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Wie bei uns, ist es auch in England gebräuchlich, Kinder auf dem Lande durch Frauen nähren zu lassen, die sich zufällig oder aber auf nur sehr oberflächliche Empfehlungen hin dazu anbieten. Man weiss, welchem Nachteil solches Vertrauen oft leichtgläubige Eltern aussetzt. Eine reiche und ziemlich vornehme Dame hatte ihre einzige Tochter, die erste Frucht ihrer Ehe, in der Weise von sich weggegeben; und sich ganz auf die Rechtlichkeit der Amme verlassend, welche ein Kind gleichen Geschlechts hatte, trug sie keine andere Sorge, wie sie regelmässig zu bezahlen. Einige Monate verstrichen ohne Aufregung; doch als die Frau plötzlich gestorben war, stand der Ehemann, ein sehr einfacher Arbeiter, der die beiden Kinder niemals mit solcher Aufmerksamkeit betrachtet hatte, dass sie sich voneinander unterscheiden könnten, vor der Unmöglichkeit, seines wieder zu erkennen. Gewissenhaftigkeit, welche ihm weniger als Verdienst ermangelte, veranlasste ihn wohl, seine Verwirrung seinem Pfarrer mitzuteilen; als aber der auch kein Licht in die Sache bringen konnte, beschloss er, beide Kinder in die Stadt zu bringen und sie der Dame zu zeigen, die seine Nöte teilen musste. Nachdem er ihr das gemeinsame Missgeschick eingestanden hatte, sagte er mit gleichem Freimute, wenn ihre Augen nicht hellsichtiger wären als seine, sei er einverstanden, dass sie das von beiden nähme, für welches sie die meiste Zuneigung verspüre.
Tatsächlich konnte sie kaum nach anderen Gesichtspunkten wählen. Nachdem sie manche Vergleiche zwischen der Aehnlichkeit einiger Gesichtszüge mit den ihrigen und der mehr oder weniger zarten Hautfarbe und Leibesbeschaffenheit angestellt hatte, schien ihr diese Richtschnur nicht sicher genug und sie musste auf die der Zuneigung zurückgreifen, die, wie man sich leicht denken kann, sie für das hübschere der beiden Mädchen sich entscheiden liess. Der Bauer ward mit dem verabschiedet, welches man ihm als seinen Teil liess. Er zog sie in ländlicher Arbeit auf, während die andere mit all der Sorgsamkeit behandelt ward, die dem Stande, in den sie der Zufall geschleudert hatte, angemessen war.
Doch nichts ist so sehr der Veränderung unterworfen wie die ersten kindlichen Gesichtszüge; es geschah, dass die, welcher das Glück den Vorzug gegeben hatte, in ihrem fünfzehnten Lebensjahre so garstig wurde, das man sie in der Nachbarschaft als ein Muster an Hässlichkeit hinstellte. Die Dame, die für ihre Mutter galt, war über dieses Unglück um so betrübter, als ihr der Himmel weiter kein Kind gewährt hatte. In ihrem Kummer darüber erinnerte sie sich öfters des Abenteuers, das ihr die Tochter zugeführt, und konnte der Neugierde nicht widerstehen, die zu sehen, welche sie verschmäht hatte. Ohne etwas von ihrem Vorhaben verlauten zu lassen, liess sie sich daher eines Tages allein in das Dorf fahren, wo sie diese sicher vorfinden musste. Sie sah sie. Wenn sie sie auch nicht ein Abbild von Schönheit nennen konnte, hielt sie sie mindestens für eines der liebenswürdigsten Wesen. Sie hatte Augen, wie man sie sich in der Stadt wünscht, eine Hautfarbe, der die Sonnenhitze nichts hatte anhaben können und von der man bei einiger Pflege und Ruhe sich noch mehr versprechen durfte, einen Mund und Zähne, die über die schlechten und groben Nahrungsmittel gesiegt hatten, und endlich eine nicht nur gerade gewachsene, sondern auch hinreichend wohl gebildete Gestalt, die selbst in einem erbärmlichen und ungestalten Gewande edel und schlank erschien. Der Eindruck dieses Bildes verband sich mit der Abneigung, welche die Dame vor ihrer Tochter hatte, und liess ihr nicht den mindesten Zweifel, dass sie sich unglücklicherweise in ihrer Wahl getäuscht habe und dass der süsse Name, den sie der anderen gegeben, einzig und allein dieser hier gebühre. Uebrigens verfehlte sie nicht, die Verwirrung, welche dieser Gedanke ihr verursachte, für eine Stimme der Natur zu halten. Und nicht minder leicht überzeugte sie die Eigenliebe, dass ein so hübsches Wesen mehr Aehnlichkeit mit ihr habe.
In der ersten Aufwallung würde sie sie mit Zärtlichkeiten überhäuft haben; da sie aber die Klugheit verpflichtete, sich Zwang aufzuerlegen, begnügte sie sich damit, den Landmann rufen zu lassen. Sie nahm ihn beiseite und erklärte ihm, einem Plane gemäss, den sie sofort gefasst hatte, dass sie durch neue Aufklärungen, die sie der Güte des Himmels verdanke, endlich erkannt, dass sie beide getäuscht worden wären, als sie das Schicksal ihrer Kinder geregelt hatten.
»Ihr habt meine Tochter,« sprach sie zu ihm, »die ich jetzt von Euch zurückerbitte; ich bin bereit, Euch Eure wiederzugeben!« – Ihr Plan war anfangs, die Meinung des guten Mannes zu erforschen. Sie fand sie um vieles günstiger als sie gehofft hatte. Seine Tochter war ihm eine Last; ihm lag wenig daran, dass sie diesen Namen behalte, da sie ihn nur verlieren musste, um glücklicher zu werden; und vielleicht hoffte er, dieses Glück möchte sich auch auf ihn erstrecken. Er stimmte daher völlig dem ersten Teile dieses Vorschlages bei. Mit mehr Urteilskraft jedoch, als man ihm hätte zutrauen mögen, setzte er ihr auseinander, dass es der Vernunft und Billigkeit entbehre, ihm eine andere Tochter aufzubürden, die seines guten Wissens die Erziehung nimmer zu einer arbeitstüchtigen Tochter würde machen können.
Da man an nichts weniger dachte, als ihn dazu zu zwingen und man diesen Punkt nur erwähnt hatte, um seine Gefühle zu ergründen, war man hocherfreut, sich so gut mit ihm über die einzige Sache, die man auf dem Herzen hatte, abzufinden. Das junge Mädchen wurde sofort gerufen. Man gab ihr voller Sorgfalt ein schickliches Aussehen, ehe man sie erscheinen liess, und der, den sie bislang für ihren Vater gehalten hatte, überliess sie selbst der Dame, die ihre Mutter sein und sie eilends nach London führen wollte. Einige an ihrer Statt zurückgelassene Pistolen, die für ein Zeichen künftigen Glückes gehalten wurden, sorgten dafür, dass ihr Verlust nicht allzu bitter empfunden ward.
Es war für die Londoner Dame nicht schwierig, eine Fremde in ihr Haus zu bringen, und sie, um ihrer Zärtlichkeit genugzutun, mit allen nur erdenklichen Auszeichnungen zu behandeln. Doch wie sie als ihre Tochter anerkannt sehen und auf welche Weise sie in die Rechte der Erbschaft eintreten lassen? Ihr von Anbeginn an in das Geheimnis eingeweihter Gatte ward alsbald zu Rate gezogen. Sich durch die gleiche Neigung für eine so liebenswerte Tochter einnehmen lassend, war er der Ansicht, dass er, ohne Gefahr zu laufen, Unfrieden in seinem Hause zu stiften, dem Himmel danken müsse, ihm zwei statt einem Kinde geschenkt zu haben und sie tatsächlich alle beide anzusehen, wie wenn sie seiner Ehe entsprossen wären. Er hatte ja keine anderen Kinder. Sein Reichtum war gross genug, um beide anständig auszustatten. Solch ein Entschluss dünkte ihn sehr viel sicherer, als ein Vorzug, der sich nimmer auf einen vernünftigen Grund stützen konnte und ihm, wenn er sich nicht einer Ungerechtigkeit schuldig machen wollte, stets Ursache zum Zweifeln geben würde.
Niemand bezichtigte ihn, es bei diesem Urteil an Weisheit haben fehlen zu lassen; doch musste er zwei Schwierigkeiten voraussehen, die kaum vermeidbar waren. Eine seitens seiner Frau, die ihre Gefühle nicht genugsam in der Gewalt hatte, um sie gleichmässig zwischen zwei Töchtern teilen zu können, die andere von seiten derjenigen, die alle Zeit über im Alleinbesitz dieses Titels gewesen war und sich nicht so leicht dazu herbeilassen würde, ihn zu teilen. Vom ersten Tage an neigte sich die Gunst der Mutter so sichtbarlich der Zuletztgekommenen zu, dass bald Eifersucht und Murren aus der anderen Munde zu vernehmen war. Das Uebel steigerte sich in dem Masse, wie die Schwester sich den städtischen Sitten anpasste und die Kunst ihre natürlichen Vorzüge zu heben schien. Diese hiess Anna, die andere Sarah. Anna nutzte ihre Vorteile nicht aus, konnte es aber nicht verhindern, dass sie eine Unzahl junger Männer liebenswert fanden. Diese Beobachtung entging der unglücklichen Sarah nicht und war für sie ein tödlicher Schlag. Da sie ihren Hass nicht mehr zu meistern vermochte, suchte sie ihn bei allen Gelegenheiten zu zeigen, ohne selbst vor Beleidigungen und Schimpfreden zurückzuschrecken.
Auf den Lärm von Sarahs Aufwallung hin kam die Mutter, der sie Anna in gütiger Absicht bislang verheimlicht hatte, zu einer solchen Zankszene hinzu. Der Anblick ihrer geliebten Tochter, welche sie nassen Auges antraf, und die ihr in diesem Augenblicke der Bitterkeit die Ursache nicht verschweigen konnte, liess sie in ihrem Zorne keine Grenzen mehr kennen. Sie erklärte Sarah, sie würde nur im Hause geduldet dank einer Milde, welcher sie unwürdig sei, und da sie nur eine Bauerstochter sei, befehle sie ihr von nun an die zu achten, die man ihr noch Schwester zu nennen erlaube, tatsächlich aber ihre Herrin sei und ihr allzuviel Güte erweise, wenn sie sich ihr gegenüber eines zärtlicheren und vertraulicheren Namens bediene.
Sarah war nicht ohne Verstand; das Gewicht väterlicher Macht hatte sie bislang von der sorgsamen Prüfung zurückgehalten, mit welchem Rechte man ihr eine Schwester gäbe, die sie nimmer gekannt hatte. Als sie es jedoch bis zum Verlust dieses Titels und der Geburtsrechte kommen sah, beschloss sie, ein so schmerzliches Geheimnis zu ergründen und sich mit offener Gewalt Recht zu verschaffen. Sie entdeckte leicht, aus welchem Dorfe die Schwester gekommen war, und da die Erkundigungen, welche sie einzog, sie versicherten, dass Anna selber nur für die Tochter eines Bauern gehalten wurde, der noch lebte und Zeugenschaft von ihrer Geburt ablegen konnte, redete sie sich mehr und mehr ein, dass Vater und Mutter sie nur durch eine Lüge um ihre Rechte zu bringen vermöchten, welche sie sich leicht wider deren Willen erhalten könnte. An Geld aber für die Kosten des Rechtsstreites gebrach es ihr; doch wurde ihre Kühnheit durch Verdruss und Hass so herausgefordert, dass sie sich entschloss, sich einem Advokaten zu eröffnen, der weniger reich als begierig war, es zu werden, indem sie ihm versprach, sich ihm mit all ihren Hoffnungen zu geben, wenn er ihre Rechte geschickt geltend mache und sie damit räche. Dieser Antrieb hatte den von ihr erwarteten Erfolg. Der Advokat, der nur sein Glück im Auge hatte und sich durch ihre Hässlichkeit nicht zurückhalten liess, hub heimlich an, Sarahs Geburt zu prüfen. Die Kirchenregister, die ihren Namen und ihr Alter meldeten, die Zeugenschaft der alten Dienstboten des Hauses, denen man das Landabenteuer stets sorgfältig verheimlicht hatte, die Aussagen selbst der Paten und Nachbarn, kurz, alles liess sich so günstig an, dass er kein Bedenken trug, sich Versprechungen geben zu lassen, deren Gültigkeit in England das Alter nichts anhaben kann; und nachdem er sie sich durch noch viel sicherere Unterpfänder hatte bekräftigen lassen, nahm er sich dieser Angelegenheit mit aller Hitze der Rechtskniffe an, die ja von der Habsucht beseelt wurden. Da die Schwierigkeit in zwei Punkten beruhte, deren einer darin bestand, Sarahs Geburt zu prüfen, die andere, Annas Unterschiebung zu verhindern, hatte er sich vorgenommen, seine Beobachtungen über letztere nach der Aufklärung der ersteren anzustellen, war er anfangs hinreichend befriedigt, sich des Hauptvorteils, der ihn handeln liess und auf den sich all seine Aussichten stützten, versichert zu wissen.
Da indessen auch der zweite Punkt seine Sorgfalt erforderte, begab er sich, als er Sarahs eben gewiss war, selber in die Landschaft, aus der Anna gekommen war, um sich durch eigene Kenntnisnahme instand zu setzen, diesen Teil seines Unternehmens mit ebensolchem Nachdruck wie den anderen betreiben zu können. Nachdem er aber durch den Bericht mehrerer Dorfbewohner sehr viel für ihn Günstiges darüber erfahren hatte, erfuhr er zu seinem lebhaftesten Erstaunen, als er sich an den Pfarrer und den Bauern, den man für Annas Vater hielt, selber wendete, durch eine sehr schlichte Erzählung alle Umstände des alten Abenteuers. Er besass zu viel Urteilskraft, um sich nicht zu sagen, dass in einem solch ungewöhnlichen Falle die Laune einer Mutter nicht massgebend sei, die rechtliche Stellung eines Kindes festzustellen, dass folglich, da die Ungewissheit immer die gleiche bleibe, sich aus der ersten Wahl nicht die Notwendigkeit ergäbe, eine Tochter der anderen vorzuziehen. Er konnte nicht umhin, die Weisheit und Güte eines Vaters zu loben, der sich lieber mit einer doppelten Last beladen hatte, um nicht durch blinden Vorzug ein Kind des Standes zu berauben, der ihm von Natur aus zukam. Er sah auch voraus, dass die Gerichtshöfe an einer so vernünftigen Verfügung nicht rütteln würden. Die Abneigung der Mutter gegen Sarah, und der lebhafte Vorzug, den sie der anderen zuteil werden liess, bildeten die einzigen Momente, die ihm zur Erwägung geeignet schienen; doch als er sich eingehender mit ihnen beschäftigte, zweifelte er nicht, dass ein nichtiger Hader solch Gefühl verursacht habe, und bestärkte sich darin noch, als er bedachte, dass dadurch kein Wechsel in der gegenwärtigen Lage und den Hoffnungen der beiden Töchter eingetreten sei.
Also kehrte er weniger befriedigt nach London zurück, als er es verlassen hatte, und begann zu fürchten, dass er sich bereits zu sehr verpflichtet habe und nur Beschämung anstatt Vorteil, wie er es erwartet, aus seinem Unternehmen ziehen werde. Er fand dort, einem falschen Vorgehen zufolge, welches Sarahs Ungeduld veranlasst hatte, neue Gründe zur Befürchtung. Diese hatte es nicht über sich bringen können, so lange im väterlichen Hause zu harren, bis der Rechtsstreit eingeleitet war, und hatte sich zu einem ihrer Onkel begeben, ihn keck in ihren Groll eingeweiht und, keine Vorsicht beobachtend, bereits auch ihre Rachepläne wissen lassen. Als der Advokat diese ärgerliche Nachricht bei seiner Rückkunft erhielt, sah er kein anderes Mittel, sich vor der Lächerlichkeit zu schützen, als sich sofort zu ihrem Vater und ihrer Mutter zu begeben, und gestand ihnen seine Unklugheit, sich so leichtgläubig auf eine wütende Tochter verlassen zu haben. Auch verbarg er ihnen sogar seine Beweggründe nicht, die in dem Wunsche, durch eine Heirat mit ihr reich zu werden, bestanden hätten. Der Vater, der als gutmütiger Mann stets bestrebt war, seine beiden Töchter mit gewisser Gleichmässigkeit zu behandeln, nahm dies Geständnis so wohl auf, dass er, anstatt Sarah etwas nachzutragen, entzückt war, eine Heiratsgelegenheit für sie zu finden, womit er ihrer Hässlichkeit wegen nie rechnen zu dürfen gefürchtet hatte. »Folgen Sie Ihren anfänglichen Absichten,« sagte er zu dem Advokaten, »ich will ihr ein Vermögen aussetzen, das sie niemals neidisch auf das machen soll, welches ich für ihre Schwester aufbewahre!« Der Vorschlag wurde angenommen, man entschloss sich, Sarah ohne Aufsehen zurückzurufen und die Hochzeit sollte wenige Tage später stattfinden.
Dieser Beschluss setzte Sarahs Einwilligung voraus, die an gar keinen Gehorsam dachte. Sei es Scham, sei es Wut, sie konnte das Vorgegangene nicht anhören, ohne lebhafter denn je die Beschimpfung zu fühlen, die sie erlitten zu haben glaubte. Alle ihr angebotenen Vorteile verhinderten es nicht, dass über ihrer Geburt ein Dunkel schwebte; sie wollte in dieser Sache keinen Vergleich dulden und ihren Advokaten der Treulosigkeit zeihend, verpflichtete sie ihren Onkel, der die Umstände des alten Abenteuers noch nicht kannte, sich offen ihrer Sache anzunehmen. Ohne alle Schonung begann der Prozess, als ein neuer Vorfall die Lage völlig veränderte.
Seit ihrem Verweilen in London hatte Anna einige Freundschaften geschlossen und nach dieser und jener Bekanntschaft sich besonders mit der Tochter des Predigers ihrer Pfarre verbunden. Der aber wurde seit fünfzehn Jahren von einer alten Haushälterin bedient, die nimmer daran gedacht hatte, eine so schöne Stellung aufzugeben. Als diese Frau sich eines Tages in irgendeine Unterhaltung ihrer jungen Herrin mit ihrer Freundin hineingemischt hatte, entschlüpfte ihr der Name ihres Geburtsortes, welcher dasselbe Dorf war, aus dem Anna hergekommen war. Diese machte bei einem Namen, der ihr stets teuer war, die Ohren auf und fragte begierig nach Einzelheiten. Und teilte ihr selber eine solche Menge Dinge über das Dorf mit, dass man überrascht sein musste, ein Londoner Mädchen so gut darüber unterrichtet zu sehen. Die Haushälterin besass nach ihrem Fortgehen die Neugier, sich zu erkundigen, woher sie das alles wissen könne. Der Pfarrer kannte die Geschichte der beiden Schwestern sehr genau, zumal seit der Advokat in seinen Kirchenbüchern nachgeforscht hatte, und erzählte kurz, was zu seiner Kenntnis gelangt war. Zu seiner lebhaftesten Ueberraschung hörte er seine Haushälterin sagen, dass sie imstande sei, einige Aufklärungen über das, was so dunkel erscheine, zu geben; da sie die beste Freundin der Amme gewesen, erinnere sie sich, ihr bei einer Verrichtung geholfen zu haben, deren Spuren noch vorhanden seien und notwendigerweise aller Ungewissheit ein Ende bereiten müssten. Sie versicherte ihrem Herrn, dass die Amme, deren Namen sie angab, als sie aus London ein neugeborenes Kind erhalten, welches zu nähren sie sich verpflichtet und selber eins vom gleichen Geschlechte gehabt hätte, die Verwirrung befürchtend, in die sie früher oder später geraten müsste, sie nicht unterscheiden zu können, den Entschluss gefasst hätte, eines der beiden an einer Körperstelle zu zeichnen, wo dieses Zeichen verborgen und ungefährlich haftete. Sie habe sich ihr eröffnet und sie um Hilfe gebeten, worauf sie zusammen einen Eisenring rotglühend gemacht hätten, den sie der kleinen Fremden unter die Sohle des rechten Fusses gedrückt; und es sei unmöglich, dass ein so gut eingepresstes Zeichen jemals verschwinden könne. »Ich verliess das Dorf einige Wochen darauf,« sagte sie, »und da ich seitdem nichts mehr von dort gehört habe, wusste ich weder um den Tod meiner Nachbarin, noch um das Los der beiden Kinder!«
Ein solch natürlicher Beweis war so klar und einleuchtend, dass die Rechtsverdrehung nichts dawider vorbringen konnte. Der Pfarrer, der nicht glaubte, dass die Liebe zu den himmlischen Gütern, zu der er ja beruflich innig verpflichtet war, ihn hindern könne, ihrer auch ein wenig zu den Gutem dieser gemeinen Welt zu haben, beschloss, diese Kenntnis zur Versorgung eines seiner Brüder, eines mehr mit Verdienst als Glücksgütern versehenen Offiziers, auszunutzen. Er legte seiner Tochter und Haushälterin Schweigen auf, begab sich zu dem, welchen man für den Vater der beiden Damen hielt, und sagte ihm offenherzig, da er von dem Zwiste gehört habe, der in seinem Hause auszubrechen drohe, käme er, um dieses Unheil von ihm abzuwenden. Und ohne Zuflucht zur Arglist zu nehmen, um sich den Preis für den Dienst, den er ihm leisten wollte, zu sichern, erklärte er ihm, wenn er ihn seine Tochter an gewissen Zeichen erkennen liesse, würde er sie als Gattin für seinen Bruder erhalten. Anfangs ward diese Eröffnung nicht mit so viel Freude aufgenommen, wie er gedacht hatte. Die Mutter zitterte vor einer Aufklärung; welcher Art sie auch sei, wenn sie nicht günstig für ihre liebe Anna war, und antwortete kalt, es wäre wohl zu spät, um noch Sicherheiten zu erhoffen, welche sie sich selber in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren nicht hätte verschaffen können; sie gäbe sich mit denen zufrieden, die sie aus ihrer Zärtlichkeit zöge, und niemand hätte das Recht, sich zu beklagen, da beide Kinder auf gleichem Fusse erzogen worden wären. Der Gatte, auf welchen die Gewohnheit, Sarah zu sehen, fast ebensoviel Eindruck als seine Neigung zu Anna machte, erschien nicht eifriger und dachte gar nicht daran, sich der einen oder anderen zu entledigen. Er bat den Pfarrer, das Ansehen, welches ihm sein Amt gab, zu benutzen, um Sarahs Unternehmungen niederzuschlagen, da sie sich durch ein nutzloses Aufsehen nur schaden könne. Was die vorgeschlagene Heirat anlangte, zeigte man, vorausgesetzt, dass Anna nichts gegen den ihr angebotenen Ehemann einzuwenden hätte, keine Schwierigkeiten, zumal des Pfarrers Herkunft von einigem Ansehen und seines Bruders Verdienste bekannt waren.
Wenn diese Antwort den Pfarrer auch nicht völlig befriedigte, nahm sie ihm doch nicht die Hoffnung, auf anderem Wege erfolgreich zu sein. Es genügte ja, die Zustimmung von Vater und Mutter zu der von ihm gewünschten Heirat erhalten zu haben, doch da er noch ebensosehr Annas Geburt klargestellt zu sehen, weil er seinem Bruder eine reiche und wohlgeborene Frau zu bescheren wünschte, beschloss er, sich die Gewissheit zu verschaffen, die zu erfahren man sich weigerte. Anna war oft bei seiner Tochter; er nahm eine dieser Gelegenheiten wahr, um mit ihr über den Zweifel zu reden, in dem sie über ihre Herkunft schwebe; und als er sie sehr freudig erregt über das ihr gemachte Anerbieten, sie darüber aufzuklären, sah, wollte er es nur unter der Bedingung tun, dass sie seinen Bruder heirate. Den hatte sie oft genug gesehen, um ihn liebenswert zu finden. Ohne Zaudern willigte sie ein; darauf bat sie der Pfarrer, ihre Schuhe auszuziehen, und selbst ihren Fuss aufnehmend, suchte er das Zeichen, das alle Geheimnisse aufdecken sollte. Anna ahnte plötzlich, was er suchte, denn sie kannte dieses Zeichen, und da sie nicht wusste, ob es ihr Glück oder Unglück brächte, wurde sie vor Schreck ohnmächtig und kam nur durch die lebhaften Schreie des Pfarrers zu sich, der seine Freude nicht zu meistern wusste, als er seine Hoffnungen glücklich erfüllt sah. Selbigen Augenblick ward die Haushälterin gerufen, sie wiederholte die ihrem Herrn bereits gegebenen Aufschlüsse und beglaubigte sogar das Zeichen, das sich, genau mit ihrer Aussage übereinstimmend, vorfand.
Die erste Regung würde Anna veranlasst haben, ihrer Mutter dies glückliche Ereignis zu entdecken, wenn der Pfarrer nicht als Zugeständnis ihrer Dankbarkeit verlangt hätte, dass sie ihn eine so angenehme Eröffnung machen liesse. Er besorgte nämlich, die Heiratsaussichten seines Bruders könnten hierdurch verringert werden. Kehrte zu ihrem Vater zurück und beeilte sich, ihm seine Worte mit den früheren Bedingungen zu wiederholen; und da er ihn drängte, die Förmlichkeiten zu erledigen, liess der sich darauf ein, dass die Hochzeit tatsächlich in wenigen Tagen gefeiert werden solle. Kaum aber hatte man seinem Wunsche nachgegeben, als er ebensosehr seinem wie seiner neuen Nichte Eifer folgend, ihren Vater und ihre Mutter beiseite nahm, um ihnen eine Entdeckung zu machen, auf die sie sich so wenig gefasst gemacht hatten. Sie waren aufs lebhafteste darüber entzückt und die Mutter wollte keinen Augenblick verstreichen lassen, um ihre Freude darüber kundzutun. Doch machte ihr Gatte ihr in Güte und Klugheit verständlich, wie gross dadurch auf einmal die Verzweiflung der armen Sarah werden würde. Er konnte ein Zärtlichkeitsgefühl für sie nicht unterdrücken, und da er ihr wenigstens ein ruhiges und ehrenvolles Leben sichern wollte, erbat er sich Zeit, um einen Plan auszuführen, der ihm in den Kopf gekommen war. Der bestand darin, Sarah bei ihrem Onkel aufzusuchen und sie wissen zu lassen, dass sich ihr Schicksal durch unwiderlegbare Beweise entschieden habe. Nichtsdestoweniger versicherte er ihr, es liege ihm fern, sie fallen zu lassen, er sei noch jetzt entschlossen, ihr das ihr zugedachte Heiratsgut zu geben, wenn sie auf die nutzlosen Verfolgungen verzichten und bescheiden in eine Heirat mit dem Advokaten einwilligen wolle. Er verlor kein Wort weiter. Sarah hörte seine Rede unter einem Tränenstrom an, und da sie keinen Hoffnungsschimmer mehr sah, schien sie sich in alles zu schicken, was man ihr vorschlug. Der Advokat hatte seine Gefühle nicht geändert und empfing mit Freuden die Nachricht, die man ihm zukommen liess: sich in der Kirche einzustellen. Sie wurden verheiratet und der Vater erfüllte gutmütig seine Verpflichtungen.
Der Pfarrer, die Mutter und die beiden Familien, die beide von denselben Gefühlen geleitet wurden, hatten nicht lange gezaudert, das Gerücht von diesem Abenteuer zu verbreiten; jeder Umstand, der Sarah zu Ohren kam, wurde für sie ein tödlicher Schlag. Ihr Gatte selber trug zur Vermehrung ihres Kummers durch Beweise von Abneigung bei, welche vielleicht nur eine Folge ihrer Häuslichkeit waren, von ihr aber als ein verächtlicher Vorwurf ihrer niedrigen Geburt gehalten wurden. So verbrachte sie einige Monate in einer Abspannung hin, die Mitleid einflössen musste. Vergebens bemühten sich Annas Vater und Mutter, die eine gewisse Zuneigung zu ihr, die ihnen ihr Irrtum selber eingeflösst, nicht verloren hatten, sie durch Liebkosungen und Zärtlichkeiten zu trösten. Sie mied ihre Gegenwart. Annas Anblick war ihr eine noch unerträglichere Qual; der Name dieser glücklichen Nebenbuhlerin brachte sie mehrere Male in Aufregungen, von denen man nur schwere Folgen erwarten durfte. Schliesslich fand man sie, sechs Monate nach ihrer Verheiratung, in ihrem Zimmer erhängt; mit einem Schreiben neben sich, das sie am gleichen Tage abgefasst zu haben schien; in ihm warf sie dem Schicksal bitter ihr Unglück vor. Da sie ihrem Gatten keine Kinder hinterlassen hatte, sah er sich genötigt, ihre Habe herauszugeben, obwohl er unter dem Vorwande, sie sei nicht dessen Tochter gewesen, den die Oeffentlichkeit für ihren Vater halte, alle Mittel der Rechtsverdrehung anwendete, um zu beweisen, dass das, was er unter dem Namen Mitgift erhalten, als ein einfaches Geschenk angesehen werden müsse, welches in seinem Besitze bleiben dürfe. Der Vater, ein reicher und gutmütiger Mann, würde nicht mit Strenge gegen den Advokaten vorgegangen sein, wenn er ihn nicht für die Härte hätte bestrafen wollen, mit der er seine Frau behandelt hatte; in einem Lande, wo die Selbstmorde weniger häufig sind, hätte man ihn vielleicht verdächtigt, ihren Tod mit herbeigeführt zu haben.