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Ein Kartaunenschuß vom Turm Abreojos erschütterte die Luft – ein Zeichen, daß ein Schiff in Sicht sei. Es flogen darob wieder viel farbige Vögel aus den Büschen und Bäumen auf, und der Gouverneur, seinem bedenklichen Nachsinnen entrissen, erhob sich schnell und schritt, nach einem letzten bekümmerten Blick auf seine Nichte, dem Schlosse zu; Doña Camilla Drago aber regte sich nicht. Sie hatte die Augen geschlossen; sie schien jetzt fest zu schlafen; eine Negerin nahm den Platz des Oheims ein, einen bunten Federfächer bewegend. Eine grüne Schlange wand sich aus den wunderlichen Wurzeln des Armleuchter-Pandangs hervor, sah auf die Schläferin und die lächelnde schwarze Sklavin, ringelte sich über den feinen Sand und verschwand in den breiten Blättern am Bache; noch schlugen die Whydafinken im Gebüsch, aber die Sonne sank dem Meere zu. Als der feurige Ball auf den Wassern lag, erhob sich ein forthallendes Getöse am Strande und in der Stadt – Schuß auf Schuß fiel vom Turm Abreojos; die Lärmglocke des Schlosses setzte sich in Bewegung; erschreckt ließ die Negerin ihren Fächer sinken, erschreckt richtete sich Camilla Drago empor, ein Schwarm von Dienerinnen stürzte herbei, und ihm folgte schnelleren Schrittes, als sonst mit ihrer Würde vereinbar schien, die Señora Rosamunda Bracamonte, die Hände erhebend und zusammenschlagend.
»Bei allen Heiligen, was ist geschehen? was geschieht? was bedeutet dieser Lärm?« rief die Nichte des Gouverneurs.
»Man hat doch nirgends Ruhe vor ihnen!« sprach die Señora im höchsten Grade erzürnt. »Da möchte ja selbst die heilige Inquisition an der Gerechtigkeit Gottes – er vergebe mir meine Sünden! – verzweifeln! Es ist nicht zu ertragen!«
»Die Ketzer! die Niederländer! die holländischen Rebellen!« jammerten die spanischen Dienerinnen. »Sie kommen mit hundert Schiffen. Sie haben den Kapitän Giralto über das Meer in die Bucht gejagt! Die heilige Jungfrau schütze uns, man zählt ihrer tausend Segel von den Türmen!«
»Das ist eine Fabel, ein törichter Schrecken«, sagte Camilla; aber die Dueña schüttelte den Kopf, der Lärm der Stadt Pavaosa wuchs von Augenblick zu Augenblick, die Lärmtrommeln der Besatzung rasselten auf den Wällen des Schlosses, und Doña Camilla Drago eilte durch die Gänge des Gartens, ihren Oheim aufzusuchen, – die tropische Nacht brach schnell herein.
Der Kapitän José Giralto war in der Tat mit seiner Brigantine Corona de Aragon übel zugerichtet in den Hafen von Pavaosa eingelaufen; vierzig niederländische Segel hatte er von der großen Kanaria her im Nacken gehabt und war der Gefangenschaft oder dem Untergange nur durch mannigfache Wunder der Geschicklichkeit und des Seemannsglückes entgangen. Dem wildesten Aufruhr war die Stille der Stadt und des Schlosses gewichen; Verwirrung herrschte überall und stieg, je dunkler es wurde; mit Fackeln und Windlichtern lief man durcheinander, auf den Bastionen wurden die Geschütze in Bereitschaft gesetzt, die waffenfähigen Kolonisten fanden sich mit Schwert und Spieß und Luntenbüchse auf den Sammelplätzen ein, Reiter sprengten die Küste entlang und ins Land hinein, um die vereinzelt Wohnenden zu warnen; ein Gemurmel und verhaltenes Lachen lief durch das eingeborene schwarze Volk, welches ebenfalls seine Boten zu den Bergen, zu den freien Brüdern sandte. Vom Meere bis zu den höchsten Spitzen der Gebirge wurden von den Negerkriegern die Streitkeulen geschwungen, die Köcher mit Pfeilen gefüllt und die Sehnen der Bogen geprüft; – auf dem Turme Abreojos faßte Don Franzisko Meneses die Hand seiner Nichte und seufzte:
»Mein Kind, mein Kind, ich wollte, du säßest in einem Kloster zu Madrid!«
»Das wollte ich nicht, Señor«, sprach Doña Camilla Drago. »Ich bin die Tochter eines guten Kavaliers, ich bin Euer Blut; wenn ich vor jedem Wölkchen zittern wollte, so würde ich zwei edlen Häusern gar arge Schande machen. Beim heiligen Michael dem Erzengel, mein Oheim, wir wollen Gott danken für die Wolke, von deren Nahen uns der Kapitän Giralto Nachricht gebracht hat: es war doch recht heiß geworden auf Sankt Thomas. Vorwärts zu Land und See und – Spanien, schließ dich!«
»Du bist ein gutes Kind, Camilla!« sagte der Gouverneur; »ich habe es ja immer gesagt, aber Vorwürfe macht sich der Mensch auch immer, zumal wenn solch eine hübsche junge Dame für seine Grille büßen und leiden soll. Der Kapitän Giralto wird sich nicht verzählt haben – vierzig Segel – wahrlich, es wird in der nächsten Zeit ein recht lebendiges Leben auf der Reede und um die Wälle von Pavaosa sein!«
»Um so besser«, sprach Doña Camilla. »Da sind sie übrigens!«
Sie deutete in die Nacht hinaus, in weiter Ferne flimmerten einige rote Pünktchen, das waren die Laternen an den Masten der nahenden niederländischen Flotte.
Mit derselben Gravität, mit welcher Don Franzisko vor einem Jahre die Nichte an das Ufer geleitet hatte, führte er sie jetzt die steilen Stufen des Turmes Abreojos hinab und übergab sie ihren Frauen. Er selber schritt zu den Bastionen am Strande, wo er sich von neuem mit großer Ruhe und Umsicht den Vorbereitungen zur Verteidigung seiner Statthalterschaft widmete. –
»Ich bitte Euch, Señor Giralto, wer ist denn der Erzbösewicht, der uns diese niederländischen Schlingel jetzt wieder einmal über den Hals führt?« fragte die Señora Rosamunda Bracamonte den Kapitän der Corona de Aragon unter dem Tore des Schlosses.
»Es freuet mich recht, Euch dienen zu können, Señora«, antwortete der Kapitän. »Auf dem Oranien hat der Admiral van der Does seine gelbe Flagge aufgezogen. Ein tapferer Mann, Señora; ein erfahrener, recht seekundiger Mann, nur ein wenig zu wohlbeleibt, zu schwer für ein Schiffsdeck. Bin ihm mehrmals nordostwärts vom Kap Finisterre begegnet, Señora, – ein recht wohlbeleibter Herr!«
»Nun kenne ich ihn auch!« rief die Dame wenig erfreut. »Ich bin ihm ebenfalls einige Male begegnet, doch mehr auf dem festen Lande. Er kam während unserer Gefangenschaft bei den Heiden dann und wann in das Haus seines Bruders im Haag. Mein Gott, mein Gott, in welcher wunderlichen Welt leben wir doch!«
»Ich erlaube mir, Euch um Urlaub zu bitten, Señora«, sprach der Kapitän. »Es ist immer angenehm, einen alten Bekannten wiederzufinden, und es würde mich sehr freuen, wenn auch ich meinerseits den Herrn Admiral nach Kräften würdig empfangen dürfte, wenn er morgen an unsere Tür klopft.«
»Ich erlaube mir, Euch in meine Gebete einzuschließen, Señor. Wer ist Euer Schutzheiliger?«
»Don Joseph von Arimathia«, sprach der Kapitän, den Hut ein wenig lüftend.
»Ich werde Euch seiner Aufmerksamkeit und Fürsorge dringendst empfehlen, Señor Kapitän. Geruhsamste Nacht!«
Mit zwei tiefen Verbeugungen nahmen die beiden Abschied voneinander. Die Señora trippelte schneller als gewöhnlich durch die Korridore, ihrer jungen Herrin mitzuteilen, wer die niederländische Flotte führe; der Kapitän aber ging nicht zu Bett, sondern war die ganze Nacht sowohl am Strande als am Bord seines Fahrzeugs mit den Vorbereitungen zur Begrüßung des niederländischen Admirals sehr beschäftigt; der Gouverneur jagte ihn jedoch noch vor dem Morgengrauen mit seiner Brigantine wieder aus dem Hafen.
»Ihr habt kein Recht, des Königs Schiff nutzlos verbrennen oder in den Grund bohren zu lassen, Señor Kapitän. Gebet nach dem Flusse Gabon.«
Auch Doña Camilla Drago schlief nicht. Auf die tödlichste Abspannung war die fieberhafteste Aufregung gefolgt; Doña Camilla erblickte auch von ihren Fenstern aus die Lichter der republikanischen Flotte auf der Meereshöhe, die langen Wogen des Atlantischen Ozeans schlugen dumpf rauschend an Fels und Gemäuer zu Füßen der Jungfrau. Doña Camilla Drago schritt die ganze Nacht zu großer Belästigung der Señora Rosamunda in dem Gemache auf und ab oder saß oder lehnte unruhvoll in der Fensternische und horchte den Wellen und dem Getöse der den Feind, den Todfeind erwartenden Bevölkerung der Stadt und des Schlosses Pavaosa.