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Prinz Louis Ferdinand

Du Krieger, Du Jäger, Du Musikus … so ruft in einem ihrer unorthographischen Briefe voll flackernder, strudelnder Gefühle Pauline Wiesel, die Geliebte des Prinzen Louis Ferdinand, ihren Freund. Und dieses Elementarwesen, das nicht schulgerecht schreiben konnte, aber naturhaft für jedes Ding den lebendigen Ausdruck fand, läßt absichtslos damit einen Menschen in der dahinstürmenden, brausenden und klingenden Fülle seines Daseins meteorhaft aufgehen.

Diese Menschlichkeit, dieser Hohenzollernprinz, den die schweifige Ziersprache der Zeit den »Lieblingssohn des Mars« nannte, der aber im Farbig-Schillernden seiner Wesensmischungen besser durch einen anderen Beinamen, den des »preußischen Alkibiades«, begriffen wird, lockt die Phantasie. In den trüben und dumpfen Niederungen um 1800 leuchtete um ihm etwas vom alten friderizianischen Adlerglanz und von der Geschmacks- und Geistesluft Rheinsbergs und Sanssoucis auf. Mit brennender Lust ritt er dem Lorbeer nach und stürzte vor Preußens Zusammenbruch 1806 bei Saalfeld sich in heldischen Untergang. Der Soldat und Draufgänger war aber auch gleich seinem Ahn und Oheim, dem großen König, ein Freund der Musen und wirklich ein Musikus. Dazu ein Freund der Geister, und die Atmosphäre der Romantik hatte durch nahvertrauten Umgang mit Rahel und ihrem Kreis seine Empfänglichkeit genährt.

Dies Preußisch-Berlinische in ihm, durchsetzt mit einem gallischen Tropfen spielender Laune, beschwingten Einfalls, dazu das Helldunkel-Romantische voll leidenschaftlicher Gefühlsverwirrung, reizte wohl auch Theodor Fontane, der ihn in einer, im Rhythmus der Regimentsmusik klirrenden Ballade und im Galopp seinen Lebenslauf durchrasen läßt, der ihn (in Schach von Wuthenow) aber auch mit schärferer und gespitzterer Menzelscher Zeichnung als »Causeur« in seiner freigewählten Tafelrunde von eigenen und besonderen Köpfen zeigte. Das Problematische jedoch in dieser Erscheinung stellte in unseren Tagen Fritz von Unruhs Drama heraus.

 

I.

Sechs Fuß hoch aufgeschossen,
Ein Kriegsgott anzuschaun,
Der Liebling der Genossen,
Der Abgott schöner Fraun

singt Fontanes Gedicht von ihm. Und das ist nicht poetische Erhöhung, nicht nur im Liede lebt Prinz Louis Ferdinand so, er steht voll gleichen Lichtes im Spiegel seiner Zeit. Überschwenglich schwärmt von ihm, dem damals Zweiundzwanzigjährigen, der junge Fouqué 1794, er sieht ihn bei dem Feldzug in der Pfalz zum erstenmal wie in einer Vision hoch, schlank mit verwildertem, blondem Gelock in kühner Fröhlichkeit dahinsprengen, den »jungen Achilles des Heeres«. »Wolkenschatten und Blitzlichte, Nacht und Frührot« scheinen seine Schicksalsfarben. Und diese Wirkung bleibt auch erhalten in einer weniger ekstatischen Charakteristik, in der es heißt, daß er für jeden ihm Begegnenden bedeutungsvoll wurde, man konnte ihm zürnen, mußte ihn aber bewundern, unentschieden und gleichgültig blieb niemand. Clausewitz, der große General, prägte sein Bild plutarchisch; er meißelte die heldischen Züge heraus, seinen Mut, der »Bedürfnis nach Größe« war, aber er zeigte mit der Unerbittlichkeit eines ehern blickenden und schreibenden Chronisten die Brüche und Risse dieser Natur. Clausewitz sagt, er hätte ein großer Feldherr werden können, wenn ihn ein langer Krieg erzogen hätte, jedoch habe er im Grunde keine rechte Vorstellung von einem Feldzug gehabt, sein Fehler war eine falsche Sicherheit durch die Überschätzung des Mutes an sich. Aus Clausewitzens Kritik steigt so die Erscheinung eines letzten Ritters auf, Louis le téméraire, jenseits von der Gehirnstrategie moderner Kriegswissenschaft. So sah ihn auch Achim von Arnim, der sich aus seinen friedlich stillen Kreisen durch ihn zur Waffengefolgschaft aufgeregt und verlockt fühlte, und der später, dem Schatten des Gefallenen nachsinnend, schrieb, »sein guter Geist trieb ihn über die Brücke der Lethe, das alte Rittertum ist untergegangen, ein neues mag beginnen«. Als übermütigen Herausforderer der Gefahr hat ihn auch Goethe gezeigt in jener Kampagne in Frankreich, die 1792 auf einem für unsere Gegenwart so bedeutungsvoll gewordenen Schauplatz, in der Gegend von Longwy, Verdun, St. Menehould, Grandpré sich begab.

»Wenn man es verstanden hätte, die natürlichen Kräfte dieses jungen Löwen geschickt zu brauchen, so würde der Staat einen hohen Nutzen daraus gezogen haben«, heißt es bei Clausewitz. Das geschah natürlich in der verfahrenen Zeit nicht, und Louis Ferdinand, dem König und seinen zopfigen Ratgebern der Gamaschenordnung unbequem, ward nur zu oft kaltgestellt und mattgesetzt. Nach Magdeburg schickt man ihn, weil Berlin für seine verschwenderischen und lebenstollen Neigungen ein zu gefährlicher Boden, und in Lemgo 1796 verzweifelt er vor Ungeduld über die unfreiwillige Lahmlegung: »hören müssen von glänzenden Taten und dabei nur Galle destillieren können«, und er kocht vor Wut über diese »Generale, die einen mühsam erworbenen Ruhm zu verlieren fürchten und dabei Dinge tun, die einen Menschen von Ehrgefühl rasend machen können.« Und 1805, in seinem letzten Lebensjahr, als endlich nach Verletzung der preußischen Neutralität bei Ansbach durch Napoleon die Mobilisierung erfolgte, zerspringt Louis Ferdinand vor Tatendurst, weil man ihn mit der Avantgarde des Hohenloheschen Korps in Zwickau, »in diesem verwünschten kleinen Nest von Bergen eingeschlossen«, zu lange sitzen läßt, statt ihn nach Böhmen vorgehen zu lassen. Diese falsche Einstellung, die tiefe Unbefriedigung, die mangelnde Umsetzung der edelen Kräfte, entwickelte in dem Prinzen alle die Zwiespältigkeiten und die Widersprüche seiner Natur, die ihn zerrissen, sein Leben verrinnen machten, ihn aber gleichzeitig aus der einseitigen Luft eines Zeughaus-Heros in die Galerie seltsamer, schillernder Menschlichkeiten versetzten.

 

II.

Zwei Frauen haben hellsichtig das Problematische dieses Wesens erkannt und andeutend daran gerührt: Frau von Staël, die von dem Prinzen sagte: »in Ermangelung des Ruhmes suchte er die Stürme, die das Leben aufregen«, und Rahel, seine Vertraute, die zu dem Schluß kam, daß er »immer nur von momentanen Zwecken umstrickt war«, daß er seine »Grund- und Wesens wünsche sich selbst nicht gewaltig genug vor seinen Geist führen konnte, um ein einheitliches Handeln zu erlangen, und daß er so jede seiner Lebenssituationen verwirrte.«

Wollte man hiernach Louis Ferdinands Züge in dichterischen Gestalten seiner Epoche suchen, so findet man Doppelgänger verschiedenster Art. Schillers Max, Piccolomini, Goethes Egmont, Kleists Prinzen von Homburg ist er verwandt.

Man glaubt Max zu hören, wenn der Prinz aus dem Groll einer großen Seele heraus zürnt: »Nur das Erbärmliche blieb, das Schöne und Gute verschwand, erhaben ist das Schlechte«; das wahre Edelmännische, den Egmontzug an ihm bezeugt Rahel mit ihrem Ausspruch: er errötete, wenn andere in seiner Gegenwart zum Narren gehalten wurden; und wahrhaft kleistisch voll einer »Ruinenstimmung der Seele« ist der Todesschwur, mit dem Louis Ferdinand und zwei gleich gesinnte Generale vor der Entscheidung 1806 sich binden, eine Niederlage nicht zu überleben.

Zu dieser hochgemuten Seele, »mit dem Haupt zum Himmel ragend«, gesellt sich aber zersetzend, schwächend, vergiftend eine andere, aus einem fahlen unfruchtbaren Zwischenreich: voll Verneinung, Zweifelssucht, Zersplitterung. Louis Ferdinand trug zu seinem edlen Dämon den Widerdämon mit Krallen und Pferdefuß in sich. Und auch den kann man mit einem Namen aus der Literatur seiner Zeit anrufen. Es ist Roquairol aus Jean Pauls »Titan«. Achim von Arnim betonte diesen Zusammenhang, als er an Wilhelm Grimm eine Nachzeichnung der Jean Paulschen Gestalt gab: »hinstrebend zur Begeisterung und zum Einzeleffekt, in der Abspannung aber exzedierend, sich und andere verfluchend und verderbend. Prinz Louis Ferdinand hatte viel von ihm, wie überhaupt viele gebildete Offiziere mit einer gewissen falschen Richtung des Mutes und des Übermutes, die gegen den Zwang ihres Standes jeden Augenblick anstoßen.«

Der Prinz bekannte seiner Vertrauten Rahel selbst die Verwüstungen seines Inneren, die Krämpfe und zerreißenden Schmerzen, sein Hin- und Hergerissenwerden, die dunklen Stunden, da ihn die Sinnlosigkeit seines Daseins zernagt und der Ruhmesadler zum fressenden Geier wird, da er nicht zu den Sternen, sondern in einen düsteren Abgrund blickt: »der große Aufwand von Kraft, jener starke Wechsel von Gefühlen, von den heftigsten Sensationen, vom Glück zum Schmerz, hat mich ganz abgestumpft, und mein Herz ist öde und tot.« Verworrenheit umnebelt ihn dann, er stürzt sich in wilde Zerstreuungen, überschreit lärmend die besseren Geister seines Wesens und verbirgt schamhaft vor Kumpanen und Weibern, daß er ganz andere Sehnsüchte nach Reinem und Hohem in sich trug.

In solchen finsteren Stunden konnte der sonst so Stolze und Trotzige bitter und schwarzseherisch sein. In nur zu richtiger Voraussicht sagte er 1806 zu seiner siegessicheren Mutter, der Prinzessin Ferdinand: »Liebe Mutter, denken Sie denn, das könne niemals anders sein, es würde immer getrommelt werden, wenn Sie aus dem Tore fahren? Sie fahren einmal spazieren, und es wird nicht getrommelt.«

Und noch ein Zug mischt sich in diese schillernde Wesenskomposition. Für ihn einen Paten zu finden muß man in feindliches Gebiet gehen, in die Grenzen des Gegners, dem Louis Ferdinand erlag. Der Gascognerzug ists, die Dandyfreude an der überlegenen Geste, daran, für jede Lage die überlegene Haltung, das treffende Wort zu finden, jeder Situation durch seine Form das Gepräge zu geben. Alkibiades zeigt sich hier, aber näher und gegenwärtiger eben doch jene Gentilezza im Leben und im Tode, die von Cyrano bis zu den eleganten Kavallerie-Halbgöttern der Novellen Barbey d'Aurévillys führt. Der sehr bewußte Ichgenuß, die Freude am leuchtenden Ausstrahlen, eine gewisse selbstbespieglerische Koketterie, die aber nie kleinlich die Tat verdirbt und den bezaubernden Schwung der Wirkung nicht dämpft, läßt sich dabei bemerken: So in seinen ersten Waffengängen, 1792 und 1794 bei seinen Verwundungen; er läuft, wie Fouqué berichtet, als ihm das Pferd unter dem Leibe erschossen wird, lachend mit seinem zerfetzten Überrock im Kugelregen herum.

Als er in Mannheim das Bett hüten muß, steht ein Mohr mit einem Pfauenwedel zu Häupten. Im Lager zu Magdeburg tummelte er vor den französischen Gästen, den Generalen und Stabsoffizieren, im Pistolenschießen, Reiterkunststücken, bestrickender Liebenswürdigkeit alle Steckenpferde seiner Gewandtheit und Grazie. Und einmal, als er in seiner grünen Pikesche nachlässig plaudernd im Garten spaziert und der König gemeldet wird, springt er blitzschnell durch ein Fenster und tritt nach wenigen Minuten in voller Uniform zur Tür heraus dem Fürsten entgegen. Den Franzosen gefiel das, sie witterten hier ein verschwistertes Element. Und sie nannten den Prinzen ohne Böswilligkeit aus dieser Erkenntnis heraus: »un crâne«.

Er war auch stolzer auf seine Persönlichkeit als auf seinen Rang. Er setzte sich über sein Prinzen- und Offiziertum jeden Augenblick hinweg, freilich immer in dem innerlichen Genugtuungshochmut, man muß erst einmal ein preußischer Prinz und Offizier sein, um sich darüber hinwegsetzen zu können.

 

III.

Situationen enthüllen den Menschen. Wir sahen den Prinzen als Soldaten. Wir wollen ihm nun aber auch auf den, gleich seinem Wesen verstrickten vielfältigen Wegen seines Privatlebens folgen.

»Mein Körper versagt mir keine meiner Phantasien«, dies Vollblutwort konnte er ohne Prahlerei von sich brauchen. Da seinem aufschäumenden Lebensdrang oft die große Betätigung versagt blieb, tobte er ihn in Genüssen und Erregungen aus. Er war mit seinen Streichen den guten Bürgern ein gruselig bewunderter Tollkopf. Jedoch hat ihn niemand, wenn er es auch wild trieb, einen Wüstling genannt. Berühmt waren seine heftigen Jagdfahrten, in die er sich ungeduldig aus der beschränkten Enge seiner Garnisonsverbannung stürzte: auf Leiterwagen bei schneidender Kälte von Lemgo nach Arolsen zum Prinzen von Waldeck; über Corbach, Sachsenhausen, die Demarkationslinie entlang nach Wildungen, wo wieder gejagt wurde. Noch berühmter die heimlichen urlaubslosen Nachtritte von Magdeburg nach Berlin:

Relais viermal verschnaufen.
Auf dem Sattel Nachtquartier
Und kann ein Pferd nicht laufen,
So laufen ihrer vier.

Gegeben und genommen
Wird einer Stunde Glück,
Dann flugs wie er gekommen
Im Fluge geht's zurück.

Die beste Gelegenheit ihn zu beobachten haben wir aber, wenn er offiziell in Berlin verweilt, in dem elterlichen Schloß Bellevue, mit der preziösen Kursivschrift im Giebel, das 1785 an Stelle der alten Knobelsdorffschen Meierei errichtet wurde im Tiergarten an der Spree, nahe bei den Zelten, wo sich Sonntags die Ausflügler, Mägde und Tagelöhner »nach Moabit einschiffen«.

Der Bummelkreis besteht hier hauptsächlich aus den Kameraden des Eliteregiments Gendarmes, das im Prinzen sein bewundertes Vorbild sah, und aus dem er selbst sich seinen Adjutanten, S. M. längsten Leutnant, den Graf Nostiz, aussuchte. Den traf später 1812 in österreichischen Diensten als Major bei den Schwarzenberg-Ulanen Clemens Brentano in Prag wieder, ernst geworden, Tee trinkend, »krank an alten Resten des Gendarmenlebens«.

Die Offiziere dieser Gardetruppe gaben als Dandys und Lebemänner in Berlin den Ton an. Man sagte, sie trügen die Uniform, damit sie möglichst prall saß, auf dem bloßen Leib. Sie verblüfften durch Mummenschanzexzesse auf der Straße. Und ihr Hauptstreich war der grelle Maskenzug vom 11. Juni 1806 zur Verhöhnung von Zacharias Werners im Königlichen Schauspielhaus durch Iffland aufgeführten Lutherdrama »Die Weihe der Kraft«: Jene Schlittenfahrt im Sommer über die mit Salz bestreuten Linden, unter dem Johlen der als entlaufene Nonnen kostümierten Offiziere. Und der lange Nostiz paradierte dabei auf der Pritsche als Katharina von Bora. Zelter beschrieb diesen Spuk in einem Brief an Goethe und danach schilderte die Szene Theodor Fontane in seinem Schach von Wuthenow.

Im Felde bestätigte das glänzende Regiment seine Verwegenheit leider nicht. Verwöhnt und verweichlicht waren die Herren. Chamisso verspottete bitter die Überfracht, die belastend mitgeschleppt ward: »Tische, Stühle, Betten und Bettstellen, Nachtstühle, und jeder Offizier bis zum Fähnrich erhält zu seinem Reitpferd noch ein Bagagetier«. Das Regiment fand denn auch ein unrühmliches Ende. Aber damals war der Prinz, der, wenn auch nicht zu siegen, so doch zu sterben wußte, schon gefallen.

Louis Ferdinand lebte mit diesen Leuten, jedoch hat man immer das Gefühl, daß er gleich Prinz Heinz dachte: »ich kenne euch alle« … und auch hier erwies er seine leidenschaftliche Abneigung gegen Einseitigkeiten und seine Freude am Mischen der Menschen. Er verkehrte nie ausschließlich mit Militär. Er wollte in seinen farbig illuminierten Nächten allerlei Kreaturen Gottes und möglichst gescheckte um sich haben, zum Spielball seiner Launen und zur funkelnderen Brechung seiner Einfälle.

Da war der böhmische Musikmeister Duszek, das alkoholische »Genie, das soviel Wein als möglich durch seine heisere Kehle beförderte«, dessen Kompositionen aber, wie Oskar Bie im »Klavierbuch« schreibt, eine leise Vorahnung Chopins umschwebt. Da war als Mephisto in Auerbachs Keller der Kriegsrat Wiesel, der tolerante Gatte von Louis Ferdinands Geliebten Pauline, die wir noch näher kennen lernen werden.

Wiesel scheint eigentlich mehr noch eine Wedekindsche Figur, weil er trotz Zynismus, trotz seiner schwefligen Praktiken, trotz seiner eiskalten, die Einbildungskraft verwirrenden Verführerkünste selbst immer ein frierender armer Teufel blieb. Er war einer anderen Persönlichkeit des Kreises, dem österreichischen weltmännischen Publizisten Gentz, verwandt in der kalten Phantasie, die immer künstliche Erregungen suchte und in den Menschen Instrumente und »Hilfstruppen zur Lust«.

In Gentzens Tagebüchern kann man lesen, wie sich um 1802 die tollen Tage und Nächte in Berlin abspielen.

Gentz hielt es damals mit der Schauspielerin Christel Eigensatz, die viel viel später – die Geschichte klingt wie aus Casanova und »Christinens Heimkehr« von Hofmannsthal – in Venedig einen Gastwirt Pedrillo heiratete und in deren Herberge am Kanal alte Bekannte aus der Berliner Zeit einkehrten.

Gentz führt nun folgendermaßen Buch über das Durcheinander seines Lebens im März 1802:

»Obgleich ich äußerlich mit meiner Frau gut blieb, mit ihr bei Prillwitz aß, ins Theater ging, so hebt doch jetzt die Liaison mit Christel recht ordentlich an. Sie erlaubt mir die Nacht mit ihr zuzubringen. Aber gleich darauf, teils durch mein schlechtes Benehmen, teils durch die Ankunft ihres wahren Liebhabers, Finnow, bricht der Teufel los.«

»Die große Gesellschaft wird von nun an etwas weniger besucht. Der Prinz Louis, Kurnatowski, die Familie Cesar, Pauline, Babel werden die Hauptfiguren. Alles bezieht sich auf Christel.«

»Zwischen den Gasthöfen – Stadt Paris, Tarone (die Italiener -Wein- und Delikatessenhandlung Sala Tarone Unter den Linden, wo nachts aus der heimlichen Kellerfalltür der lange Nostiz oft wie aus der Versenkung emporstieg), Courtois, und pro forma einigen Soireen bei Stadion und O'Faril, hatte nun die tolle Passion für Christel ihren Gang. Mit Finnow hatte ich Freundschaft geschlossen. Bei Christels Mutter in Treptow wurden tagelange Rendezvous gehalten.«

»Finnow verliebt sich in Pauline (des Prinzen Louis Geliebte). Nun bin ich obendrauf bei Christel. Maintenant c'est le délire complet. Dabei die größte Intimität mit Finnow. Wir fressen und saufen in der Stadt Paris, fahren wie toll im Whisky durch die Promenaden, spielen Tarok« …

Mitten in diesem Taumel findet Gentz aber auch Muße zu Besuchen in dem so strengen Klima des Humboldthauses in Tegel.

Ähnlich bunt gemischt zwischen den Gegensätzen schwankend pendelt auch Louis Ferdinands Leben. Sein und Gentzens gemeinsamer geistiger Boden war dabei das Zimmer von Rahel Levin.

In der Jägerstraße am Gendarmmarkt gegenüber der Seehandlung lag das kleine Haus der Witwe des jüdischen Kaufmanns Levin Markus, in dessen Mansarde die Tochter Babel ihr bureau d'esprit aufgeschlagen, dies kluge und feine von ihrer flackernden Einbildungskraft gehetzte, zwischen Leidenschaften und Phantasien hin und her gerissene Menschenwesen, das »unermüdlich bei der lichterlohen Flamme ihres Affekts in sich selber gräbt, ihr Inneres zu erschauen.« Varnhagen, in dessen ruhevolle Hut sie sich durch Heirat als Alternde gab, hat sie beschrieben: »Graziös und doch kräftig von Wuchs, von zarten und vollen Gliedern, Fuß und Hand auffallend klein. Das Antlitz, von reichem schwarzen Haar umflossen, verkündigte geistiges Übergewicht. Die schnellen und doch klaren dunklen Blicke ließen zweifeln, ob sie mehr gäben oder aufnähmen, ein leidender Ausdruck lieh den klaren Gesichtszügen eine sanfte Anmut; was am überraschendsten traf, war die klangvolle weiche, aus der innersten Seele herauftönende Stimme.«

Sie hatte im höchsten Sinne des Wortes »Lebensart«, jene Lebensart, von der sie selbst meinte, sie wäre »ein Sofa oder eine Gondel für die Seele«. So war es in ihrer Sphäre gut zu rasten. Die Schlegels fanden sich dort ein, Schleiermacher, der, trotzdem er protestantischer Pfarrer an der Dreifaltigkeitskirche, immer etwas vom Abbé hatte, Fichte, Bernhardi, Brinkmann, Johannes von Müller, der bissige Zeitkritiker und »Raunzer« Bülow, von dem Louis Ferdinand scherzte: er sei ein Donnerwetter, das den Blitz, aber auch viel Wind mit sich bringe.

Vornehme Equipagen hielten vor dem Haus, der Prinz aber kam meist zu Pferd. Und in diesem Kreis, in dem es nicht nur von blendenden Einfällen sprühte, von Paradoxen und Epigrammen, sondern wahrhaft ein drittes Reich des Geistes sich auftat, ein Reich, dessen Herrscher Goethe war, fand Prinz Louis Ferdinand für seine wirre Seele Beschwichtigung und Erhöhung. Hier erfüllte sich ihm viel von seiner besseren Natur, jener Natur, die ein so ernster Förderer wie der Freiherr von Stein mit den Worten anerkannte: »Bei Prinz Louis Ferdinand fand ich eine mit Bildern großer Tätigkeit angefüllte Einbildungskraft, ein lebendiges, sich lebhaft äußerndes Gefühl vom Großen.«

Bisweilen setzte sich der Prinz auch an das Klavier. Er war nun wirklich »der Mann, der Musik hat in ihm selbst«, wenn auch die Dissonanzen nicht fehlten. Er phantasierte stark und kühn, mit echtem Ausdruck. Sein Schwager, der Fürst Radziwill, der Faust-Komponist, liebte seine Kompositionen, und bei Goethe ward am 28. Oktober 1823 ein Quartett des nun schon lange Abgeschiedenen unter Mitwirkung der Madame Szymanowska, der »holden Frau«, gespielt. Die letzte Aufführung eines Werkes des prinzlichen Komponisten in Berlin fand aber am 10. Oktober 1906, seinem hundertjährigen Todestag, in der kühl-weißen Helle des Schauspielhaus-Konzertsaals statt: es war das Klavierquartett F-moll, gespielt von Joachim (Violine), Halir (Viola), Hausmann (Violoncello), Georg Schumann (Klavier).

Und als Ausklang ertönte von der königlichen Kapelle unter Richard Strauß der Eroica-Trauermarsch für den gefallenen Helden von Saalfeld …

Du Krieger, Du Jäger, Du Musikus …

Der mehrfach genannte Gentz, mit dem sich der Prinz trotz der Temperamentsunterschiede (Gentz chaud-froid, der Prinz leidenschaftlich glühend) in so verschiedenen Lebenskreisen begegnete, gab noch einen sehr wesentlichen Berührungspunkt an, nämlich die antifranzösische Politik. Neben dem Bummel- und dem ästhetisch-geistreichen Kreis öffnet sich so der staatsmännische Kreis. Diesem Kreis, in dem neben Gentz sich Johannes von Müller, Clausewitz, Arndt, von der Marwitz betätigten, gesellte sich Louis Ferdinand mit Feuereifer zu. Die Ziele dieser Gemeinschaft waren von Gentz erdacht. Sie bedeuteten einen mitteleuropäischen Bund von Preußen und Österreich gegen Osten und Westen, gegen die Übergewalt Frankreichs und zugleich zur Beschränkung russischen Eingreifens in die europäischen Angelegenheiten. Dieser Gedanke, der ja ein für unsere gegenwärtige Situation nah vertrautes Gesicht trägt, wurde von Gentz in einer scharf geschliffenen Denkschrift ausgearbeitet und vom Prinzen mit voller Persönlichkeit vertreten. Er stellte sich damit in schärfsten Gegensatz zu der leisetreterischen, nach Frankreich schielenden Politik der Ratgeber Friedrich Wilhelms des Dritten, der Haugwitz und Lombard. Der König freilich bewahrte diesen sein Vertrauen und blieb gegen die »Neuerer«, vor allem gegen den von ihm als Unruhgeist und Draufgänger mißtrauisch betrachteten Louis Ferdinand, ablehnend.

Der Prinz schrieb diesem Verkennen das Verderben von 1805/6 zu.

Wir werden noch einmal in den Bezirk des politischen Dämonions unseres Prinzen einkehren, wenn wir ihn zum Ausgang auf seinen Todesweg geleiten.

Jetzt aber bleibt, um seine Menschlichkeit in seiner ganzen Vielfältigkeit aber auch Zersplitterung weiter kennen zu lernen, noch ein wesentliches Kapitel seiner heimlichen Existenz zu behandeln. Das Kapitel heißt natürlich:

 

IV.

Prinz Louis Ferdinand und die Frauen …

»Der Männer Freundschaft ist so selten, und – sei es immer gesagt – ich bedarf sie nicht«, schreibt er einmal in einem Bekenntnisbrief an Rahel, seine »sage-femme, die ihn so sanft von schweren Gedanken akkouchierte«. Dafür braucht er aber Frauen aller Arten, durchaus nicht immer mit dem Wunsch nach Besitz. Er »findet etwas Sanftes in ihrer Gesellschaft«.

Wie es häufig bei Wildlingen und Unbehausten vorkommt, hat er eine tief innerliche Friedenssehnsucht, einen Wunsch nach Geborgenheit und Ruheglück. Das fand er in der Gemeinschaft mit Henriette Fromm, die er als eine Art Gewissensehe betrachtete und deren Sprossen Ludwig und Blanka später unter dem Namen Wildenbruch in den preußischen Adelsstand erhoben wurden. Er richtete für seine kleine Familie ein Haus an der Weidendammbrücke ein, er hing zärtlich an den Kindern; sie und deren Mutter zu verlassen, erschien ihm undenkbar. Er vermochte niemand bewußt zu kränken, jede Gefühlsgrausamkeit war ihm unmöglich. In die größte Qual und Verwirrung kam er durch sein vor jeder Unharmonie zurückschreckendes Gemüt, als er in die Besessenheit der aufwühlenden Leidenschaft zu Pauline Wiesel geriet.

Ganz zerfleischt schreibt er darüber 1805, ein Jahr vor dem Tode, aus seinem Asylwinkel, dem Gut Schricke bei Magdeburg, an Rahel: »Liebe Kleine, Sie haben gesehn, wie heiß und heftig meine Liebe zu Pauline ist; mit welcher Innigkeit und Zärtlichkeit ich dabei zugleich an der himmlisch guten lieben Henriette hänge; dieses scheint rätselhaft, manchen unbegreiflich, und doch haben es die so sehr sonderbaren Umstände so gewollt, daß ich in dieser Verwicklung von Umständen nicht wollen konnte.«

Pauline war eine Tochter des Geheimrats Cesar, 1779 geboren; aus Laune heiratete sie jenen Kriegsrat Wiesel, und sie muß ein verwirrender Elementargeist gewesen sein, nur Instinkt und Trieb, ohne Hemmung und ohne Erkenntnis von Gut und Böse, aus Eigenschaften zusammengesetzt, die nach theoretischem Begriff bald niedrig, bald großartig erschienen und die sie beide unbewußt in völliger Unbefangenheit betätigte. So war sie, wenn auch ungebildet der Schulregel nach, gleichwohl von hellem klaren Naturblick, gänzlich unverbildet und unbestochen durch papierene Voraussetzung.

Paulinens Art steigt lebendig aus ihrem eigenen regen langjährigen Briefwechsel mit Rahel und aus den Zeugnissen der ihr begegnenden Männer auf.

Brinkmann nennt sie überschwenglich ein Phänomen aus der griechischen Götterlehre, ihm gefällt alles, was sie tut, an sich; freilich nicht alles, wie sie es tut. Und in ähnlicher Unterscheidung urteilt Varnhagen, daß ihre Sitten verdorben, aber ihre Sittlichkeit rein: sie sei gewissermaßen im Stande der Unschuld, unbefangen, unbestechlich, voll Wahrheitsgefühl im Denken und Anschaun. Vor allem besaß sie das Naturhafte, den Wurzeln der Dinge nahe, und von ihrem ungrammatikalischen, aber immer stark aus persönlichstem Eindruck geborenen Schreiben meint er: »was ist im Grund alle Gentzische und alle Schönschreiberei und Schönrednerei gegen diese reichen tiefen Natursprüche, die noch im Aderblute schwimmen, aber nicht aus der Tinte aufgefischt werden.«

So faßte auch Babel ihre Freundin Pauline auf, und aus dem eigenen belastenden Gehirnbann heraus sagte sie ohne Neid: »Sie leben alles, weil sie Mut und Glück hatten, ich denke mir das meiste.«

Am sympathischsten blüht in Pauline der Natursinn. Sie »war und blieb immer wie Kind und Volk«, und ihr Liebstes sind ihr ihre »grüne Gedanken«. So nennt sie das, was der Ästhetiker als »Naturgefühl« bezeichnet, und sie plaudert Worte voll Himmelsbläue und Frühlingsstimmen: »eine Brücke, ein Baum, eine Fahrt, ein Geruch, ein Lächeln, kurz die ganze Oberfläche der Welt spricht unsere zehn gesunden Sinne an und unsere köstlichen inneren«. Sie genießt das Wetter in jeder Form (man denkt an Goethes »atmosphärische Genialität«), Musik, schöne Menschen, »die wenig wissen und viel hoffen«. Sie könnte nie ganz unglücklich werden, außer durch »körperlichen Schmerz, Gefangenschaft oder Blindheit«, und wenn sie verarmte, bliebe ihr immer noch zu »betteln und Orangen zu stehlen in Rom«.

Louis Ferdinand aber litt mit allen »Launen des Verliebten« an Pauline. Er war zu verstrickt in sie, um sie unbefangen als ein Naturschauspiel zu genießen. Die beiden quälten sich, ungebändigt, zügellos in Liebe und Haß. Louis wühlte stammelnde Worte der Erinnerung an wilde Stunden der Raserei und der Krämpfe hin: »Liebe, Einzige, … wenn dein Auge, bricht …«

Ein Kind wünschte er sich von ihr: »O welch ein Kind muß es werden, wo wir unsere beiden kraftvollen energischen Existenzen vereinen.« Er flackert vor Ungeduld und Unrast, sein Kopf zuckt, sein Herz brennt. Er leidet an ihrer spielerigen Vergnügungssucht: »Sprich doch nicht von Amüsieren! Ich kenne nichts Trivialeres als diesen Ausdruck – Kinder, Hofdamen und Fähnriche, die amüsieren sich …«

Er möchte die »Reliquien ihrer schönen Natur« retten, und begriff nicht, daß man ein Element nicht einkapseln kann. Hin und her reißt es ihn, er bestürmt sie, »sag mir, was du jede Stunde tust«, er sucht sie und er fürchtet sie. Ihn martern alle »Auswüchse dieser reichhaltigen Natur« und er liebt sie »trotz sich, ja trotz ihrer selbst«. Sein Leiden an ihr wird ihm zum schmerzlich süßen Genuß, und der Maßstab seiner Leidenshaft wird für ihn das Wort eines Paares, das nach Schmerz- und Glücksekstasen abgekühlt und stumpf geworden, rückgedenkend spricht:

»Wo sind die seligen Zeiten, wo wir so unglücklich waren« …

Doch weder die idyllische Hausheimlichkeit mit Henriette noch das fressende Feuer der Passion schöpft die Gefühlswelt dieses Menschen ganz aus. Jene überschwengliche idealische Seite des Prinzen zittert wie in seinen übrigen Affekten auch in seinem Liebesleben. Andeutend sagt er einmal zu Pauline: »Ich habe so hohe heilige Begriffe von der Liebe, daß sie so manchem und dir vielleicht, unbegreiflich scheinen würden.«

Erkenntnisvoll gesteht er sich zu, daß ihm Pauline nie beim Fortepianospiel, nie bei seinen edelsten Stimmungen einfalle. Und er – auch darin der letzte Ritter – hegt im tiefsten Herzen ehrfürchtig eifersüchtig verborgen ein Bildnis »hoher Minne«. Und seine »Dame« war die Königin Luise.

Wie Heinrich von Kleist mag er sie empfunden haben, aus dem Gefühl jener stark eratmenden Verse:

Du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,
Wenn er durch finstre Wetterwolken bricht

und mit der Andacht zu der vom rauhen Schicksalssturm gerüttelten Frauenblüte:

Wie du das Unglück mit der Grazie Tritt
Auf jungen Schultern herrlich hast getragen.

Aber ihre ländlichen Feste in Charlottenburg, durch die man sich über die schlimme Zeit hinwegtäuschen wollte, mit Schweizerlandschaften hinter Gaze, wobei Radziwill den Kuhreigen sang und er den Schäfer spielen sollte, – das vermochte er nicht mitzumachen. Doch vor seinem Abgang zur Armee August 1806 schrieb er einen Scheidebrief, wahrhaft auf den Knien seines Herzens voll Madonnenverehrung und Moriturus-Ahnung.

Fritz von Unruh – dessen adliger Geschlechtsname übrigens beziehungsvoll auch in den Varnhagenschen Briefsammlungen dieser Jahre auftaucht – hat diesen Zug mittelalterlichen Frauendienstes in dem ritterlichen Prinzen dichterisch erkannt und herausgehoben. Nach einer Szene voll Hochspannung zwischen Luise und Louis Ferdinand sagt er entrückt auf die Entschwindende: »die Luft glänzt ihr nach« … Und aus dem Traum auffahrend ruft er dann aus: »jetzt aus dem Grabmal von Jahrhunderten die Seele Cäsars oder Alexanders« …

 

V.

Das heimliche, unzeitgemäße Rittertum in Louis Ferdinand war vielleicht am bestimmungsvollsten von allen seinen Trieben für ihn. Aus diesem Rittertum erwuchs neben jener Minne als eine noch viel leidenschaftlicher lockende Blume das brennende Gefühl für den Ruhm. Aber das Wort Ruhm scheint mir nicht ganz zuverlässig für diese Affektsphäre. Ruhm hat etwas Strenges, Ernstes, sein Glanz ist dunkler Stahl, seine Frucht der herbe schmale Lorbeer. Prinz Louis Ferdinands innere Welt war schillernder, voller Fanfaren, voll Rauschklang. Sein Erobererschritt ging tänzerisch, und er liebte sich reich bekränzt. Goldene Adler mochte er vor sich her fliegen sehen. Sehr möglich, daß er das tiefere Heldentum im Zeichen des Kreuzes von Eisen und des alle gleichmachenden Feldgrau nicht verstanden und als nüchtern empfunden hätte.

An das Gascognische, das vorher in seinen Wesensmischungen betont wurde, muß man anknüpfen, an die französischen Bravuren in ihm. Und so bekommen wir das treffende Wort, das in sich außer dem selbstverständlichen Begriff des Tapferen die Nebenklänge und Nebenlichter, das Illuminatorische und Jauchzende umfaßt, das gallische Wort »la gloire«.

Der Ruhm – ein ernster erzengelhafter Genius; La Gloire – ein Weib, – die Göttin auf der Kugel gaukelnd mit Suivez-moi-bändern … Zwei Welten sind das. Und wer sich in den Prinzen verständnisvoller vertieft, der wird nicht zweifeln, in welcher Welt seine Wesensfaden wurzeln. Das führt nun folgerichtig weiter zu seiner Einstellung in die politische Lage von 1805/6 und zu seinem Ende.

Dem König galt er als Frondeur, weil er der herrschenden Richtung, die auf ein schwächliches Paktieren mit Napoleon ausging, heftig widersprach, weil er jenen von Gentz entworfenen Plan des Bündnisses zwischen Österreich und Preußen förderte, weil er die Petition der Gutgesinnten mit der Bitte um Verabschiedung des franzosenfrommen duckmäuserlichen Ministeriums Haugwitz als preußischer Prinz mit unterschrieb.

Es ist dabei nicht unwahrscheinlich, daß dem »Frondeur«, der in Charlottenburg den König zaghaft und unentschlossen sah, ein heimlicher Krongedanke vorschwebte: Imperator zu werden, ausgerufen von der triumphierenden Armee. Solche Versuchung und ihre männliche Bekämpfung aus dem Gefühl der Königstreue über alles ist das Thema des Dramas von Unruh. Ein Dichter fühlt hellsichtig,

Wag von Menschen nicht gewußt
oder nicht gedacht
durch das Labyrinth der Brust
wandelt in der Nacht.

Eines aber bleibt gewiß, der immer heftiger werdende Kriegsdrang des Prinzen wuchs nicht bloß – nach der Schullesebuch-Psychologie – aus dem patriotischen Wunsch, »das Vaterland vom Erbfeind zu befreien«, sondern aus der sehr egoistischen Eifersucht auf den Emporkömmling Bonaparte und dessen alles überstrahlende »Gloire«.

Der Prinz haßte die Franzosen gar nicht, er verkehrte gern mit den Emigranten, er hatte ja selbst soviel »esprit gaulois«, soviel vom Chevaleresken jener Menschen um 1790; oft erscheint er wie ein Vetter und Kamerad des tollkühnen, übermütigen, verschwenderischen, amurösen Herzogs von Lauzun, der auch immer den Damen Fortune und Gloire nachgaloppierte, bis in den Abgrund hinein.

Nein, puritanischer Patriotenhaß gegen das »Welsche«, Löwenmähnen schüttelnd, voll rauher Tugend, wie ihn etwa Arndt darstellt, das war hier nicht im Übergewicht. Aber unerträglich schien es, daß ein Mensch lebte, ein Bürger-General, aus dem Dunkel emporgestiegen, vor dem die Welt zitterte und der den »Rocher de Bronce« aus den Angeln hob, während er, der Prinz, »hören muß von den glänzendsten Taten und dabei nur Galle destillieren kann.«

Der Prinz sah voll Gefühlsverwirrung in Bonaparte den höchst persönlichen Widersacher, den Gott ihm als Pfahl ins Fleisch gesetzt. Er mag in aufgewühlten Stunden mit neidvoller, brennend an ihm zehrender Bewunderung von ihm ähnlich gedacht haben, wie Kleist von Goethe: »ich will ihm den Kranz von der Stirn reißen« …

Und das sprechendste Zeugnis solcher Eifersucht und Bitterkeit gibt eine Szene, die Frau von Staël anschaulich überliefert: Sie wohnte damals, 1804, als Besuchsgast in Berlin auf dem Kai der Spree. Die Zimmer lagen zur ebenen Erde. Eines Morgens um acht Uhr weckte man sie; der Prinz – er kam vermutlich von seinem kleinen Familienhaus an der Weidendammer Brücke – halte zu Pferd vor dem Fenster und wolle sie sprechen. »Er nahm sich besonders gut zu Pferde aus, und seine innere Bewegung erhöhte noch den Adel seines Gesichts.« Er berichtete flackernd erregt, daß Napoleon den Herzog von Enghien im badenschen Gebiet habe aufheben lassen und daß vierundzwanzig Stunden später in Paris die Erschießung erfolgt sei. Und voll schmerzlichen selbstzerfleischenden Hohnes über die unbeschränkte Gewalt, gegen die niemand sich aufzulehnen wagt, sagte er darüber in einem anderen Kreis: »Ja, wenn Bonaparte einmal ein Gericht Prinzenohren haben will, so sind meine in Gefahr, denn bekommen wird er sie.« …

Endlich am 9. August 1806 siegte denn doch die Kriegspartei. Napoleon hatte die Abmachungen mit Hangwitz nicht eingehalten. Er hatte das den Preußen zugesprochene Hannover wieder dem König von England in Aussicht gestellt, auch war die Neutralität in Ansbach verletzt worden. Es zeigte sich kein einigermaßen ehrenvoller Ausweg mehr, und so entschloß sich Friedrich Wilhelm III. bedrückten Herzens zur Mobilisierung.

Das Oberkommando erhielt – ein unseliger Griff – der schon aus der Kampagne von Frankreich 1792 unrühmlich bekannte Herzog Wilhelm von Braunschweig. Louis Ferdinand selbst ward der Befehl, die Avantgarde des aus Preußen und Sachsen zusammengesetzten Hohenloheschen Korps zu führen.

Er reiste am 6. September zur Armee ab. Und wir wollen ihn, um möglichst viel Gegenwärtiges noch von ihm zu erhaschen und zu bewahren, auf diesem Weg begleiten. In Dresden gibt es eine Begegnung mit dem Gefährten so wechselvoller Pfade, mit Gentz. Und noch einmal kurz vor der schweren Entscheidung flimmerts und glitzerts, letzte Leuchtkugeln des Lebens …

Gentz schreibt in seinen Tagebüchern darüber zuckende Stichworte:

»Am 6. September abends tritt der Prinz Louis von Preußen bei mir ein. Kurz zuvor war die Fürstin Bagration gekommen, die mit dem Prinzen sogleich eine Liebesgeschichte anknüpft.« (Isabey hat sie gemalt. »Weiß wie Alabaster, über dem ein rosiger Hauch schwebt.« Und die schöne Frau tanzte im russischen Nationalkostüm mit einer Natürlichkeit, die man, wie die Gräfin Bernstorff familienstreng bemerkt, kaum gern von einer Dame der Gesellschaft sah.)

»Merkwürdige Tage,« so fährt Gentz fort, »zwischen den Vorbereitungen zu den größten Ereignissen und tausendfältige Gespräche darüber, und dem zugleich ewigen Umhertreiben in der Gesellschaft, wo die Fürstin Bagration, Fürst von Ligne, die Gräfin Lanckoronska und unzählige Fremde und Durchreisende figurierten. Die Prinzessin Solms, Schwester der Königin von Preußen, vermehrte noch die Bewegung.«

»Die unruhigen Szenen dauerten bis zum 23. September. An diesem Tag fuhr ich mit dem Prinzen Louis von Dresden nach Töplitz, und von dort am 25. nach Eisenberg, wo der Fürst Lobkowitz eine Jagd gab und uns herrlich aufnahm. Der Fürst Karl Schwarzenberg (nachmaliger Feldmarschall), sein Bruder Ernst, Fürst von Ligne, die Fürstin Bagration und die Gräfin Sulkoff waren die Hauptpersonen der Gesellschaft. Am 26. abends um 8 Uhr, nachdem wir unter den Bäumen vor dem Schloß gespeist hatten, stieg der Prinz Louis zu Pferde und ritt das Gebirge hinunter nach Freiberg, um dort sein Kommando zu übernehmen. – Seit dieser Stunde sah ich ihn nicht wieder …«

Seltsam und wiederum an französische Grandseigneur-Stimmung vor der Katastrophe gemahnend berühren uns diese vorüberhuschenden Nebelbilder der Jagden, der Gartensoireen in weicher Herbstluft mit dem Wehen koketter Frauenröcke und mit dem Klang erlauchter Namen alter Rassen, dieser Rest glänzenden festlichen Daseins, bevor es ins Dunkle geht. Louis Ferdinandisch war das gewiß; und vielleicht empfand seine allen Ahnungen aufgetane Seele es symbolisch, wie er sich aus diesem Gesellschaftsbild dixhuitième siècle unter den Bäumen vor dem Schlosse löste und aus dem Windlichterschein hinaus in den Abend einsam seinem Schicksal entgegenritt.

Sehr ernsthaft schrieb er dann noch am 26. September in einem Brief vom Marsch aus:

»Ich hoffe, daß Ihr den 10. oder 12. – (der 10. Oktober wurde sein Sterbetag) – Nachricht erhalten werdet und daß vielleicht die ersten Schüsse gefallen sind. Nicht ohne lebhafte Bewegung kann ich an die nahenden Augenblicke denken und an den Kampf, der sich vorbereitet. Ich würde ihm ruhiger und heiterer entgegensehen, wenn die, denen die wichtigsten Sorgen anvertraut sind, mir mehr Vertrauen einflößten.«

Je näher er dem Kampf rückte – anfangs Oktober kam er nach Jena, dann schlug er im Rudolstadter Schloß Hauptquartier auf – je stürmischer und überschäumender wurde er.

Purpurstimmung raste in ihm, und sie trug ihn wie auf Flügeln im Schmuck der Orden und Stickereien und mit dem Federhut in das Gefecht mit dem weit überlegenen Gegner, in das Gefecht bei Saalfeld, das in dem taktischen Plan der Oberleitung nicht vorgesehen war. Noch einmal kann man hier an den Prinzen von Homburg denken, und auch ein Zeitzeuge, Rühle, schreibt in solchem Sinne in seinem Buche über den Feldzug von 1806, »daß Louis Ferdinand der Lust, sich mit dem Feind zu messen, nicht widerstanden habe.«

Louis Ferdinand setzte in jener Frühe des 10. Oktobers sein Leben ein und verlor es. Ein französischer Husar tötete den schon Verwundeten nach verzweifelter Gegenwehr durch zwei Stiche in die Brust. Der Hauptmann von Valentini und der Leutnant von Nostiz, jener lange Nostiz, stützten ihn. Dann sank er vom Pferde ins Gras, am Ufer eines Baches. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: »est-il possible?« Ihm gemäß klingen sie in jedem Fall, wären sie auch nur von der imaginären Wahrheit, die freilich manches Mal die höhere. Der Prinz war ja gewiß »in Bereitschaft«. Aber als das Spiel nun wirklich unwiderruflich aus sein sollte, erschien es ihm, dem erst Vierunddreißigjährigen, doch als unfaßbar. Bis zuletzt hatte er wohl heimlich an seine beiden Göttinnen la Gloire und la Fortune geglaubt, und nun schlug der Tod jäh den Finsternismantel um ihn, die Flattergestalten auf der Kugel verglitten ins Morgenrot, und so ward dem jäh Dahingerissenen, Unvollendeten der letzte Augenblick – nur ein bitteres Staunen …

 

VI.

Nachklänge …

Wie Balladenton hallt es dem Gefallenen nach. Und ganz in der Weise altritterlicher Mären ists, wie von dem Leibroß des Prinzen, als wärs ein Teil von ihm, gesprochen wird.

»Es war ein schönes englisches Pferd von besonderer Kraft«, erzählt Clausewitz. Prinz August, der Bruder Louis Ferdinands, der »das Aussehen eines französischen Generals ancien régime« hatte, ritt es bei dem Rückzug der Armee durch die sumpfigen Uckerbrüche. Das Blut seines Herrn klebte noch am Sattel. Das edle Tier sprang bei dem Versuch, sich aus dem Morast herauszuarbeiten, in die Ucker. Es wurde mit Mühe gerettet, und drei Jahre später, 1809, als Friedrich Wilhelm III. und Louise nach Berlin zurückkehrten, trug es Prinz August bei diesem Einzug. Achim von Arnim hat ihn farbig voll Augenblickseindruck festgehalten in einer Stimmung, die das Berlinisch-Bürgerliche mit dem Feierlichen mischt, ein Hosemannsches Kupfer: Handwerksmeister auf wild gewordenen Gäulen unter Paukenschlägen … ein untereinander sich kugelndes Gedränge bei beständigem Vivat. Tabak- und Raketenwölkchen … Luise im feuerfarbenen Wagen mit Silberbeschlag und sechs Braunen. Weiße Mädchen überreichen Blumen auf einem Kissen. Ein Stadtverordneter macht den Wagen auf, damit man die Königin besser sehen kann. Dann schiebt er ihr die heraushängenden Kleider herein und klappt die Tür wieder zu.

Voll Melancholie aber hatte Arnim, Bettinens Freund und dann ihr Mann, ihr ein Vierteljahr vorher über den Unvergeßlichen geschrieben. In der Dämmerung hörte er, wie im Hof ein blinder Mann mit einer Violine und seine Frau zur Zither das Lied auf Schill sangen. Es überwältigt ihn … »und da besoff ich mich in dem Schmerzenswein, ließ mir auch von Prinz Louis Tod und Kolberg singen, mitten unter Waschweibern, die ihre Wasserzuber verließen und die Hände in die Seite stellten«.

Am schwingendsten zittert jedoch die Erinnerung an Louis Ferdinand nach in dem Gefühl zweier Frauen, in Pauline und Rahel.

Pauline wurde sehr alt, sie lebte in Paris, heiratete 1828 mit neunundvierzig Jahren einen französischen Kapitän Vincent und schrieb in ihrem letzten Brief, Dezember 1849, an Varnhagen kurz vor ihrem Tode, als Witwe, von ihrem »reellen Magenglück«, les dernières jouissances de cette pauvre nature humaine …

An Rahel aber schreibt sie einmal: »seit zwei Tagen lese ich Prinz Louis Briefe. Gott, wie hat der geliebt«, und sie zitiert Goethes Verse:

Wahre Liebe ist die, die immer und immer sich gleich bleibt –
Wenn man ihr alles gewährt, wenn man ihr alles versagt.

Und öfters erkundigt sie sich nach den Kindern der Henriette Fromm.

Rahel ist nun auch müder geworden, sie wünscht vom weichen Element der Tage getragen zu werden.

Sie geht Pfingsten 1812 – es ist ihr »unseliger Geburtstag« – durch den Pappel-Lustgarten, von der jüngsten Schwägerin kommend, die nahe der Garnisonkirche wohnt, nach der einsamen Wohnung Behrenstraße 48, an der Friedrichstraße. Französische Soldaten exerzierten auf dem Platz. Der Frühling, die Wärme, die Luft überfiel sie zum erstenmal wieder. Und laut rief sie: Pauline, Pauline … In der Sehnsucht nach Paulinen bewahrte sie auch das Gefühl für den Prinzen; das hielt und hegte sie als Dauerwert. Und aus ihren Gedächtnisbriefen heben wir als Reliquie und Opferspende das letzte Wort über Louis Ferdinand, »die feinste Seele, von fast niemand gekannt; wenn auch viel geliebt und viel verkannt«:

»Er war der menschlichste Mensch …«

 


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