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Er war ursprünglich Kaufmann gewesen.
Mit irgend etwas hatte er gehandelt, von dem er später ungern sprach. Einige behaupten, es seien Ostseekrabben in Büchsen gewesen. Andere wieder sagen, sein Geschäft habe nur eine Spezialität in wollenen Unterjacken geführt. Die Blüte dieses Handels soll in die Zeit gefallen sein, da Professor Jäger begeisterte Jünger fand und eine große Anzahl sonst verständiger Menschen so besorgt für ihre teure Gesundheit war, daß sie den Verkehr mit kühlem Waschwasser ängstlich einschränkte, viel wollenes Unterzeug trug und selten zum Wechseln dieses vortrefflichen Schutzmittels gegen Erkältungen und Influenza zu bewegen war. Damals, so hieß es, habe er sein flottes Geschäft verkauft und lege nun keinen Wert mehr auf seine Vergangenheit.
Nur sein Briefstil roch noch – wenn das harte Wort erlaubt ist – nach den wollenen Unterjacken. »Bezugs nehmend auf Ihr wertes Gestriges . . .« »Antwortlich Ihres geschätzten Diesbezüglichen . . .« Das waren so Proben seiner stets in sauberster Handschrift abgefaßten Episteln.
Als vermöglicher Junggeselle in guten Jahren hätte er sein Leben höchst behaglich genießen können. Besonders, als er aus seiner Vaterstadt Limburg a. d. Lahn nach Berlin zog, in welcher Stadt bekanntlich des Ergötzlichen und Unterhaltsamen für Leute, die Zeit und einiges Kleingeld haben, genug zu finden ist. Ihn aber führte weniger der Drang nach Genuß und Abenteuer in die Reichshauptstadt. Auch hatte er mit Ausnahme von einem uralten Onkel, der stocktaub im vierten Stock eines Hinterhauses der Belle-Alliance-Straße saß und die einzige Passion hatte, weiße Mäuse zu züchten. was eine mäßig interessante, aber sehr übelriechende Beschäftigung genannt werden muß, keinen einzigen Verwandten in Berlin. Auch zu den Hofbällen eingeladen zu werden oder sich am politischen Leben anders als in Stammtischgesprächen, die sich in Limburg a. d. Lahn schließlich ebensogut, ja noch bedeutender und apodiktischer führen lassen, als in dem ewig von offiziösen Dementis durchschwirrten Berlin, zu beteiligen, war wenig Aussicht vorhanden. Nein, nach der Hauptstadt führte ihn nur die Literatur. Zur Literatur aber wieder war er gekommen, wie das Kind zur Ohrfeige. Durch einen ungerechten Zufall, durch ein neckisches Spiel der Natur. Gottfried Dappel – auf der Fahrt nach Berlin hatte er das l am Schluß des Familiennamens verloren, dafür aber dem e einen Akzent geschenkt, und von dem Augenblick an, da er den Fuß auf das immer schmierige Pflaster des Anhalter Bahnhofs setzte, nannte er sich nur noch Gottfried Dappé – sah nämlich Ernst von Wildenbruch ähnlich. Besonders von der linken Seite gesehen. Das rechte Auge schweifte etwas ab und störte dadurch den Vergleich . . . Dafür war von links gesehen die Ähnlichkeit ganz erstaunlich. Derselbe merkwürdige Schnitt der Stirnknochen und der Nase, dieselbe Schweifung in den Nasenlöchern und derselbe dunkelblonde, allen Haby-Ambitionen widerstrebende Schnurrbart. Der Kopf in der Ruhe des Zuhörens mehr das Haupt eines nüchtern-korrekten Frontoffiziers; sobald er aber vom Gespräch belebt wurde, im beweglichen Ausdruck den Phantasiemenschen verratend und in dem leicht erzeugbaren Affekt interessant und bedeutend. Kam noch hinzu, daß das Alter so ungefähr stimmte. Auch Gottfried Dappé war Mitte der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts geboren; allerdings nicht in Beirut in Syrien, wie der Dichter, sondern in einem kleinen Nest auf waldiger Höhe des Hunsrück, von wo sein Vater später nach Limburg zog, um dort jenes Geschäft zu begründen, um das der Sohn nach seiner Auswanderung in die Hauptstadt den dichtesten Schleier des Geheimnisses zu werfen liebte.
Im Winter des Jahres 1884, als Wildenbruch eben die Höhe seines Ruhmes erklomm – »Die Karolinger,« »Harold,« »Der Menonit« waren über die Bühnen gegangen, der »Meister von Tanagra« hatte stille Leser entzückt, und eben weinten alle Mütter über die »Kindertränen« – war die Ähnlichkeit entdeckt worden, die für Gottfried Dappés ganzes Leben bestimmend werden sollte.
Ein Weinreisender aus Oberlahnstein, der einen faulen Schuldner in Limburg hatte, benutzte die Geschäftstour, um einen Tag auf dem Hunsrück an Hasen vorbeizuschießen. Bei dieser Treibjagd war auch Gottfried Dappé, ein von den Treibern gefürchteter Schütze, anwesend, fiel aber eigentlich erst beim Jagdfrühstück durch eine Flasche Kognak auf, die drei Sterne hatte und nach dem Pfropfen schmeckte, immerhin darüber hinwegtäuschen half, daß die Würstchen wieder nicht gar gekocht waren. Der Weinreisende stieß plötzlich einen durchdringenden Schrei aus; eine Finte, mit der häufig seine Berufsgenossen die Aufmerksamkeit auf den neuesten ungarischen oder galizischen Witz zu lenken lieben. Diesmal aber war der Schrei ein Ausdruck einer maßlosen Überraschung. Als er bemerkte, wie alle Jagdgäste nach ihm hinblickten, ließ er sich zu Erläuterungen herbei.
»Nein, die Ähnlichkeit, die Ähnlichkeit!«
Gottfried Dappé verstand nicht recht. Er sah sich im Kreise um, wem diese Exklamation wohl gelten solle. Da er aber die schellfischstarren Augen des Weinreisenden irr maßlosem Erstaunen immerzu auf sich gerichtet sah, so fragte er, nachdem er dem Flintenlauf, den der Erstaunte im Arm hielt, eine etwas ungefährlichere Richtung gegeben hatte: »Pardon, welche Ähnlichkeit? Etwa ich?«
»Sehr schmeichelhaft,« dankte Gottfried etwas voreilig, »aber wenn ich fragen darf – mit wem?«
»Mit Wildenbruch.«
»Ah –«
Das »Ah« war allgemein, wenn auch nicht allzu berechtigt. Denn es stellte sich bald heraus, daß in der Jagdgesellschaft auf dem Hunsrück die merkwürdigsten Vorurteile über Person und Tätigkeit des Dichters der »Karolinger« bestanden. Ein Gastwirt aus Diez vermutete in ihm einen dem Alkohol ergebenen Afrikaforscher – es stellte sich später heraus, daß er ihn aus unerklärlichen Gründen mit Emin Pascha verwechselt hatte – und ein pensionierter Major aus Bingen vertrat mit einer fast peinlichen Entschiedenheit den Standpunkt, ein Herr von Wildenbruch, der mit ihm Kadett gewesen, sei in der Provinz Kordofan von den Truppen des Mahdi vor zwei Jahren an den Beinen an eine Dattelpalme aufgehängt und später beim Aufbruch vergessen worden. Zum Glück war ein Oberlehrer mit von der Gesellschaft, der alsbald ein kleines Privatissimum über Wildenbruch vortrug, nach genauer Disposition eines deutschen Aufsatzes für Sekunda, das Leben des Dichters von seinen zarten Kinderjahren in Beirut und Athen bis zu seiner augenblicklichen Tätigkeit im Auswärtigen Amt in Berlin verfolgend.
Dieses Jägerfrühstück und die umfangreiche Belehrung des Oberlehrers, die sich im wesentlichen an eine kürzlich im »Rheinischen Kurier« erschienene Biographie anlehnte, hatte für Gottfried Dappé die unmittelbaren Folgen, daß er erstens einen gehörigen Schnupfen weghatte und zweitens alsbald aus der Leihbibliothek sich alles von Wildenbruch kommen ließ, was erreichbar war. Wobei ihm zunächst noch das Malheur passierte, daß sein dummer Laufbursche, den er geschickt hatte, die Namen verwechselte und statt des »Menonits« und der »Karolinger« zunächst die Erzählungen für junge Mädchen von Ottilie Wildermuth mitbrachte, die den guten Gottfried Dappé, obschon er ein schlichter moralischer Mensch war, beträchtlich langweilten. Ein später Blick auf das Titelblatt klärte dann den Irrtum auf; er erhielt die richtigen Bücher und, nicht unempfindlich für Kraft und Schönheit der Sprache, rechnete er sich's bald so sehr zur Ehre, dem Dichter ähnlich zu sehen, für den sich damals die Jugend begeisterte, daß er nach Berlin an einen Geschäftsfreund schrieb, er möge ihm alle Bilder von Wildenbruch besorgen, die er bekommen könne.
Der Geschäftsfreund ließ eine Weile gar nichts von sich hören. Dann kam ein Brief mit Entschuldigungen. Er habe die letzte Epistel Gottfrieds verlegt; aber er erinnere sich dunkel, daß der ihn darin um ein Bild eines bekannten Parlamentariers gebeten habe. So weit er sich entsinne: Windthorst oder Eugen Richter. Da er aber nicht mehr ganz genau ins klare darüber kommen könne, welcher von beiden, so schicke er ihm die wohlgetroffenen Porträts beider. Diesem Brief, der Strafporto kostete, lagen die Bilder von Windthorst und Eugen Richter bei, die leider für Gottfried Dappé im Augenblick von geringerem Interesse waren und deshalb kurz darauf zu einer Wohltätigkeitsverlosung gestiftet wurden, bei der sie der gütige Stifter mit dem Los Nr. 523 als einzigen Gewinn unter elf Nieten wiedergewann . . .
Das nur nebenbei. Durch einen Buchhändler, mit dem er Dienstags im »Preußischen Hof« kegelte, bekam er dann die ersehnten Bilder. Eines schon etwas alt, gelb und fettig und nach Makassaröl riechend; offenbar schon mit Lockenwickeln zusammen irgendwo aufbewahrt. Ein zweites sehr gut und – wahrhaftig von einer frappanten Ähnlichkeit mit ihm selbst! Um diese merkwürdige Übereinstimmung der Haltung und der Züge sich selbst noch zu verdeutlichen, beschloß er, sich in derselben Pose wie der Dichter photographieren zu lassen. Ein vortrefflicher Plan, den er längere Zeit leider nicht ausführen konnte, weil ihm damals gerade ein durch Schmerzhaftigkeit recht lästiges Zahngeschwür das Gesicht sehr übel verzog. Voll begreiflicher Ungeduld erwartete er die Abschwellung, und als sie eingetreten war, ließ er sofort das interessante Porträt herstellen, das zu seiner Befriedigung eine fast lächerliche Ähnlichkeit mit beiden Bildern des Poeten ergab. Nur daß es nicht nach Makassaröl roch.
Von diesen Tagen an konnte es keinen größeren Verehrer und Kenner Wildenbruchs geben, als Gottfried Dappé. Er hatte gelesen, daß gewisse Schädelformen auf gewisse geistige Fähigkeiten deuten, und folgerte kühn, daß die Talente der Menschen, die zum Beispiel in den Maßen der Hirnschale einander auffallend ähneln, sich nicht wesentlich unterscheiden können. Er war Materialist jener volkstümlichen Richtung, die sich das Gehirn gewissermaßen als dicken Brei vorstellt, der Form und Art, wie ein Gebäck, von der Knochenschale bekommt. Es erschien ihm daher in grüblerischen Stunden äußerst verwunderlich, daß er noch nicht einmal auf die Idee gekommen war, die Karolinger als Drama zu behandeln und den Menonit in den Mittelpunkt eines Schauspiels zu stellen; ja, daß er sich eigentlich nur eines einzigen Falles erinnern konnte, in dem er den Versuch gemacht hatte, zu dichten. Obschon er damals – für das Album einer heiß verehrten jungen Dame, die später einen anderen heiratete – die Versfüße mit kaufmännischer Gewandtheit abgezählt und mit Hilfe einer antiquarisch gekauften »Poetik« auch die Reime auf ihre Reinheit kontrolliert hatte, war das Poem besonders durch gewisse, dem Geschäftsverkehr entlehnte Ausdrücke und üppig verwendete Fremdwörter doch nur von mäßigem Reiz. Trotzdem hatte es ihn gekränkt, daß ein respektloser Vetter, wie er später einmal durch Zufall entdeckte, das nächste Blatt zu folgendem üblen Reimspiel benutzt hatte:
Dieses wünscht dir in ehrlichster Gesinnung für dich und dein Stammbuch dein treuer Vetter Julius.« . . .
Diese Erinnerung quälte ihn. Aber er tröstete sich. Es war offenbar Zeit, Übung, Gelegenheit, die ihm gefehlt hatte. Wenn jetzt die Leute, denen er die Bilder von Wildenbruch zeigte – und er zeigte sie jedem, der sie sehen wollte und manchem, der sie nicht sehen wollte – verwundert ausriefen: »Nein, wie ähnlich Sie dem Manne sehen!«, so kam ihm das so vor, als wollten sie eigentlich damit sagen: »Mein lieber Herr Dappé, wir sind überzeugt, wenn Sie nicht zufällig anderes zu tun hätten, wären Sie es gewesen, der die ›Karolinger‹ geschrieben hätte.«
Als aber in jener Zeit ein Berliner Journalist (den zwar zwischen dem Charlottenburger Mausoleum und dem Ostend Karl Weiß-Theater niemand kannte, der aber gern mit dem schmerzlichen Lächeln des Überbürdeten seine Sätze einzuleiten beliebte: »Wer wie ich an exponiertester Stelle mitten im Kampfe der Geister steht . . .«) einen Vortrag in Limburg hielt über die erzieherischen Aufgaben der Bühne und Gottfried Dappé in der ersten Reihe feierlich lauschend auf seinem Platze saß, empfing dieser sowohl bei Beginn als nach Beendigung des zwar langen, aber etwas verworrenen Vortrages ein besonders tiefes Kompliment des Redners. Plötzlich kam dieser angenehme junge Mann auf ihn zu und beteuerte ihm unter abermaligen sehr tiefen Komplimenten, daß er aufs erfreulichste geschmeichelt sei, den berühmten Dramatiker, den er freilich hier nicht habe vermuten können, unter seinen Hörern gehabt zu haben. Gottfried Dappé verstand zwar sofort, aber als ein Bekannter, der diese Anrede gehört hatte, höchlichst erstaunt fragte: »Gottfried, was – du schreibst heimlich?« da packte ihn der Eitelkeitsteufel und ausweichend antwortete er, während er an der Garderobe seinen zerbeulten Hut wieder zurechtbog: »Ja, lieber Himmel, was tut der Mensch nicht alles!«
Mit diesem Vortrag, diesem Mann, der »an exponiertester Stelle im Kampf der Geister stand,« und diesem Gespräch an der Garderobe brachte man später Gottfried Dappés Entschluß, nach Berlin überzusiedeln, in Verbindung. Diese Vermutungen haben die Wahrscheinlichkeit nicht gegen sich.
Jedenfalls nahm durch diese Übersiedelung das Schicksal Gottfried Dappés seine tragische Wendung. Die ersten Tage und Wochen erfreute er sich an der unverdienten Popularität, die er in Berlin genoß. Er wurde viel gegrüßt von Unbekannten auf der Straße und hatte im Theater und wo er sonst erschien, die Freude, bemerkt, gezeigt und erklärt zu werden. Das tat ihm wohl und er setzte seinen Stolz darein, würdig und leutselig zugleich zu repräsentieren.
Die erste Bitterkeit brachte ihm ein offenbar nicht ganz geistesklarer Student, der ihn im Café Klose in einer Ecke an ein Tischchen drängte, seinen Versicherungen, er sei wahrhaftig nicht Wildenbruch, keinen Glauben schenkte und ihm unbekümmert um die umsitzenden Gäste ein Drama vorlas, in dem der König Tarquinius Priscus mit seiner Gemahlin Tanaquil viel Unglück hatte und schließlich außerordentlich roh umgebracht wurde. Derselbe Student nötigte ihn leider auch, ein von ihm erfundenes Getränk, das die Kellner ihn mit Lächeln aus Kognak, Sherry Brandy, Zimt, Zitronensaft, Jamaika-Rum und heißem Wasser bereiten sahen, in so beträchtlicher Quantität trinken, daß er zwei Tage einen Kopf wie eine Trommel hatte und sich nur mit Mühe noch entsinnen konnte, daß er in sehr vorgerückter Stunde dem literarischen jungen Freunde fünfzig Mark für die Drucklegung der Schicksale des Königs Tarquinius Priscus geliehen hatte; eine Summe, die in gar keinem Verhältnis stand zu seinem Interesse für diesen törichten Römer.
Viel schlimmer, als solche Erlebnisse aber war für ihn die große Enttäuschung, daß auch jetzt, nachdem er sein Geschäft aufgegeben hatte und somit die Zeit und Möglichkeit gegeben war, dichterisch zu schaffen und die Schädeltheorie praktisch zu erproben, seine Muse durchaus unfruchtbar blieb. Er saß oft stundenlang vor großen schönen Bogen weißen Papiers und wartete auf die Inspiration. Es fiel ihm nichts ein . . . Er kaufte sich Stakes deutsche Geschichte, um nach Dramenstoffen darin zu suchen, aber merkwürdig: was noch nicht weggedichtet war, das schien ihm die poetische Behandlung nicht zu lohnen. Und was ihn gereizt hätte zur dichterischen Betätigung, wie zum Exempel der »Wallenstein« – das war eben schon geschrieben. So wurde sein Herz immer voller und sein Papier blieb leer.
Er hatte niemanden, dem er dies Herz ausschütten mochte. Der alte Onkel in der Belle-Alliance-Straße war stocktaub, und in den Zimmern roch es atembeklemmend nach weißen Mäusen, die in einem Dutzend der verschiedenartigsten Käfige mit Eifer ihren Familiengeschäften oblagen. Die wenigen Wirtshausbekannten hätten niemals Verständnis gehabt für sein literarisches Leid. Vereinzelte Huldigungen freuten ihn nicht mehr. Es schlich sich jetzt doch langsam das Gefühl ein, daß sie ihm nicht zukamen. An der Schädeltheorie mußte was nicht stimmen.
Er alterte zusehends. Den Erfolg der »Quitzows« erlebte er noch. Aber die Gratulationen von Unbekannten auf der Straße hatten ihren Reiz verloren.
Wenige Monate später erkrankte er. Während seines Krankenlagers mußte er sich den Bart wachsen lassen und mit jedem Millimeter, den die Stoppeln an Kinn und Wange wuchsen, verschwand die Ähnlichkeit mehr und mehr, die sein Herz erfüllt, sein Hirn umnebelt und sein Leben aus dem Gleise gedrängt hatte.
An dem Tag, an dem der Arzt eine wesentliche Besserung konstatiert hatte, steigerte sich das Fieber plötzlich wieder rapid. Er fing an zu deklamieren und sein Krankenwärter, der sah, daß es zu Ende ging, und der die Marotte hatte, die »letzten Worte« aller Leute, die er sterben sah, aufzuzeichnen, stenographierte mit wachsendem Erstaunen die folgenden Verse:
Geh', Enkelin, schließe mir auf den Schrank, Laß meine Medaille mich schauen, Und putze sie mir recht blitzend und blank Und häng' sie am Band, am gestreiften, recht lang An den Rock mir, den guten, den blauen. |
Das erschien dem Wärter doppelt merkwürdig, da er zu wissen glaubte, daß Gottfried Dappé Junggeselle sei. Allerdings in der Todesstunde ändern sich die Familienverhältnisse oft wunderbar . . . Und schließlich der Pfleger konnte nicht wissen, daß die Verse von Wildenbruch waren und nicht von Gottfried Dappé, der es weder zu Enkelinnen noch zu Medaillen noch zu eignen Versen in seinem Leben gebracht hatte.
Als er gestorben war, fand man auf seinem Nachttisch unter den Arzneiflaschen einen Zettel, daß er vor seiner Beerdigung sorgfältig rasiert zu sein wünsche. Was sonst mit ihm geschehe, sei ihm gleichgültig. Die Ähnlichkeit war sein letzter Gedanke . . .
Man redet jetzt wieder viel von Doppelgängerkomödien. Ich meine, die armen Narren, die solchen Komödien zum Opfer fallen, tragen ein Martyrium, wie kein anderer. Wenn einer aus harmlosem Wahnsinn oder tyrannischer Eitelkeit nicht mal er selbst sein darf und schon seinen eignen Körper nur als eine zugerichtete Verkleidung durch die Welt trägt – was bleibt ihm da?
Nein, nein, es ist wirklich besser, sein Leben lang wollene Unterjacken zu verkaufen oder Ostseekrabben in Büchsen, als sein kurzes Leben an solche Komödie zu hängen . . .