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So aber kommt es nun einmal in solch kleinen Kolonialstädten: jahrelang passiert in ihnen absolut nichts, nur daß Storrer & Smith Pleite machen, und daß Missis Addison mit dem Vertreter der Castle-Line flirtet und der neue Gouverneur einen komischen Sprachfehler hat, das ist dann alles und muß auf Jahre hinaus den Stoff abgeben für Klub- und Lokalklatsch. Bis dann plötzlich das Leben solcher Nester sich überschlägt in grotesken Saltos und all die heißersehnten Sensationen zusammenpreßt in wenige Tage. Und wenn Tropenkoller und Langeweile genügend vorgearbeitet haben, dann ereignet es sich in einer Woche, daß der Gouverneur mit dem komischen Sprachfehler aus Eifersucht seine Frau erschießt und würdige und weißhaarige Klubpräsidenten des Mogelns im Poker überführt und die Töchter des amerikanischen Reverends eine gute Woche vermißt werden. Bis sie sich dann, nur leicht ramponiert, sonst aber ganz fidel, wiederfinden als Barmädel eines ganz obskuren Hafenbumses des Nachbarstädtchens ...

So ähnlich also kam es auch mit Payta, und die nächtliche Rauferei war nur der Auftakt zu all den aufregenden Ereignissen, die in den nächsten acht Wochen das ganze Nest auf den Kopf stellten. Als nämlich in dieser gleichen Nacht der Leutnant Jackson, der vor ein paar Jahren aus der britischen Armee in salvadorianische Polizeidienste gewechselt war, mit ein paar Leuten den üblichen Patrouillengang am Hafen gemacht hatte, da hatte er zu seinem lebhaften Erstaunen bemerkt, daß in Halle III ein paar schwarze Boys im Begriff waren, vier große, gestern mit der »Balmoral-Castle« aus Europa gekommene Kisten auf einem bereitstehenden Lastauto zu verstauen. Und da das, wie gesagt, angesichts des Streikes doch ziemlich auffällig war und die Nigger auf Befragen ziemlich dummes Zeug von freiwilligen Überstunden und leicht verderblicher Ware redeten, so hatte Jackson Kisten und zugehörige Papiere sich genau angesehen. Die Kisten waren als Umzugsgut deklariert an Missis Carolina da Roqua-Lima in Payta, und Missis Carolina war, wenn Jackson sich recht erinnerte, eine sehr vermögende Dame, die hier lebte, vielleicht als etwas extravagant galt und außerhalb der eigentlichen Gesellschaft stand. Als aber Jackson daraufhin sich die Kisten noch genauer angesehen hatte, da war, ganz zufällig natürlich, die eine vom Wagen gefallen und geborsten und hatte ziemlich seltsames Umzugsgut entleert: ein paar Maximgewehre und ganze Serien von großen Repetierpistolen nebst Munition. Da also hatte Jackson kurzer Hand die Kisten beschlagnahmt und die Nigger verhaftet und beschlossen, sofort Meldung zu erstatten. –

Das also hatte sich um Mitternacht ereignet. Die Zeche aber jener männermordenden Hafenschlacht hatte der Doktor Aguilhas vom Jesuiten-Spital zu bezahlen, als er gegen ein Uhr aus dem Bette geholt wurde. Die Polizei nämlich lieferte sieben Heizer des fremden Zerstörers ein mit einigen Knochenfrakturen, einigen defekten Nasenbeinen, sehr viel fehlenden Zähnen und einem glücklicherweise leichten Schädelbruch. Dann aber, begleitet von einem farbigen Kavalier und einer weißen Dame in zerfetztem Kleide, den Kapitän des Dampfers »Piquanita« mit einem auf den ersten Blick recht böse aussehenden Schulterstich und einem noch immer in der Wunde steckenden Matrosenmesser. Der Patient war bei Bewußtsein und verlangte lebhaft die Entfernung des Messers. Als aber der zunächst mit dem Abhorchen der Herztöne beschäftigte Arzt ihn beruhigen wollte, da zog der Mann kurzer Hand das Ding selbst aus der Wunde und warf's dem Doktor vor die Füße. Und als der Kranke dann erklärte, daß er sich jetzt bedeutend wohler fühle und daß er nichts einzuwenden habe gegen einen Imbiß nebst nettem großem Whisky, da wußte der Doktor, daß es mit diesem Stich doch noch glimpflich abgegangen war, und zückte die Morphiumspritze. In zehn Minuten schnarchte der Kranke wie ein Sägewerk.

So stand es zur Stunde mit Bu-Bu-Bu. Was aber den Gouverneur da Costa anbetrifft, so kam dieser bequeme und frühstücksfrohe und jedes zweite Jahr nach Marienbad reisende alte Herr durchaus um seine Nachtruhe. Ungemütlich war es schon seit Wochen in Payta, und alles lag ihm in den Ohren über die zunehmende Unsicherheit draußen, und daß nun noch dieser Jackson mit seinem Munitionsfund daherkam, gehörte schließlich nur zum täglichen Ärger. Daß aber diese Leute von dem fremden Zerstörer, die man doch zu Hilfe gerufen hatte, hier in Payta verprügelt worden waren, das konnte schlimm enden und erweckte in dem alten Herrn Angstträume von diplomatischen Beschwerden daheim in der Hauptstadt und schwer kalibrierten Anpfeifern, mit denen man ihn, den Verantwortlichen, anblasen werde. So war das. Er bekam Herzbeschwerden und verschluckte ganze Apothekenlager von Brom, Baldrian und Digalen. Und als er dann am nächsten Morgen mit dicken Augensäcken und übler Migräne in sein Bureau kam, da wurde ihm wirklich Mister Thomas Bird, Kommandant des fremden Zerstörers, gemeldet.

Die Unterhaltung beider Herren wurde bestritten durch sanfte Elegien auf salvadorischer und saure und harte Worte auf der anderen Seite. Wie denn, war er denn mit seinem Schiff nicht etwa auf dringlichste Hilferufe Sr. Exzellenz erschienen? Und gehörte es zu den Gepflogenheiten der durch Se. Exzellenz repräsentierten Regierung, die eigenen Beschützer einzusperren wegen einer lumpigen Hafenrauferei mit eingeschlagenen Zähnen und Nasenbeinen? So traurige Worte redete an diesem Vormittage gleich auf nüchternen Magen der Kommandant des fremden Zerstörers, und dieser Kommandant war groß und drahtig, und Se. Exzellenz war ein schlaffer Sack mit Leberschwellung und fettem Herzen, und hinter dem einen standen gefüllte Tresors und mächtige Schlachtschiffe, und hinter dem andern doch nur ein verarmter kleiner Staat, der einmal wohl eine Weltmacht gewesen, jetzt aber doch nicht viel mehr war als eben ein ehedem strahlender Weihnachtsbaum, den man zu Heilige Drei Könige auf den Dunghaufen wirft mit ein paar Lamettahaaren und ein paar bunten Unschlitttropfen daran ...

Es half zu nichts, daß der alte Herr aus den Polizeiberichten klipp und klar die Schuld der Fremden bewies. Dieser ekelhafte Kapitän bestand darauf, daß die noch im Spital liegenden Leute sofort entlassen und auf ihr Schiff gebracht wurden. Und dann trennte er sich in eisiger Höflichkeit von dem alten da Costa, und um zwölf Uhr, als eben der erste Guß der beginnenden Regenzeit niedergegangen war, da sah man unter einer tiefschwarzen Qualmwolke ein graues Kriegsschiff mit Dreibeinmasten und beleidigt ausgeschwungenen Kanonen den Fluß meerwärts dampfen. Das aber war wirklich jener fremde Zerstörer, der doch die Europäer in Payta hatte schützen sollen und nun grollend den ungastlichen Hafen verließ.

So aber, wie es gestern ein Pechtag gewesen war für Bu-Bu-Bu, so war es heute einer für den alten da Costa. Um zehn Uhr kam mit hochbepackten Wagen und ratlosen Weibern und weinenden Kindern der erste vom unruhigen Lande in die Stadt geflüchtete Farmertrupp in Payta an, verkeilte sich in den engen Gassen, machte mit dem Gegrein der Weiber und seinen Tatarennachrichten die Panik nur noch schlimmer. Und alle diese Leute wollten Unterkunft und Hilfe, und Se. Exzellenz rang die Hände und preßte den schmerzenden Kopf gegen die Scheiben. Und es kamen weinende Damen und Chefs, die seit heute früh von ihren farbigen Arbeitern nicht mehr gegrüßt worden waren, es kam der Belgier van Lammen, den – untrügliches Zeichen eines beginnenden Aufstandes – seine farbige Mammy heute nacht beim Schäferstündchen geduzt hatte. Es kam die zu Bittprozessionen ratende Oberin des Sacré-Cœur, es kam Durand und lenkte die Aufmerksamkeit Sr. Exzellenz auf die Tatsache, daß Madame doch in der Hoffnung sei und wie Se. Exzellenz es sich wohl dächte, daß sie in all dieser Unruhe entbinden sollte. Da aber wurde es denn Sr. Exzellenz doch zuviel, und da sprang der alte Herr auf und verließ, mit einem Weinkrampf kämpfend, das Zimmer. Und ließ sich vor allen weiteren Besuchen verleugnen und kam erst wieder zum Vorschein, als ein besonderer Gast gemeldet wurde. Sir Henry Birkbek, Konsul Sr. Majestät von Großbritannien und Irland, war gekommen. –

England aber, das soll man nicht vergessen, ist zu dem verarmten kleinen Salvador ja doch so etwas wie der reiche mächtige Onkel, und die Unterhaltung wurde, während in gemessenen Abständen Se. Exzellenz Veramon, Togal und andere wenig schmackhafte Chemikalien verschluckte, im wesentlichen geführt von dem Briten. Das, was sich hier vorbereitet, Exzellenz, das war nach Sir Henrys Erfahrungen kein simpler Generalstreik ... das war Generalkrach! Und zu befürchten war das Schlimmste, und im Inneren der Kolonie war gestern nach zuverlässiger Information britisches Blut geflossen, und unter diesen Umständen, da die Stadt nach Abzug des Zerstörers doch nun mal wehrlos war, glaubte er als Vertreter des Foreign Office, von Sr. Exzellenz diejenigen Maßnahmen erwarten zu dürfen, die geeignet sein könnten ...

In so gewählter Diplomatensprache redete Sir Henry und sah von der Höhe seiner sechs Fuß tief hinab auf den kleinen alten Herrn. Der im Hafen liegende salvadorische Kreuzer »Bosco« war halb abgewrackt und nicht viel mehr wert als eine rostige Konservenbüchse, in Kapstadt aber lag dafür, seit Monaten schon angekauft von Salvador, das niegelnagelneue Flußkanonenboot, mit dem man doch den ganzen Hafen und auch den oberen Flußlauf beherrschen konnte. Und wenn das kleine Ding ja leider auch noch nicht bezahlt war, so erlaube er sich als britischer Konsul doch zu bürgen für die Summe. Als aber der Gouverneur von der schlechten Jahreszeit, von dem notorisch schlechten Wetter am Kap und den hieraus sich ergebenden Gefahren für eine solche Nußschale sprach, da hatte der Brite einen unstechbaren Trumpf bereit. Man hatte doch diesen Küstenkapitän, der unter dem Namen Bu-Bu-Bu bekannt und ein fixer Kerl war und die Route ausgezeichnet kannte! Dem Mann war gestern bei der Rauferei etwas zur Ader gelassen, er werde aber – Sir Henry hatte schon mit dem Spitalarzt gesprochen – in acht Tagen bei einigen Vorsichtsmaßregeln wieder transportfähig sein. Mit dieser Feststellung griff Sir Henry bereits nach dem Hut, und schon im Gehen erbat er sich die Genehmigung Sr. Exzellenz zu den entsprechenden Schritten. Und als er dann unter höflichem Erkunden nach dem Gesundheitszustand Sr. Exzellenz gegangen war, da lag in seinem Sessel stöhnend ein aufgeschwemmter Herr, der sich weder dieser britischen Energie noch der gesamten Situation gewachsen fühlte. Was vermag denn auch schon gegen den großen britischen Löwen solch verarmter kleiner Staat, der zwar einst eine Weltmacht gewesen, jetzt aber wirklich nicht mehr als ein abgetakelter alter Weihnachtsbaum war?

Inzwischen lag bei den Jesuiten in seinem Verband Bu-Bu-Bu und sah im Morphiumdusel wirre Bilder. Im Schneesturm fällt bei Kap Hoorn der Leichtmatrose Hackl aus dem Vorgeschirr, in Guayaquil schleifen die Revolutionäre die Leiche des ermordeten Präsidenten Alfaro am Maultierschwanz über das Pflaster ... auf der Gardinenstange sitzt, Bananen kauend und die Schalen zur Erde befördernd, ein trauriger Halbaffe namens J. P. Bruke ...

Solche wirre Träume kamen mit dem Wundfieber, und so blieb es noch volle drei Tage. Dann aber, am vierten Morgen, als das Blut sich schon ein wenig abgekühlt hatte, da wurden es helle und freundliche Bilder und wieder der berauschende Duft des Busches und dröhnende Niggertrommeln in der Nacht, und dann große fleischfarbene Blütenkelche, die sich ihm wie Lippen zum Kusse boten und fast obszön ihre Münder ihm öffneten. Und schließlich, als er zwischen Wachen und Traum schon so etwas wie Genesung witterte, da war im Zimmer etwas Weiches und Freundliches, und was es war, das wußte er doch nicht, und ahnte eben nur das Rascheln eines Frauenkleides, spürte auf der Stirn eine kühle Hand und hörte ganz nahes Flüstern ...

»Torro« ...

Ganz in der Nähe. Zärtlich und ganz leise. Und »Torro« hieß Stier, und »Torro« hieß Kraft, und »Torro« hieß Mann, und als er sich all dieser Dinge erinnern und auch die Augen öffnen konnte, da war es auch schon wieder fort, und in dem Nebel, den das Morphium hinterließ, da sah er eine Frauengestalt ... ach, wohl nur das Phantom einer Frau verschwinden in der Tür.

Noch war er ja zu beduselt, um alle diese Dinge in Reih und Glied zu bringen, und noch einmal schlief er ein. Gegen Mittag aber, als er endgültig erwachte, da lag vor ihm auf der Bettdecke ein Blumenstrauß mit einer Visitenkarte. Die Blumen waren gelbe Orchideen mit allerliebsten roten Tupfen, die wie Blutspritzer aussahen. Auf der Visitenkarte aber standen unter dem Namen Carolina da Roqua-Lima mit Blei die Worte gekritzelt »Thanks, thanks, thanks«. So war es also wirklich die schöne Frau gewesen und keine Luftspiegelung, und so schlief er noch einmal ein mit einem beglückten Lächeln und schlief sich damit eigentlich schon frei von Fieber und Morphiumträumen. Und als er dann wieder erwachte, da fühlte er sich beinahe schon genesen, und da stand vor seinem Bett ein neuer Besuch.

Zuerst war das der Doktor Aguilhas, und er wickelte den Verband ab und besah sich die Wunde: kleiner Aderlaß, ganz bekömmlich eigentlich für ein so vollblütiges Mannsbild, in ein paar Tagen werde alles überwunden sein. Als aber Bu-Bu-Bu ihm daraufhin sagte, er solle sich zum Teufel scheren, und er solle ihm lieber sagen, wer Dame Carolina da Roqua-Lima sei, da gab der Doktor, hastig seine Instrumente einpackend, eigentlich nur recht verworrene Auskunft. Carolina da Roqua-Lima, reiche Frau, schöne Frau aus ältestem Portugiesenadel, etwas Outsiderin, etwas außerhalb der Gesellschaft stehend, etwas ...

Mit diesen dunklen Worten ließ er Bu-Bu-Bu allein und ging. Und der zweite Besuch, dem dieser erste sozusagen die Türklinke reichte, das war ein Mann, der ebenfalls etwas Outsider war und ebenfalls, wie die schöne Frau, etwas außerhalb der Gesellschaft stand: J. P. Bruke, Chief der »Piquanita«, war gekommen.

Heute aber trug er zur gelben Rohseide und zur traditionellen roten Krawatte auch noch smaragdgrüne Strümpfe, und wenn er gestern schon bunt wie ein Makartstrauß gewesen war, so leuchtete er heute farbenfreudig wie die Gesäßschwiele eines Mandrills. Im übrigen lärmte er nur so ins Zimmer und tat zwar sehr unbefangen, war aber doch unsicher und verkrampft wie ein Straßenköter, der vorn kläfft und die Zähne zeigt und hinten einen Fußtritt erwartet. »Anständige Sache gewesen, Bu-Bu-Bu ... das neulich in der Nacht ... bin gekommen, Ihnen dafür zu danken, weil's doch eine Dame meiner Bekanntschaft war, für die Sie sich zerstechen ließen ... sehr beachtlich von Ihnen.« Mit dieser Ansprache setzte J. P. sich auf den Bettrand. Was er nur haben mag, fragte sich Bu-Bu-Bu und betrachtete den anderen mit einem Interesse, mit dem man sonst in seinem Käfig einen bösen Affen beobachtet. »Was haben Sie eigentlich, J. P., und weswegen führen Sie mir dieses Theater auf?« fragte er laut. Da aber hatte der andere den Blumenstrauß und auch die Karte entdeckt, und da ging es gleich von neuem los ...

»Was diese Lady anbetrifft, so sind wir ihr ja schon neulich in Capetown begegnet, und Sie, Bu-Bu-Bu, haben gleich munter zugegriffen und haben sie belästigt, und ich habe Ihnen dann ja auch das Notwendige gesagt. Heute will ich Ihnen mehr sagen, Bu-Bu-Bu, und deswegen bin ich auch gekommen. Die Lady also ist eine Bekannte von mir, sie ist von unserer afrikanischen Sache, sie spielt mit im großen Kampf Afrikas, sie steht mithin unter meinem besonderen Schutz. Ihr Europäer aber hier in Afrika, ihr bildet euch ja immer ein, daß ihr nur zuzugreifen braucht, wo ihr eine Frau seht, und erst diese afrikanische Revolution ...«

Und als nähme ihm der Gedanke an diese afrikanische Revolution den Atem, sprang er mitten in diesem Erguß auf, begann auf und ab zu wandern im Krankenzimmer. »Diese Revolution wird ein Ende machen mit euern Konquistador-Gewohnheiten. Sie aber, Bu-Bu-Bu, Sie glauben in Ihrem Europäerhochmut mir das alles nicht, und Sie erweisen mir nicht einmal die Ehre einer Erwiderung und liegen da in Ihrem weißen Bett und lachen den dreckigen Nigger aus und halten mich für einen übergeschnappten Bolschewiken. Sie sind ja ein netter Junge, Bu-Bu-Bu, und jedenfalls von anderer Klasse als das Gesindel in Ihrem Klub, und gern hätte ich Frieden mit Ihnen. Jetzt aber, wo ich die Blumen und die Karte gesehen habe, da weiß ich, daß sie schon bei Ihnen gewesen ist und daß Sie, Bu-Bu-Bu, bereits auf Freiwild pirschen. Ich kenne Ihre Allüren und bin gekommen, Sie zu warnen. Sie steht unter meinem Schutz, sie kämpft mit uns, und wenn Sie ihr nachstellen sollten ...«

»Verrückt geworden«, dachte Bu-Bu-Bu.

»Dann schneide ich Ihnen die Kehle durch«, schrie J. P. Bruke und zerpflückte die Orchideen. »Nach ein paar Tagen, Bu-Bu-Bu, da beginnt unser großes Spiel um Afrikas Freiheit ... nach ein paar Tagen fliegen sie allesamt hinaus, Ihre Krämer aus dem Klub und unser gemeinsamer Freund Guignard und Pechner und van Lammen und Sir George und das ganze Gesindel. Von Rechts wegen aber auch Sie, Bu-Bu-Bu, und wenn wir mit Ihnen eine Ausnahme machen sollen, dann ...«

Er hatte sich in Wut geredet. Er schrie. Er schrie, daß er die Geräusche der Straße übertönte, er war, wie alle Nigger in der Erregung, aschgrau geworden. Und dann endlich, wie der Paroxysmus ihn gleichsam erstickte und er, ein armes Menagerietier, um Atem rang und von neuem beginnen wollte, da geschah etwas, was in einer recht kläglichen Weise dieser Szene ein Ende machte. Tritte waren auf dem Korridor zu hören, eine Männerstimme und die der diensthabenden Schwester, und dann wurde die Tür geöffnet, und der, der da hereinkam, das war Sir Henry Birkbek.

Er kam, sah durch den Schwarzen hindurch wie durch eine Nebelbildung, trat ans Bett, streckte dem Kranken die Hand hin. »Tut mir leid, habe alles gehört, tut mir doppelt leid. Sie in diesem Zustande belästigen zu müssen.« Und er bückte sich und hob die auf den Boden gefallene Karte der Carolina da Roqua-Lima auf, schien jetzt erst den Schwarzen zu bemerken, und während er mit Bu-Bu-Bu sprach, fixierte er den Mann, dessen Anwesenheit ihm ganz und gar nicht zu passen schien.

»Habe allerdings dringend mit Ihnen zu sprechen. Unter vier Augen.«

Immer mit dem eisigen Monokelblick nach dem Nigger. Dieser Blick aber war kein gewöhnlicher Blick, sondern es war der Blick Altenglands, das zuchtlose Nigger auch ohne Worte bändigt, und der Nigger wiederum, das war kein gewöhnlicher Nigger, sondern mit Lackschuhen und grünen Strümpfen ein gleichberechtigter Gentleman, ein Mohrenkönig, ein farbenprächtiger Kaiser von Afrika. Und so standen sie sich gegenüber als Repräsentanten zweier Welten.

»Unter vier Augen«, wiederholte, jedes Wort scharf betonend, Sir Henry.

Da blies J. P. sich auf wie ein Ochsenfrosch. »Allerlei Wichtiges«, sagte Sir Henry und ging auf den Schwarzen zu. Und dann kam das Entsetzliche ...

Sir Henry nämlich ging langsam an ihm vorüber und riß die Tür auf. Die eine Hand, die zeigte nur auf den Korridor hinaus ... ach nein, nicht nur auf den Korridor, sondern in jene weite Ferne, wo die inferioren Rassen, die Foreigners, wo unverschämte Farbige sich aufzuhalten haben. Die andere Faust aber, die ballte sich und wurde weiß am Gelenk, und es war die Faust jener rohen englischen Hiebe, die das Imperium und die ganze Welt zusammenhalten. »Geh du hinaus, Nigger«, sagte leise zu dem farbenprächtigen Kaiser von Afrika Sir Henry. Da kam es ...

Der farbenprächtige Kaiser nämlich war in diesem Augenblick kein Kaiser mehr, sondern ein armer farbiger Kuli, der hilflos und demütig die Arme fallen ließ und ein paar Zentimeter kleiner zu werden schien. »Hinaus!« sagte Sir Henry. Da krümmte sich bei dem anderen der Rücken und kläglich klappte der Unterkiefer herunter. »Schneller«, sagte Sir Henry. Da war J. P. schon bei der Tür und warf noch einen hilfesuchenden und sehr jämmerlichen Blick auf Bu-Bu-Bu. »Gehe ja schon, Herr«, sagte demütig J. P. und sah angstvoll nach der harten britischen Hand mit den weißgewordenen Handgelenken und den rohen englischen Hieben. »Gleich, Herr, gleich«, sagte J. P. und machte kurz vor der Tür noch einen Sprung wie kurz vor dem Fußtritt ein Straßenköter. Und war verschwunden und warf hinter sich die Tür ins Schloß, und noch auf dem Korridor hörte man sein Laufen.

Unaussprechlich leid tat er in diesem Augenblick Bu-Bu-Bu.

*

Die Unterhaltung zwischen den beiden, sie war kurz und sie verlief mit »mein Junge« und »Du« und gewaltigen aus einer Pfeife von Blumentopfgröße abgeblasenen Rauchwolken in jenen degagierten Formen, hinter denen Sir Henry einerseits seine Vorliebe für den Pafforth, andererseits aber seine schwere Sorge um die gespannte Lage in Payta verbarg ...

Also: es wird ja nichts passieren in Payta ... es passiert auf der Welt überhaupt nichts. Damit aber nichts passiert, müßten wir aus Capetown das Kanonenboot hierherholen ...

Er machte ein paar Schritte und paffte wie ein Vulkan, Bu-Bu-Bu habe doch seine Stelle verloren, er könne dieses neue Kommando haben, er könne seine alte Mannschaft übernehmen, und unerläßlich sei nur, daß er in ein paar Tagen nach Capetown abreise.

Und Bu-Bu-Bu hörte es und dachte, daß er doch eigentlich noch matt wie eine Fliege war, und daß diese Reise ihn wieder einmal von der schönen Frau trennen werde. Da aber begann Sir Henry von neuem und sprach von dem nagelneuen Schiffchen mit seinen beiden Zehnzentimeterkanonen, und dann sprach er von tausend Pfund Gehalt und Kontrakt für ein Jahr, und dann blieb er unvermittelt vor Bu-Bu-Bus Bett stehen. »Es ist da, mein Junge, unter deiner Mannschaft dieser Nigger. Er hat Dummheiten im Kopf, er darf nicht mit.« Und dann nahm, gleichsam in Gedanken, Sir Henry die Visitenkarte der schönen Carolina und spielte damit ein bißchen herum. »Und dann«, sagte Sir Henry, »ist da noch so ein Frauenzimmer, so ein tiefdekolletiertes halbnacktes Biest, die will dir den Kopf verdrehen, und vor der mußt du dich in acht nehmen.« Sagte Sir Henry und wußte eben nicht, daß dieser Kopf von dem »halbnackten Biest« Carolina eigentlich schon um einige Grade verdreht war. Und hielt dem anderen den Füllfederhalter hin und ließ ihn unterschreiben und ging.

Und Bu-Bu-Bu war auch wirklich noch zu schwach, um dies alles zu bedenken: daß man ihm den armen J. P. verbot, der ihm doch das Leben gerettet hatte, daß er von der schönen Frau wegsollte, und daß das allein schon ziemlich viel verlangt war für tausend Pfund im Jahr. Er war müde. Er streckte sich, schlief, aß, schlief drei Tage lang und schlief sich wieder gesund und stark und stand am Abend des dritten sogar ein wenig auf. Und an diesem dritten Abend, während draußen mit voller Wut die Sintflut der Regenzeit sich ausschüttete über Payta, da passierte draußen eine aufregende Geschichte.

Im Hafen nämlich lagerten noch immer die als Haushaltungsgegenstände an Fran Carolina da Roqua-Lima adressierten Waffen, wurden natürlich von einem Doppelposten bewacht, sollten morgen abtransportiert werden. Als aber in dieser Nacht der von den königlichen Goldstreams in hiesige Polizeidienste gewechselte Leutnant Jackson in dieser schauerlichen Regennacht die Posten revidieren wollte, da waren die Kisten verschwunden, und die beiden Leute, die sie hatten bewachen sollen, lagen auf dem Boden. Mit durchschnittener Kehle. Mausetot. Leichenstarre war bereits eingetreten. –

Das aber war mehr als eine unangenehme Entdeckung. Man hatte sofort den alten da Costa geweckt, man hatte das Hafenviertel abgesperrt, man hatte untersucht, was zu untersuchen war, und hatte in der Nähe der Mordstelle auf den trockenen Pflastersteinen unter dem Wellblechdach die Abdrücke eines Gummiabsatzes mit den Buchstaben J. W. gefunden. Die salvadorianischen Beamten waren auf diese Entdeckung sehr stolz, Jackson aber dachte daran, daß J. W. John Wannamaker bedeutet und daß John Wannamaker am unteren Broadway Millionen solcher Gummiabsätze in die Welt schickte. Jackson spie aus. Nach seiner Auffassung konnte die Polizei von Salvador sich begraben lassen ...

Immerhin tat er, was sich tun ließ. Noch in der gleichen Nacht hatte man am linken Flußufer jenes große von Carolina da Roqua-Lima bewohnte Landhaus durchsucht, man hatte nichts gefunden und hatte sich obendrein von den draußen sich herumlümmelnden Niggern auslachen lassen müssen. Und in dieser Nacht, wo trotz des herunterstürzenden Regens der Himmel voll war von den Feuerscheinen brennender Farmen, da erschien Sir Henry bei Bu-Bu-Bu zum zweiten Male. Es eilt, mein Junge. Es tut mir außerordentlich leid, daß das Loch in deinem Fell noch nicht einmal zugewachsen ist. Aber es muß sein, und übermorgen schon geht die »Balmoral-Castle«. Damit zählte Sir Henry mit zweihundertfünfzig Goldpfunden ihm die erste Quartalsrate auf den Tisch. Bu-Bu-Bu strich das Geld ein und ärgerte sich nun doch ein bißchen über die Treiberei und die Hetze, mit der man ihn aufs Schiff jagte, dachte über die Ursache nach, griff nach der Abendzeitung und las die Mordgeschichte und auch das mit den Gummiabsätzen, auf denen J. W. stand. Da fuhr er auf. Wie zum Donnerwetter, hatte nicht auch Bruke solche Schuhe?

Er schlief gut, er machte am nächsten Tag seine ersten Gehversuche, wurde aber den Gedanken an den Nigger und seine Gummiabsätze nicht los. Und er lag und grübelte und dachte an den Mann, der in diese Riesenschweinerei offenbar verwickelt war und ihm doch das Leben gerettet hatte. Und schlief endlich ein und fand, als er erwachte, auf seiner Bettdecke einen Brief, an dem noch verwehter Parfümhauch war. »Sie gehen, mein Torro, also schon morgen. Flehentlich bitte ich Sie, Bruke, der den Verstand verloren hat und unfaßliche Dummheiten macht, mitzunehmen. Erwarten Sie, mein Freund, meinen Dank, sowie Sie wieder zurück sind. Morgen, wenn Ihr Schiff vorüberzieht an meinem Hause, werde ich Ihnen meine Abschiedsgrüße zuwinken. Nur diesen heute. Carolina.«

Das also stand in dem Brief. »Den Nigger darfst Du nicht mitnehmen«, hatte Sir Henry gesagt. »Nimm ihn mit und erwarte meinen Dank«, schrieb die schöne Frau. Und er las und atmete den verwehten Duft von Chyphres, der vom Briefe kam und den stärkeren der Heliotrope draußen im Garten, las wieder und grübelte und wußte nicht, was tun, und schlief schließlich ein.

Es ging am nächsten Morgen alles soweit glatt. Sir Henry hatte ihn abgeholt in seinem Wagen, er hatte ihn selbst an Bord gebracht, und außerdem war im Auftrage des Klubs van Lammen erschienen, um ihm zu danken für sein selbstloses Einspringen. Er hatte mit halbem Ohr zugehört, er hatte an Bord der »Balmoral« seine alte Mannschaft von der »Piquanita« gefunden und hatte sich überzeugt, daß sie gut untergebracht war, und er war dann sehr froh, als man ihn auf dem Achterdeck in seinem Liegestuhl verstaut hatte und unten die Maschinen der »Balmoral« ansprangen. Er lag und träumte vor sich hin, er sah die regendampfenden Ufer vorüberziehen und sah inmitten schwarzer Zypressen das weiße spanische Haus, und davor in der schwarzen Mantilla die Frau und das flatternde Tuch ... wollte zurückwinken, fühlte sich beobachtet, merkte, daß hinter ihm jemand stand und drehte sich um. Da stand hinter seinem Stuhl J. P. ... Vorher bei der Einschiffung der Mannschaft hatte er ihn nicht bemerkt, er hatte schon geglaubt, ihn loszusein und hatte sich dessen gefreut. Nun also stand er, aufgetaucht wie der Böse, hinter seinem Stuhl, war keineswegs elegant, trug einen gestreiften Baumwollkittel und ein offenes Hemd, hatte sich wohl als Kochsmaat oder Kohlenzieher eingeschlichen an Bord bei Nacht und Nebel. »Bilden sich wohl ein, daß das Winken da Ihnen gilt?«, sagte giftig J. P. »Halts Maul«, sagte kurz und sachlich Bu-Bu-Bu und spuckte über die Reling und überlegte erst einmal, was er hier tun sollte ...

Man kann nicht gut einen Mann ans Messer liefern, der einem ein paar Tage zuvor das Leben gerettet hat ... man kann allenfalls dem Mann auf den Grund seiner schwarzen Seele gehen und ihn dann zum Teufel schicken. »Zieh deine Schuhe aus«, befahl Bu-Bu-Bu, der Nigger stand und glotzte. »Will deine Absätze sehen«, knurrte Bu-Bu-Bu, da wurde der Nigger aschfahl und reichte ihm gehorsam die Schuhe. »J. W.« stand auf dem Absatz.

Bu-Bu-Bu kletterte mühselig aus dem Stuhl, besah sich noch einmal das Beweisstück. Mochte ja gut und gern sein, daß Wannamaker solche Absätze millionenweise in die Welt schickte, ihm war es klar, daß von diesem und keinem anderen Absatz die Abdrücke auf dem Pflaster der Lagerhallen stammten. »Du erlaubst wohl«, sagte Bu-Bu-Bu und warf den ersten der Schuhe über Bord. Dann aber faßte ihn die Wut. »Ein Schenzi bist du«, schrie er, »ein schwarzes Ofenrohr, ein stinkiger Nigger, ein Hallunke. Verkriech dich und verschwinde in Kapstadt für immer und komm mir nie wieder unter die Augen«, schrie er und warf auch den zweiten Schuh über Bord und sah noch den Nigger, wie er mit gekrümmtem Rücken davonschlich und im achteren Niedergang verschwand.

Er selbst, mißmutig und tief gedrückt, lehnte noch eine Weile an der Reling. Hinter ihm, über dem kochenden Fluß, versank in den feuchten Schleiern des Regens das weiße Haus und das flatternde Tuch und in ihrer schwarzen Mantilla die schöne Frau.

* * *

 


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