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Im stattlichen Kapitelsaal
Des Klosterstifts Mariagnaden
Stehn jetzt, zum Frührapport geladen,
Neun Mönche nach des Abtes Wahl.
Von weißer Woll' ist ihr Habit
Mit Rosenkranz und Gürtelschnur,
Das Haar von kurzem Doppelschnitt.
So stehn sie All' in Positur,
Die Patres rechts, die Fratres links,
Gewärtig des Prälatenwinks.
Voll strömt der Frühlingsmorgenschein
Durch hohe Bogenfenster ein.
Rings hängen die Prälatenbilder,
Im Mönchstalar, vom Kreuz umfunkelt,
Bald farbenfrisch, bald nachgedunkelt,
Bald ernst und streng, bald frohsinnsmilder,
In vollster Kraft wie längst Ergraute;
Vom ersten Abt, der's Kloster baute,
Und den nun Heil'genschein umwebt,
Bis auf den letzten, der noch lebt.
[22] Und sieht man Abt Johannes jetzt
Mit klugem Aug' behäbig breit,
Als Urbild der Gemüthlichkeit,
Auf hohem Lehnstuhl hingesetzt,
Da er mit schmunzelnd schelm'schem Mund
Bald rechts, bald links hinüberschielt,
Und mit dem goldnen Kreuze spielt –
Dem thut der erste Blick schon kund,
Daß er nichts auf Ascese hielt. –
Viel mehr, als deren herbe Frucht,
Und sich auf Mystik zu verlegen,
Liebt er den goldnen Aehrensegen,
Den Weinbau und die Rinderzucht.
Denn, da er einst Jahrzehnte lang
Das reiche Klostergut verwaltet,
Und exemplarisch drin geschaltet,
Kann er's aus altgewohntem Hang
Nun auch als Abt nicht völlig lassen,
Sich mehr mit ird'scher Dinge Gang,
Als dem der ew'gen zu befassen.
Und doch – im weiten Klosterland
Man Acker nicht noch Weinberg fand,
Darauf in wärmerm Sonnenstrahle
So Korn wie Wein zur Frucht erblühte,
Als wie in dieses Manns Gemüthe
Der Liebe Kern in rauher Schale.
Zunächst in dieser Audienz
Vorm Abt steht der Novizenmeister,
Der strenge Pater Innocenz,
Bewährt im Bannen böser Geister.
Grau sticht sein Aug' aus engen Spalten.
[23] Im langen Kopfe, gelblich fahl,
Wie's der Asceten Colorit,
Stehn eingekerbt tiefriss'ge Falten.
Aus ehrner Stirne, weithin kahl,
Springt vor der Nase scharfer Schnitt;
Es sind die Lippen selten schmal,
Wie zum Geheimniß stets verschlossen.
Und steif und hager aufgeschossen
Blickt er so grämlich düster drein,
Als müss' er heimlich leidend sein.
Daneben steht, gar wohl genährt,
Im Feld wie Stalle gleich bewährt,
Mit blühend fleischigem Gesicht,
Das Jeden für sein Amt besticht,
Vincenz, der Pater Gutsverwalter. –
Vergnüglich schmunzelt vor sich hin
Als Dritter, Pater Florentin,
Der Kellerschätze Reinerhalter.
Das ganze Kloster würdigt ihn
Um seine feine Kennerschaft
Im nectargleichen Rebensaft;
Und seine Nase, deß zum Ruhme,
Umfunkelt ros'ge Weinesblume.
Der Säckelmeister folgt sodann.
Sein borstig Haar ist feuerlicht
Und ganz verrechnet sein Gesicht.
Sylvester heißt
der wicht'ge Mann.
Der weiß im Kopfe wie der Blitz,
Was tausend Gnadenmessen tragen,
Und wie die Stunde sie verzinst.
[24] Vor seinem scharfen Rechnerwitz
Liegt wie ein Hauptbuch aufgeschlagen
Des Klostergutes Reingewinnst;
Und wohl im Jahr vieldutzendmal
Schlägt er den Klostersäck um.
Sein ganzes Denken ist nur Zahl –
Ein wahrer Schatz für's Heiligthum!
Als Letzter, seitwärts abgewandt,
Steht sinnend der Ceremoniar,
Der Pater Theophil genannt.
Der ordnet jede Pilgerschaar
Beim Umgang durch das Gotteshaus,
Theilt alle Gnadenmessen aus,
Bestimmt der Weihgeschenke Platz,
Und hütet auch den Kirchenschatz.
Doch da er einstens manches Jahr
Der Heiden Glaubensbote war,
Bis böses Fieber heim ihn trieb –
Ihm auch noch der Bericht verblieb
Für afrikanische Mission,
Drin heut noch mancher Klostersohn.
Welch edler Kopf! – Sein Leib wie schlank!
Und diese vornehm geist'gen Mienen! –
Ein Heil'genmaler sagt' ihm Dank,
Wollt' er ihm zum Modelle dienen.
Vom Abte rechts stehn in dem Saal
Die Laienbrüder aufgestellt,
Jedweder ein Original
In dieser innern Klosterwelt.
[25] Der Bruder Koch Ambrosius
Nimmt schicklich ein den ersten Rang;
Und wie er trefflich kochen muß,
Deß ist er selbst sein Lobgesang.
Wer schaut dieß Bäuchlein, kugelrund,
Und dieser Backen feiste Kissen,
Der mag wohl nur mit nassem Mund
Ein Pröbchen seiner Kochkunst missen.
Vom Stock gestützt steht nebendran
Der Bruder Gärtner Cyprian.
Er geht auf einem Fuße lahm.
Sein Blick erzählt von stillem Gram,
Und selten sieht ihn lachen Einer.
Doch, da gefällig er, wie Keiner,
Hat ihn das ganze Kloster lieb.
Er selbst ist nur der Blumen Freund
Und freut sich an der Bäume Trieb.
Der Klostergarten, dornumzäunt,
Ihm nun die ganze Welt umhegt.
Und doch, wie ist zerlumpt, gebräunt,
Er in ihr einst umhergestreunt,
Da Feuer ihm in's Grab gelegt
So Weib wie Kind und Gärtnerhaus,
Und ihm, da er sie retten wollte,
Auch noch der Schutt das Bein zerschlug!
Da zog er als ein Bettler aus,
Sein Herz mit Erd' und Himmel grollte,
Und jede Schmach sein Schmerz ertrug.
Doch endlich hatt' er's doch genug
An solch trübsel'ger Wanderschaft.
Mit der Ergebung Dulderkraft
[26] Zog er in's Kloster sich zurück
Sammt dem verkohlten Lebensglück.
Und nur, wann oft sein Mütterlein,
Selbst gramgebeugt, kehrt bei ihm ein,
Dann spricht er, doch mit dieser nur,
Von Weib und Kind ein traurig Wort.
Sonst lebt er schweigsam sinnend fort
Im Trösterumgang der Natur.
Als Dritter in der Reihe steht
Der Bruder Schneider Benedict,
Schiefschultrig und entstellt durch Pocken,
Ein Scrupulant und auch Ascet,
Mit heil'gen Sprüchen ganz bespickt.
In schwarzen Philosophensocken
Stets grübelnd auf dem Nadelthron
Vorm Lappenhöllenloch zu hocken
Die Schneidermeditation
Hat ihm schon längst den Kopf verdreht.
Stets denkt er nur an's Weltgericht,
Und daß gar bald – wann? weiß er nicht –
Die sünd'ge Welt zu Grunde geht.
Doch flüsternd nur davon er spricht,
Wie wenn durch's Laub der Herbstwind weht.
Auch wird er meist beim Vollmondschein
Gequält vom Andrang böser Geister.
Die reden dann sogar Latein.
Und kaum sie der Novizenmeister
Dann auch zur Hölle heimgeschickt,
Sie wollen immer wieder wohnen
Im Höckerleib des Benedict –
Und gleich auf einmal Legionen.
[27]
Und endlich macht der Reihe Schluß
Der Bruder Jäger Willibald,
Gleich fix in Wasser, Feld und Wald,
Mit Angelruth' und Büchsenschuß.
Ein eichenstämm'ger Waidgesell
Mit luftgegerbtem Fischerfell
Und sehnenstarker Knochenhand –
Gar seltsam steht ihm Mönchsgewand.
Doch sieht man ihm in's Auge tief,
Da schaut man was, wie altes Weh,
Das, eingeschlummert, doch nicht schlief. –
Einst ging in tiefem Waldesschnee
Er spüren nach versprengtem Reh,
Und wie sich dann sein Schuß entladen,
Da fand im Busch er statt dem Wild
Den besten seiner Kameraden
Als todesröchelnd Jammerbild –
Das trieb ihn nach Mariagnaden. –
Wer jetzt im Walde wie am Bach
Ihn jagen oder fischen sieht,
Und wer oft hört sein Waidmannslied,
Und zwischendrein ein heimlich Ach –
Der schaut den Jäger sinnend an:
Welch ein Geschoß ihm weh gethan?
Und wirrt in's Fragennetz sich ein:
Was mag wohl diesem Fischer sein?
* * *
Schon hat ein Jeder nach der Reihe
Dem Abte pünktlich referirt,
Werktäglich einfach, wie voll Weihe
Nach jedes Mönchs Temperament.
[28] Kein Wort dabei der Abt verliert,
Bevor er nicht das Ganze kennt
Im bunten Ineinanderweben.
Und erst, da Bruder Willibald
Den Schluß gemacht mit Teich und Wald,
Beginnt er,
dem Bescheid zu geben:
»Duckenten also waren's bloß,
Die uns das Bäuerlein gewildert?
Das nehm' ich nicht so rigoros.
Schmeckt doch ihr zähes Fleisch nach Thran,
Was das Verbrechen höchlich mildert!
Ja, wär's ein Schnepflein, ein Fasan
Ei, ließ' ich gleich in's Loch ihn stecken!
So aber sei's genug am Schrecken!
Mich dauert nur sein armer Zahn.
Doch lass' er sich das Brätlein schmecken!«
Der Bruder Jäger neigte sich,
Wie auch der Aerger ihn beschlich,
Daß Jener keine Straf' erlitt.
Schnell rief der Abt dem Gutsverwalter:
»Bestellt also den Kälberschnitt!
's ist höchste Zeit nun für ihr Alter.
Doch unsre überfetten Rinder,
Die soll der Wolf nur lassen laufen!
Der Moses wird sie schon drum kaufen.
Zweitausend Thaler und nicht minder!
Die Kälber sind jetzt auch nicht billig.«
Und zum Gehorsam immer willig
Der Pater Vincenz freundlich nickte,
[29] Als drauf mit stillem Wohlgefallen
Der Abt dem Liebsten ihm von Allen,
Dem Theophil in's Auge blickte.
»Wie viel, sagt ihr, daß Mohrenknaben
Die heil'ge Tauf' empfangen haben?«
Der sagte wie verklärt: »Schier hundert.«
»»Nicht
mehr?«« sprach drauf der Abt verwundert,
»»Und fünf der Patres haben's Fieber!
Ei ja, ein Facit, recht profitlich!
Und so geht's Jahr um Jahr durchschnittlich.««
Drauf ärgerlich die Hände rieb er,
Und sprach mit zweifelnden Geberden:
»Na, na, wenn sie's nur auch begreifen,
Und auch die Herzen christlich werden,
Daß drin auch Christi
Früchte reifen!
Ach, schon für manchen Klostersohn,
Den uns dieß Africa begraben,
War nicht ein Tausend Negerknaben
Vollwichtiger Bekehrerlohn.
Man hat Exempel schon davon.«
Und Theophils mildreich Gesicht,
Das sagt' erröthend was, wie: »leider!«
Doch seine Zunge sprach es nicht.
»He, Säckelmeister!« rief Johannes,
»Seid jetzt einmal ein Beutelschneider,
Und rollt, denn unser Geldsack kann es,
Dreitausend Thaler auf die Hand!
Der armen Patres Fieberkeim
Darf nicht erst lang zum Ausbruch kommen.
Sie müssen aus dem Mohrenland
[30] So schnell als möglich zu uns heim!
Genug schon sind sie mitgenommen;
Nun heißt es, ihre Pfleger sein.«
Sylvester wandte jammernd ein:
»Dreitausend Thaler? Gott! wie viel!
Auch mit der Hälfte läßt sich's machen.«
»»Na gut!«« sprach drauf der Abt mit Lachen,
»»So reitet auf dem Besenstiel,
Statt auf dem Geldsack hier zu sitzen,
Zur Höllengluth von Africa,
Um euern Geiz dort auszuschwitzen!««
Beschämt Sylvester vor sich sah,
Schon jetzt von schadenfrohen Witzen
Die Ohren heimlich vollgeraunt.
Drauf trieb der Abt gleich froh gelaunt
Den Kellermeister in die Enge:
»Ganz recht! so kauft die Fässer ein!
Giebt's heuer doch wohl Wein in Menge!
Doch sagt einmal, Herr Kellermeister!
Was ist's denn mit dem ›Klosterstein‹?
Der schmeckt ja süß, wie Cyperwein,
Und pappt im Mund wie purer Kleister.
Ei, ei, daß solchem Practicus
Ich das Recept verrathen muß!
Gießt doch was ›Pfaffenberger‹ drein!
Dann mag's ein Götterweinchen sein.«
Und kaum mit sauersüßem Schmunzeln
Sich Florentin vorm Abt verneigte,
Zog dieser seine Stirn in Runzeln
[31] Und kalt auf Innocenz er zeigte:
»Wohl denn, Herr Pater Innocenz:
Schickt den Novizen einfach weiter!
Ein Faulpelz ist er und ein Streiter,
Und Fleiß muß sein, wie Obedienz.«
Dann sprach er wieder völlig heiter:
«Doch schier vergaß ich's –
à propos!
Des sel'gen Doctors Odilo,
Ein Bürschlein, selten gut gerathen,
Tritt noch heut Abend bei uns ein.
Den laßt euch hoch empfohlen sein!
Und wird er einst, gleich seinem Pathen,
Durch Wissenschaft dieß Kloster zieren,
Kann unser Stift sich gratuliren.«
Doch des Novizenmeisters Mienen
Verdüstert nur zu sagen schienen,
Wie wenig ihm der Tausch behagte.
Der Abt ging drüber weg und schnell
Den Theophil er wieder fragte:
»Wie schwer ist jene Wachsfigur,
Die nach des eignen Leibs Modell
Der zipperleingeplagte Bräuer
Vierspännig in den Hof uns fuhr?«
»Schier dritthalb Centner!«
»»Na, ich danke.
Ein wahrhaft wächsern Ungeheuer!
Und auch noch sammt dem ries'gen Schranke –
Herrje, das kam ihm wohl hübsch theuer!«
Entgegnete er in laun'gem Ton.
[32] Dann aber klang's wie scharfer Hohn:
»Und, vorne gleich beim Frau'naltare,
Beansprucht er gar demuthsvoll,
Daß man zur Schau ihn stellen soll? –
Natürlich! – Aber Gott bewahre,
Daß ich auch noch dem Geldstolz diene!«
Und feierlich ward seine Miene:
»Ihr wißt, wie herzlich stets mich's freute,
So oftmals arme Wallfahrtsleute,
Die herwärts Leid und Gram beschwerten,
Trostreich und leicht nach Hause kehrten.
Auch das schließt oft ein Wunder ein,
Mehr, als der Reichen Badecur.
Doch dieses Crösus Zipperlein,«
Er augenzwinkernd weiterfuhr,
»Hinkt, fürcht' ich, wieder nach zeitweilig,
Ist katzenzäh' doch deß Natur!
Und war mit dieser Wachsfigur
Der Wunderdank etwas zu eilig.
Drum – zu des richt'gen Wunders Ehren,
Wie auch, um Witzeln abzuwehren:
Laßt diesen Dritthalbcentnerriesen
Dem Publicum den Rücken kehren,
Bis sich das Wunder mehr erwiesen!
Doch, da wir später ohnedem.
Aus diesem Bräuer Kerzen gießen,
Was immerhin uns höchst genehm –
Wie ist's dann Schad' um's Modelliren,
Sammt all dem Kleiderausstaffiren,
Deß Kosten könnten ganz bequem
Manch armen Teufel glücklich machen! –
Mein Gott! – was sind das heikle Sachen!«
[33]
Vincenz und Florentin, die Zwei,
Sie stimmten seinem Seufzen bei.
Selbst Theophil's so frommer Sinn
Erkannt' ein gut Stück Wahrheit drin.
Nur Innocenz vor Zorn entbrannte
Ob solchem Witzeln, gottvermessen,
Wie er das Wort des Abtes nannte,
Der harmlos heiter sich indessen
Zum Cyprian, dem Gärtner wandte:
»Die Blumenzwiebel sollt ihr haben!
Doch sagt: wann giebt's denn frische Bohnen?
Auch fehlen noch die Frühkohlraben.
Nicht Blumen nur das Treibhaus lohnen.
So denkt mit prakt'schem Gärtnersinn
Doch künftig besser auf Gewinn!«
Schier traurig beugte Cyprian
Das eine Knie, denn weh gethan
Hatt' ihm des Abtes tadelnd Wort.
Der sah's und tröstend fuhr er fort:
»Auch hört' ich gestern nebenbei:
Schwer krank nun eure Mutter sei.
Nun wohl, von jetzt an, daß ihr's wißt,
Sie unsres Klosters Pflegling ist.
Noch heute werd' ich nach ihr sehen.
Auch dürft ihr selbst hinuntergehen!
Und merkt ihr, daß ihr Ende nah',
Dann bleibt sogleich nur bei ihr da,
Und grüßet sie noch schön von mir!
Bei solchem guten Mütterlein
[34] Muß solch ein treuer Sohn, wie ihr,
Auch in der Sterbestunde sein.«
Und Cyprian zum stummen Dank
Mit Thränen vor ihm niedersank.
Selbst den Prälaten weich es machte,
Da er der eignen Mutter dachte,
Die längst der Rasen schon bedeckte.
Dann, trotz der Thräne leisem Flor,
Sogleich sein stichelnder Humor
Den Hausherrn der Dämonen neckte:
»He, Benedictus, Meister Schneider!
Noch heute schick' ich euch zwölf Knaben,
Und Tuch für neue Sonntagskleider,
Die sie auf Ostern müssen haben.
Doch geb' ich euch den weisen Rath,
Daß ihr bei diesem Sonntagsstaat
Mehr an solide Stiche denkt,
Als euch in's Weltgericht versenkt,
Das sicher noch so bald nicht naht!
Denn schaut an meinem Aermel doch
Dieß jämmerlich gesteppte Loch!
Dran hat gewiß höchst ungeschickt
Ein böser Geist mit dreingeflickt.«
Vergeistert ganz sah Benedict
Hinüber zum Novizenmeister,
Als wollt er ihn zu Hilfe holen.
Der grollt' in sich hinein verstohlen,
Hatt' er doch selber diese Geister
Dem Schneider immer ausgetrieben!
[35]
Jetzt war der Koch noch übrig blieben,
Schon längst verwöhnt durch stetes Lob.
Doch heut wie kalter Wasserguß
Des Abtes Tadel ihn umstob:
»Und ihr, Mosje Ambrosius,
Der ihr auf eure Kunst so pocht,
Als könn' euch kein Franzos' erreichen –
Daß ihr nicht nochmal Suppe kocht,
Als gut genug für Bettelleute,
Für Handwerksburschen und dergleichen,
Die schier zu schlecht für Hundemeute!
Glaubt ihr, es könn' ein Bettlermagen
Nicht auch was Kräftiges vertragen? –
Drum rath' ich: besser aufgepaßt,
Auch als der Bettelsuppe Koch!
Ist jeder Arme bei uns doch
Im Grund nur unsres Herrgotts Gast!
Und schwere Sünd' ihr fürchten müßtet,
Wenn ihr, da euch Pastet' und Braten
Für
uns höchst delicat gerathen,
Für'n Himmel nur zu pantschen wüßtet.«
Verschnupft durch diese Wasserspritze
Der Koch auf's runde Bäuchlein sah. –
Schwerfällig hob vom Sesselsitze
Der Abt sich auf und stand nun da,
So recht als stämm'ger deutscher Mann,
Deß Schulter schon was tragen kann.
Dann freundlich grüßend allzumal,
Nur etwas kalt den Innocenz,
Verläßt er festen Schritts den Saal.
Geendigt ist die Audienz.
[36]
Wie drin der Abt auch abgeschweift,
Und stets vom Ernst zum Scherz gestreift –
Sein kluges Wissen von der Welt,
Hat doch das Uhrwerk neu gestellt,
Daß Alles gut zusammengreift.
Manch edles Samenkorn ward heut
Von seinen Händen ausgestreut. –
Und draußen, welch ein Frühlingsleben! …
Mit Jubelsang in sonn'gem Reigen
Die Lerchen in den Himmel steigen.
Um Blüthenkelche Bienen schweben,
Draus süßen Honig heimzutragen,
Und frühlingswarm die Herzen schlagen.
Ein Einz'ger nur, ein eis'ger Mann,
Dem nie die Liebe noch gefallen
In seiner Menschenfeindschaft Bann,
Schlich brütend durch die Klosterhallen. –
Und wem er jetzt wohl Böses sann? …
In seinem eignen Wohngemach,
Wie täglich zur Siestazeit,
Im Lehnstuhl Abt Johannes liegt.
Noch ist sein Auge völlig wach,
Das eben mit Behaglichkeit
Ein erst beschriebnes Blatt durchfliegt.
Dann spricht er selbstbewußt vergnüglich:
»Fürwahr, ich find' es ganz vorzüglich.
Viel Sinn in möglichst knapper Form,
So ganz nach klassisch alter Norm.
Auch deutsch nur war's doch immer schwierig.« –
Und sieh nur, wie geheim verschmitzt
Der Schalk ihm jetzt im Auge sitzt!
»Ei, ei, bin ich doch nun begierig,
Wie's wird dem Innocenz behagen!
Na, na, ich seh's schon: schwer wie Blei
Fällt dieses Lob ihm in den Magen.
Thut aber nichts; ganz einerlei!
Er lerne Wahrheit nur vertragen!«
Jetzt ward sein Aug' allmälig trüber.
Noch langt' er nach dem Tisch hinüber,
[38] Und als er kaum vom Moccatrank
Aus goldverbrämtem Porzellan
Den letzten Kennerzug gethan,
Sein Augenlid schon niedersank.
Tief lehnt' er in den Stuhl zurück,
In's Reich der Träume zu entschweben,
Und lallte noch: »Ach, 's ist im Leben
Der Schlaf doch noch das reinste Glück!«
Zum Gott, deß Stirn umkränzt der Mohn,
Sogleich dann auch sein Denken schied,
Und in sonorem Baryton
Brummt' er sich selbst das Schlummerlied. –
Doch, wen er träumend jetzt nun sah? –
Erst lag er pfiffig schmunzelnd da,
Und dann, als fiel' ihn Einer an,
Er wie zur Abwehr um sich fuhr.
Da – im Empfangssaal nebendran
Schlug eben Zwei die Pendeluhr.
Es pocht' an der Tapetenthür.
Schrill knarrend ward sie aufgethan –
Und Innocenz trat draus herfür,
Daß, aufgeschreckt aus erstem Schlaf,
Des Abtes blöder Blick ihn traf.
Noch traumverwirrt sprang er empor,
Und schrie, und hielt die Arme vor:
»Wer stiehlt hier wie ein Dieb sich ein?«
Doch Innocenz blieb kalt wie Stein.
»Verzeiht! wie ich auch ringsum sah,
War Niemand doch zur Meldung da;
Und da die Stunde grade schlug,
[39] Zu der ihr mich hieher befohlen,
Hab' ich aus Sorge vor Verzug
Höchst ungern hier mich eingestohlen.«
»Na, also gut!« warf hin der Abt,
»Wenn's pünktlich stets zusammenklappt!«
Und gähnend er die Augen rieb.
Dann setzt er wieder sich zurecht,
Dieweilen, wie vorm Herrn der Knecht,
Still lauernd Jener stehen blieb.
Der Abt begann: »So hört einmal!
Ich setz' in unserm Büchersaal
Dem sel'gen Pater Odilo
Ein Marmortafelmonument.
Gar sehr hat er verdient es so
Durch classisch Wissen, ganz stupend,
Humanität und Eloquenz.
Nun bitt' ich, Pater Innocenz:
Tradirt mir als ein Cicero,
Was ich hier deutsch schrieb als Sentenz!
Nicht classisch mehr ist mein Latein;
Zu lang mußt' OOeconom ich sein.«
Drauf nahm er das Papier vom Tisch,
Und reicht' es forschend ihm empor,
Im Aug' ein sonderlich Gemisch
Von Gravität und Schalkhumor.
Und Innocenz durchflog das Blatt,
Das seines Feindes Lob verbürgte.
Von neid'schem Groll ganz übersatt,
Er heimlich ihn hinunterwürgte.
[40]
Hei, herrschte da der Abt so scharf:
»Na, na, was giebt's da lang zu gucken,
Was zu verbergen und verschlucken,
Was man nicht gleich mir sagen darf?
Heraus damit! Nicht tolerir' ich's,
Daß man die Faust im Sack nur mache,
Und heimlich sich in's Fäustchen lache.
Nur offnes Spiel sei! – Und verlier' ich's,
Respect dann vor dem klügern Mann,
Der ehrlich mich bekehren kann!«
Hohnlächelnd sagte Jener dann,
Dabei er scheu das Blatt beschielt,
Das weit hinweg von dem Gesicht
Er jetzt gleich einer Prise hielt:
»Hochwürdigster Herr Abt, glaubt nicht,
Daß ich der Wissenschaft Gewicht
Nur unterschätz' um einen Gran,
Auch hat drin der gelehrte Pater
Es Allen uns zuvor gethan.
Mich stößt ein andres Steinchen an:
Er war als Mönch wie Beichtberather
Niemals so kirchlich ganz correct,
Weil eben heidnische Cultur,
Mit der zu zärtlich er verfuhr,
Sein Herz und Wissen angesteckt.«
»So? – Also angesteckt? – Nun ja,
Wie Aussatz, Pest,
et caetera!
Ei, ei, für class'sche Wissenschaft
Nenn' ich das classisch schmeichelhaft,«
Fiel drauf in beißendem Humor
[41] Johannes ein, mit Jähzorn ringend,
Der lüstern schon sein Herz durchgohr.
Doch, glücklich ihn noch niederzwingend,
That er jetzt einen vollen Griff
Aus goldner Dose Grund zur Nase,
Zu helfen dem Gedankenschiff,
Daß auch zur Fahrt die Brise blase.
Drauf in behaglichster Ekstase
Fuhr er hinaus durch Fluth und Riff,
Zu landen an der Kunst Oase
Im wüstensand'gen Alltagsleben.
Er sprach: »Mein Bruder in dem Herrn!
Wollt für mein geistig Ueberheben
Mir meine Keckheit jetzt vergeben!
Doch red' ich von der Leber gern,
Und kann einmal kein Munkeln leiden.
Und so denn meint' ich höchst bescheiden:
Was einmal ist als schön zu preisen,
Und je verdient hat, Kunst zu heißen,
Das muß doch ewig Kunst verbleiben.
Und 's ist mir dann ganz einerlei,
An welchem Baum die Frucht entsproß,
Und welche Kraft ihn machte treiben:
Ob nun der Strahl des Helios,
Ob unsrer Christensonne Licht;
Und ob auf des Olympos Höhn,
Ob auf dem Berge Golgatha –
Der Unterschied beschwert mich nicht.
Dünkt mir's nur wahrhaft groß und schön,
Und tritt es mir auch menschlich nah',
Gleich ist mein Lobgesang auch da,
[42] Und nach dem Glauben frag' ich nie.
Denn als das
punctum saliens
Dünkt mir als göttliche Erscheinung
Alleinzig nur die
Poesie.
Sprecht
ihr nun, Pater Innocenz,
Gleich ehrlich – Meinung gegen Meinung!«
Doch
Der devot, und doch so hämisch,
Sich gegen jedes Streiten wehrt,
Und deckt sich mit der Ausflucht Schild:
»Wie mich die heil'ge Regel lehrt:
Als
göttlich Abteswort mir gilt,
Und andre Meinung, gar polemisch,
Wär' also gleichviel, wie blasphemisch.
Drum ist nur Schweigen hier correct.«
Wie da vom Zorn gepackt sofort
Der Abt den Arm emporgestreckt!
»Correct, correct! – In diesem Wort
Für euch wohl alle Weisheit steckt,
Und alles Evangeliums Kern? –
Nicht wahr, mein Bruder in dem Herrn,
Sind wir im Kopfe nur correct,
Im Herzen aber höchst defect,
Und von der Liebe nie begnadet
Ei, was das unsrer Seele schadet?
Was liegt dran, wenn uns Neid befleckt,
Und Haß und Hoffahrt in uns steckt,
Wenn Freitags nur der Fisch uns schmeckt?
Die Form allein macht uns perfect.
Doch was sie vorstellt, was sie deckt
Der Christusliebe Heilseffect,
[43] Der einst die ganze Welt erweckt,
Ist dummes Zeug und incorrect!«
Erschöpft hielt von dem Zornergusse
Der arme Mann nun endlich inne,
Kaum merkend, wie im Rieselflusse
Der Schweiß ihm das Gesicht durchrinne.
Und wie auch jetzt noch schweigerkalt
Der Andre gegenüber stand,
Erhob sich neu des Abtes Hand:
»Heraus damit! – Hör' ich's nun bald?
So redet! Ich befehl's als Abt.«
Doch auf dieß flammende Geheiß
Sprach Innocenz so kalt, wie Eis:
»Weil ihr mir's denn befohlen habt,
So red' ich, Herr, als euer Knecht.
Doch was? – Wozu hätt' ich ein Recht?
Denn dünkt euch löblich, was mir schlecht,
Vollzieh' ich's
doch, gehorsam stumm.
Nur euer Wind treib' hier das Segel!
So lehrte mich's die Klosterregel
In
römischem Collegium.
Und was auf höchstem Lehrerstuhle
Das ew'ge Rom mocht' approbiren,
Wird deutscher Geist nie corrigiren,
Bedürftig stets der röm'schen Schule.«
»Ha, Rom! Was hat mir's zu dociren,
Es sei denn nur in Glaubenssachen?
Hier bin ich Abt in deutschem Land
Und kann nach eigenem Verstand
[44] In deutschem Geist zurecht mir's machen,«
Rief er auf den versteckten Tadel,
Der eben erst gleich gift'ger Nadel
Ihm die Achillesverse ritzte.
Und immer mehr er sich erhitzte:
»Was, diese windigen Romanen,
Nur schlau in Formen und Chicanen,
Die von dem deutschen Geist so viel,
Als wie der Hund vom Flötenspiel,
In ihren seichten Köpfen ahnen,
Die
uns Exempel sein? – Ha, nie!
Doch dreimal eher umgekehrt!
In
unsern Kirchen lernen sie,
Wie man voll Andacht Gott verehrt!
Und glaub' ich auch ganz sicherlich,
Daß jeder
deutsche Priester sich –
Eo fern er noch ein Deutscher
ist –
An innerlichem Christensinn
Mit Menschenlieb' und Wahrheit drin,
Doch keiner Spur von Pfaffenlist,
Mit jedem dieser Welschen mißt.«
Wie nun Johannes eben schwieg,
Ein solch unheimlich böser Hohn
In seines Gegners Auge stieg,
Und so erschrak der Abt davon,
Daß er mit zitternd hast'ger Hand
Dem Andern jenes Blatt entwand.
»Gebt her! – Will selbst den Spruch tradiren.
Er möcht' an Wahrheit sonst verlieren,
[45] Wenn euer Geist darinnen steckt.
Und lieber thu' ich's incorrect,
Doch ehrlich, wie ich's eben meine,
Als ihr mit nur correctem
Scheine,
Den alle Teufel mögen holen.
Wir Zwei sind fertig. Gott befohlen!«
Mit scheuem Auge wandt' er sich.
Der Andre kniete feierlich
Mit insgeheim geballter Hand.
Und wie er wieder aufrecht stand,
War er gleich wie aus Stein gemeißelt,
Denn mit ascet'schem Geistesstrick
Hatt' er sein Inn'res stumm gegeißelt.
Doch, mit der Schlange Haut und Blick,
Ward allzumal aus nächt'gen Tiefen
Der Rache Molch in ihm geboren,
Und dessen erste Laute riefen:
»Weh' dir nun, Abt! – Du bist verloren!« …
Ward das nach dieser Zorneshitze
Nun in dem Zimmer eine Schwüle,
So drückend schwer, wie vor dem Blitze!
Ach, ward dem armen Abte bang!
Und er sprang auf vom Lederpfühle
Und ging hinaus zum Lindengang.
Doch dort auch trotz der duft'gen Kühle
Das schwere Herz ihm schier zersprang.
Nach Ausschau in den weiten Grund
Trieb's fort ihn zum Platanenrund.
Ach, auch die noch so üpp'gen Saaten,
Zumeist des Klosters reiches Eigen,
Jetzt seinem Auge wehe thaten,
Als hing' ein düstrer Flor darüber.
Und wieder nieder mußt' er steigen.
Zum Meierhof ging er hinüber
Und schritt voll Hast von Stall zu Stalle,
In deren weitgewölbter Halle
In selten prächt'gen Exemplaren,
Die meistens schon der Preiskranz zierte,
Des Klosters Inzucht paradirte.
Doch, wie sie sonst sein Stolz auch waren,
[47] Auch diese Lust ließ ihn im Stich,
Und traurig wieder heim er schlich.
Nun bald die Sonne schon versank.
Stets noch vor Wehmuth völlig krank
Der Abt in seinem Zimmer saß,
Und jedes Wort, im Zorn gesprochen,
Er reuevoll im Geist durchmaß,
Als hab' er schwerste Schuld verbrochen.
Jetzt sprach er schmerzlich vor sich hin,
Und in die Hand das Haupt ihm fiel:
»O daß ich solch ein Zornkopf bin!
Kein Zweifel, ja, ich fehlte schwer,
Und schoß zu hitzig über's Ziel.
Und was that eigentlich denn er,
Daß solcher Zorn zu Kopf mir stieg?
Sein ganz Vergehn war, daß er schwieg. –
Hm, hm! Wie kann man nur so sein?«
Und wieder hielt er grübelnd ein.
Nur sich ganz schuldig zu befinden,
Und Jenen völlig zu entbinden,
Wollt ihm doch auch nicht in den Sinn.
»Doch freilich auch dieß eis'ge Lachen,
Der stumme Hohn und Haß darin,
Muß selbst ein Lamm zum Löwen machen.
Dann gar mit Rom dieß häm'sche Witzeln!
Er weiß doch, daß an keinem Fleck
Mein Jähzorn leichter aufzukitzeln.
Und warum war er doch so keck?«
Dann sprach er schon etwas erboster:
»Dieß ist einmal ein
deutsches Kloster.
[48] Und ist es auch römisch-katholisch,
Wie Petri Stuhl echt apostolisch –
Ich dennoch nicht begreifen kann,
Warum ich als ein deutscher Mann
Mich über Rom nicht ärgern darf,
Wo's irgend unserm Volk nur Steine
In seines Wachsthums Wege warf.
Und denk' ich nur an dieses Eine:
Wie's unsern Mahnruf einst verlachte,
Im Glauben uns zerrissen machte,
Den dreißigjähr'gen Krieg uns brachte,
Und all den spätern Glaubenshader –
Herrgott! wem da mit deutscher Ader
Und nur ein bischen Menschenliebe
Das Herz davon ganz ruhig bliebe! –
Ich geb' einmal
die Kunst verloren.«
Schon wollte neu sein Zorn rumoren,
Doch flugs, gleich wie ein zweites Wesen,
Begann er sich den Text zu lesen:
»Potz Blitz, willst du wohl jetzt pariren?
Mit diesem ew'gen Räsoniren,
Als sei dieß Rom der Antichrist,
Das doch der Kirche Centrum ist,
Und noch in
der zerfahrnen Welt
Die Christenheit zusammenhält! –
Das wäre mir die wahre Reue,
Die von den Knieen gleich auf's Neue
Den Gaul bestieg' als Hoffahrtsreiter!
Nein, Abt Johannes, Zornkopf du,
Du hast's gethan, nun büß' auch du!
Und sei ein andermal gescheidter!«
[49]
Doch wie dann schwieg sein bessres Ich,
Ihn noch der böse Feind beschlich,
Und sprach zu ihm das Schlangenwort:
»Was thust du dir nur solchen Tort,
Und willst als Abt den Büßer machen,
Daß deine Feinde drum nur lachen?
Jag' diesen Teufel aus dem Amt!
Und schreib' der röm'schen Spionage
Den deutschen Laufpaß! – Nur Courage!
Das danken dir noch allesammt.
Doch duckst, du dich – o dann gieb Acht:
Autorität – Respect – gut Nacht!«
Da stutzt der Abt – er schmunzelt schon …
Doch wie mit einem Mal ihm graust!
Und in die Luft ballt er die Faust.
»Schau, schau,
der höllische Cujon,
Setzt
der mir einen Floh in's Ohr!
Doch wie ich dich nach Hause schicke!«
Und mit erregtem Siegerblicke
Fährt er zur Klingelschnur empor. –
Ein Laienbruder vor ihn tritt. –
»Ruft Theophil!« der Abt gebot,
»Und auch die Stola bring' er mit!
Dann weiß er schon, wozu er noth.«
Und zu des Paters Zellennummer
Enteilt der Mönch mit leisem Schritt.
Darauf mit stillem Reuekummer
Greift zum Brevier
der edle Mann,
Die Psalmen Davids durchzubeten,
Um bußbereit zur Beichte dann
[50] Vor Theophils Gericht zu treten,
Und, noch vor Abend losgesprochen,
Bei Innocenz trotz jenem Lachen
Durch Abtesdemuth gut zu machen,
Was Manneszorn an ihm verbrochen.
* * *
Und zu derselben Abendstunde
Saß Innocenz mit Zwei'n im Bunde –
Gleich ihm so Hasser wie auch Neider –
Dem Säckelmeister und dem Schneider.
Durch's dicke Bogenrund der Zelle
Fiel's schon herein, wie Zwielichthelle.
Plump war Sylvester hingesetzt,
Voll heil'ger Scheu der Bruder stand.
Auch Innocenz erhob sich jetzt,
Und las vom Blatt in seiner Hand:
»Punkt Eins: so Fraß wie Völlerei,
Unfläth'ger Schwank und Witz – Punkt Zwei.
Punkt Drei: Anklage wegen Spottes
Auf unsre heil'ge Mission.
Punkt Vier: frivoler Wunderhohn;
Punkt Fünf: Schmähung der Muttergottes.
Punkt Sechs: der Teufel Negation,
Und somit Hohn auf mich – Punkt Sieben,
Der ich
die Teufel ausgetrieben.«
Dann sprach er mit gesenkter Hand:
»So hab' ich Alles hergeschrieben,
Für unsern ganzen Ordensstand
Zur ernsten Warnung und Belehrung,
[51] Dem Abt jedoch zur Sinnbekehrung.
Ich schrieb's in all der Unsern Namen,
In denen noch des Glaubens Samen
Nicht als ein Unkraut wuchert. – Amen.«
Der Säckelmeister nickend lachte,
Und rieb die Hände sich dabei,
Als ob's ein gut Geschäftchen sei.
Der Schneider aber stellte sachte
Ein Kruzifix zum Testament,
Zwei Lichter dann auch rechts und links,
Und Innocenz sprach strengen Winks:
»Erhebt die Hand nun und bekennt
Bei Seligkeit und Höllenqual;
So wahr euch eure Seele lieb,
Daß ihr heut im Kapitelsaal
Gehört, was ich hier niederschrieb!«
»Ich schwöre!« keck Sylvester sprach,
Die Finger hoch emporgestreckt.
Der Schneider flüstert' es ihm nach,
Wie Espenlaub, vom Wind geschreckt. –
»Nun noch des Namens Signatur!«
Der Andre herrisch weiterfuhr.
Und, als wär's eine Quittung nur,
Wie stündlich sie vor's Aug' ihm kamen,
Mit also flüchtig fester Hand
Schrieb drauf Sylvester seinen Namen
Sammt künstlich wirrem Schnörkelband.
Jedoch dem armen Schneiderlein
Aus Angst und auch Gewissenspein
Es Riß und Stoß im Höcker gab.
[52] Oft setzt er an und wieder ab,
Bis zitternd er zurecht geflickt
Den heil'gen Namen: »Benedict.«
Wie
die das Blatt gezeichnet hatten,
Bestreut es Innocenz mit Sand.
Und ihm ward also wohl davon,
Als ständ' er bei des Abts Bestatten,
Ganz nahe schon am Grabesrand;
Als ob
der Sand die Scholle schon,
Die er noch des Erschlagnen Schatten
Mit triumphirender Geberde
Nachwürf' als letzt Valet der Erde.
* * *
Und wieder zu derselben Stunde
Vom Erkerhaus im Thalesgrunde,
Bald mitten durch ein kühl Gezweige,
Und bald auf sonn'gem Felsensteige,
Zum Kloster Sohn und Mutter schritt.
Leichtfüßig war des Jünglings Tritt
Auf den so oft durcheilten Treppen.
Frau Walburg aber keuchte sehr.
Sie mußte ja noch centnerschwer
Ihr Mutterherz mit aufwärts schleppen.
Zum Ruheplatze sie nun kamen,
Der, ausgelichtet wie ein Rahmen,
Des Thalgrunds lieblich Bild umfangen.
Auf die von Moos umbrämte Bank,
Von Buchenästen rings umhangen,
[53] Todmüd erst Walburg niedersank,
Und Odilo sich zu ihr setzte.
Das Abschiedsleid sein Auge netzte,
Doch nicht
ein Wort er sich getraute.
Da, plötzlich in sich aufgerafft,
Frau Walburg gegen Himmel schaute,
Und mit erneuter Opferkraft
Hub sie ergebnen Wortes an:
»Ach, guter Sohn, bald ist's gethan,
Und du bist an dein Ziel gekommen!
Dann heißt es: Abschied noch genommen!
Noch Hand und Kuß dann für uns Zwei! –
Und ist vollbracht – und 's ist vorbei!« …
»Vorbei?« – erwidert' Odilo,
Erstaunt ob diesem Mutterwort.
»Was ist vorbei? – O sprich nicht so!
Du willst mir doch nicht wehe thun?«
Und hochbegeistert fuhr er fort:
»O sag' mir, Mutter! – Wenn ich nun
Auf der Vollendung Himmelsleiter
Die erste Sprosse heut betrete,
Und dann im Wandel wie Gebete
Stets weiter steig' und immer weiter,
Bis ich das höchste Ziel erklommen –
Bin ich dir dann hinweggenommen,
Nur, weil ich um so besser sei?
Nein, Nichts ist zwischen uns vorbei!
Nur hab' im Himmel und auf Erden
Ich bald statt
einer Mutter zwei.
Dein bin ich – ihr Sohn will ich werden.«
[54]
Doch jetzt, statt aller Antwort, stumm,
Wie bei des Vaters Todtenwacht,
Schlug sie mit heil'gen Schmerzes Macht
Den Mutterarm ihm weinend um,
Indeß mit Fahnen mühsam schwer
Ein Pilgerzug zum Kloster wallte.
Und von dem breiten Fahrweg her
Der Mädchenchor herüberhallte:
»Maria, Mutter du des Herrn,
Wir ziehn zu deinem Gnadenort.
Du Himmelspforte, Meeresstern,
Sei uns im Sturm ein Gnadenport!
Geheimnißvolle Rose du!
Du Spiegel der Gerechtigkeit!
Sei unser Schild im letzten Streit,
Und führ' uns deinem Sohne zu!
O clemens, o dulcis, o pia!
Ora pro nobis, virgo Maria!«
Frau Walburg lauschte stumm und bang.
Und jetzt auf dieses Liedes Schwingen
Auch Odilo sich aufwärts rang:
»O hörst du's, Mutter, wie sie singen,
Die
Gottesmutter zu begrüßen?
Und, o bedenk, wie viele Meilen,
Mit bloßem Haupt und müden Füßen,
Sie wohl zu ihrem Bild schon eilen,
Um Leibes- sowie Seelenleiden
Durch seine Wunderkraft zu heilen!
Und ich, dein Sohn, darf heute noch,
Um niemehr, nie von ihm zu scheiden,
[55] An diesem Gnadenorte weilen!
Ach, Mutter, Mutter, faß es doch:
Wie ist mein Leben zu beneiden!«
Doch, wie sein Wort auch feurig klang,
Kalt nur fiel Mutter Walburg ein:
»Ach, liebster Sohn, laß wahr mich sein!
Wohl hört mein Ohr der Pilger Sang,
Doch, wie schon all mein Leben lang,
Läßt er auch jetzt das Herz mir kalt.
Nur schlichtes, evangel'sches Wort
Lebendig in ihm widerhallt.
Es weiß von keinem Gnadenort,
Drin Wunder wirkt ein hölzern Bild,
Da mir des Herren Helferschild
Nur als allgegenwärtig gilt.«
Und nach dem etwas herben Ton,
Wie bat sie nun so muttermild:
»Doch o, vergieb mir, liebster Sohn,
Daß ich dir jetzt nicht folgen konnte! –
Ach, war in
jener Liebe Reiche,
Die uns daheim das Haus durchsonnte,
Denn unser Herz nicht stets das gleiche?
Und als wir zwei den Vater pflegten,
Durch manchen Tag und manche Nacht,
Bis wir in's Grab ihn niederlegten,
Versöhnte
dieser Liebe Macht
Nicht jedes Glaubens Unterschied? –
O dieser höchsten Liebe Lied,
Des sel'gen Vaters Schwanensang,
Das Beide wir gleich gut verstehen –
[56] Das laß jetzt unser Herz durchwehen,
Daß auch nach diesem Klostergang
Mit diesem gleichen Friedensklang
Wir Zwei dann auseinandergehen,
Und allzeit auch uns wiedersehen.«
»Ja, Mutter, ja! – So soll's geschehen!«
Sprach Odilo und küßte sie.
Und wiederum sie aufwärts stiegen.
Da wankt' auch ihm das junge Knie.
Und fortan Beide sinnend schwiegen.
Der Abendsonne purpurn Meer
Durchfluthete mit vollem Strahl
So Strom wie Auen, Berg und Thal.
Nicht
eine Wolke weit umher,
Die glanzlos durch den Aether triebe! –
Und von des Vaters Grabeshügel
Trug's her der Lenzluft weicher Flügel:
»
Der Menschheit Höchstes ist die Liebe!«
Wer den Empfangssaal des Prälaten
Urplötzlich jetzt betreten hätte,
Wie durch ein Wunder hergeflogen –
Wer möchte wohl darin errathen,
Daß er in einer Klosterstätte?
Von seidenen Gardinenwogen
Wird mild gedämpft der Sonne Blenden,
Matt schimmernd auf dem Holzparkette.
Von goldnem Tulpenkelch durchzogen
Glüht rother Sammet von den Wänden.
Und rings zerstreut stehn Sophapfühle,
Dazwischen bunt gestickte Stühle,
Das fromme Werk von Damenhänden.
Trophäen aus dem Mohrenland
Umhängen malerisch die Wand:
So Köcher, Bogen, Speere, Pfeile,
Und Federbüschel, farbenbunt,
Sammt der Bekehrten Seelenheile
Einst hergeschickt von Missionären
Aus Wüstensand und Urwaldgrund.
Auf blanken Spiegeletagèren
Stehn in kostbarem Allerlei –
[58] Die Fächer können's kaum mehr fassen –
Nippsachen, Gläser, Krüge, Tassen,
Ein kunstreich Spielwerk auch dabei. –
Ein feiner Mönchskopf einst ersann es. –
Doch daß dem guten Abt Johannes
Drum kein Besucher werde gram,
Denn schon vom vorigen Prälaten
Aus ahnenstolzem blauen Blut
Er all den Flitter übernahm.
Nun mochte deß zwar leicht entrathen
Der Sohn aus armem Bauerngut,
Doch ließ er Alles wie zuvor.
Nur mitten zwischen Sammt und Seide
Stellt er sich einen Stuhl von Rohr.
Und in der Bildergallerie
Von ziemlich ird'scher Augenweide
Prangt' eines Bauern Bild sammt Frau.
Von brüderlichem Malgenie
Nicht ein gewaltig Meisterstück,
Doch stets empfand in dessen Schau
Er neu der Kindheit harmlos Glück,
Weil er mit allzeit treu'stem Lieben
Ein dankbar guter Sohn verblieben.
Jetzt treten aus dem Corridor –
Ein junger Mönch war ihr Geleit –
Frau Walburg und ihr Sohn zum Saal.
Aus der Tapetenthür hervor
Kommt der Prälat zu gleicher Zeit.
Wohlwollend grüßt er, und zumal
Heißt er mit güt'ger Handbewegung
Auf seidnem Pfühl die Mutter sitzen,
[59] Auf sammtnem Stuhl den Sohn daneben.
Die thun's in staunender Erregung,
Daß von dem Schimmern und dem Blitzen
Der Beiden Sinne ganz verschweben.
Drauf mit dem heitersten Humor,
Wie stets, wann frisch erst absolvirt,
Er selber seinen Stuhl von Rohr
In ihre Mitte hinpostirt.
Wie er dann recht behaglich saß,
Und Odilo's Gesicht durchmaß,
Da merkt er deß Verblüfftheit wohl,
Und nahm ihn lächelnd bei der Hand.
»Nicht wahr, du meinst: für Ordensstand
Sei all dieß Zeug wohl schlecht Symbol,
Und Todtenköpfe, Geißelriemen,
Sie möchten hier sich besser ziemen,
Als solcher eitle Firlefanz.
Doch lass' auch einen Todtentanz,
Sich Einer in sein Zimmer malen,
Und treib' er's mit ascet'schen Qualen
An Leib und Magen noch so arg;
Ja, schlaf' er selbst im eignen Sarg! –
Ist dessen Herz nicht gut im Stand,
Und hat drin Haß die Oberhand –
Trotz Geistes- und trotz Fleischtortur
Bleibt
der ein Feind der Menschheit nur,
Der besser ungeboren bliebe.«
O klang jetzt mit des Abtes Wort
Noch eins in Beider Herzen fort:
»Der Menschheit Höchstes ist die Liebe!«
[60] Und, als ob seinem Geiste nun
Der Vater segnend nahe wäre,
Ließ Odilo mit lichter Zähre
Den Blick auf dem Prälaten ruhn.
Auch Walburgs Herz schon höher schwoll.
Drauf sprach Johannes liebevoll:
»Sieh, Odilo, mein lieber Sohn!
Das höchste Glück auf dieser Welt
Ist zwar der Jugend Illusion.
Denn, wann einmal ihr Schleier fällt,
Allmälig sacht zurückgeschlagen,
Da merkt man erst, was leben heißt.
Doch, wem er ganz urplötzlich reißt,
Der ist erst recht drum zu beklagen.
Drum, als ein welterfahrner Mann,
Möcht' ich gleich heut dir Manches sagen,
Was dir solch Leid ersparen kann.«
Frau Walburg nickte mutterklug.
Doch Odilo dem Falken glich,
An dem in seinem besten Flug
Ein Bolz ganz nah vorüber strich.
Auch dieses ward der Abt wohl inne –
O wie erspart' er's ihm so gern! –
Und sprach mit lebenskund'gem Sinne:
»Denk' dir einmal: du siehst von fern,
Gleichwie durch duft'ge Schleier nur,
Ein Dörflein auf der Hügelflur!
Das schaut aus Wies' und Obstbaumhag
Dich an gleich einem Feiertag;
Und wie der Frühlingsblüthen Schein,
[61] So leuchten, scheint's, der Häuser Reih'n.
Denk' dann noch fern Geläut dazu,
Und Morgenlicht, so meinest du:
Es wohnten lauter Menschen drinnen.
Mit so gerechten, frommen Sinnen,
So sauber, hilf- und friedensreich,
Daß du dir möchtest allsogleich
In gleichen Friedens Harmonie
Dein eignes Heim darin errichten. –
Kurz, ein Stück Lebenspoesie,
Wie nur Horaz es könnt' uns dichten
In classisch fein idyll'scher Ode.«
Als wär' er selber ein Rhapsode,
So hingen sie an seinem Munde,
Das Herz so ganz getheilt erregt.
Und er fuhr fort, geheim bewegt,
In seiner klaren Menschenkunde:
»Nun eilst du mit der Sehnsucht Hast
Zur duft'gen Ferne sonder Rast;
Und völlig gleich bleibt die Natur.
Ob fern, ob nah' gesehn – gleichviel!
Sie zeigt in andern Rahmen nur
Dir Formenreiz und Farbenspiel.
Das saubre Dörflein doch, Herrje! –
Der Silberschwan auf grünem See –
In seiner Hütten schmutz'gem Graus
Sieht's mehr, wie Entenpfützen aus!
Und drinnen erst
die Noth, dieß Weh',
Demuth im Pharisäerkleid,
Und Haß und Zanksucht, gift'ger Neid,
[62] Die alle mit der Sorge Klammer
Dieß arme Volk in's Joch geschweißt!
Nur selten wo ein freier Geist,
Entwunden diesem Alltagsjammer;
Ein Herz, das groß und edel heißt.
Dann diese Luft in Stub' und Kammer!
Du duftest mit! – doch frag' nicht: wie? –
Ja, eine saubre Poesie,
Statt für Horaz, für Juvenal
Ein spottgewürztes Leckermahl!«
Und übermäßig selbst ernüchtert,
Verwahrt' er sich dann ganz verschüchtert:
»Doch, wohlgemerkt! glaub' du nur nie,
Daß ich mit
der Allegorie
Gar unser eignes Kloster meine! –
Wer würf' in's eigne Haus sich Steine? –
Nur meint' ich mit dem Gleichniß eben
So überhaupt das Menschenleben,
Darin wir einmal müssen hausen.
Drum hüte dich, mein kluger Sohn,
Vor allzugroßer Illusion,
Sei's nun hier innen oder draußen!«
Und wiederum Frau Walburg nickte,
Dabei sie bang zum Sohne blickte. –
»Ach ja, wie ist die Welt oft kläglich,
Durch Leid und Täuschung ganz unsäglich!
Die Liebe nur macht sie erträglich.«
So sann auch sie nun über's Leben. –
Drauf, erst aus innerstem Erbeben
Allmälig wieder auf sich ringend,
[63] Und wieder neu sein Herz beschwingend,
Das ihm der Abt zu Boden schlug,
Wagt' Odilo mit heißem Haupt
Den schüchternen Gedankenflug:
»Hochwürdigster Herr Abt, o glaubt!
Nicht als ein Schwärmer, täuschungstrunken,
Betrat ich jetzt die Klosterschwelle.
Nein, mit des Geistes vollster Helle,
Und lang erst im Gebet versunken,
Drin an des Vaters Krankenbette,
Wie vor des Pathen Grabesstätte,
Ich bei auch noch so jungen Jahren
Des Lebens Nichtigkeit erfahren. –
Ich weiß vom Leben ganz genug!« –
Und kühner wieder ward sein Flug.
»Doch hier, wo unterm Kreuzeszeichen,
Sie Alle, gnadenauserwählt,
Sich Christi heil'ger Braut vermählt,
Um deren Bräutigam zu gleichen –
Hier könnte, was ich erst verlassen,
In andrer Form mich wieder treffen,
Als Trugbild meine Sehnsucht äffen?
Nein, ganz unmöglich kann ich's fassen.
Denn wohnt auch Menschliches hier noch,
So ringt sich aus dem Staub der Erde
Zum Himmel auf Jedweder doch,
Auf daß er einst deß Erbe werde.«
Mit überird'scher Schwärmerei
Er in des Abtes Auge sah,
Daß
Dem so wundersam geschah,
[64] Als ob er schon ein Heil'ger sei,
Indeß Frau Walburg ganz beklommen.
Des Sohnes stürmisch Wort vernommen.
In tiefstem Ernst Johannes sann.
Warmherz'gen Worts er drauf begann:
»Glaub' mir! gar gut ich's mit dir meine.
Und daß nicht nur so zum Scheine
Aus anderm ird'schen Appetit
In unsern Orden treten willst –
Nein, daß du wirklich mit
dem Schritt
Die Sehnsucht deiner Seele stillst,
Drum dank' ich Gott, denn 's ist damit
Der Hauptpunkt auch schon absolvirt,
Was nicht bei Jedem just passirt.«
Und weicher drauf er weiter fuhr:
»Doch, liebster Sohn, wenn dir's auch nur
Dann wirklich bei uns einst gefällt,
Und uns're inn're Klosterwelt
Dir nicht zu weltlich will erscheinen!
Denn ehrlich dir's mein Herz bekennt:
Was man so richtig Heil'ge nennt,
Von solchen haben wir hier keinen.«
Da war's, als ob der Rede Lauf
Ein Scrupel plötzlich ihm durchkreuzte.
In's blaue Tuch er rasch sich schneuzte.
Sorgsam es wickelnd sprach er drauf:
«Ja, wenn's noch wie zur Urzeit wäre,
Wo als Culturmissionäre
Die Mönche hier mit Axt und Spaten
[65] Aus Wildniß machten Feld gerathen,
Und trotz dem sauern Arbeitsschweiß
Mit kärgster Kost fürlieb genommen
Da war der Heil'gen Lilienreis
Auch hier einst mehrfach fortgekommen.
Und auch Jahrhunderte noch später,
Wo durch die Schreibkunst unsrer Väter
Der Bildung Quell das Land durchdrungen,
Und weit des Klosters Ruhm erklungen,
Ein Stern im Dunkel der Barbaren –
Auch dann noch schreibt das Chronikbuch,
Daß einst im Heiligengeruch
Hier Etliche gestorben waren.«
Wie lauschte jetzt ihm Odilo!
Der Abt fuhr fort: »Dann, wie es geht,
Und meistens ging's den Klöstern so –
Kam von Geschenken und Legaten
Das Geld wie Sand daher geweht.
Stets ward gehäuft, doch nie zerstreut.
Dann noch die adligen Prälaten,
Die Glanz und Nichtsthun mehr erfreut,
Als andre heil'ge Ritterthaten.
Mit jedes Aerntejahres Schluß
Erwies sich reichrer Ueberfluß
An Waizen, Wein, an Fisch und Braten.
Das Leben ward nur zu bequem.
Und weil als Mönch trotzalledem
Man Mancherlei doch muß entsagen,
Was nicht gar leichtlich zu ertragen,
So erbt' unmerklich sich alljährlich,
Bei schwachen Menschen so erklärlich,
[66] Zu großes Gaumenwohlbehagen,
Das für den Geist oft so gefährlich,
Als leidige Gewohnheit fort.«
Als nun verklang des Abtes Wort,
Da lag die Luft wie schweres Blei
Auf Odilo's gepreßter Brust.
Auch Walburg hatte kaum gewußt,
Wie ihr dabei zu Muthe sei.
Doch auch Johannes jetzt verspürte:
Zu frei er wohl gesprochen habe.
Wie Reu' und Mitleid gleich ihn rührte!
Und schnell er sie zur Herzenslabe
Zu solchen Trostes Bronnen führte:
»Ich seh' dir's an, nun denkst du gar:
Ist das ein Abt? – Hat
der ein Herz?
Wo ich schon halb im Himmel war,
Zieht er mich wieder erdenwärts?
Und doch, du darfst dich drum nicht grämen!
Ich will dich jetzt nur vorbereiten,
Uns hier als
Menschen nur zu nehmen.
's ist leider ja nicht zu bestreiten:
Viel Menschliches triffst du hier an,
Doch auch viel menschlich Gutes dran,
Das hier noch bei uns leben darf,
Wenn's auch manch Heil'ger schon verwarf.
Ja, mancher wahrhaft fromme Mann
Dir zum Exempel dienen kann,
Wie man das Himmelreich erstrebt,
Und doch als Mensch mit Menschen lebt.«
[67]
Da ward, wie wenn des Oeles Quell
Der Lampe matten Schimmer nährt,
Der Aufblick Odilo's verklärt.
Auch Walburgs Blick ward wieder hell,
Und Beider Herz, es athmet' auf.
Der Abt goß neuen Balsam drauf:
»Glaub' mir: 's ist ein gefährlich Ding,
Aus der Natur allew'gem Ring
Gleich weltverachtendem Asceten
Als menschlich Glied herauszutreten.
Der schönste Baum auch muß verderben,
Deß Aeste maßlos man beschnitt,
Und wer zu sehr sucht abzusterben,
Dem stirbt zuletzt das Herz noch mit.«
Dann griff er nach des Jünglings Hand,
Und rief mit warmer Inbrunst aus:
»Ach, Odilo, ich sage dir:
Halt' nur dein Herz recht gut im Stand,
Wie einst in deines Vaters Haus,
Den mit der frommen Mutter hier
Du als solch treuer Sohn gepflegt!
Dann wahrlich, Sohn, o glaub' es mir:
Auch, wenn du Mönchskleid angelegt,
Des Vaters Segen auf dir ruht,
Und auch bei uns ergeht dir's gut.
Ach, aller Wunder allergrößtes
Und sicherstes die Liebe thut! –
Vom
größten Uebel selbst erlöst es!«
Drauf stand er auf. Zur Segensspende
Erhob er feierlich die Hände:
[68] »Und daß an dir mag Wahrheit werden,
Was dich zu uns in's Kloster trieb!
Daß du einst Gott im Himmel lieb,
Und lieb den Menschen auch auf Erden –
Empfange nun, gleich einem Sohn,
Des Vaters Benediction!«
Und Odilo sank auf das Knie,
So hehr durchschauert, wie noch nie.
Auch Mutter Walburg sank ihm nach,
Sie wußte selber nicht recht, wie.
Er segnet' ihn und dann auch sie,
Und tiefgerührt er zu ihr sprach:
»Ich schließ' euch ein mit, liebe Frau!
Und nehmt es heut nicht zu genau,
Daß ein kathol'scher Abt euch segnet,
Der euerm Kind ein Vater ist!«
Wie da ihr Blick zu gleicher Frist
Dem seinen dankeslicht begegnet!
Und wie sie wieder aufgestanden,
Da rang aus der Verzagtheit Banden
Nun auch ihr Mutterwort sich los.
Sie sprach zu ihm: »Ach, Euer Gnaden,
Von Angst, gleich einem Mühlstein groß,
War erst mein Mutterherz beladen,
Als ich heut Abend hergekommen.
Ihr habt sie alle weggenommen!
Gott vergelt's euch hier und dort!«
Und wieder schüchtern ward ihr Wort:
»Doch darf ich auch noch dieß erflehen,
[69] Daß ihr, da ich nun ganz allein,
Den Sohn mich lasset wiedersehen,
Nur dann und wann, ganz flüchtig nur?
Ach, wollt' ich euch drum dankbar sein!«
Ihr Sohn sich über's Auge fuhr.
Den Abt doch sah zur Wand sie deuten:
Seht hier dieß Bild von Bauersleuten!
Errathet ihr, wer die wohl sind? –
Die Eltern sind's von diesem Kind,
Das nun hier vor euch steht als Abt,
Und sie sein Lebtag lieb gehabt.
O Schmach dem Mönch, der Sohn auch ist,
Und drob der Eltern Herz vergißt!
Das ist mir schon der wahre Christ.«
Wie Odilo da still frohlockte!
Frau Walburg rief: »Ach, seid ihr gnädig!«
Doch, immer noch der Angst nicht ledig,
Sie bei dem weitern Satze stockte:
»Nur meint' ich eben, weil ich pro –«
»»Testantisch!«« rief der Abt, »Oho!
Da soll mir Einer damit kommen!
Respect, sag' ich, vor solcher Mutter,
Die also treu, trotz Martin Luther,
Kathol'sche Pflichten übernommen!
Und all die heil'gen Ränkeschmiede,
Die Ketzerseelenfischfang treiben,
Weil ihnen meist fehlt eigner Friede,
Die sollen euch vom Halse bleiben.
So wahr ich hier der Herr im Haus –
Mit Geißeln jagt' ich sie hinaus.«
[70]
Wie schauten sie jetzt groß ihn an,
Als mit gebieterischer Hand
Er's einem Feldherrn gleich gethan,
Der commandirt zum Feindverjagen.
Doch schnell der zorn'ge Blick verschwand
Und, still das Auge hingeschlagen,
Auf einen andern Feind er sann,
Den er, bevor der Tag verrann,
Noch heut mußt' um Vergebung bitten,
Daß all der Schmerz, durch Reu' erlitten,
Auch dessen grollend Herz versöhne,
Und auch für Odilo's Empfang
Des Klosterfriedens Lied nur töne.
Mildfreundlich drauf sein Wort erklang:
»Nun, liebe Menschen, rath' ich sehr,
Daß ihr gleich hier jetzt Abschied nehmet,
Sonst wird er euch wohl doppelt schwer,
Wenn draußen ihr zu Zwei'n nur seid!
Und ist denn Grund, daß ihr euch grämet,
Wo Alles sich so gut gemacht?
Ach nein, nur jetzt nicht unnütz Leid!
Drum macht es schnell! – Sagt: gute Nacht,
Und auf ein baldig Wiedersehen!«
Und Hand und Kuß – und Thränen drauf.
Frau Walburg sah gen Himmel auf,
Verneigte sich – und 's war geschehen.
* * *
Wie Odilo nun ganz allein,
Und sanft noch seine Thräne quoll,
[71] Ließ auch der Abt verständnißvoll
Im Reden eine Pause sein.
Dann sprach er: »Und nun komm!
Zum edeln Pater Theophil
Ich vorderhand dich führen will.
Der ist, wie einer von uns, fromm,
Auch menschenfreundlich, herzensmild.
Den will ich für's Novizenleben
Zum Freunde dir und Lehrer geben.
Werd' einstens dessen Ebenbild!«
Doch kam ihm jetzt ob seinem Wort
Ein Scrupel schier und er fuhr fort:
»Zwar muß ich ehrlich dir bekennen:
Der stricten Regel läuft's zuwider,
Im Kloster Jemand Freund zu nennen,
Denn diese kennt bloß Ordensglieder,
Durch
Christi Freundschaft nur vereint,
Der
menschliche gefährlich scheint.
Doch hier auch gilt die weise Lehre,
Daß man der Herzen Eigenart
Nicht über
einen Kamm nur scheere,
Wie man's an unserm Kopf gewahrt.
Und hätt' ich einst beim Weltgericht
Nicht andre schwere Schuld, als diese –
Gewiß mich unser Herrgott nicht
Beim Beelzebub drum brennen ließe.«
»Den Theophil? – O Gott, Herr Abt!«
Rief Odilo nun dankentglommen,
Den hatt' ich längst schon lieb gehabt,
So lang ich früher hergekommen!«
[72]
»Ja, diesem sollst du nachgerathen!
Das heißt: im Herzen doch im Geist,
Da streb', daß deinem sel'gen Pathen.
Als Wissensstern du ähnlich sei'st!«
So sprach der Abt, und wieder sann
Und blies und räuspert' er sich noch.
Ach, trotz der Demuth, schwer war's doch,
So abzubitten einem Mann,
Dem man sogar noch vorgesetzt.
Und Schweiß ihm von der Stirne rann.
Gleichgültig thuend sagt' er nun:
»Hab' beim Novizenmeister jetzt
Ein klein Geschäft noch abzuthun.
So wart' auf mich bei Theophil!
Doch jetzt schon ich dich mahnen will:
Erzeig' dem Pater Innocenz
Devotion und Obedienz!
Wohl ist er ein gar strenger Geist,
Doch gegen sich zu allermeist,
Wie dir schon sein Gesicht erweist.
Und wollt' er dir nicht gleich behagen,
So denk': sein Herz sitzt etwas tief;
Auch stets mit seiner Leber schief.
Drum lern' in Demuth ihn ertragen!
Befiehlt er was, so thu's und schweige!
Doch drückte je ein Streit dich nieder,
Dann komm zu mir, daß ich dir wieder
Frohsinn'gen Friedens Ausweg zeige!«
»Ach, euer Gnaden, seid ihr gut!
Und wie erhöht ihr mir den Muth!«
[73] Sprach Odilo noch tief gerührt,
Da er, voll Ehrfurcht hingebückt,
Den Kuß auf dessen Ring gedrückt.
Drauf, von des Abtes Hand geführt,
Wie Vater und wie Sohn vereint,
Sie durch der Halle Dämmrung schritten. –
Welch anders Wort auf Jedes Zunge! –
Der
Alte, um vom alten
Feind
Sich jetzt Vergebung zu erbitten.
Zu neuen
Freundes Gruß – der
Junge.
Sanct Bonifazitag es war,
Und Zeit der Recreation.
Da ließ jedweder Klostersohn
Trotz Rosenkranz und Mönchstalar
In ird'schem Spiel sich freien Lauf,
Und frischte drin den Geist sich auf.
Die Meisten auf der Kegelbahn,
Die maßen sich in Kraft und Blick,
Und Mancher hatt' es an Geschick
Dem strammsten Bauer gleich gethan.
Gewandter doch, als All' und dreister
War stets der Pater Säckelmeister.
Und wann nach lauernd scharfem Zielen
Mit nerv'gem Arm
der ausgeholt,
Und laut Halloh ihm zugejohlt,
Wann oft gleich »alle Neune« fielen –
Erkannte wohl kein fernes Ohr
Dieselben Stimmen aus dem Chor
Beim mitternächt'gen Orgelspielen.
Inzwischen schritt im Lindengang
In schon vertrautem Freundesbunde
[75] Der Theophil mit Odilo.
Wie ein harmon'scher Wechselsang
Klang sonst das Wort aus Beider Munde,
Doch heut der Einklang draus entfloh. –
Schon in
der wochenkurzen Zeit?
Was ist das für ein inn'rer Streit? –
's ist Odilo doch nicht schon leid,
Daß er den Mönchsstand sich erkoren? –
Nein, seht! Ist auch sein Haupt geschoren,
Noch hat die blühende Gestalt,
Vom Mönchskleid malerisch umwallt,
An Reiz der Anmuth Nichts verloren.
Auch auf den Rosen seiner Wangen
Ist von dem Schmelze Nichts vergangen.
Der Seele Spiegel selbst, der Blick,
Durch den sie stets so klar gegrüßt,
Er hat trotz här'nem Gürtelstrick
Vom Glanz kaum merklich eingebüßt.
Ob schon geheimer Glaubenszwist
Sich zwischen Sohn und Mutter schlich? –
Nein, ungetrübt herzinniglich
Noch heut der Beiden Lieben ist.
Und grüßt er sie noch manches Mal? –
Ja, Tag um Tag, wie er's versprochen,
Winkt Hand um Hand von Berg zu Thal.
Schon dreimal in den wen'gen Wochen
Kam sie zu ihm heraufgegangen,
Und stets dann in erneutem Glück
Die Herzen ineinander klangen;
Stets kehrte minder leidbefangen
Sie in ihr einsam Haus zurück.
[76] So that wohl dieser Menschenblüthe
Voll allzu zartem Blüthenschnee
Der Frost des Innocenz schon weh? –
Auch dieses nicht, nein, Gott behüte! –
Seit jener Abenddämmerstunde,
Da Abt Johannes reuevoll
Den Gegner um Vergebung bat,
Und auch aus dessen herbem Munde
Der Balsam der Versöhnung quoll –
Seit dieser demuthvollen That
Des Klosters Aug' ein Wunder sah,
Wie größeres hier nie geschah.
Denn andern Tags sah man die Zwei
Nur friedlich mehr zusammen wandeln,
In Eintracht nur zusammen handeln,
Als ob ihr Herz nur
eines sei,
Und Falken voller Streitestrieb
Verzaubert sei'n in Turteltauben.
Und Odilo, fast nicht zu glauben,
Ward nun auch Innocenz so lieb,
Wie er Johannes' Liebling blieb,
Und was ihm Dieser mocht' erlauben,
Hatt' ihm auch Jener gern gewährt. –
So ward ihm die Novizenzeit
Erst recht durch selig Licht verklärt. –
Und
doch das Herz in ihm entzweit?
So hört, was jetzt im Abendlicht
Er selbst, schon nachtumdämmert, spricht:
»Versteh' mich recht, mein Theophil!
Wie auch mein
Herz am Abte hängt,
Und Lieb' um Liebe lohnen will,
[77] Fühl' ich noch mächt'ger meinen Geist
Zu Innocenz doch hingedrängt.
Denn wie ein himmlischer Magnet
In Sphären er ihn aufwärts reißt,
Darin der Odem Gottes weht,
Und den der Abt selbst nicht verspürt,
Der, zwischen Erd' und Himmelszelt
Mit Geist und Herzen hingestellt,
Hier nur getheiltes Leben führt.«
Da überfiel ihn seltsam Zagen.
Sah er doch, wie in stillem Gram,
Die Augen auf das Herz geschlagen,
Sein liebster Freund ihn nicht verstand!
Doch neuen Anlauf jetzt er nahm,
Und faßte stürmisch dessen Hand.
»O Theophil, du frömmster Mann!
Was blickst du schweigsam erdenwärts?
Ist's möglich? – Dein seraphisch Herz
Des mein'gen Flug nicht folgen kann?
O so erkläre mir dein Schweigen!
Hab' ich von Innocenzens Wesen
Ein falsches Bild mir ausgemalt,
Und kannst du mir ein andres zeigen?
Doch beim Gebet und Messelesen,
Wird, wie von Himmelslicht umstrahlt,
Sein streng Gesicht nicht ganz verklärt?
Ist dessen Geist nicht höh'rer Art,
Dem göttlich Schau'n sich offenbart?
Und auch die Liebe, die ihn nährt,
Ist sie nicht höchster Lieb' entstammt?
Sag': war er denn nicht immer so,
[78] Und täuscht er nur uns allesammt? –
So sag's doch deinem Odilo!«
»Mein Freund, o was bestürmst du mich?«
Rief Theophil ganz außer sich,
Deß Zunge bis zum Grabesrand
Des Abtes Beichtgeheimniß band,
Und dessen Herz sich ängstlich scheute,
In das des Innocenz von
heute
Die Sonde des Verdachts zu senken:
Wie viel drin Wahrheit sei und Trug.
Dann wußt' er wieder freundesklug
Von der Erregtheit abzulenken:
»Glaub' mir! ich will dich ja nicht kränken.
's wird mit der Zeit sich Alles zeigen.
Und schweig' ich jetzt, dann mir vergieb!
Doch nie mehr frag' mich! – Mir zulieb!
Beichtväter, weißt du, müssen schweigen.«
Drauf reicht' er liebreich ihm die Hand,
Der stumm in sich verloren stand …
Da, horch! vom Klosterberge her
Tönt Räderrollen, langsam schwer.
Gleichgültig horchen auch die Zwei,
Ob das wohl noch ein Wagen sei. –
Und sieh, aus dem Gebüsch am Thor
Huscht Pater Innocenz hervor.
Doch wie er lauernd niederblickt,
Hei, wie er da zusammenschrickt!
Er lispelt: »Ha, sie sind schon hier!«
Und trippelt seitwärts scheu und sacht …
[79] O Abt Johannes, hab' nun Acht!
Der Geist der Rache kommt zu dir! …
Jetzt fährt zum Hof der schwere Wagen,
Und schnell durcheilt ein munkelnd Fragen
Der Mönche Schaar, die ferner stehn,
Dem Kegelspiel nur zuzusehn:
»Was wollen Die? – Hm, hm! – Ei, ei!«
Sehn sie doch drin vier Mönchsgestalten,
Den Pater Provincial dabei!
»Wird Klostervisitation
Jetzt wieder bei uns abgehalten?
Doch war sie nicht im Winter schon?«
Da holt just auf der Kegelbahn,
Zum bessern Zielen tief gebückt,
Der Arm des Säckelmeisters aus –
Noch
hört er nur die Kutsche nahn –
Und Alle lauern, wie's ihm glückt.
Doch noch vorm Wurf er seitwärts schielt –
Da, hei, als hab' er Hab' und Haus
Sammt seiner Seele Heil verspielt,
So läßt er lahm die Arme hangen.
Nachdem die Kugel fehl gegangen.
Was ist ihm doch? – Gefragt von Allen
Kann kaum er eine Lüge lallen. –
Und »Wehe, weh'! Weh' über euch!«
So schreit's jetzt aus den Klosterhallen,
Und nach dem Schrei stürzt mit Gekeuch
Der Bruder Schneider in den Haufen,
Daß All' ihm aus dem Wege laufen.
Und, Schaum vorm Mund, er weiter bellt:
[80] »Weh', weh'! Der Untergang der Welt!
Hört ihr die Hölle brausen? – Weh'!
Salva nos,
Christe domine!«
Nur leise noch er dieses stöhnte,
Dann krümmt' er sich gleich einem Wurm.
Hu, wie das Aller Mark durchdröhnte!
Schnell wie von einem Wirbelsturm
Ward rein gefegt die Kegelbahn,
Und Jeder in die Zelle floh.
Nur Theophil und Odilo,
Wie sie den Aermsten liegen sahn,
Verspürten menschliches Erbarmen,
Und schleppten ihn mit starken Armen,
Trotz höll'schem Fluch und Hundsgebelle,
Mühsam hinauf zur Krankenzelle.
* * *
Der Abt in seinem Zimmer droben
Von all dem Lärmen nichts vernahm.
Von frohster Stimmung hoch gehoben,
Die ihm aus tiefstem Herzen kam,
Lehnt' er im Rohrstuhl friedlich hin.
»O Gott! wie ich dir dankbar bin!
Fühl ich mich doch seit wen'gen Wochen
In meinem Geist wie neugeboren,
Seit mit dem Jähzorn ich gebrochen,
Und mir in jener Nacht geschworen,
Daß nimmer ich so Witz wie Spott
Der Zunge Zügel schießen lasse,
Und lieben woll' um meinen Gott,
Der mich um meinetwillen hasse!«
[81]
Jetzt hielt er wieder träumend inne,
Und Andres ging ihm durch die Sinne:
»Und ach, an jenem Gnadentag,
Da büßend auf den Knie'n ich lag,
Welch andres, größres Wunder noch
Vollzog sich auch am Andern doch,
Weil ich ihn um Versöhnung bat!
Theophil, du Gottesmann,
Du stärktest mich mit heil'gem Rath!
Und Gott nur dir vergelten kann
Die zwiefach gnadenreiche That.«
Jetzt sah er seufzend himmelauf,
Und voller Wehmuth sprach er drauf:
»Was nützen strengste Glaubensnormen,
Was alle regelrechten Formen,
Und aller Cultus tief symbolisch,
Wenn
Liebe nicht, echt apostolisch,
Des Christenthums fruchtbarer Kern?
Nur
sie bringt uns dem Himmel nah',
Sonst bleibt uns ewig himmelfern
So Bethlehem wie Golgatha.« …
So saß er, heil'ger Liebe trunken,
Das Haupt zur Hand herabgesunken.
Da plötzlich wird die Zimmerthür
Erschlossen ohne jed' Geknarr.
Dann treten mit so leisem Fuß
Die Mönche zu dem Abt herfür,
Daß der, als wie vor Geistern starr,
Sie angeglotzt beim stummen Gruß,
[82] Und erst nicht wußt': ist's Fleisch und Bein?
Mag's nur ein Traumestrugbild sein?
»Ehrwürd'ger Bruder, o, verzeiht,«
Begann der Provinzial anjetzt –
Als sich der Abt, wie bannbefreit,
In seinem Stuhl zurecht gesetzt,
Um würdevoll sie anzuhören –
»Verzeiht, daß wir so spät noch stören.
Weßhalb wir kommen? – Diesen Grund
Thu' diese Schrift hier klar euch kund! –
Wir kommen als bestellte Richter.«
Und Todesstille trat nun ein.
Der Abendsonne letzter Schein
Umwob die ernsten Mönchsgesichter.
Der Abt stand gravitätisch auf,
Ergriff die Schrift und las sie drauf.
Doch gläsern stiert sein Auge drein …
So wirkt nur plötzlich tödtend Gift!
Und wie er liest die Unterschrift –
Ein Zucken noch durch Mark und Bein! …
»O Judas! Judas!« gellt sein Schrei,
Dann, jach vom Schlagfluß angepackt,
Zum Rohrstuhl plump er niederknackt.
Die Viere treten rasch herbei.
Der reißt ihm das Collar entzwei,
Und knüpft ihm locker das Gewand.
Weihwasser spritzt des Andern Hand
In sein schon blau gefärbt Gesicht.
Das Sterbgebet der Dritte spricht,
[83] Der jüngste Pater angstbeschwingt
Hinaus nach einem Arzte springt.
Noch stöhnt der Abt: »Ruft Theophil!« –
Dann sinkt er rückwärts, todesstill,
Wie Einer, der jetzt sterben will.
Da flüstert's in dem weiten Hause,
Wie Wind erst, der mit Blüthen kost.
Und dann in schwellendem Gebrause,
Wie wilden Wintersturms Geklage,
Die Botschaft durch die Halle tost:
«Im Sterben liegt der Abt vom Schlage!« –
Wie da die Zellen rasch sich leeren,
Und in den Gängen dunkle Haufen
Bestürzter Mönche stets sich mehren,
Die flüsternd hin- und widerlaufen!
Jetzt schleicht auch Innocenz heran.
Und sieh, wie seine Geisttrabanten,
Die erst so schmerzlich noch gethan,
Sich abseits von den Andern wandten!
In scheuem Kreis sie ihn umziehn,
Und Aller Blicke fragen ihn.
Und horch, wie er nun raunend spricht,
Den Zeigefinger aufgereckt:
»Erkennt ihr Gottes Strafgericht,
Das jetzt den Abt dahingestreckt?
Erkennt ihr's nun? – So kommt's an's Licht:
Der Herr läßt seiner spotten nicht!«
Daß
er den edeln Abt verrathen,
Kein Andrer hatt' es je geahnt,
Als jene Zwei, die's mit ihm thaten.
[84] Und auch Johannes nahm's in's Grab,
Der, noch von Theophil ermahnt,
Es seinem Judas gern vergab.
* * *
Im Sterbebett der Abt nun liegt,
Doch halten Wacht daran nur Drei.
Nur Diese rief er noch herbei,
Bis er im letzten Streit gesiegt.
Der Theophil beim Haupt ihm saß,
Der sprach das Sterbgebet ihm vor.
Wie hob ihm das sein Herz empor! –
Auch Odilo er nicht vergaß,
Den er wie einen Sohn gehalten.
Der kniete vor ihm in der Mitte
Und durft' ihm noch zur letzten Bitte
Die schlaggelähmten Hände falten.
Zu Füßen ihm kniet' als der Dritte
Gebetversenkt der Cyprian,
Der stets dem Abt es angethan,
Weil er so stumm sein Schicksal trug,
Das Weib und Kind ihm einst verbrannte.
Jetzt, wie des Todesengels Flug,
Des Beters Mund es ängstlich bannte.
Zum Sterbenden sein Blick sich wandte.
Der richtete das Haupt empor.
Man sah's, wie's ihn zu reden trieb.
Und Theophil neigt' ihm das Ohr.
Da lispelt' er noch fast das Gleiche,
Was einst der Liebesjünger schrieb:
[85] »
Ach Kindlein, habt einander lieb!« –
Und sank zurück als stumme Leiche.
Das war in elfter nächt'ger Stunde.
Und bald darauf aus ehrnem Munde
Klang in das Thal die Todeskunde. –
Drauf mordet' in der weiten Runde
In gleicher Nacht der Maienfrost
In gleich geheimem Lenzverrath
Die Rebenblüthe wie die Saat.
Ein schlechtes Jahr an Frucht und Most,
Was kann's dem Kloster viel verschlagen?
Ein andres Jahr wird's doppelt tragen
Der Kelter wie dem Waizensiebe.
Für immer aber ging verloren,
Mit Abt Johannes heut erfroren,
Der Blüthenbaum der Menschenliebe.