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Iquitos – Malaria – Yurimaguas – Fischen mit Gift Tarapoto – Delirium – Weihnachten in den Tropen
Iquitos, am linken Amazonasufer in hundert Meter Meereshöhe gelegen, vor fünfundsechzig Jahren gegründet und mit fünfundzwanzigtausend Einwohnern die fünftgrößte Stadt Perus, ist eine jener Urwaldstädte, die ihr phantastisches Aufblühen dem Gummihandel und ihr gelähmtes Dahinvegetieren dem Zusammenbruch eben desselben Gummimarktes verdanken. Die Stadt besitzt zwei oder drei Hotels, ein Operettentheater, ein Kino, mehrere Kaffee- und Speisehäuser und einige Niederlassungen europäischer und amerikanischer Handelshäuser. Noch heute kann man im Kaffeehaus in vornehmes Tropenweiß gekleidete Herrschaften sitzen sehen (der Anzug ist sehr weiß, die Haut nicht so ganz), die ihr Glas Eiswasser bald mit der linken, bald mit der rechten Hand zum Mund führen, an jedem Finger jeder Hand einen Brillantring blitzen lassend – Männer, die im Gummihandel ein Vermögen erworben haben und es jetzt, immer noch auf eine bessere Zukunft hoffend, langsam aber sicher verzehren.
Natürlich waren die nach Iquitos dirigierten Filme nicht angekommen. Wir sandten Depeschen und Flugpostbriefe und verpulverten unser letztes Geld – umsonst. Das Fehlen der Filme war einer der Schicksalsschläge, die mich auf dieser Reise verfolgten und die darin bestanden, daß ich das wenige, was ich besaß, bis auf den letzten Knopf verlieren mußte. An der Börse meiner Sterne herrschte sozusagen Kurssturz. Damals wußte ich noch nicht, daß auch der bereits aufgenommene Film später verlorengehen sollte. Wie das zugegangen ist, das ist eine komplizierte Geschichte. Man könnte einen ganzen Band darüber schreiben, und der weise Salomon würde trotzdem nicht daraus klug werden.
Nach einem Besuch auf der Redaktion des »El Eco« veröffentlichte das Blatt einen ellenlangen Artikel über unsere »aufsehenerregende Reise«. Unter anderem lernte ich in Iquitos den spanischen Dichter Karr y Corona kennen, der sich auf einer ähnlichen Abenteurerreise befand wie wir, und schließlich stellten wir uns noch dem deutschen Konsul vor, der Inhaber des größten dortigen Handelshauses ist, und unterbreiteten ihm den bedenklichen Stand unseres Horoskops. Er übernahm gegen die schriftliche Zusicherung, daß das Geld von meinem Verlag zurückerstattet wird, die Begleichung unserer Hotelrechnung und verschaffte uns Freifahrt auf einem seiner Dampfer bis Yurimaguas.
Das Hauptereignis von Iquitos war, daß mich das Fieber, von dem ich sechs Monate lang verschont geblieben war, endlich doch erwischte in Gestalt einer schönen Kombination von Malaria, Grippe und vermutlicher Lungenentzündung. Ich hörte, daß es in Peru üblich ist, an der Grippe innerhalb zwei, spätestens drei Tagen abzukratzen. Es gab da zwar einen Arzt, der möglicherweise sogar einmal studiert hat – seiner Rechnung nach Nationalökonomie. Die feuchtbrütende Dampfbadhitze des Amazonastieflandes ist ungesund, nur Luftveränderung konnte mich retten; ich mußte um jeden Preis weg und höher gelegene Gegenden erreichen. Aber auch ohnedem war ich froh, von der Stadt wegzukommen. Einige der weißbehosten Angestellten, mit denen man nolens volens bekannt wird, genierten sich, mit uns über die Straße zu gehen, weil wir ihnen nicht elegant genug waren. Mir war der Urwald, trotz aller Anstrengung und Entbehrung, die uns erwartete, lieber als die Gesellschaft dieser Bügelfalten.
Wir hätten auch den Amazonas abwärts fahren können bis Para. Das wäre bequemer gewesen, aber dann wäre ich meinem Plan der Durchquerung unbegangener Gebiete untreu geworden. Darum war es beschlossene Sache, daß wir uns nach Westen wandten, um über die Anden wieder die pazifische Küste zu erreichen.
Wir ließen das schwerste Gepäckstück, den wasserdichten eisernen Koffer, zurück. Da wir keinen Meter Film mehr besaßen, war er entbehrlich geworden. Er wurde mir später nach Deutschland nachgesandt. Einige nette Deutsche begleiteten uns an Bord des kleinen Marañondampfers.
»Sie haben noch starkes Fieber!« meinten sie.
»Das macht nichts«, sagte ich, »der Klimawechsel ist die beste Medizin!«
Mein Verhältnis zu Freund Rolf war noch nicht besser geworden. Durch meine Krankheit fühlte er sich behindert; sie paßte ihm nicht ins Programm. Ich konnte das begreifen; er war noch gesund, und je gesünder ein Mensch ist, desto weniger Verständnis hat er in der Regel für einen Kranken. Er machte mir während der viertägigen Flußfahrt des öfteren den Vorschlag, ich solle nach Iquitos zurückgehen, aber dagegen wehrte ich mich energisch und sagte ihm, daß ich ihm nicht hinderlich sein will, sondern bereit bin, allein weiterzugehen.
In Yurimaguas waren wir Gäste des Subpräfekten. Da ich ihm die Absicht kundgab, meine kleine Remingtonmaschine, die bis dahin alle Strapazen und Witterungen glänzend überstanden hatte und noch so gut wie neu war, zu verkloppen, war er bereit, sie mir abzukaufen. Ein Marketender eines Flußdampfers bot mir aber mehr, und so überließ ich sie diesem, natürlich weit unter Preis. Der Präfekt vermittelte uns einen Carguero (Führer und Lastträger) nach Tarapoto, unserer nächsten Station. Entsprechend der Konstellation meiner Gestirne ging noch mehr flöten: ich gab meine in Huancayo, Huachon und Chuchuras mit edler Begeisterung angefertigten Aquarelle als eingeschriebenes Paket an einen Verleger auf, wo sie auch angekommen, aber von da an spurlos verschwunden sind.
Einen Träger hatten wir also: wir packten ihm tüchtig auf; mein Äffchen turnte dem Cholo auf der Schulter. Ich hatte nur noch eines, das andere war in Iquitos ausgerissen. Auch Rolf schleppte ein gehöriges Gewicht, und ich hatte zu tun, mich selbst zu schleppen. Jetzt begann erst der schwierigste Teil der ganzen Reise. Es galt, gegen zweitausendfünfhundert Kilometer zurückzulegen und bei dem, was wir über die »Wege« hörten, konnte man das kalte Grausen kriegen. Von Yurimaguas an geht zwar anfangs ein wirklicher, im Bau befindlicher Weg. In einer Breite von sechs bis acht Meter ist der Urwald ausgerodet, die mannshohe Schicht von Moos, Dornen, Pflanzen- und Wurzelgeflecht ausgegraben, verbrannt oder beiseitegeschafft. Man geht in einem tiefen breiten Graben auf federnd weichem Humus, der sich in der Regenzeit natürlich in ein grundloses Schlammbad verwandelt. Bald waren wir am Ende dieses Grabens. Ein paar Indios hackten mit ihrem primitiven Werkzeug herum – das ist der Wegebau, von dem die Zeitungen große Töne schreiben und für den der Staat alljährlich Millionen auswirft. Es ist, als ob sie den Urwald mit dem Taschenmesser umlegen wollten.
Dann verschlingt uns der seit tausend Jahren von nackten Indianerfüßen getretene, immer wieder verwachsene und versunkene Pfad, bergauf und bergab, hinunter in treibhausheiße Sümpfe, hinauf durch üppigen Pflanzenwirrwarr auf steinige, kalte Höhen, durch faulende schlammige Wasser und reißende klare Gebirgsbäche. Jeden Tag wechselt die Jahreszeit; oft ist der Weg stundenlang das Flußbett, dann wieder sieht man, wo gearbeitet wurde; durch sumpfiges Gelände liegen gefällte Bäume als morsche Prügelwege, die unter dem Tritt zerbrechen und im Wasser versinken. Oder wir durchwateten einen reißenden Fluß, bis an die Brust im Wasser, von einem Felsblock zum andern und auf verklemmten Bäumen hinüberturnend. Die Flüsse poltern durch tiefe Steilschluchten, in die man hinabklettert und auf der anderen Seite wieder hinauf, wobei einem einige alpinistische Erfahrung sehr zugute kommt. Meine Riesenstiefel, bisher Belustigungsobjekt, erhielten allmählich das Gewicht einer Alltagstragödie, über die man einen Roman schreiben könnte. Meine Füße waren auf allen Seiten wund. Ich versuchte es ohne Schuhe, denn stellenweise schien es sich barfuß besser zu gehen, aber wir sind keine Indianer; der Weg wurde steinig, und ich zerstieß und zerschund mich noch mehr oder trat mir Dornen ein und nahm mir nicht die Zeit, sie herauszuziehen, weil ich sonst zu weit zurückgeblieben wäre. Außerdem schlugen mir die steinharten Stiefel, die ich mir umgehängt hatte, im Laufen den Rücken. Ich zerriß mein Hemd, wickelte die Lumpen um die Füße und klemmte mich wieder in die schneidenden Stiefel. Trocken waren sie hart wie Blech, naß wurden sie zu Bleigewichten. Oft blieb ich stundenweit zurück; die Indianer gehen schnell und ausdauernd und rasten selten und ungern. Da ich aber krank war, nahm unser Peon Rücksicht auf mich und wartete, wenn ich allzu weit hinten blieb. Ich schaffte es bis San Antonio, dann war ich mit meinen Kräften am Ende. Die Leute von San Antonio, als sie mich sahen, erklärten, ich könne unmöglich in diesem Zustande weitergehen; sie boten uns ein Nachtlager an, luden uns ein, einige Tage zu rasten, und erboten sich, uns eine Mula zu verschaffen, obwohl man in dieser Gegend wegen der schwierigen Wege Tiere ungern verleiht. Rolf zog mir die Dornen aus den Füßen, die ich mit allen Salben unserer Notapotheke einbalsamierte und verband. Ich fraß Chinin und legte mich auf die faule Haut. Wir blieben die Nacht und den folgenden Tag und noch eine Nacht, bis eine Mula erfragt war und wir uns mit dem Peon über den Preis geeinigt hatten. An diesem Tag war in San Antonio großer Fischfang, ein fröhlich-festliches Ereignis, ein unserem Jahrmarkt ähnliches Volksfest, von dem man schon bei unserer Ankunft aufgeregt sprach. Lange vor Tagesanbruch brach die ganze Einwohnerschaft, Männer, Weiber und Kinder, auf nach dem Fluß, bewaffnet mit Körben, Macheten und Dreizacks. Man fischte mit Gift (dem Kraute Huacha und der Wurzel Barbasca), das getrocknet, wie Reis zerstampft und in den Fluß gestreut wird, worauf sich das Wasser milchig-weiß färbt. Die Fische sind nicht tot, treiben nur mehr oder weniger betäubt dahin, werden flußabwärts aufgefangen und aufgespießt und sind natürlich trotz des Giftes genießbar. Das Fischen dauert den ganzen Tag, zuweilen mehrere Tage. Am Abend kommt alles mit vollbeladenen Körben nach Hause.
Ich trieb zur Weiterreise. Je höher wir in die Anden hinaufkamen, desto mehr Aussicht hatte ich, das Fieber loszuwerden. Diesmal war die Partie nicht so schlimm, denn ich saß wenigstens auf einem Tier und schonte meine Füße. Auch ein Teil des Gepäcks wurde dem Mula aufgeladen, so daß Rolf weniger zu schleppen hatte. Wir erreichten Tarapoto, eine kleine Stadt, gelegen in einer felsigen Oase mitten im Urwald. Braune Palmstrohdächer spitzen aus dem verfilzten Strauchwerk, überragt von den hohen Büscheln schlanker Kokospalmen. Die Gegend ist regenarm und ausgebrannt, es herrschte eine trockene Höllenhitze. In Tarapoto wohnt ein mit einer Chola verheirateter Deutscher, Señor Hildebrandt. Als ich vor seiner Bambushütte aus dem Sattel glitt, mehr fiel als glitt, hob er mich auf: »Mann Gottes, Sie reiten ins Grab!« Ich muß sehr schlecht ausgesehen haben, das Fieber hatte mich übel zugerichtet. Hildebrandt nahm uns gut auf und tat alles, damit ich mich ein wenig erholen sollte. Er schlief in der Hängematte und überließ mir sein selbstgezimmertes Bett. Das Lager tat mir wohl; an das Fieber hatte ich mich schon einigermaßen gewöhnt; beunruhigend war nur das sonderbare Stechen in der Lunge, von dem ich nicht recht wußte, was es war.
Hildebrandts Haus liegt abseits des Ortes an einem Fluß. Die Nachricht von der Ankunft von zwei Weißen hatte sich schnell verbreitet. Ein Tarapotoer Bürger, Señor Eulogio Tovar, sandte einen Boten und ließ sagen, daß es ihm eine Ehre sein würde, die deutschen Herren in seinem Hause zu empfangen. Als ich wieder einigermaßen auf den Beinen stehen konnte, meldeten wir uns an; man hob mich auf den Gaul, und wir erstatteten unseren Besuch. Señor Tovar, Besitzer einer Tienda, der in Europa und auch in Deutschland gewesen war, interessierte sich sehr für unsere Reise und bewirtete uns mit einem fabelhaften, zwei Stunden dauernden Desayuno, bei dem es sogar Flaschenbier gab, in solcher Gegend eine bemerkenswerte Rarität. Wenn ich mich recht erinnere, kostet eine Flasche Bier in Tarapoto drei Mark. Da Herr Tovar den Ehrgeiz hatte, uns auf möglichst europäische Art zu bedienen, und heranschleppen ließ, was sein Laden an seltenen Vorräten hergab, kam ihm das Frühstück auf gut hundert Mark zu stehen. Wir haben ihn natürlich mit seiner Familie photographiert.
Ein alter Indianer, der von der Ankunft der weißen Männer gehört hatte, kam ins Haus und bot uns eine Schlangenhaut an. Sie war acht Meter lang und zwei Meter breit und wundervoll gezeichnet. Er verlangte drei Soles, etwa fünf Mark. Ich hätte die Haut gerne erworben, andererseits lag mir auch wieder nichts daran, sie zu besitzen oder nicht. Leid tat mir nur der Alte, als ich ihm sagen mußte, daß ich kein Geld habe. Er hielt das natürlich für eine dieser albernen Ausreden der weißen Männer, die alle sehr reich sind, aber einem armen Indio nichts geben wollen, und zog traurig ab.
Von Señor Hildebrandt hörten wir, daß in Saposoa, etwa eine Wochenreise von Tarapoto, ebenfalls ein Deutscher lebt. Es war darum selbstverständlich, daß wir nach Saposoa gingen, wenngleich diese Route nicht die kürzeste war.
Es schien uns richtig und notwendig, unser Gepäck noch mehr zu vermindern. Wir ließen darum alles Überflüssige, wie Tigerfelle und dergleichen, und meinen kleinen Affen, der sich auf der Reise nicht wohlfühlte und lieber mit Hildebrandts Kindern spielte, zurück, so auch meinen Filmapparat, der, seit wir keinen Meter Film mehr hatten, nur unnützer Ballast war. Unser Landsmann versprach mir hoch und teuer, uns alles nach Lima, ja selbst nach Deutschland nachzusenden, aber – Tarapoto ist weit; ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Hingegen stattete er uns mit Proviant aus, lieh uns zwei Reittiere und gab uns einen jungen Indio zum Führer bis Juan Guerra. Um von dort nach Picota, der nächsten Örtlichkeit, wo Menschen wohnen, zu gelangen, mieteten wir eine Canoa und zwei Peones, schwammen den stillen, träge träumenden Rio Mayo hinunter bis zur Mündung und wurden dann auf dem reißenden Huallaga mit langen Stangen stromaufwärts gestakt, für unsere Führer eine harte und bisweilen nicht ungefährliche Arbeit. Bei reißenden Schnellen kamen sie manchmal in einer halben Stunde kaum einen Meter vorwärts; mit eiserner Muskelkraft hielten sie das Boot in der Strömung fest. Die Landschaft ist herrlich wild und einsam, das zornige Rauschen des Wassers klang mir wie Wutgebrüll über die menschlichen Eindringlinge. Um so aufregender wirkte eine Begegnung mit Menschen in dieser Einsamkeit. Eines Tages trieb auf einmal inmitten des Stromes ein Floß, auf dem eine braune Familie schwamm. Der Mann führte das Ruder, die Frau, seltsam altmodisch angezogen und mit großem Strohhut, sowie die halbnackten Kinder saßen ruhig auf dem kleinen Balsafloß wie in einem bequemen, sicheren Fahrzeug. So trieb das winzige, zerbrechliche Ding, ein bunter Farbfleck, auf dem riesigen, wilden Strom vorbei, flußabwärts, zivilisierten Zonen zu, vielleicht nach Iquitos.
Unterdes zog von den fernen Bergen düsteres Gewölk herab, es regnete und wurde kalt. Zuerst machte ich mir nichts daraus und wickelte mich in meine Wolldecke. Wie oft waren wir auf dem Ucayali und dem Amazonas bis auf die Haut durchnäßt worden und eine Viertelstunde darauf in der sieghaften Sonne wieder strohtrocken gewesen. Wir hatten es stets als ein angenehmes Bad empfunden. Aber hier herrschte ein anderes Klima. Der Regen, wie mit Kübeln geschüttet, dauerte den ganzen Tag, ein eiskalter Wind prasselte uns die Wassermassen wie Stichflammen entgegen, die Welt zerfloß und zerstob in Gischt und Dampf, das schwankende Boot war halb voll Wasser. Die Peones arbeiteten angestrengt, kein Wort wurde gesprochen. Und ich lag im Boot, im Wasser, leichenlang hingestreckt, zähneklappernd, halb bewußtlos, zerweicht wie ein Schwamm. Der Sturm hatte uns aufgehalten, wir erreichten Picota nicht in der beabsichtigten Zeit, kamen nur bis Remopampa. Keuchend und torkelnd wankte ich die steile Böschung hinauf, bis zu den Knien in die schwarze, aufgequollene Urwalderde einsinkend.
»Hier bleiben wir. Im Schulhaus.«
Es war eine Bambushütte mit Lehmboden, auf dem wohl sonst die lernenden Kinder hocken. Denn weder ein Stuhl, noch Tisch oder Bank oder gar eine Schultafel waren zu sehen. Wahrscheinlich lernen die kleinen Kupfergesichter das Zählen an Bananentrauben. (Die Bewohner der Gegend sind die zum großen Teil zivilisierten Cocomas-Indianer.)
Die halbwilden Inlandperuaner kennen keine Empfindlichkeit. In undurchdringlichen Wäldern, verlassenen Felswüsten und auf den reißenden Flüssen zu Hause, ist ihnen der Umgang mit der Wildnis, uns Weißen ein aufreibender Kampf, zur angeborenen, selbstverständlichen Gewohnheit geworden. In der Canoa, als ich bis zur Nasenspitze im Wasser lag, glaubte ich an einem der Führer ein leises schadenfrohes Grinsen bemerkt zu haben. Als ich aber in der Hütte umfiel, hoben sie mich besorgt auf und warfen sich einen Blick zu.
»Ich bin krank«, sagte ich.
»Si Señor«, sagten sie teilnahmsvoll. Hingen meine Sachen ans Feuer und brachten heißen Kaffee.
Um diese Zeit stand ich mit Freund Rolf sehr schlecht. Wir waren uns nachgerade unausstehlich geworden. An diesem Tag in Remopampa bat ich ihn, mir seine Hängematte zu leihen. Seine Sachen waren trocken, ich dagegen, weil ich mich in Decke und Hängematte eingewickelt hatte, besaß keinen trockenen Faden mehr.
»Schlafen Sie in der nassen!« sagte er. Damit war der Fall erledigt. Von Frost und Fieber geschüttelt, konnte ich nicht schlafen. Aber am Morgen glühte wieder die Sonne, trocknete mich und brannte heiß bis ins Mark.
Am nächsten Tag erreichten wir Picota. Als ich dem Alkalden unser ministerielles Empfehlungsschreiben vorwies, bewirtete er uns liebenswürdigst und stellte uns zwei Reitpferde, prachtvolle Tiere, und einen Führer kostenlos zur Verfügung.
Man kann sich die Namen all der kleinen Indianerpueblos, von denen man manchmal täglich mehrere passiert, dann wieder tagelang gar keines, nicht merken. In einem dieser Nester übernachteten wir in der Kirche. Wenn man es nicht wüßte, daß das eine Kirche ist, würde man es an keinerlei Merkmal erkennen, denn die Kirchen dieser Urwaldnester sind Scheunen aus Bambusrohr, wenn es ganz nobel hergeht aus Lehmmauern, und wie alle Hütten mit Palmstroh bedacht. Die Kirche des Nestes, in der wir schliefen, schien mehr als Stallung Verwendung zu finden, denn sie enthielt außer abgenagten Maisstengeln, dem beliebten Mulafutter, und Dünger, der den Boden fußhoch bedeckte, nichts. Nun kennt man zwar im Innern Perus keine Stallungen. Ochsen und Kühe, wo es solche gibt, Pferde und Maultiere bleiben die Nacht über im Freien und weiden; man läßt sie entweder herumlaufen oder bindet sie an, um sie am Morgen nicht allzuweit suchen zu müssen. Die geliehenen Pferde waren mit tadellosem Sattelzeug und schönen, neuen Anbindestricken ausgestattet. Als wir die Tiere am Morgen holten, waren die Stricke weg. Wir begaben uns zum Ortsvorsteher. Der Señor Gobernator hockte auf seiner Strohmatte, barfuß, zerlumpt, ein teuflisch häßlicher Negerindianer, und wollte unsere Beschwerde nicht verstehen. Da, was sehe ich – unsere Stricke, unverkennbar unsere, denn sie waren nagelneu, hingen an der Wand! Ich nahm sie, der Mestize sprang auf, aber Rolf war flinker. Er hielt ihm den Revolver vor: »Pardon, Señor, wollen Sie ein Dieb sein?«
Darauf entschuldigte er sich mit schlangenhafter Höflichkeit. Wir lachten ihn aus und zogen ab.
Unser Proviant schmolz zusammen, und so nahmen wir, gleich dem Indio, wenn wir an der Trapiche (Zuckerrohrpresse) eines Eingeborenen vorbeikamen, gerne einige Prügel mit, um das holzige, saftige Rohr unterwegs zu kauen, in der Hitze eine angenehme Erquickung für ausgetrocknete Hälse. Hatte ich noch übrige zehn Centavos, dann gestattete ich mir sogar den Luxus, mein Fläschchen mit Aquardente de Caña zu füllen.