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Up ewig ungedeelt!

(Fortsetzung.)

Einen Augenblick stand der junge Kapitän bei diesem so unerwarteten und seltsamen Anblick, und wollte seinen Augen nicht trauen – und dennoch, je mehr er dies blasse, ernste Gesicht ansah, desto mehr drängte sich ihm die Überzeugung auf, denn Zug für Zug war es dasselbe!

Und wiederum – es war ja unmöglich!

»Goddory, Kapitein Hansen – Jü steiht ja sau unbeweglich wie de Fockmast von Jur Brigg! Wat is Jück, Mann?«

Der junge Mann fuhr empor und mit der Hand über die Stirn. »Nichts, Kapitän Dreyer! Kommen Sie Fräulein, Sie dürfen hier nicht zurückbleiben!«

Sie hatte die Trümmer ihrer Harfe in ihr großes grobes Umschlagetuch gebunden. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie zwischen den Männern her, deren feste und strenge Haltung die Schmähreden der Gegner und die rohen Späße der eigenen Partei in Schranken hielt. Selbst die beiden musikalischen Genossen der jungen Sängerin taten keinen Einspruch gegen deren Entfernung, da sie begriffen, welches Vergehens sie sich in den Augen der Polizei schuldig gemacht, die ihre Spione überall hatte, und nicht als ihre Mitschuldigen bei dieser großen »Mißliebigkeit« angesehen sein wollten.

Als die vier Personen aus der Gasse auf den Platz traten, fanden sie, daß das Volksgewühl sich eher noch vermehrt als abgenommen. Große Haufen trunkenen Pöbels, Männer, Weiber und Kinder wogten, vom Strand her über die Brücken des Frederiksholms- und Holmenskanal ziehend, auf dem Schloßplatz umher, lärmten und tobten und prallten oft dicht bis an die Schildwachen der Eingänge. Einzelne Teile des Schlosses waren glänzend erleuchtet und der Pöbel wußte sehr gut, daß dort die sehr unbeliebte Gräfin wohnte. Leierkasten spielten an allen Ecken die Nationalmelodien und Männer und Weiber zogen mit Soldaten und Matrosen Arm in Arm umher.

Der junge Friese wußte in der Tat nicht, was er von dem Benehmen des Mädchens an seiner Seite denken sollte. Er hatte wiederholt den Versuch gemacht, sie anzusprechen und zu einer Auskunft zu veranlassen, um über seine Zweifel ins Klare zu kommen; aber ihre Antworten waren kurz und ausweichend, auch hatte sie sein Anerbieten, die schwere Last ihr abzunehmen, zurückgewiesen. Er entschloß sich endlich zu einer ganz direkten Frage. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie damit belästige, Fräulein Edda,« sagte er, »und wenn ich mich getäuscht habe, aber die Ähnlichkeit ist zu groß. Ich weiß in der Tat nicht, ob Sie Sie selbst oder Ihre Doppelgängerin sind? Im erstern Falle will ich nicht wissen, was Sie zu dieser Maskerade veranlaßt hat, aber Sie werden mir wenigstens erlauben, Sie nach Hause oder an den Ort zu bringen, wo Ihre Freunde Sie erwarten.«

»Ich habe keine Freunde!«

»Aber Ihr Vater – mein Bruder!«

»Was kümmert mich Ihr Bruder?«

»Wenig allerdings, wie es scheint,« bemerkte mit einiger Bitterkeit der Friese. »Nur weiß ich mir dann nicht recht zu erklären, warum Sie auf so schwere Gefahr hin noch vor wenigen Minuten Ihre Sympathien für uns Deutsche bekundeten.«

Sie wendete sich langsam nach ihm um und sah ihn mit großen starren Augen ins Gesicht. Jetzt, im Licht der Gaslaterne, unter der sie eben vorübergingen, kam es ihm zum erstenmal vor, als ob dies Antlitz doch ein ganz anderes wäre, wie dasjenige, welches er am Nachmittag gesehen, – zwar ganz dieselben Züge, Augen, Mund – Haar – nur daß der Ausdruck ein anderer war, noch ernster, strenger – ja gewissermaßen drohend!

»Welche Sympathien?« fragte sie kurz.

»Mein Gott – der Gesang unseres Nationalliedes unter solchen Umständen!«

»Ich hätte ebenso gern Ihren ›Landsoldaten‹ gesungen,« sagte sie höhnisch. »Ich habe ebensowenig Sympathien für Deutsche, wie für Dänen! ich hasse sie beide, und hoffte nur, sie aneinander zu bringen. Warum mischten Sie sich hinein, wenn Sie nicht den Mut hatten, zuzuschlagen?«

»Fräulein Edda!« stammelte er bestürzt.

»Ich heiße nicht Edda – selbst der Name ist mir verhaßt! – der meine ist Adda! – aber –« sie blieb stehen – »hier haben Sie mich weit genug gebracht, – ich bin genügend vertraut mit dem Weg, um allein weiter zu gehen und danke Ihnen für das, was Sie glaubten, zu meiner Sicherheit tun zu müssen!«

Die letzten Worte waren an die beiden anderen Seeleute gerichtet, die vor dem Paar hergegangen waren und nicht gehört haben konnten, was sie vorher gesprochen.

»Kind,« sagte der alte Kapitän, »wenn Sie glauben, in Sicherheit zu sein, wollen wir uns allerdings Ihnen nicht länger aufdrängen. Gehen Sie so eilig als möglich nach Hause, denn es ist heute kein passender Aufenthalt auf den Straßen für junge Mädchen – selbst Ihres Standes. Aber noch eins! – Sie scheinen eine Deutsche zu sein, – jenes Lied hat Ihnen Ihren Erwerb gekostet. Ich bin nicht reich, aber nehmen Sie diese zwei Speziestaler als Beitrag zum Ersatz Ihrer armen Harfe oder, lieber noch – zum Beginn einer würdigeren Beschäftigung.«

Er reichte dem Mädchen die Münzen. Auch der Portugiese, ein Mann von mittleren Jahren, der mehrmals auf dem Wege nicht ohne Wohlgefallen nach der seltsamen Sängerin sich umgesehen hatte, zog seine Börse, nahm ein Geldstück heraus und reichte es ihr.

Das Gold funkelte in der Börse in dem hellen Gaslicht – die Sängerin warf einen Blick auf dasselbe, der dem glich, den vorher der lange Isländer gierig danach getan, und ihr Gesicht rötete sich leicht.

»Da Filhinha!! Kindchen, Töchterchen. nehmen Sie! Diablo – es ist schade, daß wir uns schon trennen müssen!«

Das Mädchen hatte ruhig die Geldstücke genommen und wandte sich dann zu dem Friesen.

»Und Sie, Herr? – geben Sie mir nichts?«

Was es auch sein mochte, Frechheit oder Spott – die Frage widerte ihn an und er sagte streng: »Nein – ich will erst wissen, wer Sie sind und was mit Ihnen ist!?«

Die Bänkelsängerin machte ihm eine kurze höhnische Verneigung. »Auch gut,« sagte sie, »stets Worte und keine Taten, echt deutsch! – Gute Nacht, meine Herren!«

Sie ging die Straße hinunter und bog in die nächste Querstraße ein. Der Altonaer Kapitän sah ihr kopfschüttelnd, der Portugiese mit Interesse nach.

»Ein seltsames Frauenzimmer,« meinte der erstere. »Aber es reut mich doch nicht, daß ich ihr die Paar Spezies geschenkt; denn um das Lied mitten zwischen den dänischen Trunkenbolden zu singen, dazu gehörte in der Tat nicht wenig Mut. – Aber was machen wir nun, meine Herren? – Es ist sehr unruhig in der Stadt und die Danskes scheinen mir die größte Lust zu haben, Unfug zu treiben und uns Deutschen etwas anzuhängen. Wissen Sie, Kapitän Hansen, wen ich vorhin im Gedränge bemerkt habe?«

»Wen?«

»Den Herzog von Noer!«

»Aber der ist in Amerika, so viel ich weiß! Er würde nicht wagen, sich in Kopenhagen zu zeigen!«

»Ich weiß nicht, warum es geschieht – aber ich denke, wir werden von den Augustenburgern noch einiges erleben. Amerika ist nicht so weit, und ich müßte mich vorhin sehr getäuscht haben, als der Wind den Mantelkragen von seinem Gesicht riß, wenn er's nicht gewesen wäre. Glauben Sie mir, es sitzt Sturm in der Luft und der Kopenhagener Pöbel ist zu allem fähig. Ich werde nach meinem Schiff gehen, das drüben in Christianshaven ankert und rate Ihnen, dasselbe zu tun!«

»Ich danke Ihnen für den Rat, Kapitän Dreyer, und hoffe, Sie morgen wieder zu sehen. Gehen wir zusammen, Sennor?«

»Wenn es Ihnen beliebt. Die Santa Lucia liegt an der Zollbude!«

»Mein Schiff desgleichen. Ich kann dann in dem Haus, wo ich Wohnung genommen, meinem Stewart das nötige sagen. Gute Nacht denn, Kapitän, und auf Wiedersehen!«

Sie schüttelten einander die Hände, dann setzten der junge Friese und der portugiesische Schiffer ihren Weg fort, während der Altonaer zurückging nach dem Strand.

Kapitän Hansen schritt in tiefen Gedanken neben seinem Gefährten her und antwortete nur kurz und zerstreut auf dessen Gespräch. An einer der Straßenecken der Altstadt, ehe sie den Königsneumarkt erreichten, war ein Gedränge durch zwei Wagen entstanden, die aneinander gestoßen waren, und die Kutscher fluchten und schimpften einander, während der Pöbel Partei für das schlechtere Fuhrwerk gegen die herrschaftliche Equipage nahm, deren Halten die Passage in der engen Straße versperrt hatte. Durch die Menschenwoge wurde er selbst von seinem Begleiter getrennt und hatte es nicht bemerkt, daß dieser plötzlich sich nach einer andern Richtung wandte und einer Frauengestalt folgte, die schon zweimal an ihnen vorbeigestrichen, ohne daß der junge Mann darauf geachtet hatte. Als dieser seinen Gefährten jetzt suchte, war nirgends mehr etwas von ihm zu erblicken, und Klaus Hansen setzte daher nicht unzufrieden darüber, allein zu sein, seinen Weg fort.

Um dem Streit an dem Wagen auszuweichen und mit seinen Gedanken allein zu sein, bog er links in die Gassen ein, die nördlich von dem großen Platz von Gothers Gade durchschnitten werden und noch zur Altstadt gehören; aber es schien, daß seine Abenteuer in dieser Nacht noch keineswegs zu Ende sein sollten, denn eben als er an einem ziemlich dunklen – einem Durchgang bildenden – Seitengäßchen vorüberging, hörte er den Hilferuf einer weiblichen Stimme in demselben, dann laufende Schritte und rohes Gelächter.

Er blieb von dem ihm innewohnenden ritterlichen Gefühl getrieben einen Augenblick stehen, und im nächsten stürzte eine in einen weiten Mantel, in Kapotte und Schleier gehüllte, offenbar den höhern Ständen angehörige Dame aus der engen Gasse heraus, sah sich einen Augenblick wie nach Schutz in der breiteren, besser erleuchteten Straße um, eilte dann, da dieselbe an dieser Stelle sonst fast leer war, auf ihn zu und faßte seinen Arm.

»Um Gotteswillen, mein Herr,« bat sie hastig, »schützen Sie mich vor diesen rohen Menschen, und bringen Sie mich zurück zu meinem Wagen!«

Hinter der Dame drein sprangen jetzt aus der Gasse zwei Männer – an der langen Gestalt des einen erkannte der junge Mann sofort den Isländer.

»Gottes Blut will ich trinken, wenn es nicht die Dirne ist! Wir schleppen sie aufs Schiff, Maat, und dann soll sie für einen Nigger zu schlecht werden! Drauf Langer, faß das Weibsstück!«

Es bedurfte der Anreizung nicht erst, denn mit einem Ruf, der mehr dem Schrei eines wilden Tieres glich, als der Stimme eines Menschen, sprang der wilde Seemann vorwärts und faßte nach der bebenden Frau, die sich an den Friesen drängte.

Eine eigentümliche Ahnung durchzuckte den jungen Kapitän bei den ihm deutlich hörbaren Worten des portugiesischen Steuermanns. Er warf einen Blick auf die Dame, die sich an seinen linken Arm klammerte und konnte voll ihr Gesicht erkennen, da der Schleier von der rohen Hand eines der beiden Strolche zerrissen worden war.

Es gehörte dem Mädchen, das er vorhin erst verlassen, – nur war es jetzt von Angst entstellt, während früher es selbst in der größten Gefahr so unbeweglich und trotzig geblieben.

»Adda – Sie wieder?«

Das Erkennen schien gegenseitig, denn als das Mädchen zu ihm aufblickte, schien sofort ihre Angst beruhigt. »Kapitän Hansen!« rief sie erfreut. »Gott sei Dank, daß Sie es sind. Sie werden mich schützen vor diesen frechen Menschen!«

Der Isländer legte eben die Hand an sie. Ein Fauststoß des Friesen, boxermäßig auf seine Magengrube mit gewaltiger Kraft geführt, machte ihn mehrere Schritte zurücktaumeln.

» Putáo!« fluchte der Portugiese – »es ist der Bursche von vorhin! Nieder mit dem Schurken, Jökukl! für was trägst du dein Messer, Memme?«

Der riesige Seemann hatte sich wieder aufgerafft. Er warf aus seinen kleinen roten Augen einen wilden blutdürstigen Blick auf seinen Gegner, dann griff er nach seinem Messer, lehnte den Oberkörper weit zurück und wog es auf der flachen Hand.

Der junge Friese hatte das Mädchen hinter sich gedrängt und mit Blitzesschnelle gleichfalls sein Einschlagmesser gezogen, das er in der Tasche seiner Beinkleider trug. Als er aber das ihm glücklicherweise wohlbekannte, namentlich bei holländischen und chinesischen Seeleuten beliebte Manöver des Messerwurfs sah, begriff er, daß er nicht mehr Zeit haben würde, es aufzuklappen. Er ließ es fallen, warf sich vor das Mädchen und deckte sich mit dem linken Arm, die rechte Hand zum Griff halb vorstreckend.

Die Fertigkeit, die er sich während seines Aufenthalts in Canton und Schang-hai in dem gefährlichen Spiel erworben, war seine Rettung, denn der wilde Isländer schleuderte mit furchtbarer Kraft und Sicherheit in diesem Augenblick die gefährliche Waffe. Die zischende Klinge verletzte leicht die Hand des Kapitäns, aber es gelang ihm glücklich, den Griff im Fluge zu fassen, und ohne das geringste Zögern vorwärts springend, führte er mit dem eisernen Knopf des Messers einen so furchtbaren Hieb gegen die Stirn des Isländers, daß dieser lang auf das Steinpflaster stürzte.

»Brav gemacht, Schiffsmaat!« sagte eine harte Stimme hinter ihm. »Bei allen tausend Teufeln, ich sah noch nie einen bessern Schlag und dem Lümmel dort ist ganz recht geschehen! – Wenn Sie auf meine Korvette eintreten wollen, Mann, soll sich ein guter Platz für Sie finden!«

Der Friese hatte sich überrascht umgedreht – sein vom Zorn über den mörderischen Überfall gerötetes Gesicht wurde jedoch bleich von einer heftigeren inneren Bewegung, als er den Sprecher, einen Marine-Offizier erkannte, der mit mehreren anderen Personen bei dem entstandenen Streit stehen geblieben war.

»Ich danke für Ihr Anerbieten, Kapitän-Leutnant Hammer,« sagte er, sich gewaltsam fassend – »ich bin ein Friese von den Inseln und Sie werden wissen, wie diese über Ihr Kommando denken! – Kommen Sie, Fräulein!«

Er reichte dem Mädchen, das sich tief in ihre Kapotte und die Reste des Schleiers vermummt hatte, den Arm und führte sie festen Schrittes fort, ohne sich weder um den zu Boden Geschlagenen noch um die Zuschauer des Auftrittes zu kümmern.

Der Marine-Offizier lachte. »Der Bursche scheint mich gut genug zu kennen!« sagte er zu einem Freund, mit dem er eben stehen geblieben war. – »Diese Friesen sind Dickköpfe und es gehört wahrhaftig ein Regiment, wie ich es auf den Inseln führte, dazu, sie zahm zu machen.«

Der, von dem die Rede war, führte unterdes stumm seine Begleiterin weiter, bis sie in die Gothers Gade einbogen. Dann blieb er stehen:

»Wohin soll ich Sie bringen, Mademoiselle Adda?«

»Unser Wagen, den ich törichter Weise verließ, um unbemerkt einen Gang zu tun, wartet meiner vor der Akademie. Eine der Seiten des Königs-Neumarkt bildend. Aber warum nennen Sie mich Adda, Herr Kapitän?«

Erst jetzt tat er einen genaueren Blick auf sie und es fiel ihm auf, daß sie eine so andere Kleidung hatte, als vorhin, ja unter dem sich öffnenden Mantel glaubte er das lichtblaue Gesellschaftskleid zu erkennen, das am Nachmittag die Braut seines Bruders getragen.

»In der Tat, Fräulein,« jagte er ernst, »ich bin ein einfacher Seemann und nicht vertraut mit den kleinen Launen und Maskeraden der Damen der vornehmen Welt. Aber ob Sie sich Edda oder Adda nennen, – ich fürchte, daß die Braut Johannes Hansens unter beiden Namen nicht an ihrem Platze war!«

Sie standen jetzt unter den hellen Gaslaternen am Denkmal König Christians V. und das Licht fiel hell auf die schönen Züge der jungen Dame, die den Ausdruck des Schreckens jetzt verloren hatten und die frühere stolze und strenge Miene wieder annahmen, die er bei der ersten Begegnung an ihr gefunden.

»Der Dienst, den Sie einer Dame geleistet haben,« sprach sie stolz, »gibt Ihnen keineswegs das Recht, mein Herr, mich zu beleidigen, indem Sie meine Handlungsweise mißdeuten, auch wenn dieselbe Ihnen auffallend erschien. Setzen Sie meinetwegen Ihren Bruder davon in Kenntnis, daß Sie mich allein auf der Straße gehend und dadurch den Insulten trunkener Matrosen, ausgesetzt gefunden haben – ich bin zu stolz, um mich zu verantworten!«

»Ich weiß, Sie sind nicht schuld daran,« sagte er verwirrt – »die Unverschämten haben wahrscheinlich auf Sie gelauert, als wir die Taverne am Strande verließen! Aber warum wagten Sie sich dorthin – Sie unter das rohe Volk!«

»Was reden Sie von einer Taverne – was soll das heißen?«

»Nun – bin ich denn verwirrt, oder hab' ich meine fünf Sinne nicht zusammen? Das Schenkhaus in der Nähe des Strandes, wo Sie so mutig unser Lied sangen und der wilde rohe Bursche Ihre Harfe zertrümmerte!«

»Meine Harfe – ich in einem Matrosenwirtshaus?« Sie brach in ein heiteres Lachen aus, – wurde aber plötzlich sehr ernst.

»Sagen Sie, mein Herr Kapitän, auf Ihr Manneswort, haben Sie mich wirklich dort gesehen?«

»Sie selbst oder Ihre Doppelgängerin! – Freilich, – Sie trugen eine andere Kleidung – –«

»Und deshalb nannten Sie mich Adda?«

»Sie selbst – oder das Wesen, das Ihnen gleicht, wie ein Auge dem andern, wollten nur diesen Namen führen?«

Die junge Dame sah starr vor sich nieder – sie rang krampfhaft ihre schlanken Finger ineinander, wie er bemerken konnte.

»Die Unglückliche!« sagte sie endlich leise – »es ist kein Zweifel, sie muß es gewesen sein. Gott sei Dank wenigstens, daß ich ihre Spur wieder gefunden! – Herr Kapitän,« wandte sie sich zu diesem, »der Zufall hat Sie zum Mitwisser eines Geheimnisses gemacht, das schwer auf mir lastet. Ich muß Ihnen deshalb vertrauen und rechne auf Ihre Ehre und Ihr unverbrüchliches Schweigen dabei, da Sie mir in der Tat nützlich sein und noch in diesem Augenblick mir beistehen können!«

»Sie haben über mich zu befehlen, Fräulein Halsteen,« erwiderte der junge Mann nicht ohne eine gewisse Erleichterung, »aber – verzeihen Sie die Bemerkung, – sollte nicht mein Bruder als Ihr Verlobter die geeignete Person sein?«

»Nein, Herr,« sagte sie kurz – »Johann liebt und bewundert mich, ich weiß es, aber er ist ein Bureaukrat, ein Hofmann, wenn Sie wollen, und hat für außergewöhnliche Verhältnisse und Handlungsweise keinen Sinn! Sie sind ein Mann von Entschlossenheit und Tatkraft, und Ihr offenes Wesen flößte mir Vertrauen ein vom ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an. – Ich habe noch mehr als eine Stunde Zeit, ehe mein Vater und Ihr Bruder das Kabinett der Gräfin verlassen können, und ich muß diese Zeit benutzen, um jenes Weib aufzusuchen, für das Sie mich hielten. Ich muß sie sehen und sprechen – und das war eben der Zweck meines unvorsichtigen Ganges. Wollen Sie jetzt mein Ritter und Begleiter sein bei der Erneuerung meiner Nachforschung?«

»Ich stehe zu Ihrem Befehl!«

»Und Sie wollen nicht fragen und forschen – oder falsch über mich urteilen, bis ich selbst Ihnen den Schleier lüfte, so weit es geschehen darf, von allem, was Ihnen rätselhaft und seltsam vorkommt?«

»Mein Ehrenwort darauf!«

»Dann, mein tapferer Nordlandsrecke, geben Sie mir Ihren Arm und lassen Sie uns umkehren.«

Das Paar verlor sich aufs neue in die Gassen der Altstadt.


Es war am andern Vormittag gegen 9 Uhr, als der Legationssekretär Hansen in das Zimmer trat, das er seinem Bruder eingeräumt hatte, und diesen noch bei seiner einfachen Toilette traf. Sucky, der Laskare, ging ab und zu.

»Schau mir jemand den Faulenzer,« sagte er lachend – »ich bin seit zwei Stunden aus den Federn und an der Arbeit, und mein verehrter Bruder Seemann, der ein Muster von Wachsamkeit und Tätigkeit ist, hat sogar die Frühstückszeit verschlafen. Das kommt vom Nachtschwärmen, denn ich habe schon gehört, daß du keine Ausnahme von dem Ruf machst, der euch Seeleuten am Lande ein etwas schlimmes Leben nachsagt, und daß du erst spät in der Nacht, oder besser am Morgen nach Hause gekommen bist!«

»Du irrst!« meinte der Kapitän – »die vergangene Nacht gehörte nicht dem Vergnügen, sondern der Erfüllung meiner Pflichten. Ich habe einen Teil derselben an Bord meines Schiffes zugebracht, da wir Deutschen gestern abend besorgt sein mußten, der ehrenwerte Pöbel von Kopenhagen dürfte sich in seinem nationalen Eifer ein Vergnügen daraus machen, zur Nachfeier der Eröffnung des Reichstags das Eigentum anders redender Untertanen seines Monarchen anzuzünden.«

Der Legationssekretär errötete leicht. »Du sprichst etwas unbesonnen,« sagte er. »Zunächst redest du von uns Deutschen, als ob wir nicht geborene Dänen wären!«

Der Kapitän sah ihn erstaunt an. »Wir – Dänen? aber in welcher Sprache reden wir denn eben miteinander?«

»Nun – es ist unser friesisch Platt,« meinte nicht ohne einige Verlegenheit der Diplomat, »aber ich bemerkte dir schon gestern, daß Professor Allen zur Genüge nachgewiesen, daß das Altfriesische gleichen Stamm mit der dänischen, nicht, mit der deutschen Sprache hat.«

»Dann ist der Kerl ein Dummkopf oder ein Ignorant! Hol's der Henker, Bruder Jan, – die Luft in Kopenhagen scheint dich seltsam verändert zu haben und läßt mich den Sohn unsers seligen Vaters, des Prediger Johannes Hansen auf den Infeln, kaum noch erkennen!«

»Weil ich nicht mehr einer albernen Phantasterei huldige, sondern verständig erkannt habe, was recht ist und uns not tut, dem Ausland gegenüber, deshalb schiltst du mich,« sagte mit Heftigkeit der junge Beamte. »Ich erkenne darin den Einfluß unsers Oheims Barthelsen, auch wenn du mir nicht gesagt hättest, daß du dich bei ihm aufgehalten, und jener ganzen Clique von Revolutionären, die den besten Absichten der Regierung für die Eiderprovinzen negierend entgegentritt und das Land nicht zur Ruhe kommen läßt!«

»Zur Ruhe des Todes, das heißt zur Vernichtung seiner Selbständigkeit und eines deutschen Charakters!«

»Ich bin nicht herüber gekommen, um mit dir über eine längst entschiedene Frage zu streiten,« fuhr der Legationssekretär erregt fort, »sondern um dich zu bitten, daß du während meiner Abwesenheit, – ich muß dir nämlich leider sagen, daß ich durch den Dienst gezwungen bin, schon heute Mittag mit dem Dampfer über Kiel nach Berlin abzureisen – –«

»Ich hörte davon!«

»Es versteht sich von selbst, daß, auch wenn ich nicht hier bin, du meine Wohnung benutzest und mein Gast bist. Auch mein Schwiegervater wünscht dies und meine Braut hat dich bereits in so lebhafte Affektion genommen, daß ich fast eifersüchtig darüber werden könnte! – also, um dich in deinem eigenen Interesse zu bitten, während deines Aufenthalts in Kopenhagen und selbst später vorsichtig in deinen Reden zu sein, und die falschen politischen Ansichten, die du leider angenommen zu haben scheinst, nicht laut werden zu lassen. Sie könnten dir nur unangenehme Verwicklungen bereiten, die du schon aus Liebe zu mir vermeiden wirst, da mein Vorgesetzter und künftiger Schwiegervater, wenn auch ein vorurteilsfreier verständiger Mann, doch ein treuer Anhänger unsers angestammten Monarchen ist und ein strenger Gegner all der revolutionären Agitationen, die leider noch in den Eiderprovinzen ihr Wesen treiben!«

Der Seemann hatte seine Toilette beendet und trat jetzt auf seinen Bruder zu, dem er vertraulich die Hand auf die Schulter legte.

»Bruder Jan,« sagte er, ihm herzlich ins Auge blickend, »haben die schönen Augen Fräulein Eddas denn wirklich eine so große Macht über einen ehrlichen Burschen aus altem friesischem Blut erlangt, oder hat dich der Teufel des Ehrgeizes wirklich schon so sehr verblendet, daß du nicht einmal mehr den Namen deines Vaterlandes kennen magst, und von Schleswig-Holstein nur als von den ›Eiderprovinzen‹ sprichst? Hast du so ganz die Gefühle unsers ehrwürdigen Vaters vergessen, der als wackerer Patriot lebte, lehrte und starb, und einen Segen, als du selbst als Jüngling von 18 Jahren die Schwelle des väterlichen Hauses verließest, um dich in die Reihen der Männer zu stellen, die für das deutsche Recht der unterdrückten Herzogtümer ihr Blut und Leben ließen – einen Segen, um den ich, der vierzehnjährige Junge, dich damals so sehr beneidete!?«

»Es war das Dümmste, was ich je in meinem Leben getan,« antwortete störrisch der Beamte. »Es hat mich schwer in meiner Karriere aufgehalten und ich habe Mühe genug gehabt, das Andenken an den törichten Jugendstreich vergessen zu machen, obschon ich zum Glück bald genug vom Schicksal durch den Tod unsers Vaters und die Aufgabe, für mich selbst zu sorgen, zu Verstande gebracht wurde. Es war ein Glück, daß ich Freunde gewann, die mich auf bessere Wege brachten und mir möglich machten, in Kopenhagen weiter zu studieren.«

Der junge Kapitän sah finster zu Boden. »Das war, was uns zuerst trennte! Die Mutter bedauert es noch heute. Der deutsche Student gehörte nach Kiel, nicht in das Heerlager unserer Unterdrücker!«

»Ich bitte dich ernstlich, laß mich nicht solche Worte hören,« sagte der Legationssekretär gereizt. »Du bist wirklich noch zu jung und zu lange und oft von der Heimat entfernt gewesen, um dir ein richtiges Urteil über so schwierige Verhältnisse bilden zu können. Ich liebe unsere Heimatprovinz so gut wie du, aber eben darum wünsche ich sie als ein wirkliches und nützliches, nicht als ein abgesondertes Glied des Großen und Ganzen zu sehen. Schleswig gehört ein für allemal zu Dänemark und muß um seines eigenen Vorteils willen aus dieser unglückseligen Zwitterstellung zu Holstein erlöst werden, das wirst du selbst nicht leugnen! Die Regierung meint es aufrichtig und will nichts, als die garantierte Gleichstellung der beiden Nationalitäten zur Wahrheit machen. Bisher war aber die dänische, unsere eigene und mächtigere, schwer unterdrückt.«

Der Seemann blieb vor dem Sprecher, der sich auf das Sofa niedergelassen, stehen.

»Nennst du das eine Unterdrückung der dänischen oder der deutschen Nationalität, wenn von 571 weltlichen Beamten in einem historisch deutschen Land bereits 540 geborne Dänen sind? wenn den tüchtigsten jungen eingebornen Männern ganz offenkundig die Anstellung in der Heimat verweigert wird, bloß weil sie in Kiel und nicht in Kopenhagen studiert haben?«

»Sie finden stets Anstellung auf den Inseln, wie du an mir selbst siehst,« wandte der Legationssekretär ein. »Es ist natürlich, daß der Staat die Kenntnis seiner besonderen Gesetze und Einrichtungen verlangt und – da wir einmal leider ein geteiltes Volk bilden – auch genügende Übung im Dänischen.«

»Oder vielmehr gänzliches Vergessen des Deutschen! Oder ist es etwas anders, daß man die Jugend mit Gewalt zwingt, die ehrliche deutsche Sprache zu vergessen und nur dänisch zu denken und zu sprechen?«

»Du übertreibst, Klaus!«

»Nein, es ist Wahrheit, was ich sage, und dein ehrlich friesisches Herz muß es dir selbst sagen. Oder ist es nicht wahr, daß seit acht Jahren systematisch das Unerhörteste geschehen, die deutsche Nationalität in dem deutschen Herzogtum Schleswig auszurotten? Daß von den vier deutschen Gelehrtenschulen, welche das Herzogtum in Hadersleben, Husum, Flensburg und Schleswig besaß, drei gegen alle Bestimmungen der Stifter, in dänische Real- und Bürgerschulen verwandelt worden sind? – ist es nicht wahr, daß an der letzten, unserer berühmten Domschule in Schleswig, mit dem Direktor von 13 Lehrern bereits neun geborne Dänen sind, die wenig oder gar kein Deutsch sprechen? Ist es dir bekannt, daß der Kollaborator Helms, der Poet des ›tapfern Landsoldaten‹ – den du gestern abend hättest singen hören sollen, wo ich ihn hörte, – zum Hohn unsers Vaterlandes, Lehrer an der deutschen Domschule in Schleswig ist? Ist es nicht wahr, daß in den meisten Distrikten des Herzogtums bereits die albernsten ungebildetsten dänischen Pfaffen unsere würdigen deutschen Geistlichen verdrängt haben, daß von 52 Sonntagen deutsche Christen nur an sechsundzwanzig noch eine deutsche Predigt jämmerlich aus dem Munde eines Dänen, der nicht einmal der Sprache ordentlich mächtig ist, hören können? daß die Landschullehrer sämtlich unwissende Dänen sind, welche die deutsche Sprache nur in Ausnahmestunden deutsche Kinder lehren? daß die Eltern mit schweren Strafen gezwungen werden, ihre Kinder in dänische Schulen zu schicken, daß ihnen mit harter Pön verboten ist, deutsche Hauslehrer und Lehrerinnen zu halten?«

»Du redest von den gemischten Distrikten! Es ist die Pflicht der Regierung, dort auch den Untertanen dänischer Nationalität gerecht zu werden.«

Der Kapitän legte die Hand schwer auf den Tisch. »Gemischte Distrikte? Ja, das ist auch eine eurer tyrannischen Kopenhagener Erfindungen wie das Vergehen der ›Mißlichkeit‹! In drei Vierteln dieser sogenannten gemischten Distrikte, in Angeln, Schwansen, auf den friesischen Inseln, leben außer den jetzigen Beamten, den neuen Predigern und Lehrern, kaum einzelne Leute, alte Invaliden, die das Dänische verstehen, die ganze Bevölkerung ist ehrlich deutsch, und dennoch zwingt man die deutschen Grundbesitzer, die Schreiben der dänischen Geistlichen und Beamten nur dänisch zu beantworten, dennoch zwingt man den deutschen Kindern in Kopenhagen gefertigte Schulbücher auf, die der dümmste Quartaner in Deutschland sich schämen würde, für seine Arbeit auszugeben!«

Der Legationssekretär schwieg finster. Er wie der kühne Redner überhörten im Eifer des Gesprächs das leichte Geräusch in dem anstoßenden Besuchszimmer des jungen Diplomaten, dessen Tür halb geöffnet stand.

Der ehrliche offenherzige Seemann hatte sich selbst in vollen Eifer hineingesprochen.

Energisch fuhr er fort.

»Willst du noch mehr? Soll ich dich daran erinnern, daß deine gnädigen Herren von Kopenhagen uns Deutschen im Herzogtum nicht einmal mehr erlauben wollen, in deutscher Weise gesund und krank zu sein, daß man die Familien mit der Androhung der Entziehung jeder geschäftlichen Konzession zwingt, ihre gebildeten deutschen Hausärzte zu entlassen und dafür dänische Ignoranten anzunehmen, die meist sich nicht einmal mit ihren Patienten verständigen können!? daß nur Dänen oder Renegaten noch die Konzession zu Apotheken erhalten?! Soll ich dich daran erinnern, daß bereits der Frevel so weit gegangen, daß man die deutsche Irren- und die Taubstummenanstalt des Landes zu danisieren sucht, und die Unglücklichen nicht mehr die angeborene Sprache ihrer Heimat vernehmen dürfen?!«

»Du gehst zu weit, Klaus, ich darf als königlicher Beamter nicht ruhig diese Sprache hören. Etatsrat Regenburg, der sonst hochverdiente Chef des Kirchen- und Schulwesens, mag vielleicht in einigen Maßregeln zu weit gegangen, zu rasch verfahren sein, – aber der böse Wille, der oppositionelle Geist der deutschen Bevölkerung sind so offenkundig, daß die Regierung für alle politischen Freiheiten, die sie gewähren will, nur Hohn und Undank erntet!«

Der Seemann lachte bitter. »Politische Freiheiten? Verstehst du vielleicht darunter, daß bei den Ständewahlen in der Stadt Schleswig allein vierhundert unbescholtene deutsche Bürger von dem Wahlrecht ausgeschlossen wurden, bloß weil sie von dem Petitionsrecht einen sehr bescheidenen Gebrauch gemacht hatten? daß dieser tyrannische Schuft Jörrissen mit Polizeidienern und Gendarmen, mit Drohungen und Versprechungen die Bürger zur Wahl eines Dänen zwingen und trotzdem mit dem lächerlichen Resultate von 22 gegen 232 Stimmen sich geschlagen sehen mußte? daß seitdem jeder Wahlstand der Stadt mit Gewalt untergraben ist, ehrenwerte Bürger wegen Unterschrift einer Petition an ihre eigene Ständeversammlung mißhandelt und eingesperrt werden! daß man in der widrig-lächerlichen Wut, die Herzogtümer zu trennen, selbst in den Schulen die Kinder mißhandelt, welche sagen, daß Schleswig in Schleswig, nicht in Südjütland liegt! die deutschen Namen von den Wegweisern streicht, den Gebrauch von Landkarten mit deutschen Namen mit schweren Geldstrafen ahndet, die Landleute an Holsteins Grenze selbst verhindert, ihr Vieh auf die Kieler Ausstellung zu schicken und die gemeinnützigen Vereine verbietet, bloß weil sie für Schleswiger und Holsteiner gemeinsam sein wollen!«

Der Legationssekretär war aufgestanden. »Ich sehe,« sagte er bitter, »man hat dir die Lektion bei Onkel Barthelsen recht geläufig eingelernt!«

»Ich brauchte dazu keinen Lehrmeister, sondern nur Augen und Ohren offen zu halten. Was unsern alten ehrenhaften Oheim betrifft, so hat man gegen ihn auf das Schmachvollste gehandelt. Weil er auf das, was jedem Schleswiger teuer, auf die Zusammengehörigkeit der beiden deutschen Herzogtümer bei öffentlicher Gelegenheit angestoßen, hat die Polizei gewagt, selbst gegen richterliches Urteil ihn vierzig Tage lang im Gefängnis zu halten. Eine solche Willkür ist unerhört, und ich bin hier, um alles zu tun, was ich vermag, ihm Genugtuung zu verschaffen. Noch heute werde ich den Baron von Scheel-Plessen aufsuchen und ihm die Beschwerde vorlegen. Wenn er auch ein Aristokrat und Regierungsmann ist, so ist er doch ein geborener Deutscher aus den Herzogtümern, und kann nicht dulden, daß solche Willkür geschieht. – Von dir aber – ich sage es dir offen ins Gesicht, Bruder, hätte Oheim Barthelsen mit Recht erwarten können, daß du dich der Not seiner Familie angenommen, und deinen Einfluß hier geltend gemacht, das Unrecht zu beseitigen, statt ihn feig zu verleugnen!«

»Du wirst beleidigend, Klaus!« sagte unwillig der Legationssekretär, »und selbst dem Vorrecht deines Standes, täppisch und ungeschliffen zu sein, darf ich das nicht länger nachsehen. Ich handle nach meiner Überzeugung, indem ich auf seiten der Regierung stehe, und bin aus Erfahrung und Grundsatz ein Feind aller dieser demokratischen Opposition. Meinetwegen magst du in China oder New-Orleans deine liberalen Sympathien zum besten geben, hier aber ist kein Boden dafür und ich muß dich ernstlich warnen, dich nicht in Dinge zu mischen, denen du nicht gewachsen bist. Schon um meinetwillen aber muß ich erwarten, daß du im Hause meiner Braut, einer dänischen Dame, dich enthältst, solche Äußerungen zu wiederholen.«

»Ich glaube nicht,« erwiderte der Seemann gelassen, »daß Fräulein Edda, so viel ich bis jetzt von ihr gesehen, einem ehrlichen Mann es verargen würde, seine Meinung zu verteidigen, und denke, daß sie einen offenen Gegner vielleicht mehr achten dürfte, als …«

Er brach seine Rede ab und wandte sich um.

»Klaus!«

»Laß uns dies Gespräch enden,« fuhr der Kapitän fort. »Es tut nicht gut und erhitzt uns beide. Ich sehe mit Schmerzen, daß unsere Wege auseinandergehen und ich unserer ehrwürdigen Mutter keine Widerlegung der Befürchtungen, die sie infolge verschiedener Winke bereits zu haben beginnt, nach Hause bringen kann! – Nur das eine möchte ich dir noch warnend sagen – treibt es nicht zu arg mit dem Volk in Schleswig! Was eure Zeitungen totschweigen, findet doch seinen Weg nach Deutschland hinein, und so schwerfällig man auch dort ist, endlich wird man den Schmerzensschrei eines mißhandelten Bruderstammes doch hören müssen. Hat doch selbst der Führer der preußischen Reaktionspartei, die doch sonst gerade nicht euch widerwillig ist, Professor Stahl im Herrenhause ausgerufen: ›Es fehlt nur noch, daß man den Deutschen in Schleswig die Zunge aus dem Halse schneidet!‹ und Preußen hat eine Sühne an der Eider zu leisten, die es früher oder später einlösen muß!«

»Das grenzt an Hochverrat!«

»Ich bin weder ein Hochverräter, noch ein Rebell. Ich bin ein Untertan König Friedrichs VII. von Dänemark, aber ein Sohn Schleswigs und seiner alt verbrieften Rechte. Im übrigen danke ich Gott, daß mein Beruf auf freier See mich fern hält von euren politischen Intrigen und Streitigkeiten. Und damit basta und kein Wort weiter über die leidige Politik, die wenigstens nicht unsere brüderliche Liebe schädigen soll, wenn auch auf dem Mast des einen Fahrzeugs der alte Danebrog, auf der Gaffel des andern die blau-weiß-rote Flagge weht! Darum Bruder Jan für uns, wie für Schleswig-Holstein: up ewig ungedeelt!«

Er bot ihm herzlich die Hand, – während der Legationssekretär aber noch mit sich kämpfte, ob er einschlagen sollte, erwies sich, wie gut es war, daß das Gespräch geendet; denn als ein Räuspern sie aufmerksam machte und dem Diplomaten zu Hilfe kam, sahen sie auf der Schwelle des Nebenzimmers den Konferenzrat Halsteen, der unbemerkt eingetreten sein mußte.

Der hohe dänische Beamte musterte mit kaltem lauerndem Blick die Brüder und ihre Umgebung. Vergebens suchte der Legationssekretär an irgendeinem Zeichen zu entdecken, ob er etwas mehr von der eben gepflogenen Unterredung gehört hätte, als die letzten Worte beim Eintritt, – aber das Gesicht des Konferenzrats hatte die ihm wohlbekannte diplomatische Maske angenommen, und nur der festgekniffene Mund machte ihn bedenklich.

»Verzeihung, wenn ich die Herren vielleicht in einer Familienexpektoration störe,« sagte der Rat, – »es ist so angenehm selbst für einen alten verstaubten Aktenmenschen, wie ich bin, das frische Leben in zwei so kräftigen Sprossen pulsieren und zwei Brüder innig verbunden zu sehen! Warum ich komme, lieber Hansen, ist, Ihnen zu sagen, daß Edda die Herren in einer Stunde mit dem Lunch erwartet. Ich muß nach dem Ministerium, der Minister hat nach mir geschickt, und ich werde vielleicht kaum Zeit behalten, Sie vor der Abreise noch einen Augenblick zu sehen, oder Sie abzuholen zum Abfahrtsplatz der Dampfschiffe. Wenn nicht, so bedienen Sie sich meines Wagens, Sie wissen, der Dampfer nach Kiel geht um ein Uhr und darf nicht versäumt werden.«

»Ich werde pünktlich sein, verlassen Sie sich darauf!«

»Noch eins – Sie wissen wegen der Angelegenheit aus London. Haben Sie mir die kleine Vollmacht ausgestellt?«

»Ich werde es sogleich tun!«

»Bitte, bitte. Haben Sie mit Ihrem Herrn Bruder vielleicht davon gesprochen?«

»Noch nicht. Der Schwärmer ist spät nach Hause gekommen und ein Langschläfer gewesen. Wir haben noch nicht Zeit gehabt, davon zu reden. Aber ich erinnere mich eben, daß Klaus sich stets weit mehr mit den Familienangelegenheiten beschäftigt hat, als ich. Unterdes ich das Papier ausfülle, fragen Sie ihn vielleicht!«

Der Konferenzrat machte eine zustimmende Gebärde und der ältere Hansen verließ das Zimmer.

Herr Halsteen ließ unterdes seine Augen im Zimmer umherspazieren und sie auf dem Toilettentisch haften, wo noch das Waschbecken stand.

»Sieh, sieh – der Herr Kapitän haben wahrscheinlich Nasenbluten gehabt! Das kommt vom Nachtschwärmen der jungen Herren! In meinem Alter ist man solider.«

»Ich leide niemals daran! – ich habe mich gestern abend zufällig an einem Messer verwundet und im Dunkeln nicht weiter auf die kleinen Schnitte geachtet. Sucky – nimm das Wasser dort weg und gieße es aus! – Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Halsteen?«

Der Konferenzrat setzte sich in die Ecke des Sofas, lehnte aber die angebotene Zigarre ab. »Ich bin kein Raucher,« sagte er, »schnupfe nur zuweilen. Es ist für uns Diplomaten eine angenehmere Leidenschaft und schärft das Denkvermögen. Apropos – Ihr verstorbener Herr Vater war ja wohl auf den Inseln geboren?«

»In Amrum, Herr Rat!«

»Richtig, so sagte mir Ihr Herr Bruder. – Und der Vater Ihres Herrn Vaters, also Ihr Großvater, stand damals, als Kopenhagen von den Engländern bombardiert wurde, also im Sommer 1807, in englischem Seedienst?«

»Er diente gegen die Franzosen. Aber das war nicht mein Großvater, der ein einfacher Schiffer auf den Inseln blieb, sondern sein älterer Bruder, der wie ich hieß, Klaus Hansen!«

»So, so! Und hat Ihre werte Familie nie wieder von diesem Ausreißer und Feinde seines Vaterlandes gehört?«

»Verzeihen Sie, Herr Konferenzrat,« sagte der junge Friese ernst, »mein Großvater war weder ein Ausreißer noch ein Feind seines Vaterlandes. Er diente vielmehr gegen den Erbfeind desselben.«

»Möglich! mir waren die Ansichten über Feind und Freund damals etwas abweichend. Aber ich wiederhole die Frage, haben Sie niemals wieder von diesem Bruder Ihres Großvaters gehört?«

»Wie mein Vater mir erzählte, ging später, im Jahre 1808 oder 9 das Gerücht, er sei in Ostindien. Die Kontinentalsperre und die Kriege mit England erschwerten damals wohl alle Nachrichten. Aber darf ich fragen, warum von dem längst Verschollenen jetzt wieder die Rede ist?«

»O – durch Zufall. Es kam neulich in englischen Berichten der Name Hansen vor und ich interessierte mich dafür und werde bei Gelegenheit weitere Nachfrage halten. Doch da kommt Ihr Bruder und ich muß mich jetzt wirklich verabschieden!«

Er steckte das Papier, das ihm der Legationssekretär brachte, in die Tasche und ging von diesem begleitet.

Der Laskare benutzte die Gelegenheit, daß sein Herr allein war, allerlei anzubringen, was ihm auf dem Herzen lag.

»Ser unrecht von Sahib Kapitän,« meinte er, »gestern fortzugehn ohne Sucky mitzunehmen! Ist hier bös Volk, fast so schlimm wie Malaye, der Amok läuft und hat Messer gleich bei der Hand!«

»Das erinnert mich,« sagte der Kapitän lächelnd, »daß ich einem der Kunststücke, die du mich gelehrt, wahrscheinlich das Leben danke. Es wurde von einem Kerl ein Messer nach mir geworfen und ich fing es auf. Dort unter dem Spiegel liegt es! Hättest du mich auf den Kunstgriff nicht geübt, fuhr mir die Klinge sicher drei Zoll durch den Hals oder in die Brust!«

»Ein Malakkamann ist sehr geschickt,« meinte der Laskare. »Aber warum hat Sahib Kapitän nicht geworfen sein Messer zuerst? man muß nie schonen einen Feind!«

»Wenn ich diesem Prinzip gefolgt wäre,« lachte der junge Mann, »hättest du wahrscheinlich an einer Rae der Clary gebaumelt oder könntest deine Knochen auf dem Grunde des indischen Meeres suchen, guter Freund!«

»Dann hätten Sahib Kapitän nicht so guten Steward,« erwiderte mit großer Selbstgenügsamkeit der Indier. »Aber ich habe nicht gefunden in der Tasche das Messer von Sahib!«

»Es ist wahr – ich erinnere mich jetzt! Ich hatte es zu meiner Verteidigung gezogen und muß es bei dem Streit haben fallen lassen, ohne später daran wieder zu denken. Es ist mir ein unangenehmer Verlust; denn es war eine gute Klinge und das Geschenk eines alten Freundes, mit meinem Namen auf dem Griff eingraviert!«

»Sahib Kapitän muß ein anderes kaufen,« tröstete philosophisch der Laskare. »Gibt es viele schöne Messer hier und schöne Frauen, Frauen besser als Männer! Missis Edda ser schön, ser weißen Haut und ser gut für Malakkamann!«

»So – also Miß Edda gefällt dir?«

Der Indier zeigte seine Zähne von einem Ohr zum andern. »Ist so schlank wie die Kokospalme und so weiß wie Taube! Kein Sultan in meiner Heimat hat eine Missis wie diese! Aber was nützen Sahib Bruder, wenn er auch kriegen viel Lak Rupien aus Indien, wenn er nicht ist glücklich in seinem Haus!«

Der junge Kapitän, der bisher en passant die Unterhaltung geführt, sah erstaunt auf bei diesen Bemerkungen. Er kannte aus Erfahrung die scharfe Beobachtungsgabe des Indiers.

»Was willst du damit sagen, Bursche? was hat mein Bruder mit den indischen Rupien zu tun?«

»Weiß ich nicht! aber sagen doch die Diener in der Kambüs, daß er macht eine große Erbschaft aus Indien, und das weiß dies sehr gut alter Sahib mit dem glatten Kopf, sonst würd' er nicht geben Missis ihm zur Frau!«

»Was du nicht alles weißt,« meinte kopfschüttelnd der Kapitän und doch fuhren ihm unwillkürlich die Fragen des Konferenzrats von vorhin durch den Sinn und seine ausweichende Antwort. »Aber warum sollte mein Bruder nicht glücklich sein, wenn er eine so schöne Dame, wie Miß Edda heiratet?«

»Missis sein eine Sultanin, Missis lieben einen Mann, der ist ein Held, nicht sein ihr Sklave. Sahib Kapitän müßten heiraten Missis Edda, er sein der rechte Mann und würden sein ser glücklich, wenn erst ist verbannt schwarzer Dämon, vor dem sich fürchten alle im Haus!«

»Du bist ein Narr, Sucky,« sagte halb unwillig der Kapitän. »Wie kann ein Bursche wie du auf dummes Küchengeschwätz achten? Ich werde dich zurückschicken an Bord, wenn ich noch einmal solche einfältigen Worte höre.«

Der Eintritt des Legationssekretär unterbrach die weiteren Expektorationen und der Indier fand für gut, sich davon zu machen.

Die Brüder versprachen jetzt noch verschiedene Dinge und Nachrichten aus der Heimat, ohne daß, von beiden vermieden, das Gespräch noch einmal auf die Politik und die Tagesfragen gebracht wurde. Klaus erwartete vielleicht, daß der Bruder etwas von der durch das Dienergeschwätz angedeuteten indischen Angelegenheit sagen würde; da der Legationssekretär aber nichts erwähnte, hielt er es eben für ein durch zufällige Umstände entstandenes Gerücht und dachte nicht weiter daran. So verging rasch die Zeit, bis Fräulein Halsteen die Herren einladen ließ, den Lunch mit ihr einzunehmen.

Sie fanden die junge Dame bereits im Speisesalon an dem wohlbesetzten Dejeunertisch ihrer warten, und während der Legationssekretär seiner schönen Verlobten die Hand küßte, begegnete über ihn hinweg ihr ernster bedeutungsvoller Blick dem Auge des Kapitäns und ihr zarter schlanker Finger legte sich nochmals bezeichnend auf die Lippen.

Er neigte zustimmend den Kopf und unwillkürlich kamen bei der kleinen Szene ihm wieder die Worte des Malayen in den Sinn.

Fräulein Halsteen erinnerte aber von diesem Augenblick ab nicht mehr durch das geringste Zeichen oder die kleinste Anspielung an die Vorgänge des vergangenen Abends, ja schien jede Bezugnahme darauf sorgfältig zu vermeiden. Sie machte ganz die feine liebenswürdige Wirtin des Hauses, ohne daß ihr Wesen dabei die ihr eigene aristokratische und ernste Haltung aufgab. Mit Feinheit wußte sie den jungen Seemann die Kosten der Unterhaltung tragen zu lassen und ihn auf seine Reisen und Abenteuern zu bringen, so daß er darüber ganz vergaß, was er sich doch eigentlich vorgenommen, das Verhältnis zwischen den beiden Verlobten näher zu beobachten.

So ging die Zeit rasch vorüber, bis der Konferenzrat eintrat und zugleich der Bediente die Meldung machte daß der Wagen bereit stände, sie nach dem Abfahrtsplatz der Dampfschiffe am Ausgang der Esplanade jenseits der Zollbude zu bringen, wohin das Gepäck des Abreisenden bereits vorausgeschafft war.

Auf seine Bitte hatte Fräulein Edda sich bewegen lassen, mit dem Vater und künftigen Schwager den Legationssekretär zum Dampfboot zu begleiten, und erbot sich, alsdann – da der Herbsttag prächtig war – dem jungen Kapitän verschiedene der neuen Anlagen der Hauptstadt zu zeigen, die er noch nicht kannte oder vergessen haben mochte.

Unter der Bewegung des jetzt drängenden Aufbruchs hatte das Benehmen des Konferenzrats weniger Aufmerksamkeit und Beachtung gefunden, als es wohl sonst der Fall gewesen wäre. Eine gewisse finstere Zurückhaltung lag in seinem Wesen schon beim Eintritt, und wiederholt hatte er – wenn er sich unbeobachtet glaubte, – seine Blicke forschend und lauernd auf Kapitän Hansen gerichtet. Dabei trieb er selbst dringend zum Aufbruch.

Erst als die Gesellschaft im Wagen saß, fiel der jungen Dame die ungewohnte Schweigsamkeit ihres Vaters auf, und sie fragte ihn, ob er unwohl sei oder Unangenehmes auf dem Ministerium gehört habe.

»Das nicht,« erwiderte der Rat – »die politischen Nachrichten sind die besten und wie wir sie nicht willkommener wünschen können. Aber ich gestehe, daß die Nachricht von einem diese Nacht in der Stadt begangenen schändlichen Verbrechen auch mich etwas alteriert hat!«

»Ein Verbrechen?«

»Ja. Ein fremder Schiffskapitän ist diese Nacht ermordet worden!«

»Mein Gott,« sagte die Dame, »das ist traurig! Aber ich muß gestehen, daß ich Unheil fürchtete. Schon als ich gestern abend vom Schloß nach Hause fuhr, konnte ich bemerken, daß der Pöbel sehr unruhig und zu allerlei Exzessen und Übeltaten geneigt war. Die Partei der Bauernfreunde ist schuld daran durch ihre ewigen Aufhetzereien!«

Der Konferenzrat verneinte durch ein Zeichen. »Nicht das Volk ist es, das bei einem nationalen Streit vielleicht sich von der Hitze und Leidenschaft hat hinreißen lassen, – die Tat ist ein gemeiner Mord, offenbar aus Habgier, denn es ist eine bedeutende Summe Geldes dabei geraubt worden.«

»Schrecklich! – Und wie geschah es?«

»Man hat den Ermordeten diesen Morgen an Bord seines eigenen Schiffes auf seinem Lager mit durchschnittenem Halse gefunden und einer bedeutenden Barschaft beraubt, von der man weiß, daß er sie gestern abend noch besaß.«

»Kennen Sie den Namen des Kapitäns und des Schiffes?« fragte der Seemann.

»Leider kann ich Ihnen nicht dienen, Herr Hansen,« sagte der Konferenzrat und seine Augen ruhten fest auf dem Gesicht des andern, – »ich weiß nur, daß es ein Ausländer ist!«

»Und hat man den Mörder bereits entdeckt? Die Kopenhagener Polizei wird doch als vortrefflich gerühmt.«

»Er ist noch nicht verhaftet, so viel ich weiß, aber man ist ihm auf der Spur, denn es liegen sichere Indizien vor. Ich hoffe, daß es noch heute geschieht. Jedenfalls soll er keine Gelegenheit haben, zu entkommen!«

Der Wagen rollte weiter durch die Zollbuden-Straße und kam auf dem Anlegeplatz der Dampfer an.

Die Szene dort war sehr belebt – Reisende, ihre Begleiter und Flaneurs, die bloß zum Zeitvertreib da waren, füllten den Platz und das Deck des Dampfers »Aurora«, von dessen Mast lustig der Danebrog im frischen Seewind wehte.

Es war übrigens Zeit, daß sie gekommen. Schon während sie die Equipage verließen, läutete die Glocke des Schiffs zum erstenmal, und der Legationssekretär hatte Mühe, unter der Menge der Lastträger und Schiffsleute seinen Bedienten zu finden und sich davon zu überzeugen, daß sein Gepäck richtig untergebracht war.

Während der Zeit bemerkte Edda, daß ihr Vater einem Mann in Zivil, den sie als einen Beamten der Polizeidirektion kannte, da er öfter in dienstlichen Angelegenheiten in ihr Haus gekommen, winkte, mit ihm zur Seite trat und mit ihm sprach.

Eben kam der Legationssekretär vom Bord zurück und näherte sich ihr, um Abschied zu nehmen. Er flüsterte Worte der ehrerbietigsten Zärtlichkeit zu seiner Verlobten, die ihn zerstreut anhörte und ihm ihre Hand überließ.

»So leben Sie denn wohl, Edda, und möge mir, wenn ich zurückkehre, Ihre Güte das süße Glück gewähren, das ich mit allen Kräften erstreben will. Wenn bester Wille und Eifer den Erfolg sichern kann, soll er meiner Mission nicht fehlen. Bis dahin empfehle ich, so lange er sich hier aufhält, meinen Bruder Ihrer freundlichen Protektion.«

»Ohne Sorgen – er soll sich nicht über Mangel an Freundschaft zu beklagen haben!«

Die Glocke läutete zum zweitenmal.

»An Bord, an Bord, lieber Hansen!« drängte der Konferenzrat. »Auf glückliches Wiedersehen, Herr Legationsrat! – Es ist unnötig, daß Sie Ihren Bruder noch begleiten, Herr Kapitän – das Schiff wird sogleich abgehen!«

Klaus Hansen ging, den Arm in den seines Bruders geschlungen, bis an die Übergangsplanken. Dort drückte er ihm herzlich die Hand.

»Leb wohl, Bruder Jan! vielleicht treffen wir uns noch hier, wenn du dich sputest, denn unter vierzehn Tagen werd' ich schwerlich meine Ladung bekommen. Grüß mir die Deutschen in Berlin und sage ihnen: Auf hoher Wacht!«

»Du bist unverbesserlich!« zürnte der Diplomat. »Hoffentlich bekehrt dich Edda!«

»Wenigstens will ich nach Kräften für dein Glück sorgen! Adieu denn und gute Fahrt!«

Der Legationssekretär sprang über die Planken und wehte gleich darauf von der Galerie her zum Abschied mit dem Tuch.

Die Glocke gab das letzte Zeichen – die Brücke wurde abgeschoben, der Pfiff der Maschine ertönte und die Räder schlugen. Langsam löste sich das mächtige Schiff und trieb in die Flut, bis es dem Steuer gehorchte und sich zu wenden begann.

Ein »Lebewohl!« tönte aus hundert Kehlen, während Schlag auf Schlag sich der Dampfer entfernte und dichte Rauchsäulen dem Schlot entquollen.

Der friesische Kapitän hatte einige Minuten dem Dampfer nachgesehen, dann wandte er sich um, nach seiner Gesellschaft zurückzukehren.

Als er um sich blickte, bemerkte er in seiner Umgebung mehrere Gendarmen und Polizeibeamte. Er beachtete die sehr erklärliche Versammlung jedoch wenig, sondern ging auf den Konferenzrat zu, der bereits in der Nähe seiner Equipage stand und den Arm seiner Tochter durch den seinen gezogen hatte.

»Nun mein gnädiges Fräulein bin ich zu Ihrer …«

Eine strenge abweisende Bewegung des Konferenzrats unterbrach ihn, der Blick desselben war hart und hochfahrend.

»Wir haben nichts mehr zu schaffen, mein Herr, mit Ihnen!«

In diesem Augenblick legte sich eine Hand schwer auf die Schulter des friesischen Kapitäns.

»Sind Sie der Kapitän Klaus Hansen von dem Barkschiff ›Schleswig‹?«

»Der bin ich. Was steht zu Diensten?«

Der Mann, welcher ihn angehalten, und der derselbe war, mit dem vorhin der Konferenzrat gesprochen, winkte und sogleich sprangen zwei in der Nähe stehende Gendarmen herbei und faßten die Arme des Friesen.

»Dann verhafte ich Sie, Klaus Hansen, im Namen des Königs!«

»Mich? – und weshalb?«

»Wegen Hochverrats und Raubmords, begangen an der Person des portugiesischen Kapitäns Sylvio Macinhos! Legt dem Mörder Handschellen an, Leute, und schafft ihn fort!«

Ein leiser Schrei ertönte – Fräulein Hallsteen lag ohnmächtig in dem Arm ihres Vaters.



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