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[285] V.
Die Testamentsvollstreckung.


 

[286] [287] Frieden im Leide.

Nun war's schon wieder Herbsteszeit,
Und Tag um Tag scholl weit und breit
Im Thalgrund wie am Hügelhang
Der Aernte froher Winzersang.
Denn lange nicht mehr, so wie heuer,
Der Trauben edle Frucht gerieth.
Hei, lohnte drum sich jubelnd Lied,
Und Böllerknallen, Freudenfeuer,
Zum Schluß im Freien Schmaus und Tanz,
Umfunkelt von Raketenglanz!
Dann war noch gar im Mummenschanz
Der Stadt gemeinsam Fest verklungen,
Da auf dem Faß im Rebenkranz,
Von Winzerinnen froh umsungen,
Beim Evoë der Gassenjungen,
Ein Schalk in Miene wie Statur,
Als Bacchus, durch das Städtlein fuhr.

Und in dem Erkerhaus am Strand,
Wie's wohl mit unsern Freunden stand? …

Oft hegt das Herz den düstern Glauben:
Nun könne nie und nimmermehr
[288] Sich seines Glückes Baum belauben,
Weil er nun gar so blätterleer,
Und seine sturmzerrissne Säule
Verwundet bis in's Mark hinein.
Nur spätherbstliches Sturmgeheule
Könn' ihn jetzt klagend noch umwüthen,
Doch nie mehr goldner Sonnenschein
Entlocken ihm der Freude Blüthen. –
Und doch, und doch, – es kommt die Stunde,
Da heilt auch solchen Baumes Wunde. –
Der Frühling naht auf leisen Sohlen.
Im Wipfel bald und bald am Ast
Küßt er die Knospen wach verstohlen,
Und flüsternd weht's im zarten Laube.
Der Stamm selbst überhört es fast …
Singvögel bleiben scheu noch fern.
Zur Krone flattert erst die Taube
Und girrt: »Wie nistet' ich hier gern!
Bin ja des Friedens alt Symbol,
Vertrage mich mit Leid gar wohl.«
Und voller kommt das Laub getrieben. –
Drauf huscht die Nachtigall herein
Und denkt: »Ich kann von Leid und Lust
Dem Armen singen nach Belieben,
Drum werd' ich auch willkommen sein.«
Und wie dann ihre kleine Brust
Drin jauchzt und klagt – o wie der Ton
Dem Baume heimlich wohlgethan! –
Er fängt sich zu besinnen an
Und hört nicht mehr, gleichsam zum Hohn,
Der andern Stämme voll'res Rauschen
In lebensfroherm Waldrevier.
[289] Neidlos vermag er's zu belauschen.
Er denkt, wie's ihn einst froh gemacht,
Und wird die ganze Laubeszier
Auch nie mehr völlig ihm beschieden,
Wie einstens vor der Sturmesnacht –
Er freut sich an der Andern Pracht
Und giebt mit seiner sich zufrieden.

So lebt' in friedensstillem Leide
Auch Sohn und Mutter nun dahin,
Ergebnen Muthes Vorbild Beide.
Und wie von niedrer Selbstsucht Sinn
Nie weiß der echten Liebe Wesen,
So sorgt' auch jetzt des Sohnes Blick,
Daß ja das Mutterauge drin
Nie mög' etwas von Herzleid lesen;
Mit gleicher Trosteskunst Geschick
Verstand's der Mutter Antlitz auch,
Daß nie darauf der Schwermuth Hauch
Des Sohnes Auge möchte trüben.
Und so, durch gegenseit'ges Ueben,
Dem andern Herzen Trost zu sein,
Kehrt' er im eignen Herzen ein –
Viel eher, als hätt' es allein
Des eignen Leides nur gedacht. –
O Wunder solcher Liebesmacht!

Auch Odilo's rein geist'ge Welt
Ward mälig wieder trosterhellt,
Als er vom ersten Schreck genas,
Und sich nach seiner Kräfte Maaß
In neuem ärztlichen Beruf
[290] Bescheidnen Wirkens Kreise schuf.
Denn, ob ihm auch die kranke Brust
Verbot, vollauf ein Arzt zu sein,
So kehrt er doch nach Herzenslust
Als Helfer bei den Armen ein.
Ja, selber oft die Arzenei
Sammt manchem Labsal und Behagen
Schafft er mit eignem Geld herbei,
Und half, wo sie geborsten schien,
Neu der Ergebung Brücke schlagen
Zu frohen Hoffens höherm Reich.
Wie Viele segneten drum ihn,
Wollt er auch jedem Lohn entsagen,
Und nur sich einstens, still und weich,
Auf heil'ger Liebe Sterbekissen
Zum frühen Grab gebettet wissen!

So ruhig Tag um Tag verstrich,
Und immer mehr entwölkte sich
Des Erkerhauses Himmelsblau,
Das mit dem einst'gen Sturm versöhnte.
Ja, selbst auch an die herbste Schau
Hinüber nach Mariagnaden
Allmälig sich sein Herz gewöhnte,
Konnt' er's auch seinem Schmerz nicht wehren,
In Seufzern oft sich zu entladen,
Um wiederum dann neu verklärt
Nach Innen seinen Blick zu kehren. –
Und droben auch Angelica,
In gleichen Duldens Kunst bewährt,
Zum Haus des Liebsten niedersah.
Sie schickte stummen Gruß hinab,
[291] Wehmüthig, wie zu theuerm Grab,
Das fromm Gedenken sorglich pflegt,
Und drauf es täglich ohne Grollen
Den Blumenschmuck des Glaubens legt,
Daß es nicht anders sein hat sollen.

So sah er auf, so sah sie nieder
Mit einem und demselben Blick.
So sangen sie nun hin und wieder
Mit jenes Sternenlieds Musik
Zur Ruh' ihr räthselhaft Geschick.

Nur Cäsar lief bald hügelan,
Bald stürmt er wiederum zu Thal,
Bis stets er seiner Sehnsucht Qual
Im Botengang genug gethan.
Und als er vor Angelica
Einst droben traulich hin sich streckte
Und sie dann heimlich weinen sah –
Wie er dann gleich die Hand ihr leckte,
Und nimmer ruhte, mit den Tatzen
Sie sanft vom Auge wegzukratzen,
Als wollt' er bittend in sie dringen:
»O, laß doch jetzt dein Weinen sein!
Noch immer ja gedenkt er dein.
Drum laß mich trauten Gruß ihm bringen!« –
Ob Cäsars Blick so zu ihr sprach?
Ob nur ihr Herz es so gedacht? –
Was liegt daran? – Wer fragt danach?
Hatt' ihr's am Tag doch Trost gebracht,
Und Traum vom Sternenlied zur Nacht!
[292] Doch drunten auch in Wald und Feld,
Wenn er der Herrin Freund umbellt –
Wie diesem stets geschah, als sei's
Ein Menschenleben, stürmisch froh,
Das Nichts von Menschenleide weiß!
Wie er dieß Thier dann glücklich pries! –
Und, als einmal sich Odilo
An einem Waldrain niederließ,
Den Kopf in seine Hand zu senken,
Um über alles Weh der Erde,
Und was er selbst noch leiden werde,
In sich versunken nachzudenken –
Da war's Gebell wie abgeschnitten.
Es schlich das Thier mit zagen Schritten
Zu des Betrübten Ruheplatze,
Und legt' ihm auf das Knie die Tatze.
Den Kopf hob trauernd er empor,
Ihm fehlte nur der Thränenflor –
Als sagt er ihm: »Du armer Mann,
Ach, daß ich dir nicht helfen kann
Mit aller Treu' und allem Muth! –
Doch nicht wahr, Herr? – Mir bist du gut!«

Wie fragend er in's Aug' ihm sah.
Der sprach und streichelte sein Fell:
»Ja, Cäsar, bin dir gut, ach ja!« –
Der kluge Hund verstand ihn schnell.
Er sprang mit fröhlichstem Gebell
An ihm hinauf und um ihn her;
Und als der Sohn zur Mutter kam,
Las sie von all dem vor'gen Gram
Kein Wort in seinen Mienen mehr.
[293] Ja, so empfand für ihn ein Thier,
Das wir so gern vernunftlos nennen,
Auf daß voll Menschenstolz nur wir
Als höchst vernünftig uns erkennen.

Und wie die Menschen wohl empfanden,
Die himmelhoch darüber standen? –

In wandelloser Treue Festen
Wohl manche Freunde sich bewährten,
Und in der Stadt die Allerbesten,
Die durch wahrhaftig Mitgefühl
Des Erkerhauses Leid verklärten.
Manch Andrer Freundschaft wurde kühl,
Denn unbequem wird auf die Dauer
Das Mitleid mit des Andern Trauer.
Doch, die das große Wort nun führten,
Die herzlos eifernden Zeloten,
Die nur Parteienhader schürten,
Sie hatten nun den Glaubenshaß
Auch gegen Odilo entboten
Und hetzten ihn ohn' Unterlaß.
Denn ist's nicht immer dessen Art,
Daß er am Wildesten ergrimmt,
Wo Glaubensfrieden er gewahrt,
Der schlecht zu seiner Unruh' stimmt?

Erst flüsterten der »Frommen« Kreise
In beiden Lagern gleicherweise,
Daß ihn, zu noch barmherz'ger Strafe,
Gott durch den Blutsturz aufgeschreckt,
Wenn leider auch zum gläub'gen Schafe
Trotz alledem nicht aufgeweckt;
[294] Doch mach' ihn schon der Tod noch zahm.
Dann sprach kathol'scher Frömmler Gram:
»Den Finger Gottes, seht ihr ihn?
Wie kann katholisch auch erziehn,
Wer selber eine Ketzerin?
Gleicht doch die Aernte stets den Saaten!
Drum schwand auch ihm der Glaube hin.«
Luther'sche wieder kläglich thaten:
»'s ist Sündenlohn nur für Verräther,
Weil, statt im Glauben ihrer Väter,
Papistisch sie ihr Kind erzogen;
Drum hat die Frucht sie jetzt betrogen.«
Dann blies noch die Verleumdung drein,
Daß ihm des Hofraths Töchterlein
Ob seiner Gotteslästerei
Entrüstet einen Korb gegeben,
Und auch aus diesem Grund nur eben
Er wieder jetzt zu Hause sei,
Doch mit der Krankheit sei's nur Schein,
Sonst müßt' er schon viel kränker sein.

So blies der Lästrung Windeszug.
Und wie man ängstlich Sorge trug,
Daß in dem Erkerhaus doch ja
Es allen auch zu Ohren kam,
Wobei den Blick man niederschlug,
Weil's doch aus Mitleid nur geschah,
Gepaart mit der Entrüstung Scham.
Doch Odilo, so oft er auch
Von neuer Lästerung erfuhr,
Hatt' er dafür das Lächeln nur,
Wie's einst im Irrenhaus sein Brauch,
[295] Und dacht' er: »O die Herzensarmen,
Die stets auf himmlisches Erbarmen
So gerne für sich selber hoffen,
Und doch die höll'sche Lust nicht zügeln,
Beim Unglück Andrer auszuflügeln,
Daß Gottes Strafe sie getroffen!«

So schritt er hohen Haupts voll Stolz
Durch aller der Gemeinheit Staub,
Und frischer nur schwoll ihm das Laub
An seines Seelenadels Holz,
Da er verachtet Volksgericht,
Darin mit abstimmt jeder Wicht.
Nur ein Schmerz blieb ihm unversöhnt,
Und ward er nie daran gewöhnt,
So tapfer auch er mit ihm stritt –
Das war, daß jetzt auch, gleich verhöhnt,
Der Mutter Ehre Schaden litt.
Und o, wie oft, wann heim er kam,
Fand er ihr Auge heimlich naß,
Blieb auch ihr Mund dann immer stumm.
Die Base schlich in stillem Gram
Hantirend in dem Haus herum.
Es war ein still Martyrium,
Das Allen erst recht weh' gethan.
Ja, selbst der treue Cyprian
Die Freud' an Blumen stets verlor,
So oft des Herren Ehrenflor
Durch Menschenbosheit neu erfror.

Doch endlich Odilo es fühlte:
»Nein, nein, dieß Schweigen noch viel schlimmer
[296] Der armen Mutter Herz zerwühlte,
Ein kluges Wort doch tröstet immer.
Und einmal nach dem Abendessen
War still er zu ihr hingesessen,
Und sprach: »Sag' mir, lieb Mütterlein,
Darf langen Schweigens Bann ich brechen,
Und beiderseit'gen Gram besprechen?
Denn leichter trägt er sich zu Zwei'n.«

Sie sprach gedämpft: »Nun gut, so sprich!
Vielleicht ist's besser so für dich,
Bei mir ist Nichts zu drehn und wenden.
Wie's einst gekommen, ist es nun,
Und hätt' ich's noch einmal zu thun,
Ich könnt' es anders nicht vollenden.
So mögen denn nach meinem Herzen
Sie ihrer Bosheit Pfeile senden!
Ich klage nicht um meine Schmerzen,
Denn sie zu tragen hab' ich Kraft.
Doch daß der Lüge Leidenschaft
Auch so dein eignes Bild entstellt,
Statt, daß mit Kränzen man's umflicht –
O dieser Mutterschmerz vergällt
Mir alle Lust an dieser Welt,
Bis plötzlich einst das Herz mir bricht.«

Da senkte sie den Kopf herab;
Der Aermsten gab es Stoß auf Stoß,
Dann brach die Thränenfluth ihr los.
Er aber still die Hand ihr gab.
»O Mutter!« sprach der edle Sohn,
»Wie dich nun schmäht auch frommer Hohn,
[297] Noch leb' ich, und die Zeit wird kommen,
Da wird der Tag der Aernte sein,
Sei's auch nur auf dem Krankenbett,
Und zur Beschämung solcher Frommen
Führst du die vollen Garben ein,
Die machen Alles wieder wett.
Dann sollen sie die Saat erkennen,
Die du einst ausgesä't in mir,
Und dich – ich prophezei' es dir –
Die frömmste noch der Mütter nennen!«

»O, von den Andern schweig' ich jetzt,«
Rief sie, nun höher aufgesetzt,
»Von ihm nur sprech' ich, dem Kaplan,
Der früher schon den Cyprian
Vergeblich gegen mich verhetzt.
Der ist der Teufel im Complot!
Der richtet mit demselben Munde,
Anrufend den allheil'gen Gott,
Nun auch mein Mutterglück zu Grunde,
Er selbst auch einer Mutter Sohn!
O gleiche Schmach und gleichen Hohn
Für ihn auch bis zur Sterbestunde!«

Zornflammend war sie aufgesprungen,
Der Löwin gleich beim Raub der Jungen.
Auch er stand auf, und dann die Hand
Er sanft ihr auf die Schulter legte.
»O wie doch allzuheißer Brand
Dein sonst so sanftes Herz erregte!
Doch, Mütterchen, schilt drum mich nicht!
Ist auch dein Schmerz noch so gerecht,
[298] Mißfällt mir doch jetzt dein Gesicht,
Denn Zorneshitze steht ihm schlecht,
Und nie kann sie den Schmerz dir stillen.
Nur kluge Ruhe thut's und Milde;
Drum zeig' dich mir im alten Bilde –
Um deines eignen Friedens willen!«

Und auf Frau Walburg's Angesicht
Ward Gluth des Zorns erst die der Scham,
Und schüchtern dann der Sanftmuth Licht
Aus ihrem Aug' gebrochen kam.
Wie sie dann neu zum Stuhle sank,
Da setzt' auch er sich nochmal nieder.
Er küßt' ihr Aug' und sprach: »Hab' Dank!
Bist meine alte Mutter wieder!«

Dann athmet' er von Herzen auf,
Voll Kindesehrfurcht sprach er drauf:
»Sieh, Mütterchen, bedenk doch nur:
Gehört's nicht zu der Menschen Schwächen,
Viel gläub'ger Böses nachzusprechen,
Als was man Rühmliches erfuhr?«

Mild sagte sie: »Ach Odilo,
Ja, leidergottes ist es so,
Und Niemand ist ganz frei davon.«

Und weiter sprach ihr edler Sohn:
»Doch trifft die Lüg' uns selbst, o gleich,
Vom ersten zorn'gen Schmerz bezwungen,
Verdammt man dann als Teufelsstreich,
Was Klatschsucht war leichtfert'ger Zungen.
[299] Und hätt' auch jetzt uns der Kaplan
Noch mehr des Leides angethan –
Mir selber ständ' es schlimm doch an:
Auf hohem Richterstuhl zu sitzen,
Gedenk' ich jenes Mönchsnovizen,
Der einst in ähnlicher Parteiung
Dich mehr betrübt ein ganzes Jahr,
Und ohne Theophils Befreiung
Für immer dir verloren war.
Drum, wie du einstens mir vergeben,
Vergieb auch diesem neuen Feind,
Der, wenn er noch so böse scheint –
Durchforscht man nur genau sein Leben –
Wohl auch manch Gutes drin vereint!
Kein einz'ger Mensch ist durchaus schlecht.«

Sie sprach erweicht: »Wohl hast du Recht!
Doch du bist durchaus gut, mein Kind!«

Da lächelt' er: »Das' meinst du nur,
Weil du so durchaus lieb mich hast!
Und doch, die gut wie böse sind,«
Er milden Ernstes fort nun fuhr,
»Sie sind's nicht durch sich selbst so fast,
Als durch das Erbtheil der Natur
An guten wie an schlimmen Gaben,
Die, unverdient wie ohne Schuld,
Sie durch des Schicksals blinde Huld
Im Mutterleib empfangen haben. –
Wer mißt dieß Erbtheil richtig aus?
Und wer jed' Korn der Muttersaat,
In's Kindesherz einst eingegraben?
[300] Wer sagt, wie viel die Luft im Haus,
Und Elternbeispiel, Freundesrath,
Zum Segen wie zum Fluche that,
Daß Der nach rechts, Der links hin trat?
Ja, war's nicht oft ein einzig Wort,
Ein Warner- oder Lockerruf,
Der dann durch's ganze Leben fort,
Dem Heil und Dem Verderben schuf?
Und so auch mein Wort mir verzeih:
Nur, wer Allwissenheit besäße,
Von jeder äußern Mitschuld frei
Den innern Willen dann bemäße,
Daß unfehlbar das Urtheil sei.
Wir schau'n die äußre That allein,
Doch keinem auch in's Herz hinein;
Drum, Mutter, laß auch jetzt uns Zwei
Vorsichtig milde Richter sein!«

»Ach, liebster Sohn!« Frau Walburg rief,
»Dein mahnend Wort beschämt mich tief.
Viel höher stehest du, als ich …
Und wer nur, sag' mir, lehrt' es dich?«

» Wer – Mütterchen? – Wie kannst du fragen?«
Entgegnet' er voll Pietät.
»Du selbst, die einstens ausgesä't,
Was nun als Fruchtbaum ausgeschlagen.
Und darf er süße Frucht nur tragen,
Dann kommt es einzig wohl daher,
Daß schon gar lange, lang nicht mehr,
Wie einst in meinen Klostertagen,
Verdammend Fluchwort mich umtönt,
[301] Und ich mein Herz schon längst gewöhnt,
Dogmat'schem Grübeln zu entsagen.
So Zeit wie Stimmung fand ich drum:
Nur auf der Liebe Studium
Eindringlichst noch mich zu verlegen.
Die Schalen ließ ich auf den Wegen,
Den Kern legt' ich in's Herz hinein;
Und also mag's gekommen sein,
Daß mich kein Groll mehr kann erregen.«

Tief sinnend sah Frau Walburg drein,
Und dann voll wirrer Hast sie fragte:
»Und meinst du wohl – belehre mich! –
Mir wäre besser, wenn auch ich
Dem Kirchenglauben ganz entsagte?«

Er aber fiel betroffen ein:
»Was denkst du, Mutter? – Nein, o nein!
Hinweg mit solcherlei Gedanken!
Nein, bringe keinen einz'gen Stein
An deinem Glaubensbau zum Wanken!
Und auch am Bau der andern Zwei
Kein einziger verschoben sei!
Nein, wie ihr glaubt, so glaubt ihr recht!
So thut's im Leben und im Tod
Zu Halt und Hort und Trost euch noth;
Denn auch die Lieb' in euch ist echt.
Drum, wie du bist, so auch verbleib'!«

Dann sprach er wehmuthinniglich:
»Ja, selbst auch das noch sag' ich dir:
Ach, wär' Angelica mein Weib,
Gleich höchstem Kleinod hütet' ich
[302] Den Glauben sorglich auch an ihr!
Und schenkte sie dann Kinder mir,
So ließ ich diese, wie du mich,
Mit frommer Liebe Hand in Hand,
Abwehrend blöden Unverstand,
Im Kirchenglauben auferzieh'n,
Und nie hätt' in mir Reue Platz.
Denn braucht ein Kind dann später ihn,
Als unersetzlich theuern Schatz,
Dann hätt' es ihn für alle Zeiten.
Doch wollt' ein andres zum Ersatz
Einst breit're Gottesspur beschreiten,
Und müßt' es auch gleich schwer einst streiten,
Und leiden, so wie ich gelitten –
Auch dann es niemals mich gereu'te.
Kann ich doch selbst von mir nicht sagen,
Ob ich solch lautern Sieg erstritten,
Und solchen Friedens mich erfreu'te,
Hätt' ich nicht vor den Mannestagen,
So im Gewissen wie in Sitten,
Des Kinderglaubens Weg durchschritten.«

Und Mutter Walburg jetzt geschah,
Als ob sie neu geboren wäre,
Und lächelnd dann durch lichte Zähre
Gleichmäßig Stolz wie Frieden sah. –
Nun mögen alle Lästerzungen
Fortschwatzen in die Kreuz und Quer!
Die Friedensburg bleibt unbezwungen
Durch heil'ger Liebe starke Wehr.

* * *

[303] Und eine Woche drauf es war.
Vor's Thor führt' Odilo sein Gang.
Doch, wie er schritt die Stadt entlang,
Wie heut ihn doch so sonderbar
Ein paar katholische Zeloten
Mit höhn'schen Blicken fast bedrohten!
Was war doch nur geschehen heute? –
Und als er kam zum Stadtwallgraben,
Wo grad' ein Rudel lust'ger Knaben
Am Spiel mit Nüssen sich erfreute,
Dem er nun harmlos zugesehen –
Lief nicht ein Weib jetzt in den Schwarm,
Und hieß sie nicht, ihr Kind beim Arm,
Die Buben auseinandergehen? –
War das wohl seinethalb geschehen? …

Rasch stand er denn auch ganz allein.
Wie's erst ihn fror durch Mark und Bein!
Dann murmelt' er in sich hinein:
»Armsel'ge, wahnbethörte Welt!
Selbst Kinder jetzt man fern mir hält,
Als könnt' ich ihnen schädlich sein?
Und wie so oft bei solchem Spiel
Hatt' ich den Neid stets neu begraben,
Daß ich kein Kind einst würde haben,
Weil es dem Schicksal so gefiel! –
Nun denn auch dieß! – Was kümmert's mich?
Du pochend Herz, bezähme dich!«
Und fort ging er im frost'gen Winde
Trotzdem zu armem, krankem Kinde.

Drauf später trat im Zwielichtschein
Er still in's Erkerzimmer ein.
[302] Und welch ein Bild hatt' er erblickt! –
Von Herzeleid wie ganz zerknickt,
Den Kopf versunken in der Hand,
Am Tische Mutter Walburg saß.
Die Base schluchzend seitwärts stand,
Und traurig auf der Ofenbank
Der Cyprian ein Blatt durchlas,
Das unversehens ihm entsank,
Als seinen Herrn er vor sich sah.
Der aber stand betroffen da,
Und auch die Drei wie leblos waren.
Kein grüßend Wort, kein einz'ger Blick?
Was war das für ein schwer Geschick,
Das blitzschnell in sein Haus gefahren?

Er sah das Blatt. Schon am Format
Hatt' er es allsogleich erkannt.
»Kathol'scher Bote« war's benannt.
Ob dieses wohl das Alles that?
Doch nein, das kann nicht möglich sein,
War Redacteur auch der Kaplan,
Der ihm so viel schon angethan.
Solch ein Verdacht, pfui, wie gemein!

Sich bückend, hob das Blatt er auf
Und, sich ermannend, las er's drauf;
Da ward sein Auge tief verdüstert.
Was erst nur hin und wieder leis
Fanat'scher Bosheit Mund geflüstert,
Hier stand nun Alles, schwarz auf weiß,
Als offenkund'ger Schurkenplan,
[305] Und der Verleumdung gift'ger Zahn
Viel sicherer noch um sich frißt,
Wenn er durch Druck beglaubigt ist.
Voll Hast bedacht' er alles dieß,
Dann las er nochmals all den Wahn.
Ein abgefallner Mönch er hieß,
Deß Odem hier die Luft vergifte –
Ein ausgesprung'ner: Cyprian,
Der nicht viel minder Unheil stifte;
Die Mutter Ketzerin man schalt,
Die Base weder warm noch kalt.
Und wie zum letzten Satz er kam:
»O möchte dieser Eine bald
Die Luft hier doch desinficiren!«
Da ward ihm glühend heiß vor Scham,
Und wieder machte sie ihn frieren,
Daß es ein Mensch, ein Priester war,
Der so sich, aller Würde bar,
In sogenanntem Christenblatte
Mit solchem Schmutz besudelt hatte.
Nun ward ihm Alles, Alles klar:
Warum die Kinder heut ihn floh'n,
Wie jener Blicke höhnisch Droh'n.
»O habt Geduld nur!« seufzt' er schwer,
»Noch kurze Zeit! dann geh' ich schon,
Und ach, auf Nimmerwiederkehr.«

Noch sprachen die drei Andern nicht.
Er selbst bedeckte sein Gesicht,
Und saß dann zu Mariagnaden
Vor'm Christusbilde, kreuzbeladen,
Im Geiste sinnend wieder hin.
[306] Stumm Zwiegespräch er mit ihm tauschte,
Wie damals, da ihn dort belauschte
Des Sternenliedes Sängerin.
Und rasch er über's Auge strich,
Zur alten Milde klärt' es sich;
Drauf sprach er, einem Boten gleich,
Der, angelangt aus höherm Reich,
Drin Keiner haßt und Jeder liebt,
Davon erhabne Kunde giebt:

»Was sitzt ihr so in Gram versunken?
Erhebt das Haupt! Blickt auf zu mir,
Der ich vorhin ganz gleich, wie ihr,
Denselben bittern Kelch getrunken!
Doch wie er mein Herz auch versehrt,
O wißt: so eben ist mein Geist
Von einem Bronnen heimgekehrt,
Den nur die reinste Liebe speist,
Wenn er auch leider jetzt zumeist
Durch Menschensatzung, haßgesinnt,
Getrübt nur noch die Welt durchrinnt.
Doch, wer draus trinkt, wo er entsprang,
Den heilt dieß wunderthät'ge Naß
Von allem Groll und Menschenhaß,
Und Liebe wird ihm heil'ger Zwang.
Und seht, zu dieser Quelle sank ich.
Ihr ungetrübtes Wasser trank ich –
Und alles Gift ist weggespült,
Bereitet von des Hasses Hohn,
Und aller Schmerzbrand ist gekühlt. –
Geht ihr auch hin und trinkt davon!« [307]

Jetzt klang der Abendglocke Ton.
Da, wie erlöst, mit einem Male
Der Dreien Auge nach ihm sah,
Als ständ' im letzten Abendstrahle
Er wie ein Himmelsbote da,
Und hielt', in seiner Hand die Schale,
Gefüllt mit jenem Quellentrank.
Die Mutter an das Herz ihm sank
Und weinte dran: »Sei ruhig, Sohn!
Auch deine Mutter trank davon.«

Und wäre, der dieß Blatt beschrieben,
An diesem Haus vorbeigekommen,
Und daran horchend stehn geblieben –
Ob ihm, in reu'ger Scham entglommen,
Jetzt nicht das Blut in's Antlitz triebe?
Ob er die Zeilen nochmal schriebe? –

Der Menschheit Höchstes ist die Liebe!

 

[308] Der Scharlachengel.

Trübselige Novemberzeit! –
Die braunen Blätter rieselnd fallen,
Mit grauer Nebelschleier Wallen
Liegt Schnee und Regenguß im Streit.
Dahin der paradies'sche Reiz,
Als wie für alle Zeit verbraucht!
Des Lichts Verschwendung ward zum Geiz,
Im Sturm ist Lied und Duft verhaucht.
Und sieh, dort längs dem schmutz'gen Fluß
Ein Reiter aus dem Zwielicht taucht –
Das ist des Städtleins Physicus,
Heimtrabend nun vom Krankenritt.
Doch, wie sein Gaul auch triefend raucht,
Den Reitersmann es innen friert.
Trabt Einer doch zur Linken mit
Auf dunkelm Klepper, ganz struppirt,
Von dessen Näh' trotz wärmstem Kleid.
Das Menschenherz an Gluth verliert! –
Der Reitcumpan – das war der Neid! …

Und dieser raunt' ihm jetzt in's Ohr:
»So rechn' es aus nur, wie viel Thaler
Du schon verlorst durch diesen Prahler!
[309] Denn, hilft er auch umsonst – gleichviel!
's ist doch auch drunter mancher Zahler,
Und dann summir's nur auf die Dauer! –
Drei Buben sind kein Kinderspiel.
Drum laß nicht nach in deinem Plan,
Und mach' ihm's Leben nur recht sauer!
Hast ja zum Helfer den Kaplan!
Verhetz' bei Bürger ihn und Bauer,
Bis endlich schimpf- und hohnbeladen
Er dieser Stadt den Rücken kehre!
Und thust's ja noch zu Gottes Ehre –
Dem Luther von Mariagnaden!«

So wispert' ihm der Neid nun vor,
Als sie so ritten längs dem Moor.
Es krächzten noch dazu die Raben,
Hinschwankend durch den Nebelflor,
Und dicht er seinen Mantel schloß.
Dann dacht' er seines dritten Knaben,
Von dem sein Weib erst jüngst genas;
Und nun auch rechts, als Reitgenoß,
Der Vaterstolz im Sattel saß.
Wie's da von dessen lichtem Roß
Wie Sonnenglanz herüberfloß!
Und all sein Glück an den drei Jungen,
Als Traumbild lag's im Nebelmeer.
Doch jenen Engel hinterher,
Der, aus dem Walddorf aufgeschwungen,
Mit scharlachrothem Flügelpaar
Und todesernstem Angesicht
Ihm heimlich nachgeflogen war –
Den Scharlachengel sah er nicht!
[310] Tags drauf, beim frühsten Morgenschein,
Trat er in's Kinderzimmer ein,
Und streckt' auf der zwei Buben Schlaf
Zum Segen noch die Vaterhand,
Leis sprechend: »Bleibt gesund und brav!«
Dann vor des Weibes Bett er stand;
Da hielt ihm noch die Wöchnerin
Zum Abschiedskuß den Säugling hin;
Sie aber weinte dabei leise.
»Geh', gutes Weib« – so tröstet' er –
»Was machst du mir das Herz so schwer?
Mich drängt's ja nur zu dieser Reise,
Um bessern Platz mich zu bewerben;
Auch liegt kein Patient im Sterben.
Und ganz gewiß, nur frohe Kunde
Bring' ich dir aus der Stadt zurück.«
»Geb's Gott!« – sprach zaghaft noch die Frau,
Dann hing' sie schluchzend ihm am Munde;
Und zu der Jagd nach neuem Glück
Fuhr bald er fort durch's Morgengrau.

Und Abend war's am zweiten Tage,
Und die zwei ältern Buben schliefen;
Man hörte nur den Regen triefen,
Und noch des Sturmwinds dumpf Geklage.
Nur Bärbel noch, die Kindermagd,
Mit aufgezwicktem Brillenglas
Strumpfflickend bei dem Oellicht saß.
Und wie dieß Sturmlied ihr behagt,
Als wär's ein nächtlich Märchen draußen
Vom Streit des Riesen mit dem Drachen,
Von ihr so oft erzählt, durch Grausen
[311] Die wilden Buben zahm zu machen! –
Doch unsichtbar, wie erst zur Nacht
Dort den drei Reitern nachgeflogen,
Hielt jetzt, in scharlachrother Pracht
Zum Bett der Kinder vorgebogen,
Der Engel schauerliche Wacht,
Und auf der Schlafenden Gesichter
Warf dessen Flügel rothe Lichter.

Jetzt sah die Bärbel unwirsch auf.
»Wie ruhlos heut die Buben sind!
Ja, ja, das kommt vom argen Wind.«
Und an die Betten trat sie drauf,
Zu ordnen die zerstrampften Decken …
Jesus, Maria! Welch ein Schrecken!
Sie alle zwei gluthroth vor Fieber! …
Und rathlos stierte sie drauf hin.
»Gott, mein Gott, ganz wirr ich bin!
Weck' ich die Mutter? – Wart' ich lieber?
Sie ist ja selbst noch Wöchnerin!
Ach, wär' nur der Herr Doctor hier!
Was thu' ich nur? – Gott helfe mir!«

Da faßt die Alte neuen Muth,
Und will mit Schmeicheln und mit Kosen
Die Buben wieder schlafen machen.
Doch ach, mit immer tief'rer Gluth
Erblühen deren Fieberrosen.
Aufschreckend stets sie neu erwachen,
Und schauen wirr und ächzen schwer,
Dazu des Sturms unheimlich Tosen!
Vom Streit des Riesen mit dem Drachen –
[312] Weh', weh', kein Märchen ist's nun mehr,
Womit sie einst aus Scherz gedroht!
Leibhaftig ist's der Drache Tod,
Der's auf die Kinder abgesehen! –
Sie muß, sie muß zur Mutter gehen.

Und wie sie dann sich aufgemacht,
Der Mutter Alles zu berichten,
O ward's für die dann eine Nacht,
Und welch ein Streit von Mutterpflichten!
Beim Säugling soll sie ruhig sein,
Sonst trinkt auch er den Tod hinein!
Bei diesen will das Herz ihr springen.
O wie in so getheilte Sorgen
Der Mutterliebe Gleichmaaß bringen? –
So schleppt sie bis zum frühen Morgen
In stetem angstgehetzten Wandern
Des Mutterschmerzes Folterbank
Von einer Stube zu der andern,
Bis daß sie todtmatt niedersank.
Dann wieder fuhr sie starrend auf:
»O Bärbel, helf', wer helfen kann!
Drum schnell zum jungen Doctor lauf!
Ach, wie auch gottlos dieser Mann –
Die armen Kinder brauchen ihn.
Und folgt' er dir auch noch so schwer,
Und mußt du vor ihm niederknie'n –
So thu's – so thu's! – Nur bring' ihn her!«

Fort flog die Bärbel durch die Gassen,
Vom Sturm durchfegt und noch verlassen,
Zum fernen Erkerhause hin.
[313] Und kaum, daß drauf die Doctorin,
Noch das Gebetbuch in der Hand,
Bei den zwei Betten eingenickt,
Auch Odilo schon vor ihr stand,
Daß sie erschrocken aufgeblickt,
Ob ihn jetzt nicht der Sturmwindflug
So zauberschnell in's Zimmer trug?
Man sah's an seinem Kleid und Haar,
Wie angstschnell er sich aufgemacht,
Wie Einer, der in tiefer Nacht
Des Hauses Brand entsprungen war,
Das Leben nur noch rasch zu retten.

Wehmüthig ernst sein Gruß erklang.
Wie ward ihr dabei seltsam bang!
Dann trat er forschend zu den Betten;
Der eigne Vater hätte nicht
Die Kinder sorglicher beschaut –
So lag in seinem Angesicht
Mitleid und tiefster Ernst vereint.
Und ward nicht zart sein Aug' bethaut?
Da dachte sie: »So blickt ein Feind,
Wenn seinen Gegner Leid bedroht?«
Und ihr Gesicht ward purpurroth,
Daß jemals sie den Mann verachtet,
Der jetzt ihr so zu helfen trachtet.

Mit dem Recept im Sturme wieder
Flog drauf die alte Bärbel fort.
Dann saß er zu den Kindern nieder,
Bald dieß, bald jenes zu beschauen,
[314] Und sprach dabei kein einzig Wort.
Ein Schweigen war's voll Todesgrauen.

»O, sagt: wie steht's? Was fehlt wohl ihnen?«
Verzagt die Doctorin ihn fragte.
Da sah er auf mit trüben Mienen
Und hörbar seine Stimme zagte:
»Noch weiß ich selbst es nicht genau,
Nur Eines glaubt mir, werthe Frau,
Daß, wären diese Kinder mein,
Ich nicht besorgter könnte sein,
An ihnen auch jetzt zu erreichen,
Was nur des Arztes Kunst im Stand.«
Daß er erkannt des Scharlachs Zeichen –
Das ängstlich seine Zunge band.

»O Gott! ich seh's an euerm Blick:
Ihr gebt sie schon für halb verloren!«
Schrie jetzt der Mutter Angst heraus.
»O ganz entsetzliches Geschick!
Zwei Kinder todt – eins erst geboren!
Und noch der Vater fern vom Haus!«

Da gab er tröstend ihr die Hand,
Und perlte seines Wortes Thau
Auf ihres Mutterherzens Brand:
»O kommt doch zu euch, arme Frau!
Nicht Angst, nur Mitleid war's gewesen,
Was ihr in meinem Blick gelesen –
Bedacht' ich euer Mutterleid
In solcher Mutterpflichten Streit.
Drum bitt' ich, daß gefaßt ihr seid!
[315] Müßt ihr doch auch den Säugling stillen,
Und kommt sonst selbst noch in Gefahr!
Seid muthig, gute Frau, nicht wahr?
Um seinet- wie um euretwillen!«

Doch todten Auges, ganz verstört,
Hatt' all sein Wort sie angehört,
Und tiefer noch ihm Mitleid kam,
Der selbst die Hoffnung schier verlor.
Und wieder ihre Hand er nahm,
Da er sie inniglich beschwor:
»Ihr seid als gläub'ge Frau bekannt!
Bewährt nun euern Glauben auch!
Denn ist beim ersten Sturmeshauch
Deß Feuerherd gleich ausgebrannt,
So war es nichts, als eitel Rauch
Trotz Glaubenssatz und Kirchenbrauch,
Doch niemals jene Himmelsgluth
Voll gottesstarkem Opfermuth.
Drum hoffet erst: 's geht Alles gut!
Doch wie's auch komme – seid ergeben!
Nicht bloßen Zufall giebt's im Leben,
Gesetzeskraft nur, unverjährbar,
Als Gottesordnung dieser Welt –
Bleibt's uns auch ewig unerklärbar:
Warum den Einen sie erhält,
Und Andrer ihr zum Opfer fällt.«

Wie plötzlich jetzt die Doctorin
Mit großen Blicken an ihm hing!
So lang sie noch zur Kirche ging,
Ward ihr des Evangeliums Sinn
[316] Vom Sperling und vom Haupteshaar
Noch nie, wie jetzt, so sonnenklar;
Und niemals noch aus Priestermund,
So menschlich und glaubwürdig wahr,
Bis in der Seele tiefsten Grund
Ein Wort des Trostes sie durchdrang.
Vor Schmerz sie ihre Hände rang,
Und rief in der Beschämung Bann:
»Ach, edler, vielverkannter Mann,
Ihr sammelt Kohlen auf mein Haupt!
Hatt' ich doch immer nur geglaubt:
Ihr wäret unsres Hauses Feind!
Und nun zur Hilfe wie Erhebung
In höchster Noth ihr mir erscheint,
Und lehrt mich Starkmuth und Ergebung!«

»O, liebe Frau!« erwidert' er,
»Ohn' allen Kampf eilt' ich hieher,
Und unverdient belobt ihr mich!
Kann ich's bei Gott euch doch betheuern:
Nicht eines Menschen Feind bin ich,
Wie ihr mich auch gezählt zu euern!
Ja, keinen häßlichern Begriff,
Als den des Feinds ich denken mag,
Wo wir im selben Meere steuern,
Wenn auch auf gar verschiednem Schiff,
Und Allen kommen kann der Tag,
Da in Gefahr durch Fluth und Riff
Der Eine dann dem Andern noth,
Daß Der ihm heut als Sturmpilot
Des Glückes Schiff zum Hafen lenke,
Und morgen ihm das Rettungsboot
[317] Ein Andrer in die Fluthen senke.
Ja, Alle sind wir, arm wie reich,
An Hilfsbedürftigkeit uns gleich.
Und thu' nun ich auch recht und schlicht
Die mir gebotne Menschenpflicht,
Was ist dann Lobenswerthes dran?
Denn wär' ich, hätt' ich's nicht gethan,
Nicht jetzt ein herzlos niedrer Wicht?«

Dann schloß er, mit geheimem Weh'
Auf dem erglühten Angesichte:
»Ich selber ja nicht drauf verzichte,
Daß gleiche Lieb' einst mir gescheh'.
Denn ach, wie bald an Fels und Wellen
Muß wohl mein Lebensboot zerschellen!
Wie wird es mir auch wohl dann thun,
Bei edler Menschen Abschiedswinken
In's Meer der Ewigkeit zu sinken,
Von meiner Sturmfahrt auszuruh'n!« …

* * *

Inzwischen war es längst schon Tag,
Ein recht unwirthlich nebeltrüber,
Und in dem Pfarrhaus gegenüber,
Das auf dem Kirchenplatze lag,
Ein junges Weib am Fenster stand,
Herüberspähend unverwandt,
Indeß der Stadtvicar, ihr Mann,
Ausschreitend gleich durch beide Stuben,
Die Sonntagspredigt übersann. [318]

»Ach, denk' doch!« zaghaft sie begann,
»Georg und Hans, die Doctorsbuben,
Sind plötzlich schwer erkrankt heut Nacht,
Und ist der Doctor auf der Reise. –
Gott, wie mich das ganz traurig macht!«

»So, so?« – erwidert er zerstreut,
Und hatt' in seiner vor'gen Weise
Breitspurig seinen Gang erneut.

»Du hörst wohl nicht!« – sie leise schalt.
»Doch, doch!« antwortet' er ihr kalt,
Indem er eben umgeschwenkt.

Jetzt aber rief sie schwer gekränkt:
»Wie, Gotthold? – du vernahmst es schon?
Und doch dein Herz nur schweigen mag?«

Da sagt' er ihr im Kanzelton,
Der grad' auf seinen Lippen lag:
»Nun ja, das thut mir herzlich leid.
Doch das auch, Doris, wohl erwäge:
Im Schau'n der Allbarmherzigkeit
Ist Menschenauge meist verblendet,
Und scheinen ihm oft Unheilsschläge,
Was uns des Herrn allweiser Plan
Zur Prüfung nur und Läutrung sendet.
Nur auf's Erkennen kommt es an.«

Drauf trat er an den Pult und schrieb.
Doch sie's nur neu zu reden trieb:
»Ach ja, wohl sind sie klug zu nennen,
[319] Die Gottes Fügung recht erkennen,
Und doch – auch dir das überlege! –
Sei in das Heil der Himmelswege
Des Menschen Einsicht noch so groß,
So hat mich doch mein Herz belehrt:
Man bringt das Menschliche nicht los,
Das auch nach Menschentrost begehrt,
Den Gott ja selbst uns nicht verwehrt.
Und weißt du's noch, wie Hilf' und Rath
Der Doctorsleute wohl uns that,
Wie unser sel'ges Kind erkrankte,
Und auch dein eignes Herz drum dankte?«

Jetzt ließ der Mann das Schreiben sein.
Noch wärmer drang sie in ihn ein:
»Und, als der Herr das Kind uns nahm,
Niemand, als die Doctorin,
So oft mich dann zu trösten kam.
Drum laß auch jetzt mich zu ihr hin!
Denn Gottes Stimme spricht in mir:
›Nun thu' deßgleichen auch an ihr!‹«

Halb umgedreht sprach der Vicar:
»Bedenk, ganz andre Zeit das war!«
Und schüttelte den Kopf dabei.
»Jetzt ist das Alles längst gestört,
Denn dieser Doctor auch gehört
Zu unsrer feindlichen Partei.«

Doch, wie der Mann auch herrisch that,
Nur herzlicher die Frau noch bat:
»O, liebster, bester Mann, verzeih'!
[320] Was fragt mein Herz doch nach Partei,
Und gar noch aus Religion,
Die euern Männerbund zerrissen?
Wir Frauen wissen Nichts davon,
Wir wollen nur von Liebe wissen,
Und diese dränget nun auch mich,
Der armen Mutter beizustehen.
Drum laß mich jetzt hinübergehen!
Als Weib und Mutter bitt' ich dich.«

Wie so Frau Doris ihn beschwor,
Sah er durch's Fenster starr hinaus,
Und drüben trat im Doctorhaus
Grad' Odilo aus dessen Thor.
Erregt er drum hinunterwies,
Und bittern Tones sprach er dann:
»Ei, sieh doch, Doris, welch ein Mann
So eben jenes Haus verließ!
Wird dir davor nicht sündenbang,
Daß er dir drin begegnen kann?«

Nun sah auch sie den Platz entlang,
Gleich herb dann ihre Antwort klang:
»Ei ja, ist das ein Bösewicht,
Der heut schon früh vor Tageslicht,
Da wir noch warm im Schlaf gelegen,
Selbst krank, durch kalten Wind und Regen
Zu seines Feindes Kindern schlich,
Daß er dem Tod die Macht benähme!
Ach ja, gewiß, wie fürchtet' ich
Der todesschweren Sünde mich,
Wenn ich mit Dem zusammenkäme!« [321]

Verblüfft rief der Vicar: »Ei, ei,
Wie du genau schon Alles weißt!
Und nimmst auch noch für ihn Partei,
Als ob du seinesgleichen sei'st!
Und in welch nie gehörtem Ton! –
Doris, welch ein Höllengeist
Verlockte dich zu solchem Hohn?«

»Ach, lieber Mann!« sprach sie gefaßt,
Und ihre Hand auf's Herz sie hielt
Voll langverhaltner Grameslast: –
»Ja, du hast Recht, ein böser Geist
Hat's auf mein Leben abgezielt!
Mein Herz, voreinst so froh und warm,
Spür' ich alltäglich mehr vereist;
Und bricht die Rinde nicht entzwei,
Wird's bald an Liebe bettelarm,
Wie deine christliche Partei!«

»Ha, Doris, kamst du von Verstand?«
Rief, selbst verwirrt, nun der Vicar.
Doch muthig nahm sie dessen Hand,
Und sprach ergreifend geistesklar:
»O Gotthold, bei des Kindes Leben,
Das unter meinem Herzen ruht –
Ich bin dir so von Herzen gut,
Und bis zum Sterben treu ergeben,
Wie nur ein christlich Weib es soll.
Doch, wiss' es auch, mein guter Mann!
Nur dann hast du mich ganz und voll,
Mit Allem, was ich bin und kann,
Und was ein schwaches Weib besteht,
[322] Wenn meines Elternhauses Luft
Sammt allem Lichte, Klang und Duft
Auf's Neu' mein eignes Haus durchweht.«

Wie diese Frau, so klein und zart,
Viel größer nun und stärker ward!
Und, da erstaunt er dieß vernahm,
Und noch nicht zu sich selber kam,
Flog schon vom Kranz der Rebenhügel
Ihr Herz auf jähen Heimweh's Flügel
Zum Kiefernwald-umrauschten Sand,
Drauf ihres Vaters Pfarrhaus stand.
Und, frei von jeder Vorsicht Zügel,
Brach los nun ihres Schmerzes Wort:
»O schöne, sel'ge Jugendzeit,
So nah' mir noch, und doch so weit!
Wie völlig anders war es dort,
Wo auch geglaubt, gebetet ward,
Und doch in so ganz andrer Art! –
Was deutscher Geist in Wort und Reim
Nur Hohes je gedacht, gedichtet,
Ihm ward in meiner Kindheit Heim
Des Idealen Herd errichtet.
Der Dienst des Herrn und Dienst der Kunst,
Sie gingen allzeit treu zusammen,
Und fern blieb diesen Opferflammen
Des Hasses und der Rohheit Dunst,
Der qualmt beim Holzstoß zum Verdammen. –
So lernt' ich in des Glaubens Gluth
Mit Göttlichem die Seele nähren,
Und, was da menschlich schön und gut,
Im Glanz des Göttlichen verklären. –
[323] So ward dieß Haus der Dorfes-Flur
Die Pflegstatt deutscher Geistcultur.
Nur Lieb' und Friede war in mir.
So nahmst du mich! – So folgt' ich dir!
Und hier auch dann im Rebenland
Glich unser Haus dem dort im Sand.
O was das doch ein Garten war,
Als er noch voll in Blüthen stand!
Doch ach, nur ein und noch ein Jahr!
Und Baum wie Blume drin erstarb. –
Wie kam's nur, daß er uns verdarb?« …

Ihr Kopf auf seine Schulter sank
Und mächtig ihre Thräne rann.
»Ach jetzt, o du mein guter Mann,
Jetzt ward' ich schwach und herzenskrank
Von all dem Dunst und Groll und Haß!
Und wehmuthsvoll ohn' Unterlaß,
Wie nach verlornem Edensglück,
Nach meinem Elternhause blick' ich! –
O gieb mir dessen Luft zurück –
Denn ach, in dieser hier erstick' ich!«

»O, Doris, um des Heilands willen!«
Rief er und hielt ihr Haupt empor,
Die bittre Thränenfluth zu stillen:
»Dein klagend Wort zerreißt mein Ohr,
Und jeden Faden ich verlor,
Um meine Predigt fortzuführen.«

Da überkam sie weiblich Rühren,
Und weichsten Tones sprach sie dann:
[324] »Vergieb mir's, du mein armer Mann!
Doch willst du mir nicht freundlich sagen,
Wovon wohl deine Predigt handelt?«

Und, durch dieß schmeichelnde Befragen
Schon unverkennbar umgewandelt,
Erwidert' er, doch fast voll Scheu:
»Sie handelt von der Glaubenstreu'«.

Da, unversehens zog ihr Arm
Ihn zu sich auf das Ruhbett nieder,
Sie sah ihn an, und weich und warm
Ergoß ihr Frauenherz sich wieder:
»So? – Von der Glaubenstreu' sie spricht?
Nun ja, gewiß, die muß ja sein!
Doch, liebster Gotthold, meinst du nicht?
Der Glaube thut's doch nicht allein.
Und wenn's an Lieb' ihm gar gebricht,
Wird er gar oft ein Streiter nur
Mit herzlos starrem Angesicht,
Der, wo er auf der Völkerflur
Je noch in die Trompete stieß,
Statt heil'gen Friedens Paradies,
Brandstätten nur und Blutesspur
Unheilig wüthend hinterließ.«

Und immer enger zog sie jetzt
Um ihn der Liebe Zauberbann;
Schon ward sein Auge zart benetzt.
Sie sah's und muthig sprach sie dann:
»Und sieh, wie klein auch diese Stadt,
Doch schon, wie in der Völker Reich,
[325] Der Glaubenshaß hier völlig gleich
Verderben angerichtet hat. –
Was fragt er bei den Menschen doch,
Ob Einer auch wahrhaft'ger Christ
Im Leben und im Lieben ist?
O nein, nur danach fragt er noch –
So hier wie dort ganz einerlei:
Zählt er zu unserer Partei,
Und eifert er dafür, wie auch,
Beachtet er den äußern Brauch?
Doch wie er auch im Innern sei,
Solch frommen Haß Nichts kümmern kann.
Wer zu uns zählt, ist unser Mann,
Wer nicht, der gilt als vogelfrei,
Wie eben jetzt der Odilo,
Der doch als Mensch und Arzt und Sohn
Mir dünkt leibhaft'ge Religion.

Doch du, nicht wahr? du denkst nicht so!
Das kann ja gar nicht möglich sein!« –
So tauschte zarten Schmeichelton
Sie plötzlich gegen heft'gen ein,
Als wie ein Schiff, das, sturmumbrandet,
Im stillen Inselhafen landet.
Dann holte sie ein Blatt vom Pult,
Und sprach voll seelenvollster Huld:
»O Gotthold, statt von Glaubenstreue
Beschreib' von Liebe jetzt auf's Neue
Dieß weiße Blatt zur Predigt morgen!
Und mich, die du in laun'ger Stunde
Gelehrtes Weibchen oft genannt,
Mich laß die Auslegung besorgen!
[326] Doch nicht mit hochberedtem Munde,
Nein, schweigend nur und ungewandt,
Und doch, daß Alle sie verstehen,
So Greis wie Kind in der Gemeinde:
Laß zur Versöhnung unsrer Feinde
Mich zu den kranken Kindern gehen! –
Und, bester Gotthold, glaub' es mir:
Dann wird die einz'ge Predigt dir
Viel reich're Aerntefrucht erringen,
Als alle seit dem ganzen Jahr;
Und Lob und Dank wirst du Dem singen,
Durch den ich jetzt so muthig war,
Mich als Gehilfin aufzudringen.
Beim Gott der Liebe bitt' ich dich:
O laß mich gehn und segne mich!«
Und mutterselig sprach sie drauf:
»Du segnest gleich dein Kind dabei!
Daß einst auch dieß gesegnet sei,
O komm, leg' deine Hand uns auf!«

Geneigten Haupts sie vor ihm stand;
Ihn faßt ein wundersam Erbeben,
Und schweigend legt' er seine Hand
Ihr auf das weiche, braune Haar.
»Geh'!« sprach er dann – »und bring' das Leben
Zurück uns, das entschwunden war!
Mög' einst für meines Sinnes Wandeln
Der ew'gen Liebe Herr dich krönen!
Und nur vom Lieben und Versöhnen
Wird morgen meine Predigt handeln.«

* * *

[327] Und nur zwei Tage noch verrannen,
Da war's im Doctorhaus vollbracht.
Der Scharlachengel flog von dannen,
Das erste Mal um Mitternacht,
Zum andern Fluge kurz vor Tag –
Und zweimal mit verklärtem Leib
Ein Kindergeist im Arm ihm lag.

Schon wieder ward es Dämmerzeit.
Und sieh, da sitzt des Doctors Weib,
Im Bett als Heldin aufgerichtet,
Und streckt sich voll Verzweiflungsleid
Zu ihr auf's Kissen wie vernichtet
Der eben heimgehetzte Mann. –
Im blüthenweißen Nachtgewand
Legt sie ihm auf das Haupt die Hand.
»O weine! weine!« spricht sie dann,
»So viel jetzt nur dein Auge kann,
Doch dann ergieb und fasse dich!«

Ein wenig nur erhob er sich,
Noch weint' er allzu bitterlich;
Und sie fuhr fort: »O sieh auf mich! –
Was ich durchlitt in diesen Tagen,
Und erst den Nächten – wer kann's sagen?
Und doch, was unerträglich schien,
Und dir zur Stunde wohl noch scheint,
Sieh her – ich hab's gelernt zu tragen,
Und ach, durch wen? – durch ihn nur, ihn,
Den du einst hieltst für unsern Feind!
Drum, mußten auch die Kinder sterben,
O nur nicht diesen klag' drum an!
[328] Mit mir hat er sie tief beweint,
Und, sie zu retten vorm Verderben,
Das Uebermenschliche gethan. –
Und wie er gar getröstet mich!
Wie das nur war?« … Verloren strich
Sie über's Aug' und fuhr dann fort:
»Nun ja, du weißt: ich glaube ja,
Und Gott ist mir ein fester Hort.
Auch der Kaplan oft nach mir sah,
Und sagte mir manch frommes Wort,
Wie er's auch auf der Kanzel spricht.
Und doch – ich kann mir helfen nicht,
Und Gott die Sünde mir verzeih'! –
Von dem, was sprachen diese Zwei,
War's auch im Sinn fast Einerlei,
Klang mir des Doctors Wort viel klarer,
Doch nein, nicht dieß – nur herzenswahrer
Schien mir's aus tiefsten Mitleids Grund
So menschlich rein hervorzuquellen.
Nicht kaufen kann man's, noch bestellen,
Und nie vermag's der bloße Mund.«

Und da er immerfort noch schwieg,
Noch höher ihre Stimme stieg:
»Ja, ärmster Vater, faß' auch dich!
Demüthig unterwerfe sich
Der Mensch der Weltgesetze Walten,
Drin Gottes Geist allewiglich!
Auch du lern' dieß für wahr zu halten!
Und du wirst ruhig sein, wie ich!«

Wohl schlug ihr Trostwort an sein Ohr.
Und doch, wie ihm sein letzter Ritt
[329] Bei Rabenschrei und Nebelflor
Trotz alldem aus dem Sinn nicht kam!
Ritt doch der Neid noch damals mit,
Und ach, auf wen! – Und Reu' wie Scham
Sammt grimmem Schmerz sein Herz durchschnitt.

In's Kissen blieb sein Kopf vergraben.
Da nahm sie den nun einz'gen Knaben,
Der neben ihr im Bette schlief,
»O komm, blick auf!« – sie zärtlich rief,
»Und laß dein allzu bittres Weinen!
Ob Gott uns auch die Zweie nahm,
Er ließ uns ja noch diesen Einen;
Der wird in unserm schweren Gram
Uns Trostkind sein in alle Zeit.«

Wie er nun endlich, wie befreit,
Die Mutter und sein Kind beschaute,
O welch ein Himmel hoffnungslicht
Aus seines Weibes Aug' ihm blaute,
Wie aus des Knäbleins Angesicht,
Wenn's auch noch leiser Schlaf umfing! –
Schon milder seine Thräne thaute.

Und wieder höher saß sie hin,
Und neu das Herz ihr überging:
»Doch noch zu Ende nicht ich bin
Mit unsrer Kinder Todessegen.
Denn, fragst du mich, wie sie zu pflegen,
Als Wöchnerin ich nicht erlegen,
So wiß: ein andrer Engel war's,
Der unermüdet Tag und Nacht
[330] An unsrer Kinder Bett gewacht
Die junge Frau war's des Vicars!
Und wirst den Sargschmuck du erblicken,
So wiß es: nicht nur Katholiken,
Nein, ebenso viel Protestanten
Den duft'gen Blumentrost uns sandten,
Drauf frommer Mütter Mitleid rann. –
Dieß eine Weib, das brach den Bann,
Und, wie nur sie solch Beispiel gab,
Schwang Jede gleichen Zauberstab,
Wo heil'ge Lieb' in Banden lag. –
So steigt aus unsrer Kinder Grab
Des Glaubensfriedens Ostertag!«

* * *

Der Kinder Sarg ist eingesenkt.
Die ganze Stadt Geleit' ihm gab,
Und weint' auf dieses frühe Grab.
Schneewasser drauf die Blumen tränkt.
Doch kaum der Vater heimgewankt,
War auch er selber schwer erkrankt,
Zu jäh traf ihn des Blitzes Schlag.
Nur Odilo noch nicht erlag,
Und welche Last drückt' ihn danieder,
Der nun der einz'ge Arzt hier war! –
Denn schon sogleich am andern Tag
Begann der Scharlachengel wieder
Den Todesflug, gleich unsichtbar
Der Reichsten wie der Aermsten Gast.
Bald zog von Haus zu Haus er fast,
Bald übersprang er ganze Gassen –
[331] Wer will des Fluges Sinn erfassen?
Doch, wo sein gluthroth Flügelpaar
Einmal ein Kinderbett umfächelt,
Hatt' Elternlust meist ausgelächelt –
So tödtlich dessen Rauschen war.
Was ward's ein seufzend Elternbangen
Vor diesem grimmen Kinderfeind,
Was ward gebetet und geweint!
Die Sonne selbst schien florumhangen
Auf all die stummen Kinderleichen,
Und dunstig, wie schon im Erbleichen,
War Mond und Sternlicht aufgegangen.

Doch mitten drin in all dem Weinen,
In all dem Sorgen, Beten, Wachen,
Wie sahn nun Alle nur auf Einen,
Der, selber krank, im Rettungsnachen
Bei Tag und Nacht voll Opfermuth
Einher trieb auf der Leidesfluth! –
Kein Kind sah er mehr scheu entfliehn,
Die Eltern alle riefen ihn;
Zu zaubern fast er Allen schien.
Denn, trat er nur in's Krankenzimmer –
Vor dieses Auges sanftem Schimmer,
Vor dieser Stimme Seelenton
Schlich die Verzweiflung stets davon. –
Nun war der Mutter Aernte da!
Und täglich neuen Schnitt sie sah
Im Dank und Preis für solchen Sohn.

Und doch, welch andrer neue Gram,
Daß er sich selbst zu Grunde richte,
[332] Ihr Mutterherz nun überkam!
Und, als einmal beim Morgenlichte
Er todmüd in sein Zimmer schlich,
Und sie ihn doch gewahrt', o bat
Sie voller Angst herzinniglich:
»O Kind, mein Kind, hör' meinen Rath!
Du wagst zu viel! ach, schone dich!«
Da lächelt' er: »O Mutter, sprich:
Darf sich denn schonen der Soldat,
Und hätt' er Weib und Kind daheim –
Wird er zum Tödten ausgesendet?
Wie dürft' erst ich's, der Heilung spendet,
Den Tod ertödtend oft im Keim?
Und ach, was liegt zuletzt auch dran,
Nach wie viel Freuden oder Leiden,
Wie früh, wie spät der Mensch muß scheiden? –
Nur, daß er seine Pflicht gethan –
Nur darauf kommt's beim Sterben an,
Und dieser nur ist zu beneiden.«

Und wie nun auch die beiden alten
Geistlichen Herrn ob all den Gräbern
Des Friedens Frühlingsfest gehalten,
Und auch, statt frühern Hasses Träbern,
Der Stadtvicar nur Liebeswein
Umhergereicht in der Gemeinde!
Auf manches Kindes Leichenstein
Schlief nun zu gleichem Frieden ein
Der Streit manch elterlicher Feinde. –
So lehrte dieser eine Mann
Was Nächstenliebe soll und kann,
Nicht fragend erst nach dem Altar,
[333] Drauf Der und Jener Opfer bringt.
Und Hunderten ward's mälig klar:
Wenn nur der einen Liebe Band
Die Herzen alle gleich umschlingt
Wenn nur in gleichem Opferbrand
Jedweder nach Vollendung ringt,
Zu seines wie des Nächsten Frieden,
Von jedem Glaubenshaß befreit –
Dann wird, trotz Glaubensunterschieden,
Im großen Dom der Menschlichkeit
Der Liebe Gottgemeinschaft sein,
Und siegreich kehrt auf Erden ein
Der Welterlösung neue Zeit.

* * *

's war eine frost'ge Spätherbstnacht,
Als Odilo nach Hause ging
Und aus dem finstern Wolkenschacht
Es bald schon an zu dämmern fing.
Wie war sein Herz voll stillem Gram!
Von armem jungem Weib er kam,
Des Scharlachengels letzter Beute.
Die Wegzehr that ihr dringend noth,
Und da kein Bote just zur Stelle,
Der nächtens an dem Pfarrhof läute,
Er selber sich dazu erbot.
Doch als ihn auf der Hausflurschwelle
Schlaftrunken der Kaplan erkannt,
Entfiel das Licht schier dessen Hand
Und stammelnd wirres Wort er sprach.
Drauf, kaum ihn Jener kurz belehrte,
[334] Der Menschenfreund den Rücken kehrte. –
Kopfschüttelnd sah der Priester nach.

Nun führte von der Dechantei
An hoch gelegnem Gartenhag
Ein kürz'rer Heimweg ihn vorbei,
Und nah vor ihm der Friedhof lag.
Er mußte plötzlich stille stehen,
Und nach den Leichensteinen sehen,
Draus hinter kahler Trauerweide
Emporragt' eine Pyramide,
Die er dem Vater einst errichtet.
War das jetzt eine Schau voll Leide,
Und doch auch wieder welch ein Friede,
Vom ersten Morgengrau'n durchlichtet!

Sich lehnend an die Gartenplanken
Sah er hinab zum Grabeshügel,
Und seine Seele schwang die Flügel
Zum Reich allewiger Gedanken,
Da sprach er in das Morgenroth:
»O Vater, sag': ist das denn Tod,
Liegt auch dein Leib in Grabesruhe –
Wenn jener Geist, der ihn belebt,
Doch immer hier noch wirkt und schafft?
Denn, was ich denke, was ich thue –
Ist auch dein Geist schon längst entschwebt –
Ist's dennoch nicht nur seine Kraft,
Sein Beispiel nur und sein Gedächtniß,
Wenn ich vollziehe dein Vermächtniß? –
Und pflanzen Andre wieder weiter,
Was ich an Saat dann hinterlassen,
[335] Und also fort in alle Zeit –
Ist das in solcher Erbschaftsleiter,
Für unsern Geist noch zu erfassen,
Nicht auch ein Stück Unsterblichkeit,
Uns schon besel'gend im Hienieden? –
O Vater, möcht' ich dir doch gleichen!
Ich bitte dich: gieb mir ein Zeichen:
Bist du mit deinem Sohn zufrieden?« …

Und siehe, wie er also fragte,
Dort aus dem wald'gen Hügelkamme,
Auftauchend mit der Purpurflamme,
Die Sonne drauf ihm Antwort sagte.
Des Wolkenberges grau Geschiebe
Zerrann vor ihr zum Lichtesmeer,
Der Erde kündend gotteshehr:
»Der Menschheit Höchstes ist die Liebe!«

Und, von der Antwort völlig trunken,
Stand er, in Andacht tief versunken,
In dieses Morgens Heiligthum.
Dann wieder mit geheimem Schauer
Beschaut' er Berg und Thal ringsum;
Da stand ob dämmernden Gestaden
Vor ihm in gluthgefärbter Mauer
Das Irrenhaus Mariagnaden,
Und mit des Geistes Zauberschnelle
Flog er nun wieder allsogleich
In jenes Weibes Irrenzelle. –
Hohläugig, hager, jammerbleich,
Wie hatt' ihr Bild ihn einst durchgraust!
Jetzt setzt er kaum den Fuß zur Schwelle,
[336] Da kam sie schon voll Sonnenhelle,
Schneeweißes Banner in der Faust,
Gleich majestät'scher Meereswelle,
Sammt ihrem Sohn herangebraust! –
Zerstoben war das Irrenhaus,
Und neue Zeiten vor ihm lagen …
Die Beiden aber zogen aus,
Der Selbstsucht Drachen zu erschlagen …

Ein Windstoß stieß ihn weckend an.
Zerronnen war der hehre Wahn. –
O lebt einst ein Geschlecht auf Erden,
Bei dem er wird zur Wahrheit werden? …

 

[337] In der Neujahrsnacht.

Sylvester war's, da saßen auch
Im Erkerhaus nach altem Brauch
Jetzt Vier zur mitternächt'gen Stunde,
In traulichstem Familienbunde
Den Jahresantritt zu begrüßen. –
Der Cäsar schlief zu ihren Füßen.

Wie draußen auch der Sturm nun brüllte,
Und sich die Landschaft, tief verschneit,
In düstre Wolkenschleier hüllte,
Hier innen war es Frühlingszeit.
Denn dankbar jetzt die Vier empfanden,
Daß sie nun so beisammen saßen,
Nach all der Mühsal ohnemaßen,
Die Odilo erst überstanden.
Ja, einem Wunder glich es fast,
Das er wohl selber nie erhofft,
Gleichwie nach einem Feldzug oft
Viel kräft'ger, als nach träger Rast,
Schon mancher Streiter heimgekommen.
War's denn nicht auch ein Kriegeszug,
Den er als Arzt erst unternommen?
[338] Und doch, wie war er selten frisch! –
Die Mutter sah sich's nicht genug.

Jetzt schlich die Base sich vom Tisch.
Auch Cyprian hinweg sich schleppte,
Um mit ihr feinstes Punschgemisch
Nach altehrwürdigem Recepte
Beim Küchenfeuer zu bereiten.
Denn schon nach einer halben Stunde
Wird's alte Jahr zum Grabesgrunde
Der Ewigkeit hinuntergleiten.

Wie Sohn und Mutter nun allein,
Sah sie beglückt in ihn hinein,
Und sprach: »Ach, liebster Odilo,
Bald zieht das neue Jahr heran,
Doch dürfen Wen'ge wohl so froh
Rückwärts beschau'n des alten Bahn –
So hast du Gutes drin gethan,
Und so viel Segen ist, mein Sohn,
Von deiner Spur drin hinterblieben!
Und erst, welch ew'ger Himmelslohn
Wird dir dafür einst gutgeschrieben!«

Doch, wie fast leis dadurch verletzt,
Und doch in ehrfurchtsmildem Tone
Entgegnet' Odilo ihr jetzt:
»O, Mutter, sprich mir nicht von Lohne!
Dieß Wort thut ordentlich mir wehe;
Denn fürcht' ich, daß um Lohn zumeist
Die gute That von wem geschehe,
Gleich seh' ich auch vor meinem Geist
[339] Dann einen Wucherer erscheinen,
Deß frommen Hochsinn Jeder preist,
Weil er in ird'schen Armenschreinen
Manchmal ein Goldstück deponirt,
Dieweil doch er nur speculirt,
Daß sich's zu himmlischem Gewinnst
Vieltausendfach für ihn verzinst,
Und noch als Krönlein dann ihn ziert.«

»Ach ja, mein Sohn!« sprach Walburg bang,
»Wohl hat dein Wort gar reinen Klang,
Und doch die Sorge mir verzeih'!
Wenn Höll' und Himmel gar nicht mehr
Der Menschen Furcht und Hoffnung wär' –
Wär's nicht auch mit der Zucht vorbei?«

Und wieder sprach er goldesklar:
»In deiner Sorg' ist Vieles wahr.
So fürchte denn die Höllengluth,
Und hoff' auf Lohn' im Himmelreich,
Wer Böses läßt und Gutes thut!
Der Menschheit bleibt's im Grunde gleich,
Wird ihr das Gute nur erwiesen,
Und bleibt ihr Böses ungeschehen.
Gleich gern auch will ich zugestehen:
Die Welt fährt besser wohl mit diesen,
Als jenen Andern, die deßwegen,
Weil Höll' und Himmel sie verneinen,
Sich drum berechtigt auch vermeinen,
Auf Selbstsucht nur sich zu verlegen.
Doch edler will mir Jener scheinen,
Und reiner auch deß Religion,
[340] Der Gutes thut, weil's eben gut,
Und Böses läßt, nur weil es schlecht,
Nie rechnend auf noch andern Lohn,
Als den, der im Bewußtsein ruht:
Unähnlich einem Sclavenknecht,
Durch Lohn bestimmt und Peitschenhiebe, –
Aus freiem Antrieb nur der Liebe,
Im großen menschlichen Verein
Ein menschenwürdig Glied zu sein.«

Die Mutter saß in stummem Sinnen,
Als längst des Sohnes Wort verrann,
Da trat mit feinstem Festtagslinnen,
Das einst Frau Walburg selber spann,
Die Base selbstgefällig ein.
Sogleich es auf dem Tische blinkte,
Und schmunzelnd mit dem Punsche hinkte
Ihr Küchenjunge hinterdrein.

In rührendem Familienkreise
Nach längst verschollner Zeiten Weise
Sich Herr und Knecht dann niederließen.
Die Hausfrau goß die Gläser voll,
Und zu des neuen Jahres Lob
Sie jetzt damit zusammenstießen,
Als draußen plumper Schritt erscholl,
Und knurrend sich der Hund erhob.
Gleich drauf mit schweißbedeckter Stirn
Hereinplatzt eine Bauerndirn,
Die Cäsar schnuppernd nun umkroch.
Und jammernd rief sie: »Gott sei Dank,
Daß ihr so spät jetzt munter noch!
[341] Komm' eben von dem Physicus,
Doch leider liegt der selber krank.
Da dacht' ich mir: mußt hieher gehen!
Denn Einer ja doch helfen muß,
Wo solch ein Unglück jetzt geschehen.«

O klang jetzt dieser Angstruf gell
In diese traute Festesstunde!
Jetzt griff nur Odilo noch schnell
Nach dem nun aufgesprungnen Hunde,
Und bat um ganz genaue Kunde;
Drauf drang's gleich einem Sprudelquell
Hervor aus dem geschwätz'gen Munde:

»Mein Herr? – Nun ja, 's ist der Curat,
Der erst vor ein paar Wochen noch
Kaplan hier war. Ihr wißt's ja doch,
Wie man's ihm halb zur Strafe that,
Ihn wegen seinem ew'gen Hetzen
Nach Sanct Vigil hinaufzusetzen.
Und, lieber Gott, vor lauter Galle
That er im neuen Wein zu viel
Und kam heut nach dem Kartenspiel
Vor'm Wirthshaus jämmerlich zu Falle.
Ja, was der Zorn nicht Alles thut!
Mich jammert die Frau Mutter nur,
Die eben auch nicht gar zu gut
Mit dem geweihten Sohne fuhr,
Und doch um ihn vor Angst vergeht;
Denn sinnlos liegt er, ganz voll Blut.
O kommt und helft! – 's ist höchste Zeit!
Um Christi – habt Barmherzigkeit!«
[342] »Ja, ja, sogleich bin ich bereit,«
Entschlossen Odilo jetzt rief,
Die Mutter kalt es überlief.
»In solcher Nacht? – Du gehst zu Grund!«
Drein jammerte der Base Wort:
»Ach, Odilo, nicht einen Hund
Jagt man in solchem Wetter fort.«

Nur Cyprian blieb stumm der Mund.
Dacht' er doch an den Klosterbrand,
Draus ihn sein Herr einst fortgetragen! –
Und, als bei beider Frauen Klagen
Der stumm und unerschüttert stand,
Mit flehentlich gerungnen Armen
Die Mutter nochmals ihn beschwor:

»Ach, einzig Kind, mit mir zuvor,
Mit deiner Mutter hab' Erbarmen!
Willst du des ärgsten Feindes wegen.
So dich wie mich zu Grabe legen?
Bedenk': du bist ja selber krank,
Und ärntest noch nicht einmal Dank,
Nur der Beschämung heimlich Grollen! –
Solch Opfer kann der Herr nicht wollen!«

»Mutter!« rief jetzt Odilo –
»Der Name Feind aus deinem Mund?
Der kam dir nicht aus Herzensgrund,
Aus Angst der Lipp' er nur entfloh!
Auch fühl' ich mich ja ganz gesund.
O schimpflich solch ein Jahrsbeginn
Mit feiger Selbstsucht niederm Sinn!
[343] Doch erst dem Arzte Schmach und Fluch,
Der so sein Helferamt verletzte,
Daß er in seinem Krankenbuch
Den Namen Feind voran wo setzte!
Nicht eines frohen Tags Genuß,
Nicht ruhig Sterben hätt' ich je!
O drum bezwing dein angstvoll Weh!
Es giebt nicht anderen Entschluß.
Er liebe oder hasse mich –
Nur zu dem Kranken lasse mich!
Fahr wohl! Ich gehe – denn ich muß

Wie er nun rasch zur Thüre ging,
Um sich zum Gang vorzubereiten,
Die Mutter schon am Hals ihm hing,
Und weinte dran: So geh', mein Sohn,
Und Gott, der Herr, mag dich geleiten!
Durch Angst mein Herz verfinstert war,
Du nahmst die Binde mir davon!
Ja, Gott heißt segnen, die uns hassen,
Und kann dich hüten trotz Gefahr,
Wie trotz der Vorsicht sterben lassen.«

»O liebste Mutter, so, ja so
Hör' ich dich gern!« sprach Odilo,
»Und ist's nicht auch ein Mütterlein,
Das um den Sohn die Angst verzehrt?
Wer hat ein solches Herz von Stein,
Der ihr den Beistand nun verwehrt?« –
Und küssend schloß er dann sie ein.

Der Base Kopf vor Scham ganz flammte;
Die Magd verwundert drüber sann,
[344] Was das doch für ein frommer Mann,
Und den ihr Herr so arg verdammte!
Doch muthig rief der Cyprian:
»Ach, liebster Herr, auch mich nehmt mit,
Und laßt mich sein den Sakristan!
O wartet nur, wie halt' ich Schritt
Trotz diesem einen lahmen Bein!
Ließt ihr im Brand mich nicht allein,
Sollt ihr's nun auch im Frost nicht sein!«

»Nun gut, komm mit, getreuer Knecht!«
Gab Odilo ihm froh zurück,
»Kienfackeln mach' indeß zurecht!
Was liegt an all dem Dunkel dann?
Nur Muth! dann haben wir auch Glück.
Man muß nur wollen, und man kann.«
Hoch stand, gleich wie voll Kampfeslust,
Die edel schlanke Mannsgestalt.
Was spürt' er noch von kranker Brust,
Wo's Sterbenden zu retten galt?
Was dacht' er dran, durch diese Stunde
Sich selbst das frühe Grab zu betten? –
»Komm Cäsar!« rief er jetzt dem Hunde,
»'s giebt Menschenleben zu erretten!« –
Hei, sprang nun dieser stürmisch laut,
Daß von dem Bellen und dem Sprung
Das stille Haus ganz zitterte! –
Ob wohl was, wie Erinnerung
An Ahnherrn ihn durchwitterte,
Die in Sanct Bernhards Schneelawinen
Als thier'sche Menschenretter dienen? …

* * *

[345] Und auf des Neujahrs Stundenglase
Der Zeiger jetzt auf Ein Uhr stand,
Da sah Frau Walburg sammt der Base
Vom Erker aus zur Hügelwand,
Wo die drei Menschen mit dem Thiere
Verschwanden in dem Waldreviere;
Jetzt auch das Kienlicht sich verlor. –
Weit bog sie sich zum Fenster vor. –
Nichts mehr zu sehen – Nichts! … Vorbei! –
In's Aug' schlug wirbelnd ihr der Schnee.
Da that sie einen schrillen Schrei,
Der fuhr ihr schaurig durch die Glieder,
So that ihr eigner Mund ihr weh'.
Dann sank am Erkersims sie nieder,
Und betet' in den nächt'gen Wind:
»Allmächtiger, beschütz' mein Kind,
Und bring's mir wohlbehalten wieder!«

Noch lange kniete sie so da,
Dann schlief sie ein vom vielen Weinen.
Und sieh, ihr Mutterauge sah
Ein hehres Traumgebild erscheinen:
Das war Herr Justus Zug um Zug.
Und einen Palmenzweig er trug,
Womit er kühl ihr Herz umfächelt;
Wie Rosenduft umquoll sie's lind.
Drauf, ganz wie er im Tod gelächelt,
Sprach er zu ihr so friedensmild:
»Was weinst du, Walburg, daß dein Kind
Im Herzen auch mein Ebenbild,
Und nicht nur in dem Angesicht? –
Glückliche Mutter – weine nicht!«

 

[346] Die Vollendung.

Der Liebe Hymnus will verhallen. –
Schon ist der Stamm vom Schicksalshiebe
Für unsres Freundes Sarg gefallen.
Nun wollt sein letzter Schmuck noch sein,
Ihr Blumen und ihr Blüthentriebe!
Nun sammelt euch, ihr Nachtigallen,
Und übt für ihn das Grablied ein:
»Der Menschheit Höchstes ist die Liebe!«

* * *

War das nun eine Winterszeit! –
Vom ersten Tag im neuen Jahr,
Da Odilo mit Cyprian
Am frühen Morgen, dicht beschneit,
Vom Bergdorf heimgekommen war,
Bis heut, wo Feld und Wiesenplan
Neu prangt im ersten Frühlingsstaat,
Lag er im Siechbett angekettet.
Genesen längst ist der Curat –
Im Sterben liegt, der ihn gerettet.
[347] Doch nicht deß Leib nur macht er heil;
Auch für der Seele kranken Theil
Begann in jener Nacht die Cur,
Als des vermeinten Feindes Hand
Die Wunden erst des Leibes nur
Ihm samariterlind verband.
Jed Wort aus seines Arztes Mund,
Jedweder Blick nur wohl ihm that.
Und, als dann aufstand der Curat,
War Leib wie Herz ihm gleich gesund.

Wer will denn auch das Räthsel lösen,
Wie in des Menschenherzens Grund
Oft Gutes liegt, ganz nah' beim Bösen,
Das, immer wach, nur Böses schafft
Beim Scheintodschlaf der guten Kraft,
Bis sie, in Dornen nur versteckt,
Oft heil'ger Liebe Kuß erweckt? –
Und welch ein Herz das sein auch müßte,
Das, ungerührt von solcher Liebe,
In seinen Dornen stecken bliebe,
Und doch auch schlafend davon wüßte,
Daß Jener stirbt, weil er es küßte! …

Im stillen Dörflein Sanct Vigil
Erharrt umsonst der Bauernwirth
»Hochwürden« nun zum Kartenspiel,
Wo manche rohe Rede fiel.
's ward aus dem Wolf ein guter Hirt,
Das schmutz'ge Hetzblatt ist verbrannt;
Und packt ihn oft noch Jähzorneifer,
Sogleich er sich zur Wehr ermannt.
[348] Im Garten zieht er von den Bienen
Nur Honig noch statt Hassesgeifer,
Und pflegt die Blumen wie die Bäume.
Auch, wie nun mit beglückten Mienen
Die Mutter zu ihm aufwärts schaut!
Erfüllt sind ihres Alters Träume. –
Ja, so voll Ehrfurcht, lieb und traut,
So dachte sie den Sohn, ganz so!
Und kniet sie in der Kirchenbank,
Das Mutterherz voll Glück und Dank,
Dann murmelt stets sie mutterfroh
Ihr Gottvergelt's für Odilo.

So kam in wenig Wochen schon,
Der einst so friedlos war, zum Frieden;
Nur stets er sich's zu Herzen nahm,
Daß solcher Leidenskelch zum Lohn
Drum seinem Retter ward beschieden.
Und doch, wie unnütz war sein Gram! …

Zu Odilo nun kommt! – O seht!
Sein Bett im Erkerzimmer steht,
Daß möglichst reine, sonn'ge Luft
Ihm stets ihr lindernd Labsal spende.
Blattpflanzen zieren rings die Wände,
Aushauchend feucht wohlthät'gen Duft;
Und Blumen, pyramidengleich,
Stehn in dem Erker aufgebaut.
So war hier längst des Frühlings Reich,
Bevor ein Beet noch aufgethaut.

's ist Abendzeit und ganz allein
Lehnt nun der Kranke hoch im Kissen;
[349] Denn Alle zu der Stund' es wissen:
Ganz menscheneinsam will er sein.
Ist dieß denn aber Einsamkeit? –
Liegt doch am Bett auf großem Tisch
Allewig frisch und zauberisch,
Zu hehrstem Umgang stets bereit,
Das Reich des Geistes aufgethan!
Homer und Goethe, Schiller, Kant,
Der Wunderschatz im Vatican,
Hellen'sche Tempel, goth'sche Dome,
Das Alles liegt ihm hier zur Hand.
So zieht an seines Bettes Rand
Auf reizvoll wechselreichem Strome
Der Menschheit Geist an ihm vorbei,
Daß er des eignen Stärkung sei,
Und stets in idealer Weihe
Von allzu Ird'schem ihn befreie.

Und eben las er Schiller's Lied,
Das ewig schöne, von der Glocke;
Er streicht sich aus der Stirn die Locke,
Und himmelwärts sein Geist entflieht.
»O du Prophet des Idealen,
Als Dichter wie als Mensch gleich groß!
Wie oft gedenk' ich deiner Qualen,
Der du einst trugst das gleiche Loos,
Dem nun auch ich verfallen bin!

Und doch« – sann er voll Ehrfurcht hin,
»War deine Brust einst gleichfalls krank,
Wie quoll aus deren Perlengrund
Doch höchster Schönheit Zaubertrank
[350] Und sang im weiten Erdenrund
Sie Abertausend herzgesund,
Bis, unter ew'gen Loblieds Dank,
Gleich einem Singschwan, todeswund,
Im ew'gen Meer dein Geist versank!«

Und wiederum er sinnend schweigt,
Das bleiche Haupt zur Hand geneigt,
Dann, leis es schüttelnd, hebt er an:
»Ich bin kein solcher Liederschwan;
Nur schlicht zu reden weiß mein Mund.
Viel früher noch sink' ich zum Grund,
Und was hab' ich dann wohl gethan,
Nachlassend eine Segensspur? –
Ich facht' in wenig Herzen nur
Erloschner Liebe Flammen an.
Das war dann Alles. – Ach, wie klein!«

Doch jetzt, wie ward sein Auge groß!
Man sah's an dessen lichtem Schein:
Es rang sich ein Gedanke los,
Der nur ein hehrer konnte sein.

»Ach, unsre Zeit, durch Schwertgeklirr
Und Zungenstreit so müd' und wirr!
So abgehetzt durch Dampfeshast,
Durch Neidesgroll und Goldesgier,
Wie schwerer Nothdurft Sorgenlast!
O lägst du jetzt zur Seite mir,
Ganz ruhig nur auf ein paar Stunden –
Wie wollt ich dann behandeln dich!
Denn du bist kränker noch, als ich,
Und solltest dennoch ganz gesunden! –
[351] Wohl ist dein Geist so stark, wie nie,
An Wissen reich, erfinderkühn,
Voll Freiheitsdrang und Thatentriebe!
Doch ach, dein Herz ward krank, denn sieh:
Dir fehlt's trotz all des Geistes Müh'n
An innerm Frieden und an Liebe!

Und siehe, so erbarmt mich dein,
Daß, was in eignen Herzens Schrein
An Schatz der Liebe mir geborgen,
Sowie an Frieden im Gemüth;
Daß, was in ew'gem Geistesmorgen
An Idealen drin erblüht –
Daß ich's in dein Herz möcht' ergießen
Gleich wunderthät'ger Arzenei,
Und müßt' ich gleich mein Auge schließen! –
Auch, wenn mir sonst gegönnt noch sei,
Jahrzehnte lang, ganz schmerzenfrei,
Des Daseins Reize zu genießen!

Ob wohl die neue Zeit dann käme,
Wo mit erhabnem Weihekuß
Des Idealen Genius
Dann wieder Obdach bei uns nähme,
Veredelnd sinnlichen Genuß?
Wo nur zum Wettkampf der Cultur,
Der Arbeit und der Sitte nur,
Die Fürsten ihre Völker führten?
Wo alle Priester, streitentledigt,
Nur noch in heil'ger Liebespredigt
Der Gläub'gen Herzensflammen schürten?
Wo Glaubenssatzung, altgewöhnte,
[352] Durch gegenseit'ge gute Meinung,
Der Menschheit nur zum Heil zu frommen,
Mit neuem Wissen sich versöhnte,
Wenn fern auch bliebe die Vereinung? –
O solche Zeit, wird je sie kommen,
Als menschenwürdigste Erscheinung?« –

So Hohes sinnend sah er drein.
Da trat die Mutter zu ihm ein,
Hielt an den Schritt und sprach in Sorgen:
Ist dir besonders schlecht heut Morgen,
Weil ich dich also traurig sehe?«

Schnell lächelt' er und sprach zu ihr:
»Nein, Mütterchen, ganz wohl ist mir,
Mich schmerzte nur ein geistig Wehe.«

»Und welches war es, lieber Sohn?«
Befragte sie voll Mitleid ihn,
Und hatt' ihn bei der Hand genommen.

Drauf sagt' er ihr im Scherzeston:
»Ach Nichts! – Nur Traumesphantasie'n,
Wie sie im Krankenbett oft kommen.
Doch, Mutter, freu' dich deren lieber!
Denn, weißt du, wie zur Winterszeit
Mich Husten plagte noch und Fieber –
Wie ließ da tausend Meilen weit
Mein Geist die Träume seitwärts liegen!
So hatt' er mit dem Leib zu thun,
Um ihn mit Mühe zu besiegen.
Jetzt aber, wo die Schmerzen ruhn,
Ist mir so leicht! –Ich möchte fliegen!« [353]

Frau Walburg wohl nach Lächeln rang,
Doch nur zur Noth es ihr gelang.
»Denn fliegen –« sann sie wehmuthsvoll,
»Dieß Wort hat einen bösen Klang. –
Ob wohl sein Geist bald fliegen soll?«

Sie saß zu ihm. Gar herb es quoll
Auf ihre leidverhärmten Wangen.
Doch sanft hielt er ihr Haupt umfangen,
Dann wischt' er ihr das Auge klar;
Und, wie beim Klosterniedergang,
In noch viel zarterm Liebesdrang
Er jetzt auch ihr Versöhner war.

»O weine, Mutter, weine nicht,
Wie's auch noch mit mir gehen werde!
Denn sieh, blick' um auf dieser Erde:
Wie viel ist Nacht und wenig Licht!
Wie wenig reinen Glückes Lust,
Doch wie viel Leid, Sorg' und Beschwerde!
Und wer sich dieß nur recht bewußt,
Wenn er in eignes Leid verfällt,
Dann immer vor die Seele hält –
Den lohnt drum eine inn're Welt,
Mit deren Weihe nicht so leicht
Der Reiz der äußern sich vergleicht,
Und sie umglänzt ein Sternenzelt,
Das auch am Tage nicht erbleicht. –
Geweihten Friedens Zauberkreis
Wird um sein Krankenbett gezogen;
Nur ferne hört er plätschernd leis
Der Außenwelt verworrnes Wogen.
[354] Voll heil'ger Liebe nur nach innen
Geht all sein Schauen, all sein Sinnen.
Auch mit welch feinerm Maaße mißt
Er Leid und Lust nun aller Stunden!
Und wie er schon drum dankbar ist,
Will minder herb der Kelch ihm munden,
Als er den letzten erst befunden! –
O sieh, so schafft das Leiden Glück,
Kaum je geahnt von ganz Gesunden,
Und was dem Leib an Kraft entschwunden,
Das kehrt dem Geist dafür zurück
An inn'rer Sammlung, inner'm Licht. –
Drum weine, Mutter, weine nicht!«

O war des Sohnes Trosteswort
Der Mutter heil'ger Kraft Geschenk!
Dann wieder fuhr er friedlich fort:
»Und dieses auch nun recht bedenk':
In welch ganz andrer Leidenskammer
Hab' ich die Kranken oft gesehen,
Und neben all des Siechthums Jammer
Die Noth noch und die Rohheit stehen!
Da lieg' ich ja ganz prinzengleich
Hier in der Liebe Königreich;
Es steht vor mir der Göttertisch
Voll idealster Früchtegaben,
Die je der Genius uns bot,
Und darf mein Geist, noch selten frisch,
Vorm Scheidegang sich daran laben.
Ja, wahrlich, himmlisch Abendroth
Die Krankenstube mir verklärt.
Und sag', wie kann ich je drum danken,
[355] Daß mir das Alles noch gewährt,
Mir Glücklichstem von allen Kranken?«

Stumm blieb ihr Mund, ihr Auge naß.
Denn ach, sie dacht' ohn' Unterlaß
Schon an des Abendroths Verglimmen,
Doch jedes Wort sie scheu vermied.
Da trieb's ihn, neues Trosteslied
In neuem Mitleid anzustimmen:

»Ja, wo mag solch ein Lager sein,
Wie du mir's bettest wunderfein?
Und wenn trotzdem noch dann und wann
Mein Kissen wo ein Fältchen macht,
So streicht oft mitten in der Nacht
Mir's glatt noch eine Mutter dann.
Und werd' ich oft vom Schlaf geflohn,
Sitzt sie zum Bett und singt mir vor
Von ihrem neu gefundnen Sohn,
Der droben wohnt in Sanct Vigil,
Und dessen Herz sie einst verlor. –
Wie lieblich mildes Harfenspiel
Singt dann in Schlaf mich dieser Ton.
Und, nicht wahr, liebstes Mütterlein,
Du gönnst mir diesen Retterlohn
Und willst nicht eifersüchtig sein!«

* * *

Und Sonntag Morgens war es heute,
Zur Kirche rief zwiefach Geläute.
Die Mutter sammt der Base trat
[356] Zum Abschied noch in's Zimmer ein,
Denn immer er die Beiden bat,
Den Gottesdienst nicht zu versäumen.
Auch drängt' es ihn, heut ganz allein,
Den Sonntagsmorgen zu verträumen;
Doch kaum die Zwei noch aus der Thür,
Trat Cyprian daraus herfür,
Bei seinem Herrn die Wacht zu halten.
Und diesem auch rief er jetzt zu:
»Geh' in die Kirche nur auch du!« –
Den aber trieb's, die Hand zu falten
Und dennoch an das Bett zu treten.
Dann bat er: »Laßt mich lieber hier,
Und sei's auch nur in eurer Nähe!
's ist Krankenwart ja gleich dem Beten,
Und nimmermehr vergäb' ich's mir,
Wenn hilflos euch ein Leid geschähe!
Ach, lieber Herr, und denk' ich dran,
Was ihr vom Tag des Klosterbrands
Bis heut schon Alles mir gethan,
Und ich euch Nichts, schäm' ich mich ganz,
Und dennoch hör' ich stets nur Lob.«

Unheimlich klarer Lichtesglanz
Nun Odilo's Gesicht umwob,
Und wärmsten Tones fort er fuhr:
»Du hättest Nichts gethan an mir?
In frommer Einfalt meinst du's nur!
Ich aber, Alter, sage dir:
Auch andre Diener wohl verstehen
Den kranken Herrn getreu zu warten.
Viel Größres ist durch dich geschehen,
[357] Mich lehrend einst im Klostergarten,
Nachdem du all dein Glück begraben:
Mit der Natur noch umzugehen,
Und Freud' und Trost an ihr zu haben!«

Drauf seine Hand, durchsichtig fein,
Legt' er in dessen braun gebrannte
Und arbeitsschwielige hinein,
Und sprach, da er sich aufwärts wandte:
»Ach, alter Freund, gesegnet sei,
Wer Andern gutes Beispiel ist!
Der lebt als ein wahrhaft'ger Christ,
Und als der Menschheit Freund dabei.
Und nun in deine Kirche geh'!
Mich sehnt, allein zu sein. – Ade!«

Der ging bewegt und stumm davon,
Als durch die offne Thür auch schon
Zu des Entlassenen Ersatze
Herein ein andrer Wächter schlich.
Er reckte gleich mit mächt'ger Tatze
Hoch zu des Kranken Bette sich;
Und Hand um Hand er ihm beleckte,
Drauf er am Bett sich niederstreckte. –
Doch, daß er heut noch gar nicht fraß,
Und so die Ruthe hängen ließ?
Die Andern, wie erschreckte sie's! –
Hilf Himmel, was bedeutet das?

Ganz nahe her vom alten Dom
Schwoll jetzt der Orgelklänge Strom.
Und welcher Duft und Sonnenschein
[358] Zog durch das Erkerfenster ein!
Sonntagsruhe, wundersam! –
Und wie ein überird'sches Sinnen
Des Dulders Geist es überkam:
»Wie kurze Frist, o Sonnenlicht,
Wirst du mein Auge noch umrinnen!
Dann kommt der Tod. Doch bangt mir nicht.
In schauriger Erlösungsfeier
Erschein' er mir als mein Befreier,
Und deck' auf allen Erdenschmerz
Der ew'gen Ruhe Zauberschleier! –
Ach hüllt' er nur der Mutter Herz
In gleichen Trostes Frieden ein! –
Und doch – es muß geschieden sein! –
Nur ewiges Vergehn und Werden
Ist in den Himmeln wie auf Erden.
In Trümmer selbst die Sterne gehen,
Daß neue stets daraus erstehen.
Ja, du auch, Erde, du fürwahr,
Bist einstens alles Lebens bar,
Wie vorher schon, da du nur Dunst! –
Doch all der Geist im Völkerleben,
Nach der Vollendung all sein Streben
In Sitte, Wissen und in Kunst;
Der ganze Weltschatz der Kultur,
Das Werk solch ries'gen Menschenfleißes,
So werth allew'gen Seins und Preises –
Das Alles fiel' ohn' alle Spur
Anheim einst ewiger Vernichtung? –
Wie einst die Lösung sei? – Wer weiß es,
Will er nicht bloß mit Worten spielen
In noch so hocherhabner Dichtung? –
[359] Doch einer höhern Welt Erscheinung
Mit immer höhern ew'gen Zielen –
Der Völker Trost seit allen Zeiten –
Wer in beweisender Verneinung,
Wer übernimmt's, sie wegzustreiten?«

Und jetzt er seine Augen schloß,
Da Kirchensang sein Ohr umfloß.
Was er in wachem Traum wohl schaute? –
Denn reicher, immer reicher thaute
Ihm aus der Wimper zartem Schleier
Der Thräne süße, wonn'ge Fluth.
Nie hatt' in solcher Sonntagsfeier
Sein müdes Herz sich ausgeruht,
Und seines Traumes inn'res Licht
Umlächelte sein Angesicht. –
Ach, Alles, was in jener Nacht
Er einst in seiner kranken Brust
Auf göttlicher Natur Altar
Zum höchsten Opfer dargebracht –
Der Gattenliebe Himmelslust,
Den Segen holder Kinderschaar –
Das ganz leibhaftig, Jahr um Jahr,
Auf alles Wechselreizes Sprossen,
Hatt' er in flücht'ger Stunde kaum
Als tröstend Traumgebild genossen. –
Und ist nicht alles Erdenglück
Zuletzt doch nur ein schöner Traum? –
So gab der einen Stunde Huld
Ihm all sein Opfer nun zurück,
Doch ach, ganz rein – ohn' alle Schuld.
[360] Jetzt tritt, den Hofrath zum Geleit –
Denn immer kam er zu der Zeit –
Frau Walburg ein, doch wie sie zagen,
Daß sie ihn nicht im Schlafe stören!
Sie Beide schleichen leis beiseit.
Und horch! jetzt hören sie ihn sagen:
»Ach einmal, einmal nur noch hören
Das Sternenlied von ihr, von ihr!
Und dann, o Tod, willkommen mir!«

O wie's da kalt sie überlief! –
Jetzt sah er auf. – »O guten Morgen
Herr Hofrath!« er zerstreut noch rief;
Dann aber kam er schnell zu sich.
»Ei, ei, was thut ihr so verborgen?
Ihr glaubtet wohl, daß jetzt ich schlief?
Doch seht: ganz munter schon bin ich,
Mit wachen Sinnen träumt' ich nur.«

Rasch trat die Mutter jetzt ihm nah',
Den Hofrath aber Schreck durchfuhr,
Als er sein seltsam Auge sah.
O dieser Glanz bedeutet Tod! –
Und wie er gar die Hand ihm bot,
Da dacht' er an das Sternenlied,
Das sterbend er noch hören mochte.
Und wie ein Stündlein drauf er schied,
Und aufwärts stieg zum Irrenhaus,
Gar wundersam das Herz ihm pochte –
So Wundersames sann er aus.

* * *

[361] Jetzt ist es tiefe, stille Nacht;
Die Erkerfenster offen stehen.
Auf feierlicher Himmelsflur
In milden Vollmonds Hirtenwacht
Die Sternenlämmer weiden gehen,
Ihr Vließ durchzittert den Azur.
Die Nachtigallen jauchzend klagen,
Süß duftet der Hollunderbaum;
Und Odilo liegt wie im Traum,
Den Mutterarm um's Haupt geschlagen;
Daß er im Sterben, merkt man kaum.
Die Base und der Cyprian
Sie knieen schluchzend im Gebet. –
Und in dem Zimmer nebendran
Der Vater bei der Tochter steht,
Und flüstert Muth und Trost ihr zu;
Die sitzt voll überird'scher Ruh'
Gleich einem Engel am Klavier.
Wohl oft versagt der Finger ihr,
Und muß sie schwer nach Odem ringen.
Und doch, sie will's – ihr muß und muß
Dieß letzte Opfer noch gelingen,
Anstatt dem letzten Scheidekuß
Den Liebsten in den Tod zu singen.

Und in dem Erkerzimmer drinnen
Durch dieser Töne Zaubermacht
Jetzt Odilo nochmal erwacht;
Dann aufgerafft in letztem Sinnen
Er sterbend zu den Sternen sieht.
»O, welch ein Klang! – Angelica! –
[362] Der Himmel singt dein Sternenlied!
Fahr' wohl! – Ich fühl's: Du bist mir nah'!« …

Noch hatt' er letzten Lächelns Dank
Verklärt der Mutter zugenickt,
Und an ihr Herz das Haupt ihm sank.
Die küßt es noch, ganz schmerzerstickt,
Noch stets vom Sternenlied umklungen.
Dann hatte sich ihr Mutterherz
Voll Heldenstarkmuth aufgeschwungen:
»Nun hast, du Dulder, ausgerungen,
Dein Geist entschwebte sternenwärts!
Doch bleibt er unten auch bei mir,
Als Vorbild meinem Mutterschmerz.
Wie lang' auch währt's? Dann folg' ich dir,
Mit dir vereint allewiglich!« –
In tief Gebet verlor sie sich.
Da, unter heil'ger Thränen Rinnen,
Ward allzumal ihr ganzes Sinnen:
»Ergieb dich, bete, hoffe, trage!« …

Und feierlich verklang jetzt drinnen
Zum Sternenzelt die große Frage:

»Wohnt höheres Geschlecht darin,
Mit Geist und Herzen höh'rer Art?
Wird dieses Lebens Räthselsinn
Vielleicht einst dort uns offenbart?
fliegt unser Geist, stets mehr befreit,
Dereinst von Stern zu Stern vielleicht,
Bis er des reinsten Licht erreicht? –
Ach, Sterne, sagt mir: was ihr seid!« …


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