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Mit unserem schwarzbärtigen düsteren Propheten aber nimmt es ja nun leider ein vorzeitiges und nicht sehr seliges Ende. Als Gast auf einer Hochzeit nämlich wird er gerade da, als der Braten aufgetragen werden soll, vom Geiste erfasst, wirft sich der Länge nach über den Tisch, schlägt mit Händen und Haupt auf die Tischplatte, ›recht, wie dat hei sterven sol‹. Aber ›hei stervt‹ heute noch nicht, hat eben nur gerade einmal eine seiner gelegentlichen Unterhaltungen mit Gottvater und sagt, als der Anfall zu Ende ist, ›nicht wie ich, sondern wie du es willst‹.
Dann sagt er noch ›Gottes Frieden mit euch allen‹ und empfiehlt sich nebst seiner Gattin und geht. Am anderen Tage äussert er noch die Absicht, mit einem kleinen Häuflein und schwacher Kraft wie David den goliathstarken Feind zu vertreiben, nimmt sich zehn oder zwölf seiner Getreuen mit, verlässt die Stadt durch das Ludgeritor und geht auf die Bischöflichen los. Die aber haben nicht das geringste Verständnis für diesen davidischen Heldenmut, greifen an und zersprengen 91 die kleine Schar völlig. Den Propheten durchbohrt zunächst ein Spiess, Hellebarden zerhacken ihn dann völlig. Der Kopf wird ihm abgeschlagen. Den Rumpf zersäbeln die Landsknechte des Bischofs in hundert Stücke und ›schmeten sich damit‹ und rufen dabei den auf dem Walle stehenden Städtern zu, sie sollten sich gefälligst ihren Bürgermeister wieder zusammensuchen (denn sie wussten es nicht, dass sie den Vertrauten Gottes selbst getötet hatten). So endet Jan Matthys, Bäckermeister zu Harlem und Prophet zu Münster, und seine Geschlechtsteile nageln in der Nacht die Landsknechte ans Aegiditor.
Das ist ja nun ein schwerer Verlust, denn ›es hielten die Hollanders, Freesen, Prädikanten und Wiederdoepers von diesem Matthys mehr / denn von Got‹. Unersetzbar aber ist der Verlust doch schliesslich nicht, da wir ja in unserer Mitte den uns seinerzeit von Matthys selbst gesandten Mann namens Bockelson haben. Woher er kam, ist hier schon gesagt, wie er lebte und wohin es mit ihm ging, wird noch gesagt werden, und festgestellt darf zunächst sein, dass sofort mit seinem ersten Auftreten als repräsentativer erster Prophet die Massenhysterie wieder sich regt und fortan zu Paroxysmen sich steigert, wie sie nicht einmal im Februar konnten verzeichnet werden.
Seine erste Ansprache an die Gemeinde hält sich keineswegs an das übliche Schema von der Ausrottung 92 aller Gottlosen und der alleinigen Berufung der Heiligen Stadt Münster. Er arbeitet mit einem kräftigeren Mittel: ihm, Bockelson, sei schon acht Tage vor dem eigentlichen Ereignis Jan Matthys' Tod offenbart worden, der Tote (und damals eben noch Lebende!) sei ihm mit seinem aufgeschlitzten Leibe in Begleitung eines Bewaffneten erschienen, der Bewaffnete aber habe ihm offenbart, er solle sich nicht fürchten und auch nicht erschrecken, wenn Matthys binnen kurzem so aussehen würde und stürbe . . .
Er solle dann vielmehr sein Nachfolger werden und auch Matthys hinterlassenes Weib heiraten. Er, Bockelson, habe sich einigermassen gewundert, weil er ja ein rechtmässiges Weib schon daheim in Leyden sitzen habe, trotzdem werde nun ja wohl nichts anderes übrig bleiben als der Stimme Gottes, die zu ihm gesprochen, nachzugeben.
Also Bockelson. Gleichzeitig beruft er sich auf Knipperdolling, dem er diese Vision damals, also acht Tage vor Matthys' Tode, mitgeteilt habe, gleichzeitig bestätigt ihm Knipperdolling vor der erstaunten Gemeinde dies alles.Angeblich, nach Kerssenbroch, widerruft er später auf der Folter diese Bestätigung und gibt an, er habe damals gelogen. So Kerssenbroch. Ich habe in den Vernehmungsprotokollen einen solchen Widerruf nicht gefunden. Der Erfolg der Rede aber ist jedenfalls ungeheuerlich, er ist in diesem Ausmasse von dem toten Matthys nie erzielt worden. Mit dem üblichen 93 Geschrei ›O Vater, gib, gib‹ beginnt man auf dem Friedhof der Grauen Mönche, wo diese Rede gehalten worden ist, zu tanzen, die Männer ziehen ihre Schwerter, die Weiber lösen ihr Haar auf und entblössen den Oberkörper . . . alles beginnt, in die Hände zu klatschen und nach dem Takte des Geschreis zu tanzen. Dass dabei am Himmel für alle Anwesenden Gottvater zu sehen ist, wie er sich von dem rhetorischen Erfolg seines Propheten überzeugt, ist beinahe schon selbstverständlich. Und ›dieselven frouwen und megde, die so gedantzet hebben, die waren so bleich und so wiet in ihr angesicht / wo dat sie weren dodet gewest. So hedden sie sich entsat in dat angesicht, gliek wie doten.‹
Seither also ist Bockelson der repräsentative, von Gott gesandte Prophet und Herr der Stadt, er wird, wie Kerssenbroch berichtet, noch tiefer verehrt als Matthys selbst. Und da es nun zur Abwechslung an Knipperdolling ist, Visionen zu haben, so befiehlt anfangs April Gottvater ihm, dem Staatshenker, es seien, damit alles Hohe erniedrigt werde, sofort sämtliche Kirchturmspitzen der Stadt abzutragen. Was denn mit Hilfe von geschickten Zimmerleuten und unter Anwendung von Winden nach vorheriger Durchsägung des Gebälkes auch gelingt: mit gewaltigem Getöse sausen die kupfer- und bleigedeckten Turmspitzen in die Tiefe und zerschellen in ungeheuren Staubwolken, und widerspenstig ist nur der Martiniturm, wo das Werk nicht 94 recht vorwärts kommt. Die Spitze biegt sich nur ein wenig aus der Lotrechten heraus, hängt gefährlich über der Kirche und der Stadt, und ein Zimmermeister, ebenfalls von göttlicher Eingebung bestimmt, macht sich anheischig, das Werk zu vollenden. Mit Steigeisen in dem weichen Kupferbelag der Turmspitze sich festkrallend, klettert der Mann, um ein Zugseil an der äussersten Spitze zu befestigen, das steile Dach hinan, saust aber mit dem plötzlich nachgebenden Oberbau in die Tiefe. Die Turmpyramide fällt auf das Kirchenschiff, durchschlägt das Gewölbe, begräbt unter ihren Trümmern auch den von Gott heimgesuchten Meister, und erst nach Einnahme der Stadt wird sein Skelett, noch mit den Steigeisen an den Fussknochen, im Kircheninnern gefunden.
Inzwischen aber wird es Ernst mit der Belagerung, und man fühlt die beginnende Abschnürung und beginnt, dieser kleinen isolierten Stadtwelt ihren Ausnahmezustand zu schaffen. Vergegenwärtigt man sich diese Massnahmen, liest man gleichzeitig die Druckschriften, die die Stadt damals zur propagandistischen Zersetzung der bischöflichen Söldner drucken liess und ins feindliche Lager schmuggelte, so scheint zunächst, dass der bescheidene Vorrat an Vernunft, der nach dem Ausbruch dieser Massenpsychose noch übrigblieb, sich restlos in diesen Propagandaschriften verbrauchte und 95 dass der Rest sektiererische Verschrobenheit und Amoklauf war.
Aber es scheint eben nur so, und de facto wird dahinter ein sehr zielbewusster Wille sichtbar, der die Massenhysterie sich zunutze machte und einem hergelaufenen Schneider die Herrschaft nicht nur über Münster, sondern womöglich über das ganze Reich sichern wollte. Vorerst sind es sozusagen die Massnahmen des ›totalen Krieges‹, auf die wir stossen. Die Handwerker der Stadt – für jeden Gewerkszweig namentlich aufgeführt – werden sozusagen zu beamteten Kriegslieferanten erklärt, niemand ausser den staatlich approbierten Fischmeistern Kerkerinck und Hermann Redeker darf fischen, Gewandschneider sind Bernhard tor Moer, Bernhard Glandorp, Heinrich Edelboit. Als Wallmeister fungieren Wordemann und Deventer, als Tierärzte Johann Krechting und Eberhard Follen . . . Heinrich Mollenhecke und Bernhard Gewandschneider sind unsere Büchsenmacher, Menncken ist Chef über die Gewürze, Krechting verwaltet neben seinen tierärztlichen Obliegenheiten noch die ›Kriegsstelle für Oele und Fette‹; Stephan Kupperschlaeger aber den lieben Alkohol . . .
Niemand soll Schwangeren Fischnahrung verweigern, niemand zerrissen oder zerschnitten Gewand tragen, niemand darf fremde Tracht anlegen, niemand sich mit den in die Stadt kommenden Ueberläufern in 96 ein Gespräch einlassen, er hat sie vielmehr sofort zum Verhör vor unseren Scharfrichter und Gerichtsherrn Knipperdolling zu bringen. Und im übrigen soll jeder münsterische Israelit (denn diesen Volksnamen haben wir in toto uns zugelegt) die Schriften streng befolgen, und demgemäss sind alle diese Verordnungen, in denen nachgerade noch eine Vorschrift über das Hundeflöhen fehlt, mit Bibelstellen eingeleitet und mit Bibelstellen beschlossen, und Bibelstellen begründen allenthalben, weswegen derjenige den Kopf durch Schwertes Gewalt verlieren soll, der unsere Obrigkeit bekrittelt oder an den vorgesetzten Speisen der gemeinsamen Mahlzeiten herummäkelt. Man sieht, es ist ein seltsames Gemisch von Altem Testament und Kriegswirtschaft ex 1916, es ist ein bisschen Calvin und vorweggenommener Cromwell dabei, es ist alles das verrührt mit Angst vor dem Bischof und münsterischem Lokalpatriotismus, und allenthalben blitzt im Hintergrunde Knipperdollings Richtschwert über allen, die nicht mitmachen wollen.
Es ist, mit den Augen der Machthaber gesehen, auch durchaus notwendig, dass es so ist, da die Absperrung nun doch schon fühlbar wird. Der Bischof hat zwar, da seine Herren Landsknechte die Lebensmitteltransporte auszuplündern belieben, Mangel in seinem Lager, nicht wenige laufen über in ›Gods own city‹, und er hat, um diesem Unfug zu steuern, Galgen errichten lassen 97 müssen. Aber die Blockhäuser und Lager sind nun durch Erdwerke verbunden und noch schwerer bestückt als zuvor . . . wie soll es eigentlich werden, wenn Zion alle seine Oechslein und Schweindln, sein Mehl und seinen guten westphälischen Speck wird aufgezehrt haben?
Ja, wie soll es werden – ist es nicht am Ende besser, solch traurige Gedanken nicht einmal aufkommen zu lassen? Vorerst ist es ja auch noch ein halbwegs gemütlicher Grabenkrieg mit gegenseitiger Neckerei. In der Stadt feiert man den Karfreitag, allen christlichen Gebräuchen entgegen, mit Glockengeläute und einem Ulk, bei dem man eine alte Stute, der man die von Philipp von Hessen erst im Vorjahr erwirkten protestantischen legien an den Schwanz bindet, ins gegnerische Lager treibt und einen zweiten Gaul, auf dem mit Bischofsmütze und Ornat eine Strohpuppe sitzt, hinterherjagt. Die Landsknechte aber halten die Strohpuppe für ihren bischöflichen obersten Kriegsherrn und ›da was der man up dem pert nur ein gemaksel von stro und hosen und wambs und da worden die landsknechte tornich und up der porten standen die predicanten und propheten und hebben gelachet . . .‹
Was vielleicht insofern doch erfreulich ist, als es doch wenigstens von Restbeständen des im Gottesreich ansonst zu kurz gekommenen Humors zeugt. Ausserdem aber steht man hüben und drüben schimpfend auf 98 den beiderseitigen Wällen, und die Soldaten revanchieren sich, indem sie, mit heruntergelassenen Hosen und mit dem blanken Allerwertesten fernhin leuchtend, in niederträchtiger Nachahmung münsterischen Prophetenjargons ›Vater, mich begehrt nach deinem Fleische‹ rufen. Bis es den Heiligen auf der Mauer zu bunt wird und sie auf einen Jungen, der ihnen mit solch unziemlichem Geschrei wieder einmal den Hintern zeigt, ihr Kanonenfeuer richten . . .
Worauf der Junge von einem Volltreffer so arg zerrissen wird, dass man seine allenthalben verstreuten Glieder nicht mehr zusammenlesen kann. Wofür die Bischöflichen dann bei passender Gelegenheit den münsterischen Kaminkehrer Bastwilhelm (Infunibulorum rasor heisst in Kerssenbrochs mittelalterlichem Latein dieser sonst in der Antike nicht vorgesehene Beruf) erwischen, als er – auch er übrigens auf Geheiss einer göttlichen, in der Nacht gehörten Stimme – nach Wolbeck geschlichen ist, um dort eines der bischöflichen Munitionsdepots anzuzünden. Es brennt in Wolbeck ganz hübsch, es wird der Brand aber gottlob rechtzeitig gelöscht. Den Kaminkehrer aber brennt man dafür mit der gleichen raffinierten Henkertechnik zu Asche, mit der die Ritter vor zehn Jahren den Jäcklein Rorbach, den Haupträdelsführer bei der Ermordung des Grafen von Helffenstein, zu Tode brachten: indem man ihn an kurzer Kette an einen Pfahl bindet 99 und in gemessenem Abstand Holzklafter anzündet. Das Opfer läuft nämlich dann, langsam geröstet, im Flammenkreis herum, bis es eben zu Tode gebraten ist, und in diesem Falle künden noch alte Verse von Tat und Sühne:
Bast Wilhelm heft dat stedlein Wolbeck angestecken
Got moste davon seine live trecken.
He is verbrandt und heft sinen lohn entfaen
Danach als hei hedde dem stedtlein Wolbeck gedaen.
Und über die Absichten, die der Bischof auch für die übrigen Bürger der Heiligen Stadt im Busen hegt, kann jedenfalls kein Zweifel mehr bestehen, und weil es so ist und weil schliesslich alle diese frommen Fouriere und Proviantmeister auf die Dauer nichts mehr werden zu verwalten haben, deswegen besinnt sich Münster auf das einzige Mittel, das auf lange Sicht helfen kann. Die Nachbarn, das platte Land, vielleicht die holländischen Provinzen, vielleicht gar das ganze Reich und vor allem die Soldaten des Bischofs von der Gerechtigkeit der eigenen Sache zu überzeugen. PropagandistischeDie hier nachfolgende Druckschrift ist auszugsweise wiedergegeben. Zersetzung des Gegners heisst also das Mittel.
Allen Völkern, die Münster, Gottes allerchristlichste Stadt bedrohen. Milde und Erbarmen und Friede von 100 Gottvater durch der Welt Erlöser Jesus Christus wünschen wir allen Frommen, Wohlgesinnten und denen, die die christliche Wahrheit lieben.
Höret ihr Völker, vernehmt ihr Jungen und ihr Greise, die ihr unsere Stadt umzingelt habt: da wir nicht nur Friede, sondern auch Bruderliebe in Christus von ganzem Herzen wünschen, wie wollt ihr es da vor den Frommen, geschweige denn vor Gott verantworten, dass wir gegen das geschriebene Gesetz ohne Kriegserklärung von euch mit gewalttätiger Belagerung bedrängt und von euch hingeschlachtet werden? Den Gerechten hilft Gott! Dass wir euch dieses Schreiben schicken, das geschieht, merkts euch, aus folgendem Grunde. Wir hoffen nämlich, dass unter euch viele sind, die Gott und ihren Schöpfer lieben und die lieber den Tod leiden, als dass sie ohne Kriegserklärung und ohne Recht, ohne Gott und ohne die geliebte Wahrheit um des lieben Geldes willen Krieg führen! Wir glauben, dass es unter euch Männer gibt, die, durch Lügen verführt, unsere Feinde geworden sind und nun glauben, sie täten, indem sie die Waffen gegen uns führen, ein Gott wohlgefällig Werk. Damit aber ein jeder von euch genau wisse, was er damit anrichtet, wollen wir euch kurz über unsern Glauben unterrichten und auch über unser Leben. Unser Glauben gehört dem einen lebendigen Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, wie das die Heilige Schrift ja des langen und breiten 101 auseinandersetzt. Wir wissen also und glauben: es liebt der ewige Gott, die ihn fürchten und auf seinen Wegen wandeln, wie er alle Uebeltäter erschrecklich hasst. Da wir also an Gott glauben und wissen, dass er die belohnt, die ihn suchen und auf seinen Wegen wandeln, so halten wir es mit unserem Leben vor Gott also, dass wir keinen Uebeltäter in unserer Mitte ungestraft lassen und noch viel weniger solch ungeheuerliche Freveltaten, wie man über uns zusammenlügt, nachsehn und geschehn liessen. Darüber hinaus wollen wir gern das Vierfache ersetzen, wenn wir je einen anderen als den Teufel und sein Gefolge betrogen hätten. So ist unser Glaube, so unser Gesetz, so unser Leben. Unsere Zuversicht ist Gott, er ist unser Schutz und Schild, wir wollen seinem Willen gehorchen im Leben wie im Sterben. Deswegen fürchten wir auch nicht den Antichrist und seine Pfaffen, die Mönche und die List des Teufels samt seiner ganzen Kohorte. Unser in Christus begründetes Leben beginnt erst dort, wo dieses sterbliche Fleisch seine Sterblichkeit ablegt. Dann eben werden diese Feinde, die nun wider Christus und seinen Stachel löcken, geschlagen und verworfen werden.
Deswegen also bekehrt Euch und erkennt, solange es noch Zeit ist, Eure Irrtümer, damit Ihr nicht selbst in die Grube fahrt. Wir wünschen aller Menschen Einkehr, damit sie samt uns geheiligt werden. 102 Darüber aber, was die Menschen uns wünschen, mag Gott als Richter befinden. Nehmt denn dies hin als eine freundlich gemeinte Ermahnung und hütet Euch, unseren wohlgeübten alten Führer zu reizen. Alle Feinde Gottes nämlich achten wir nicht anders denn Spreu und Staub, und sicherlich wirds ihnen schwer werden, wider den Stachel zu löcken, und sie werden hineingezogen in Gottes Gericht.
Wenn Ihr dieses unser Glaubensbekenntnis für unwahr haltet, wollen wirs gern erlauben, dass eine von Euch zu bestimmende Menge der Euern, wie Ihr sie auserwählen mögt, herüberkomme und die prüfe.
Denn Gott allein weiss, wie wir nur sein Reich wünschen.
Geschrieben zu Münster, in des höchsten Gottes Stadt, am achten April 1534 nach Christi Geburt.
Die Aeltesten
und Christi gesamte Gemeinde und Bruderschaft, versammelt zu Münster.
Solche Traktätchen fliegen, an Pfeile und Schleudersteine gebunden, nun täglich ins bischöfliche Lager und verfehlen ihre Wirkung keineswegs. Denn nicht wenig fromme Knechte lassen sich davon überzeugen, dass drüben hinter Münsters Mauern so etwas wie ›Gods own country‹ zu finden sei und laufen einfach über. Mit der leichten Einnahme des ›Dörfleins‹ ist es nichts, und lieber heute als morgen zöge aus den bischöflichen Laufgräben der gemeine Mann wieder 103 davon. Und das Schlimmste ist vielleicht, dass das alles so lange andauert und auch so schrecklich viel Geld kostet, und dass draussen im Lande die Bürger den Landsknechten, die Se. Gnaden zuziehen wollen, ein ganz furchtbares Wort zurufen, wie es einmal der Droste von der Recke zufällig hört und sofort amtlich weitergibt: ›Wat wultu dem amechtigen (machtlosen) und luzigen biskope deinen de heft gin gelde.‹ Und wie war es denn in unseren eigenen Tagen? Versammelte sich nicht anno 1919 gegen genau solch aufbegehrenden und dem lieben Münster nicht ganz unähnlichen Staat mit all ihren Kriegsmaschinen die halbe Welt . . . stand damals nicht Denikin nur einhundertundfünfzig Kilometer vor Moskau und stieg nicht schon Koltschak die Uralhänge hinab, und wurden dann nicht alle diese Heere hinter dem Rücken der Führer vergiftet durch eben diesen Trank, der da Propaganda heisst?
Die drinnen merken's natürlich, wie es beim Belagerungsheer steht und zücken es noch oft, das papierne Schwert.
Kann aber dieses Schwert nicht zum Zauberstab werden, der Berge versetzt, kann es für die Ohren der draussen Stehenden nicht den Schlachthof zum Blumengarten, die Galeere zum sonnigen Ruheplatz, den Hurenstall zur Gelehrtenklause umlügen? Wodurch siegte das Frankreich von 1794 und wer schmuggelte 104 ostwärts über den Rhein jenes uniformlose Heer von Libertinern, das bis vor kurzem auf unserem Boden stand und so elegant und so geräuschlos alles verdarb, was auf diesem Boden sich den ein wenig schal, ein wenig verstaubt, ein wenig vermottet gewordenen Ideen Rousseaus noch widersetzte?
Was damals in Münster gedruckt wird, ist durchaus darauf berechnet, alle die Blocksbergsorgien der Heiligen Stadt als ›halb so schlimm‹ und die Tanzenden als im Grunde ganz biedere Leute erscheinen zu lassen, und nur um diese Propaganda und die Tatsachen miteinander zu vergleichen, wollen wir, ein wenig nur, hineinleuchten in diese Blätter . . . .
›Wir glauben und bekennen, dass Jesus Christus der wahrhaftige Sohn Gottes sei . . . wir erkennen ihn als unseren Herrn, wir wollen es lieber mit der ganzen Welt als mit ihm verderben und lieber uns alle schlachten lassen, als dass wir mit ihm brechen . . .‹
So ungefähr in kürzestem Exzerpt. Sehr schön, ihr lieben Männer von Münster, wir hier draussen verstehen eben dann nur nicht, warum ihr alle seine Bilder zerstört habt im Dom, wo ihr doch alle alttestamentlichen Propheten und Richter und Urväter stehen liesset . . . wir verstehen erst recht nicht, weswegen ihr dann euern Leuten immer nur mit dem Alten Testament und nie mit Gottes eingeborenem Sohn daherkommt. Aber weiter . . .
105 ›Wir glauben nicht, dass er von Maria irdisch Fleisch hat übernommen.‹ Das aber sollt ihr mit den zünftigen Theologen disputieren – uns interessiert das heute gerade soviel wie die Frage, ob ihr euch auf die Taufe der Erwachsenen versteift oder nicht . . . uns liegt heute etwas ganz anderes am Herzen, und es ist die Frage aller sündigen Kreatur: ja, wie haltet ihr es eigentlich mit der Erlösung und mit der Vergebung unserer Sünden?
›Es gefällt uns keineswegs, was die Lutheraner und Papisten von den Werken, diesen Früchten des Glaubens, sagen. Die Papisten nämlich machen wenig Aufhebens von dem einen und von dem andern und denken nur an jene erlogenen guten Werke, die ihr Götze, nämlich der römische Antichrist, getan haben soll. Die Lutherischen aber reden zu viel von ihrem Glauben und denken zu wenig an die guten Werke, und Früchte werden bei ihnen nicht gefunden, sondern Hurerei, Saufen, Fressen und was sonst des Fleisches ist.‹
Könnte so nicht auch Calvin gepredigt, könnte nicht eine ähnliche wenn auch mit dem Wortfeuer von 1793 geheizte Stichflamme der Trefflichkeit auch dessen letzter Nachfahr Robespierre auf den Convent losgelassen haben? Aber weiter, immer weiter . . .
›Wir wissen, dass wir Kinder des Zornes sind und dass wir nur gerechtfertigt werden können nur durch 106 den Glauben an Jesum Christum. Aber mit dem Glauben, er sei für uns gestorben, ist noch nichts getan und gar so leicht lässt sich Gottes Reich nun einmal nicht erobern, und geschrieben steht: ›Das Reich der Himmel leidet Gewalt und die Gewaltigen nehmen es.‹‹
Hört man nicht hier, sei es auch aus dem Grabe, die Stimme jenes gewalttätigen Propheten Matthys, der im Februar, wäre er nicht daran gehindert worden, am liebsten alle Altgläubigen in Münster, Lutheraner wie Katholiken, geköpft hätte?
›Es ist wahr, dass wir durch den Glauben an Christus Vergebung der Sünden erlangen, aber eben doch nur so, dass wir hinfort nicht mehr sündigen. Denn kehren wir uns nach erkannter Wahrheit wieder der Sünde zu, so wäre es ärger, als das erstemal und wäre es besser, dass wir die Wahrheit nie erkannt hätten. Darum wird mit Fleiss bei uns darauf gesehn, dass keine Sünde geschehe. Geschieht es aber dennoch, dass Jemand in Sünde verfällt, so wird er nach der Schrift gestraft und gerichtet.‹
Gewiss, und deswegen stellt ihr den armen Smoeker, der sich das Leben bei euch sicherlich gemütlicher vorgestellt hatte, wegen einer betrunkenen Szene gleich an die Wand, deswegen habt ihr den Schmied Rüscher, der euern Propheten unfreundlich kritisierte, unbarmherzig mit der Hakenbüchse durch den Leib geschossen, 107 und deswegen bedroht ihr Quisquillien, sei es auch nur eine alberne Mäkelei, mit dem Tode.
Und verschweigt mit all euern sonstigen biederen Grundsätzen über Ehe und häusliches Leben, dass ihr, um die Herrschaft von Moses und den Propheten zu sichern, weit weniger mit der Bibel als eben mit dem Richtschwert regiert, und verschweigt eure Heldentaten im Dom und verschweigt jenes Böotiertum, mit dem ihr alles vernichten wollt, woran in Freuden des Menschen Herz hängt. Einmal waren doch auch eure Propheten Kinder, einmal wussten sie, dass es auch so etwas wie Jauchzen und Lachen gibt und dass die Welt noch etwas anderes ist, als eine Hohe Schule der Trefflichkeit und dass ihr Schöpfer das Lachen seiner Kreatur eigentlich doch gern hört und dass er sie gern straucheln und fallen lässt, damit sie sehen, wie hoch er selbst thront und damit sie sich nach seinen Höhen sehnen.
Gewusst haben sie das alle doch einmal, diese düsteren Propheten. Aber sie haben es vergessen, und sie wurden hochgetragen von einer Welle der Massenhysterie, und nun soll nach ihrem Willen die ganze Welt solch graues sinaitisches Narrenhaus werden wie Münster. ›Wer da sagt, er kenne Gott und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in solchen ist keine Wahrheit‹, steht als Motto unter der eben 108 zitierten Täuferschrift. Aber, ihr armen Eintagsfliegen, kennt ihr denn Gott wirklich so genau und seid ihr gar so sicher, dass er immer nur der strenge und eifernde Gott des Sinai sein will und dass er gar so wohl sich fühlte in eurer trübseligen Trefflichkeit? So aber, in euern Monomanien, druckt ihr Traktat auf Traktat und sendet's hinaus in den lachenden Frühling 1534 und stellt den Bischof als Friedensstörer hin und verschweigt geflissentlich, dass ihr, wäre dieser Belagerungsring wirklich je durch euch gesprengt worden, kaum stille sitzen geblieben wäret auf euerm münsterischen Berge Zion . . .
Sondern es wäre eure Welt übergeschwappt wie eine Schüssel schwerer Galle, und siehe, sie hätte damit das ganze Reich überflutet.
Die Lage des Bischofs in diesem Sommer 1534 erinnert an die der deutschen Heere im Spätherbst 1870 vor Paris, und beide sind sie ständig bedroht durch das Gespenst der Revolution ringsum, und beide lernen sie begreifen, was in der Geschichte sooft übersehen wird: dass jede Revolution, sei es auch ein Aufstand des Alten Testamentes, zur Expansion drängt, dass sie ein Feuerbrand ist, der leicht die Nachbardächer anzündet. Es kann so nicht weitergehen mit einer gemütlichen Belagerung, es drängt zur Entscheidung. Und im Mai endlich wird Generalsturm geblasen gegen die teuflische Stadt.
109 Kleine Kämpfe aber hat es schon im April gegeben, vornehme Herren aus des Bischofs Heer wurden von diesen ruppigen Täufern gefangengenommen und schreiben nun missvergnügte Briefe aus der Stadt, und wir hier auf des Bischofs Seite haben auch die Wälle verstärken müssen gegen die ewigen Ausfälle, und wir sind dabei auf sehr wenig Gegenliebe gestossen bei den Bauern, die wir zu den Erdarbeiten kommandierten. Nun ist genug gewartet, und wir haben grob Geschütz in Stellung gebracht, und seit dem Freitag vor Pfingsten donnert es gegen Münsters Wälle und Schanzen. Dieses Münster aber ist ein Teufelsnest und weiss sich zu wehren. Vor kurzem hat es in Scharen das Abendmahl genommen, nun steht es in Scharen auf den Wällen und bessert mit Erde und Kuhmist die von unserem Geschütz gerissenen Breschen aus. Zu früh freuen sich bei uns die Landsknechte auf die erhoffte Beute, allzu reich zecht man im Lager der geldrischen Haufen vor dem Sturm ›ut neque discrimen dierum neque verspertini neque matutini temporis haberent rationem‹ . . . dass also die Herren dortselbst den Abend vom Morgen nicht mehr unterscheiden können, und in diesem Zustande, wahrscheinlich um den andern beim Plündern zuvorzukommen, gehen diese Herren aus Geldern allzufrühe die Stadt an, die um ihr Leben kämpft.
110 Die anderen Haufen sehen das allzufrühe Vorpreschen der Geldrischen und greifen ihrerseits ins Gefecht ein, können aber an der Verwirrung und dem unglücklichen Ausgang dieses Tages nichts mehr ändern. Diese elenden Täufer, denen Ueberläufer den Sturm verraten haben, beklagen angeblich nur zwei Tote, während es bei uns zweihundert sind. Dass man im bischöflichen Lager auf Verräterei sich hinausredet, ändert am Ausgange nichts, und etwas niedergeschlagene Briefe schreiben am nächsten Tag die anwesenden Herren Kriegskommissäre an ihre Herren nach Cleve und Kassel und Cöln. Und nun schwillt denen in Münster der Kamm, und göttliche Stimmen befehlen ihnen, des Bischofs Kanonen zu vernageln und zu diesem Zwecke auszufallen aus der Stadt . . .
Rothmann ist es, der dieses Mal Freiwillige auf den Domhof beruft, und ›derselve Stutenbernd kont so reden, dat sine glicken nicht was mit behendigkheit‹, und da es ja wieder einmal Gott selbst ist, der diesen Ausfall anbefiehlt, so drängen sich die Freiwilligen, Täufer und bischöfliche Ueberläufer und alle diese tagtäglich aus Friesland und Holland auf Schleichwegen in die Stadt strömenden Zuzügler (auf die Meister Gresbeck am wenigsten gut zu sprechen ist!) zu dem Unternehmen. In einem quer durch den Wall beim Judefelder Tor getriebenen Geheimgang drängt 111 der Gewalthaufe ins Freie, überrascht, da ein Ausfalltor sich ja nicht geöffnet hat, die gerade mit Trinken und Würfelspiel beschäftigten Belagerer völlig, schlachtet die Wachen bei den Geschützen ab. Die Zündlöcher werden vernagelt, die Lafetten mit Beilen zerhauen, das Schiesspulver wird auf die Erde gestreut. Als die Landsknechte endlich sich zur Gegenwehr sammeln, haben die Täufer, die sich schleunigst zurückziehen, bei dem verstreuten Pulver Lunten entzündet, und als die Krieger die Stelle passieren, flammt es auf, und die Soldaten Se. Gnaden verbrennen elend. Hüben schreit es kläglich, drüben stehen diese pestigen Städter und lachen wieder einmal. Vierzehn, nach einem anderen Bericht gar sechsundzwanzig Geschütze hat man dem Bischof vernagelt und dazu ›by zwei donnen bolver angestochen‹, und dass sich hinterher ein Kunstfertiger findet, der die vernagelten Kanonen wieder in Ordnung bringt, ist bei dem sonst katastrophalen Artillerieverlust ein wahres Glück. Ein Gefecht bei dem Mühlberg von Sanct Mauritz, das für die Bischöflichen etwas weniger unglücklich ausgeht und bei dem Hauptmann Corytzer ein Auge verliert, ist nur ein schwacher Trost in diesem Meer von Trübsal. Dies alles ist um Pfingsten geschehen.
Wie aber soll es weitergehen, wenn Münster nicht fällt und dieses wiedertäuferische Krebsgeschwür sich immer tiefer hineinfrisst in den Leib des Reiches? 112 Während wir hier die Heilige Stadt vergeblich berennen, zucken allenthalben in deutschen Landen die Flammen aus dem Boden, in Mähren, im Werratal, in Erfurt benutzen die Täufer geschickt das soziale Aufbegehren der unteren Schichten, in Augsburg wird sehr bald, wenn auch in weniger gewalttätiger Inkarnation, ein zweiter Wiedertäuferprophet und -könig auftauchen. In Strassburg warten sie nur auf den Augenblick, wo Melchior Hofmann in der Gloriole des Himmels den Kerker verlassen wird. In den Niederlanden aber, in dieser Wiege unserer Propheten und Gewaltigen, dort ist die Bewegung so machtvoll, dass sie auch dort . . . und dort noch weit mehr als im inneren Reich, die Staatsmacht bedroht. Was aber soll hier vor Münster werden, wenn sie gar die Ueberhand gewinnt und als Interventionsmacht sich zwischen die Stadtwälle und die kanonenbewehrten Forts des Bischofs schiebt?
In Neuss, wo man schon im Frühjahr sich über die Mittel und die Durchführung dieser Belagerung ausgesprochen hat, tagt im Juni der Kriegsrat zum zweiten Male, der Bischof erhält neue Mittel, neue Versprechungen. Freilich müssen die Landstände bürgen für die vierzigtausend Goldgulden, die Kleve und Köln vorstrecken, sie wissen nur eben, dass, wenn Münster sich hält, noch mancher Dom . . . ja, dass dann das ganze Reich brennen wird, und was geschehen kann, 113 um den neuen Gottesstaat abzuwürgen, wird hier jedenfalls nach Kräften vorbereitet. Da wir aber innerhalb der Stadtmauern turmhoch die Gefahr sich aufrecken sehen, da wir ferner so firm sind in der alttestamentlichen Heldenlegende und jeder von uns sich hineinträumt in eine Davidrolle, weswegen soll sich denn da in unserer Mitte nicht auch jene Judith vorfinden, die den Holofernes vor den Mauern erwürgt und das bedrängte Bethulien befreit?
Wir wissen nicht, wie Hille Feicken aussah, und kein Porträtist kam, im Kerker ihre Züge festzuhalten – so wie der Pariser Maler David die Züge der schönen Charlotte Corday einst festhalten wird. Wir wissen aus ihrem Bekenntnis, dass sie aus Friesland kam, verheiratet war und einen Mann hatte, der auf den nicht alltäglichen und wohl täuferisch auffrisierten Namen Psalmus hörte, wir wissen, dass das junge Ehepaar auf die vielen Gerüchte hin, die über das münsterische Gottesreich im Lande kursierten, in die Stadt gelaufen war und dass es dortselbst sich hatte taufen lassen.
Diese von allen Zeitgenossen als ausserordentlich schön bezeichnete Frau also hat von Gottes Stimme den Auftrag erhalten, ins feindliche Lager zu gehen und dortselbst den Bischof just wie den Holofernes, und gegebenenfalls mit der gleichen Weibertechnik, zu 114 ermorden, es ist ihr sonderlich aufgetragen, das bischöfliche Lager nicht bei Nacht und Nebel, sondern am hellichten Tag zu betreten. Und nur insoferne weicht sie von Judith ab, als sie nicht ein Schwert zum Köpfen, sondern ein selbstgefertigtes und mit Gold und Silber durchwirktes, leider aber vergiftetes . . . ein wahres Nessushemd mitgebracht hat, das Se. Gnaden beim Souper zu zweien anziehen soll.
Dies ist der äusserst poetische Plan, und die Ausführung leider erheblich prosaischer. Nach einigen Berichten wird sie sofort beim Betreten des Lagers abgefasst, nach anderen verhindert nur ein Münsterer Ueberläufer, dass sie vor den Bischof gelassen wird. Dieser Ueberläufer aber ist kein anderer, als eben jener Hermann Ramert, bei dem Bockelson im Herbst 1533 gewohnt hat, und der nun, irre geworden am Narrenhause Münster, aus der Stadt flieht und den ihm bekannt gewordenen Anschlag verrät.
Was ja wohl eigentlich darauf schliessen lässt, dass der Anschlag in der Stadt vorbereitet wurde und mit Wissen der Propheten und Aeltesten erfolgte. Johann Klopriss, der Prädikant, bleibt zwar im späteren Folterverhör hartnäckig bei der Bekundung, ›Judith‹ sei gegen den ausdrücklichen Rat der massgebenden Täufer aus der Stadt gegangen, Hille selbst aber bekennt am 27. Juni, sie sei von Knipperdolling mit Geld und 115 Wegzehrung ausgestattet worden. Was Knipperdolling übrigens später ›beim peinlichen Verhör‹ seinerseits bestätigt. Er war eben weit rabiater als der mit allen Wassern gewaschene und in solchem Falle bedächtigere Bockelson, er war ein Mann, dem der Hass gegen die Altgläubigen leicht ›rote Funken vor den Augen‹ tanzen liess, und so mag er es gewesen sein, der im stillen diesen etwas phantastischen Plan gutgeheissen und unterstützt hatte.
Wie dem auch sei, die schöne Hille wird gefasst und sagt auf der Folter aus, Gott habe ihr Tag und Nacht mit diesem Auftrag keine Ruhe gelassen . . . ›haedde ze dat nicht gedaen, ze hedde Got darmedde vertoernt‹.
In Bervergen, wohin man sie überführt, wird sie in der üblich grausigen Weise hingerichtet. Dies, nachdem sie zuvor dem Henker ins Angesicht gesagt, sie könne beim besten Willen keine Schuld an sich finden. Die Wiedertäufer aber, die von ihrem Ende gehört haben, zwingen einen von ihnen gefangenen bischöflichen Landsknecht namens Marschalk zu einem Brief, in dem er bitter sein Los beklagt und flehentlich bittet, man möge ihn doch einlösen. Gegen wen übrigens? Natürlich gegen Hermann Ramert, der ja eben übergelaufen ist und den Anschlag der ›Judith‹ verraten hat . . .
116 Sie stehen, als es dieserhalb einiges Hin und Her zwischen Parteien gibt, auf dem Wall und rufen Ramert zu: ›Komm sofort zurück.‹
Was Ramert leider nicht tut. Die Herren von Münster waren in manchen Dingen, bei aller Schlauheit, naiver als die Genesis selbst naiv ist. 117