Wilhelm Raabe
Gedelöcke
Wilhelm Raabe

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7.

Von dem Teufel, dem Herrn Polizeimeister und Seiner glorwürdigen Königlichen Majestät, Christiano dem Sechsten

Erst am folgenden Tage hatte sich der Famulus insoweit erholet, daß er, durch Kissen unterstützet, aufrecht im Bett sitzen und seine kläglichen Erlebnisse seit dem zweiten Ostertage dem Gouverneur von Friedrichshall und dem trefflichen Doktor Snorro Skalholt kommunizieren konnte.

»O meine lieben Herren«, seufzte er, »wie sind die Wasser über meinem Haupte zusammengegangen, wie haben sie mich geducket in die Tiefe!«

»Und die allmächtige Bibliotheka?« fragte der Kommandant.

»Ist versunken mit allem, was an Fleisch und Philosophie, Mut und Lebendigkeit an mir war, und ist nichts übrig blieben, als was Messieurs vor Ihnen sehen; – horch, was war das?«

»Der Wind im Schornstein und des Kapitäns Storlands zahmer Bär. Fürchtet Euch nicht vor Gespenstern; man fordert denenselben schon am Tor die Parol ab. Referier Er weiter, Famulissime; nehme Er sich aber fortan Seinen eigenen Weg und Seine Zeit –«

»Und nehme Er noch einen Schluck Schiedam«, fügte der Doktor bei; und David Bleichfeld ließ das Gesicht in die Hände sinken, befolgte dann auch des Herrn Skalholt räsonabeln Rat und erzählte weiter, hatte aber fortan seinen eigenen Weg doch nicht ganz für sich allein, wie es denn auch von dem Obristen Benediktus von Knorpp nicht zu verlangen war, daß er während der lamentabeln Historia stillsitze und sich mit Wort und Gebärde nicht rege.

»Herr Gouverneur und Herr Doktor«, sprach der Famulus, »es ist wohl das beste, daß ich dem Faden nach erzähle; mein Gedächtnis ist gar schwach worden durch die übermenschliche Trübsal und große Verfolgung; aber so wird sich wohl eines aus dem andern geben: wo lieget der Kurator Herr Jens Pedersen Gedelöcke begraben, Herr Obrister?«

»Auf dem Garnisonskirchhof vor dem Ostertor«, antwortete der Gefragte; aber der Famulus schüttelte sich fast den Kopf ab; der Kommandant fuhr mit einem sehr bedenklichen Fluch in die Höhe, und der Feldscherer rückte mit Gekrach seinen schweren Stuhl näher an das Bett und horchte mit weit vorgestrecktem Halse.

»Jawohl auf dem Garnisonskirchhof!« winselte der Famulus. »Ein jeglich alt Weib hatte den Teufel, so den Herrn Kuratorem fortgeführet, rumoren hören in der Nacht; ein schweflicht Leuchten war über die Stadt hingezogen, und das Gewässer im Kallebrostrand wie im Sund hatte gesiedet und gebrodelt wie die Suppe im Hafen. Vom Drei-Kronen-Fort aus hatte man den Bösen auf einem schwarzen Gaul hoch in der Luft gesehen, und den Herrn Kuratorem hatte er wie einen Sack vor sich über den Sattelknopf geworfen, und bis nach Schoonen hinüber konnte man den feurigen Hufschlag in den Wolken verfolgen. Das war gut, und wenig war dagegen zu sagen, und ich lag im Fieber in meinem Kämmerlein, und die Witib mit dem Kind und alles Gesinde war vom Hause geflohen, ich hatt' es allein mit dem Mutz, des seligen Herrn Kater. Und das Fieber hatte mich, und war ich wie der Vogel Strauß, so den Kopf in den Sand stecket, und hatte eine große Furcht. Das Volk in der Gasse stund zu Haufen, steckte die Köpfe zusammen, flüsterte und deutete mit den Fingern, und als Ihr Herren vielleicht mit Skagen in Sicht segeltet, da klopften der geistliche und weltliche Arm a tempo an meine verriegelte Tür, und der Herr Polizeimeister kam in Persona, begleitet von Herrn Hieronymus Moekel und dem Küster Jesse Brägge; da war ich wie der Maulwurf auf dem Spaten! Sie drangen herein im Namen Königlicher Majestät und riefen wehe über mich im Namen summi episcopi und in ihrem eigenen Namen, und Ihn, Herr Obrister von Knorpp, und Ihn, Herr Snorro, hätten sie gar zu gerne zurückgehabt; aber ich hab den Kelch allein saufen müssen bis zur Hefen. Die halbe Stadt Kopenhagen ist vors Verhör gezogen, und die geistlichen Herren haben natürlich das letzte und das höchste Wort gehabt und klar dargetan, daß Jens Pedersen Gedelöcke nicht als ein gläubiger Christ, sondern als ein ungläubiger Jud gestorben sei, daß ihm nicht gebühre ein christlich Begräbnis, sondern ein Eselsbegräbnis, und also ist das Zeugenverhör und Gutachten vom hochlöblichen Polizeigericht Königlicher Majestät untertänigst unterbreitet, und am Dreiundzwanzigsten Maji ist Königlicher Majestät allergnädigste Resolution dem Herrn Polizeimeister zugestellt worden.«

»Da haben wir's! Himmel und Hölle, jetzt sehe ich es kommen! O Gedelöcke, Gedelöcke!« schrie der Obrist.

»O Mynheer van der Tromp, welch ein gut Los ist Euch zuteil worden!« sprach grinsend der isländische Doktor. »Weiter, weiter, Monsieur Bleichfelde, auch ich sehe es kommen, und es brauet dick in die Höhe. Wäre dem Herrn Ludovico Helbergio nicht der Fuchsschwanz hinten angebunden, er könnte ein fein Stücklein darüber in Reime bringen.«

»Und am Fünfundzwanzigsten Maji«, fuhr der Famulus fort, »bei Sonnenaufgang holten sie mich herfür aus dem Loch und stießen mich mit den Kolben durch die Gassen, und ganz Kopenhagen schwarmete vor, zur Seiten und hinterher, schrie Zeter und warf nach mir mit Kot und Steinen. Da hatten nach allergnädigstem hohen Königlichen Befehl der Herr Polizeimeister die Ältesten der jüdischen Nation zu ihme beschieden, und wurde ihres Volkes eine Menge von denen Polizeibedienten und Stadtwächtern zusammengeholet aus ihren Häusern, Schulen und Synagogen, und mußten sie auch die Trauerkutschen zahlen. Deren hielten eine Menge vor dem Polizeihaus, und als nun das neue Leichgeleit beieinander war, da zogen sie mich in die erste Kutsch als fürnehmsten Pullatum oder Leidträger, und der Juden Älteste setzeten sie zu zwei oder drei in die nachfolgenden Wagen mit Polizeibedienten zur Wacht untermenget. Dann führete die Miliz mit Ober- und Untergewehr die junge Judenschaft nach, und mit einer besonderen Wacht kam der Fuhrmann, so mit uns den Herrn Kuratorem zum Garnisonskirchhof fuhr; der Scharfrichter zu Pferde und seine Knechte mit dem Schinderkarren beschlossen den Zug. So zogen wir wieder zum Ostertor hinaus, und als wir auf dem Kirchhof ankamen, da war der Herr Polizeimeister schon angelanget, und es marschierte ein Kommando Grenadiers unter einem Oberoffizier heran. Da wurden drei Kreise um das Grab geschlossen, so wir unserm Freund und Patron dem Kurator Jens Pedersen Gedelöcke gemacht hatten; der erste von den Grenadiers, der zweite von den Wächtern mit ihren Morgensternen, der dritte und Hauptkreis von denen Beamten und Offizieren. Und wie alles in der Ordnung war, da wurde unter Trommelschlag das Gewehr präsentiert und vom Polizeimeister allergnädigste hohe Königliche Resolution verlesen, wie daß Jens Pedersen Gedelöcke, der, obwohl vorhero ein Christ, als ein Jude starb, nicht würdig und wert sei, auf christlichem Gottesacker zu ruhen unter denen christlichen Kriegesleuten, und daß er, Jens Pedersen Gedelöcke, derowegen von den Ältesten der jüdischen Nation sollte wiederum aufgegraben, nach ihrem eigenen Kirchhof transportieret und daselbsten von neuem beigesetzt werden – mit Hülfe des Scharfrichters und seiner Knechte, wann sie – die Juden – es nicht alleine verrichten könnten und wollten. Da wurden die Schaufeln dem Rabbiner vor die Füße auf das Grab geworfen, und wie es geschrieben stand, ist es geschehen, der Sarg ist aufgewühlet und mit Hammer und Zange eröffnet, und sie haben mich herzugerissen, den Leichnam zu erkennen, und unter Hohn und Spott, Lachen und Geschrei ist der Kurator fortgetragen bis zu dem jüdischen Leichenwagen, so auf vieles Flehen und Bitten anstatt des Schinderkarrens zugestanden war. Nun mußte der Rabbi als fürnehmster Sorgmann hinter dem Wagen gehen, dann trieben sie paarweise das andere verspottete Volk nach dem Alter, und die Miliz und die Polizeibeamten schritten zur Seiten, auf daß keiner ausweiche und die Wächter mit den Morgensternen beschlossen den Kondukt. So ist mein teurer Herr zum zweiten Male beigesetzet worden auf dem Judenkirchhof und sein Testament kassieret. In böser Krankheit hab ich im Spital gelegen, und als ich des Bewußtseins wieder mächtig war, haben sie mich mit Schande aus der Stadt gejaget, und in Christiania hab ich wieder krank gelegen, und nun bin ich hier –«

»Heule Er nicht, Bleichfelde«, sprach der Obriste Benediktus von Knorpp, welchem die Pfeife längst ausgegangen war. »Wir wollen Ihn schon wieder auf die Beine bringen; was aberst den Jens Pedersen betrifft, so möcht ich selbsten gradheraus heulen, denn niemalen sind vier so anständige und wackere Gesellen wie er und ich, und Er, Meister David, und Er, Doktor Snorro, so heillos und miserabel abgetrumpfet und mit der Nasen in den Sumpf gestoßen worden! O Gedelöcke, Gedelöcke; – was saget Er, Snorro?«

Ehe der isländische Doktor seine Opinion kundmachen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und wieder stand der Korporal Peter Pomperson da, griff an den Hut und rapportierte –


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