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(Tafeln 208-241)
Birma war früher kein einheitliches Reich, sondern zerfiel in eine Anzahl kleiner Territorialfürstentümer, die meist von Vorderindien aus gegründet wurden. Das Reich Tagaung am Oberlauf des Irrawaddy soll seinen Ursprung Kolonisten aus Ostbengalen verdanken. Von den einzelnen Reichen, die nach- und nebeneinander entstanden, erreichte Pagan die größte Bedeutung. Die frühesten Anfänge gehen etwa auf ein Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurück. Aber Wesentliches ist aus dieser Periode nicht auf uns gekommen. Erst seit der Blütezeit dieses Reiches, etwa im 11. Jahrhundert, sind viele Baudenkmäler dort erhalten. Die intensive Bautätigkeit in Pagan erhielt sich bis zu seinem Untergang. Im Jahre 1279 vertrieben die Chinesen unter der Herrschaft der Mongolen den letzten König Narathihapate. Die Ruinenfelder von Pagan, die etwa einen Flächenraum von 40 qkm einnehmen, zeugen von dem großen Religionseifer der Herrscher. Noch heute zählt man etwa zweitausend mehr oder weniger gut erhaltene Tempelruinen.
Schon früh fand der Buddhismus in Birma Eingang, doch scheint später der Neubrahmanismus starken Einfluß gewonnen zu haben, denn es wird von dem gewaltigen König Anoarahtasoa (1010-1052) berichtet, daß er dem Buddhismus wieder Geltung verschaffte. Er muß ein großer Glaubenseiferer gewesen sein, doch war für ihn der Buddhismus vor allem ein Mittel, Macht zu gewinnen. Er hatte den festen Willen, der oberste Schutz- und Schirmherr aller buddhistischen Länder zu werden, und zwar nicht nur in religiösem, sondern auch in politischem Sinne. Durch Gesandtschaften forderte er die buddhistischen Könige in Vorder- und Hinterindien auf, alle hervorragenden Reliquien, heiligen Schriften und Kultgegenstände, die sich in ihrem Besitz befanden, ihm auszuliefern, ihn als den Oberherrn der buddhistischen Länder anzuerkennen und ihm zu huldigen. Die vielen Kriege, die er führte, waren alle von dieser Tendenz beherrscht; er erreichte sein Ziel aber nur teilweise. Manche Fürsten kamen seiner Aufforderung nach und für all diese Reliquien baute er Stupas und Tempel. Aber die mächtigsten Herrscher widersetzten sich seinen Forderungen. So wurde z. B. die heilige Zahnreliquie in Ceylon seinem Gesandten nicht ausgeliefert. Wichtig ist aber, daß er für die Reliquien aus den verschiedensten Gebieten Tempel in den Bauformen der Ursprungsländer errichten ließ. Ebenso bemühten sich alle seine Nachfolger, derselben Tradition zu folgen.
Das berühmteste Beispiel dieser Art ist der Bodhi-Tempel in Pagan (erbaut 1218), der nach dem Vorbild des großen Tempels von Buddha Gaya in Vorderindien erbaut ist. Wenn auch die Absicht bestand, vollständig in den fremden Stilarten zu bauen, so bezog sich die Ähnlichkeit der Tempel doch meist nur auf die allgemeine Anlage und die Umrißlinien. Die Details sind jedenfalls alle mehr oder weniger birmanisch und die Formensprache der großen Werke von Pagan ist eine einheitliche geblieben, obwohl man in manchen Bauten Einflüsse aus Siam und Cambodja findet.
Auch in Birma sind wie in Siam zwei Bautypen bestimmend gewesen: der runde buddhistische Stupa und der aus quadratischem Grundriß heraus entwickelte indische Tempelturm.
Die ältesten Stupas ähneln in ihrem Aufbau stark den vorderindischen und haben somit auch eine deutliche Verwandtschaft mit den ältesten siamesischen Rundbauten. Das zeigt sich besonders an dem scharf ausgeprägten oberen Abschluß der Glocke, in den der quadratische Unterbau des Schirmes einschneidet. Aber etwa von dem Jahr 1000 ab hat sich der national-birmanische Typus des Stupa entwickelt. Während die älteren Bauten verhältnismäßig geringe Höhen aufweisen, sind die späteren Stupas, besonders in Pagan, von außerordentlich großen Abmessungen. Man hält zähe fest an dem dreifachen, terrassenförmigen, quadratischen Unterbau, der nach Vorschrift der heiligen Bücher zum Rechtsumwandeln des heiligen Bauwerks bestimmt ist. Die einzelnen Geschosse sind durch Treppenanlagen miteinander verbunden. Auf der obersten Terrasse erhebt sich dann der massig gedrungene, runde Aufbau der Glocke, deren kühn geschwungene s-förmige Umrißlinie ohne Unterbrechung gleich in die kegelförmige Spitze übergeht. Der für die frühen Formen so wichtige quadratische Unterbau des Schirmes ist ganz fortgefallen. Der massive Schirm endet in einem glatten, zwiebelartigen Bauglied, das noch von einem leichten, sehr fein gearbeiteten, vergoldeten Metallschirm (hti) bekrönt wird. Diese goldenen Metallschirme sind ein besonderes Merkmal birmanischer Bauten und werden nicht nur über Stupas, sondern über allen Turmspitzen angebracht. Sie geben den turmartigen Bauten einen besonders charakteristischen Abschluß. Um die Mitte der Glocke zieht sich ein schmückendes oder einschnürendes ornamentales Band, ähnlich wie es in Ceylon an den meisten Stupas zu finden ist. An dem quadratischen Unterbau und teilweise auch an dem runden Fußgesims der Glocke sind vielfach quadratische glasierte Tonplatten mit den Darstellungen der Vorgeburtsgeschichten Buddhas angebracht (Taf. 238, 239). Im Verlauf der Jahrhunderte hat sich dieser birmanische Typus in seinen Grundzügen erhalten. Die Bauten der letzten Zeit sind durch Hinzufügen aufdringlichen Schmucks und Beiwerks beeinträchtigt worden. Das größte Bauwerk dieser Art ist die weltberühmte Shwe-Dagon-Pagode in Rangun (Taf. 213). Zuerst wurde sie als ein kleiner Bau errichtet, später aber öfter überbaut. Ihre jetzige Gestalt erhielt sie im Jahre 1775; sie ist 107 m hoch. Der ganze ungeheure Bau ist vergoldet. Das gläubige Volk kann sich nicht genug tun im Errichten von kleinen Tempelchen und Votivbildern am Fuße des großen Bauwerks. Nächst dem Prathommachedi (Taf. 176) in Siam (118 m) ist dies der höchste buddhistische Stupa. Neben diesen massiven Bauten, deren Inneres unzugänglich ist, gibt es auch Tempel mit gewölbten Gängen und Hallen, in denen Buddhastatuen aufgestellt werden. Das bekannteste Beispiel ist der Ananda-Tempel in Pagan (von 1058-1067 erbaut), der für viele Tempel dort als Vorbild gedient hat. Alle diese Gebäude haben kreuzförmigen Grundriß. Auch die Dächer dieser Tempel türmen sich in verschiedenen Geschossen übereinander, deren Anzahl ungerade ist (3, 5 oder 7). Das oberste Geschoß und die Bekrönung des ganzen Daches bildet ein kuppelartiger Aufbau, ähnlich den Tempeltürmen von Orissa, doch mit dem Unterschied, daß man als Bekrönung noch einen massiven Stein- und einen Metallschirm hinzugefügt hat, so daß die Silhouette der Form dieses Baugliedes der Bekrönung eines Stupas gleicht. Dem Tempel über quadratischem Grundriß sind vier Eingangshallen vorgelagert, die durch Satteldächer in mehreren Stockwerken mit Schlangengiebeln abgedeckt sind, ähnlich den siamesischen Tempeln. Doch sind die birmanischen Giebel aus massivem Mauerwerk und sind viel breiter gelagert. Die Schlangenköpfe der siamesischen Dächer sind bei birmanischen Tempeln zum Teil durch Stupas ersetzt (Taf. 208). Die Tür- und Fensterrahmen sind besonders betont und mit Schlangengiebeln abgedeckt (Taf. 211). Auffallend sind die kleinen Abmessungen der Fenster.
Alle diese gewaltigen Bauten sind aus Ziegeln errichtet und mit Stuckornamenten bedeckt. Der äußere Schmuck hat sich in vielen Fällen durch lange Jahrhunderte unversehrt erhalten. Prachtvolle Friese von Lotosblättern oder Palmetten, Eierstab in reich ornamentierter Form, Gehänge von Perlen und Blumenketten, die von Rahumasken gehalten werden, selbst figuraler Schmuck überziehen die Tempelwände und die schön gezeichneten Profile. Besonders häufig begegnet man Rahugesichtern (Rahu ist bekanntlich der böse Dämon, der nach Auffassung dieser Völker Sonne und Mond zu verschlingen droht und dadurch die Verfinsterung der beiden Gestirne verursacht). Diese Rahugesichter dienen als magischer Schmuck, um böse Einflüsse von den Tempeln fernzuhalten.
Aber nicht nur Tempel, auch ganze große Buddhastatuen wurden aus Ziegeln erbaut und dann mit Putz, Lack und echter Vergoldung überzogen. Leider sind fast alle diese Buddhabilder durch die Habgier der Schatzgräber vernichtet worden, welche die Statuen zertrümmerten, um die goldenen Beigaben und Schmuckstücke zu rauben, die in den Statuen beigesetzt waren. Auch die Tempel sind vielfach durch diese Schatzsucher zerstört worden.
Das Innere der Tempel ist meist mit Malerei geschmückt, die im Stil einen Übergang zwischen indischer, tibetanischer und chinesischer Malerei darstellt.
Von der älteren Plastik Birmas ist leider wenig bekannt. Die in den letzten Jahrhunderten aus weißem Alabaster gefertigten steinernen Statuen sind meist abstoßend unschön. Eine gewisse Ausnahme davon macht die Statue des Bodhisattva im Berliner Museum für Völkerkunde (Taf. 225).
Nach dem Zerfall des Reiches von Pagan, das über die anderen Reiche Birmas eine gewisse Suprematie ausübte, bildete sich eine Anzahl voneinander unabhängiger Staaten. Als der Portugiese Mendez da Pinto Birma in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besuchte, existierten noch die Reiche Ava, Pegu, Arakan, Prome und Pong, die sich untereinander bekriegten. Durch diese dauernden Fehden und durch Kriege mit den Shan-Völkern, Chinesen und Siamesen wurde Birma entvölkert. Erst im 18. Jahrhundert erlangte es seine nationale Einheit. Durch die übermütige, europäerfeindliche Haltung der birmanischen Regierung wurde das Land im 19. Jahrhundert in drei Kriegen (1824, 1852 und 1884) von England unterworfen und dem britisch-indischen Reiche einverleibt. Während der jahrhundertelang dauernden Kriege mit Siam wurden auf beiden Seiten Kriegsgefangene gemacht, die dann – wie das in Hinterindien allgemein üblich war – auch bei Tempelbauten und bei dem Errichten von Palästen als Arbeiter, Bauhandwerker und Kunstgewerbler verwendet wurden. So findet in dieser Zeit ein gewisser Austausch zwischen den Kunstformen beider Länder statt, doch bleiben die grundsätzlichen Verschiedenheiten bestehen. Alle Bau- und Kunstformen Birmas sind runder, schwerer gedrungener erdhafter; die siamesischen sind spitzer, leichter, länger, flammender und von schlanker Eleganz. Wahrend birmanisches Ornament weich gerundete Spitzen zeigt, sind die Endungen siamesischer Arabesken wie scharfgeschliffene Dolchspitzen und wie züngelnde Flammen.
Auch in Birma steht das Kunstgewerbe in hoher Blüte. Man findet Goldlackarbeiten (Taf. 237) in schwarz und rot und glasierte Tonornamente (Taf. 238-241). Besonders zu erwähnen sind Holzschnitzereien (Taf. 230-235) und Silberschmiedearbeiten (Taf. 236).
Ebenso groß wie die Anzahl der Tempel und Stupas ist die der buddhistischen Klöster. Im Gegensatz zu Siam sind die verschiedenen Gebäude meist zu einem Bauganzen verbunden. Das ganze Kloster ruht auf einem Wald von starken Holzpfählen (Taf. 221), die etwa 2 m aus dem Erdboden hervorragen. Die Klöster sind fast durchweg als Holzbauten mit schlanken Etagentürmen und übereinander gehäuften Dächern errichtet, die überreich mit holzgeschnitzten Paneelen und Ornamenten geziert sind. An diesen Bauten entfaltet die dekorative Kunst Birmas ihre höchsten Reize (Taf. 214-217, 220, 221, 234, 235).
Von guter birmanischer Plastik ist bisher leider noch wenig bekannt; die europäischen Museen geben kaum einen Begriff davon. Die Durchforschung dieses Gebietes hat eben erst begonnen (Taf. 222-229).