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Bericht des Kommandanten H. M. S. »Kalypso« Captain Sir Achill Stenton Ward:
Da Seiner Majestät Kreuzer »Kalypso« die Mündung des Borro-Stromes gerade bei tiefster Ebbe erreichte, so konnte, obwohl der von Payta her vernehmbare Kanonendonner und der dort sichtbare Feuerschein Schlimmes für Leben und Sicherheit der Europäer befürchten ließ, die der Flußmündung vorgelagerte Sandbank erst gegen vier Uhr passiert und die Reede von Payta erst kurz nach sechs Uhr erreicht werden. Da die in Flammen stehenden Gasolintanks das Wüten eines allgemeinen Brandes und trotz des nunmehr schweigenden Kanonendonners schwere Unruhen befürchten ließ, da endlich der Signalverkehr mit dem im Hafen liegenden Flußkreuzer »Rascal« eine rasche Klärung der Lage nicht ergab, so landete Seiner Majestät Schiff unter Mitnahme von vier Maschinengewehren und zwei Bootsgeschützen sofort alle verfügbaren Kräfte am Kai.
Eine von Leutnant Wilberforce geführte Patrouille stellte nun sehr bald fest, daß die Beschädigungen europäischen Eigentums im wesentlichen sich auf den Brand der erwähnten Tanks, hervorgerufen durch das Kanonenfeuer des in die Hände der Insurgenten gefallenen salvadorischen Kreuzers »Bosco« beschränkten, während die sonstigen Schäden der vom Barue-Stamm gänzlich überfluteten, im übrigen aber eigentlich ruhigen Stadt vorwiegend in der Vertilgung sämtlicher Alkoholvorräte und der Zertrümmerung einiger Fensterscheiben bestand.
Da die in den Straßen angetroffenen Neger fast durchweg schwer betrunken, im übrigen aber harmlos und keineswegs feindselig waren, da ferner die Patrouille des Leutnants Wilberforce die Gefangennahme des Königlichen Konsuls Sir Henry Birkbek sowie die Verschleppung aller sonstigen Europäer nach den eine Seemeile nördlich der Stadt gelegenen Zepitabergen zurückmeldete, so setzte sich das Landungskommando unter beschleunigtem Nachschub der schwereren Kampfmittel im Laufschritt dorthin in Bewegung, und fand, ohne daß es zu irgendeiner Kampfhandlung gekommen wäre, die Insurgenten in völliger Verwirrung, die Europäer aber ausnahmslos wohlbehalten vor.
Die an Ort und Stelle vorgefundenen Umstände gestatten es dem Unterzeichneten noch keineswegs, einen abschließenden Bericht über die widerspruchsvollen Vorgänge in Payta schon jetzt zu geben. Das Landungskommando Sr. Majestät Schiff erreichte den Camp der Insurgenten zu einem Zeitpunkt, wo unter Umständen, die einen klaren Einblick noch nicht gestatten, der als Haupträdelsführer der Insurrektion bekannte J. P. Bruke, ein politisch übel beleumundeter, aus dem Staate South Carolina U.S.A. stammender Neger, durch den Kapitän Pafforth, derzeit Kommandant des Flußkreuzers »Rascal« im Handgemenge soeben getötet worden war. Die übrigen Führer der Insurrektion – dem Vernehmen nach außer einigen Russen fast durchweg intellektuelle Farbige aus U.S.A. und Haiti – hatten sich in dem Augenblick geflüchtet, in dem Bruke getötet war und das Landungskommando sich dem Schauplatz dieser zur Zeit noch nicht völlig aufgeklärten Ereignisse näherte, während die Barue, deren sonstige Gutartigkeit notorisch ist und die im vorliegenden Falle eigentlich nur als Statisten für den Putsch intellektueller Führer fungiert haben dürften, eine sehr eigentümliche Haltung einnahmen. Sie scheinen nämlich, unvertraut mit den eigentlichen Zielen ihrer davongelaufenen Führer, dem schon erwähnten Ringkampf des Kapitän Pafforth mit dem hierbei ums Leben gekommenen Bruke nach Art primitiver Völker eine entscheidende Bedeutung beigemessen zu haben. Tatsache ist jedenfalls, daß sie nach der Tötung des allen Anscheins recht gefährlichen Bruke keineswegs gegen den Kapitän Pafforth Partei nahmen, sondern ihm in dem Augenblick, als das Landungskommando den Platz erreichte, lebhafte Ovationen brachten und daß sich seither der Kapitän bei der farbigen Bevölkerung eines erheblichen Ansehens erfreut.
Der Zustand der im Camp unter Bewachung vorgefundenen, übrigens recht korrekt behandelten Europäer, vor allem des Konsuls Sr. Majestät, Sir Henry Birkbek, ist ausgezeichnet. Mißhandlungen sind auf keinen Fall vorgekommen. Die Ruhe in Payta ist somit wider Erwarten ohne Gewaltanwendung, ohne Blutvergießen und auch ohne Materialeinsatz wiederhergestellt worden, obwohl der Unterzeichnete, vorbehaltlich eines eingehenderen Berichts, schon heute glaubt auf die Labilität der Gesamtlage in Salvador und auf die verwunderliche Tatsache aufmerksam machen zu müssen, daß es einem anscheinend recht gefährlichen und verwegenen Individuum gelang, einen ganzen Hafenplatz wie Payta für geraume Zeit zu terrorisieren und einen erheblichen Materialschaden anzurichten. Über die Frage, wie dem genannten Bruke trotz der Anwesenheit des dem schon erwähnten Kapitän Pafforth unterstellten Flußkreuzers die Einnahme des salvadorischen Kriegsschiffes »Bosco« gelingen konnte, wird das Ergebnis des hiesigen Kriegsgerichts Klarheit bringen und als Zeuge der einschlägigen Vorgänge der Konsul Sr. Majestät, Sir Henry Birkbek, berichten – der letztere vermutlich auch über die Rolle, die der Kapitän Pafforth gespielt hat, zumal der Kapitän trotz eines unzweifelhaft vorliegenden Wachtvergehens sich des Wohlwollens und der besonderen Wertschätzung Sir Henrys in hohem Maße zu erfreuen scheint.
Die Fortschaffung der Barue-Neger, die augenblicklich zur gründlichen Säuberung der seit Wochen in höchstem Maße vernachlässigten Stadt sowie zur Aufräumung der Brandschäden verwendet werden, wird in den nächsten Tagen eingeleitet. Bei der notorischen sonstigen Gutartigkeit des in diesem Falle schwer mißbrauchten Stammes dürfte sie ohne Schwierigkeit gelingen.
Im Einvernehmen mit den hiesigen Verwaltungsbehörden hat inzwischen der Unterzeichnete durch regelmäßigen Nachtdienst usw. diejenigen Maßnahmen getroffen, die der Sicherheit in Payta und Umgebung dienlich sein könnten.
Von einer Verhaftung der am Zustandekommen der Unruhen unzweifelhaft intellektuell und wohl auch finanziell beteiligt gewesenen Carolina da Roqua-Lima mußte dieserseits, da sie salvadorische Bürgerin ist und sich auch eines gewissen Wohlwollens höherer Verwaltungsstellen zu erfreuen scheint, Abstand genommen werden, obwohl ihre Verstrickung in die Vorgänge keinem Europäer in Payta zweifelhaft ist und insbesondere Sir Henry mich auf die Gefährlichkeit der anscheinend recht intriganten Frau aufmerksam machte. Die Rolle, die sie im vorliegenden Falle gespielt hat, wird vielleicht durch das gegen den Kapitän Pafforth anhängige Verfahren geklärt werden.
Ich erlaube mir auch, in diesem Zusammenhange zu melden, daß ich mehrere Herren des mir unterstellten Offizierkorps, die bereits in den ersten Tagen unserer Anwesenheit in Payta sich dem weiblichen Einfluß der außerordentlich schönen Frau nicht völlig entziehen konnten und sogar eine Einladung zum Tee in ihrem Hause angenommen haben, auf das Unstatthafte ihres Benehmens aufmerksam machen mußte.
Sr. Majestät Schiff »Kalypso« bleibt bis auf weiteres in Payta und erwartet die Befehle der Admiralität.
(gez.) Achill Stenton Ward,
Kommandant.
Und in Payta ist nun Großreinemachen, in Payta regiert der Gummibesen und der Spritzenschlauch, und es ist freilich höchste Zeit, daß es so ist.
Nach zwei Tagen ist dann auf der Plaza und im Zentrum der Stadt der Urdreck, der sich dort in den letzten Wochen ablagerte, in seinen obersten Schichten wenigstens beseitigt, die Kraft- und die Wasserwerke funktionieren wieder, und unter einer Sintflut schwimmt der Urdreck und die Kloake davon, die ein Naturvolk überall dort zu hinterlassen pflegt, wo es zivilisierte Räume betritt.
Der Höllengestank, der in den letzten Wochen über der Stadt lagerte, mildert sich wenigstens im Zentrum, er beschränkt sich eigentlich nur noch auf die Hafengebiete, wo seit Wochen Swaarts nicht abbefördertes Gefrierfleisch verfault und in diesem Augiasstall selbst die Neger nicht arbeiten wollen und man schließlich dazu übergeht, den ganzen Pestherd mit Benzin zu überschütten und anzuzünden. Und überhaupt sieht es noch übel genug aus in den Vorstädten, und jetzt erst sieht staunend Sir Henry, daß in diesen wenigen Wochen die Steppe selbst eingedrungen ist in die Stadt und Besitz genommen hat von ihr und daß in kurzer Frist dieses ganze Konglomerat von Wellblech und Beton verschwunden wäre unter dieser gotteslästerlichen Botanik der umgebenden Wildnis: unter Schlingpflanzen sind dort draußen Trollygleise und Wagen verschwunden. Holzstapel sind bedeckt von Schimmel und Pilzen, und alles, was nicht aus Eisen und Stein ist, hat sich verwandelt in schmierige und ekelhafte Massen, die man dem Feuer überantworten muß, und das Allerschlimmste, das ist das heillose Ungeziefer, das sich angesiedelt hat in all diesem Unrat. Denn in den Schuppen und unter aufgestapelten Balkenlagen und in den öffentlichen Anlagen und in den Häusern selbst, da haben sich Gekkos und ganze Nester von Puffottern angesiedelt ... man kann ihretwegen die Lagerplätze kaum mehr betreten, man muß ihnen mit Feuerbränden zu Leibe gehen und mit Sprays von Tabaklauge, und noch lange verpesten aus ihren Schlupfwinkeln ihre Kadaver die Luft. Und das Allerschlimmste, das sind die Ratten, die nach dem Brande von Swaarts Fleischmassen aus ihren Schlupfwinkeln flüchten – sie flüchten in Rudeln zu Tausenden, sie bekommen es nach der Zerstörung ihrer Fleischtöpfe mit der Hungerwut, sie überfallen am hellichten Tag die Hafenpatrouillen und springen plötzlich harmlose Passanten an und beißen nach dem Gesicht mit ihren vergifteten Zähnen und impfen mit fauligem Eiterbiß und Starrkrampf, und es gibt ihretwegen mehrere Tote in Payta.
Immerhin aber kehrt langsam die Ordnung wieder, und es gibt wieder eine Korsomusik, und im Savoy tagt wieder der Klub, und er hat, ohne daß deswegen Monsieur Guignard in den Bach getunkt worden wäre, dem Offizierkorps von »Kalypso« ein Diner gegeben. Und überhaupt beherrscht »Kalypso« die Lage, und ihre Maate promenieren mit salvadorischen Kindermädchen, und ihre Kapelle gibt ein Monsterkonzert, und ihre Offiziere schießen auf dem Borro Krokodile und andere Kreaturen und spielen Tennis mit Frau van Lammen und trotz der Rüge auch mit Carolina da Roqua-Lima. Und alles ist somit in bester Ordnung, und mißvergnügt sind in Payta eigentlich nur drei Personen: erstens ein Mann, der Bu-Bu-Bu genannt wird und bis zur Aburteilung wegen seines Wachtvergehens Bordarrest hat, zweitens aber trotz der Tennisspielerei die schöne Carolina und drittens und nicht zuletzt Sir Henry Birkbek ...
Was Sir Henry betrifft, so schmerzt ihm in diesen Tagen der Kopf, weil er entsetzlich viel mit der Abwicklung der Brandschäden zu tun hat und weil aus dem Norden neue Unruheherde gemeldet werden, und vor allem, weil diese Esel von Salvadorianern Bu-Bu-Bu wegen dieses Wachtvergehens einen feierlichen Prozeß machen wollen. In der letztgenannten Sache hat Sir Henry in diesen Tagen mit dem alten da Costa mehrere Konferenzen, in denen die beiden alten Herren ziemlich hart aneinander geraten und Sir Henry ausnahmsweise zu toben anfängt. Wie, die Exzellenz hat ganz vergessen, daß der Kapitän Pafforth ein tüchtiger Kerl ist, daß ohne seinen doch schließlich nicht ganz ungefährlichen Match mit diesem Bruke die Befreiung Paytas weit dramatischer hätte verlaufen können, daß jedes ordentliche Mannsbild mal tüchtig in die Kerbe gehauen haben muß und daß die Welt noch nicht stillsteht, weil ein im übrigen fixer Kerl, statt an Bord zu bleiben, mal zu seiner Mammy schleicht?
Der alte da Costa aber ist eigensinnig, und er bleibt bestehen auf seinem Kriegsgericht, und Sir Henry bekommt einen roten Kopf und packt seine Papiere zusammen. Gut, so sollen die Herren Salvadorianer ihr Kriegsgericht haben, aber die Rechnung für den von England gekauften, bislang aber leider noch unbezahlten und nun im Norden bei Lindi dringend benötigten »Rascal«, die sollen sie auch haben, und wenn Sie, Exzellenz, wider Erwarten nicht zahlen können, sieht die Regierung Sr. Majestät sich möglicherweise gezwungen, auf »Rascal« wieder die britische statt der salvadorischen Flagge zu hissen, und in diesem Falle, Exzellenz, ist »Rascal« wieder ein britisches Schiff und der Kapitän Pafforth in britischen und nicht in salvadorischen Diensten und in diesem Falle ...
Und Sir Henry verläßt wütend das Gouvernement und hat in den letzten Tagen eine lange Unterredung mit dem Kommandanten von »Kalypso« und vor allem einen sehr lebhaften Kabelwechsel mit London und der Admiralität. Was aber Dame da Roqua-Lima betrifft, so wird sie in diesen Tagen nicht weniger gepeinigt von dem Gedanken an das bevorstehende Kriegsgericht, und was soll eigentlich werden, wenn der Kapitän Pafforth, der zur Stunde für sie unerreichbar in Bordarrest sitzt, aussagt und wenn Payta es erfährt, wo er in jener Nacht gewesen ist, und daß sie ihn eingestandenermaßen nur eingeladen hat, damit inzwischen Bruke den »Bosco« stehlen konnte?
Und mit dieser Frage tauchen unangenehme Gedanken auf an ein Hochverratsverfahren, das sich auf Grund dieser Aussage auch gegen sie, eine Roqua-Lima, richten würde, und Gedanken an Vermögensbeschlagnahme und Gedanken an alle die von Bruke angerichteten Schäden, die man ihr aufrechnen könnte. Oh, sie läßt sich ihre Sorgen nicht anmerken, sie weiß genau, daß der Klub auf ihre Niederlage nur wartet, und sie zeigt sich in diesen Tagen ostentativ in ihrem Cadillac und flirtet mit den Engländern und macht sogar einen verzweifelten Versuch, mit Sir Achill Stenton Ward, dem Kommandanten der »Kalypso«, bekannt zu werden.
Und das ist schon richtig, daß ihre Sorgen und Verlegenheiten das Tagesgespräch von Payta abgeben und daß der Klub, dessen Damen die elegantere Carolina nie ausstehen mochten, sich auf den Tag der Verhandlung spitzt wie der Teufel auf den Seelenfang, und daß sie im Geist die schöne Frau schon verhaftet und ihre Villa und ihr Mobiliar versteigert sehen, und Guignard hat schon ein scharfes Auge auf den Cadillac und auf die beiden Motorboote geworfen, und Swaart wird sich den eleganten Privattrolly ersteigern, und Madame van Lammen erzählt von dem phantastischen Bett der Roqua-Lima, das zwei Meter breit sei und natürlich auch unter den Hammer käme, und erst die alte, behäbige und über alle derartigen Phantasien erhabene Swaart schneidet ihr das Wort ab mit der resoluten Bemerkung, daß dieses Monsterbett sie in keiner Weise interessiere, da ja bekanntlich die Hobelbank eines Berufstischlers auch immer größer sei als die eines Amateurs ...
Und es kommt wirklich der Tag des Gerichts, und das Gericht tagt im alten Munizipalgebäude, und es präsidiert der alte da Costa, und die beiden Beisitzer sind zwei einheimische Hafenoffiziere, und im Zuschauerraum sitzt › tout Payta‹: auf der vordersten Bank, hochmütig und selbstsicher und innen doch voller schwarzer Sorgen, die schöne Carolina und dahinter nebst Damen der ganze Klub und ganz in einer halbdunklen Ecke mit einer dickgeschwollenen Aktenmappe Sir Henry.
Und es tuscheln die Damen, und es wispern die Herren, und natürlich wird dieser Pafforth sich doch die mildernden Umstände nicht entgehen lassen und wird aussagen, wo er in jener Nacht gewesen, und daß dies alles nur ein abgekartetes Spiel der Roqua-Lima mit Bruke gewesen sei. Und Bu-Bu-Bu steht vor den Schranken und kümmert sich den Deuwel was um den Klub und bemerkt, ehe die eigentliche Verhandlung beginnt, daß auf des alten da Costa pergamentener Glatze ein walnußgroßer Auswuchs ist und daß über dieser Glatze und diesem Auswuchs – so ein Mistvieh – eine große bunte Libelle mit zinnoberrotem Leib und grünem Kopf kreist und schrecklich brummt und zu landen versucht, partout auf dem Knubbel der Exzellenz ...
Das also sieht Bu-Bu-Bu sich an, hört nebenbei auch die Verlesung der Anklage gegen den Kapitän zweiter Ordnung Pafforth wegen Wachtvergehens und beantwortet höflich alle die Fragen nach seinen Personalien und wo und wann er geboren ist, und weiß doch genau, worauf es allen Anwesenden ankommt, und sieht auch, daß Sir Henry ihm ermutigend zublinzelt, und wird sich schon wieder herausarbeiten aus dem ganzen Kakao und beobachtet immer diese Libelle ... immer über da Costas Glatze die schnurrende Libelle ...
»Wo also«, fragt der alte da Costa, »waren Sie in der fraglichen Nacht?« Und es ist mäuschenstill im Saal, und alle sehen auf die unbeweglich thronende Carolina.
»An Land, mal ein bißchen die Füße vertreten«, sagt höflich Bu-Bu-Bu und kann den verfluchten Brummer nicht aus den Augen lassen.
»Könnten aber Ihre Lage erheblich verbessern, wenn Sie uns sagten, wen Sie damals besuchten«, sagt ermunternd der alte da Costa.
»Tschuldigen mal«, sagt Bu-Bu-Bu und kann es nicht mehr mitansehen und haut mit der gleichen Hand, die vor ein paar Wochen den Neger Bruke zu Tode befördert hat, zu und zerklatscht auf der pergamentenen Glatze Sr. Exzellenz diese gottlose Libellenkreatur. Da ist dicke Luft, und da ist, ohne daß die Klubdamen auf ihre Rechnung gekommen wären, die Verhandlung sehr bald zu Ende, und da wird gegen ihn das Urteil gefällt auf sofortige Entlassung aus dem salvadorischen Dienst. Bu-Bu-Bu geht.
Bu-Bu-Bu geht und läßt hinter sich Staunen, Entrüstung, Enttäuschung und den alten da Costa, der sich nun seine Glatze sauber wischen muß, und Sir Henry, der gerade jetzt, wo doch die Exzellenz in einem nicht sehr repräsentablen Zustande ist, um eine dringende Unterredung bittet. Denn in Lindi oben – also auf britischem Gebiet – hat die Lage sich erheblich verschlechtert, und ein Flußkreuzer wird dort oben benötigt, und Sir Henry hat strikte Order aus London, die Bezahlung des bislang befremdlicherweise unbezahlten »Rascal« durchzusetzen und im Falle der Nichtzahlung das Schiff wieder für britische Dienste in Anspruch zu nehmen. Und leider hat die Regierung von Salvador die Mittel nicht flüssig, und leider kann der alte da Costa in solcher Eile diese Mittel auch nicht aus Lissabon auftreiben, und dieses Mal bekommt die Exzellenz den roten Kopf und versteht die Welt nicht mehr.
Und Sir Henry ist so guter Laune wie schon seit Wochen nicht und geht und pfeift leise vor sich hin den Sussexmarsch und weiß doch, daß dieser eben von den Salvadorianern disqualifizierte Bursche trotz aller Rauhbeinigkeit eine Rarität, ein Kerl von unschätzbarem Werk ist; und er ist zwar noch ein junger Hund und muß sich noch ein bißchen auswachsen, aber in seinen Instinkten auf Mannsbilder läßt Sir Henry sich nicht beirren, und wenn Alt-England in seinem Außendienst viele solche Kerle hat, dann wird das Imperium allen randalierenden Exoten zum Trotz nicht untergehen ...
Und Sir Henry denkt an die Vollmachten, die er in der Mappe hat, und heute nachmittag wird er Bu-Bu-Bu alles Nötige sagen und hat jetzt leider nur unten in dem vermaledeiten Hafen mit den Brandschäden des Lord Deterding zu tun, steigt in den Trolly ...
Und währenddes ist Bu-Bu-Bu über die Plaza gegangen, hat allen Respekt vor Tatsachen, ist keineswegs gebrochen in seinem Selbstbewußtsein, weiß aber genau, daß er nach diesem Urteil bis auf weiteres wohl kein Schiff bekommt ...
Geht, wird sich eine Stelle als Trimmer suchen, biegt in die Rua da Sul ein, hört hinter sich einen leichten Schritt, ahnt wohl, wer hinter ihm geht, dreht sich aber erst um, als er einen leichten Schlag auf der Schulter fühlt ...
»Danke, Torro ... oh, wie soll ich Ihnen danken?«
Er zuckt die Achseln, weiß nicht, wofür er eigentlich danken soll ...
»Daß Sie mich nicht verrieten, Torro!«
Ach was – hat er so von seinem Vater gelernt, daß man in solcher Situation den Namen einer Dame, bei der man gewesen ist, für sich behält ...
»Aber wenn Sie mich trotzdem genannt hätten?«
Jawohl, schöne Carolina, dann wäre der Himmel eingestürzt, und dann hätte es eine liebe kleine Verhaftung gegeben wegen des Einverständnisses mit J. P. und wegen des gestohlenen »Bosco« und des angebrannten Öllordes, und Vermögenskonfiskation und vielleicht Zwangsarbeit mit den wohlgepflegten, für derlei gar nicht bestimmten Händen und weiß Gott, was nicht sonst noch ...
Da steht sie, senkt den schönen Kopf. »Und nun gehen Sie fort, Torro?«
Natürlich, wird ihm doch wohl nichts übrigbleiben ...
»Aber vielleicht habe ich Sie gern, Torro?«
Vielleicht, süße Lady, und vielleicht auch nicht und sicherlich morgen einen andern Kavalier und übermorgen wieder einen andern und immer so weiter. »Das vergeht alles wieder«, tröstet Bu-Bu-Bu, denkt an jenen eisigen Lorgnonblick während jenes tödlichen Kampfes – jawohl, schöne Carolina, schwarzer Mann, weißer Mann ... Favorit ist, wer gerade den stärkeren Trumpf ausspielt ... nö, machen wir nicht mit, schönes Kind ...
»Torro ... so bleiben Sie doch, Torro!« klagt die Roqua-Lima.
»Gehen Sie jetzt nach Hause!« sagt ruhig und sehr trocken Bu-Bu-Bu und zieht den Hut und wendet sich ab. Springt sofort in ein Trolly und fährt los ...
Zum Hafen fährt er, schnüffelt ein bißchen in der Seebrise umher, sieht die Dampferschlote wieder qualmen, sieht auch, was er bisher nicht gesehen: daß der kleine Norweger hier in der ominösen Nacht eine Ladung in den blaugelben Schornstein bekommen hat ...
Von einem eifersüchtigen Nigger, der J. P. Bruke hieß und als Kamerad eigentlich ein patenter Kerl und nur als Politiker eine verrückte Tümpelkröte war, und den hat man abwürgen müssen, und nun liegt er da oben in den Zepitabergen in seinem steinigen Grab und verfault ...
Und alles nur wegen eines schönen Frauenzimmers, das sie durcheinandergebracht hat, und alles nur, weil immer an den Frauenzimmern die Kameradschaften der Mannsbilder kaputt gehen und alles eine Murkserei und eine Schweinerei in diesem Jammertal ist, und eigentlich hat man den ganzen Kram satt ...
Und unten im dreckigen Hafenwasser zwischen Ananasstrünken und weggeworfenen Rindskaldaunen steht Bu-Bu-Bu eine von den kleinen schwarz-gelben Meerschlangen stehen, und in etwas dunklen Zusammenhängen kombiniert er den Wurm da unten mit dem eben Gedachten und irdischem Jammertal und Paradiesesfluch und Hinausschmiß aus dem Gottesgarten und Weiberranküne und Adam, Eva und Schlange und nimmt einen Stein und feuert ihn nach dem Reptil ...
Trifft natürlich nicht, ist aber seinen Ingrimm doch ein bißchen losgeworden und geht über die Laufplanke zu dem Norweger hinüber, sieht den Zweiten bei Luke III auf dem Achterdeck. »Trimmerstelle frei?« Nö, das nicht, aber ein Kochsmaat wird gesucht, und ein Kochsmaat rangiert zwar dicht vor Abdecker und riecht nach Mief und Spülwasser, ist aber immer noch besser als ein Eckensteher in Payta und verlorener Sohn Europas, der an den Konsulatstüren kratzt und einen Fußtritt bekommt.
Und Bu-Bu-Bu schlägt ein, wird sich schon wieder rappeln aus der Schokolade, hört, daß »Thora« morgen nach Aden und Suez läuft, wird morgen an Bord sein. Als er wieder auf dem Kai steht, steht er Sir Henry auf sich zukommen ...
Das aber ist ja kaum mehr notwendig, daß ich berichte, was Sir Henry seinem Schützling zu eröffnen hatte. Du brauchst nicht Kochsmaat zu werden, mein Junge, und auf »Rascal« flattert wieder der Union-Jack, und neuerdings randalieren die Nigger oben in Lindi, und England wünscht, daß ein ordentliches Mannsbild sie dort oben zur Räson bringt.
Es ist in Payta nichts passiert, und es passiert überhaupt nichts auf dieser langweiligen Welt, und es wird auch in Lindi nichts passieren. Aber du brauchst wirklich nicht Kochsmaat zu werden, und du übernimmst für diese Fahrt das Kommando, und das weitere findet sich schon. Und du bist ein fixer Kerl, und was ein fixer Kerl ist, das weiß ich besser als alte Exzellenzen mit hohem Blutdruck, die wegen einer süßen Lady ganz bestimmt sich kein Wachtvergehen zuschulden kommen lassen.
So ungefähr. Und wer in Payta als fixer Kerl anzusprechen ist, das bestimmt der Konsul der Majestät von Großbritannien und Irland und sonst niemand.
Und am nächsten Morgen, als »Rascal« Dampf in allen Kesseln hat, da begleitet Sir Henry den Pafforth zum Kai. »Du mußt, mein Junge, nie auf etwas hoffen, und wenn du nie auf etwas hoffst, dann wirst du auch nie verzweifeln. Und du mußt immer Doktor Carters Leberpastillen nehmen, und du darfst nie vergessen, daß seit dem Trojanischen Kriege in der Politik die Weiber lauter groben Unfug angerichtet haben.« So ungefähr. Und die Pinaß mit Bu-Bu-Bu an Bord läßt den Motor schnurren, und Sir Henry ist auf dem Kai kaum mehr zu sehen, und wenn man das Glas nimmt und zurückschaut, dann steht er mit seinem bunten Schal eigentlich wie ein ältlicher Reverend oder wie eine alte frierende Frau aus.
Und nach einer Viertelstunde, da steht Bu-Bu-Bu, ausgerüstet mit Sir Henrys Sentenzen, auf der Brücke und legt auf den Maschinentelegraphen die Hand, sieht, wie die Propeller das Dreckwasser aufwirbeln.
Und ringsum die Steppe, die ist nun nach der Regenzeit schweinfurtergrün, und Payta, das ist ein altes Pestloch, aus Wellblech und grauem Elend auf Lagunendreck gebaut, und ganz recht haben auf den großen Überseedampfern die Kapitäne, wenn sie ihren Passagieren empfehlen, in Payta lieber nicht an Land zu gehen. –
Und Ebbe ist, und auswärts mit dreißig Stundenkilometern rast Borro, und von der See her weht kühlerer Wind, und gut tut es, das alte Fiebernest wieder mal hinter sich zu lassen.
Und oben in den Zepitabergen ist das Grab eines Mannes, der zwar ein verrückter Hering, aber schließlich auch mal ein guter Kamerad gewesen ist, und immer seit dem Trojanischen Krieg richten in der Politik die Weiber Blödsinn an, und es gehen an ihnen die Freundschaften der Männer verschütt ...
Vor den Zepitabergen aber, da ist ein vornehmes Landhaus aus der Erobererzeit, und auf der Terrasse, wo die bunten Agas in ihren Messingringen sich schaukeln, da steht, als »Rascal« passiert, eine schöne Frau und winkt dem ausgehenden Schiffchen zu ...
Und Bu-Bu-Bu sieht es nicht, muß auf das schwierige Fahrwasser achten.
Und ist nach drei Tagen in Lindi und bringt mit seinen Revolverkanonen die randalierenden Nigger zur Raison.
Und die Welt, meine Freunde, die gehört den Mannsbildern, die die Welt nicht allzu tragisch nehmen und ihren Reedern, wenn die alten Kracher mit vierundfünfzig durchaus noch freien wollen, die Haarfarbe verstecken und die Guignards in den Bach tunken.
Und die in schwierigen Situationen sich erinnern, daß, wer nie gehofft hat, auch nie verzweifeln wird.