Wilhelm Raabe
Der gute Tag
Wilhelm Raabe

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Wilhelm Raabe

Der gute Tag

oder

die Geschichte eines ersten Aprils


I.

Es ist eine Redensart: er, sie oder es hat seinen guten Tag; und es ist eine bedenkliche Redensart, denn es ist immer anzunehmen, daß das, was dann und wann seinen guten Tag hat, im Laufe der Woche oder gar des Jahres recht viele böse Tage habe.

Erörtern wir dieses lieber nicht; – ich besaß einen Freund, der das kitzlige psycholo-physiolo-philosophische Fragen nannte und sich auch nicht darauf einließ. Er war glücklich verheiratet und bekam jedesmal seine böse Stunde, wenn ihn jemand der gesellschaftlichen Unterhaltung wegen aufforderte, doch einmal darüber nachzudenken und seinen Gedanken zum Besten der Menschheit Worte zu leihen.

Nehmen wir also die Redensart, wie sie sich gibt! –

Adelgunde – Fräulein Adelgunde (wir bohrten mit einer Nadel in den Kalender und trafen mit der Spitze den 30. Januar und diesen wohlklingenden Heiligen-Namen) hatte ihren guten Tag, und der Bäckerjunge war der erste, der's merkte und die liebliche Nachricht mit seinen frischen Semmeln durch das Haus verbreitete, d. h. grinsend sie auf seine Semmeln zugab.

»Hu, heute ist sie aber mal gnädig!« verkündigte er von Stockwerk zu Stockwerk und hatte es leider nur zu eilig, um sich auf ausführlichere Berichte einlassen zu können.

»Was hat ihr denn Schönes geträumt?« fragten sich die Hausbewohner und fügten hinzu: »Gestern war es aber auch zu arg!«, und darin hatten sie recht: gestern war es fast zu arg gewesen.

Gestern hatte man den 31. März geschrieben, und heute schrieb man den 1. April: jeder denkende Mieter durfte sich das Seinige denken, aber nicht ungestraft. Ein Hausbesitzer oder gar eine jungfräuliche Hausbesitzerin, die steigern wollen, wissen sowohl für den Letzten wie für den Ersten im Quartal die gehörige Miene anzulegen; und wenn die Mieter gestern geahnet hatten, daß sie gesteigert werden würden, so gelangten sie heute, bei Tagesanbruch schon, durch den Bäckerjungen zur unumstößlichen Gewißheit und nahmen seine vergnügliche Meldung keineswegs mit gleich vergnüglichem Lächeln entgegen. Im Gegenteil! Und es war sogar recht anerkennenswert, daß sie ihm nicht sofort in gleicher Weise die Stimmung verdarben wie er ihnen. Es war nur etwas Leeres, Ödes in dem Blicke, mit welchem sie ihn ansahen, in dem Ton, mit welchem sie seinen Morgengruß erwiderten: die Milchfrau mußte auch noch kommen, und jedermann konzentrierte seine Spannkraft auf diese.

Sie kam und sagte: »Nein aber wie vergnügt Fräulein heute morgen ist!«, und jedermann zog sich gebrochen in seine Gemächer zurück und hätte gern gegen sämtliche spätere Vorfälle des Tages seine Tür verriegelt; – etwas Gutes kommt ja doch selten, und wenn es ihm ernst ist, zu kommen, so hindert nichts es, auch durch den Schornstein herunterzufallen und mitten zwischen die Kinder oder auf den Schreibtisch oder Handwerkstisch zu purzeln.

Zwischen die Kinder! Der witzige Familienvater, der ihrer sechs sein nannte, und zwar lauter Jungen, brummte mit einem betrübten Blick über den Frühstückstisch: »Wenn die alte Klapperschlange in ihre eigene Flanelljacke gebissen hätte und so ihr Gift losgeworden wäre, so ließe ich mit Vergnügen was draufgehen und machte euch einen guten Tag, Annchen. Aber so liegt das Ding nicht. Das schlägt nach einer andern Richtung in die Naturgeschichte: – gesteigert werden wir, und es bleibt nur die Frage, ob wir kündigen werden!«

»Das mußt du wissen«, antwortete die Gattin, deckte sich sonach gegen alle später etwa einfallenden Schicksalsschläge moralisch den Rücken und verdünnte seufzend das, was die Milchfrau für unverdünnte Milch ausgab, um ein beträchtliches. Mit herabgezogenen Mundwinkeln sahen die sechs Rangen kläglich in das Blau, gänzlich gleichgültig gegen die Frage, ob sie das Phänomen nach der Newtonschen Farbentheorie oder nach der Goetheschen so erblickten.

»Na, na«, sagte der Gatte, zur Gattin gewendet; gegen die Kinder gerichtet, sprach er: »Jaja, Mama steigert auch.«

An sich selber richtete er den Ausruf: »O du barmherziger Rabenvater im Himmel, wenn ich was dazu tun kann, so komme ich das nächste Mal mit Flünken und Federn auf die Welt und baue mein Nest im Busch oder Baum oder unter einem Scheunendach oder alten Kirchendach. Einmal will ich doch das Vergnügen haben, zu sehen, daß meine Nachkommenschaft es gut hat! Der Herr bewahre mich vor unzutreffenden Gleichnissen; aber ich stelle mir vor, daß Uhu und Krähe gar keine schlimmen Nachbarn sind und daß mit Katze, Wiesel und Iltis sich recht gut leben läßt.«

»Du solltest doch nicht solche Sachen vor den Kindern reden«, sagte die Mutter des Hauses, und der Vater brummte: »Rede ich nicht mit mir selber, Frau? Wenn ich allein wissen muß, was zu tun ist, so muß es mir auch freistehen, die Verhältnisse und Zustände nach allen Richtungen hin auf meine Weise und nach meinem Verständnis zu überlegen! Vor sechzehn Jahren sang ich: ›Wenn ich ein Vöglein wär‹ – und flog zu dir. Nun guck dir mal die sechs da an und rate selber mir, was ich heute singen soll!«

»O Theodor!« rief die Gattin, den Ton können wir aber nicht durch Schrift und Druck nachmachen.


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