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IV. Börnes politisch-literarische Tätigkeit

(1830-1837)

»Hören Sie mir mal vernünftig zu, denn ich will vor allem von Ihrem 8. Bande mit Ihnen sprechen, der Ihnen, wie Sie mir sagten, wie Blei auf dem Herzen liegt, und zu dem ich raten und helfen soll.«

Die so spricht, die Börne raten und helfen will, ist natürlich keine andere als seine treue Freundin Frau Jeanette Wohl, die damals noch in Frankfurt wohnte. Vgl. Brief vom 12. November 1830 (E. Mentzel, Briefe der Frau Jeanette Strauß-Wohl an Börne, Berlin, 1907, S. 164 ff.). Als Börne im Herbst 1830 in Paris angelangt war, wurde er durch seinen Verleger Campe gedrängt für den noch immer ausstehenden 8. Band seiner »Gesammelten Schriften« Kopie zu liefern.

Im Jahre 1828 hatte Börne nämlich das Bedürfnis gefühlt, seine sämtlichen in Zeitschriften erschienenen Aufsätze zu sammeln Nur die Denkrede auf Jean Paul und die Schrift über die Berliner Jahrbücher waren gesondert erschienen.. Sein Verhältnis zu Cotta war aber getrübt, und als Heine im November 1827 Börne in Frankfurt besuchte, hat er eine Verbindung zwischen Börne und seinem eignen Verleger Julius Campe zu stande gebracht. Vgl. Joh. Proelß, Das Junge Deutschland, Stuttgart, 1892, S. 110-113. Durch Heines Vermittlung wurde also Campe Abdruck des Kontrakts zwischen Börne und Campe siehe: Ludw. Geiger, Das Junge Deutschland, Berlin, o. J., S. 70 ff. und nicht Cotta der Verleger von Börnes »Gesammelten Schriften«. Leider hatte Börne für den letzten Band nur noch sehr wenig Stoff zur Hand. Er trug sich deshalb mit dem Plan wieder eine Reihe von feuilletonartigen Aufsätzen zu schreiben, ganz im Geiste seiner bereits erwähnten, in den Jahren 1822 und 1823 erschienenen »Schilderungen aus Paris«. Es ist jetzt Frau Wohl, die ihn nach anfänglichem Sträuben seinerseits dazu bewegt diesen Vorsatz aufzugeben, es ist ihr nämlich ein anderer, ein besserer Gedanke gekommen:

»Ich habe heute die ganze Nacht nicht geschlafen, so lebhaft habe ich mich mit dem Gedanken beschäftigt, wie Sie damit Glück machen könnten, wenn Sie jetzt in Briefform schrieben, oder besser nur Briefe schrieben. Auch weiß ich ja noch von früher, wie das mit Aufsätzen geht. Bis nur der Plan fertig, ist schon soviel Zeit verloren, und manchmal, oder gar oft auch, wie das natürlich, die Lust zur Ausführung. Wenn Sie nur wüßten, wie schön Ihre Briefe sind! Jeder einzelne gedruckt, würde das größte Interesse erregen! ... Sind denn Briefe etwas anderes, oder vielmehr nicht auch Memoiren? Ist nicht in Briefen eine weit frischere, lebendigere, anziehendere und ansprechendere Darstellung möglich als in Aufsätzen? Sind Heines Reisebilder etwas anderes als Briefe? Durchaus nicht! Dieser Form, in welcher er sich ausspricht, verdankt er sein Glück! ... Wieviel mehr steht Ihnen nun zu Gebote in Stoff, Gedankenfülle und schöner Sprache!«

Börne sollte in seinen Briefen die Ereignisse des täglichen Lebens behandeln, die Bewegung in den Straßen, die Kammern, das englische Parlament, Theater, Literatur, Kunst, Industrie, Bildergalerien, u.s.w. Durch solche Briefe könnte er seine Grundsätze verbreiten wie durch Zeitungen. »Denken Sie sich nun«, so ruft sie ihm zu, »welch großes Schlachtfeld Ihnen als Deutscher noch offen steht. Sie können ein zweiter Washington und Lafayette ... durch Briefe werden« Mentzel, Briefe, S. 166, (Brief von 12. November, 1880)..

Wie gesagt, Börne ließ sich endlich überreden. Wenn sie glaube, daß in seinen bis jetzt an sie gerichteten Briefen genug Stoff zu finden sei, so möchte sie ihm das Brauchbare abschreiben, und er selbst bietet in seinem Briefe vom 17. Januar 1831 Julius Campe die Briefe aus Paris an, die, »in diesen Zeiten geschrieben, gewiß anziehen würden« Geiger, Das Junge Deutschland, S. 79.. Börnes berühmte »Briefe aus Paris« haben wir also einzig und allein der Anregung zu verdanken, die Frau Wohl ihm gab. Sie war sehr glücklich über den Entschluß ihres Freundes: er müsse unbedingt einen großen Erfolg haben, die Briefform sei doch die beliebteste literarische Form, und dies mit Recht, da sie die passende sei Mentzel, Briefe S. 181, (Brief vom 21. Dezember, 1830)..

Welch ein feines Verständnis zeigt diese Frau für das, was ihrer Zeit gemäß war! Trägt doch überhaupt das literarische Produkt dieser Epoche in der Formgebung vorwiegend einen fragmentarischen Charakter, wie es ja auch inhaltlich nur selten über das zeitlich Bedingte hinausstrebte Vgl. S. 22 ff.. Die Wirklichkeit trat in ihre Rechte; alles, was der Tag brachte, erschien den Zeitgenossen neu und verheißungsvoll. Börne kam jetzt dieser Stimmung entgegen, indem er für den Tag schrieb, wenn er auch alle Angelegenheiten, auch solche, welche nur Augenblickswert hatten, unter höheren Gesichtspunkten besprach.

Frau Wohl hat aber nicht bloß herausgefühlt, was literarisch zeitgemäß war, sie hat auch sehr gut verstanden, daß gerade der Brief die Form schriftstellerischer Betätigung war, die Börnes Eigenart am meisten entsprach. In ihrem letzten Briefe (vom Jahre 1830) sagt sie: die einzige Art, in welcher er in jeder Beziehung Glück machen werde, sei, »täglich mit Freiheit und Neigung zu schreiben, in freier Form, jeden frischen Gedanken, jede lebendige Empfindung niederlegen zu können, bei jedem gelesenen Buche, jeder durchgesehenen Zeitung, jedem Spaziergange auf dem Lande, in der Stadt, jedem Besuche, jeder Bekanntschaft mit einer besondern Individualität, kurz das ganze Leben, wie es ist, und in dieser großen Mannigfaltigkeit der jetzigen Zeit und mit Ihrer Gabe der Auffassung, der Anschauung und der herrlichen Sprache, ohne leere Phrasen und Wortschwall: noch einmal, ich bin überzeugt daß endlich der Schlüssel zum Geheimnis gefunden ist, wie Sie künftig fortwährend und ohne Unterbrechung schriftstellerisch tätig sein und für sich und andere zweckmäßig, nützlich und wirksam werden ...« Mentzel, Briefe S. 185, (Brief vom 28. Dezember 1830).

In den folgenden Monaten fährt Frau Wohl fort Börne zu der Fortsetzung seiner Korrespondenz über die Ereignisse des Tages zu ermutigen, indem sie sich selber mit dem Abschreiben abgibt, wobei Salomon Strauß, Börnes Verehrer und ihr späterer Gatte, ihr treu zur Seite stand. Endlich erschienen »Börnes Briefe aus Paris«, aber nicht als ein Ganzes, sondern in drei aufeinander folgenden Sammlungen Vgl. dazu: Börnes Werke, Bong & Co. o. J., VI 7 ff., Herausgeber Ludwig Geiger. Leider ist diese einzige hist. krit. Ausgabe von Börnes Werken, die noch immer unvollendet war, seit 1918 nicht fortgesetzt, da der Autor gestorben ist. Auch die Börne-Gesellschaft, in deren Auftrag diese vorzügliche Ausgabe herausgebracht wurde, ist durch die Nachwirkungen des Krieges auseinandergegangen.: die erste, 48 Briefe stark, erschien 1832 bei Hoffmann & Campe; die zweite, 31 Briefe enthaltend, im Jahre 1833; die dritte, 36 Briefe umfassend, erst im Jahre 1834.

Die erste und wichtigste Sammlung wurde durch Julius Campe herausgebracht als der neunte und zehnte Teil der »Gesammelten Schriften Börnes«, denn, obwohl Campe das Manuskript nicht kannte, ahnte er die Bedeutung desselben und wollte es deshalb nicht zur Füllung des achten Bandes der Subskriptionsausgabe gebrauchen, was für ihn unvorteilhaft gewesen wäre.

Es war ihm durch diese Erscheinungsweise auch möglich gewesen der Zensur zu entgehen und gerade diesem ersten Bande weiteste Verbreitung zu verschaffen. Zwar erhielt Campe am 5. November 1831 das Verbot zum weitern Verkauf Vgl. dazu Börnes Werke, ed. Geiger, I 16, und Geiger, Das Junge Deutschland, (darin: ›Börne, Campe und die Pariser Briefe vor der Hamburger Zensur‹, S. 69 ff.)., aber, wie immer, wurde auch hier durch Verbot nur das gerade Gegenteil erreicht.

Jetzt war es jedenfalls dem Verleger nur möglich die folgende Sammlung unter dem Titel »Mitteilungen aus dem Gebiete der Länder- und Völkerkunde« herauszubringen, indem das Werk angeblich bei L. Brunet in Offenbach verlegt wurde. Als Verleger der dritten, 1834 erschienenen, Sammlung wird gleichfalls L. Brunet namhaft gemacht; als Druckort wird jetzt Paris angegeben In Paris war damals bereits eine unvollständige französische Uebersetzung der »Briefe« erschienen: M. F. Guiran, »Lettres écrites de Paris pendant les années 1830 et 1831«, Paris, 1832.. »Wenn auch Campe die Fortsetzung der Briefe nicht drucken konnte, so gewannen sie, wie allgemein bekannt ist, von anderen Verlegern bereitwillig aufgenommen, eine ungewöhnliche Verbreitung« sagt Geiger Geiger, Das Junge Deutschland, S. 93. und sogar Alfred Stern hat in der historisch-kritischen Ausgabe der »Briefe aus Paris« die Meinung verkündigt, daß über den Namen der Verleger der letzten Teile der »Briefe« ein gewisses Dunkel walte Börnes Werke, ed. Geiger, VI 21 ff..

Wir dürfen aber jetzt wohl sagen, daß Gutzkow in seinen »Rückblicken auf mein Leben« Gutzkows Werke, herausgeg. von R. Gensel, Bong & Co., o. J., 9. Teil, S. 55. und Holzmann in seiner Börne-Biographie M. Holzmann, Börnes Leben und Wirken, Berlin 1888, S. 301. Recht gehabt haben, als sie Campe als den Verleger bezeichneten, denn Strodtmann, Campes Angestellter und Heine-Biograph, der immer nur das veröffentlichte, was Campe gestattete, bezeugt nachdrücklich die Identität von Brunet und Julius Campe Adolf Strodtmann, H. Heines Leben und Werke, Hamburg, 1884, II 109.. Außerdem schreibt Heine am 28. Juli 1836 an seinen Verleger Campe, es werde nötig sein, daß letzterer ihm demnächst »eine fingierte oder kaschirende Verlagsfirma« für seine Bücher geben werde, »aber bey Leibe nicht Brunet«.

* * *

Der große Erfolg, den Frau Wohl ihrem Freunde prophezeit hatte, als sie ihm zu der Ausgabe seiner Briefe riet, blieb nicht aus. In dem vormärzlichen Deutschland und Österreich ist kein Werk erschienen, daß so sehr der Stimmung der Geister entsprach wie die ersten Bände der »Briefe aus Paris«. Das Werk zündete, obwohl es nichts weniger als ein geschlossenes Ganzes war. Gutzkow hat es sehr zutreffend mit einer zusammengehefteten Zeitschrift verglichen, welche Nachrichten bringt, »die nicht selten begründet, nicht selten aus der Luft gegriffen sind«, die danach aufgebauten Schlußfolgerungen »wurden schon vom nächsten Tage widerlegt« Hirth, II 114; vgl. auch: Fr. Hirth, Börne-Briefe (Frankf. Zeitg. 1913, No. 244), und Gutzkows Werke, herausgeg. von R. Gensel, 9. Teil, S. 52..

Prophet will er den Deutschen sein. »Und«, so fragt er, »was kann der Deutsche anderes sein als Prophet? Wir sind keine Geschichtsschreiber sondern Geschichtstreiber. Die Zeit läuft wie ein Reh vor uns her, wir, die Hunde, hinterdrein. Sie wird noch lange laufen, ehe wir sie einholen, es wird noch lange dauern, bis wir Geschichtsschreiber werden« 31. Brief vom 30. Januar 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 120)..

Er wütet also gegen Deutschland, unterscheidet dabei aber keineswegs zwischen dem politisch-reaktionären Deutschland eines Metternich und dem geistigen Deutschland eines Goethe, Fichte und Hegel, das gerade in jenen Tagen von den Franzosen als »le pays des penseurs et des poètes« gefeiert wurde. Gerade die großen Vertreter des klassisch-romantischen Zeitalters erscheinen ihm als die mächtigsten Stützen des »ancien régime«. »Es ist zu traurig! Keine Hoffnung, daß Deutschland frei werde, ehe man seine besten lebenden Philosophen, Theologen und Historiker aufknüpft und die Schriften der Verstorbenen verbrennt ... 34. Brief vom 14. Februar 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 134).«.

Aus derselben Quelle entspringt sein Goethehaß: »Es ist mir, als würde mit Goethe die alte deutsche Zeit begraben, ich meine an dem Tage müsse die Freiheit geboren werden« 16. Brief vom 8. Dezember 1830 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 61)..

»Goethes Tagebuch, von dem ich Ihnen neulich geschrieben, habe ich nun geendigt. So eine dürre, leblose Seele giebt es auf der Welt nicht mehr, und nichts ist bewunderungswürdiger als die Naivität, mit welcher er seine Gefühllosigkeit an den hellen Tag bringt. Das Buch ist eine wahre Bibel des Unglaubens. Ich habe beim Lesen einige Stellen ausgezogen, und ich lege das Blatt hierbei. Viele Bemerkungen hierüber waren gar nicht nötig: Goethes klarer Text macht die Noten überflüssig. Und solche Konsuln hat sich das Deutsche Volk gewählt! Goethe – der angstvoller als eine Maus beim leisesten Geräusche sich in die Erde hineinwühlt, uns Luft, Licht, Freiheit, ja, des Lebens Breite, wonach sich selbst die totgeschaffenen Steine sehnen – alles, alles hingiebt, um nur in seinem Loche ungestört am gestohlenen Speckfaden knuppern zu können – und Schiller, der edler, aber gleich mutlos, sich vor Tyrannei hinter Wolkendunst versteckt und oben bei den Göttern vergebens um Hilfe fleht, und von der Sonne geblendet die Erde nicht mehr sieht, und die Menschen vergißt, denen er Rettung bringen wollte. Und so – ohne Führer, ohne Vormund, ohne Rechtsfreund, ohne Beschützer – wird das unglückliche Land eine Beute der Könige und das Volk der Spott der Völker« 51. Brief vom 8. Oktober 1831, die Kritik von Goethes Tag- und Jahresheften, ebenda, (Börnes Werke ed. Klaar, V 217 ff.); vgl. noch über Bettina: »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde«, 1835, (Börne ed. Klaar, III 239 ff.), weiteres Material in: Mich. Holzmann, Aus dem Lager der Goethe-Gegner, Berlin, 1904, S. 93-224..

In ihm lebt, wenigstens anfänglich, ein fester Glaube an eine bevorstehende Revolution, an den kommenden Tag der Freiheit. Eine Erhebung der Deutschen in Masse hielt er sogar für nahe bevorstehend Gutzkow, Börnes Leben, S. 367.. Als er glaubt, daß in Italien das Signal zur europäischen Revolution gegeben ist, schreibt er begeistert nach Deutschland: »Hören Sie dort meinen Jubel? Daß ich eine Posaune hätte, die bis zu Ihren Ohren reichte! Ja, der Frühling bezahlt hundert Winter. Die Freiheit, eine Nachtigall mit Riesentönen, schmettert die tiefsten Schläfer auf. In meinem eigenen Herzen, so heiß es ist, waren Wünsche so hoch gelegen, daß ewiger Schnee sie bedeckte, und ich dachte: niemals taut das auf. Und jetzt schmelzen sie und kommen als Hoffnungen herab. Wie kann man heute nur an etwas anderes denken, als für oder gegen die Freiheit zu kämpfen?« 34. Brief vom 14. Februar 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 133 ff.)..

Alle wirklichen Machtverhältnisse übersehend, berauscht er sich an seinen eignen gedanklichen Konstruktionen. »Sie fragen mich, was ich erwarte, was ich denke? Ich erwarte, daß die Welt untergehen wird, und daß wir den Verstand darüber verlieren werden. Ich zweifle nicht daran, daß bis zum nächsten Frühling ganz Europa in Flammen stehen wird, und daß nicht bloß Staaten über den Haufen fallen werden, sondern auch der Wohlstand unzähliger Familien zu Grunde gehen wird« 10. Brief vom 19. Oktober 1830 (ebenda, V 39)., und im Frühjahr schreibt er wieder, trotzdem nichts von alledem in Erfüllung gegangen ist: »Die Lage der Dinge hier ist jetzt so, daß ich jeden Tag, ja jede Stunde den Ausbruch einer Revolution erwarte. Nicht vier Wochen kann das so fortdauern, und der Rauch der Empörung wird hinter meinem Reisewagen herziehen« 43. Brief vom 18. März 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 187)..

Der polnische Aufstand, der ihm wie den Zeitgenossen überhaupt als Vorbild einer jeden nationalen Erhebung erschien, wird unbedingt Erfolg haben, denn »man gewinnt immer, wenn man keine andere Wahl hat, als zwischen Sieg und Tod. Vom Kaiser Nikolaus ist keine Gnade zu hoffen, die Polen müssen ihn begnadigen. Wie es in Preußisch-Polen aussieht, weiß ich nicht, die heutigen Zeitungen sprechen auch von einer Revolution, die sich dort begeben haben soll«. Er vermutet, daß die italienischen Regimenter, die nach Österreichisch-Polen versetzt sind, mit den polnischen Insurgenten gemeinschaftliche Sache machen werden und, indem er ganz übersieht, daß bei ihm der Wunsch nur der Vater des Gedankens ist, verleitet sein naiver Optimismus ihn zu dem Ausrufe: »Nun Glück zum neuen Jahre! und möge es uns und unseren Freunden im neuen Jahre besser gehen als Kaisern und Königen. Das sind bescheidene Wünsche, die wohl der Himmel erhören wird«, denn so prophezeit dann dieser Phantast: »Im nächsten Jahre wird das Dutzend Eier teurer sein als ein Dutzend Fürsten« 21. Brief vom 28. Dezember 1830 (ebenda, V 82).. Ein Jahr später schreibt er aber: »Wie gefällt Ihnen der Moskowiter? Seinem Gesandten nach Warschau gab er ein Zettelchen an die Polen mit, worauf er eigenhändig in französischer Sprache und mit Bleistift geschrieben: Au peuple polonais; soumission ou la mort! Nicolas. O, was ist Gott für ein Phlegmatikus!« 25. Brief vom 14. Januar 1831 (ebenda, V 95).

Er weiß sich schon im voraus für eventuelle Enttäuschungen zu decken, eine mögliche Niederlage der Polen deutet er schon als einen künftigen Sieg: »Die Polen können untergehen, trotz ihrer schönen Begeisterung. Aber geschieht es, wird so edles Blut vergossen, dann wird es den Boden der Freiheit auf ein Jahrhundert befeuchten und tausendfältige Früchte tragen« 31. Brief vom 2. Februar 1831 (ebenda, V 125). Über Börnes Naivität in der Politik vergl. noch: Brandes, Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrh. (endgültige Ausgabe, Berlin, 1924) III 8, S. 361 ff..

Immer wieder sucht er die Deutschen aus ihrem Indifferentismus aufzurütteln, indem er ihre Unfreiheit kritisiert; freilich trägt diese Kritik vorwiegend einen rein negativen Charakter. Die neue hessische Konstitution veranlaßt einen wilden Wutausbruch: »... Daß die Deutschen ihren Fürsten und Sängerinnen die Pferde ausspannen, fällt mir nicht auf. Sind sie besser als Pferde? Sie werden sehen, die guten Hessen ziehen auch noch die Gräfin Reichenbach von Frankfurt bis nach Kassel. Eine solche Konstitution, die man den Hessen gegeben, hätten sich die Pferde nicht gefallen lassen. Mit den guten Deutschen wird noch schlimmer gefahren als mit dem Heiland. Dieser mußte zwar auch das Kreuz selbst tragen, woran man ihn gepeinigt; aber es selbst auch zimmern, wenigstens das mußte er nicht. Ich kann in Paris Französisch lernen; aber, guter Gott! wie lerne ich Deutsch vergessen? Der Mensch hat überhaupt viel Deutsches an sich« 25. Brief vom 14. Januar 1831 (Börnes Werke, ed. Klaar, V 95).. Er wütet gegen die Zensur, die ihm nun schon seit Jahren seine publizistische Tätigkeit verleidet hat. Die Zeitungen haben jetzt kein anderes Mittel ihre Seiten zu füllen, als dadurch, daß sie nur soviel Lügen wie möglich herbeischaffen. »Was heißt aber Lüge?« fragt Börne. »Kann einer in unseren Tagen etwas ersinnen, was nicht den Tag darauf wahr werden kann!« und nachdem er in dieser Weise noch einmal die Gelegenheit benutzt hat seinem Revolutionsglauben Ausdruck zu geben, fährt er fort: »Es giebt in der Politik nur eine mögliche Lüge: Der Deutsche Bund hat die Preßfreiheit beschlossen«. 26. Brief vom 19. Januar 1831 (ebenda, V 101).

Deutschland ist ihm »das große Koblenz, wo alle emigrierten Mißbräuche zusammentreffen«, und sehr witzig beschreibt er uns, wie innerhalb zehn Jahren die Freunde der politischen Altertümer aus allen Ländern der Erde nach Deutschland reisen werden, um da ihre Kunstliebhabereien zu befriedigen. »Ich sehe sie schon mit ihren Antiquités de l'Allemagne in der Hand, Brille auf der Nase, und Notizbuch in der Tasche, durch unsere Städte wandern, und unsere Gerichtsordnung, unsere Stockschläge, unsere Zensur, unsere Mauten, unseren Adelsstolz, unsere Bürgerdemut, unsere allerhöchsten und allerniedrigsten Personen, unsere Zünfte, unseren Judenzwang, unsere Bauernnot begucken, betasten, ausmessen, beschwatzen, uns armen Teufeln ein Trinkgeld in die Hand stecken, und dann fortgehen und von unserem Elende Beschreibungen mit Kupferstichen herausgeben. Unglückliches Volk! ... wird ein Beduine mit stolzem Mitleide ausrufen« 13. Brief vom 9. November 1830 (Börnes Werke, ed. Klaar, V, 49)..

Nach Börnes Urteil ist die politische Rückständigkeit Deutschlands bloß eine Folge der Tyrannei der Fürsten und der Hundedemut seines Bürgertums, nur höchst selten zeigt er wenigstens eine Ahnung, daß diese politische Rückständigkeit aufs engste mit der Höhe der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhängt, meistens kommt er nicht über die kindliche Auffassung hinaus, daß mit dem Vertreiben der Fürsten auch die Freiheit gewonnen wäre!

Einen realen Blick auf die Zukunft hat er aber ausnahmsweise getan, als er über List und seine Eisenbahnpläne schrieb: »Diese Eisenbahnen sind nun meine und Lists Schwärmereien, wegen ihrer ungeheueren politischen Folgen. Allem Despotismus wäre dadurch der Hals gebrochen, Kriege ganz unmöglich. Frankreich, wie jedes andere Land, könnte dann die größten Armeen innerhalb vierundzwanzig Stunden von einem Ende des Reiches zum anderen führen. Dadurch würde der Krieg nur eine Art Überrumpelung im Schachspiel, und gar nicht mehr auszuführen« 51. Brief vom 8. Oktober 1831 (ebenda, V 217)..

* * *

»Sie sind ein Stück Weltgeschichte für Deutschland geworden, unser unbezahlbarer Tribun, unsre demokratische Behörde, wir müssen Ihnen unsre Klagen einschicken, denn Sie sind der einzige – unabhängige wahrheitsliebende Advokat Teutschlands«, schreibt Laube an den Verfasser der Briefe Vgl. Brief vom 19. Januar 1833 (Inedita Boerneana als Anhang zu Holzmann, Aus dem Lager der Goethe-Gegner, S. 218).. »Selten wohl hat ein Buch so viel Spektakel in Deutschland gemacht wie die ersten Bände von Börnes ›Briefen aus Paris‹. Selbst die Freimütigsten stutzten«, so charakterisiert Gutzkow die Wirkung auf die Zeitgenossen »Rückblicke auf mein Leben« (Gutzkows Werke, herausgeg. von R. Gensel, Bong, o. J., 9. Teil, S. 52 ff.).. »Das wilde Buch« des von den Rücksichten auf die deutsche Zensur befreiten Autors zündete, es machte sogar die liberalen Elemente stutzig, denn hier wurde in einer Art und Weise an den heimischen Zuständen Kritik geübt, wie sie bis dahin unbekannt gewesen war. Börne richtete zunächst den Blick des Lesers auf den Kampfplatz der glorreichen Julitage und ließ ihn alles erleben, was von den Franzosen, dem »herrlichen Volke«, das seine und anderer »Ketten zerbrochen hatte«, erlebt wurde, und erst danach führte der Autor ihn zurück in die Erbärmlichkeit, in die Jämmerlichkeit des politischen Lebens in Deutschland. Der Vergleich mußte die Schlafenden aufrütteln, die Mutlosen ermutigen, die Tatendurstigen beseelen. An französischem Wesen sollte die deutsche Welt genesen! Mit dieser Variante auf ein bekanntes Dichterwort ließe sich vielleicht am kürzesten Ziel und Richtung der Börneschen Briefe kennzeichnen, und indem wir dies sagen und ihre große Wirkung in Deutschland konstatieren, haben wir damit zugleich zu erkennen gegeben, daß unseres Erachtens diese »Briefe aus Paris« auch für die Geschichte des französischen Einflusses auf das deutsche Geistesleben ihre Bedeutung haben. Nicht, als ob wir mit Reynaud L. Reynaud, Histoire générale de l'influence française en Allemagne. Paris, 1915, p. 477. der Meinung wären, daß Börnes »Briefe« auf französische Anregungen, und speziell auf das Vorbild Couriers zurückzuführen wären, denn diese Behauptung Reynauds, die wie so viele andere nur dazu dienen soll, die geistige Abhängigkeit der deutschen Kultur von der französischen zu erhärten, wird hinlänglich widerlegt sowohl durch die journalistische Jugendarbeit Börnes wie durch die von uns geschilderte Entstehungsgeschichte der »Briefe aus Paris«.

Wir wollen also keineswegs Börnes Publizistik, weder was die Form noch was den Inhalt betrifft, als undeutsch kennzeichnen. Wenn wir die »Briefe aus Paris« dennoch als ein wertvolles Dokument für die Geschichte des französischen Einflusses auf das deutsche Geistesleben charakterisieren, so geschieht dies in ganz anderm Sinne als bei Reynaud. Für uns liegt ihr Wert zunächst darin, daß Börne durch ihre Veröffentlichung dem lebhaften Interesse für Frankreich entgegenkam, das, wie wir gesehen haben, im vorhergehenden Jahrzehnt bei allen oppositionellen Elementen erwacht war. Börnes Darstellung des politischen und geistigen Lebens in Frankreich zur Zeit des Bürgertums überraschte durch ihre starke Subjektivität, durch die Fülle von Witz und Geist; er hat die Opposition dadurch gestärkt und ermutigt, sie fühlte nur zu deutlich heraus, daß der Autor keine andere Absicht hatte als dem deutschen Bürgertum die Werte, womit die Julirevolution das französische Geistesleben befruchtet hatte, zu vermitteln, daß er geistige Waffen liefert für den Kampf gegen das Metternichsche System. Ob und inwieweit der Autor auch tatsächlich imstande war den freiheitlichen Elementen in Deutschland den Weg zu zeigen, den sie gehen sollten, ob die Art und Weise, in der er freiheitsschwärmend die Geschehnisse seiner Zeit zu erfassen pflegte, uns berechtigen ihn als politischen Führer des deutschen Bürgertums zu betrachten, das wird noch näher Gegenstand unserer Erörterung sein müssen. Trotz ihrer Fehler und Schwächen sind sie für die politische Erziehung der Generation von 1830 von ungeheuerer Bedeutung gewesen. Sie sind es auch deshalb, weil Börne hier konsequent das Prinzip durchführte, das er bereits 1808 in dem Aufsatz »Das Leben und die Wissenschaft« Börnes Werke, ed. Geiger, I 99 ff. entwickelt hatte und das er 1821 noch schärfer formulierte, als er an Cotta schrieb, Brief an Cotta, mitgeteilt von Joh. Proelß (Das Junge Deutschland, S. 97.). es käme darauf an »die Literatur mit dem Leben, das heißt: die Ideen mit der wirklichen Welt zu verbinden.« Hier wurde in der Tat die Kunstkritik zur Zeitkritik, hier wurde ein Prinzip betätigt, das bald von der gesamten Bewegung, die wir unter dem Namen des »Jungen Deutschland« zusammenfassen, akzeptiert werden sollte. Wenn Ziegler Th. Ziegler, Die geistigen und sozialen Strömungen im 19. Jahrhundert, Berlin, 1911, S. 173. eben deshalb Börne als den geistigen Anführer des »Jungen Deutschland« betrachtet, so können wir uns dennoch nur sehr bedingt damit einverstanden erklären. Zwar sind wir mit Ziegler der Meinung, daß Börne durch seine zeitgemäße, feuilletonistisch abgefaßte Kritik vorbildlich gewirkt hat, wir glauben aber, daß die Jünger mehr aus dieser Praxis gelernt haben als aus den Theorien Börnes. Unseres Erachtens besteht ein zu wesentlicher Unterschied zwischen der einseitig politischen Einstellung Börnes und der jungdeutschen Ästhetik, als daß wir mit Ziegler bereit wären Börnes geistige Führerschaft des »Jungen Deutschland« ohne weiteres anzuerkennen. Börne, der alle kulturellen Erscheinungen von seinem politischen Standpunkt aus beurteilte, der eben deshalb die theologischen und philosophischen Kämpfe seiner Zeit nur als Zeitverlust ansah, kann doch wahrlich nicht als der geistige Vater des »Jungen Deutschland« betrachtet werden, viel eher könnte Heine zu dieser vorwiegend literarischen Gruppe geschlagen werden. »Wir sind zu sehr Demagog, um Kastraten der Kunst zu werden; und wieder zu eifersüchtig auf das, was man Schiller und Goethe nennt, um ein ausschließlicher Demagog zu sein. Das sind Halbheiten, die uns sehr unglücklich machen«, so schrieben die Jungdeutschen Wienbarg und Gutzkow anläßlich der »Deutschen Revue« an Börne Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 108., und noch stärker betont Gutzkow den Unterschied zwischen Börne und dem »Jungen Deutschland«, wenn er in einer Besprechung Ebenda, S. 105, und Literaturblatt zum »Phönix«, Nr. 25 vom 27. Juni 1836. von Börnes Heine-Kritik im »Réformateur« vom 30. Mai 1835 sich gegen Börne richtend, es als den größten Leichtsinn bezeichnet das Jahrhundert auf Nichts zu reduzieren als auf die konstitutionelle Frage Dagegen Börne in »Menzel, der Franzosenfresser« (Börnes Werke, ed. Klaar, IV 36).: »Indem Börne die theologischen Debatten in die Vergangenheit verweist und von den Angriffen auf das Christentum wie von einer antiquierten und verbrauchten Maxime spricht, schneidet er für unsere Zeit die Spekulation ab. Indem er geringschätzig redet von den Bestrebungen, über die Schönheit neue Bestimmungen festzusetzen, tötet er die Keime künstlerischer Ausbildung, mit deren Blüte die nächste Zukunft unseres Vaterlandes bedacht zu sein scheint ... Aber die deutsche Jugend, welche die Feder führt, wird sich hüten, eine Einseitigkeit der Grundsätze zu verfolgen, welche die Tendenz des Jahrhunderts, eben so sehr wie die Literatur zu vernichten droht, sie auf nichts anweisen, als jene isolierte politische Tätigkeit ... ist eine Grausamkeit«. Trotz dieser Gegensätzlichkeit zwischen Börne und den Mitgliedern des »Jungen Deutschland«, von denen ihm Gutzkow noch immer am nächsten stand, ist natürlich der Einfluß, den Börne durch seine »Briefe aus Paris« auch auf diese Vertreter des literarischen Liberalismus gehabt hat, nicht leicht zu überschätzen, gestehen sie doch selber, daß sie »das Produkt politischer Aufregungen sind«, daß sie aber »amphibienartig leben, halb auf dem Festlande der Politik, halb in den Gewässern der Dichtkunst«. Brief von Gutzkow an Börne vom 14. Sept. 1835, mitgeteilt von Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 108. Nicht die junge Dichtergeneration von 1830, sondern erst die von 1840 sollte das freudige Bekenntnis zur Politik ablegen, wie es von Börne in den »Briefen aus Paris« verkündigt worden war.

* * *

»Selbst die Freimütigsten stutzten!« Gewiß dachte Gutzkow dabei an das Verhalten der Liberalen, die zum Teil jede Gemeinschaft mit Börne ableugneten, aus Furcht, daß, wenn sie sich öffentlich mit der Tendenz der »Briefe« einverstanden erklärten, ihre fortschrittliche Politik dadurch gefährdet werden könnte. Die konservativen Gegner der liberalen Elemente versäumten nicht die Machthaber auf die verderblichen, umstürzlerischen Ideen in diesen »Briefen« aufmerksam zu machen. Schriftsteller wie Raumer, Willibald Alexis, Friedrich Förster, griffen Börne aufs heftigste an. Diese verstanden nur zu gut, daß hier die Formen der Literatur zum Gefäß des liberalen Oppositionsgedankens gemacht wurden. Es wurde sofort spekuliert auf die antisemitischen Tendenzen, um dadurch die Wirkung von Börnes (und Heines) Schriften abzuschwächen. Diese jüdischen Schriftsteller trieben das Werk der Verführung aus kluger Berechnung, »um in einem großen welthistorischen Akte Rache zu nehmen für den Druck und die Schmach, den das Volk, dem sie ihrem Ursprung nach angehören, Jahrhunderte lang, von dem unsrigen geduldet,« so versicherte einer der ergebensten Lohnschreiber Metternichs, der Hofrat Jarcke in seinem mit Geldern der Wiener Staatskanzlei gegründeten Berliner »Politischen Wochenblatt« Joh. Proelß, Das Junge Deutschland, S. 117.. Ein Strom von Schmähschriften und Pamphleten erschien Vgl. auch: Dr. Meyer (Altona), Gegen Ludwig Börne, den Wahrheit- Recht- und Ehrvergessenen Briefsteller aus Paris, Hamburg, 1831; siehe weiter noch Holzmann, Börne, S. 262 ff., aber diese Angriffe von bekannten und anonymen Schriftstellern aus den reaktionären Kreisen schmerzten Börne viel weniger als die abfällige Beurteilung seitens derjenigen Liberalen, die ihn aus taktischen Gründen preisgaben Vgl. F. G. Kühne gegen Börne im »Liter. Zodiacus«, 1835, S. 173. Ähnliche Gesinnung wie F. G. Kühne scheint damals auch schon Th. Mundt gehegt zu haben, (vgl. Lit. Zodiacus 1835, S. 13)..

Es gab aber auch eine größere Gruppe von Liberalen, die gesinnungstüchtig genug war, um trotz der Gefahr eventueller polizeilicher Maßnahmen für Börne einzutreten und die Allzuängstlichen anzugreifen. Eine solche Stimme möge hier noch zu Worte kommen. In dem »Komet«, einem der Journale, die am öffentlichsten die politische Einwirkung der Julirevolution in Deutschland zeigten, schrieb F. Stolle: »Es ist eine wahre Lust, so mit Behaglichkeit in den Alarm zu schauen, den Börnes Briefe in Deutschland erregen. Diese Episteln kommen mir vor, wie ein perfektes Wasserglas für alle politischen Coterien. Die Absoluten, außer sich, schreien Hochverrat; die Halbliberalen mögen mit diesem Menschen (dem Börne) nichts weiter zu schaffen haben; die befangenen Liberalen aber bedauern den talentvollen Schriftsteller, der sich so verirren konnte; die ängstlichen Liberalen sehen nur Gefahr für den Liberalismus in dem Buche; den (wahrhaftig) wahrhaften Liberalen sind die Briefe die erquicklichsten Humoresken, die seit Jean Paul geschrieben worden« »Der Komet« vom 17. Februar, 1832; vgl. auch: J. G. A. Wirth in der »Deutschen Tribüne«, No. 16 vom 19. Januar 1832.. Wolfgang Menzel verteidigt Börne in seinem Literaturblatt vom 18. Mai 1832 gegen alle Vorwürfe und Verdächtigungen und ruft pathetisch aus: »Männer wie Börne sind zu selten und ihr kräftiger Geist zu vorleuchtend, als daß die literarische Gassenjugend mit ihrem Hepp! Hepp! ihm etwa die Unsterblichkeit verrennen könnte« Vgl. auch: Menzel über Börne im »Literaturblatt« vom 29. Januar und 1. Februar 1830, vom 28. November und 2. Dezember 1831, vom 4. Januar 1832, vom 11. Januar 1833..

Nirgends haben die »Briefe aus Paris« einen so begeisterten Empfang gefunden wie unter der Bevölkerung der bairischen Rheinpfalz, wo Siebenpfeiffer und Wirth eine radikale Agitation mit ausgeprägt republikanisch-kosmopolitischer Färbung führten.

Wirth richtete einen Brief an Börne und Heine, in dem er ihnen dankte für ihre Unterstützung des Vaterlandsvereins, Sie möchten ihm doch mit ihrem Namen unterzeichnete Artikel schicken, so würde die Wirkung eine ganz ungewöhnliche sein. Noch mehr aber könnte geleistet werden, wenn sie sich dazu entschließen könnten, ihren Wohnsitz irgendwo im Rheinkreise zu nehmen, aus dem sie im Notfalle leicht nach Frankreich entweichen könnten Brief vom 28. Februar 1832. (Hirth II 14.),

Als durch die Agitation der in der Rheinpfalz erscheinenden Zeitschriften »Der Westbote« und »die Deutsche Tribüne« dort eine starke politische Gärung entstanden war, wurde der Plan gefaßt durch ein deutsches Verbrüderungsfest für das Streben nach »der Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt« Zeugnis abzulegen. So fand am 27. Mai auf der Kästenburg bei Hambach die große Volksversammlung statt, an der sich nach der stärksten Schätzung 30 000, nach der mäßigsten 12 000 Menschen beteiligten. Alfred Stern, Geschichte Europas 1815-1871, Stuttgart, 1905, IV 314 ff. Börne war trotz der Gefahr einer möglichen Verhaftung aus Paris herübergekommen und war der Gegenstand zahlreicher Ehrenbezeugungen.

Man berauschte sich an den manchmal sehr radikal klingenden Phrasen und ging nach Hause mit dem erhebenden Gedanken einem historisch wichtigen Moment beigewohnt zu haben. Metternich erblickte in dem »Skandal von Hambach einen ersten Versuch des nackten Radikalismus«, Er wußte den Vorfall sehr gut auszunutzen. Wenn auch die des Hochverrats angeklagten Hambacher Führer vom Landauer Schwurgericht freigesprochen wurden, so faßte doch der Bundestag schon am 5. Juli 1832 »Ausnahmebeschlüsse«, welche die Karlsbader Beschlüsse wiederholten, die freisinnigen Blätter unterdrückten, alle politischen Vereine, alle Volksversammlungen und Volksfeste, alle öffentlichen politischen Reden, Adressen und Beschlüsse verboten. Alfred Stern, Geschichte Europas 1815-1871, IV 318 ff. Die süddeutschen Landtage sollten von nun an nur unter der Beaufsichtigung des Bundestages arbeiten. Als auch noch der bekannte Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833 kläglich verlaufen war, mußten die Liberalen sich wirklich sagen, daß auf praktisch-politischem Gebiete in Deutschland seit dem Jahre 1830 nur sehr wenig erreicht war. »Der vollkommene Banquerott aller Ideen der Julirevolution«, so schreibt Mundt 1840 im »Freihafen«, »bewirkte auch in Deutschland eine Zusammenschrumpfung aller Lebenszustände. Ein trüber, schwerer Nebel lag wie ein Leichentuch über der Zeit«. »Freihafen«, 1840, S. 202. Börne vermochte trotz der Begeisterung der radikalen Elemente für seine »Briefe aus Paris« keinen großen Anhang zu gewinnen, die gemäßigten Liberalen rückten sogar immer mehr von ihm ab, und die Gegner bemühten sich nach wie vor den Gedanken zu verbreiten, es sei Absicht dieses vaterlandslosen Juden Deutschland zu Gunsten des Franzosentums herabzusetzen. Der »juif de Francfort«, den man ihm einst in den Paß geschrieben, blieb nach wie vor der Gesichtspunkt, unter dem man seine politisch-literarische Tätigkeit bewertete: man interpretierte ihn nur als Juden.

Die großen Hoffnungen Börnes auf eine Erhebung des deutschen Volkes waren nicht in Erfüllung gegangen; über die traurige Realität der deutschen Verhältnisse konnte sogar sein naiver politischer Optimismus ihn nicht mehr hinwegtäuschen. Der Rufer im Streite war entmutigt durch den Indifferentismus der Massen, durch die Lauheit und Ängstlichkeit der Liberalen. »Man wollte«, schreibt Beurmann, »eine Emancipation von der Julius-Revolution« indem man sich von Börne zurückzog, um nicht von ihm zurückgestoßen zu werden. Börne lächelte über diese Dinge, so sehr sie ihn schmerzen mußten« Beurmann, S. 4.. Er wandte sich einer neuen Aufgabe zu.

Hatte er, wie wir bereits sahen, Siehe S. 32. schon vor vierzehn Jahren dem Wunsche Ausdruck gegeben, ein deutscher Kritiker möchte sich nach Paris begeben um dort in französischer Sprache ein kritisches Blatt herauszugeben, so entschloß er sich jetzt dazu selber diesen Schritt zu wagen. Börne, der sich im eignen Lande aufgegeben sah, strebt in den zwei letzten Jahren seines Lebens (1835-1837) mit ungebrochener Energie, getragen von seinem gläubigen Optimismus, einem neuen Ziel nach: er wollte den Franzosen die Werte der deutschen Kultur vermitteln. Der einsame Deutsche, der kränkelnd und zurückgezogen in Auteuil lebte, der, nach Kolloffs Wort, »der Pariser Gesellschaft so fremd geblieben war, als an dem Tage, wo er mit dem Eilwagen in der Hauptstadt ankam« Ed. Kolloff, Börne in Paris (Gutzkows Jahrbuch der Literatur, Hamburg, Hoffmann und Campe, 1839, S. 143.)., wollte jetzt den Franzosen in ihrer eignen Sprache das ihnen unbekannte Deutschland näher bringen. Wenn auch dieses Unternehmen schier unabwendbar zu neuen Enttäuschungen Börnes führen mußte, so zeugt es doch in höchstem Grade von seinem politischen Idealismus. Nachdem Börne durch die »Briefe aus Paris« seine Landsleute über Frankreich und französisches Wesen aufgeklärt hatte, will er jetzt seine Vermittelungsbestrebungen dadurch ergänzen, daß er den Versuch macht bei den Franzosen für die deutsche Kultur Verständnis anzubahnen. Als sein Freund François Vincent Raspail, der demokratische Arzt, 1835 »Le Réformateur« gründete, versprach Börne ihm auch regelmäßige Beiträge für diese Zeitschrift, die von den Mitarbeitern ohne Honorar geschrieben werden sollte. Leider wurde das Erscheinen des »Réformateur«, in dem Raspail schon die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes befürwortete, bereits im nächsten Jahre von der Regierung verboten Vgl. Quack, De Socialisten, III 480.. Von den vier Beiträgen, die Börne für die sobald eingegangene Zeitschrift geliefert hat Vgl. Fragments politiques et littéraires de M. L. Boerne, par M. de Cormenin, Paris, Pagnerre, 1842, abgedruckt in Börnes Werken ed. Klaar, IV 233 ff., ist für uns am wichtigsten seine am 30/31. Mai 1835 erschienene Rezension »De l'Allemagne par Henri Heine«. Im Eingang erklärt er selber, daß seine Kenntnisse der Philosophie und der deutschen Literatur sehr oberflächlich sind. Wenn aber ein deutscher Autor den Franzosen einen Begriff geben will von der deutschen Kultur, dann ist es nicht genug geistreich zu sein, »il faut encore montrer du coeur«. Auch im Exil kann man für das Vaterland kämpfen, wenn man die Aristokratie angreift, die das Prinzip des Egoismus vertritt. »Nous ne devons pas nous accomoder avec ces aristocraties, nous ne devons pas caresser en France ce que nous avons refusée en Allemagne« heißt es mit deutlichem gehässigem Bezug auf Heines gesellschaftlichen Verkehr in Paris. Die Art und Weise, in der Heine über die ernsthaftesten Themata urteilt, erregt seine Entrüstung, denn die Franzosen könnten in dieser Weise keine richtige Einsicht bekommen in das deutsche Leben. Das deutsche Leben sei wie eine hohe Alpengegend, die mit ihren ewigen Gletschern schimmert. »A l'Allemagne la lumière la plus pure, aux autres pays la chaleur du soleil. Ces hauteurs stériles ont fécondé le monde à leurs pieds. C'est là que se trouvent les sources, et des grands fleuves de l'histoire, et des grandes nations et des grandes pensées. Aux Allemands le génie, aux Français le talent: aux uns la force productive, aux autres la force industrielle de l'esprit«. Zwar klagten und spotteten die Franzosen oft über den Nebel, welcher den deutschen Geist umhülle. »Mais le jour avance, encore quelques heures historiques, et ces brouillards qui séparent deux nations se dissipent. Alors nous nous reconnaîtrons; les Français montent, les Allemands descendent, pour se donner les mains tachées d'encre, et alors ils mettront leurs plumes aux mains rouges de leurs rois, pour s'en servir à écrir, sur les bords du Missouri, le dernier chapitre de leur règne.« Heine gegenüber tritt Börne dann als Verteidiger der Religion und des Christentums, selbst des Katholizismus auf. Letzteres war die direkte Folge seiner in den letzten Jahren seines Lebens seit dem Erscheinen von Lamennais' »Paroles d'un croyant« Börnes Uebersetzung der »Paroles d'un Croyant« erschien 1834 als: »Worte des Glaubens von abbé de la Mennais«, Paris, bei I. P. Aillaud, quai Voltaire no. 11. In demselben Jahre erschien noch eine von ihm selbst besorgte schweizerische Volksausgabe (vgl. Holzmann, Börne, S. 313; Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, I 102. erwachten Vorliebe für den Katholizismus, denn in diesem Katholizismus Lamennais'scher Prägung wurde das Evangelium der Gleichheit aller Menschen vor Gott gepredigt, es wurde ihnen zu verstehen gegeben, daß sie nur nötig hätten, sich in die Arme der Mutter Kirche zu flüchten, um aller Wünsche Befriedigung, von allem Elend Erlösung zu finden. Börne erhoffte von dieser Wandlung des Katholizismus eine Unterstützung seiner eignen politischen Ideen. So verstehen wir es, wenn Börne jetzt als Apologet des Katholizismus auftritt:

»Le catholicisme, loin d'avoir énervé les peuples, leur a rendu la force et l'énergie qu'ils avaient perdues sous la domination romaine, et que les peuples modernes, qui se sont séparés du catholicisme, ont perdues pour la seconde fois. Le seul peuple du nord qui, depuis trois siècles, n'a cessé un seul jour de se remuer pour la liberté, c'est le peuple polonais, qui est resté catholique. Le catholicisme n'est pas un culte ›sombre et décoloré‹, comme dit M. Heine; c'est la réligion la plus sereine et la plus joyeuse qui ait jamais existé. Non, les sens n'ont pas été reduits à l'hypocrisie par le christianisme, cette réligion ne demande qu'un voile pour les réjouissances des sens, elle n'exige que la pudeur.« Nach Börnes Urteil entbehrt Heine jeder festen Meinung, er schwankt immer zwischen den entgegengesetzten Anschauungen hin und her. »C'est que M. Heine n'est qu'un fournisseur de phrases, qui en offre à tout le monde avec l'impartialité la plus mercantile. Il ne s'inquiète jamais du droit, de la justice d'une cause; il ne se soucie que de son commerce de paroles, et à peine l'espérance de gagner l'a-t-elle attiré vers un parti, que la crainte de perdre le repousse aussitôt vers l'autre parti.«

Nachdem er seinen Glauben bekundet hat, daß nur die religiösen Völker die wahre Freiheit erleben werden, charakterisiert er am Schluß Heine noch einmal als einen Menschen, dem es an geistiger Unabhängigkeit, an einer starken Ueberzeugung fehle: »Si M. Heine voulait ne s'inquiéter que du souffrage des gens honnêtes et éclairés et de l'assentiment de sa propre conscience et ne pas rôder jour et nuit autour de tous les marchands de réputation, il serait alors un écrivain parfait.« Ein Talent, doch kein Charakter! Das ist der langen Rede kurzer Sinn.

Heine hat in diesen Jahren auf die verschiedenen Angriffe niemals geantwortet. Zwar hat er das Bild des »kleinen Simson« aus Frankfurt, des »beständigen Champions des Deismus« in den »Memoiren des Herrn von Schnabelewopski« abkonterfeit Heines Werke, ed. Walzel, VI 360 ff., aber erst drei Jahre nach dem Tode Börnes sollte er die Offensive eröffnen.

Nachdem »Le Réformateur« unterdrückt war, beschloß Börne den längst gehegten Plan zur Ausführung zu bringen: er wollte seine »Wage«, die er vor so vielen Jahren in Franfurt hatte erscheinen lassen, in Paris zu neuem Leben erwecken. Als er diesen Vorsatz faßte, übersah er leider, daß ihm, während er früher als gefeierter und gefürchteter Publizist zu Landsleuten sprach, ein solcher Resonanzboden jetzt durchaus fehlte. Im Januar 1836 erschien die erste Nummer der »›Balance‹, revue allemande et française«, und wenn von dieser einzigartigen Zeitschrift auch nur 3 Hefte erschienen sind, so ist doch ihre Bedeutung als »document humain« nicht zu unterschätzen. In der »Introduction« zu seiner »Balance« bezeichnet er das französische und das deutsche Volk als die beiden Völker, die dazu berufen wären künftig in der menschlichen Gesellschaft die führende Rolle zu übernehmen. Frankreich und Deutschland werden sich bei dieser Kulturaufgabe gegenseitig unterstützen können, denn sie ergänzen einander in dem Sinne, daß Deutschland die schöpferische, Frankreich die anwendende Kraft repräsentiere. Er betrachtet es daher als eine Pflicht der ältern Männer aus beiden Ländern dafür Sorge zu tragen, daß die französische und deutsche Jugend einander kennen lernen, damit die künftigen Generationen durch Freundschaft und Achtung verbunden werden: »Qu'il sera beau le jour ou les Français et les Allemands s'agenouilleront ensemble sur les champs de bataille ou jadis leurs pères s'étaient entre-égorgés, et prieront en s'embrassant sur leurs tombeaux communs. L'amitié inaltérable et la paix éternelle entre toutes les nations, sont ce donc des rêves? Non, la haine et la guerre sont des rêves dont on s'éveillera un jour. Que de malheurs l'amour de la patrie n'a-t-il pas déjà causés à l'humanité!«

Er nennt den Patriotismus eine lügnerische Tugend, insofern er uns nur zu oft verhindert gegen ein fremdes Volk gerecht zu sein. Er richtet sich aber keineswegs gegen die Vaterlandsliebe an sich, wie Menzel ihm später, auf Grund dieser »Introduction« zur »Balance« vorwerfen sollte Wolfg. Menzel, Herr Börne und der deutsche Patriotismus, (Literaturblatt vom 11. April 1836)., er wendet sich nur gegen den Mißbrauch der Idee, gegen deren Ausnützung in nationalistisch-reaktionärem Sinne:

»J'aime l'Allemagne plus que la France, parce qu'elle est malheureuse et que la France ne l'est pas; du reste je suis autant Français qu'Allemand: Quant à moi, Dieu merci, je n'ai jamais été dupe du patriotisme, je ne me suis jamais laissé prendre à ce leurre de l'ambition, ou des rois, ou des patriciens, ou des peuples«. Er behauptet, das Glück und die Freiheit Frankreichs sei nur unsicher, solange nicht auch die Freiheit Deutschlands sicher gestellt sei, Deutschland bilde die Gebirgskette, welche die Zivilisation von der Barbarei, die Franzosen von den Kosaken trenne. Vereinigt könnten Frankreich und Deutschland alles vollbringen und alles verhindern. Von ihrer Einigkeit hänge das Schicksal von ganz Europa ab. Frankreich sollte daher endlich Deutschland kennen lernen, denn es habe Deutschland immer falsch beurteilt. Wenn er also in seiner Zeitschrift Deutschland und Frankreich zu vergleichen gedenke, so habe er damit keineswegs die Absicht, die überlegenen oder untergeordneten Eigenschaften des einen oder des anderen darzutun, denn das führe zu nichts, sie sollten dadurch nur einander besser verstehen lernen um sich wechselseitig unterstützen zu können. Die Einführung in die Literatur des fremden Landes soll das Mittel sein dessen geistige Struktur kennen zu lernen: »La littérature est le résumé le plus complet de toutes les différences par lesquelles les peuples se distinguent entre eux. Elle est la mer, qui en même temps sépare et unit les pays. L'histoire politique d'un peuple est la biographie de son égoïsme, mais sa littérature est l'histoire de sa vie humanitaire.«

Auf Grund dieser Anschauungen formuliert er dann noch einmal das Programm seiner Zeitschrift: »Rapprocher l'Allemagne de la France, tel est notre but; et la comparaison de la littérature française avec la littérature allemande est notre point de départ.« Introduction à la Balance (Börnes Werke, ed. Klaar, IV 268 ff.).

Börnes Stimme verhallte. Der Mann, der nichts Sehnlicheres wünschte als durch seine Worte auf die Zeit und die Zeitgenossen einzuwirken, der sich aber selber aus einer gewissen Scheu vor der Berührung mit der realen Welt immer mehr von dem französischen Gesellschaftsleben abgesperrt hatte, war schon deswegen nicht an erster Stelle dazu berufen die Franzosen über Deutschland und deutsches Wesen aufzuklären. Zieht man überdies noch die Tatsache in Betracht, daß Ausgewanderte an sich fast immer darunter zu leiden haben, daß sie den richtigen Blick auf die Zustände in der Heimat verlieren und durch ihre Sonderstellung die Mentalität des fremden Volkes nur zum Teil zu erfassen vermögen, so ist aus alledem Börnes Scheitern sehr wohl zu erklären. Nur drei Hefte der »Balance« sind erschienen, dann ist die Zeitschrift eingegangen.

Es liegt eine gewisse Tragik darin, daß dieser frühe Wegbereiter einer deutsch-französischen Verständigung in Frankreich nicht den geringsten Widerhall fand, und daß die in der Einleitung zur »Balance« entwickelten Ideen gerade von Deutschland aus heftig angegriffen wurden und Börne eben dadurch in eine literarische Fehde verwickelt wurde, welche die letzten Monate seines Lebens erschwert und verdunkelt hat.

* * *

Am 10. Dezember 1835, also noch vor dem Erscheinen der ersten Nummer von Börnes »Balance«, war von dem »Deutschen Bundestag« das berüchtigte Edikt gegen das sogenannte »Junge Deutschland«, gegen die »schlechte, antichristliche, gotteslästerliche und alle Sitte, Scham und Ehrbarkeit absichtlich mit Füßen tretende Literatur« erlassen worden. Alle Straf- und Polizeigesetze der Bundesstaaten, alle »hinsichtlich des Mißbrauches der Presse bestehenden Vorschriften« sollten in voller Strenge zur Anwendung gebracht werden gegen die »auf den Einsturz aller Staatsformen abzielende« Gruppe, als deren Mitglieder Heine, Gutzkow, Wienbarg, Mundt und Laube namhaft gemacht werden. Im Protokoll wird merkwürdigerweise Heine als der spiritus rector der ganzen Gruppe angeführt, deren Einheit nur konstruiert wurde, noch merkwürdiger aber ist die Tatsache, daß der Name Ludwig Börne fehlt, daß gerade der Autor der »Briefe aus Paris« nicht in Acht und Bann getan wurde. Weshalb wurden die erschienenen und die noch zu erscheinenden Werke der namhaft gemachten Schriftsteller verboten, und weshalb wurde eben Ludwig Börne frei gelassen?

In seinen »Rückblicken auf mein Leben« Gutzkows Ausgew. Werke, Bong, o. J., 9. Teil, S 21. berichtet Gutzkow uns, wie er, seitdem er in Frankfurt am Main ein eignes Blatt, den »Phönix«, herausgegeben, an Menzel, seinem ehemaligen Freund und Berater, »nur noch einen unversöhnlichen Feind« gefunden habe. Als Gutzkow sich sogar entschloß zusammen mit Wienbarg die bereits von uns erwähnte »Deutsche Revue« Siehe S. 83. herauszugeben, boten Gutzkows Roman »Wally, die Zweiflerin« und Wienbargs »Ästhetische Feldzüge« ihm den willkommnen Anlaß in einer Reihe von Hetzartikeln die Behörden gegen die gefürchteten jungen Konkurrenten mobil zu machen. Literaturblatt Nr. 93 vom 11. September 1835.
Literaturblatt Nr. 94 vom 14. September 1835.
Literaturblatt Nr. 109 vom 23. Oktober 1835.
Literaturblatt Nr. 110 vom 26. Oktober 1835.
Literaturblatt Nr. 15 vom 11. November 1835.
Metternich wurde durch seinen Konfidenten Jarcke, den Redakteur des feudalen in Berlin erscheinenden »Politischen Wochenblatts« Siehe S. 85., der sich seit einiger Zeit in Stuttgart aufhielt, auf Menzels Artikel aufmerksam gemacht. Alfred Stern, Geschichte Europas von 1815-1871, V 30; Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 64-65; Geiger, Das Junge Deutschland, S. 174 und 197 ff. Alsbald erfolgten verschiedene Maßregeln gegen »die sich unter dem Namen des jungen Deutschland ankündigende Schule unchristlicher, unsittlicher Autoren«: die »Wally« wurde konfisziert, der Verlagsbuchhandlung Löwenthal, wo die »Deutsche Revue« erscheinen sollte, wurde die Konzession entzogen, Wienbarg wurde auf österreichischen Antrieb aus Frankfurt ausgewiesen Vgl. Ludolf Wienbarg, Menzel und die junge Literatur, Programm zur deutschen Revue, Mannheim, Löwenthal, 1835; dazu auch: Wienbargs Schreiben an den Senat der Stadt Frankfurt d. 17. Nov. 1835 (mitgeteilt von Geiger, Das Junge Deutschland, S. 190)., Gutzkow in Mannheim verhaftet.

Am 10. Dezember hatte Menzel endgültig gesiegt, als sämtliche Bundesregierungen sich durch Beschluß verpflichteten die Verbreitung der Schriften der »unter der Bezeichnung Das Junge Deutschland bekannten literarischen Schule«, als deren Hauptvertreter Heine, Gutzkow, Wienbarg, Mundt und Laube namhaft gemacht wurden, »mit allen ihnen gesetzlich zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern«. Durch Alfred Stern wissen wir jetzt, daß auf ausdrückliches Verlangen Metternichs auch Heines Name auf der Liste der Verfehmten erschien, weil er ihn als »den geistigen Vater des Jungen Deutschland« betrachtete Alfred Stern, Geschichte Europas von 1815-1871 V 30. Vgl. dazu auch noch: Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 61.. Rudolf Fürst hat wohl zum ersten Male darauf hingewiesen, daß Menzel auch in bezug auf die Ächtung Heines der Einbläser Metternichs gewesen ist Börne, Menzel der Franzosenfresser, herausgeg. von Rud. Fürst (Börnes Werke ed. Geiger, VII 342).. Warum aber wurde der andere Tagesschriftsteller ersten Ranges, der so viel Gährungsstoff in die deutsche Nation geworfen hatte, warum wurden Börnes Werke nicht dauernd verboten?

Das Rätsel löst sich, wenn wir beachten, daß Börne zu der Zeit, als Wolfgang Menzel seine denunziatorischen Aufsätze gegen Gutzkow und Wienbarg schrieb, noch in sehr freundschaftlicher Weise mit dem Stuttgarter Literaturpapst korrespondierte. Börnes Haltung in dieser Periode ist unseres Erachtens nicht als ganz einwandfrei zu betrachten. Trotzdem Börne sehr wohl wußte, daß Menzel zur Bekämpfung der »Deutschen Revue« auch wieder auf den Judenhaß spekulierte, indem er der Meinung Vorschub leistete, »das sogenannte Junge Deutschland sei eigentlich ein junges Palästina« und sogar behauptete, daß »die Franzosenzucht«, »der tückisch ohnmächtige Deutschen- und Christenhaß« allgemein dem Judaismus zur Last gelegt werde Literaturblatt No. 109 und 110, resp. vom 23. und 26. Oktober 1835. , bricht er nicht mit ihm, sondern schreibt ihm sogar unterm 12. November 1835 Für den Text dieses Briefes vgl. Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 112, 113, vergleiche hierzu weiter: a. Rud. Fürsts Einl. zu: Menzel der Franzosenfresser (Börnes Werke ed. Geiger, VII 343). b. Brief von Gutzkow an Börne vom 2. Oktober 1835 (mitgeteilt von Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 109 ff.). daß er abgelehnt habe an Gutzkows und Wienbargs »Deutscher Revue« mitzuarbeiten. Er glaube Menzel auf das Wort alles, was dieser ihm von Gutzkow und von Wienbarg gesagt habe. Zwar habe er die Wally noch nicht gelesen, aber er teile ganz Menzels Abscheu vor solchen sittenlosen und glaubensschänderischen Schriften, wenn er auch gestehe, daß dieser Abscheu nicht auf die Person des Verfassers übergehe. Wenn Gutzkow und Wienbarg den Deutschen »Voltaires Excremente« auftischen wollten, so fürchte er nicht, daß sie viel Gäste bekommen würden. Ganz liberal gedacht ist es aber, wenn er dennoch ein solches Organ nicht unterdrückt sehen will. Gegen Gutzkow zeigt er sich persönlich verstimmt: »Gutzkow hat mir durch einige Worte in einem Artikel über mich und Heine in dem Phönix seine schwache Seite gleich verraten, und wenn ich gegen ihn schriebe, würde ich die benützen« Gemeint ist der auf Seite 83/84 bereits zitierte Artikel »Börne und Heine« im Literaturblatt zum »Phönix«, Nr. 25 vom 27. Juni 1836.. Am Schluß macht er Menzel sogar Mitteilung von seinem Plan zur Herausgabe der »Balance« und bietet ihm seine Besprechung des »Briefwechsels Goethes mit einem Kinde« Holzmann, Aus dem Lager der Goethe-Gegner, S. 185-199. für das Literaturblatt an.

Börnes Haltung Menzel gegenüber erklärt sich wohl zum größern Teil aus dem Bestreben möglichst lange ein ungetrübtes Verhältnis aufrecht zu erhalten, wo er doch bereits so viele Jahre mit ihm in freundschaftlicher Verbindung gestanden hatte. Es mochte ihm dies um so leichter möglich sein, als er, der gerade in dieser Zeit sehr stark unter dem Einflusse des Abbé de Lamennais stand, vielleicht wirklich, wie er an Menzel schrieb, mit Widerwillen alle Bestrebungen verfolgte, die darauf hinauslaufen könnten »eine neue Schule des Unglaubens zu gründen« Börne an Gutzkow (vgl. Houben, Jungdeutscher Sturm und Drang, S. 113)..

Wie dem auch sei, erst nachdem der Bundestag sein Verdammungsurteil gefällt, nachdem alle erschienenen und noch zu erscheinenden Schriften der sogenannten Jungdeutschen, wenn auch mit Ausnahme seiner eignen Schriften verboten waren, erst dann, als Börne die Folgen von Menzels Hetze übersehen konnte, hat er sich nicht länger durch persönliche Rücksichten und Verbindungen behindern lassen, sondern sich in seinem Aufsatz »Gallophobie de M. Menzel«, der in der ersten Nummer der »Balance« erschien, Börnes Werke, ed. Klaar, IV 308-315. ganz von diesem geistigen Berater Metternichs losgesagt. Nachdem er zunächst Menzels Verdienste um die literarische Kritik hervorgehoben hat, gesteht er, daß es ihm Mühe kostet ihm seine Fehler vorzuwerfen, »qui sans doute n'annulent pas ses bonnes qualités, mais qui en absorbent une grande partie. Nous parlons de sa haine aveugle contre la France, de cette funeste passion qui enveloppe son brillant esprit d'une légère vapeur de niaiserie. On ne trouve qu'en Allemagne de ces hommes qui sont en même temps spirituels et imbéciles.«

Diese »passion haineuse« Menzels erstreckt sich nicht nur auf seine Beurteilung des politischen, sondern auch des wissenschaftlichen und religiösen Frankreich. Menzel sei in seiner Beurteilung Frankreichs um fünfzig Jahre zurückgeblieben: »Il ne connaît d'autre France politique que celle de l'empire, et d'autre France intellectuelle que celle de Voltaire.« Der Haß gegen Frankreich habe ihn wohl auch zu einer ungerechten Bewertung des »Jungen Deutschland« geführt: »Cette affaire de la Jeune Allemagne est l'un des événements les plus importans et les plus significatifs, que se sont passés en Allemagne depuis vingts ans.« Bei dem »Jungen Deutschland« handele es sich absolut nicht um eine geheime Verbindung. Alle vierunddreißig Fürsten und neunzig Minister Deutschlands träumten aber von Verbindung, Verschwörung und Revolution, sobald drei Personen dieselbe Meinung äußerten: »M. Menzel n'a pas à se glorifier de sa victoire remportée sur la Jeune Allemagne, la dénonciation du plus insignifiant de tous les agens de police aurait suffi pour éveiller les soupçons de ces malheureux trembleurs, que la conscience de leur trahison et de leur parjure ne laisse jamais dormir en repos.« In einer Antikritik von Menzels Kritiken in dessen »Literaturblatt« verhöhnt er Menzel, der es einem Elsässer Dichter schwer verübelte, daß dieser sich nicht für das deutsche, sondern für das französische Vaterland begeistert hatte: »Armez-vous, nobles défenseurs de l'honneur national, reconquérez l'Alsace sur la France; mais hâtez-vous, l'affaire est pressante. Bientôt les forteresses de Spielberg, d'Olmutz, de Spandau, de Magdebourg, d'Ehrenbreitenstein, de Hohenasperg ne souffiront plus aux besoins paternels de vos gouvernemens. Allez prendre Strasbourg d'assaut, et il y aura alors une citadelle de plus pour servir de prytanée à votre patriotisme. Mais avant de vous exposer aux dangers de la gloire, demandez d'abord aux Alsaciens s'ils consentent à redevenir Allemands, s'ils seraient heureux d'échanger leur roi contre un des princes de la conféderation germanique, leur chambre des députés contre la diète de Francfort, la liberté de la presse contre l'infame censure, la garde nationale contre la gendarmerie, la publicité des débats judiciaires contre des tribunaux secrets le jury contre des juges dépendant du pouvoir, et l'égalité des conditions contre la morgue et l'insolence de la noblesse et des satrapes.«

In dem gleichfalls in seiner »Balance« veröffentlichten Aufsatz über »Wally la sceptique, par C. Gutzkow« Börnes Werke, ed. Klaar, IV 322-331. bezeichnet er noch nachdrücklicher Menzel als den Denunzianten und berichtet den Franzosen über die fürchterlichen Folgen, die Menzels Angeberei für Gutzkow und die andren Jungdeutschen gehabt habe. Auch hier spielt er wieder mit dem Gedanken, daß nur eine Revolution den Deutschen geistige Freiheit bringen kann: »On se demandera si la diète de Francfort, en refusant aux Allemands la liberté de la presse, même la plus modérée, a voulu leur rappeler par là que ces peuples n'ont pu jouir de la liberté de la presse qu'après avoir fait une révolution et chassé leurs rois.«

Menzel, der sich durch die Angriffe Börnes überrascht fühlen mochte, blieb die Antwort nicht schuldig. Im »Literaturblatt« No. 37 vom 11. April 1836 ging er seinerseits in dem Schmähartikel »Herr Börne und der deutsche Patriotismus« zum offnen Angriff über Ueber Menzels frühere versteckte Angriffe auf Börne und über Börnes Haltung ihnen gegenüber vergl. Rud. Fürst: Einleitung zu »Menzel, der Franzosenfresser« (Börnes Werke, ed. Geiger VII 347-362). und rächte sich nun für die von uns besprochenen »Balance«-Artikel. Er beschuldigt Börne des Landesverrats: er habe den deutschen Patriotismus für eine Narrheit erklärt. Weshalb habe Börne nur dem deutschen, nicht auch dem französischen Patriotismus den Krieg erklärt, wenn er dem Verdacht entgehen wollte, er habe nicht der Freiheit, sondern nur dem Franzosentum dienen wollen? Menzel behauptet, daß die besten Patrioten Frankreichs ihrer eignen Zukunft mißtrauen und ahnungsvoll auf das deutsche Volk blicken. Schließlich nimmt er Börne scheinbar in Schutz gegen zu schwere Angriffe. Er sei ja doch in Deutschland schwer gekränkt worden, man habe ihm den »juif de Francfort« in den Paß geschrieben, und nun wolle er diesen Schimpf an der ganzen deutschen Nation rächen: »Börne ist krank, aber seitdem er in Paris lebt, französisch schreibt, uns nur noch vor einem französischen Publikum beschimpft, und wenn seine ›Balance‹ auch nur zwei Sous kostet, diese zwei Sous für die Beschimpfung seines Vaterlandes annimmt, seitdem hat Herr Börne das unschätzbare Recht, uns wie ein Cato tadeln zu dürfen, verloren ...«.

Es folgte Börnes letzte Abrechnung mit dem Denunzianten, die zugleich sein letztes Wort an das deutsche Volk sein sollte: »Menzel, der Franzosenfresser« erschien 1837, im Todesjahr Börnes. Die Bedeutung dieser Schrift liegt vor allem darin, daß er sich noch einmal, und zwar in programmatischer Form, mit den Problemen seiner Zeit auseinandersetzt. »Menzel, der Franzosenfresser« enthält Börnes politisches Testament.

Nur im Anfang spricht er von sich selber: Menzel habe aus ihm einen jüdischen Hannibal gemacht, der schon als Knabe den Eid geschworen einst an den Feinden Jerusalems blutige Rache zu nehmen. Keiner solle aber den Lügen und Verleumdungen der Stuttgarter Literaturpolizei glauben. Er sei nur krank an seinem Vaterlande; es werde frei und er werde gesunden. Dann heißt es in resigniertem Tone: »Es komme ein wackerer Mann, der mich ablöse und für unser elendes Vaterland das Wort führe, ich werde ihn als meinen Erretter, als meinen Wohltäter begrüßen. Ich bin müde wie ein Jagdhund und möchte Florentinische Nächte Der erste Abdruck von Heines »Florentinischen Nächten« war vom 6. April bis 25. Mai 1836 im »Morgenblatt für gebildete Stände« erschienen (Heines Werke, ed. Walzel. VI 511). schreiben.«

Er verteidigt sich noch einmal gegen den Vorwurf, seine Kritik an den deutschen Verhältnissen sei nur ein Racheakt, weil man ihm den »juif de Francfort« in den Paß geschrieben habe. Nie habe er sich für erlittene Schmach, nicht einmal auf eine edle Art zu rächen gedacht. Wie hätte er das auch vermocht, wären denn die Deutschen jetzt nicht seine Glaubensgenossen und Leidensbrüder? »Ist nicht Deutschland der Ghetto Europas? Tragen nicht alle Deutschen einen gelben Lappen am Hute? Könnte ich zumal gegen meine Vaterstadt noch den kleinsten Groll haben? Sind jetzt nicht alle Frankfurter, meine ehemaligen Herren, den Juden von früher gleich? Sind nicht die Oesterreicher und Preußen ihre Christen? Und der Schimpf, den sie dort einst, gering und vornehm, jung und alt, bei Tag und bei Nacht, jedem Juden zugerufen: ›Macht Mores, Jud!‹ müssen sie ihn jetzt nicht selbst anhören? Der hohe Senat und die löblich regierende Bürgerschaft und die gestrengen Herren Bürgermeister, und die Herren Aktuare und die reichen Seidenhändler – klingt es ihnen nicht in die Ohren, so im Rate wie auf dem Markte, so in der Weinschenke wie zwischen ihren Hauswänden, klingt es nicht höhnisch und grell: ›Macht Mores!‹ Wahrlich und sie machen Mores und ziehen den Hut ab vor Oesterreich und Preußen, so schnell und so demütig als es nie früher ein Jude vor ihnen gethan. Hätte mein Herz auch brennend nach Rache gedürstet, es wäre jetzt betrunken! Aber es ist nüchtern an Lust, es fühlt nur den Schmerz des Vaterlandes; und wenn es ihn allein fühlt und für alle, so ist es das Verbrechen der Empfindungslosen, nicht das meinige.«

Darauf bespricht er eingehend verschiedene Stellen aus Menzels Deutscher Literaturgeschichte, die er als »eine wahre Klatschrosenpredigt und ein Polizei-Eiapopeia« charaktisiert, um dann auf Menzels Kritik seiner französischen Artikel überzugehen. Er verteidigt sich speziell gegen den Vorwurf, daß er den deutschen Patriotismus beschimpft habe: »Wo findet sich denn in meinen Worten oder auch in meinen Gedanken, daß ich den deutschen Patriotismus für eine Narrheit erkläre, den französischen aber für Weisheit? Wo steht das? Mir braucht Herr Menzel nicht zu sagen wo es steht, ich weiß es – es steht in seiner Instruktion«. Er betrachtet den Unterschied der Nationen keineswegs als ein Hindernis der allgemeinen Freiheit, wenigstens gibt es größere Hindernisse, die seine Aufmerksamkeit viel stärker in Anspruch nehmen. Doch was heißt Unterschied der Nationen? ... »Ich halte«, so fährt Börne fort »den Patriotismus, ganz wie Herr Menzel, für etwas Angeborenes, Natürliches und Heiliges. Er ist ein angeborener Trieb, und darum natürlich, und darum heilig, wie alles was von der Natur kommt. Aber welches Heilige wurde nicht schon mißbraucht, ja mehr mißbraucht als alle gemeinen Dinge, weil eine ehrfurchtsvolle Scheu jede genaue Untersuchung zurückschreckte und den Schändern des Heiligtums freien Spielraum gab? Was ist heiliger als Gott, und was wurde mehr mißbraucht? Ich halte den Patriotismus nicht für eine Erfindung der Machthaber, denn diese haben nie etwas Gutes erfunden. Aber die Fürsten haben auch das Pulver nicht erfunden, und dennoch gebrauchen sie es bloß zu ihrem allgemeinen Vorteil und oft zum Verderben ihrer eigenen und der fremden Völker. Das Pulver haben die Machthaber den Völkern abgeschwatzt, und von Patriotismus, von Vaterland haben sie ihnen eine ganz falsche Bedeutung aufgeschwatzt, um sie aneinander zu hetzen und sich wechselseitig zu unterdrücken. Das ist es freilich was ich meine.«

Empört weist er Menzels Beschuldigung zurück, daß er die Geister der Helden aus den Befreiungskriegen verhöhne. Nie habe er auch die Demoralisation in Deutschland in Schutz genommen, wie aus seinem Artikel über die »Wally« deutlich hervorgehe. Über das, was recht und sittlich sei, habe die öffentliche Meinung zu entscheiden, nicht die Frankfurter Staatsinquisition, in deren verpestetem Luftkreise weder Recht noch Sittlichkeit bestehen könnten: »Und wenn die Moral meine eigene Tochter wäre, ich wollte sie ebenso gern in einem Bordell erziehen lassen, als daß ich sie der Aufsicht der Polizei anvertraute.«

Er wendet sich gegen die Polizeirolle, die die edlen Deutschen, »die Büttel der Freiheit«, für ganz Europa spielen, und auf die Frage, was er eigentlich Positives wolle, wenn er alles zerstört habe, was für eine Freiheit er denn wolle, antwortet er: »Die Freiheit ist gar nichts Positives, sie ist nur etwas Negatives: Die Abwesenheit der Unfreiheit. Die Freiheit kann und will nichts gründen als sich selbst, sie kann und will nichts zerstören als die Gewaltherrschaft. Die Freiheit kann ein Volk nicht umwandeln, sie kann ihm nicht die Tugenden und Vorzüge verschaffen, die ihm seine Natur versagt; sie kann ihm die Fehler nicht nehmen, die ihm angeboren, die sein Klima, seine Erziehung, seine Geschichte oder sein unglückliches Gestirn verschuldet; die Freiheit ist nichts und dennoch alles, denn sie ist die Gesundheit der Völker«. Börne konnte sich also nicht über die Negation der Unfreiheit erheben, aber diese Definition der Freiheit, so beschränkt sie uns auch erscheinen mag, ist dennoch als Kritik des Metternichschen Systems für den Vormärz von weitreichender Bedeutung gewesen.

Menzels Behauptung, einsichtige Franzosen fürchteten das deutsche Volk und seine Entwicklung, wird durch den erneuten Hinweis auf die Idee der Annäherung der beiden großen Kulturvölker zurückgewiesen, und so verkündigt er schließlich: »Die nächsten Jahrhunderte werden weder den Deutschen noch den Franzosen, noch sonst einem anderen Volke oder einem Fürsten gehören; sondern der Menschheit«.

In seinem Schlußwort betont er nachdrücklich, daß, wenn er auch seinen Gegner als den Prokurator der Bundesversammlung qualifiziert habe, er damit keineswegs Menzel der Käuflichkeit anklagen wolle: »ich klage nur die Eitelkeit seines Herzens, die Schwäche seines Gemütes, und seinen Unverstand in politischen Dingen an«. Menzel sei der erste nicht, der aus einem Freunde der Freiheit ihr Feind geworden sei, er gehöre wie die Ueberläufer Görres, Schlegel, Steffens, Werner zu denjenigen, die aus der Not eine Tugend machten, sich aber jene erzwungene Tugend als freie Tugendhaftigkeit anrechnen. Was habe sie aus Adlern zu Eulen, aus Denkern zu Mystikern gemacht? »Die Verzweiflung war es, an sich, dem Vaterlande und der Welt. Um nicht länger Gefangene zu bleiben, wurden sie Gefängniswärter ...«

Börne, »müde, wie ein Jagdhund«, war am 12. Februar 1837 in Auteuil entschlafen Vgl. für den Eindruck, den Börnes Absterben hervorbrachte, für seine Beerdigung etc., die Geheimberichte aus Paris vom 13. und vom 21. Februar 1837. (Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 103-105). Siehe auch S. 57, Anm. 6..

Am 15. Februar 1837 vereinigten sich etwa 1000 Menschen an Börnes Grab Ebenda, I. 105.. Raspail, dem Börne seit dem Erscheinen des »Reformateur« näher gestanden hatte, sagte in seiner Rede Gutzkow, Börnes Leben, S. 413 ff. u.a.: »Der Krieg der Völker untereinander schien ihm ein Verbrechen, einzig und allein zum Vorteil Einzelner begangen, die Nationalität ein ärmlicher Gedanke. Die Natur hatte in seinen Augen zwischen Menschen keine Grenzen in schwarz oder rot gezogen; auf der Oberfläche einer Erdkugel waren die Säulen des Herkules eine Chimäre, er sah den Koloß des Fortschrittes beide Ufer des Flusses, der zwischen Frankreich und Deutschland fließt, überschreiten, und es den Völkern beider Ufer, indem er ihnen die Hand zur Versöhnung reichte, ins Gedächtnis rufen, daß sie einem Geschlecht angehören und daß sie denselben Pflichten unterworfen sind.«

Höchst merkwürdig sind die wehmütigen Worte, die am 27. Februar einem literarischen Spitzel (Beurmann?) in einem Geheimbericht aus der Feder flossen: »Der Tod Börnes ist mir noch immer ein unerträglicher Gedanke; wer ihn seit mehreren Jahren kannte, hatte sich dergestalt an seine Kränklichkeit und leidende Gestalt gewöhnt, daß auch nie geringste Ahnung von plötzlicher Gefahr auftauchte. Haben Sie schon den Franzosenfresser? Ich habe ihn in diesen Tagen zum zweitenmal gelesen, und finde darin allerdings jetzt manche Stellen, deren konzentrierte Bitterkeit und wehmütige Ironie darauf hindeuten, daß der Verfasser schon das Vorgefühl seines nahen Todes hatte« Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 107. ff..

Fürst urteilt, daß der Eindruck von Börnes letzter Schrift auf die Öffentlichkeit nicht all zu tief gewesen sei Börnes Werke, ed. Geiger, VII 374.. Demgegenüber zitieren wir aus einem Geheimbericht eines Konfidenten Metternichs, datiert aus Frankfurt, am 23. März 1837: »Börnes Tod war für die Liberalen ein unverhoffter Schlag, und mit großer Begierde lesen sie die Reden, welche an Börnes Grabe gehalten und lithographiert hierher geschickt wurden. Mit noch weit größerem Interesse, mit wahrhafter Begeisterung – aber auch mit Wehmut, weil es das letzte Werk gewesen, lesen sie jetzt Börnes ›Menzel, der Franzosenfresser‹, von welchem Buche sich mehrere Exemplare in ihren Händen befinden.« In einem spätern Geheimbericht (vom 29. März 1837) heißt es: »Börnes Andenken lebt noch frisch im Gedächtnis der Liberalen. Sie stöbern alles auf, was aus Veranlassung des Todes des Mannes ihrer Wahl geschrieben worden und sind gespannt auf das, was noch geschrieben wird.« Ein von Karl Beck verfaßtes Gedicht, »Sein Tod!«, das die Liberalen ganz hingerissen habe, wird in extenso mitgeteilt. Die zwei ersten Strophen lauten:

»Nicht mocht er rechten mit dem Glücke,
Daß nimmer ihm sein Strahl gelacht –
Gern zog er an des Elends Krücke
Mit andern Edlen in die Nacht.
Das Täubchen liebt die sichern Kreise,
Nicht fragend: Ob's gefangen sei;
Doch nur der Vogel auf der Reise,
Der Heimatlose, der ist frei.

Wie einst Themistokles die Schiffe
Durch Brand zerstörte in der Bucht,
Daß er, zu siegen im Begriffe,
Den Weg versperre sich zur Flucht,

So hat auch er im fremden Lande,
Von einer Welt bestaunt, gehört,
Mit seines Wortes Freiheitsbrande
Den Weg zur Heimat sich zerstört.«

Nachdem der Konfident Metternichs mitgeteilt hat, daß die Liberalen dieses Gedicht verbreiten wollen, fährt er fort: »Börnes ›Menzel, der Franzosenfresser‹ ist gestern bei den Buchhändlern u. s. w. von der Polizei verboten worden. Indessen wandert das Buch von Hand zu Hand – natürlich der vertrauteren Liberalen –, und was Börne als letztes Vermächtnis hinterläßt, gräbt sich mit Flammenzügen in die Herzen der Liberalen« Glossy, Literarische Geheimberichte, S. 110-112; vgl. auch: Geheimbericht aus Pest vom 18. Juli 1837, ebenda S. 117..

Das Wort sollte in Erfüllung gehen, denn, mehr als bei seinen Lebzeiten je der Fall gewesen ist, ist Börne für die Zeitgenossen, speziell für die Generation von 1840, das verehrte Vorbild geworden. Obschon wir noch Gelegenheit haben werden näher zu zeigen, wie das Andenken Börnes gleichsam zum Symbol erhoben wurde, so wollen wir auch jetzt schon darauf hinweisen, daß sogar noch im Jahre 1856 Julian Schmidt gestehen mußte: »Börnes Julian Schmidt, Geschichte der deutschen Literatur, Leipzig, 1856, III 28. Einfluß auf unsere Jugend ist ungeheuer«. Der tote Börne war mächtiger als der lebende.


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