterie beunruhigten. Dupasquier läßt wiederholt Halt machen und antwortet durch Gliederfeuer. Das Gefecht dauert so an drei Viertelstunden, – endlich von der Übermacht gedrängt flieht die Infanterie mit den meisten Stabsoffizieren gegen das Meer und streckt die Waffen.
Nur die 80 Mann, welche um die Fahne und den Kapitän Delbeck sich geschart haben, setzen ihren Marsch fort, der Schwadron folgend, und nehmen von Sirola ab ihren Weg auf dem beschwerlichen Fußsteig hoch am Meeresufer entlang nach Ancona.
Der Angriff der Bersaglieri hatte aufs neue die meisten Nachzügler der kleinen Truppe zerstreut – und jeder suchte sein Heil, so gut er konnte, die meisten sich wieder rückwärts wendend nach dem Aspio oder der zweiten Furt des Musone, wo noch keine Feinde zu bemerken waren.
Zu diesen Versprengten gehörte eine Gruppe von drei Personen, die jetzt an der Hügelreihe entlang zogen, denselben Weg zurück, den am Abend vorher der irländische Offizier mit dem Brigante genommen hatte. Es war die Schwester des ersteren mit dem deutschen Kaplan und dem armen jungen Franzosen, der bei ihrer Verteidigung so tückisch verwundet worden war, und den das wackere Mädchen nicht verlassen wollte. Der Vikar hatte vorgezogen, ihr zu folgen, da in der herrschenden Verwirrung und wo Freund und Feind noch das Aspiotal füllten, ohnehin keine Aussicht war, seine eigenen Schutzbefohlenen wieder zu finden.
Der erste Revolverschuß des verräterischen Offiziers hatte den rechten Arm des jungen Marquis getroffen, der andere aber seine Brust durchbohrt, und der Feldscher, der auf die dringenden Bitten des Mädchens einen Verband angelegt, hatte die Achseln gezuckt und gemeint, es werde schwerlich viel helfen. Der junge Marquis hatte darauf bestanden, nicht in den Händen des Feindes zurückgelassen zu werden, und so hatte man ihn denn in den Frauensattel des Maulesels gehoben und ihn mit Unterstützung zweier Soldaten dem Zuge nachgeführt, während die Irländerin und der Vikar nebenher gingen.
Aber während des Angriffs der Bersaglieri hatten die beiden Söldner sich aus dem Staube gemacht, und das Mädchen mit dem Priester führten jetzt, so gut es gehen wollte, den Verwundeten allein weiter, der schwankend und totenbleich sich nur mit Mühe im Sattel hielt.
»Mademoiselle,« sagte er schwach – »ich kann nicht weiter. Seien Sie gesegnet für Ihre Aufopferung – aber lassen Sie mich hier nieder, es ist gleichgültig, wo ich sterbe, und retten Sie sich selbst!«
»Reden Sie nicht vom Sterben, Herr,« bat das Mädchen, »und fassen Sie Mut! Kommen Sie mir zu Hilfe, ehrwürdiger Herr, und helfen Sie mir unsern armen Kranken weiter zu bringen. Es muß sich doch hier in der Nähe ein Haus finden, und wir werden einen Arzt herbeischaffen.«
» Beati moribundi pro sancta ecclesia!« murmelte der Vikar, indem er den Verwundeten auf der andern Seite stützte.
»Vergeblich, Mademoiselle – ich beschwöre Sie!«
»Mut, Mut, mein junger Freund, der Sie so tapfer sich eines armen Mädchens angenommen! Ha, der Schurke! ich wollte nur, mein Bruder wäre zugegen gewesen! Aber er wird ihn finden! – Sehen Sie, da oben ist ein Gebäude – halten Sie noch einen Augenblick fest, dort wollen wir Sie niederlassen!«
Sie deutete nach der Krone des Hügels, wo aus dem Buschwerk Mauern sich zeigten, und leitete so sanft als möglich das Tier den Pfad empor, der nach dem Hause oder an diesem vorüber zu führen schien.
Leider sollte sie sich getäuscht haben, als sie hier menschlichen Beistand zu finden hoffte. Es war die Ruine der alten Kapelle oder Klause, welche schon am Abend vorher der Schauplatz jenes Abenteuers gewesen war, das ihren Bruder veranlaßte, den geistlichen Spion zu verfolgen.
Miß O'Donnel sah jedoch ein, daß es unmöglich war, den Verwundeten weiter zu schaffen. Nachdem sie sich überzeugt, daß das Gemäuer gänzlich verlassen war, obschon die verkohlten Brände bewiesen, daß noch vor kurzem Menschen hier gewesen, hoben sie den jungen Mann vom Sattel und trugen ihn in das Innere. Rasch entschlossen warf die Irländerin ihre Kutte ab und bereitete ihm von dieser und zusammengerafftem Laub eine möglichst bequeme Lagerstätte.
Ein dankbarer Blick des armen Jünglings belohnte sie, als sie so eifrig bemüht war, ihm zu helfen und dazwischen ihm Trost und Ermutigung einsprach. Dann sah sie sich, die Höhe hinter dem Gemäuer erklimmend, in der Gegend um, die jetzt von der sinkenden Sonne mit einem roten Schein übergossen wurde, der noch einmal an das geflossene Blut erinnerte.
Der Talgrund der beiden Flüsse war jetzt von Truppenabteilungen der piemontesischen Armee bedeckt, die gegen den Musone zogen, um Loretto zu zernieren, wohin sich Oberst Graf Coudenhove mit einem großen Teil der Versprengten zurückgezogen hatte und das er zur Verteidigung einrichtete, um wenigstens eine ehrenvolle Kapitulation zu erzwingen, die ihm auch später wurde. – Noch immer irrten Versprengte einzeln oder in kleinen Abteilungen umher, gewannen glücklich das andere Ufer oder fielen in die Hände der Sieger. An verschiedenen Stellen waren Ambulanzen aufgeschlagen, an andern übten bereits die dunklen Nachtreter der Schlachten, die Totengräber, ihr trauriges Werk.
Miß O'Donnel bemerkte, daß die Seite der Hügel, auf der sie sich befand, gänzlich unbeachtet blieb, und der Zug der Verfolgten und der Verfolger sich nicht hierher mehr richtete.
Als sie zurückkehrte in das Gemäuer, sah sie den Vikar neben dem Verwundeten knien. Er wandte sich sogleich gegen sie.
»Meine Tochter,« sagte er – »ich bitte Sie, noch einen Augenblick uns allein zu lassen, die heilige Handlung, in der wir begriffen sind, verträgt nicht die Anwesenheit eines Dritten.«
Der Leidende streckte die Hand nach ihr aus. »Verzeihung, meine treue Helferin, für eine letzte Bitte. Wenn ich recht gesehen, war am Fuße dieses Hügels eine Quelle – ein Trunk Wasser wäre ein Labsal!«
Sie wandte sich rasch um, die Tränen zu verbergen, die in ihren Augen standen, und eilte wieder hinaus. In ihrem Filzhut brachte sie nach zehn Minuten eine Fülle klaren frischen Wassers.
Der junge Edelmann hatte sich von dem Vikar mit dem Oberkörper gegen die Mauer lehnen lassen, das Atmen aus der verwundeten Brust wurde ihm so leichter. Die Strahlen der untergehenden Sonne fielen auf ihn durch die ehemaligen Fensteröffnungen des Gemäuers und zauberten die Farbe des Lebens noch einmal auf das jugendlich schöne, aber blutleere Gesicht.
Der arme, dem Tode verfallene Jüngling trank das frische Wasser mit Gier. Es ist bekannt, daß die durch Schußwunden Verletzten von fieberischem Durst gepeinigt werden.
Der Geistliche hatte sich an den Eingang der Ruine gesetzt und las in seinem Brevier. Während seine Lippen mechanisch die Gebete seiner Kirche in articulo mortis murmelten, erhob sich sein Auge von Zeit zu Zeit auf die traurig anmutige Gruppe im Innern, und jedesmal, wenn dies geschah, trat eine fliegende Röte auf seine knochige Stirn und auf sein breites grobes Gesicht, und sein eigener Atem wurde kürzer.
Der Guide hatte der Irländerin gewinkt, sich zu ihm zu setzen und sie kniete an seiner Seite und ließ ihm die Hand, die er ergriffen.
»Ich habe die Pflichten gegen meinen Gott erfüllt, während Sie ein Werk aufopfernder Nächstenliebe taten,« sagte er mit schwacher Stimme, – »ich habe jenem Priester gebeichtet und durch seinen Mund die Tröstungen der heiligen Kirche empfangen, so gut seine geringe Kenntnis der fremden Sprache sie ihm zu geben gestatteten; denn wie ich gehört, ist er ein Deutscher. Jetzt habe ich eine andere Pflicht, die: Ihnen zu danken, Mademoiselle, für Ihre Sorge und Teilnahme ein einem Fremden!«
»Um meinetwillen wurden Sie verwundet!«
»In der Ausführung der Order meines Offiziers, ich sterbe als Soldat der Kirche und für die heilige Sache. Ich bin noch jung, Mademoiselle, und hätte gern länger gelebt, aber Gott hat es anders bestimmt. Ich sterbe als ein echter Laroche auf dem Felde der Ehre, für Gott und meine Dame! – Nur meine arme Mutter dauert mich – im Schloß meiner Väter, an den Küsten der Bai von Bourgneuf, wird sie vergeblich den Sohn erwarten, und ihr meine letzten Grüße zu bringen und ihr zu sagen, wie ihr Sohn gestorben, das Mademoiselle, ist meine letzte Bitte an Sie!«
»Sie werden nicht sterben, Monsieur, Ihre Jugendkraft wird sich erholen!«
» Suspice Domine servum tuum in locum sperandae sibi salvationis a misericordia tua!« murmelte der Vikar aus seinem Brevier.
»Hören Sie – er denkt anders!« flüsterte mit leichtem Lächeln der Leidende – »es sind die Sterbegebete unserer Kirche, ich kenne sie wohl und hörte sie schon als Kind am Bett meines Vaters, den ich wiedersehen werde, ehe jene Sonne neue Strahlen auf die Erde sendet. Sagte man uns nicht, daß General Pimodan gefallen?«
»Die feigen Flüchtlinge riefen es zur Entschuldigung ihrer Schmach!«
»Dann ist ein Held mir vorangegangen, er war ein Freund meines Vaters. In der Brieftafel, Mademoiselle, in der Brusttasche meiner Uniform finden Sie die Adresse meiner Mutter und wenige Papiere – eine Anweisung auf Torloni von 20 000 Franken. Verwenden Sie dieselbe zugunsten der guten Sache und meiner Kameraden und – wenn Sie nach Frankreich kommen, bringen Sie selbst meiner Mutter den letzten Gruß ihres Kindes. Sie hat nur wenige Verwandte noch – schon die Guillotine hat aufgeräumt unter den Beauvoirs und in Rußland fiel der Sohn meiner einzigen Großtante – ein altes Geschlecht erlischt mit dem armen Burschen, dem hier die Hand einer Fremden die Augen schließen wird!«
Aus den ihren stürzten unverhohlen die Tränen und rollten nieder auf seine kalte Hand – länger und länger wurden draußen die Schatten und Dämmerung füllte den Raum!
»Mut, Mut, mein junger Freund! Die Heiligen werden uns beistehen. Sie werden leben!«
»Mut? – glauben Sie, daß kein Mut zum Sterben gehört, wenn man so jung ist? – Dort zuckt der letzte Strahl der Sonne und rot glühen die Wolken wie Ströme von Blut! – Drüben am andern Meer blutet das Königtum – hier sinkt die Kirche, alle Heiligtümer meiner Väter verzehrt von dem Lavastrom der Rebellion – was soll ein Laroche in der veränderten Welt – –«
»Um Ihrer Mutter willen – regen Sie sich nicht auf, Ihre wunde Brust erträgt es nicht!«
»Mag es fließen das Blut! Ströme werden ihm folgen! Den Krämern und Advokaten machen die Ritter Platz – das rote Hemd siegt über den Purpur und der freche Zweifel stürzt Sankt Peters Stuhl – die Untreue gewinnt und der Verrat bricht den letzten Thron der Lilien! Ein Beauvoir geht zu seinen Vätern!«
»Barmherziger Gott – er stirbt! Zu Hilfe! zu Hilfe!«
Der Kopf des Jünglings war hintenüber gesunken – seine Hand, die krampfhaft die ihre festgehalten, öffnete sich.
Der Vikar stand an der Seite des Sterbenden. »Warum wollen Sie ihm das Märtyrertum mißgönnen für die heilige katholische Kirche? Er fahre in Frieden – droben erwarten jeden Kämpfer Petri die himmlischen Heerscharen!«
Noch einmal zuckte das entfliehende Leben kräftig auf in dem jugendlichen Leib.
»Mutter – Mutter – ein Schurke, wer flieht! – Vorwärts, Guiden – – –«
Die Hand griff in die Luft, ein warmer Strom kam über die Lippen und färbte die Hand der Irländerin, die sein Haupt zu stützen suchte – ein kurzes Röcheln – ein letzter Schauder der jungen Glieder – –
» In manus tuas Domine commendo spiritum suum!«
Der jugendliche Kämpfer der Kirche hatte geendet! –
Die Sichel des ersten Mondviertels spiegelte sich in den Wellen der Adria, auf deren Wässern einst die Söhne Italiens so manchen Kampf für das bedrängte Rom gegen den Halbmond geschlagen – desselben Italiens, das jetzt drohend am Felsen Petri rüttelte, – und grollend herüber dröhnte das Rauschen der Brandung von dem kaum fünfzehnhundert Schritte entfernten Ufer.
Aus der mit Wachtfeuern bedeckten Ebene scholl von Zeit zu Zeit Waffenklang oder der Anruf einer Schildwache.
Seltsam!
Hier kniete die Schwester im stillen Gebet am Totenlager des jungen Kriegers der Kirche und neben ihr stand die dunkle Gestalt des fanatischen Priesters dieser Kirche, Fluch schleudernd auf ihre Feinde, aber wilde unheilige Gelüste in der hochatmenden Brust, – und drüben, in dem Kasale, nicht zwei Miglien von der Stelle entfernt, saß auch ein Weib an der Seite eines wunden Kämpen Sankt Peters und ein anderer Priester stand neben ihr, den Lobpsalm für den Sieg der Feinde in den strahlenden Augen, aber das warme Empfinden der Güte und Teilnahme für die Leiden des einzelnen im Herzen, und die Hand am Puls des in wilden Fieberphantasien liegenden Kranken.
Die Augen der Dame hoben sich von diesem und richteten sich fragend auf das Gesicht des Kapuziners. »Wird er die Krisis überstehen, Signor Padre?«
»Er hat sie überstanden, Mylady! Der Puls läßt bedeutend nach. In fünf Minuten wird er die Augen aufschlagen, – diese urwüchsige Riesennatur hat nur kurze Zeit der Gewalt des notwendigen Fiebers erlegen!«
»Dann ist es Zeit, daß ich mich entferne!«
»Aber warum dies, Mylady? Sie selbst sagten mir, daß er Ihr Bräutigam ist.«
Sie hatte sich erhoben – kein Ärger, kein Lächeln zog über ihr kaltes, ruhiges, schönes Gesicht. »Das wohl, Signor Padre,« sagte sie. »Es ist nur ein Umstand dabei, der ihm beim Erwachen schaden könnte.«
»Und der wäre? – Die Freude schadet nie.«
» Oh – no – ich glaube nicht, daß meine Anwesenheit ihm viel Freude machen wird.«
»Wie?«
»Die Sache ist einfach, Signor Padre, der Gentleman hier mag mich nicht! Aber er soll mich dennoch heiraten!«
Und ruhig, als handelte es sich um eine Whistpartie, nicht um ihr ganzes Lebensglück, verließ sie das Zimmer.
Der Kranke schlug die Augen auf.
Sie hatten die Leiche des jungen Kriegers mit Zweigen bedeckt und saßen jetzt beide am Eingang der Ruine, beratend, was nun geschehen solle. Miß Mary hatte sich geweigert, den Toten zu verlassen, bis sie Gelegenheit fände, ihn nach Loretto zu schaffen, und ihn dort in geweihtem Boden eine besondere Ruhestätte geben zu lassen, welche die Mutter aufzufinden vermöchte. Die Brieftafel des Toten, einen Ring von seinem Finger und eine Locke seines Haars hatte das junge entschlossene Mädchen bereits an sich genommen.
So hatten sie denn beschlossen, an der traurigen Stelle den Aufgang der Sonne zu erwarten, da die Irländerin fürchtete, bei dem Aufsuchen eines der Wachtfeuer rohen Soldatenspäßen zu verfallen.
Der Vikar saß bald auf einem Stein am Eingange der Ruine, bald stand er auf und ging mit hastigen Schritten umher, eine innere Unruhe schien ihn zu treiben, und wenn sein hervortretendes Auge auf die schöne üppige und doch schlanke Gestalt des trauernden Mädchens fiel, schien das Blut ihm zu Kopf zu steigen und er wandte sich hastig um und strich mit der Hand über die breite eckige Stirn. Plötzlich blieb er vor ihr stehen.
»In welches Kloster werden Sie eintreten, Miß?« fragte er in seinem schlechten Englisch.
»In welches Kloster? – Wie meinen Sie das?«
»Sie sind doch nach Italien gekommen, um eine Gottesbraut zu werden, gleich der frommen Schwester, die ich hierher begleitet.«
»Die Naturen, hochwürdiger Herr, sind verschieden. Ich beabsichtige nicht, in ein Kloster zu treten!«
»Das ist die Stimme der Welt, die noch aus Ihnen spricht. Blicken Sie auf zu dem Sternenhimmel, – wo ist ein größerer Frieden als in dem Versenken in ihn! – Sehen Sie hin auf jenes Feld voll Schmerzen und Tod, das zu unsern Füßen liegt. Mahnt nicht jedes Bild die schwache Menschenseele, sich ungestört in das Wesen des Heiligen, des Ewigen zu versenken? – O, meine Schwester, was bietet Ihnen die Welt? bedenken Sie das Glück, vereint mit den Frommen, den Heiligen eine selige Gottesbraut zu sein!«
Er war mit geöffneten Armen ihr näher getreten, das helle Mondlicht zeigte die dunklen Flammen auf seinem Gesicht.
Die Jungfrau hatte sich erschrocken erhoben, gewarnt von dem geheimnisvollen Instinkt der Reinheit, wich sie unwillkürlich zurück.
»Mein Charakter, meine Denkungsweise passen nicht für das Kloster,« sagte sie ängstlich.
»Die Heiligen werden dein Herz lenken zur richtigen Erkenntnis, Mädchen. Welche Freuden sind so süß, als das Aufgehen in dem himmlischen Bräutigam? – Laß mich dich einführen in die ewigen Wonnen, wo, was die Blinden und Unreinen im Geist Sünde nennen, nur die Verschmelzung der Herzen, das Ausschwingen der Seele aus der niedern Sinnenlust ist! wo die Befriedigung der menschlichen Sinne nur das Mittel zur geistigen Erhebung über sie wird – –«
»Sir – Sie sind wahnsinnig! Verlassen Sie mich im Augenblick!«
»Seelenbraut, welche die Heiligen mir gesandt haben! Alle Schrecken des Todes haben uns vereint, aus dem Leichenfeld erblühe unser Brautbett! – So sollst du denn mein sein, auf daß du die Welt und ihren Rausch verachten lernst! Indem ich dich an mein Herz nehme, will ich in dir und mir den bösen Geist töten und im Genuß triumphieren, daß er uns nicht zu unterjochen vermag!«
»Zurück, Elender!«
»Die Streiter der wahren Kirche gehen nicht der Versuchung aus dem Wege, sondern erdrücken sie in ihren Armen! Die Versuchung ist mir nahegetreten, wie dem heiligen Antonius von Paua, aber stärker als er, wende ich mein Auge nicht ab, sondern bezwinge den Satan, indem ich ihn mir untertan mache!«
Er hatte sie in seine Arme gefaßt und versuchte ihren Mund mit Küssen zu bedecken, um ihren Angstschrei, ihren Hilferuf zu ersticken!
»Törichtes Weib, willst du freveln gegen den Geist, der mich treibt?! Ergib dich – oder ich brauche Gewalt! Indem ich deinen Leib zwinge zur Ergebung, rette ich deine Seele der Buße!«
Noch einmal war sie seinen starken Armen entschlüpft, die den schlanken üppig geformten Leib zu umfassen suchten, und um Hilfe rufend flüchtete sie in das Gemäuer, da er ihr den Weg vertrat.
Bei dem Toten hoffte sie Schutz zu finden gegen die brutale Gier, die das Heiligste mißbrauchte zum Deckmantel der so lang unterdrückten, jetzt beim Ausbruch bis zur Raserei sich steigernden Sinnenlust.
Der freche Angriff des verräterischen Principe am Abend vorher hatte ihr nur Ekel und Unwillen erregt – die brutale Exaltation dieses Mannes der Kirche verursachte ihr Furcht und Schrecken, daß alle Kraft ihrer sonstigen Energie zu entschwinden drohte.
»Ungeheuer – was wagen Sie! Vergessen Sie, daß Sie Priester sind? Wollen Sie in Gegenwart dieses Toten ein Verbrechen begehen?«
»Aus dem Tode sprießt das Leben! Auch er wollte dich lieben und darum ist er gestorben! Nicht dem Laien gehört das Himmlische! Töten sollst du in mir die Sinnenlust, damit wir beide heilig werden!«
»Hilfe! Hilfe!«
Seine derbe kräftige Faust hatte sie erfaßt, – als sie ihr entfliehen wollte, strauchelte sie und stürzte über den Toten.
»Du bist mein! mein! Seelenbraut – Körperbraut!«
Sie wand sich unter seiner frechen Hand. »Lieber den Tod!«
»Leben! Leben!«
Ihr Angstruf erstickte. »Heilige Jungfrau, errette mich, und ich will allein die Deine sein!«
Eine kräftige Faust erfaßte den Kragen des Vikars. »Heda! was soll das heißen? Wer wird ein Weib zwingen, wo es ihrer gutwillige genug gibt! – Zurück, Schurke.«
Der Hinzugekommene riß den Vikar empor und schleuderte ihn zur Seite. Die junge Irländerin sah sich von der brutalen Gewalt kaum befreit, als sie aufsprang, und aus der Ruine stürzte in das volle freie Mondlicht; dort brach sie in die Knie, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und schluchzte wie ein Kind.
Der Fremde hatte den sich mit aller Gewalt sträubenden Verbrecher aus dem Dunkel gezogen. » Cospetto, Bursche, sind das die Heldentaten der Soldaten der spada d'Italia, daß sie wehrlose Weiber überfallen?«
»Lassen Sie mich – wagen Sie nicht, Hand an mich zu legen!«
» Diavolo! – ein Pfaffe!«
Der Vikar blieb vor Ingrinnn stehen. »Gebe deiner Wege, Mann – niemand verlangt dich hier! Der Bann der Kirche soll dich treffen, wenn du es wagst, ihren Diener zu verletzen! Dieses sündige Weib ist hier mit ihrem eigenen Willen!«
Der Unbekannte wandte sich an das schluchzende Mädchen.
»Signora – hat dieser Pfaffe Macht über Sie?«
Die Irländerin raffte sich gewaltsam empor. »Hilfe! Barmherzigkeit, Monsieur! Retten Sie mich von diesem Ungeheuer!« flehte sie französisch.
» Per Baccho – eine Fremde, wie mein braver Kumpan von letzter Nacht!« Er wiederholte seine Frage in französischer Sprache.
»Wer Sie auch sein mögen, Monsieur, bei dem Andenken an Ihre Mutter und Schwester beschwöre ich Sie, mich zu schützen! Ich bin die Schwester eines Offiziers in der päpstlichen Armee, und dieser Verworfene hat die Abwesenheit meines Bruders und meine Schutzlosigkeit mißbrauchen wollen an einem Verbrechen!«
»Schweige, Weib!« drohte der Vikar finster. – »Du lügst!«
Der Fremde kümmerte sich nicht um die Einsprache »Sie sind eine Engländerin, Signora?«
»Ja!«
»Und Ihr Bruder – ist er vielleicht der Offizier, der gestern abend Loretta im Auftrage des Generals Lamoricière verließ?«
»Ja, Monsieur – wissen Sie von meinem Bruder? ich beschwöre Sie, bringen Sie mich zu ihm!«
»Das geht so leicht nicht! Und dieser schurkische Pfaffe hat gewagt, Hand an Sie zu legen?«
»Der abscheuliche Bösewicht, – er will ein Priester sein der heiligen Kirche!«
» Ah per Baccho! Die Sorte kennen wir im Römischen zur Genüge und wissen sie zu behandeln.«
»Frecher – du wagst es?«
»Nichts für ungut Riverenza, Ehrwürden. aber wenn Sie mich zwingen, von diesem Pistol Gebrauch zu machen, wird es Ihre Schuld sein!« und die Linke streckte dem entlarvten, alle Demut der Kirche vergessenden Sünder das gespannte Pistol entgegen, während die Rechte fortfuhr, mit kräftigen Hieben ihm Arme, Brust und Rücken zu bearbeiten, bis der Vikar, heulend vor Wut und Schmerz, unter den grimmigsten Verwünschungen und Drohungen sich eilig davon flüchtete, noch eine Strecke verfolgt von dem unermüdlichen Stock des Fremden.
Dieser kehrte zu der Irländerin zurück, die durch die eben vollzogene Exekution volles Vertrauen zu der Person ihres Retters gefaßt hatte!
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann, Monsieur,« sagte sie, seine Hände fassend. »Sie werden den Wert meiner Rettung aus den Händen dieses Bösewichts verdoppeln, wenn Sie mir sagen wollen, wo ich meinen natürlichen Beschützer, meinen Bruder, finden kann!«
»Sein Name?«
»Leutnant Terenz O'Donnell!«
»Dann ist es der rechte. Aber Mademoiselle, es ist unmöglich, Sie zu ihm zu bringen.«
»Verwundet in den Händen der Feinde!«
»Um so mehr muß ich zu ihm.«
»Ich wiederhole Ihnen, es wäre in diesem Augenblick gefährlich für Sie und ihn. Aber Ihr Bruder ist ein wackerer Bursche und um seinetwillen werde ich Sie nicht ohne Schutz lassen. Wollen Sie nur vertrauen, Signora?«
»Sie haben mir mehr als das Leben gerettet!«
»Ihr Bruder schenkte mir gleichfalls volles Zutrauen, obschon ich nur ein armer Brigante bin. Ich war sein Führer bei dem Ritt und habe seinen Auftrag nach Ancona gebracht, als er gefangen und verwundet wurde. Er befindet sich in der Pflege einer wackern Frau, und ich verspreche Ihnen, sobald wir in Sicherheit sind, sofort Erkundigungen über seinen Zustand und seinen Willen in betreff Ihrer Person einzuholen. Jetzt aber dürfen wir nicht länger hier verweilen. Wollen Sie mich begleiten?«
»Wohin?«
»Zunächst nach Porta Recanati, oder Civita Nuova, wo ich einen Teil der zersprengten Armee anzutreffen hoffe. Von Recanati wollen wir einen Boten an Ihren Bruder senden.«
»Ich bin bereit, mit Ihnen zu gehen – aber ich habe hier eine Pflicht zu erfüllen.« Mit einigen Worten teilte sie ihm den Tod des jungen Marquis und ihren Wunsch mit, die Leiche nach Loretto zu schaffen.
Der Brigante sann einen Augenblick nach. »Das wird sich machen,« sagte er dann. »Auf unserem Wege am andern Ufer des Musone wohnt ein Gärtner, den ich kenne. Seinen Sohn will ich nach dem Weiler schicken, wo Ihr Bruder verwundet liegt. Der Alte wird gern bereit sein, für ein Stück Geld die Leiche des armen Franzosen nach Loretto zu schaffen und dort begraben zu lassen, sobald die Piemontesen die Stadt verlassen haben. Kommen Sie denn, Signora und verlassen Sie sich auf mich!«
Ein kurzes Gebet verrichtete das Mädchen noch an der Seite des Toten, dann sagte sie ihm Lebewohl und folgte hastig dem Führer, der sie mit großer Vorsicht aus den Hügeln nach der Seite des Meers zu und bis an die Furt brachte, die er am Abend vorher mit ihrem Bruder überschritten. Er trug sie auf seinen Armen durch das Wasser und erreichte glücklich die einsame Gärtnerwohnung, von der er gesprochen. Hier erhielten sie einige Nahrung, die ihnen beiden dringend not tat, und die Nachricht, daß Loretto zwar von dem Grafen Coudenhove mit dem Rest der von Castelfidardo zurückgeführten päpstlichen Truppen besetzt, daß es aber unmöglich wäre, es zu erreichen, da die sardinischen Posten bereits zwischen ihnen und der Stadt standen, und diese bei dem ersten Angriff fallen mußte.
So wurde denn beschlossen, daß Miß Mary unter der Obhut der Gärtnersfrau ein paar Stunden ruhen sollte und daß sie bei Tagesanbruch nach Recanati ihren Weg fortsetzen wollten. Zugleich sollte sich der Sohn der Gärtnersleute mit einem Briefe der jungen Irländerin nach dem Weiler bei Rochetto aufmachen und den gefangenen Offizier zu sprechen suchen.
Wir müssen das Paar hier verlassen und noch einmal auf das Schlachtfeld und zu dem Augenblick der völligen Auflösung der päpstlichen Armee zurückkehren.
Die Artillerie, welche unter dem Schutz des allein noch zusammenhaltenden deutschen Schützen-Bataillons zuerst ihren Rückweg durch die Furt angetreten hatte, war sogleich auf der Straße gegen Loretto zurückgefahren, unbekümmert um die von Lamoricière aufgestellten Offiziere, welche ihr die von dem Ober-General eingeschlagene Route angaben.
Ein Deutscher, Leutnant Uhde, entschlossen, womöglich die seinem Befehl anvertrauten Geschütze zu retten, mit denen er während des Gefechts wacker agiert hatte, war mit denselben, die Fahrer scharf unter der Mündung seiner Pistolen haltend, sofort über Loretto hinaus und zunächst nach Porta di Recanati gefahren, wo er versuchen wollte, sich mit den Geschützen einzuschiffen, um nach Ancona zu gelangen. Als er in dem kleinen Hafen keine Schiffe fand, setzte er sofort seine Fahrt weiter an der Küste entlang nach Civita Nuova fort.
Er hatte eben Monte Santo passiert und also die Hälfte des Weges zurückgelegt, als er auf einen von drei römischen Gendarmen und ihrem Wachtmeister eskortierten Wagen stieß, der von vier Maultieren gezogen wurde.
Die Gendarmen waren anerkannt schon von früher her die Elite aller päpstlichen Truppen, aufmerksam und treu im Dienst und durch ihre ewigen Kämpfe mit den Banditen der Berge und den Verschwörern der Städte an Tätigkeit und Aufmerksanikeit gewöhnt, außerdem sehr gut equipiert und beritten.
Der Wachtmeister und der Offizier, beide einige hundert Schritt ihrem kleinen Zuge voraus sprengend, parierten ihre Pferde, als sie einander erreichten.
»Halten zu Gnaden, Signor Luogotenente,« sagte der Wachtmeister, »können Sie mir Nachricht geben von dem General en chef und wo ich ihn finde?«
»Auf dem Wege nach Ancona oder in den Händen der Piemontesen.«
» Diavolo! Das wollen Gott und die Heiligen verhüten. Wir hörten Kanonendonner und glaubten, daß eine Schlacht geschlagen würde, aber –«
Der alte Soldat zögerte, fortzufahren.
»Sie wollen sagen,« unterbrach ihn der Offizier finster, »da Sie diesen Geschützen begegnen, die in die Schlacht gehörten, statt hierher, könnten Sie nicht daran glauben. Nun, Signor Sergente, wenn Sie meinen Kanonen ein wenig ins Maul sehen wollen, werden Sie finden, daß sie gebellt haben, und wenn Sie eine halbe Stunde warten, werden Sie genug Ihrer Landsleute begegnen, um mir's noch zu danken, daß ich meine Geschütze ohne auf sie zu warten, in Sicherheit bringe.«
»Beim Blut Christi, Signor – sagen Sie, was ist geschehen?«
»Wir sind geschlagen und die päpstliche Armee ist zersprengt. Diese Schurken sind gelaufen wie die Hasen!«
»Also die Schlacht ist verloren?«
»Total, mein Lieber, und ich möchte Ihnen raten, nicht weiter vorwärts zu gehen.«
»Mein Gott, was soll ich tun? ich befinde mich da in der größten Verlegenheit!«
»Was eskortieren Sie dort?«
»Es ist der Wagen des Ober-Generals, ich bin mit meinem Leben, oder schlimmer, mit meiner Ehre dafür verantwortlich gemacht.«
»Der Wagen kann bei so viel größeren Verlusten nicht von Wert sein.«
»Der Wagen nicht, aber der Inhalt.« Der alte Soldat beugte sich näher zu dem Offizier. »Es sind die Portefeuilles des Generals darin und zehn Kistchen mit Goldscudis.«
»Zum Henker, das ändert die Sache! – Dann drehen Sie um und fahren Sie, woher Sie gekommen sind.«
»Ich fürchte, die Feinde werden mich bald einholen und leichter machen, wenn ich ohne Schutz bleibe. Der Inhalt des Wagens muß nach Ancona – aber wie? – Darf ich Sie fragen, welche Richtung Sie einschlagen?«
»An der Küste entlang, bis ich Schiffe finde, die mich und meine Kanonen nach der Festung bringen. Wollen Sie unser Geschick teilen und ihre Ladung mir anvertrauen?«
»Mit tausend Freuden!«
»Und Ihre Gendarmen sind zuverlässig?«
»Sie werden sich töten lassen auf ihrem Posten.«
»Desto besser! Ich wünschte, ich könnte ebenso auf meine ganze Mannschaft vertrauen. Lassen Sie umwenden, begleiten Sie mich nach Civita Nuovo und sorgen Sie dafür, daß ihr Wagen auch da unmittelbar in der Nachbarschaft der Geschütze bleibt. Wir werden dort hoffentlich Nachricht einziehen können, ob es dem General gelungen, sich nach Ancona durchzuschlagen, und ich werde dann Mittel finden, meine Geschütze und den Inhalt Ihres Wagens dahin zu bringen.«
Die Verständigung der beiden braven Soldaten war rasch erfolgt und sie setzten den Weg nach dem Hafen jetzt gemeinsam fort.
Bereits am Abend des unglücklichen Tages gelang es dem umsichtigen und entschlossenen Offizier, ein genügend großes Küstenfahrzeug in Civita Nuova aufzutreiben, um die Geschütze an Bord bringen zu können. Während dies mit den beiden Kanonen durch die Artilleristen geschah, ließ der Offizier im Dunkeln durch die Gendarmen einen Munitionskarren leeren und den Inhalt des zum Transport zu beschwerlichen Wagens in diesen überladen. Erst nachdem er selbst den Verschluß bewirkt und den Karren an Bord geleitet hatte, gönnte er sich einige Ruhe, entschlossen, am andern Tage abzufahren, sobald er weitere Nachrichten eingezogen hätte.
Noch während des Abends und während der Nacht trafen zahlreiche Versprengte ein, die Kapitän Chevigné gesammelt und dorthin dirigiert hatte. Um Mitternacht kam er selbst an und stellte sofort einige Posten auf den Straßen nach Loretto und Macerata aus, um nicht etwa von einem Streifkorps der Piemontesen überrascht zu werden.
Eine Stunde nach Sonnenaufgang herrschte bereits wieder ein reges Leben auf dem Kirchplatz des kleinen Städtchens. Kapitän Chevigné musterte die aus allen Waffengattungen bestehende Truppe der Versprengten, die Lust und Mut zeigten, bei ihm auszuharren und den Kampf weiter zu fechten. Es war dies jedoch nur noch eine ziemlich kleine Zahl, denn die meisten hatten vorgezogen, während der Nacht oder am frühen Morgen ihre Flucht weiter fortzusetzen und sich nach allen Richtungen zu zerstreuen.
Kapitän Chevigné beriet sich eben mit dem Artillerie- Offizier, ob er versuchen solle, diesen Trupp, etwa achtzig Mann, gleichfalls zu Schiff nach Ancona zu bringen, wozu freilich augenblicklich noch ein weiteres Fahrzeug fehlte, oder nach dem Vorschlag des Fremden, den dieser ihm während der Schlacht gemacht hatte, sich zur Etablierung eines Guerillakrieges in die Berge zu werfen, als Lärmen und Rufen vorn Eingange des Städtchens her neue Ankömmlinge verkündete.
»Mut, Bursche!« sagte eine kräftige Stimme, – »die heilige Jungfrau wird uns das nächste Mal sicher den Sieg geben, und wenn sie es nicht tut, wollen wir selber dafürsorgen, den gestrigen Tag an diesen ungläubigen Schuften zu rächen. Unterdes gafft die Signorina hier nicht so unverschärnt an und sagt mir lieber, wo ich den tapfern Kapitän Chevigné finden kann?«
»Kapitän Chevigné ist hier,« sagte dieser sich nähernd. »Sieh da, mein Braver, Ihr habt also Wort gehalten, und wen haben wir hier? – Ah – pardon, Madame, ich habe Sie in diesem Anzuge nicht gleich erkannt!«
Er verbeugte sich höflich vor der jungen Irländerin, die statt der Nonnenkutte, auf welche sie den Sterbenden gebettet, jetzt den Anzug eines Landmädchens der Gegend trug, den sie von der Gärtnerfrau eingehandelt hatte, um auf diese Weise weniger auffällig ihren Weg fortsetzen zu können.
»Wenn ich die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu sein, Herr,« sagte das Mädchen, »so darf ich als die Schwester eines Offiziers um so mehr auf Ihren Schutz rechnen!«
»So viel ein Flüchtiger ihn selbst gewähren kann, steht er Mademoiselle zu Diensten! – Und nun, mein wackerer Mann, welche Nachrichten bringt Ihr uns von General Lamoricière? Ist er den Feinden entkommen?«
»Ich habe den General bis Sirola begleitet. Wir haben unterwegs mehrere Angriffe abzuschlagen gehabt, und der größte Teil der Eskorte ist zu Gefangenen gemacht, aber der General ist mit etwa fünfzig Reitern über Sirola entkommen und von dort ab hatte es keine Gefahr weiter, in die Festung zu gelangen, die noch immer von den Schiffen bombardiert wurde!«
»Und er hat Euch noch Aufträge gegeben?«
»Ich sollte mich nach seinem Wagen umsehen, den er gestern vergeblich in Loretto erwartete, und wenn ich Euer Excellenca träfe, Ihnen sagen, daß er ganz einverstanden mit unserem Plan wäre und Ihnen volle Freiheit zu handeln gäbe, wie es Ihnen gutdünkt!«
»Und wie lautet Euer Plan? Euer Name, mein Wackerer?«
»Tonelletto, der Brigante!«
»Richtig – ich hörte davon. – Da Sie zu den Unseren gehören, Mademoiselle, und bereits Proben Ihres Mutes abgelegt, werden Sie nicht verschmähen, unserem Kriegsrat beizuwohnen.«
Er lud sie ein, nm den Steintisch unter dem Kastanienbaum Platz zu nehmen, der vor der Osteria stand.
Durch die Ankunft des Banditenhäuptlings, der gar keinen Anstand nahm, sich zu rühmen, daß er aus seinem langjährigen Kriege mit der päpstlichen Polizei her alle Schlupfwinkel der Gebirge von Loretta bis Gaeta und in den oberen Abruzzen kannte, überall Verbindungen habe und leicht wieder eine Bande von fünfzig Köpfen auf die Beine bringen könne, – hatten sich die Aussichten für den Erfolg des von dem kühnen und abenteuerlustigen Franzosen beabsichtigten Unternehmens wesentlich geändert. Man konnte freilich noch nicht wissen, ob die sardinische Armee sich nach der Zersprengung des päpstlichen Heeres gegen Rom selbst wenden würde, indes mußte man daran zweifeln, da dies ein Angriff gegen Frankreich gewesen wäre. Dagegen ließ sich erwarten, daß man eine Vereinigung der nördlichen Armee mit den Truppen Garibaldis versuchen werde, und hierbei bot sich allerdings für ein Freikorps reiche Gelegenheit, durch Überfälle und kleine Angriffe den: Feinde stark zu schaden, auf den Rat Tonellettos wurde beschlossen, von den Soldaten nicht mehr als höchstens sechzig Mann, und zwar die entschlossensten und gewandtesten, an dem Unternehmen zu beteiligen, für den Rest der Schar, die der leichteren Bewegung halber höchstens etwa hundert Köpfe stark sein sollte, erbot sich der Brigante, durch Werbung in den Gebirgsdörfern zu sorgen, indem er erklärte, daß auf seinen Wink ihm augenblicklich die doppelte Zahl zu Gebote stehe.
Nachdem dieser Beschluß gefaßt war, wollte Leutnant Uhde nicht länger zögern und ging mit seiner Felucke in See. Wir wollen hier gleich beifügen, daß er glücklich den feindlichen Schiffen entging und in Ancona ankam, wo ihn General Lamoricière zum Dank für die Rettung seiner Papiere und der Kriegskasse zum Kapitän ernannte.
Chevigné und der würdige Vetter des mächtigen Kardinals benutzten den Tag, um aus den Flüchtigen die für ihre Absichten geeignetsten Männer zu wählen, sie mit den nötigen Waffen und Vorräten auszurüsten und einige Maultiere zum Transport derselben anzuschaffen.
Miß O'Donnel hatte das Portefeuille des jungen Marquis geöffnet und darin das Vermächtnis an seine Kameraden gefunden. Sie nahm keinen Anstand, dem Willen des Sterbenden gemäß die Summe zu verwenden und die Anweisung in die Hände des Kapitäns Chevigné niederzulegen. Dieselbe wurde sofort zu Gelde gemacht, und mit den Mitteln, die man jetzt hatte, konnte man die kleine Truppe genügend ausrüsten und die nötigen Vorräte bestellen.
Darüber war der Tag hingegangen, ohne daß die Piemontesen so weit vorgedrungen wären. Durch die noch immer eintreffenden Versprengten und Landleute hörte man, daß es dem Obersten Grafen Coudenhove gelungen war, einen großen Teil der Versprengten in Loretto zu sammeln und sich dort zur Verteidigung einzurichten. Allerdings hatte er, die Übermacht des Feindes kennend, dies nur getan, um eine günstige Kapitulation zu erlangen, und General Cialdini, der einen Angriff auf Loretto scheute, schon um nicht durch die Zerstörung dieses gefeierten Wallfahrtsortes die öffentliche Meinung zu sehr gegen sich aufzuregen, hatte sich beeilt, diese Kapitulation zu bewilligen.
Nachdem die Päpstlichen aus Loretto mit klingendem Spiel ausgezogen waren, hatten sie die Waffen niedergelegt und wurden als Kriegsgefangene nach Livorno geführt, von wo die Mannschaft nach Alessandria geschickt, die Offiziere aber nach Genua eingeschifft wurden.
Sehnsüchtig hatte die junge Irländerin auf eine Nachricht von ihrem Bruder gewartet. Endlich gegen Abend, als sie wieder unter dem Kastanienbaum vor der Osterie saß und hinaus sah aufs Meer, kam Toneletto mit eiligen Schritten über den Platz, auf dem eben Kapitän Chevigné den kleinen Trupp zum Abmarsch sammelte, und mit ihm der Sohn des Gärtners vom Ufer des Musone, den sie in der Nacht vorher auf Kundschaft aus gesandt hatten.
»Gute Botschaft, Signorina,« sagte munter der ehrliche Brigante. »Ihr Bruder lebt und befindet sich besser und seine Braut ist bei ihm!«
»Seine Braut?«
»Nun ja – so sagt hier der kleine Jacopo. Aber hier ist ein Brief, in dem wohl das Nähere stehen wird.«
Die junge Miß nahm hastig das mit Bleistift geschriebene Billett und erbrach es.
Der Inhalt war mit unsicherer Hand gekritzelt und lautete:
»Der heiligen Jungfrau und San Patrik Dank, daß Du gut davon gekommen, aber ich liege hier wie ein gestochenes Kalb und kann mich nicht rühren. Das Schlimmste ist, daß sie mich richtig erwischt hat, der Teufel und seine Großmutter mögen wissen wie! und der verdammte Bettelpfaffe, der mir sein Messer zwischen die Rippen gestoßen, sonst ein verteufelt guter Kerl, macht mir die Hölle heiß und will durchaus seinen Segen über uns sprechen, obschon sie eine Ketzerin ist, weil er meint, so bequem würd' ich's nicht wieder finden. – Akuschla Liebling, wenn der Spitzbube Toneletto bei Dir ist, hab' ich keine Bange um Dich, da er sich als ein ehrlicher Bursche erwiesen hat. So magst Du Dich ihm anvertrauen, bis ich wieder selbst für Dich sorgen kann, was einstweilen eine Unmöglichkeit ist, da sie mich wie ein Kind behandeln und nach Rom oder sonst wohin schaffen wollen. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich ihr nicht doch entwische, sobald ich nur erst kriechen kann, und des Kardinals Diebesvetter dreh' ich den Hals um, wenn er sich nicht wie ein braver Kerl gegen Dich beweist, der er ist! Laß mich also bei dem Burschen in Rom, der unsere paar Pfunde in seinen Klauen hat, Deine Adresse wissen und erinnere Dich, daß unser Vater Joe O'Donnel hieß und direkt von irgendeinem Könige der Smaragdinsel herstammt, wenn's auch lange her ist, und daß in einer schlimmern Klemme, wie Du steckt
Dein Bruder Terenz O'Donnel.«
Die junge Dame wußte in der Tat nicht, ob sie über die saubere Epistel lachen oder weinen sollte. Da sie aber selbst von heiterer und kecker Gemütsart, und auf ihrem abenteuerlichen Umherzuge mit dem Bruder schon in manche Lage gekommen war, die einen raschen und selbständigen Entschluß forderte, zog sie das erstere vor und wandte sich zu ihrem bisherigen Begleiter.
»Sie ziehen also in das Gebirge, um einen Brigantenkrieg zu führen, Signor Tonelletto?«
»So ist's, Madonna! Schade, daß Sie uns nicht begleiten – das Banditenleben ist nicht so schlimm, als man's macht, und Sie würden manches dabei zu sehen bekommen, das sich der Mühe lohnt!«
»Und wer sagt Ihnen, daß ich Sie nicht begleite?«
»Wie, Signorina – Sie wollen mit uns ziehen?«
»Ei nun,« sagte sie lachend, »ich sehe nicht ein, weswegen es immer nur Fra-Diavolos geben soll, es wird Ihrem Ruf nicht schaden, wenn Sie auch einmal einer Diavolina gehorchen, und wenn Sie mir auf Brigantenehre versprechen, daß ich sicher unter Ihnen bin vor Beleidigungen – nun dann Signor Tonelletto, dann zieh' ich mit Ihnen in die Abruzzen!«
Der Vetter des Kardinal Staatssekretärs tat einen Luftsprung. » Excellente! – Auf Banditenehre, Signora – der soll meinen Dolch bis ans Heft zu kosten bekommen, der Sie nur schief anzublicken wagt. Um Vergebung Signorina, Ihr Name?«
»Maria!«
»Wie die Madonna von Loretto, die uns den Sieg bringen wird!« – Er warf den Hut in die Luft. »Herbei, Kameraden! Evviva la capitana Maria!«