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Ein Wort vom Mehrwert
Wir bekamen die Republik. Über Nacht. Die soziale Republik. Aus ferner Ferne lockte der Wundergarten, nun sollen wir ihn kurzerhand, Hals über Kopf, betreten.
Die Republik will nicht sozial werden. Es graut ihr vor dem Ideal.
Von rechts droht die blutige Präzedenz Lenins. Von links die mechanische Konkurrenz des Westmarktes! In der Mitte Spartakus.
Homer singt: Πρόσθε λέον, ὄπιθεν δὲ δράκων, μέσση δὲ χίμαιρα.
Vorn Löwe, hinten Drache, inmitt Chimäre.
Was rettet? Ein Modewort: Vergesellschaftung. Es wird verständlicher, jedenfalls erträglicher, wenn man es ins Deutsche übersetzt; da heißt es Sozialisierung. Will man ein deutsches Wort mit deutscher Wurzel, so sage man: Gemeindung.
Mit dem Wort ist nichts gewonnen, es muß einen Sinn haben. Mit dem Sinn ist nicht viel gewonnen, er muß ein Ziel haben.
Was ist das Ziel? Soziale Gerechtigkeit.
Worin besteht sie? Es soll keinen übertriebenen Gegensatz zwischen Arm und Reich geben. Es soll keine erbliche und ewige Scheidung von Arm und Reich, Mächtig und Schwach geben.
Ist das ein gutes und gerechtes Ziel? Ja, es ist ein gutes und gerechtes Ziel.
Wie ist es zu erreichen?
Auf dreierlei Weise. Entweder es müssen alle arm sein, oder es müssen alle reich sein, oder es müssen alle wohlhabend sein.
Die erste Lösung ist zwecklos, die zweite auf Menschenalter unmöglich, auf die dritte kommt es an.
Wie macht man alle Menschen wohlhabend?
Marx sagt, und seine Jünger wiederholen seit siebzig Jahren: Man gebe dem Arbeiter den vollen Mehrwert seiner Leistung. Man gebe ihm, was Kapitalist und Unternehmer bislang zu Unrecht beansprucht und erhalten haben, Zins und Gewinn.
Zu Unrecht oder zu Recht; darüber hat man siebzig Jahre gestritten. Der Streit war nutzlos, denn wenn man die Welt glücklicher machen kann, als sie ist, kommt es auf bestehendes Recht nicht an.
Man hat oft genug ausgerechnet, wieviel dabei herauskommt. Da kam denn meist recht wenig heraus. Wenn eine große Aktiengesellschaft ihren ganzen Jahresgewinn an die Arbeiter verteilt, mitsamt allen Rückstellungen, so gibt das eine Aufbesserung von 10 bis 15 Pfennig für die Arbeitsstunde.
Darauf ist es herkömmlich, zu erwidern: Ja, wenn der Arbeiter so viel mehr bekommt, so wächst seine Kaufkraft, so wächst der Umsatz, so wächst der Nutzen, so wächst wieder der Lohn und wieder die Kaufkraft, und wieder ... kurz: ein selbsterregendes Prinzip, ein wirtschaftliches Perpetuum mobile des Nutzeffekts. Leider liegt hier, wie bei allen Dingen, die zu schön sind, ein Fehler. Wir werden ihn bald sehen.
Man hat auch viele und wirksame Methoden vorgeschlagen, um den Mehrwert dem Arbeiter zuzuführen. Zwei der geistvollsten sind die von Oppenheimer und von Hobson. Der eine entleert den Arbeitsmarkt durch Siedelung, der andere enteignet die Kapitalisten durch Produktivgenossenschaften » National Guilds«.
Der dritte und einfachste Weg ist der, den Rußland wissentlich und überlegt, Deutschland an seinen bewegtesten Industriezentren unabsichtlich und lässig geschritten ist: den Arbeiter in seinem Lohnkampf behördlich so zu stärken, daß er, von jeder Marktlage unabhängig, sich seinen Lohn nach Belieben diktiert.
Das kann auf zweierlei Art bewirkt werden: entweder, indem man den Unternehmer von jedem staatlichen Schutze entblößt und rechtlos macht, oder indem man die staatliche Unterstützung der Arbeitslosen so bemißt, daß der Anreiz zur Tätigkeit entfällt. Nach beiden Arten ist man ohne eigentliche politische Absicht, halb unfreiwillig, in Berlin verfahren. Das Jahreseinkommen des Arbeiters beträgt bei achtstündiger Schicht 7200 Mark; 300 000 Arbeiter erhalten somit jährlich mehr als 2 Milliarden, das heißt ein Viertel mehr als früher die gesamten deutschen Rüstungsausgaben zu Wasser und zu Lande kosteten.
Den Profit wegzubringen ist also an sich eine einfache Sache. Es bedarf keines Kommunismus, keines Staatssozialismus. Die Staatsleitung braucht nur gewissermaßen eine Zeitlang die Augen zuzumachen.
Ist es eine gute und nützliche Sache?
Bevor wir das prüfen, eine Zwischenfrage.
Warum sollen wir uns mit 7200 Mark Lohn begnügen? Warum nicht 10 000, 20 000, 100 000 Mark?
Dem Unternehmer ist es gleichgiltig. Mehr als sein Unternehmen aufgeben, derelinquieren, kann er nicht. Direktoren und Beamte würden mit dem steigenden Lohn aufrücken. Jeder neue Rechtsnachfolger des Unternehmers – Käufer, Pächter, Gemeinde, zuletzt der Staat – verlangt und erhält die erforderlichen Geldzettel aus den Staatskassen und Reichsdruckereien. Natürlich vermehrt sich der Geldumlauf maßlos und entsprechend die Staatsverschuldung; doch das Beispiel Rußlands zeigt, daß ein paar gute Druckerpressen alles bewältigen. Sie bewältigen auch den Anleihedienst, indem sie für jeden Zinstermin neue Anleihebogen drucken.
Es geschieht nichts weiter, als daß der Geldwert sinkt. Die Mark, die heute 50 Pfennig wert ist, geht auf 30, 20, 10, 5, 1 Pfennig. Auf 0 geht sie nicht, sondern äußerstenfalls auf Bruchteile eines Pfennigs. Die portugiesische Münzeinheit ist 0,4 Pfennig; warum sollte es nicht kleinere Münzeinheiten geben? Die Grenze ist bestimmt durch die Druck- und Papierkosten des 1000-Mark-Scheins, der allmählich zur Umlaufseinheit wird. Man kann übrigens auch zu größeren Zetteleinheiten übergehen.
Man kann auch nicht sagen, daß der Arbeiter und sonstige Lohnempfänger unbedingt ein schlechtes Geschäft macht. Jede neue Geldentwertung braucht Zeit. Je früher jemand etwas kauft, desto billiger bekommt er es. Wer an der Quelle der Geldentwertung sitzt, kauft am schnellsten.
Selbstverständlich muß der Außenhandel sich auf das Notwendigste beschränken, und das wird er. Eine passive Handelsbilanz ist bei solchem Geldwert unmöglich. Soweit aber Ware gegen Ware getauscht wird, kann immer noch ein gewisser Auslandsverkehr bestehen. Gegen die Auswanderung von Gerätschaften, Kunstwerken, Besitztiteln können Maßnahmen in gewissem Umfang getroffen werden.
Was geschieht also? Wer bezahlt schließlich die Zeche?
Der Gläubiger bezahlt sie. Der Gläubiger zahlt, der Schuldner gewinnt.
Wer bei einem Geldwert von 100 eine Hypothek gegeben hat und sie bei einem Geldwert von 1 zurückerhält, hat 99 verloren. Ebenso der Staatsgläubiger, ebenso der Rentenempfänger.
Wer all sein Vermögen in Waren besitzt und viel darauf schuldet, wer es in Landbesitz oder in Bodenschätzen hat, wird reich.
Also müssen die Bergwerke verstaatlicht werden? Das ist zu machen; freilich werden die Bergarbeiter Sonderlöhne verlangen und dem Staat das Geschäft verleiden.
Schwer ist es beim ländlichen Grundbesitz. Der Bauer will nicht Pächter sein, der Staat als Latifundienbesitzer ist hilflos.
Fast unmöglich ist es bei den Warenbeständen.
Aber der Staat kann ja den Vermögenszuwachs und die Erbschaft wegsteuern! – (Ja, wenn er das kann und will, so braucht er überhaupt nicht viel zu experimentieren. Doch davon später.)
Was geschieht, ist dies: Der Grund und Boden, aus dem alles einmal entstanden ist, schlingt alles wieder in sich zurück.
Jeder – auch der Staat – freut sich über die gegenwärtige Ware, die er hat, und die immer wertvoller wird. Er hegt und pflegt sie, schont sie und gibt sie nicht her. Wer einen Teppich oder Schrank hat, freut sich: In einem Jahr kann er ihn nicht mehr kaufen. Wer ein Kilo Kakao hat, gibt es für 20 Mark nicht her, in einem Jahr soll er 40 dafür zahlen. Wer eine Werkzeugmaschine hat, läßt sie stehen und nutzt sie nicht ab; sie rentiert sich besser, als wenn sie arbeitet.
Hier sei ein Satz vermerkt, dessen Anwendungen immer wieder durchdacht werden sollten: Wirtschaft beruht auf der Hergabe vorhandener Güter zur Erlangung künftiger. Sie beruht mithin auf dem Vergleich des eigentlich nicht Vergleichbaren, sie ist in diesem Sinne Stimmungssache.
Alles, was an beweglichen und unbeweglichen Gütern auf der Oberfläche des Landes ging und stand, erhält sich, solange es kann, nutzt sich schließlich ab, zehrt sich auf: das Land, der Acker bleibt übrig. So geschieht es heute in Rußland ohne allzu große Gefahr. Aus dem Rußland von 1900 wird das Rußland von 1800, und auch dieses kann genügend Menschen ernähren. Das Deutschland von 1800 kann es nicht.
Und die »wachsende Kaufkraft«? Ja, sie ist da: wenn der Geldwert nicht davonläuft. Und wenn der Staat, der unter diesen Umständen der einzige ist, der produziert, (weil er produzieren muß), in dieser verdrossenen Wirtschaft genügend produzieren kann. Der russische kann es nicht, obwohl er durch alle Hintertüren die verpönte alte Wirtschaft herbeilockt.
Ein Wirtschaftsführer, der über keinen andern Anreiz mehr verfügt als den, der »gestiegenen Kaufkraft« bei dauernder Geldentwertung zu ihrem Recht zu verhelfen, kann sich nur noch auf Zwangsmittel verlassen.
Mithin: Die willkürliche Loslösung des Arbeitslohnes aus dem wirtschaftlichen Kreislauf führt nicht bloß zur Geldentwertung, sondern vor allem zur Einebnung der Wirtschaft bis auf den natürlichen Erdboden. Hiermit ist die Zwischenfrage beantwortet.
Setzen wir uns über diese Antwort hinweg. Nehmen wir ruhig an, sie sei falsch (was sie nicht ist), und die einseitige Loslösung des Arbeitslohnes aus dem wirtschaftlichen Kreislauf sei unschädlich.
Wie steht es nun um die Beseitigung des Mehrwertes? Wie steht es um diese Zentralaufgabe des Marxismus?
Die Frage ist von der Fachwissenschaft nie zu Ende gedacht worden. Meine Ausführungen in den »Kommenden Dingen« hat man nicht beachtet oder mit hochmütigen Worten abgetan. Sie lassen sich aber nicht abtun, denn sie sind wahr.
Verfolgt man die Lebensgeschichte eines normalen Wirtschaftsunternehmens, so ergibt sich etwas ganz Überraschendes, kaum Glaubliches.
Das Unternehmen mag gute, ja außergewöhnliche Erträge gebracht haben: dennoch hat es im Laufe der Jahre – abgesehen von wenigen Ausnahmen – mehr Geld empfangen als ausgezahlt.
Es hat Löhne und Gehälter gezahlt und darüber hinaus gewissermaßen nur an seinem eigenen Wachstum gearbeitet.
Es hat, sagen wir in zwanzig Jahren, im ganzen das Doppelte seines Kapitals als Ertrag ausgeschüttet und während der gleichen Zeit das Dreifache, Vierfache seines Anfangskapitals in Form von Kapitalserhöhungen und Obligationsausgaben in Empfang genommen.
Hätte es einen einzigen Aktionär gehabt, so hätte der nicht nur alles wiedergeben müssen, was er erhielt, sondern darüber hinaus. Für das Bewußtsein: ein vergrößertes, sehr vergrößertes Werk zu besitzen, das immer weiter fortgefahren wäre, mehr zu verlangen als zu bezahlen.
(In diesem Wachstum gibt es nämlich kein »Halt« und kein »Zurück«; das ist erläutert in der Betrachtung »Vom Aktienwesen«.)
Industrialwirtschaft ist also etwas, das man in der alten Rechtssprache ein Fressendes Gut nannte. Ein fressendes Gut, das niemals schlachtreif wird.
Eine kurze Rechnung, so einfach, daß man sich nicht die Mühe machte, sie anzustellen.
Frage (in kürzester und brutalster Form): Was kostet ein Mensch und was bringt er?
Ein industrielles Unternehmen, das 10 000 Mann beschäftigen will, muß in Fabriken, Maschinen, Einrichtungen etwa 30 Millionen anlegen, ungerechnet das Betriebskapital etwa in gleicher Höhe. Ein Mann kostet also an industrieller Ausstattung etwa 3000 Mark. Nicht gerechnet sind die erheblich größeren Kosten seiner Behausung und Erziehung, die zum Teil gleichfalls von der Industrialwirtschaft mittelbar oder unmittelbar aufgebracht werden müssen.
Dieser Mann setzt erfahrungsgemäß im Durchschnitt 4000 Mark um, natürlich einschließlich der Rohstoffe, die er verarbeitet. Von diesen 4000 Mark bleibt, wenn von einer Verzinsung des Betriebskapitals abgesehen wird, bestenfalls ein Bruttogewinn von 12½ %, also 500 Mark im Jahr. Davon müssen Verwaltungskosten, Abschreibungen und Gewinn bestritten werden.
Wir wollen aber nicht kleinlich sein, sondern annehmen, diese ganzen 500 Mark seien konfiszierbarer Mehrwert.
Angenommen, der Mann arbeitet 30 Jahre. So hat er insgesamt einen Mehrwert von 15 000 Mark erzeugt.
In dieser Zeit muß aber seine industrielle Ausstattung mindestens dreimal erneuert werden. (Maschinen halten etwa zehn Jahre, Gebäude länger, Werkzeuge und Einrichtungen kürzer; das meiste muß aber ersetzt werden, bevor es verbraucht ist, weil es veraltet.)
Die dreimalige Erneuerung der industriellen Ausstattung kostet 9000 Mark. Es bleiben also an Mehrwert in 30 Jahren 6000 Mark. Aufs Jahr berechnet, nicht viel: nämlich 200 Mark, oder 8 Pfennige auf die Arbeitsstunde.
Und das nur unter drei Voraussetzungen:
erstens, daß das Unternehmen ohne Verwaltungskosten arbeitet,
zweitens, daß ihm jemand das Betriebskapital kostenlos (etwa in unverzinslichen Obligationen) zur Verfügung gestellt hat,
drittens, daß es ein Menschenalter lang stets gute Gewinnjahre und keine Verlustjahre gehabt hat.
Doch das ist nicht alles. Das Unternehmen wird, wenn die Bevölkerung wachsen, Verbrauch und Außenhandel steigen soll, Anlagen und Betriebsmittel (Rohstoffe, Halb- und Fertigfabrikate) zum mindesten im Laufe eines Menschenalters verdoppeln müssen. Dazu reichen jene 6000 Mark auf den Kopf gerade aus, denn mit 10 000 multipliziert, ergeben sie 60 Millionen.
Der gesamte Mehrwert muß also dem Unternehmen ungekürzt wieder zugeführt werden, gleichviel, wer ihn empfangen hat; jeder Pfennig, der davon verbraucht wurde, fehlt an der Rechnung.
Das gleiche ergibt sich, wenn man die Gesamtwirtschaft eines Landes überblickt.
Wenn man am 31. Dezember die genaue Nationalbilanz aufstellen könnte: worin würde die Zunahme des Gesamtvermögens bestehen?
Nicht in Gold und Silber. Daran hat sich wenig geändert. Vielleicht in einer kleinen Zunahme der Auslandsguthaben und der Auslandsanlagen. Das hat für uns nie sehr viel bedeutet. Was also hat sich vermehrt?
Vermehrt haben sich die Bestände an beweglichen und unbeweglichen Gütern. (Wir betrachten hier nur die »Materialseite« der Rechnung. Die Seite der papierenen Abbilder, die »Buchungsseite« führt zum gleichen Ergebnis auf verwirrenden Wegen.)
Menge und Wert der beweglichen Güter ist gewachsen durch Produktion und Auslandsbezug; dies Wachstum ist das kleinere.
Menge und Wert der unbeweglichen Güter ist gewachsen durch Bau und Melioration; dies Wachstum ist das größere, das entscheidende.
Wenn man durch ein Land fährt, das nicht ein eigentliches oder uneigentliches Kolonialland, sondern ein wirtschaftlich selbständiges Land ist, und sieht, daß viel gebaut wird, so kann man mit Sicherheit sagen, daß dieses Land gute Ersparnisse gemacht hat.
Andere Arten, Ersparnisse zu machen, als die erwähnten, gibt es nicht.
Was bedeutet das?
Das bedeutet, daß, abgesehen vom Kapitalexport, der für unsere Verhältnisse keine Rolle spielt, das Land jeden Groschen, den es erspart, in seine Wirtschaftsanlagen steckt.
Und umgekehrt: Seine Wirtschaftsanlagen haben jeden Groschen nötig, den es erspart.
Ist das nicht zu viel gesagt? Nein, es ist zu wenig gesagt. Denn solange es einem großen Teil des Volkes an Nahrung, Kleidung, Hausrat und Heimstatt fehlt, wird im Lande nicht zu viel, sondern zu wenig erzeugt. Die vorhandenen Anlagen könnten bei vollkommener Rationalisierung des Betriebes – darauf kommen wir zurück – mehr leisten als heute. Um aber der wachsenden Menschenzahl wachsende Lebenshaltung zu gewähren, müssen die Produktionsmittel wachsen, und sie wachsen nur durch Ersparnis.
Das begreifen die Verfechter der »steigenden Kaufkraft« nicht; sie wissen nicht, daß die Erzeugung jederzeit begrenzt ist durch den Umfang der Erzeugungsmittel, und daß dieser Umfang nicht von selbst wächst.
Andere Frage. Wenn nicht weniger zurückgelegt, erspart, investiert, verbaut werden darf: könnte nicht mehr zurückgelegt, erspart, investiert, verbaut werden?
Jawohl, es könnte! Hier berühren wir einen Punkt, der uns noch zu schaffen machen wird; hier liegen die schönsten Probleme. Denn erspart wird, was nicht verbraucht wird; die Theorie des Verbrauches und Verbrauchsanspruchs meldet sich für später zum Wort.
Für jetzt halten wir das eine fest: Die Wirtschaft braucht jeden ersparten Groschen zu ihrem normalen Wachstum. Eher mehr als weniger. Wer der Wirtschaft diese Mittel entzieht, indem er sie verbraucht, vergeudet, exportiert, launenhaft oder irrig anlegt, der schädigt sein Land und wirft es in der Entwicklung zurück.
Nun verliert unsere Erfahrung mit dem Einzelunternehmen seine Paradoxie; was für das Ganze gilt, gilt für den Teil. Auch das Unternehmen braucht seinen ganzen Ertrag zum natürlichen Wachstum, ja es braucht mehr; dafür brauchen andere Wirtschaftszweige, Handel und Landwirtschaft, etwas weniger.
Alles in allem: in einer gesunden, wachsenden Wirtschaft fließt der ganze Profit, Rente und Unternehmergewinn, abzüglich dessen, was der Kapitalist und Unternehmer für sich verbraucht (und darauf kommen wir zurück), restlos in die Gesamtanlage zurück. Dieser Rückfluß entspricht genau dem Erweiterungsbedürfnis.
Der Sinn des Profits – nicht von Ursprung an, sondern heute, nach eingetretener Substitution des Grundes – ist mithin der: Erweiterungsrücklage. Den gleichen Sinn hat der, ich möchte sagen ungeborene Profit, die innere Rückstellung des Unternehmens.
Würde der Mehrwert nach bekannter Forderung dem Kapitalisten und Unternehmer entzogen und an den Arbeiter aufgeteilt, so müßte, falls die Wirtschaft bestehen soll, gefordert werden, daß er von diesem Gelde keinesfalls mehr verbraucht, als sein Rechtsvorgänger davon verbraucht hat, das ist ein kleiner Bruchteil. Den Rest müßte er der Gesamtwirtschaft wieder zur Verfügung stellen und würde auch in Zukunft nichts davon haben: denn abgesehen davon, daß der Zins ja abgeschafft ist, frißt, wie wir gesehen haben, das Unternehmen mehr, als es hergibt.
Die verstiegenste Kaufkraft würde hieran nichts ändern.
Der Sinn des Mehrwerts und Profits ist Wirtschaftsrücklage. Ganz gleichgültig, wer den Mehrwert in Empfang nimmt oder verwaltet: abgeschafft kann er nicht werden, verbraucht darf er nicht werden. Aus dieser Quelle kann und wird nie der einzelne seine Lebensführung verbessern.
Wir haben festgestellt, nicht gerechtfertigt.
Wir wollen die Schwächen des bestehenden Systems nicht verdunkeln.
Staatsverwaltung ist älter als Industriewirtschaft. Die Staatsverwaltung ist bei der organischen Demokratie angelangt, die Industriewirtschaft durchläuft noch ihr Zeitalter des aufgeklärten Despotismus.
Den alten Territorialherren gehörten die Erträge ihres Landes; auch sie ließen diese Erträge dem Lande wieder zufließen, nachdem sie ihren eigenen Aufwand, der manchmal beträchtlich war, bestritten hatten. Über die Höhe dieses Aufwandes hatte niemand ihnen Vorhaltungen zu machen.
Es ist nicht Gutmütigkeit, wenn die Kapitalherren einen verhältnismäßig kleinen Bruchteil verbrauchen und den Rest von neuem investieren. Ein Einschlag von Idealismus soll nicht verschwiegen werden: neben eigennützigem Sparsinn wirkt eine echte Freude am Aufschwung der Gesamtwirtschaft wie des Einzelwerks.
Zweifellos ist das System, das nie eine politische Korrektur erfahren, sondern sich in empirischem Gleichgewicht eingestellt hat, sehr naiv.
Eine Klasse von Leuten – nicht jeder einzelne, sondern ihre Summe – hat das Recht, von dem Ertrage der Landesarbeit so viel für sich zu verwenden, wie sie will. Niemand würde sie hindern, wenn sie alles für Wettrennen oder Orchideenzucht verbrauchen wollte. Caligula und Ludwig XIV. hatten keine größere Freiheit.
Freilich, sie tun es nicht. Die Despotie ist durch Aufklärung gemildert. Der Verbrauchsanteil beträgt kaum mehr als ein Viertel; dieses Viertel aufgeteilt an alle, würde etwa vier Pfennig auf die Arbeitsstunde ausmachen.
Ist diese Willkür im ganzen erträglich: im einzelnen ist sie es nicht. Gibt es Häuser, die nach mäßigem Eigenverbrauch ein Mehrfaches der Gesamtwirtschaft wieder zuführen, so gibt es andere, die drei Geschlechter lang ihre hohen Einkünfte für sich verbrauchen und der Gemeinwirtschaft nichts weiter leisten als Müßiggang und ab und zu einen aufgeblasenen Kunstliebhaber.
Die Willkür ist nicht das schlimmste. Es gibt auch noch eine Machtfrage.
Mit jedem Zuwachs an Wirtschaft ist ein Zuwachs an Macht verbunden, und dieser Machtzuwachs fällt demjenigen zu, der den Wirtschaftszuwachs bezahlt hat.
Auch darin ist unsere Wirtschaft aufgeklärter Despotismus, daß die Herren ihre Macht mit niemand teilen, in dem Gefühl, daß sie bei niemand besser aufgehoben sei.
Der aufgeklärte Despot ist eine der verständlichsten und verzeihlichsten Naturen. Einem Friedrich II. und Joseph II. kann jeder nachfühlen: ein Leben lang haben sie sich gequält, keinen gefunden, der es besser verstand, haben gelernt, daß jeder, der sich an sie heranmachte, Sonderwünsche hegte; sie halten von sich nicht zu viel, aber von den andern gar nichts.
Es gehört viel Idealismus und Menschenliebe dazu, diesen Bann zu zerreißen. Der Fordernde hat es leichter als der Gewährende.
Der Bann ist zerrissen. Auch wenn zehn Jahre lang und länger die aufstrebenden und eindringenden Kräfte, Arbeiter und Angestellte, ihre neue Macht nicht für die Gemeinwirtschaft, sondern auf Eigenwünsche verwenden sollten: Unserm Rechtsgefühl widerspricht der Despotismus, auch der aufgeklärteste, und wir müssen den Glauben haben (er ist gerechtfertigt), daß die neuen Kräfte schließlich auch neues Leben und neue Gedanken bringen.
Das also sind die Schwächen des Systems:
die Willkür des Verbrauchs und Müßiggangs,
die Willkür der Macht.
Weitere erhebliche Schwächen hat es nicht, dagegen bedeutende Stärken, von denen hier nicht die Rede sein soll.
Betrachtet man jene beiden Willküren mit Unvoreingenommenheit, so muß man sich fragen: Was haben sie mit jenen unbestimmten Maßnahmen zu tun, für die man den Namen Vergesellschaftung erfunden hat?
Seien wir offen: Unter Sozialisierung denkt sich jeder einen Akt, durch den aus einer bisher verschlossenen Quelle der allgemeine Wohlstand gehoben werden soll. Das wäre auch nicht mehr als recht und billig.
Nun haben wir gesehen: Der allgemeine Wohlstand wird nicht oder nur sehr wenig, jedenfalls nicht unmittelbar gehoben.
Es werden Leute gehindert, sehr viel Geld unnütz auszugeben oder müßig zu gehen, es werden Unternehmer veranlaßt, ihre Macht zu teilen. Mehr ist nicht da, und mehr kann nicht geschafft werden.
Immerhin, auch das ist etwas; aber es ist nicht die unmittelbare Hebung des allgemeinen Wohlstandes.
Um die eine Willkür zu beheben, bedarf es eines guten und starken Steuersystems. Einkommensteuer, Aufwandsteuer, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer. Damit kann bis auf den letzten Pfennig jede Geldwillkür und Geldherrschaft weggebracht werden.
Um die Willkür der Macht zu brechen, bedarf es der Einführung konstitutioneller, demokratischer Formen in den Wirtschaftsaufbau.
Beides ist etwas ganz anderes als Vergesellschaftung, sofern man sich darunter etwas vorstellt, das irgendeine Stufe auf dem Steige zum Gemeinschaftsbetrieb bildet.
Doch warum sollte es nicht erlaubt sein, mit Kanonen nach Spatzen zu schießen? Warum sollte nicht Vergesellschaftung, sofern sie an sich gut ist, der gewünschten Nebenwirkungen halber doppelt willkommen sein?
Die erste Stufe der Vergesellschaftung besteht in dem Rezept, das jeder gutgesonnene Reformer zu Papier bringt, sobald ihm die Frage dämmert:
Arbeiter und Angestellte werden am Ertrage des Unternehmens beteiligt.
Die Formel ist gut für kleine, monopolartige Betriebe mit wenig Leuten und hohen Erträgen, vor allem für solche, die Kunstfertigkeiten voraussetzen. Auf jeden kommt dann ein erträglicher Anteil, ein guter Stamm bleibt erhalten, ein hausväterliches Interesse setzt ein.
Beim normalen Verhältnis von Umsatz zu Arbeiterzahl wird die Formel sinnlos, die Beteiligung bedeutet für den einzelnen ein Trinkgeld, das er nicht achtet, um deswillen er seine Freizügigkeit nicht opfert; behält er sie bei, so muß das schlechter rentierende Unternehmen an Lohnerhöhung mechanisch ersetzen, was das besser rentierende an Gewinnbeteiligung vergütet; das Interesse hört auf, es hat sich alles nur um karge Lohnsteigerung gedreht, die beim nächsten Preiskampf vergessen ist.
Diese Vergesellschaftung ist keine.
Weitere Stufe: Gemischte Wirtschaft.
Die Formel ist alt; nur der Fiskus ist interessiert, nicht die Gemeinschaft. Es ist ein brauchbares Verhältnis für sogenannte Betriebsunternehmungen: Bahnen, Elektrizitätswerke, Gasanstalten. Eine veränderte Wirtschaftseinstellung findet nicht statt.
Letzte Stufe: Verstaatlichung.
Es gibt nicht viele, die an eine Verstaatlichung ohne Gegenleistung, an eine reine Konfiskation denken. Sie wäre nicht sinnlos, aber höchst ungerecht: denn warum soll dieses und jenes Unternehmen enteignet werden, solange dieses und jenes Landgut, Warenlager, Ladengeschäft oder Grundstück Privatbesitz bleibt?
Wird gegen Entgelt enteignet, so ist das Geschäft für den Staat in seltenen Fällen gut, in den meisten sehr schlecht.
Gut ist es und vor allem für die Gemeinschaft nützlich, wenn Monopole gebrochen werden. Das war der Fall bei Eisenbahnen, Posten und Telegraphen, und es gibt dergleichen Fälle noch mehr. Schlecht ist es bei Unternehmungen, die dem Wechsel der Zeiten unterliegen, ganz schlecht bei solchen, die mit scharfer Konkurrenz, mit technischem Umschwung, mit Auslandsmärkten zu kämpfen haben. Am schlimmsten liegt die Sache für einen verschuldeten Staat. Er erhöht seine Belastung um Milliarden, schwächt seinen Kredit, und mit welchem Ergebnis? Statt 5 Prozent, die er seinen Gläubigern zahlen muß, erhält er aus dem Unternehmen 6, sofern Schwerfälligkeit der Verwaltung, soziale Forderungen und Umschwung der Zeiten nicht auch diese Rente erdrücken. Ein Finanzminister, der um einer jährlichen Provision von 10 Millionen willen seinen verschuldeten Staat um eine weitere Milliarde verschuldet, verdient davongejagt zu werden.
Wenn man die Verstaatlichung der Betriebe nicht um eines liebgewordenen Parteiprogramms willen oder aus Schulüberzeugung ersehnt: ein Selbstzweck ist sie nicht, und wenn mit ihrer Hilfe die beiden Wirtschaftsfehler, die wir rügten, abgestellt werden, so ist das Heilmittel schlimmer als die Krankheit.
Ist dieses Urteil nicht zu hart?
Wird hier nicht ein Gemütswert unterdrückt? Ist es uns nicht im Innern so, als müßte eine kommende, freiheitliche Zeit mit dem ganzen Wesen von Kapitalismus und Unternehmertum aufräumen? Ist nicht der Weg vom Absolutismus zum aufgeklärten Despotismus, vom Konstitutionalismus zur republikanischen und sozialen Demokratie, ist nicht dieser Weg der Staatsverwaltungen unserm Gewissen und Gefühl vorgeschrieben als der Weg der Wirtschaft?
Ja und nein. Unser Gefühl kann uns nie gänzlich täuschen, doch ist die mechanische Analogie fast immer Verführung zum Irrtum, doch ist die geradlinige Verlängerung fast immer das phantasielose Zeichen falscher Prophezeiung.
Lebendiges wiederholt sich nicht; die Vielfalt der Schöpfung zeigt Symmetrien, nicht Spiegelbilder.
Unser Gefühl täuscht uns nicht. Eine neue Betrachtung wird uns zeigen, daß auch die Wirtschaft der vollendeten Demokratisierung zustrebt, jedoch nicht, ohne den letzten Schritt getan zu haben, den sie, bisher ein empirisches Gleichgewichtsprodukt, uns schuldet: den Schritt zur bewußten, organischen Durchgeistigung.
Was uns bisher bei dieser Betrachtung die Stimmung verdarb, war das Nein. Nein! die Wirtschaft ist nicht das, wofür wir sie hielten: der Fels, aus dem der Stab Marxens die Quelle des Mehrwerts sprudeln läßt, die alle Dürstenden erquickt. Nein! nicht ein Dekret der Verstaatlichung kann die Ergiebigkeit verdoppeln. Nein! die Not der Werktätigen wird nicht gestillt durch neue Verteilung, bei der keiner zuviel und keiner genug hat.
Ist nicht dieses dreifache Nein in ein Ja zu verwandeln? und ist dieses Ja nicht stark genug, uns die Erfüllungen zu geben, die der Gerechtigkeitssinn von einem künftigen Aufbau der Freiheit fordert?
Ja wahrhaftig, so ist es. Dies Ja ist spruchreif.
Die Wirtschaft läßt sich neu gestalten, neu von Grund auf. So gestalten, daß sie Allen Freiheit, Wohlstand und Verantwortung sichert.
Unsere Wirtschaft ist technisch schlecht, organisch ein Dilettantismus, im Aufbau ein Produkt des Zufalls. Das ist sie trotz aller ihrer gewaltigen Leistungen, trotz ihrer großen Schöpfer, trotz ihrer bisherigen Stellung im Kreise des Erdballs.
Unsere Wirtschaft verhält sich zu einem Kosmos, zu einem geordneten Organismus wie das Heidedickicht zum Forst, wie das Negerdorf zur Europäerstadt, wie die Gallion zum Linienschiff.
Vergeudung, Ordnungslosigkeit, Willkür, Eigenmacht, wohin man blickt; Egoismus allenthalben; Disziplin und Harmonie nur da, wo der Eigennutz es verlangt.
Den Aufbau einer kosmischen, durchgeistigten und abgestimmten Wirtschaftsordnung habe ich in der »Neuen Wirtschaft« dargestellt.
Die Wirkung ist gewaltige Beschränkung der Vergeudungen und Verluste an Stoff, Kraft, Menschenarbeit und Transport, gewaltige Steigerung des Wirtschaftsgrades, erhöhte Leistung bei verbilligten Kosten, erhöhter Lohn bei verminderter Arbeit.
Diesen Aufbau will ich hier nicht nochmals schildern. Sein Gedanke ist: Selbstverwaltung, nicht Staatswirtschaft; freie Initiative, nicht Bureaukratie; Macht zur Ordnung, nicht zur Willkür.
Gleichartige Gewerbe sind zusammengefaßt zu gildenartigen Vereinigungen, die selbstverwaltend ihre Arbeit ordnen und miteinander in Wechselwirkung treten. Sie tragen in sich die Verantwortung geordneter und zweckmäßiger Arbeit, sie gipfeln in einem Wirtschaftsparlament, in dem alle widerstrebenden Interessen sich ausgleichen. In und neben dem Staat der Politik erhebt sich ein Staat der Wirtschaft, dem größeren vaterländischen Bau untergeordnet, doch in sich selbst geschlossen.
Und dies wird das Bild aller künftigen Zivilisationsgestaltungen sein: der politische Staat als Hauptbau, jedoch nicht als einziger Staatsbau. Mit ihm verwachsen, dienend, jedoch innerlich frei der Wirtschaftsstaat, der Kulturstaat, der Religionsstaat.
Für den Wirtschaftsstaat löst sich das Problem der Verantwortungsteilung zwischen allen wirkenden Kräften: im Einzelunternehmen wie in den Gilden wie im Wirtschaftsparlament haben Staat und Wirtschaftsführer, Angestellte und Arbeiter Sitz und Stimme.
Hier löst sich auch jener Widerspruch: Wenn dem Einzelunternehmen die Gefahr droht, daß die neu hinzutretenden Einflußkräfte der Arbeiter und Beamtenschaft fürs erste weniger Sinn für das Geschick des Werkes als für ihre eigenen Interessen haben; wenn angesichts der Freizügigkeit des Arbeiters die lebenslängliche Verknüpftheit des Wirtschaftsführers mit dem Einzelunternehmen den größeren Wirtschaftsidealismus, die weiterstrebende Politik vorerst dem Führer zuspricht: in den höheren Organisationsstufen, den Gildenvertretungen und dem Wirtschaftsparlament wird dies Verhältnis sich ändern, wo nicht umkehren. Denn für die Gesamtwirtschaft des Landes, für die Gesamtwirtschaft des Gewerbes hat auch der Arbeitnehmer das ganze Interesse, und hier tritt auch er nicht mehr auf als der Vertreter einer Lohngruppe, sondern eines Berufes. Erscheint sonach beim Einzelunternehmen der Einfluß der zufällig gerade dort beschäftigten Arbeitsgruppe vorerst mehr als eine Gewissenskonzession, weniger als ein organisches Element: bei den höheren Stufen wird er zur Notwendigkeit und zum Segen.
Die Wirtschaft muß umgedacht werden. Das ist nicht leicht. Man muß die Vorstellungskraft haben, die den jetzigen anarchischen Zustand in einen natürlichen Organismus umschafft, so etwa, wie aus den zerrütteten Staatsgebilden Europas und des Erdkreises allmählich ein geordneter staatsrechtlicher Gesamtkörper geformt werden muß.
Verwechseln wir nicht Wirtschaftsaufbau mit Gesellschaftsaufbau.
Wir haben davon gesprochen, daß ein Teil der Systemfehler nicht durch Sozialisierung der Unternehmungen zu beseitigen ist, sondern durch Steuergesetzgebung. Diese Steuergesetzgebung ist auch ihrerseits nicht Selbstzweck; sie ist auch nicht ein Ganzes, sondern nur ein Teil.
Das gesellschaftliche Ganze, um das es sich handelt, heißt Ausgleich und Versittlichung.
Ausgleich ist Beseitigung erblicher Gebundenheiten, erblicher Gegenbegriffe wie Proletariat und Bürgertum, erblicher Gegensätze der Bildung und Lebenshaltung, der Leitung und Leistung, der Macht und Abhängigkeit. Ausgleich ist ferner die Aufhebung der äußersten Kontraste im Ausmaß des Besitzes und Verbrauchs.
Versittlichung ist die Beseitigung der falschen Menschenauswahl. Im alten Staatswesen konnte nur der zu etwas kommen, der den herrschenden Klassen angehörte. Im bestehenden Wirtschaftsleben hat der Schlaue und Verlogene, der Reißer und Macher wo nicht bessere, so doch mindestens gleiche Aussichten wie der Tätige, Rechtliche und Sachliche. Versittlichung ist die Abstellung des Unfugs in der Produktion, die ein Drittel ihrer Stoffe, Kräfte und Transporte auf törichte, häßliche und schädliche Erzeugnisse richtet. Versittlichung ist die Abstellung des sinnlosen luxuriösen Aufwandes und des drohnenhaften Müßiggangs.
Das ist nicht weltfremder und schönheitsfeindlicher Puritanismus, sondern Einkehr zu sittlicher und geistiger Gesundung.
Nun tritt aber gelegentlich eine wahrhaft puritanische Richtung hervor, eingeleitet von theoretischen Köpfen, die das, was ihnen als wahr und wirksam einleuchtet, durch Übersteigerung noch etwas wahrer und wirksamer machen wollen und dadurch ertöten.
Wir sagen: Einfachheit, jene sagen: Notdurft. Wir sagen: individuelle Freiheit und Selbstbeschränkung, jene sagen: Verbot und behördliche Regelung. Wir sagen: Wohlstand in den Grenzen, die uns noch erschwinglich sind, jene sagen verbittert: freiwillige Armut.
Wir wollen ein kräftiges, auf Landwirtschaft beruhendes, durch Gewerbe gekräftigtes, mit dem Auslande in Wechselwirkung schaffendes Land. Jene wollen verdrossene Binnenwirtschaft und gekränkte Selbstgenügsamkeit.
Wir wollen keine Burenzivilisation und keine behördlich gezüchtete Rückständigkeit. Wollten wir sie, so ginge die Welt über uns hinweg. Ein Land, das jeden Überschwang polizeilich vernichtet, verliert die Kräfte der Phantasie und Erfindung. Mag Überschwang gezügelt werden, mag jede Laune nur um Opfer käuflich sein: auch in der Willkür, nicht der frostigen, sondern der heißaufwallenden, unzähmbaren, liegen Kräfte verborgen, die jeder Künstler und Mensch der Phantasie kennt und liebt, und deren ein Volk bedarf. Burenzivilisation führt in einem an Bodenraum beschränkten Lande zur geistigen Helotie und zuletzt zur Anbetung des freieren Auslandes, das nicht, wie jeder trübe Reformer hofft, uns den Gefallen tut, alle Schrullen, die wir von uns fordern, sich aufzuerlegen.
Noch ist die Revolution nicht, was sie sein soll.
Mag jede Revolution aus Not und Unterdrückung aufbrechen: nicht die Unerträglichkeit des Kesseldrucks soll ihr Treibendes sein, sondern ihr Bewegendes soll sein der Zug zum Äther.
Bisher war unsere Revolution eine Revolution der Not, die Flucht aus Zwang und Lüge, Druck und Armut. Noch ist sie kein Flug zur Freiheit, Wahrheit und Geistigkeit. Der Krieg konnte keine Idee gebären, denn er beruhte auf der Unwahrheit eingebildeter Abwehr gegen vermeintlichen Überfall; und wenn er manchem Gutgläubigen in der ersten Zeit als ein Krieg der Abwehr erscheinen konnte, so verlor er in dem Augenblick den letzten Wahrheitsrest und wurde zum offenen Angriffskrieg, als die Masken der Mächtigen fielen und Eroberungen als sittliche und politische Notwendigkeiten gepriesen wurden.
Der Krieg konnte keine Idee gebären. Auch die Revolution hat keine Idee geboren. Bisher ist sie eine Revolution der Verneinung geblieben. Wenn wir milde sind, so mögen wir die Verneinung ihr zugute halten, denn des Joches Schwere war unerträglich, und das befreite Volksgeschöpf mag einen Augenblick erstarrt und fassungslos stehen, bevor es seine Pegasusschwingen breitet.
Wenn wir milde sind! Denn in diesem Augenblick der Fassungslosigkeit geschehen Dinge, die fassungslos machen. Vom Machthunger durften wir uns lossagen, doch Machthunger ist nicht Nationalgefühl und nicht Ehrgefühl. Entsetzlich ist es, daß die Zerreißung des deutschen Leibes im Westen und Osten, die Schmach der Besetzung, des diktierten Waffenstillstands und Friedens, der empörenden Bedingungen, der ausgelieferten Flotte, nicht tiefen Ernst und heiße Tränen erpreßt, sondern schamloses Lächeln und freche Vergnügungssucht. Es war nicht Machthunger, wenn wir altes deutsches Land an unser Herz schlossen und die Städte der Kaiser und der Dome vor Entweihung schützten. Es ist nicht altmodische Sentimentalität, wenn eine Nation an ihre Ehre glaubt und sich gegen Demütigung aufbäumt. Junge Freiheit im Innern rechtfertigt nicht das freiwillige Hinstürzen vor den Machthabern im Äußern.
Sehr milde müssen wir sein, um uns gegen das Gefühl zu wehren, daß der revolutionäre Gedanke nicht ein Gedanke der Freiheit und Verantwortung, sondern ein Gedanke des Mein und Dein geworden ist. Schmerzlich ist die Erinnerung an den Dreiklang von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit von 1789, an den Ruf nach Reichseinheit und Bürgerfreiheit von 1848, wenn immer mehr die rote Fahne von 1918 sich mit Löhnungszahlen und Gehaltstabellen schwärzt.
In der Materialisierung der revolutionären Strebung ist es begründet, daß ein kaltes und karges Scheinideal der Betriebssozialisierung an die Stelle geistiger Forderungen tritt.
Nicht um der Wirtschaft willen, sondern um des Geistes willen wird Wirtschaft betrieben. Die letzten Werte, die sie erzeugt, sind die unsichtbaren, und die unsichtbaren sind die gewaltigen.
Nicht aus Wirtschaft wird Wirtschaft reformiert, sondern aus dem Geiste. Nicht Maßregeln und Gesetze können ihr helfen, sondern Gesinnungen. Von der Gesinnung zur Tat, von der Tat zur Vergeistigung führt der Weg.
Nur dann ist eine neue Form der Wirtschaft wirksam und annehmbar, gerechtfertigt und nützlich, wenn ihr die neue Einstellung des Geistes entspricht. Die Maßnahmen sind leicht zu ergreifen. Die Kräfte, sie zu verwirklichen, lassen sich finden; jedoch nur dann, wenn Gesinnungswille die Atmosphäre erfüllt und den Willen emportreibt.
Die Kräfte, die uns beherrschten, waren Eigensucht und Anarchie; die Kräfte, deren wir bedürfen, sind Verantwortung und Gemeinsinn.
Kann die Revolution es erzwingen, daß noch heute diese Worte auf ihrem zerzausten Banner erscheinen, so ist sie gerettet, und mit ihr ein neuer Geist, mit dem neuen Geist eine neue Wirtschaft erstanden. Die furchtbaren Zweifel: Sind wir noch eine Nation? Sind wir ein Volk des Geistes? Sind wir ein Volk gemeinsamer Prägung, gemeinsamen Ehrgefühls und Nationalbewußtseins? sind dann gestillt.