Ernst Rauscher
Die Erzählung des Werksherrn
Ernst Rauscher

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3.

Also nun waren nach Rom wir gekommen, der heißesten Sehnsucht
Ziel, jetzt war es erreicht. Wie unaussprechlich genußvoll
Flogen die Tage und Wochen dahin im bewundernden Anschau'n
All' der gewaltigen Werke der Kunst, die so manches Jahrhundert
Hier aufhäufte verschwenderisch: Tempel, Paläste und Kirchen,
Brücken und Bögen und Brunnen, Ruinen aus Marmor und Backstein,
Säle erfüllt mit Gemälden und Wundergebilden des Meißels! –
Aehnlich dem bergebesteigenden Mann, der die Spitze der Hochalm
Glücklich erklomm, und sich weidet nunmehr an der prächtigen Rundschau,
An dem Gewimmel der Zinken und Kuppen, der Gipfel und Firnen,
Die durcheinandergethürmt aufragen im riesigen Umkreis –
Schwindel erfaßt ihn zunächst, und verwirrt nicht weiß er, auf welche
Seite sich wenden, begierig die Massen zu sondern mit planvoll
Ordnendem Geist, und dabei auch das Einzelne nicht zu versäumen –:
Augen nicht hatt' ich genug, um den unermeßlichen Reichthum
Ganz zu erschöpfen, und schier ein Verzagen ergriff mich, die Fülle
Je zu bemeistern, die hüben und drüben sich bot der Betrachtung.
Und wie sich Jenem die Brust und das Herz ausdehnt und erweitert,
Wenn die erhab'ne Natur ihn köstlich, die älpliche, anweht,
So auf der Höhe der Zeiten, umfluthet vom Äther der Kunst hier,
Schöpferisch fühlt' ich erregt mich und festlich gehoben. In solcher
Stimmung erhielt ich ein Schreiben – das erste, seitdem ich die Heimat
Hatte, ein Flücht'ger verlassen – von Bertha: »Sie hätte mir längst schon
Kunde gegeben« – so schrieb sie – »doch immer es wieder verschoben,
Weil sie den Vater zuvor mit mir zu versöhnen gehofft hat;
Aber der blieb unbeweglich, und wolle nichts hören von Ausgleich,
Kehr' ich sofort nicht zurück. Zwar falle ihr schmerzlich die Meldung;
Gleichwohl mochte sie länger nicht harren mich lassen auf Nachricht.
Was nun sie selber betreffe, so wünsche und hoffe sie herzlich,
Daß es mir gut stets ging' in der Fremde, und jegliches Streben
Immer zum Glück ausschlüg' und vom besten Gelingen gekrönt sei!« –
Also der Brief. Aus den scheuen, verhaltenen Zeilen, wie flehend
Mild anblickten mich sinnig die Augen des liebenden Mädchens
Vorwurfsvoll, und es klang mir hervor die bewegliche Stimme,
Wie in der Stunde des Abends, des letzten, in der sie vor mir stand,
Sanft mich beschwörend, die Gute; ich aber entschlossen mich losriß –
Hatt' ich es damals vermocht, wo die wirkliche Nähe mich anzog
Ihrer lebend'gen Gestalt, wie hätte ein blaß Phantasiebild
Jetzt mich zum Wanken gebracht? – Nein! kaum erst entstanden, verschwand es
Sowie ein Schatten der Nacht hinschwindet im Glanze des Tages.
»Eher nicht wiederbetret' ich die heimische Schwelle, als bis ich
Aehnliche Werke geschaffen, wie die hier, welche des Zeitstroms
Reißende Fluth überdauert, und hoch mein Name berühmt ist
Rings in den Ländern umher vor all den Malern der Jetztzeit!«
Rief ich, verhärtend, mein Herz, fest jeden Verkehr mit den Meinen
Fürder zu lösen gewillt. Gleichgiltig, in trotzigem Unmuth
Legt' ich bei Seite das Blatt; vorerst doch zeigt' ich's dem Freunde,
Lächelnd besah er's und sprach: »Wir haben nichts Ander's erwartet.«

Aber nachdem wir befriedigt der schönheitlechzenden Seele
Ersten und glühendsten Durst, und die hungrigen Augen ersättigt,
Ernstlich gedachten wir nun auch Genüge zu thun der Berufspflicht,
Wie dem erhabenen Zweck, der uns her in die ewige Stadt führt'!
Denn nicht waren hieher wir gekommen, nur müßig empfangend
Durch Galerieen zu wandeln gleich ander'n Beschauern; aus Eig'nem
Sollten wir Früchte nun geben, im günstigsten Klima gezeitigt;
Lange ja hatten wir Beide gefeiert – nun galt es zu schaffen
Neu, mit gesammelter Kraft, und entfernt vom zerstreuenden Weltlärm
Einsamstill zu gestalten in abgelegener Werkstatt,
Was dereinstens zum Kauf anlockte den sinnigen Kenner,
Sieht er zur Schau es gestellt. – In Trastevere hatt' ich ein Stübchen
Mir, ein bescheid'nes, gemiethet, nicht weit von dem Hause, wo Heinrich
Nahm sein Quartier; doch sahen wir uns tagüber nur selten,
Weil wir mit Eifer und Fleiß oblagen da unserer Arbeit;
Erst wann der Tag sich verkühlte, und müde sich neigte die Sonne
Gegen den Mario, ruhte der Pinsel und suchten wir auf uns,
Um uns im Freien gemach zu erholen und frischeren Lufthauch
Außer den Mauern zu schöpfen. Allabendlich zogen hinaus wir,
Sei's daß wir sachte den Schritt hinlenkten auf Pincios Anhöh',
Wo sich beim fröhlichen Klang der Musik die gewählte Gesellschaft
Damen und Herren zu Wagen und Roß, lustwandelndes Volk auch
Auf den geräumigen Wegen des blühenden Parkes vergnügte,
Sei's, daß wir Stille bedürftig und größerer Leibesbewegung
Ueber die Thore der Stadt ausdehnten den heitern Spaziergang

Also verlangt' es uns heut' auch, die drückende Schwüle zu fliehen,
Und zur gewöhnlichen Zeit abholt' ich den Freund in der Wohnung.
Ueber Sant' Angelos Brücke beflügelten Fußes nun fürbaß
Schritten wir durch das Gewinde der Gäßchen und Gassen. Zum Corso
Rasselten rings Equipagen heran, stets dichter um uns schwoll
Schlendernder Menschen Gedränge. Wir strebten dem Strome entgegen,
Weiter zu kommen bemüht, auswechselnd nur seltene Worte.
Aber indem wir vorbei nun gelangten die »Spanische Treppe«,
Wo auf den Stufen gelagert sich bieten zur Schau die Modelle,
Männer und Weiber und Kinder zumal, anstieß ich den Freund jetzt,
Daß er mit mir stehen blieb, und auf sie hinweisend begann ich:
»Siehe! da sitzen sie wieder, die malerisch schönen Gestalten;
Dort das Banditengesicht mit dem bänderumschlungenen Spitzhut
Auf pechschwarzem Gelock, weißbärtig der würdige Greis dort,
Einem Apostel vergleichbar, und neben der Frau mit dem rothen
Tuch auf dem prächtigen Haupt, krausköpfig das kauernde Knäblein!
Aber die Schönste, sie fehlt: Pepina. So oft ich vorbeigeh'.
Muß ich des Tages gedenken – des dritten nach unserer Ankunft –
Da wir zuerst hier gewahrten das braune sabinische Mädchen,
Wie es die Hände im Schooße gefaltet, mit traurigem Antlitz
Saß, von den Andern getrennt, dort rechts auf der untersten Stufe –
Muß ich der Worte gedenken, mit denen die Holde Du ansprachst.
Ja! wohl hat sie's verdient, daß vom niedrigen, ärmlichen Schicksal
Du sie für immer befreit, und zu Besserem freundlich emporhobst!
Denn nicht Reize des Leibes allein, auch Gaben des Geistes
Schmücken sie im nicht gewöhnlichen Maß, Vorzüge des Herzens –
Wahrlich! es brauchte kein Mann sich solcher Gefährtin zu schämen!« –
»Wenn ich nicht wüßte, mein Lieber« – entgegnete Heinrich mir schalkhaft,
Während wir wieder die Schritte beschleunigten – »daß Dir mein Liebchen
Darum so ganz ausnehmend gefällt, weil's immer ein wenig
Dich an Dein Mühmchen erinnert – so hast Du Dich selber geäußert –
Wär' ich beinahe zu eifern versucht, Freund, daß Du es preisest
So über alle Gebühr. Ja! schmuck ist Pepina – nicht leugn' ich's –
Aber vergleich' ich sie all' den junonischen Frauen, die täglich
Fahren den Pincio hinauf, in die schwellenden Kissen sich lehnend –
Scheint sie mir eben noch sauber genug, um als Cameriera
Auf dem Olympe zu dienen; doch allerdings ist sie als solche
Nicht zu verachten, zumal uns geringeren Leuten der Zutritt
In den vertraulichen Kreis jener Himmlischen nimmer gegönnt ist!« –
Also der Freund. Es mißfiel mir die Rede, und schleunig von andern
Dingen begann ich zu sprechen. Vorbei an Cäcilias Grabmal,
Gräbern, cypressenbewachten, an epheuumsponnenen Thürmen
Gingen wir jetzt die verlassene Appische Straße: im Westen
Ballte sich dickes Gewölk um die sinkende Sonne, und gluthroth
Zuckt' es zuweilen hervor. Urplötzlich ein wirbelnder Windstoß
Trieb uns den Staub in's Gesicht – wir wandten geblendet uns rückwärts,
Bis sich die Wolke gelegt und beschlossen verdrießlich die Heimkehr.
Da – ist es Donnergeroll' in der Ferne? – von dumpfem Gepolter
Dröhnend erzittert der Boden, herwälzen sich weißliche Wogen
Staubes, und näher und näher erschallt es von stampfendem Hufschlag.
Sieh! wildschnaubend und schäumend, mit flatternden Mähnen auf uns zu
Kommen zwei Pferde gestreckten Galopp's – hinter sich die Carrosse –
Rasenden Laufes gerannt! – Wohl müht sich der Kutscher, zurück sich
Stemmend, mit Hieben und Rufen die Stürmenden, reißend am Leitseil
Kräftig, zu bändigen, und sie zum Stehen zu bringen – vergebens!
Toller nur jagen sie fort in gewaltigen Sätzen. Schon sind sie
Ganz in der Nähe. Ich springe erschrocken zur Seite, indessen
Heinrich in Mitte des Weg's ausspreitend die Beine, und häufig
Schwenkend die Arme entgegen sich stellt, und mit muthigen Händen
Fällt in die Zügel dem scheuen Gespann. Aufbäumen sich einmal
Hoch noch die Rosse, dann stehen sie still, allmälig beschwichtigt.
Jetzt mit gelüftetem Hut hintritt er zum Wagen: es neigt sich
Dankend ein weiblicher Kopf huldvoll, und es wurden – so schien es –
Einige Worte gewechselt; doch konnt' ich nichts hören, denn abseits
Stand ich, ein wenig beschämt, daß ich dachte der eig'nen Gefahr nur,
Dann im gemäßigten Trab, ausgreifend mit zierlichen Füßen
Setzten die adligen Thiere das off'ne Gefährt in Bewegung.
Aber der Freund – wie dereinst ein homerischer Held nachstaunte,
War der Unsterblichen Eins ihm unerwartet erschienen: –
Starr dastand er ein Weilchen, verloren in träumendes Nachschau'n; –
Endlich den Bann abschüttelnd, mit hastigen Schritten zu mir her
Kam er geeilt, und, indeß wir den Weg fortsetzen zur Stadt hin,
Heftig mich drängend am Arm, ausbrach er in heller Begeist'rung:
»Das ist das herrlichste Weib, das ich diesseits der Alpen und jenseits
Schaute bisher! O hättest Du nur der bezaubernden Augen
Leuchtende Schwärze gesehen, der Lippen vollendete Anmuth!
Hättest gehört nur die süß einschmeichelnde Stimme, mit der sie
Mich um den Namen befrug! – Und denke Dir, Lieber! sie kennt ihn! –
Aber sie selber, wer ist sie? – Fürwahr! den erworbenen Ruhm all
Gäb' ich mit Freuden dahin, woferne der gütige Zufall
Einmal im Leben nur noch mir gewährte die einzige Gnade,
Daß ich geruhig, mit völliger Muße am wonnigen Urbild
Weiblicher Schöne mir labe den Sinn, und ergötze das Herz mir!« –
– »Wer sie auch sei – der Marquisinnen, Fürstinnen eine vielleicht gar,
Die da die hohen Paläste und prunkenden Villen bewohnen? –
Deinem besonnenen Muthe verdankt es die schöne Signora
– Zwar nur von Weitem erblickt' ich im Flug' das verschleierte Antlitz–
Wenn sie heut' wohlbehalten Gemach noch und Garten durchwandelt!
Nicht zu vermeiden ja schien – sprangst Du nicht zu Hilfe – der Umsturz!« –
Also zum Schwärmenden sprach ich; doch dieser bemerkte: »Ein Glück war's,
Daß ich erst später sie sah, sonst hätte der fesselnde Anblick
Mich der Besinnung beraubt, und geblendet vom Reize vergaß ich
Sie zu erretten! Ha! eher nicht ruhe ich, bis ich die sel'ge
Stätte erforscht, wo sie wohnt, den Palast, der die Göttliche einschließt!« –
Dunkel schon war es, entbrannt in den Gassen bereits die Laternen,
Als wir die Osteria erreichten, wo jeglichen Abend
Heitergesellig zusammen sich fanden die Künstler, aus Deutschland
Stammend, ein lustiger Kreis: Architekten und Maler und Bildner.
Höchlich geehrt und beliebt in demselben war Heinrich vonwegen
Seines erregenden Geistes und launigen Witzes, mit dem er
Wußte den Tisch zu beleben. So wurde denn heute sein Eintritt
Jubelnd, wie immer, begrüßt, und es hoben die perlenden Gläser
Ihm sich entgegen von hüben und drüben; er aber so reichlich
That er noch nimmer Bescheid, nie quoll so verschwenderisch frei noch
Ihm von der Zunge die Rede, als da er das heut'ge Erlebniß
Vor den Collegen erzählte; doch wie er die himmlische Huldin
Auch niemüden Entzückens beschrieb –: es vermochte nicht Einer,
Wer sie gewesen, zu sagen danach. – Spät schied uns die Nacht erst.


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