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Um den Süden Italiens kämpften, in der Auflösungsperiode des römischen Reichs, Griechen, Langobarden und Sarazenen wechselseitig. Ein solches Chaos zu entwirren und die herrlichen Länderstrecken, welche wir gegenwärtig unter dem Namen der beiden Sicilien begreifen, in ein Reich zu vereinigen, war normannischen Abenteurern vorbehalten, Graf Roger, dessen Vater die Insel Sicilien erobert, dessen Oheim den morgenländischen wie den abendländischen Kaiser besiegt hatte, setzte in Palermo im Jahre 1130 die Königskrone auf sein Haupt. Er und seine Vorfahren hatten sich der Päpste, die öfters als Gefangene in ihrer Gewalt und denen sie völlig überlegen waren, zur Bestätigung ihrer Rechte bedient; ja, sie hatten, unscheinbare Förmlichkeiten gering achtend, die eroberten Provinzen als Lehen aus den Händen der Statthalter Christi empfangen wollen. Schwer jedoch büßten die unterworfenen Länder und alle nachfolgenden Könige bis in die späteste Zeit die Gestattung kirchlicher Ansprüche, und in demselben Zeitpunkte, in welchem jene Königreiche gegründet wurden, ward auch der Same zu ihrem Verderben, zu ewigen Kriegen, zu Umwälzungen ohnegleichen ausgestreut.
Vier und sechzig Jahre nach der Krönung Rogers regierten er und sein Stamm. Seine nachgeborene Tochter Konstanze brachte die Krone an das schwäbische Kaiserhaus, nicht ohne blutigen Zwiespalt der Parteien und eine mit Greueln befleckte Eroberung. Zwei und siebzig Jahre, bis zur Schlacht von Benevent, dauerte die Herrschaft der Deutschen. Die Päpste hatten den Bruder des Königs von Frankreich, Karl von Anjou, mit beiden Sicilien belehnt; er kam, die Hohenstaufen unterlagen ihm, und er vertilgte das Geschlecht. Seine Regierung jedoch war verhängnisvoll. Zwei Jahre vor seinem Tode (1282) verlor er Sicilien, das seine Nachfolger vergeblich wieder zu erobern suchten. Verzweifelnd und seinen einzigen Sohn in der Gefangenschaft seiner Todfeinde zurücklassend, starb er.
Glücklicher war die Regierung Karls II., durch zahlreiche Nachkommenschaft gesegnet. Ungarn erbte er durch seine Gemahlin und ließ seinen ältesten Sohn, Karl Martell, der jedoch früh verstarb, zum dortigen König krönen. Ihm folgte in Neapel sein zweiter Sohn Robert, mit Uebergehung Caroberts, des Sohnes Karl Martells. Vier und dreißig Jahre, mit großem Ansehn und als Hort aller Welsen in Italien, herrschte König Robert. Dem raschen Tode Kaiser Heinrichs VII. und der Schwäche Ludwigs des Bayern verdankte er seine Größe. Er mußte jedoch den eigenen Sohn überleben und ernannte zur Nachfolgerin seine Enkelin Johanna, die er mit Andreas, dem Sohne Caroberts von Ungarn, verlobte. Zwei Jahre nach seinem Tode ward Andreas, als Ausländer verhaßt, durch neapolitanische Barone ermordet. Dessen älterer Bruder Ludwig, König von Ungarn und Polen, fällt in Neapel ein, um den Tod des Andreas, den er der Königin aufbürdet, zu rächen. Johanna entflieht nach der Provence, dem Erblande der Anjou, zu Papst Clemens VI., der dort seinen Hof hielt. Ihm verkauft sie aus Geldnot Avignon. Nach Ludwigs Abzug wird sie nach Neapel zurückgerufen, wo sie mild und weise herrscht, die Zügel der Regierung selbst führend, wiewohl sie sich, nach dem Wunsche des Volks, noch dreimal vermählt. Das letzte Mal mit Otto von Braunschweig im Jahre 1376. Dieser hatte sich im nördlichen Italien, durch die Vormundschaft der jungen Fürsten von Monserrat, einen ehrenvollen Namen erworben und war, schon seiner Familie nach, ein Welfe. Aber furchtbare Mißgriffe, die unabsehliches Elend über Neapel brachten, bezeichnen die letzten Regierungsjahre der Königin Johanna; und wenn unsre nachfolgende Erzählung nicht unverständlich bleiben soll, so müssen wir hier die damaligen Zustände Italiens näher betrachten.
Seit 1305 war durch den Einfluß des Königs von Frankreich der Sitz der Päpste in Avignon. Die römischen Provinzen gerieten dadurch in Verfall, und die Sitten der Geistlichkeit verwilderten so sehr, daß der Unwille allgemein ward. Da geschah es im Jahre 1875, während der Regierung Gregor XI., daß die meisten Städte des Kirchenstaates sich empörten, teils die Freiheit wiederherstellten, teils unter die Gewalt kleiner Oberherrn sich schmiegten. Gregor sandte mit einem Söldnerheere den Kardinal von Genf, der sich jedoch unerhörte Grausamkeiten erlaubte. Nun erschien Gregor selbst, starb aber bald, indem er alles in der größten Verwirrung zurückließ. Die Kardinäle, meist Franzosen, versammelten sich im Konklave. Das römische Volk, im stürmischen Anlauf, forderte einen einheimischen Papst. Sie erwählten den Erzbischof von Bari, der den Namen Urban des Sechsten annahm, ein Charakter von unerbittlicher Strenge und herrisch bis zur Unbändigkeit. Den Lebenswandel der Kardinäle zu verbessern, war sein erstes Geschäft, Unzufriedenheit von Seite der letzteren dessen Folge. Die Franzosen sehnten sich nach Avignon zurück; König Karl V. sah einen römischen Papst höchst ungern. Otto von Braunschweig war von seiner Gemahlin an Urban gesandt worden, ihm ihre Unterwürfigkeit zu bezeugen. Allein sei es weil Johanna früher, im Bunde mit den Florentinern, den Aufruhr im Kirchenstaat unterstützt hatte, sei es, weil sie auf Beschränkung der Geistlichkeit antrug und gegen ihren ehemaligen Unterthan höhere Ansprüche für erlaubt hielt, sei es, aus was immer für Ursache, der Papst behandelte den Herzog hochfahrend und beleidigend, ja, er soll geäußert haben, daß er die Königin ins Kloster von S. Clara schicken wolle, um dort zu spinnen. Was Wunder also, wenn Johanna, als die französischen Kardinäle in Fondi, unter dem Vorwand, daß ihre Wahl in Rom durch den Pöbel erzwungen worden sei, den Papst in den Bann thaten und statt seiner den Kardinal von Genf unter dem Namen Clemens VII. erkoren, was Wunder, wenn sie zugleich mit Frankreich dem Gegenpapst huldigte? Bald aber mußte sie ihres Irrtums, den sie mit Krone und Leben bezahlte, gewahr werden. Nicht einmal in Neapel, wo sie ihn festlich empfing, war Clemens imstande, sich zu behaupten; das Volk stand wider ihn auf, und er war gezwungen, sich nach der Provence zu flüchten. Was frommte ihr ein ferner und machtloser Beschützer gegen einen nahen und unversöhnlichen Feind?
Durch Verkauf der Kirchengüter bereitete sich Urban Hilfsmittel, ja, er verwandelte sogar die silbernen und goldenen Geräte, Kelche, Kreuze und Heiligenbilder in klingende Münze. Hierauf wandte er sich an den vermutlichen Thronerben Neapels, Karl von Durazzo; denn Johanna war kinderlos. Dieser, ein Abkömmling Karls II., befand sich lange in Ungarn und that Kriegsdienste bei seinem Oheim, der ihn nach Italien geschickt hatte, um an jenem berühmten Kriege teilzunehmen, in welchem Venedig von den Genuesern so hart bedrängt wurde. Jenen Karl nun berief Urban nach Rom und krönte ihn zum Könige von Neapel im Jahre 1381.
Johanna, die keinen andern Stützpunkt als Frankreich hatte, ernannte Ludwig von Valois zu ihrem Nachfolger und bat ihn um Beistand. Dieser Schritt bereitete dem Lande Jahrhunderte langes Verderben, und brachte es zuletzt in die Hände der Könige von Frankreich und Spanien. Auch gereichte er der Königin nicht zum Heil; denn Ludwig ward durch den Zustand, in welchem sich damals Frankreich befand, und durch den Tod seines Bruders Karl V. abgehalten, ihr schleunige Hilfe zu gewähren. Unterdessen rückte Karl von Durazzo vor. Otto von Braunschweig stellte sich ihm an der Grenze entgegen; doch bei der geteilten Stimmung seines Heeres mußte er sich zurückziehen. Verräter öffneten Karl die Thore von Neapel, die Königin zog sich ins Castel nuovo zurück. Aber die dazu Beauftragten hatten verabsäumt, es mit Lebensmitteln zu versehen. Otto wagte noch eine Schlacht; er ward verwundet und gefangen, das Heer zerstreut, und Johanna kapitulierte. Sechs Tage später kam der Graf von Caserta mit zehn Galeeren aus Frankreich, um die Königin zu entsetzen. Ludwig von Valois bemeisterte sich jedoch der Provence, welche seinen Nachkommen verblieb und nie mehr mit Neapel vereinigt wurde. Im folgenden Jahre sammelte er ein bedeutendes Heer und rückte in Italien ein. Karl III., so nannte sich jetzt der neue König, wandte alles an, um Johanna für sich zu gewinnen. Er vergönnte ihr, mit den Befehlshabern der provençalischen Galeeren zu sprechen, um diese zur Unterwerfung aufzufordern. Aber Nachgiebigkeit lag nicht im Charakter dieser an Geist wie an äußerer Gestalt großartigen, an Herrschaft gewöhnten Frau. Sie erklärte den Provençalen, Karl von Durazzo, von ihr einst mit Wohlthaten überhäuft, sei der schnöde Räuber ihrer Krone, ihr einziger Erbe Ludwig, dem zu gehorchen sie sie feierlichst beschwöre. Sie selbst betrachte sich als tot, und nur ihres Leichenbegängnisses eingedenk zu sein, bitte sie die Getreuen. Hierauf ließ sie der König auf eines seiner Schlösser in der Provinz Basilicata führen und erwürgen. Dies geschah im Jahre 1882. Ihr Leichnam ward nach Neapel gebracht und öffentlich ausgestellt. In Clara liegt sie begraben.
Wir können nun das Folgende kürzer zusammenfassen, Um uns dem eigentlichen Anfangspunkte unserer Erzählung zu nähern. Nur wenige und sehr stürmische Jahre genoß Karl III. seines Triumphs. Ludwig von Valois eroberte Apulien, starb jedoch unverhofft nach der Einnahme von Bisceglia, zum großen Glück seines Gegners. Dieser hatte sich unterdessen mit Urban VI. völlig entzweit. Dem Neffen des letzteren, Namens Butillo, hatte er früherhin Capua, Nocera und Amalfi versprochen, und der Papst kam nun nach Neapel, um den König an seine Zusage zu mahnen. Butillo jedoch, ein Wüstling, war in ein Frauenkloster eingedrungen und hatte dort einer Nonne Gewalt angethan, worauf er, nach den bestehenden Gesetzen, zum Tode verurteilt wurde. Der Papst sprach ihn los, entschuldigte den Vierzigjährigen mit seiner Jugend und bestand auf Abtretung der Fürstentümer, worauf er sich selbst mit seinem Neffen nach Nocera begab. Karl, des Papstes Ränke fürchtend und besorgend, daß er dem Butillo das ganze Reich in die Hände spielen wolle, wünschte ihn außer Landes oder unter seinen Augen in Neapel. Heftige Streitigkeiten entstanden, und Urban belegte Neapel mit dem Interdikt, dem jedoch keine Folge geleistet ward. Nun ließ Karl durch seinen Feldhauptmann, Alberigo da Barbiano, Nocera belagern, und der Papst verfluchte den König täglich dreimal. Ersterm gelang es jedoch, zu entwischen, und in Salern ging er auf genuesischen Schiffen zur See.
Schon früher war in Ungarn König Ludwig gestorben. Er hinterließ zwei Töchter, wovon die eine Polen erhielt, die andere von den Ungarn erwählt wurde, die ihr den Titel »König Maria« gaben. Karl III. jedoch glaubt nähere Ansprüche an das Reich seines Oheims zu besitzen, und kaum ist er des päpstlichen Besuchs entledigt, so begibt er sich jenseits des adriatischen Meers; und da er als schon Bekannter auftritt und den meisten männliche Herrschaft wünschenswert scheint, so findet er großen Anhang und wird in Buda gekrönt. Aber die Königinnen (denn Ludwigs Witwe lebte noch), die zuerst in verstellter Freundlichkeit ihn als Beschützer bewillkommten, verrieten ihn. In ihrer Gegenwart ward er erstochen (1386).
Groß hierüber war die Bestürzung seiner Gemahlin Margarete in Neapel, die sich mit zwei unmündigen Kindern, Ladislaus und Johanna, allein sah. Der französische Anhang erhob sich mächtiger als je, und an die Venetianer, die sie beleidigt hatte, verlor Margarete Durazzo und die Insel Corfu. Bald darauf mußte sie auch Neapel, das von den Häuptern der provençalischen Partei, den Sanseverinen und Otto von Braunschweig erobert wurde, verlassen. Sie zog sich mit ihren Kindern nach Gaeta zurück, wo sie eine Reihe von Jahren verblieb. Ludwig II., Sohn des in Apulien verstorbenen Valois, wurde ins Land entboten. Er schickte einstweilen den Herrn von Montjoie mit einem Heere, den er zum Vicekönig ernannte. Dieser hatte jedoch zu wenig Geschmeidigkeit und entfremdete sich die Barone. Selbst der Braunschweiger, der sich zurückgesetzt fand, spielte den Condottiere und ging später zu der Partei des Ladislaus über. So lange Papst Urban lebte, verhielt sich dieser ebenso feindlich gegen das Haus Durazzo als gegen die Franzosen; als jedoch Bonifaz IX. im Jahre 1389 den apostolischen Thron bestieg, erklärte er sich offen für Ladislaus, da Ludwig II. durch den Gegenpapst belehnt worden war. Dieser letztere starb 1394, und an seiner Stelle wurde in Avignon ein Spanier, Benedikt XIII., gewählt.
Es gehört nicht zu meiner Aufgabe, die wechselnden Kriegsfälle zu beschreiben, die zwischen Ludwig von Valois, der seinen Sitz in Neapel hatte, und dem nun herangewachsenen Ladislaus stattfanden. Ueberdies leiden die Geschichten dieser Epoche an Verworrenheit, da sich an einheimischen und gleichzeitigen Berichterstattern ein großer Mangel zeigt. So viel ist klar, daß die provençalische Partei sich von Jahr zu Jahr verkleinerte und endlich durch den Abfall der mächtigen Sanseverinen den letzten Stoß erhielt. Ladislaus eroberte die Hauptstadt 1400, und Ludwig schiffte sich in Tarent nach Frankreich ein.
Vier Jahre später, durch das Beispiel seines Vaters ungewarnt, machte Ladislaus einen Kriegszug nach Ungarn; doch war ihm der Anhang Sigismunds (Gemahls der Königin Maria und nachmaligen Kaisers) überlegen, und Ladislaus mußte sich zurückziehen. Bloß Zara behielt er und verkaufte es im Jahr 1409 an die Venetianer.
Desto mehr beschäftigten ihn die Angelegenheiten Italiens. Er hatte, wie mehrere Herrscher der damaligen Zeit (vor allen Gian Galeazzo Visconti), den Gedanken gefaßt, sich zum König der ganzen Halbinsel auszuwerfen, ja, die Kaiserkrone schwebte ihm vor, und sein Wahlspruch war: »Aut Caesar aut nihil.« Sein Augenmerk hatte er vorzüglich auf Rom gerichtet, und die Gelegenheit schien günstig. Schon 1404, bei der Wahl Innocenz VII., hatte er sich der Engelsburg bemächtigt, mußte sie aber, als der Papst sich mit den Römern aussöhnte, wieder preisgeben. Auf Innocenz folgte Gregor XII. Da dieser jedoch, trotz des lebhaften Wunsches der ganzen Christenheit, mit dem Gegenpapst Benedikt zu keiner Verständigung gelangen konnte, so versammelten sich 1409 die Kardinäle in Pisa und erwählten einen Kandioten, Alexander V., welchem bald der in damaliger Zeit so berüchtigte Balthasar Coscia, unter dem Namen Johann XXIII., nachfolgte. Deshalb gaben nun aber Gregor und Benedikt ihre Ansprüche keineswegs auf; Ladislaus nahm den erstem in Schutz, eroberte unter diesem Vorwande den größten Teil des Kirchenstaats und drang bis Cortona und Siena vor.
Da kam Ludwig von Valois mit einem Heere noch einmal nach Italien. Im Bündnis mit den Florentinern machte er den Paolo Orsino, des Ladislaus Feldhauptmann, von jenem abtrünnig, und unter dessen Anführung ward Rom im Namen Alexanders erobert. Zwei Jahre später erfolgte die Schlacht bei Roccasecca, in welcher Ladislaus gänzlich geschlagen wurde. Da er jedoch einen Separatfrieden mit den Florentinern schloß und die Genueser, die sich der französischen Herrschaft kurz vorher entzogen (daher den Franzosen sich feindlich zeigten), einen glücklichen Seekrieg für ihn führten, da endlich Ludwig durch gänzlichen Geldmangel gelähmt war, so ward jene Niederlage zum Sieg, und Ludwig ging in die Provence zurück. Johann XXIII. mußte den Frieden mit Geld erkaufen, und dafür verjagte Ladislaus den Papst Gregor, der sich bei ihm niedergelassen, aus seinen Staaten.
Ladislaus jedoch hatte das Geld, nicht den Frieden gewollt. Im Jahr 1413 ließ er seinen Feldhauptmann Sforza in die Mark Ancona einfallen, und den Tartaglia, einen andern Condottiere, schickte er nach Rom, wo er später selbst, unter glänzenden Festen, seinen Einzug hielt. Johann XXIII. hatte sich zuerst nach Florenz, dann nach Bologna zurückgezogen, und da er eines Bundesgenossen bedurfte, so wandte er sich an den Kaiser Sigismund, der damals in Krieg mit den Venetianern verwickelt war. Er wußte den Kaiser, der vor allem das Ende der Kirchenspaltung wünschte, durch den Vorschlag eines allgemeinen Konzils zu gewinnen und traf mit ihm in der Lombardei zusammen. Das Konzil wurde, gegen die Meinung des Papstes, in Costnitz ausgeschrieben. Johann hatte Ursache, seinen voreiligen Schritt zu bereuen; denn bald darauf erfuhr er den Tod seines Feindes, des Königs Ladislaus. Dieser, der in beständigen Ausschweifungen lebte, ward in Perugia durch ein Mädchen vergiftet. Er ließ sich unter großen Schmerzen zuerst nach Rom, dann ins Castel nuovo zu Neapel tragen, wo er im August l414 verschied. Da die Lustseuche in damaliger Zeit noch unbekannt war, so hielt man es für ein künstliches Gift, das der Vater jenes Mädchens, ein Arzt, ans Anstiften der Florentiner, seiner eigenen Tochter beigebracht haben sollte. Ladislaus starb im acht und dreißigsten Jahre seines Alters, der letzte männliche Sproß des Hauses Anjou.
In Neapel ward nun des Verstorbenen Schwester, drei Tage nach dessen Tode, zur Königin ausgerufen. Johanna II., so nannte sie sich, war früher an Wilhelm von Oesterreich, Sohn Leopolds III., vermählt gewesen; nach dem Tode ihres Gemahls, dem sie keine Kinder gebracht hatte, kehrte sie in ihr Vaterland zurück. Bei ihrer Thronbesteigung fuhr sie, die Krone auf dem Haupte, durch die Stadt, ließ Geld unter das Volk streuen, befreite alle, die sich in den Gefängnissen befanden, und verzieh den abgefallenen Baronen, was bei der Durazzischen Partei keine gute Wirkung hervorbrachte. Mazella, Vite dei Rè di Napoli
Unverweilt nach ihrem Regierungsantritt erschien Sforza Attendolo an ihrem Hofe, unter den Feldhauptleuten des verblichenen Königs der angesehenste. Da er eine Hauptrolle in der nachfolgenden Erzählung spielt, so gereicht es vielleicht den Lesern zur Aufklärung, aus seiner frühern Geschichte das Wichtigste zu vernehmen. Sforza ist uns zugleich als ein Musterbild des damaligen Condottierencharakters und als Stammvater eines berühmten Fürstengeschlechts merkwürdig.
Jakob Mutius degli Attendoli kam im Jahre 1369 zu Cotignola, einem Städtchen bei Faenza, zur Welt. Seine Familie war begütert und angesehen, ohne vornehm zu sein. Einundzwanzig Kinder hatte seine Mutter geboren, und der strenge Charakter dieser Frau hatte die Knaben frühe an geringe Kost, an Abhärtung und soldatische Uebungen gewöhnt, so daß das Haus der Attendoli eher einem Waffensaale als einem Wohngebäude gleich sah. Jovius, Vita Sfortil. Da habe nun einmal, so wird erzählt, der junge Mutius, den Kopf voll kriegerischer Träume, im Garten seines Vaters mit dem Karst gearbeitet; aber des bäurischen Geschäfts müde und vom Himmel sich einen Schicksalswink erflehend, habe er die Hacke nach einem hohen Eichbaum geschleudert. Falle sie herab, so solle er seine Feldarbeit fortsetzen, bleibe sie hangen, so sei er zu Kriegsdiensten bestimmt. Die Hacke jedoch blieb in den Zweigen hängen, und der junge Mutius griff zu den Waffen. Von vielen wird diese Geschichte bezweifelt, wiewohl sie von Sforza selbst in einem Witzwort, das man ihm beilegt, anerkannt und von seinen Nachkommen geglaubt wurde. Wie dem auch sei, er entfloh in seinem dreizehnten Jahre mit einem Pferde aus dem väterlichen Hause, und der erste Feldhauptmann, unter welchem er diente, war Boldrino, ein Mann, der eines so großen Rufs bei seinen Truppen genoß, daß diese sogar seinen Leichnam einbalsamierten, auf allen Kriegszügen mit sich führten und jedesmal im Lager ein eignes Zelt für ihn aufschlugen; denn sie hielten auch seine Hülle noch für die beste Gewähr des Siegs.
Später begab sich Sforza unter die ersten Feldherrn seiner Zeit, den Giovanni Acuto, wie er von den Italienern genannt wird Er hieß Hawkwood. und den Alberigo da Barbiano, Großkonnetabel von Neapel. Durch letztern erhielt er wegen seiner Hartnäckigkeit bei Gelegenheit einer Beuteverteilung den Beinamen Sforza. Dem erstem eiferte er vor allen andern nach und bewunderte ihn besonders deshalb, weil er, ein Fremdling und aus einer barbarischen Insel stammend, durch Klugheit und Tapferkeit zu so hohen Ehren gelangt war, daß selbst ein Visconte ihm seine Tochter antraute und die florentinische Republik ihn mit Reichtümern überhäufte, ja, nach seinem Tode sein Andenken durch eine Reiterstatue ehrte, welche letztere noch heutzutage im Dom von Florenz vorhanden ist.
In jene Jugendzeit fällt auch Sforzas Freundschaft mit Braecio da Montone aus dem Peruginischen, einem der größten Kriegshelden jener Epoche. Viele Jahre hindurch schienen beide unzertrennlich; Waffen, Pferde und Gefahren waren gemeinschaftlich, selbst Farben und Abzeichen. Wir werden im Laufe dieser Geschichte sehen, wie ein so langdauernder Bund zerrissen ward.
Wir finden sodann Sforza zuerst als Anführer von den Peruginern gewählt, die ihre Freiheit gegen Gian Galeazzo Visconte verteidigten. Die Stadt unterlag; Galeazzo jedoch, der Sforzas Verdienste zu schätzen wußte, nahm ihn in seinen Sold, entließ ihn aber nach kurzer Zeit, weil er ihm als Welse verdächtig schien. Hierauf begab sich dieser zu den Florentinern, welche im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts den Kaiser Ruprecht von der Pfalz nach Italien riefen, um ihnen gegen den Visconte beizustehn. Jenem stellte sich Sforza mit seiner Schar im Paduanischen vor. Der Kaiser bewunderte die schöne Haltung der Truppen, sowie des Anführers Gewandtheit als Reiter, und bemerkend, daß Sforza (auf den Namen seiner Vaterstadt anspielend) eine Quitte im Schilde führte, sagte er ihm: »Ich will dir einen Löwen beilegen, der deinen Apfel hält.« So entstand das Wappen der Sforza. Cribellus, Vita Sforti. Jovius, I. α
Als im Jahre 1402 Gian Galeazzo, dem sich die Florentiner widersetzten, Bologna eroberte, ward Sforza durch die feige Flucht Tartaglias, der neben ihm eine Schar befehligte, gefangen; Alberigo da Barbiano jedoch, Galeazzos damaliger Feldhauptmann, entließ ihn, und mit dreihundert Reitern, denen man ebenfalls Pferde und Waffen abgenommen, kehrte er zu Fuß über die Apenninen nach Florenz zurück. »Wir haben tapfer gefochten,« sagte er zu den Vorstehern der Republik; »aber das Glück war uns abhold. Gebt uns Pferde und Waffen, und unsere Anstrengungen werden eurem Vertrauen entsprechen.«
Bald nach der Einnahme von Bologna starb der Visconte. Seinem natürlichen Sohne Gabriel (der später in Genua enthauptet wurde) hatte er Pisa hinterlassen. Dieser verkaufte es an die Florentiner; die Pisaner jedoch waren keineswegs damit einverstanden, und es entspann sich ein Krieg, in welchem die seit ältester Zeit so berühmte und als Königin der Meere begrüßte Republik zu Grunde ging. Hier leistete Sforza den Florentinern so wichtige Dienste, daß sie ihm nicht nur die Lorbeerkrone zuerkannten, sondern auch ihm einen Sold von jährlichen 500 Liliendukaten aussetzten. Als hierauf Florenz einige Friedensjahre genoß, trat er in die Dienste des Beherrschers von Ferrara, Nikolaus von Este. Dieser war in einen Krieg mit Ottobono Terzo verwickelt, welcher letztere, früher ein Feldhauptmann Gian Galeazzos, nach dessen Tode sich Parmas bemächtigt hatte. Ottobono, durch Sforza gedrängt, wünschte den Frieden, doch wahrscheinlich nur, damit Nikolaus seine Söldner entlassen und desto wehrloser erscheinen möge. Eine Zusammenkunft beider Fürsten ward verabredet, unterblieb aber, da Nikolaus durch Ottobons Boten gewarnt wurde. Bald darauf fiel Ottobono in die Hände der Sforzesken und wurde von Michael Attendolo niedergestoßen. Cribellus. (1409.) Michael war nämlich früher mit andern Gefährten in Ottobons Gefangenschaft geraten, und dieser hatte sie sämtlich in Ketten legen und den ganzen Winter hindurch jede Nacht nackend ausziehn und mit kaltem Wasser begießen lassen. Einige schreiben Ottobons Tod dem Sforza selbst zu. Wie dem auch sein mag, so viel ist gewiß, daß diese Todesbotschaft von Ottobons Unterthanen mit Jubel aufgenommen wurde. Als sein Leichnam nach Modena gebracht ward, zerriß ihn das Volk, und einige aßen von seinem Fleische.
Nachdem Sforza für die Estenser Parma erobert hatte, kehrte er zu den Florentinern zurück und wohnte noch in demselben Jahre der Einnahme von Rom unter Ludwig von Valois bei. Auch die Schlacht von Roccasecca wurde durch ihn entschieden, und Johann XXIII., in dessen Sold er stand, seit die Florentiner sich mit Ladislaus ausgeglichen, verlieh ihm Cotignola, seine Vaterstadt, worüber Sforza die reinste Freude empfand. Schon früher hatte er sich manche Besitzung erworben. Nikolaus hatte ihm Montecchio, ein Schloß im Parmesanischen, geschenkt, und durch seine erste rechtmäßige Gemahlin, eine Saneserin aus dem berühmten Geschlecht der Salimbeni, besaß er die Stadt Chiusi und einige andere Kastelle in Toscana. Jovius.
Wegen der Beleidigungen und beständigen Nachstellungen des Paolo Orsino verließ Sforza Rom und trat später in den Dienst des Königs Ladislaus, nachdem er sich feierlich vom Papste losgesagt und dessen Sold zurückgewiesen hatte. Johannes war jedoch hierüber so sehr erbittert, daß er ihn, nach damaliger Sitte, am rechten Fuß aufgehenkt malen ließ, zugleich mit einer ehrenrührigen Inschrift, in der ihm seine niedrige Abstammung vorgeworfen ward, Antonino Petri, Diarium Romanum ab anno 1404-1417. Ladislaus empfing ihn freundlich; aber da dieser König die Condottieren, deren er sich nur aus Not bediente, haßte, so mußte Sforza seinen ältesten Sohn Francesco (den er mit einer Beischläferin erzeugt hatte) aus Ferrara, wo er Edelknabe bei dem Estenser war, kommen lassen, und Ladislaus behielt denselben als Geisel, wiewohl er ihn, den damals zwölfjährigen Knaben, zum Grafen von Tricarico ernannte.
Als Ladislaus gestorben war, eilte Sforza nach Rom; doch konnte er die Stadt gegen den allgemeinen Volksaufstand nicht behaupten. Bloß Ostia, Civita Vecchia und die Engelsburg erhielt er im Gehorsam der Königin, zu welcher er sich, wie bereits erwähnt worden, nach Neapel begab. Den Befehl der Truppen im Römischen hatte er dem Micheletto, einem Verwandten, übertragen.
Johanna II., bereits im fünfundvierzigsten Jahre ihres Alters, trug keine jener Eigenschaften in sich, die einen Herrscherberuf beurkunden. Da sie an den Männern eigentlich nichts liebte als das Geschlecht, so fehlte ihr der weibliche Scharfblick anderer auf den Thron berufener Frauen, welche die tüchtigsten Charaktere leicht zu unterscheiden und an die Spitze zu stellen imstande sind. In Vergnügungen und Hoffesten hatte sie bisher gelebt, geheimen Lieblingen ihre Gunst geschenkt. Aber weil bei verborgener Neigung die Gefahr um so größer, die Entdeckung um so leichter scheint, je höher der Gegenstand gestellt ist, zu dem sie sich erhebt, so hatte die Fürstin, Vornehmere zurückweisend, ihre Blicke auf einen Diener des Hauses, den Mundschenken Pandolfello Alopo geworfen, einen damals sechsundzwanzigjährigen Jüngling von ausgezeichneter Körperschönheit, der ihr bereits als Knabe nach Oesterreich gefolgt war. Cronica di Napoli im 4. Band der Raccolta dei storici Napoletani Als jedoch Ladislaus gestorben, konnte sie der Versuchung nicht widerstehn, den Geliebten zu erhöhen. Bald sah sich Pandolfello als Großkämmerer im Besitz eines der ersten Kronämter, und sein Wille ward auch der Wille der Königin. Bedeutend war hierüber die Entrüstung des Adels. Der Partei Durazzo, den Vertrauten des verstorbenen Königs, verdankte Johanna den Thron, und der nächste Platz an demselben ward einem Manne vergönnt, den sie als Knecht verachteten.
Maßregeln gegen die Barone schienen notwendig, und Johanna begann mit der Witwe ihres Bruders, deren Einfluß, durch große Besitzungen verstärkt, sie fürchtete. Denn Maria besaß durch ihren ersten Gemahl, Raimund Orsino, das Fürstentum Tarent nebst andern Ländereien. Als sie sich daher nach Lecce begeben wollte, ward sie samt ihren Kindern erster Ehe in Castel nuovo, wiewohl in ehrenvoller Gefangenschaft, zurückgehalten. Die Reihe kam nun an Sforza, der als Gebieter eines Heers vor allem gefährlich schien, sei es, daß man ihn wegen seiner Verbindung mit den Baronen in Verdacht hielt, sei es, wie viele Erzähler jener Begebenheiten behaupten, aus persönlicher Eifersucht Alopos. Wohl mochte Sforza, wenn auch bei vorgerücktem Alter, durch seine hohe Gestalt, seine kriegerische Haltung und den Reiz, den der Ruhm verleiht, die Aufmerksamkeit der Königin fesseln, und als einmal Alopo beide in einem scherzhaften Gespräche begriffen fand, worin Johanna dem Feldhauptmann wegen seiner Witwerschaft Vorwürfe machte, so säumte er nicht, letztern des Einverständnisses mit dem unzufriedenen Adel bei der Königin anzuklagend. Constanzo, Storia di Napoli Diese verlieh dem Großkämmerer zu jeder nötigen Vorkehrung Vollmacht, und als Sforza am nächsten Morgen ins Castel nuovo kam, um die Königin zu sprechen, so wurde ihm gemeldet, sie befinde sich im Turm Beverella. Dort aber ward er festgehalten und in die unterirdischen Kerker gebracht, in denen sich bereits sein Todfeind, Paolo Orsino, befand. Diesen nämlich hatte Ladislaus, kurz vor seinem Ende, unter friedlichem Vorwand in seine Gewalt gebracht und dessen Hinrichtung befohlen, welche jedoch durch das Ableben des Königs hintertrieben wurde.
Die Festnehmung Sforzas steigerte noch mehr die Verstimmtheit der Barone. Die Grafen von Gerace und von Troja, nebst andern Edelleuten, begaben sich zur Königin, über ein so rechtswidriges und ohne Befragung der Staatsräte begonnenes Verfahren Beschwerde führend und auf eine gerichtliche Untersuchung antragend, der sich auch die Königin nicht widersetzte. Sie machten auf die Gefahren des ganzen Landes aufmerksam, welche aus einer Vereinigung der Sforzeskischen und Orsinischen Heerhaufen, die ihre Führer zu befreien strebten, erfolgen könnten, und vor allem wiederholten sie ein schon früher geäußertes Verlangen, daß Johanna durch die Wahl eines Gemahls sich selbst eine Stütze, dem Reiche Beruhigung und wo möglich einer uralten und seit anderthalbhundert Jahren in Neapel herrschenden Dynastie Nachkommen verschaffen möchte. Constanzo.
Vieler Fürstensöhne wurde gedacht, und aus Aragonien war bereits ein Gesandter gegenwärtig, der um die Hand der Königin für Don Juan, den zweiten Sohn König Ferdinands, werben sollte. Eine solche Verbindung schien von allen die vorteilhafteste. Denn die Aragonesen waren im Besitze von Sicilien; von ihnen konnte man im Falle eines Kriegs schleunige Hilfe, ja vielleicht die Wiedererwerbung jener schönen Insel erwarten. Ein Rechtsgelehrter und ein Geistlicher wurden nach Spanien abgeschickt und in Valencia ein Vertrag abgeschlossen. Als aber Johanna erfuhr, daß der Prinz erst achtzehn Jahre zähle, zeigte sie sich völlig abgeneigt, sei es aus Scham, sei es, weil Pandolfello einen so jugendlichen Nebenbuhler scheute. Nicht dem Don Juan war Neapel bestimmt, wohl aber einst seinem Sohne, Ferdinand dem Katholischen, nachdem fast ein Jahrhundert verstrichen war und das unglückliche Reich mehr als ein Herrschergeschlecht hatte zu Grunde gehn sehn.
Die Wahl der Königin fiel endlich auf Jakob Bourbon, Graf von Marche, mit der herrschenden Familie Frankreichs verwandt und in männlichen Jahren. Je mehr hierüber die Barone ihre Zufriedenheit an den Tag legten, desto mehr fürchtete Pandolfello. Daß der künftige Gemahl der Königin im Bunde mit dem Adel ihn leicht unterdrücken würde, schien vorauszusehen, und er wandte sich daher an den einzigen Verbündeten, dessen Beistand von Gewicht sein und dessen Wohlthäter er werden konnte. Er stieg in Sforzas Kerker hinab, und diesen seiner Freundschaft versichernd und jede Schuld in Bezug auf dessen Gefangenschaft von sich abwälzend, behauptete er, für dessen Befreiung beständig gewirkt zu haben. Diese sei jedoch nicht ihm selbst, wohl aber seiner Schwester Katharina Alopa gelungen, welche bei der Königin in großer Gunst stehe. Von Sforza hänge es nun ab, die Haft zu verlassen, den Titel eines Großkonnetabels und einen bedeutenden Sold für seine Truppen in Empfang zu nehmen, und zugleich biete er ihm seine Befreierin mit reichlicher Mitgift zum Weib an. Sforza ging diese Bedingungen, die für einen hoffnungslos Gefangenen glänzend waren, ein und trat in die ihm übertragene Würde.
Nie konnte der Königin seine Hilfe erwünschter sein als eben damals; denn die Stadt Aquila befand sich im Aufruhr, und mehrere Barone zeigten widerspenstige Gesinnungen. Sforza zog nach Aquila, und in kurzer Zeit gelang es ihm, alles zu beruhigen. Die Aquilaner wurden bei einem Ausfalle, den sie wagten, gänzlich geschlagen, und Sforza bemächtigte sich der Stadt, die er jedoch nur mit Vergessenheit alles Vergangenen bestrafte. Cribellus. Der Graf von Fondi und der Herzog von Sessa sahen sich beim Herannahen des siegreichen Feldherrn veranlaßt, in Bedingungen einzugehn. Auch Julius Cäsar von Capua, ein leidenschaftlicher und nach hohen Dingen strebender Mann, der nach dem Tode des Ladislaus einen Teil von dessen Söldlingen an sich gezogen, ward zur Unterwerfung und Aussöhnung mit der Königin gezwungen. Hiedurch ward der Haß dieses Mannes gegen Sforza begründet, der beiden schlechte Früchte trug. Allgemeinen Neid unter den Baronen erregte jedoch Sforzas Empfang in Neapel und der königliche Pomp, welcher dessen Hochzeit begleitete. Constanzo.
Im Juli 1415 erfuhr man, daß Jakob von Bourbon sich bereits in Venedig befinde und nach Manfredonia sich einzuschiffen im Begriff sei, und es ward in die Königin gedrungen, ihm Gesandte entgegenzuschicken. Als aber Johanna zauderte, da sie den künftigen Gemahl an Abhängigkeitsverhältnisse zu gewöhnen wünschte, so machten sich Julius Cäsar von Capua, der Graf von Troja und andere Barone aus eigner Machtvollkommenheit auf den Weg. Nun mußte auch die Königin nachgeben und schickte den Großkonnetabel mit anständiger Begleitung ihrem Bräutigam entgegen, mit welchem man schon früher festgesetzt hatte, daß er bloß den Titel Graf und Generalgouverneur des Königreichs führen solle. Die Barone jedoch, die drei Tage eher als Sforza abgereist, trafen in der Ebene von Troja (einer von den Griechen während ihres Kampfs mit den Longobarden erbauten Stadt) auf den ersehnten Fürsten.
Da stieg Julius Cäsar vom Pferde und sprach: »Erlauchter König! Deine Majestät sei uns allen willkommen!« Die übrigen, die nicht zurückbleiben wollten oder im Einverständnis mit dem Capuaner standen, stiegen nun ebenfalls ab und begrüßten Jakob als König. Sie wurden freundlich empfangen, und Julius Cäsar gewann hinlängliche Zeit, um von dem Stand der Dinge in Neapel den König zu unterrichten, den er selbst geschaffen hatte. Denn erst in der Nähe von Benevent erschien Sforza mit seiner Schar, dem ein Herold vorausging und rief: »Dies ist der Großkonnetabel!« Nicht minder soldatisch unbeholfen war sein eigner Gruß, und auf dem Pferde sich verneigend, sagte er: »Erlauchter Graf! Die Königin, deine Gemahlin, erfreut sich deiner Ankunft und erwartet dich mit Ungeduld.« Hierauf erwiderte Jakob nichts anderes als: »Wie befindet sich die Königin?« Und als die ihm zur Seite reitenden Barone für den Konnetabel Platz machen wollten, bat er sie, ihn nicht zu verlassen. Costanzo.
Im Schlosse von Benevent angelangt, versäumten auch die mit Sforza gekommenen Barone nicht, dem neuen Könige die Hand zu küssen. Als jedoch Sforza selbst sich zu demselben begeben wollte, vertrat ihm Julius Cäsar den Weg auf der Treppe, ihn als Verräter behandelnd und fragend, weshalb er, in einem Städtchen der Romagna geboren, dem rechtmäßigen Oberherrn die Huldigung zu versagen sich erdreiste, während die einheimischen Großen des Reichs ihn anerkannten? Nach heftigem Wortwechsel warfen sie ihre Kopfbedeckung einander vor die Füße; doch nur von Sforza ward das hingeworfene Kampfzeichen von der Erde aufgegriffen. Cribellus. Da erschien der Graf von Troja, und als oberster Seneschall trennte er die Streitenden und ließ sie verhaften, worauf aber Julius Cäsar bald wieder entlassen, Sforza in einen Kerker gebracht wurde.
Ueber alles dies erhielt die Königin schleunige Nachricht. Vom Adel verlassen, ihres Feldhauptmanns beraubt und erfahrend, daß allerorts, wo Jakob durchzog, ihm ein Lebehoch als König gebracht wurde, blieb ihr keine andere Wahl, als Einwilligung in das Geschehene. In der Eile ward ein goldener Baldachin zugerüstet, und als der Fürst erschien, ward er unter demselben, bei lautem Volkszuruf, durch alle Sitze von Neapel geführt. Die Stadt war in Sitze (Seggi) eingeteilt. Sie wurden so von den steinernen Sitzen genannt, auf welchen sich die Vornehmeren des Stadtviertels, nach Art der südlichen Völker, über die öffentlichen Angelegenheiten öffentlich besprachen. Ueber die Form dieser Sitze dient zur Aufklärung, daß sie von mehreren Geschichtschreibern Theatra genannt werden. Sie dienten auch zu Tanz und Gesang bei feierlichen Gelegenheiten. Auf der Brücke des Castel nuovo kam ihm Pandolfello in zahlreicher Begleitung entgegen, küßte ihm den Fuß und hielt ihm den Steigbügel. Oben empfing ihn mit verstellter Freundlichkeit Johanna, von ihrem Hofe umgeben, und stellte ihn den Versammelten mit den Worten vor: »Wer mich liebt und das Haus Durazzo, der begrüße diesen meinen Gemahl als König!« Worauf alle riefen: »Es lebe die Königin Johanna und der König Jakob, unsre Herrn!« Giornali del duca di Monteleone. Cronica di Napoli
Selten ist wohl ein Ehebund unter schlechtem Vorbedeutungen geschlossen, selten eine Brautnacht unter unerfreulichern Gesprächen verbracht worden. Der Erfolg derselben zeigte sich bereits am andern Morgen. Die versammelten Gäste, die ein mehrtägiges Fest zu feiern erwarteten, wurden zurückgewiesen, Alopo, der sich in die Zimmer der Königin geflüchtet hatte, festgesetzt und ins Castel dell' Ovo (einer von Friedrich II. auf der Insel Megaris erbauten und durch eine Brücke mit dem festen Lande verbundenen Festung) abgeführt, wohin auch Sforza gebracht wurde. Auf der Folter gestand Pandolfello alles, was der mehr als billig vorwitzige Gatte über den Lebenswandel der Königin zu erfahren verlangte. Sodann ward der Ueberwiesene auf dem Mercato enthauptet, durch die Stadt geschleift und am rechten Fuß aufgeknüpft. So rücksichtslos gegen die Ehre seiner Gemahlin handelte der neue Monarch, und zu solcher Höhe steigerte er ihren heimlichen Haß. Auch Sforza ward gefoltert, um von ihm die Abtretung seiner Besitztümer im Königreich zu erzwingen, ja selbst dem Tode würde er nicht entgangen sein, wenn ihn nicht der Mut seiner Schwester gerettet hätte. Die Geschichte ist zu schön, um sie nicht zu erzählen.
Daß Lorenzo und Micheletto, die an der Spitze der Sforzeskischen Heerhaufen standen, die Gefangenschaft ihres Verwandten und Führers nicht gleichgültig betrachten würden, war vorauszusehen. Sie hatten sich in Tricarico festgesetzt und verheerten das Land bis an die Thore von Neapel. Julius Cäsar ward gegen sie abgeschickt; da dieser jedoch auf friedlichem Wege eher zum Ziel zu gelangen hoffte, so wurden Unterhändler aus vornehmen Geschlechtern der Hauptstadt nach Tricarico gesendet. Schon waren Micheletto Attendolo und Michelino Ravignano, Sforzas Schwager, in Unterhandlungen begriffen, als Margarete, ihres Heldenstamms würdig, den Panzer anschnallte und, so durch die Stadt eilend, mit männlicher Beredsamkeit eine zahlreiche Schar um sich versammelte. In solcher Begleitung trat sie in den Saal, wo die Gesandten sich aufhielten, und, gegen diese gewandt, sprach sie: »Wie konntet ihr, die offenbaren Feinde meines Hauses, mein Gebiet zu betreten wagen? Nicht diesen Männern, mit denen ihr Verträge schließen wollt, gehört die Stadt; wohl aber den Meinigen, und so lange sie ihrer Freiheit beraubt sind, bin ich allein Verweserin. An mich müssen eure Forderungen gerichtet sein; doch jetzt erkläre ich euch nach Kriegsrecht für Gefangene, und nur wenn ihr meinen Bruder ledig gebt, mögt ihr dem Aeußersten, das Sterbliche betreffen kann, entgehn.« Cribellus
So wurden die Abgesandten festgehalten, und da deren Verwandte in Neapel um das Leben derselben besorgt waren und den König deshalb beschworen, so nahm alles eine gelindere Wendung. Alle Angehörigen Sforzas wurden frei gegeben; Margarete und ihr Gemahl Michelino durften im Königreiche ungekränkt verweilen, ebenso Katharina Alopa, die sich ins Kloster S. Clara geflüchtet hatte. Ueber Sforza selbst gab der König die heilige Versicherung, daß dessen Leben nicht in Gefahr stehe, und er ward mit seinem ältesten Sohn Francesco (dem nachmaligen Herzog von Mailand) in ein anständiges Gefängnis im Castel nuovo gebracht. Micheletto wurde mit seinen Söldlingen in den Kirchenstaat entlassen, wo ihm jedoch ein ungünstiges Schicksal bevorstand. Er hatte sich an Braccio da Montone angeschlossen, der ihn auch wirklich in Sold nahm. Aber da dieser ehrgeizige Mann, der Perugia in Besitz genommen, nach der Herrschaft des verwaisten Roms strebte, so war es ihm vor allem darum zu thun, sich den Tartaglia, einen Anführer zahlreicher Söldlinge, zu verbinden. Diesem vergönnte er nun, sich der Besitzungen Sforzas in Toscana zu bemeistern, die dem Braccio selbst zum Schutze anvertraut worden waren. Bitter beklagte sich Micheletto über diese Treulosigkeit, welche auch einen Bruch zwischen Sforza und Braccio zur Folge hatte. Hierauf entließ letzterer den Micheletto, dessen er weniger bedurfte, und enthielt ihm sogar den Sold für seine Truppen vor. Da verkaufte der später so berühmt gewordene Niccolo Piccinino, der damals unter Braccio diente, sein eignes Silberzeug und bezahlte, über des Feldherrn Betragen entrüstet, den Sold an Micheletto, welcher letztere nun wenigstens Acquapendente in Sforzas Namen behaupten konnte. Jovius. Cribellus.
Unterdessen hatte König Jakob seine neue Regierung angetreten. Zu seinen ersten Handlungen gehörte die Freilassung der verwitweten Königin Maria, die mit ihren Söhnen nach Tarent zurückkehren durfte. Sie hatte sich nämlich an Tristan von Clairmont, einen mit Jakob ins Land gekommenen und dessen höchste Gunst genießenden Franzosen, gewendet und demselben ihre Tochter erster Ehe mit der Grafschaft Copertino als Mitgift versprochen, welches Bündnis auch zustande kam. Aber nicht, wie es vielen anfangs scheinen mochte, um sich die mächtige Familie der Orsini zu befreunden, hatte Jakob von Bourbon in diesen Bund gewilligt, wohl aber um seinen Freund zu bereichern, wie der Erfolg lehrte. Weit entfernt, die eingebornen Barone durch Wohlthaten an sich zu ziehn, vergab er die ersten Kronämter an Franzosen. Denn außer den Würden des Großkämmerers und Großkonnetabels, die Alopo und Sforza bekleidet hatten, war auch das Seneschallenamt durch den Tod des Grafen von Troja, der, wie einige glauben, an Gift starb, ledig geworden. Niemand fühlte sich durch solche Uebergehungen mehr beleidigt, als Julius Cäsar von Capua, der sich hierauf nach Morcone zurückzog und selten in Neapel erschien.
Auch Paolo Orsino, der Condottiere, wurde von Jakob seiner Haft entlassen; doch er genoß der Freiheit nur kurze Zeit. Auf Braccios Befehl ward er vom Tartaglia und Ludwig Colonna, während er zu Colfiorito außerhalb der Mauern spazieren ging, ermordet.
So gnädig sich König Jakob jedoch gegen die Vorstehenden erwiesen hatte, um so strenger verfuhr er gegen seine Gemahlin und, neue Nebenbuhler fürchtend, ließ er sie, einer Gefangenen gleich, bewachen. Ein alter Franzose, den die Italiener Berlingiero nennen, ward ihr beigegeben, und so argusartig war seine Hut, daß Johanna selbst der gewöhnlichen Bedürfnisse wegen sich nicht entfernen durfte, ohne dessen Erlaubnis einzuholen. Giornali des Duca.
Große Unzufriedenheit entstand hierüber in der Stadt und zumal bei Hofe. Man war an glänzende Feste gewöhnt, die nun für immer geschlossen schienen, und besonders unwillig waren die jungen Männer von Adel, die sich der Königin in Ritterspielen zu zeigen pflegten, um durch Wohlgestalt oder kriegerische Geschicklichkeit ihre Aufmerksamkeit anzuziehn.
Monatelang war auf diese Weise Johanna den Blicken ihres Volks entzogen. Da geschah es gegen Ende des Jahrs 1415, daß fast alle neapolitanischen Edelleute sich nach dem Castel nuovo begaben und die Königin zu begrüßen wünschten. Berlingiero wies sie zurück; sie versicherten aber, nicht eher das Schloß verlassen zu wollen, bis sie nicht ihre Monarchin mit eignen Augen gesehen hätten. Endlich erschien der König selbst, entschuldigte seine Gemahlin mit Unwohlsein und bat die Gegenwärtigen, entweder ihr Anliegen ihm selbst zu vertrauen oder ihren Besuch zu verschieben. Hierauf versetzten jene, sie begehrten nichts anderes, als daß er seine Gemahlin in der Art behandle, wie es der Enkelin so vieler Könige gebühre, und nur insoferne sie ihm teuer wäre, würde er selbst auch ihnen teuer sein. Jakob erwiderte, er würde seiner Pflicht nachkommen, und entließ die Barone.
Bei dieser Szene war zufällig der Schreiber des Julius Cäsar gegenwärtig, und als er nach Morcone zurückkehrte, erzählte er den ganzen Vorfall seinem Herrn. Dieser baute darauf einen Plan, der dem Ehrgeize gemäß, aber aller Klugheit entgegen war. Im Jänner des folgenden Jahrs begab er sich nach Neapel, und teils durch sein Ansehn, teils weil er als Entferntlebender weniger verdächtig schien, gelang es ihm, die Königin ohne Zeugen zu sprechen. Indem er sich selbst und sein früheres Betragen gegen sie anklagte, äußerte er den Wunsch, ihr eine glänzende Genugthuung geben zu dürfen. Ihm solle sie sich vertrauen; er wolle sie der verlorenen Freiheit wieder teilhaft machen und, wenn es nötig schiene, den überlästigen König aus dem Wege räumen.
Johanna besaß Verstellung genug, um nicht zu stutzen. Seinem Anerbieten mit Dank entgegenkommend, beschied sie ihn nach Verlauf von einigen Tagen wieder ins Kastell, um Näheres mit ihm zu besprechen. Aber zu tief war in ihrem Herzen der Groll gegen Julius Cäsar gewurzelt, dem sie ihr ganzes Unglück schuldig war; zu sehr beweinte sie noch täglich den Pandolfello, um seinem Todfeinde sich anzuvertrauen. Dabei schien die ganze Unternehmung höchst gefährlich, ja, es war die Möglichkeit vorhanden, daß der Capuaner vom Könige selbst geschickt worden, um ihr absichtlich eine Falle zu legen. Johanna war ohne große Gemütseigenschaften, aber nicht ohne Klugheit. Den Tod Alopos zu rächen und sich selbst bei ihrem Gemahle ein Verdienst zu erwerben, schien von allen der sicherste Ausweg. Sie entdeckte daher dem Könige alles und bat ihn, wenn Julius wiederkehren sollte, denselben zu behorchen, um sich von der Treue dessen zu überzeugen, den er als seinen ältesten Freund im Königreich anerkenne.
Als daher der Capuaner sich abermals bei der Fürstin melden ließ, verbarg sich der König hinter den gewirkten Teppichen, mit denen man in damaliger Zeit die Gemächer, anstatt der Tapeten, zu behängen pflegte. Behind the arras, wie es im Hamlet heißt. Julius Cäsar entwickelte nun ungescheut seinen Mordanschlag. Den Abend des andern Tags wolle er der Königin reiche Geschenke zusenden; sein Schreiber, der von allem unterrichtet sei, würde dieselben begleiten; er selbst wolle sich verkleidet unter die Lastträger mischen. So würde es ihm leicht werden, sich im fürstlichen Schlafgemach zu verbergen, und ebensoleicht, den entschlummerten König zu töten und dessen Haupt in den Hof des Kastells zu werfen, um die erschreckten Franzosen zu schleuniger Flucht zu bewegen. Costanzo
Julius Cäsar ging sodann auf gleichgültige Gespräche über und beurlaubte sich mit heiterer Miene bei Johanna, woraus er noch dem Könige, der sich unterdessen in sein Zimmer zurückgezogen hatte, einen kurzen Besuch abstattete. Von da im Hof des Kastells angelangt und eben den Fuß in den Steigbügel setzend, ward er festgehalten und sogleich nach der Vicaria gebracht. Zwei Tage reichten zum Urteil und dessen Vollstreckung hin. Julius ward mit seinem Schreiber enthauptet, die Körper in der Nunziata begraben, die Köpfe auf einen Pfahl gesteckt, wo sie nach dem Zeugnis eines Gleichzeitigen noch lange nachher sichtbar blieben, bis sie, vom Winde herabgeweht, von den Hunden verschlungen wurden. Giornali del Duca.
König Jakob hatte Ursache zur Dankbarkeit gegen seine Gemahlin, und wirklich ward, von jener Zeit an, der Zwang gemildert, unter dem sie bisher gelitten hatte. Auch trafen aus Frankreich günstige Nachrichten ein; denn Ludwig II. von Valois war gestorben, und wiewohl er drei Söhne hinterließ, so schienen doch, ihrer Minderjährigkeit wegen, die früheren Ansprüche auf Neapel allmählich einzuschlafen. Auch war damals Frankreich in einem Zustande, der das Einmischen in fremde Händel wenig begünstigte.
Da geschah es im Dezember desselben Jahres (1416), daß Johanna den Garten eines florentinischen Kaufmanns besuchte, um dort den Abend bei einem fröhlichen Gastmahle zuzubringen. Kaum war in der Stadt bekannt geworden, daß die Königin das Kastell verlassen, als Adel und Volk sich scharenweis nach jenem Versammlungsorte zudrängte, wobei Johanna nicht versäumte, eine abgehärmte Miene zur Schau zu tragen und Klagen über ihre beschränkten Verhältnisse fallen zu lassen. Sei es Eingebung oder, wie es wahrscheinlicher ist, Verabredung, genug, als die Königin wieder in den Wagen steigen wollte, erregten zwei junge Edelleute, Ottino Caracciolo und Anecchino Mormile, die großen Anhang im Volke hatten, einen Tumult und befahlen dem Kutscher, nach dem erzbischöflichen Palast zu fahren. Johanna rief: »Meine Getreuen, verlaßt mich nicht!« worauf alles erwiderte: »Es lebe die Königin Johanna!« Giornali del Duca.
Als Jakob Nachricht von diesem Aufruhr erhielt, flüchtete er, seiner Sicherheit wegen, ins Castel dell' Ovo. Die Königin, durch das zaghafte Benehmen ihres Gemahls vollkommen ermutigt, schlug nun ihren Sitz im Castel Capuano auf, das zur Uebergabe vermocht wurde. Laut erklärte sich nun die Jugend, man müsse den König belagern und aufs Aeußerste bringen; die Bedächtigem jedoch waren weit entfernt, der Königin unumschränkte Gewalt verschaffen zu wollen, da sie ebensowenig von den fremden Günstlingen Jakobs, als von Johannens einheimischen Lieblingen beherrscht sein wollten. Ein Vergleich wurde daher zustande gebracht, den der Großkämmerer, ein Franzose, der die Achtung beider Parteien genoß, vermittelte. Der König solle zu seiner Gemahlin zurückkehren, ein bedeutendes Einkommen und den Titel eines Großvikars des Königreichs erhalten; der Königin jedoch bleibe es überlassen, ihren Hof nach eigenem Gutdünken zu bilden. Die Stadt Neapel gewährleistete den Vertrag.
Johanna ließ hierauf Sforza befreien und verlieh ihm die Stelle des Konnetabels aufs neue. Zugleich schenkte sie ihm Troja und seinem Sohne Francesco Ariano. Zum obersten Seneschall ernannte sie späterhin den Sergianni Caracciolo, den sie vor allen Männern ihres Hofes begünstigte. Sergianni stand nicht mehr in der Blüte der Jugend; doch vereinigte er eine kräftige und ausdrucksvolle Gestalt mit großer Klugheit, und Johanna hatte bereits die Erfahrung gemacht, daß Wohlgestalt ohne geistige Ueberlegenheit kein Halt in der Not für weibliche Schwäche sei.
Sergianni, den wir bald einen langdauernden Einfluß auf die Angelegenheiten des Königreichs werden ausüben sehen, war aus einer alten, doch güterarmen Familie entsprossen. Durch die Vorsorge eines Oheims ward er einer standesmäßigen Erziehung teilhaft, und bald wurde er vom König Ladislaus, der mit ihm in gleichem Alter stand, seiner kriegerischen Eigenschaften wegen ausgezeichnet. Dieser gab ihm eine Filangieri zur Gattin, wodurch er Graf von Avellino wurde. Als Ladislaus die nachmalige Königin Maria in Tarent belagerte, forderte einer von Mariens Rittern die Ritter des Königs zu einem öffentlichen Zweikampf. Sergianni übernahm diesen Kampf und besiegte den Gegner. In der Schlacht bei Roccasecca ward er verwundet, weil ihn Ladislaus, damaliger Sitte gemäß, mit dem blauen Mantel und den Lilien, seiner eigenen Kleidung, geschmückt hatte, um die Feinde über die Person des Königs zu täuschen, – eine Ehre, die bloß den Tapfersten zu teil wurde. Tristanus Caracciolus, Vita Serzani Caraccioli.
Dieser Mann war es, dem Johanna die Leitung ihrer Person vertraute. Die Art und Gelegenheit, die sie ergriff, um ihn ihrer Neigung zu versichern, werden auf eine wunderliche Weise erzählt, die wir, ohne sie verbürgen zu wollen, mitteilen. Sergianni hatte, wie dergleichen Eigenheiten häufig vorkommen, einen unüberwindlichen Abscheu vor Mäusen. Als er nun einstmals im Vorzimmer der Königin Schach spielte, ließ diese, um ihn zu necken, eine Maus auf das Schachbrett werfen, worauf Sergianni wie ein Rasender aufsprang und sich ins Gemach der Königin flüchtete, welche diese Zusammenkunft nach ihrer Weise zu benutzen wußte. Corio, Storie Milanesi. Collenuccio, Compendio della Storia di Napoli. Letzteres ist das älteste Gesamtwerk über Neapel. Collenuccio schrieb es am Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts für Herkules von Este, welcher seine Jugendjahre am Hofe zu Neapel verbracht hatte.
Daß die schnelle Erhebung Sergiannis den Neid der Barone erregen mußte, lag in der Natur der Sache. Vor allen unzufrieden zeigten sich Ottino Caracciolo und Anecchino Mormile, denen die Königin ihre Befreiung zu danken hatte und deren sie zu vergessen schien. Ersteren wußte Sergianni durch Verleihung der Grafschaft Nicastro zu beschwichtigen. Vor allem aber dachte er daran, diejenigen zu entfernen, die er als Nebenbuhler an Wohlgestalt oder Ansehn zu fürchten hatte. So ward namentlich Urbano Origlia, der seiner außerordentlichen Schönheit wegen gefährlich schien, als Gesandter nach dem Costnitzer Konzil verbannt und Sforza nach Rom geschickt, wo Braccio da Montone bereits die Engelsburg belagerte.
Auf diese Weise gesichert, suchte Sergianni die Barone durch Aemter und Gehalte, die er den Franzosen abgenommen, und durch Verschwägerungen mit seiner Familie zu gewinnen, das Volk durch Austeilung von Lebensmitteln um geringen Preis. Nun, glaubte er, könne die Königin einen Schritt gegen ihren Gemahl wagen. Eines Abends beim Nachtmahl verlangte sie gebieterisch, daß Jakob alle Franzosen entferne. Bloß bei bewilligtem Schadenersatz, erwiderte jener, könne eine solche Verbannung stattfinden, und als die Königin darauf beharrte, stand er unwillig auf und begab sich in seine Gemächer, wo ihn Johanna sogleich bewachen und als Gefangenen behandeln ließ. Hierauf reisten alle Franzosen ab, und auch Castel dell' Ovo war durch eine Geldsumme zur Uebergabe bewogen worden.
Unterdessen war Sforza gegen Rom vorgerückt. Doch vergeblich blieb seine Bemühung, den Braccio, dem er als Herausforderung einen blutigen Handschuh auf einer Lanze zusandte, zur offenen Schlacht zu bewegen. Er begab sich hierauf nach Ostia und ging über die Tiber auf einer Schiffbrücke, die er hinter sich zerstören ließ, um den Seinigen keine Wahl als den Sieg zu lassen. Als man ihm den Mangel an Lebensmitteln bemerklich machte, deutete er auf sein Schwert, das diese und alles andere zu erwerben imstande sei. Zur guten Vorbedeutung gereichte es den Truppen, als des Nachts ein aufgejagter Hirsch sich in Sforzas Zelt verirrte, der ihn mit den Händen fing und erlegte. Cribellus. Auch entsprach der Erfolg dem Vorzeichen. Braccio, der sich übermannt glaubte und den Römern mißtraute, wiewohl sie ihm mit Palmzweigen in den Händen entgegen gezogen waren und: »Es lebe Braccio!« gerufen hatten, floh nach Umbrien und ließ den Ponte molle hinter sich abbrechen, wodurch für den Augenblick Verfolgung unmöglich wurde. Sforza zog durch die Engelsburg in Rom ein, beruhigte die Stadt und übergab sie dem Kardinal Isolani, nachdem er den Senator und die Proveditoren ernannt hatte. Antonius Petri, Diarium. Hierauf schlug er den Tartaglia bei Toscanella, und dieser rettete sich selbst nur dadurch, daß er die Zugbrücke der Stadt aufziehn ließ und dabei einen Teil der Seinigen, die sich noch außerhalb befanden, preisgab. Den Niccolo Piccinino, der, in Palästrina zurückgeblieben, die römischen Herden auf seinen Streifzügen plünderte, nahm Sforza gefangen.
Dies alles geschah im Sommer und Herbst 1417. Im November desselben Jahrs ward zu Costnitz der Kardinal Otto Colonna zum Papst erwählt und nahm, dem Tage seiner Wahl zu Ehren, den Namen Martin des Fünften an.
Martin V., einer berühmten römischen Familie entsprossen, hatte seine Studien in Perugia vollendet und war von Innocenz VII. zum Kardinal ernannt worden. Weniger durch Gelehrsamkeit als durch geistige und gemütliche Vorzüge, namentlich Mäßigung und Gerechtigkeitsliebe, ausgezeichnet, hatte er sich in Costnitz die allgemeine Verehrung der Prälaten und die Zuneigung des Kaisers erworben und war sofort einstimmig auf den Stuhl des heiligen Petrus erhöht worden. Kaiser Sigismund wünschte ihn in Deutschland festzuhalten, um die so sehr in Verfall geratenen geistlichen Angelegenheiten zu ordnen; die Franzosen luden ihn dringend nach Frankreich ein; doch sein ganzes Gemüt war nach Italien gerichtet, wo sich namentlich der Kirchenstaat im Zustande der äußersten Verworrenheit und des Abfalls befand, während Braccio Umbrien, die Königin Johanna Rom in Besitz hatte, Bologna hingegen sich als Freistaat regierte. Nicht eher glaubte der Papst der dreifachen Krone sicher zu sein, als bis er sie in der Hauptstadt der Christenheit zu tragen ermächtigt wäre. Durch Savoyen begab er sich nach Mailand, wo ihn Philipp Visconte mit großem Pomp empfing, und verweilte sodann einige Zeit in Mantua. Dort begrüßten ihn die Abgesandten der Königin Johanna, die auf Sergiannis Rat einen Bund gegen Braccio und ihre eignen auswärtigen Feinde mit ihm schloß und ihm das römische Gebiet abzutreten versprach, wofür denn der Papst ihr Anerkennung und Belehnung mit dem Königreich zusagte.
Indessen war Sforza nach Neapel zurückgekehrt. Johanna überhäufte ihn mit Ehrenbezeugungen, schenkte ihm Benevent und einen Teil der Einkünfte von Manfredonia. Aber bald fühlte er, daß er alles Einflusses beraubt und Sergianni an die Spitze der Angelegenheiten gestellt sei, was um so mehr ein Mißverhältnis zwischen beiden hervorbrachte, als Sforza während seines Feldzugs Ursache hatte, sich über den Seneschall wegen Vorenthaltung des Soldes zu beklagen. Letzterm wie auch der Königin mußte es Besorgnisse einflößen, daß Sforza seine Gewalt vermehrte, indem er sich mit den ersten Baronen des Reichs verschwägerte. Seine Tochter Elise gab er dem Leonardo Sanseverino und seinen Sohn Francesco, der bei Toscanella seine ersten Heldenproben abgelegt hatte, vermählte er mit Polyxena Ruffa, die ihm bedeutende Besitztümer in Kalabrien zubrachte. Als Francesco, um nach Kalabrien zu ziehen, Abschied genommen, soll ihm der Vater lange nachgesehn und dann zu seinen Begleitern gesagt haben: »Wahrlich, dieser wird einst über Italien herrschen!« Cribellus.
Daß Sforza sich solchen Planen hingab, konnte am Hofe der Königin nicht verborgen bleiben. Da geschah es, daß Sergianni den Anecchino Mormile, der laut in allen Volksversammlungen gegen ihn sprach, festnehmen und foltern ließ, weil man eine von ihm an Sforza gerichtete Chiffer aufgefangen haben wollte. Anecchino gestand nichts, und man glaubte allgemein, daß die Chiffer eine Erfindung von Sergianni sei, was jedoch hinreichte, die Königin wider Sforza zu reizen. Als dieser sich nun in die Provinz Basilicata begab, um einen Streit zwischen seinem Schwiegersohn Leonardo und dessen Oheim zu schlichten, so wurde ihm berichtet, daß ihm Sergianni Nachstellungen auf der Brücke bei Scafati, die über den Sarno führt, bereit hielte. Er schickte daher seine Begleiter über Scafati; er selbst jedoch verkleidete sich als Pferdeknecht und entkam, Sieb und Striegel in der Hand, durch einen weiten Umweg nach Acerra, von wo er sich zu seinen Heerhaufen, die bei Mazzone standen, begab. Zu Eboli hatte er mit Francesco Mormile, dem Bruder Anecchinos, unterhandelt und dieser ihn zu anberaumter Zeit mit seiner Schar zu unterstützen versprochen. Als dieser ankam, begaben sich Sforza und Francesco Mormile mit den Ihrigen nach Neapel, durchritten die Stadt und riefen: »Langes Leben der Königin und Tod ihren Ratgebern!« Sergianni jedoch hatte seine Anstalten so gut getroffen, daß die Stadt völlig ruhig blieb und jene beiden sich in die Nähe von S. Maria Incoronata zurückzogen, welcher Ort damals zu den Vorstädten gehörte. Dorthin schickte die Königin den Feldhauptmann Francesco Orsino, um Unterhandlungen anzuknüpfen. Sforza ging darauf ein und verteilte seine Truppen in die umliegenden Quartiere. Aber als er eines Tags sorglos am Ufer des nahen Meers spazieren ging, überfiel ihn plötzlich Orsino mit einer auserlesenen Schar. Der Kampf war ungleich. Sforza, der in Eile einen Heerhausen zusammengerafft, zog sich fechtend längs des Strandes (wo gegenwärtig der westliche Teil der Stadt liegt) zurück und entrann durch die Grotte des Posilipps nach Casal di Principe.
Da jedoch ein großer Teil des Adels, zumal die Familie Origlia, auf seine Seite trat, so stellte er seine Scharen bald wieder her, zog sich nach Acerra und sodann nach Fragola, von wo er beständige Streifzüge in die Umgegend der Stadt ausführte, die Zufuhr abschnitt und die Landgüter verheerte. Da gerade die Zeit der Weinlese eingetreten war, so fielen diese Beeinträchtigungen den Neapolitanern doppelt beschwerlich. Die Bürger versammelten sich, und obwohl es die Königin zu hintertreiben suchte, wählte man zehn Abgeordnete aus dem Adel und zehn aus dem Volk, die die öffentlichen Angelegenheiten übernehmen sollten. Diese schickten Gesandte an Sforza, der der Königin seine Unterwürfigkeit zu bezeugen sich willig erklärte, jedoch Schadenersatz und die Vertreibung Sergiannis verlangte. Johanna, von den Abgeordneten angegangen, ja bedroht, mußte sich dem Vertrage anschließen. Sforza erhielt eine bedeutende Geldsumme für den Verlust, den er bei der Incoronata erlitten, Anecchino ward freigelassen, und Sergianni fand für gut, sich selbst nach Procida zu verbannen, wiewohl er von dort, als einer so nahe dem festen Lande gelegenen Insel, fortfuhr, die Königin und Neapel zu beherrschen. Costanzo.
Während jener Vorfälle befand sich Antonio Colonna, der Neffe des Papstes, in Neapel. Er war von seinem Oheim vorzüglich deswegen gesandt worden, um die Befreiung des Königs Jakob auszuwirken, für den sich besonders der Herzog von Burgund, damals Regent von Frankreich (da Karl VI. wahnsinnig und dessen Sohn minderjährig war), auf das dringendste bei dem Papst verwendete. Johanna versprach die Freilassung ihres Gemahls, sobald die Verhältnisse des Landes geordnet wären, und Sergianni überhäufte den jungen Colonna mit Ehrenbezeugungen. Letzterer trug viel dazu bei, Sforzas Haß gegen Sergianni zu mildern; denn Sforza aufzuopfern konnte keineswegs im Plan des Papstes liegen, der sich seiner gegen Braccio zu bedienen hoffte.
Johanna, die sich auf alle Weise bestrebte, unter irgend einem Vorwande den Sergianni aus seinem Exil zu befreien, ernannte ihn zu ihrem Botschafter nach Florenz, wohin sich Martin V. im Anfange des Jahrs 1419, von den Florentinern eingeladen, begeben hatte. Dort wurde ihm die Genugthuung zu teil, daß sich ihm Johann XXIII. freiwillig unterwarf und seine Füße küßte, nachdem er sich, lange in Heidelberg gefangen, durch eine Geldsumme vom Pfalzgrafen zu lösen gewußt hatte. Er ward von Martin zum Kardinal ernannt, starb jedoch bald und liegt im Baptisterium zu Florenz begraben.
Sergianni indessen ward von Antonio Colonna begleitet und übergab diesem im Namen der Königin Ostia, Civitavecchia und die Engelsburg, die bis dahin neapolitanische Besatzung hatten. Den Papst wußte er bald für sich einzunehmen, ihm vorstellend, welche Vorteile ein enger Bund zwischen ihm und der Regierung von Neapel beiden Teilen gewähren würde, wie der heilige Vater nur durch die Waffen der Königin in seine Staaten wieder eingesetzt werden könnte, und wie sehr letztere bedacht sein würde, dem Hause Colonna ansehnliche Besitzungen in ihren eignen Staaten zuzuteilen. Gleichwohl läßt sich kaum bezweifeln, daß Martin schon damals mit Ludwig III. von Valois, ältestem Sohn Ludwigs II., in Unterhandlungen wegen der Belehnung mit Neapel stand; doch darf man deshalb nicht annehmen, daß er der Königin einen Nebenbuhler, sondern vielmehr, da sie kinderlos war, einen Nachfolger in Ludwig von Valois zu geben wünschte. Den Antonio, sowie seinen eignen Bruder Giordano, sandte er abermals nach Neapel, um die endliche Befreiung Jakobs zu erhalten. Zugleich erschienen zwei Kardinäle, welche die Königin krönen sollten. Da letztere diesen entscheidenden Schritt von seiten des Papstes wünschte, so durfte sie dessen Mahnungen nicht länger widerstehn. Jakob wurde freigelassen, und um ihn bei dem Volke in der verlornen Achtung wieder herzustellen, begleiteten ihn die Colonnesen zu Pferde und mit großem Gefolg der Barone durch die ganze Stadt. Jakob begab sich jedoch ins Castel Capuano, da er im Castel nuovo fürchten mußte, jeden Augenblick wieder verhaftet zu werden. Giornali del Duca.
Sergiamii war indessen von Florenz nach Livorno gegangen, wo ihn eine Galeere der Königin erwartete. Er hielt sich jedoch in Gaeta auf und schützte Uebelbefinden vor, indem er die Königin bat, den Sforza mit einem Heere sogleich ins Römische zu senden, um dem heiligen Vater, der Verabredung gemäß, gegen Braccio beizustehn. Johanna, die vor Begierde brannte, ihren Sergianni wiederzusehen, raffte so schnell als möglich die nötigen Geldsummen zusammen und entsandte den Großkonnetabel. Hierauf kehrte der Seneschall nach Neapel zurück und wurde mit Ehrenbezeugungen empfangen.
Um so mehr wünschten nun die Barone, daß ein dauerndes Verhältnis zwischen König Jakob und seiner Gemahlin zustande käme und daß ersterer zugleich mit ihr gekrönt würde. Um dies zu hintertreiben, belehnte Johanna die Colonnesen mit Salern und Amalfi. Costanzo.
Doch Jakob von Bourbon schien endlich der traurigen Rolle, die er an jenem Hofe zu spielen hatte, müde zu sein. Als er eines Tags (im Mai 1419) mit einigen Vornehmen durch die Straßen ritt, begab er sich auf den Molo, bestieg eine kleine Barke und ließ sich auf ein genuesisches Schiff geleiten, nach welchem er bereits einige seiner Vertrauten geschickt hatte. Dieses brachte ihn nach Tarent, wo er von der Dankbarkeit der Königin Maria Beistand erwartete. Diese empfing ihn zwar als ihren Monarchen, wich jedoch der Zumutung aus, das Haus Orsini um seinetwillen in einen Bürgerkrieg zu verwickeln. Auswärtige Geschichtschreiber, worunter auch Sansovino, Storia di Casa Orsino, behaupten, Maria hätte den König in Tarent belagert, wovon jedoch die einheimischen nichts wissen. Seiner Gemahlin that Jakob zu wissen, sie möchte über seine plötzliche Abreise nicht erstaunen, da es ihm um Sicherheit seiner Person zu thun gewesen, die er an jedem andern Orte leichter zu finden hoffe, als in seinem eignen Hause. Johanna ließ jedoch das genuesische Fahrzeug, als es nach Neapel zurückkehrte, aus dem Hafen jagen. Giornale del Duca.
Jakob hatte nun keine andere Wahl, als in sein Vaterland heimzuziehn. Die Königin Maria besorgte seine Einschiffung; doch ward er lange von ungünstigen Winden umhergetrieben, nach Cephalonien verschlagen und landete endlich in Venedig, in anderer Gestalt jedoch, als er es bei seiner Hinreise verlassen hatte, wo ihm der Doge selbst auf dem Bucentoro mit großem Pomp entgegengefahren war. Ein Jahr noch blieb er in Treviso. Redusio, Cronicon Tarvisium. Sodann nach Frankreich zurückreisend, begab er sich, lebenssatt, wie es scheint, in ein Franziskanerkloster zu Besançon, wo er die Königin Johanna noch um drei Jahre überlebte. Letztere ward nach seiner Abreise, im Oktober 1419, von einem der Kardinäle im Castel nuovo gekrönt, und zwei Monate lang dauerten die Feste, die sich an diesen feierlichen Akt anreihten.
In diese Zeit mag es auch fallen, daß Johanna ihren verstorbenen Bruder vom Kirchenbann lossprechen und ihm das große Grabmal errichten ließ, das noch heutzutage in S. Giovanni a Carbonara wohlerhalten zu schauen ist. Die architektonische Anordnung desselben ist geschmacklos, die Skulptur für die damalige Zeit von Wert und auf Ähnlichkeit der dargestellten Personen abzweckend.
Unterdessen war Sforza, den der Papst zum Gonfaloniere der Kirche ernannt und der zwei Söhne Sergiannis, die Ränke des letztern fürchtend, als Geiseln erbeten und nach Benevent geschickt hatte, bis über Rom hinaus vorgerückt und schlug ein Lager zwischen Viterbo und Montefiascone. Da es ihm an Fußvolk fehlte, so hatte er bereits seinen Sohn Francesco und seinen Schwiegersohn Leonardo Sanseverino mit den Ihrigen aus Kalabrien entbieten lassen und bat indessen die Viterbienser, ihm ihre Mannschaft zu Hilfe zu senden. Allein diese Schar ward des Nachts von Braccio plötzlich überfallen und ein großer Teil davon gefangen genommen. Hierauf bedrohte Braccio Viterbo und verkündigte, im Weigerungsfalle an den Gefangenen Rache zu nehmen. Viterbo jedoch hielt stand, und Sforza beeilte sich, die bedrängte Stadt zu retten, und war bereits in der Nähe derselben angelangt. Aber mehrere seiner Hauptleute, worunter Niccolo Orsino, hatten sich heimlich mit Braccio verständigt, und als dieser heranrückte und Sforza eben auf Kundschaft ausgeritten war, brachten jene das Heer in Unordnung, und Niccolo Orsino, wie zur Flucht genötigt, warf sich nach Viterbo. Vergebens bestrebt sich Sforza, die Reihen wieder herzustellen; er eilt in die Stadt, um die Seinigen zu einem Ausfall aufzufordern; aber nur dreißig Mann folgen ihm. Mit diesen dringt er bis zu den feindlichen Feldzeichen vor und befreit viele seiner Gefangenen. Aber schwer am Halse verwundet und die Abnahme seines Häufleins bemerkend, wird er endlich von den Seinigen vermocht, sich zurückzuziehn. Cribellus.
Während dieser Zeit hatte sich Francesco Sforza mit seinen Heerhaufen genähert, und in Rom von dem großen Verluste, den sein Vater bei Viterbo erlitten, benachrichtigt, beschleunigte er seine Reise, und die Vereinigung gelang glücklich zur Nachtzeit. Nun wagte Sforza ein neues Treffen, in dem er viele Gefangene machte, jedoch abermals auf seinen Rückzug bedacht sein mußte, weil Niccolo Orsino, dessen Verrat bisher, als Unfall angesehn, verborgen geblieben war, öffentlich mit seiner Schar zu Braccio überging. Aber nichts vermochte Sforzas Ausdauer, seinen Mut und Unternehmungsgeist zu bezwingen. Die Gefangenen hatte er, der damaligen Sitte gemäß, frei gegeben; aber Braccio befolgte sein Beispiel nicht und schickte die seinigen nach den kleinen Inseln im See von Bolsena. Da ließ Sforza in Viterbo einige Kähne zimmern, und diese wurden glücklich bei Nacht in den See geschafft, jeder nur mit einem einzigen Fährmann versehn. Als sie sich in der Nähe der Inseln befanden, stießen die Schiffer in die mit sich geführten Trompeten, wodurch die Wächter, erschreckt, den Feind in der Nähe glaubten. So gelang es, vierzig der vornehmsten Gefangenen zu befreien, da die Fahrzeuge keine größere Anzahl aufzunehmen vermochten. Cribellus.
Hierauf ließ Sforza seinen Sohn ein Lager bei Viterbo aufschlagen, da innerhalb der Stadt die Pest ausgebrochen war, und er selbst eroberte auf Streifzügen mehrere dem Feinde zugehörige Kastelle, aus denen er Beute und Lebensmittel zurückbrachte. Diese waren um so willkommener, als Sergianni den Truppen keinen Sold gesandt hatte und der Mangel immer fühlbarer wurde. Fast im Angesichte des Feindes erstürmte Sforza die kleine Stadt Capitone bei Todi, wiewohl er anfangs, von einem Steinwurf in den Graben hinabgeschleudert, lange ohne Bewußtsein gelegen hatte. In Capitone nahm er den Grafen Brandolino, der ihn bei Viterbo verwundet hatte, und den Gattamelata aus Narni gefangen, welcher letztere nachmals als venetianischer Feldherr berühmt geworden und dessen Reiterstatue noch heutzutage, von der Hand des trefflichen Donatello gearbeitet, den Platz vor der Hauptkirche zu Padua ziert. Zugleich gelang es, den Tartaglia von Braccio abspenstig zu machen und mit dem Papste auszusöhnen. Sforza verschwägerte sich mit ihm, und Tartaglias Tochter ward mit Johannes, einem Sohne Sforzas, vermählt. Die Winterquartiere bezog Sforza, um in der Nähe des Papstes zu sein, in Acquapendente; Braccio stand in Assisi.
Aufs höchste war indessen der Papst gegen die Königin Johanna und ihren Seneschall aufgebracht. Denn weit entfernt, daß man Sforza dem Vertrage gemäß unterstützt hätte, ward der Sold sogar an Braccio verschwendet, den man fürchtete, indes man die Sforzesken, nach der Schlacht von Viterbo, für verloren hielt. Um den Haß Sergiannis gegen Sforza noch mehr zu steigern, trat der Umstand hinzu, daß einer der Söhne des erstern, als er auf den Zinnen eines Turms in Benevent spazieren ging, herabstürzte und starb, ein Unfall, den man, wo nicht für beabsichtigt hielt, doch der Nachlässigkeit der Wächter schuld gab. Cribellus.
Als Martin auf diese Weise durch seine eignen Verbündeten seinen Feind unterstützt fand, hielt er es für geraten, sich mit letzterm zu vergleichen, wozu die Florentiner, die dem Braccio geneigt waren, willig die Hände boten. Braccio kam nach Florenz, wo er vom Volke mit großem Jubel und ausgezeichneten Ehren, vom Papste ziemlich kalt empfangen wurde. Doch löste ihn dieser vom Interdikt, das er über ihn ausgesprochen, verleibte Orvieto, Narni und Terni dem Kirchenstaat wieder ein, belehnte den Braccio jedoch mit Perugia und den umliegenden Ortschaften. Wofür denn Braccio versprach, dem Papste Bologna wieder zu erobern, was er späterhin auch ausführte. Martin konnte endlich mit Sicherheit nach Rom zurückkehren, und er that es um so lieber, als er sich von den Florentinern durch einige Spottlieder, welche die Knaben in den Straßen auf ihn absangen, für beleidigt hielt.
Leonardus Aretinus, Historia sui temporis. Der Gesang war zu Ehren Braccios gedichtet. Leonardo, der sich vergebens bestrebte, durch vernünftige Gründe die Empfindlichkeit des Papstes zu beschwichtigen, führt zwei Verse aus jenem Volkslied an:
Papa Martino
Non vale un quattrino.
Noch in Florenz jedoch beschied er den Sforza zu sich, und im Beisein der Vertrautesten entdeckte er ihm seine feste Absicht, Ludwig III. von Valois auf den Thron von Neapel zu setzen. Sforza zauderte lange, hiezu behilflich zu sein; doch der Papst machte ihn aufmerksam, daß die Schlüssel von Viterbo, wo sich Sforzas Hauptmacht befand, in seiner (des Papstes) Hand seien. Das Haus Durazzo drohe ohnedem auszusterben, und baldige Fürsorge sei notwendig, um jenes große Lehen dem päpstlichen Stuhl zu erhalten. Sforza sandte hierauf die Insignien des Großkonnetabels an die Königin zurück, und Ludwig III., der sich längst nach dieser Unternehmung gesehnt hatte, verlieh ihm die künftige Würde eines Vicekönigs und die Summe von 30 000 Dukaten, um seine Kriegshaufen herzustellen. Cribellus.
Im Juni 1420 rückte Sforza ins Königreich ein, verbot jedoch jede Feindseligkeit, da er wünschte, daß Johanna in seine Bedingungen eingehn und Ludwig den Dritten zu ihrem Nachfolger erklären möchte. Hierauf erfolgte jedoch eine abschlägige Antwort, und Sforza lagerte sich bei Neapel, auf den Hügeln vor der Porta Capuana, die Flotte der Provençalen erwartend, die ihm von Ludwig angekündigt worden war. Johanna hatte indessen den Antonio Caraffa, genannt Malizia, an den Papst nach Florenz geschickt, um dessen Vermittlung auszuwirken; doch es zeigte sich bald, daß auch der Papst Ludwigs Partei ergriffen hatte, oder vielmehr an deren Spitze stehe.
Unbegreiflich erscheint auf den ersten Blick die Weigerung der kinderlosen Johanna, dem Valois die Nachfolge des Reichs zu sichern. Um diesen Umstand zu erklären, muß man zuerst Sergiannis Haß gegen Sforza zu Hilfe rufen, sodann erwägen, wie sehr die Durazzische Partei den Franzosen abgeneigt war, und auch die Unglücksfälle bedenken, von denen sich Sforza im Anfange seiner Unternehmung betroffen sah. Denn abgesehn, daß die verheißene Flotte lange vergebens auf sich warten ließ und viele das Gerücht verbreiteten, daß sich dieselbe zerstreut habe, lag auch Francesco Sforza an einer für tödlich gehaltenen Wunde darnieder; seine Gemahlin Polyxena nebst einer Tochter, die sie ihm geboren, waren vergiftet worden, wodurch er seine Besitzungen in Kalabrien verlor, und Leonardo Sanseverino, Sforzas Schwiegersohn, ward in einem Zweikampfe von Carafello Caraffa getötet.
Während sich nun aber Malizia, der Gesandte der Königin, in Florenz befand, erschien am päpstlichen Hofe Don Garzias Cavanilla, den Alfons, König von Aragonien, dorthin geschickt hatte, um mit dem Papste wegen Korsikas, das Alfons zu erobern strebte, zu unterhandeln, während Martin die Genueser, welche jene Insel in Anspruch nahmen, begünstigte. Mit diesem Don Garzias hatte Malizia Rücksprache, entdeckte ihm die traurige Lage der Königin Johanna und stellte die Meinung auf, daß Alfons, wenn er die in Sardinien liegende Flotte nach Neapel zur Rettung der Königin senden wolle, er sich ein blühendes Königreich statt eines unfruchtbaren Eilands zueignen könne. Denn es ließe sich von der Dankbarkeit Johannens erwarten, daß sie ihn an Kindesstatt annehmen und zum Erben einsetzen würde. Don Garzias ging darauf ein und bat den Malizia, sich selbst nach Sardinien zu begeben, wo gegenwärtig König Alfons sich aufhalte. Malizia begab sich hierauf nach Piombino und schickte einen Schreiber der Königin in einer Fregatte an sie ab, um sie um Vollmacht zu bitten, mit Alfons zu unterhandeln. Johanna, die sich durch Sforza, der von der Landseite bereits alle Zufuhr abgeschnitten, bedrängt sah und jeden Tag der Ankunft der provençalischen Flotte entgegenblickte, sandte aufs schleunigste die Vollmacht nach Piombino, und Malizia schiffte sich nach Sardinien ein.
Ehe wir nun aber einer neuen Verwicklung in dieser Geschichte entgegengehn und einen der bedeutendsten Charaktere in dieselbe eingreifen sehn, ist es vielleicht nicht am unrechten Orte, über Alfons, seine Verhältnisse und Herrschaften sowie über seine vorausgegangenen Unternehmungen einiges mitzuteilen.
Alfons, in Aragonien der Fünfte, war der Sohn Fernandos, eines kastilischen Prinzen, welcher, als der Stamm der Grafen von Barcelona ausgestorben, auf den Thron von Aragonien berufen wurde, weil seine Mutter, die Königin von Kastilien, eine Schwester Martins, des letzten aragonischen Herrschers, gewesen war. Fernando, der zuerst Vormund seines Neffen Don Juan, Königs von Kastilien, gewesen, bestieg den ererbten Thron fast ganz ohne Kampf, wiewohl neben ihm noch vier andere Kronbewerber auftraten; so streng geordnet waren jene Länder durch die Reichsstände, die sich vorbehalten hatten, die Rechte der Bewerber zu untersuchen, Don Fernando hielt 1412 seinen Einzug in Saragossa und beschwur die Verfassung, worauf ihm gehuldigt wurde. In Katalonien mußte er einen dreifachen Eid an verschiedenen Orten ablegen. Zurita, Annales de Aragon.
Von Alfonsens früherer Jugend ist wenig bekannt; doch erhellt, daß ihn sein Vater an Weihnachten 1413 nach Tortosa zu Papst Benedikt XIII. schickte, wo er nach alter Sitte in Priesterkleidung und mit entblößtem Schwert beim Hochamte das Evangelium lesen mußte. Im Anfange des folgenden Jahrs erfolgte die Krönung Don Fernandos, wobei Alfons den Titel eines Prinzen von Girona erhielt, indem sein Vater ihn mit dem Mantel bekleidete und ihm einen goldnen Stab in die Hand gab. Später wurde er zu Valencia mit Donna Maria, der Schwester des kastilischen Königs, vermählt. Aber schon 1416 starb Fernando im siebenunddreißigsten Jahr seines Alters.
Alfons, der erste von fünf Brüdern, wovon jedoch einer bereits gestorben war, bestieg den Thron in seinem zwanzigsten Jahre. Als die katalonischen Stände, wegen seiner Jugend, vorschlugen, ihm sieben Männer an die Seite zu setzen, welche Gott fürchteten, die Gerechtigkeit übten, den Leidenschaften nicht unterworfen und unbestechbar wären, versetzte der junge König, wenn es nur einen einzigen solchen Mann gebe, so wolle er ihm die ganze Regierung abtreten. Panormita, de dictis et factis Alfonsi Primi.
Außer Aragon und Katalonien erbte Alfons die Königreiche Valencia, Majorka, Sicilien, Sardinien und Korsika. Den Besitz der beiden letztgenannten Eilande teilte er jedoch mit den Genuesern, mit denen schon seine Vorfahren in beständige Kriege verwickelt gewesen waren. Benedikt XIII. hatte zwar seinen Vater damit belehnt; doch schon Don Fernando hatte die Partei jenes Papstes auf die vielfachen Beschwörungen des Kaisers Sigismund verlassen, und Alfons lud die Kardinäle, die sich bei dem heiligen Vater in Penniscola befanden, ein, sich nach der Kirchenversammlung in Costnitz zu begeben, dem jedoch nicht alle Folge leisteten. Der König war übrigens mit dem Betragen seiner Gesandten bei dem Konzil nicht völlig zufrieden, sei es, daß er die Wahl eines spanischen Kardinals gewünscht hatte, sei es, daß Martin V., als Lehensherr der italischen Inseln, ihm nicht alle jene Vorteile zusicherte, die der König in Anspruch nahm. So geschah es, daß dieser sich nicht völlig entschied und die Auslieferung Benedikts an den römischen Hof verweigerte. Zurita.
Alfonsens ältester Bruder, Don Juan, war bei des Vaters Tode in Sicilien. Da jedoch die Sicilianer, die zu keiner Zeit gern unter auswärtiger Herrschaft standen, Miene machten, den Prinzen zu ihrem Könige auszurufen, so beschied ihn Alfons nach Spanien. Don Juan gehorchte, und sein Bruder wußte ihm für die verlorenen Hoffnungen diesseits und jenseits des Pharus (denn er war, wie schon erzählt, ein Jahr früher mit der Königin von Neapel versprochen gewesen) einigen Ersatz zu leisten, indem er ein Ehebündnis zwischen ihm und der ältesten Tochter des Königs von Navarra zustande brachte, welcher nach des Vaters Tode jenes Reich als Erbteil anheim fiel. Seine Schwester Maria vermählte Alfons mit dem Könige von Kastilien, dem Neffen seines Vaters.
Mit den Ständen geriet er bald nach seinem Regierungsantritt in Streit, weil sie den Gesetzen gemäß verlangten, daß er die Kastilianer, die in seinen Diensten waren, verabschiede. Zwei der Vornehmsten, welche hohe Gerichtsämter bekleideten, mußte er auch wirklich entlassen; denn die Kortes erklärten, daß sie ihm im Nichtfalle den Gehorsam aufkündigen würden, der nur bedingnisweise geschworen sei. Die Formel lautete bekanntlich folgendermaßen: «Nosotros, que cada uno por si somos tanto como os, y que juntos podemos mas que os, os hacemos nuestro Rey, contanto que guardareis nuestros fueros; si no, no!«
Aus diesen engen Verhältnissen mochte sich der König, der von Unternehmungsgeist beseelt war, heraussehnen, und so rüstete er im Frühling 1420 eine Flotte, um nach Sardinien zu segeln und auch die verworrenen Zustände von Korsika zu seinem Vorteile zu lenken. Als Verweserin der spanischen Reiche ließ er seine Gemahlin zurück.
Mit 24 Galeeren und 6 Galeoten segelte der König nach Majorka, wo noch vier venetianische Schiffe zu den seinigen stießen. Auf Sardinien landete er in Alghero auf der Westküste und verband sich dort mit seinem Statthalter Artal de Luna. Diesem gelang es, die in Aufruhr begriffenen Städte Terranuova und Longosardo zu bezwingen, worauf sich das wichtige Sassari ergab und die Insel zum Gehorsam des Königs zurückkehrte.
In diese Zeit fällt die Gesandtschaft des Malizia Caraffa. Um jedoch den Lauf der späteren Begebenheiten nicht mehr unterbrechen zu müssen, wird es geratener sein, hier sogleich Alfonsens Kriegszug gegen Korsika anzureihen.
Wem diese Insel damals eigentlich zugehörte, ist schwer zu sagen. Barone und Bischöfe bekriegten sich untereinander beständig; die eine Partei rief dann die Genueser, die andere die Aragonier zu Hilfe, wovon jedoch keine jemals das ganze Eiland in Besitz nehmen konnte. Bloß die Stadt Bonifazio an der Südspitze desselben hatte ein dauerndes Bündnis mit Genua geschlossen. Wechselseitig gewährten beide Städte sich Zollfreiheit; Bonifazio wurde das Auge Genuas genannt. Die Genueser schickten dahin einen Podesta, welcher in Verbindung mit vier Aeltesten, von den Bonifaziern gewählt, die Stadt regierte und das Recht über Leben und Tod hatte. Petrus Cyrnaeus. De Rebus Corsicis.
Als der König von Aragon auf der Insel landete, hatte seine eigne Partei die Oberhand, an deren Spitze Vicentello Istria stand, der sich Graf von Korsika nannte. Leicht gelang daher dem erstern die Einnahme von Calvi, und die übrigen diesseits des Gebirgs gelegenen Städte kamen ihm von selbst entgegen; nicht so die transmontanischen, worunter Bonifazio, zu dessen Belagerung er sich anschickte.
Bonifazio liegt auf einem Felsen, dessen Oberfläche zweitausend Schritt im Umfange zählt und außer der Stadt noch einen Wald enthielt, dessen Bäume zu fällen streng verboten war. Gegen Sardinien zu ist der Fels schroff und unersteiglich. Der Hafen ist auf der Nord- und Ostseite vollkommen geschützt, schmal, aber tief, so daß er die größten Fahrzeuge aufzunehmen vermag. An seinen Ausgängen befinden sich zwei Türme, die ihn beschützen, und wovon einer zum Leuchtturm dient. Am frühen Morgen drang Alfons mit der Flotte gegen den Hafen vor und suchte sich der Türme zu bemächtigen. Die Wächter derselben verkündeten der Stadt die Gefahr durch aufsteigenden Rauch, und es eilte sogleich eine Schar von Jünglingen nach dem Leuchtturme, an dem bereits Alfons seine Leitern angelegt und seine Fahne aufgepflanzt hatte. Ein harter Kampf entspann sich, in welchem die Bonifazier siegten. Die Leitern wurden zertrümmert, die Fahne zerrissen und der König zurückgetrieben, der sich jedoch des gegenüberliegenden Turms bemächtigte und somit den Eingang in den Hafen erzwang. Er eroberte die Fahrzeuge der Feinde, die Wein- und Kornbehältnisse, die sich am Ufer befanden, und ließ sogleich dreizehn größere Schiffe unmittelbar an die Mauern der Stadt sich anlegen; denn die Felsen, auf denen sie ruht, sind ausgehöhlt und erlauben den Schiffen, in die Grotten derselben einzudringen. Die Katalanen suchten nun, von den Mastkörben aus, die Mauern zu erklimmen, die sich jedoch augenblicklich mit feindlichen Bewaffneten erfüllten. Alfons indessen, der seine Truppen ausgeschifft, griff die Stadt von der Landseite an und bemächtigte sich zweier Thore, so daß die Bonifazier ihn mit Mühe vom Eindringen zurückhielten. Er ließ hierauf einen Hügel in der Nähe der Mauern besetzen, und aus den Bombarden wurden ungeheure Steine in die Stadt geschleudert, die bedeutende Zerstörungen anrichteten. Da der Fels ohne Quellen ist, so litten die Bonifazier (es war im August) an Wassermangel, bis endlich ein erquickender Regen fiel und die Zisternen wieder anfüllte. Cyrnaeus
Alfons, dessen Freigebigkeit zu allen Zeiten grenzenlos war, setzte seinen Tapferen ungeheure Preise aus, und fünfhundert Goldstücke waren dem bestimmt, der zuerst die Mauer ersteigen und die Zeichen des Königs aufpflanzen würde. Mit Jubel ward dies Aufgebot im Heere vernommen und der Sturm zu Wasser und zu Lande erneut. Viele Bonifazier erlagen den Geschossen der Wurfmaschinen, die auch von den Schiffen aus geschleudert wurden; aber auch viele Katalanen stürzten, von feindlichen Pfeilen durchbohrt, aus den Mastkörben ins Meer. Da fiel plötzlich der Turm Scarincio, durch die Bombarden erschüttert, zusammen, und die Belagerer sprangen von den Segelstangen auf die Trümmer hinüber und richteten die königlichen Standarten auf. Laut erscholl der Siegsruf, die Stadt sei genommen. In der That war bereits eine beträchtliche Anzahl in dieselbe eingedrungen; sie warfen Feuerbrände in die vorzüglichsten Gebäude, und das Kornmagazin ging in Flammen auf. Da eilte die Mannschaft der weniger bedrohten Türme von allen Seiten herbei; ein hartnäckiges Gefecht entstand, und alle Katalanen, die sich innerhalb der Stadt befanden, wurden getötet. Indessen schleuderten die auf den Mauern Stehenden Feuer in die aragonischen Schiffe. Drei davon waren bereits halb verzehrt, und die übrigen sahen sich gezwungen, aus dem Hafen zurückzuweichen. Während auf diese Art alles auf der Seeseite beschäftigt schien, stürmten die Landtruppen des Königs die verlassenen Mauern. Aber Margarete Bobia, eine edle Korsin, die auf den Zinnen des bedrohten Thors mit den Ihrigen Wache hielt, ließ die Leitern durch große Steine zerschmettern, und eine Schar von Tapfern öffnete plötzlich die Pforten und trieb die Feinde mit entschiedener Niederlage zurück. Cyrnaeus
Drei Tage und drei Nächte hatte ununterbrochen dieser Kampf gedauert, und die eintretende Pause benutzten die Bonifazier, um den zerfallenen Turm durch eingerammtes Pfahlwerk zu befestigen. Da sie sich weigerten, mit dem Könige zu unterhandeln, so ließ dieser Briefe, an Pfeile befestigt, in die Stadt schießen und versprach denjenigen, die sich zu ihm flüchten würden, große Geldsummen zur Belohnung. Nur zwei, worunter ein Genueser, folgten dieser Lockung und berichteten dem König, daß Antonio Salvi, der Podesta der Stadt, schon vor Ankunft der Flotte gestorben und der Kornvorrat verbrannt sei, worauf Alfons beschloß, die Bonifazier durch Aushungerung zu bezwingen.
Nichtsdestoweniger ließ er einen andern, östlich gelegenen Hügel besetzen, um auch von dorther den Feind durch Wurfmaschinen zu beunruhigen, und der Hafen ward durch eine Kette geschlossen, damit kein genuesisches Fahrzeug den Bonifaziern Zufuhr und Hilfe zu bringen imstande wäre. Wohl hatte man in Genua aus andern Teilen der Insel die Nachricht von Bonifazios Belagerung erhalten, und der Doge Thomas Fregoso ließ sich zu diesem Behuf sieben Schiffe ausrüsten. Aber abgesehn, daß die Pest in Genua wütete und der Doge bemüht war, Ludwig III. beizustehn, so waren auch den ganzen Herbst hindurch die Winde so ungünstig, die See so stürmisch, daß kein Fahrzeug den Hafen verlassen konnte. Johannes Stella, Annales Genuenses. Cyrnaeus.
Indessen war Bonifazio durch die Wurfmaschinen des Königs in einen so traurigen Zustand geraten, daß kaum ein einziges Haus noch Sicherheit darbot und die meisten in Trümmern lagen. Alle Einwohner daher, die nicht unmittelbar auf den Mauern Wache hielten, zogen sich in den nahe gelegenen Hain zurück, wo sie Hütten und Zelten aufschlugen. Alfons bot sich häufig zum Vergleich an und versprach sogar der Stadt ihre Freiheiten erhalten zu wollen. Dennoch zauderten die Bonifazier, und als von aragonischer Seite die Unmöglichkeit dargestellt wurde, dem Hunger zu widerstehn, von dem schon viele der Einwohner zu Gerippen verzehrt waren, so wurden von mehreren Seiten der Mauer Brotlaibe in das Lager des Königs hinabgeworfen und ihm selbst ein aus Frauenmilch bereiteter Käse zum Geschenk gebracht. Cyrnaeus
Hierauf begann Alfons, der unterdessen aus Spanien Verstärkungen erhalten, den Sturm aufs neue, sowohl von der Landseite als von den Schiffen aus, und die in den Mastkörben befindlichen Seesoldaten bedienten sich außer der Geschosse auch der Feuergewehre, denen viele Bonifazier zum Opfer wurden. Diese jedoch ließen den Mut nicht sinken. Statt der zerstörten Zinnen standen die Männer auf den Wällen, und die Frauen trugen ihnen Wein und Pfeile zu. Besonders nahmen diese sich der Verwundeten an und besorgten die Leichen, während die Vorsteher verordneten, daß alle Arzneien auf öffentliche Kosten verabreicht und die für die Freiheit Gefallenen vom Staate beerdigt würden. Cyrnaeus Viele der Frauen gingen überdies bewaffnet, und andere gossen siedendes Wasser und Oel oder heißes Pech auf die Feinde. Selbst die Priester stießen Körbe voll zerstampften Kalks auf die Belagerer mit den Füßen hinunter, indes sie mit den Händen entzündete Reisigbündel hinabwarfen. Groß war jedoch die Not der Stadt, als ein Thor von den Katalanen gesprengt wurde. Aber die Bonifazier erfüllten in so dichter Menge den offenen Eingang, und die Hintenstehenden drängten die Vorderen mit solcher Gewalt, daß die Feinde zurückwichen und der veranlaßte Schaden wiederhergestellt werden konnte. Vor allem beschwuren die Weiber ihre Gatten, ihre Väter und Angehörigen, sie nicht der Schande anheimzugeben, nicht schnöder Entehrung durch katalanische Seeräuber. Den Männern selbst drohe der Sklavendienst auf des Königs Galeeren, der schmählicher als der Tod sei. Cyrnaeus
Alfons ließ nun hölzerne Wälle und Belagerungstürme bauen, um sie, die den Mauern an Höhe gleichkamen, denselben zu nähern. Da öffnete sich plötzlich das Thor, und eine Schar von Jünglingen erschien mit unzähligen Fackeln, und in Verlauf einer Stunde ging das Werk so vieler Tage in Flammen auf. Aber nichtsdestoweniger zehrten Elend und Hunger an der unglücklichen Stadt. Tag und Nacht von den Feinden beunruhigt, schlaflos, abgezehrt irrten viele der eingeschlossenen Helden wie Schatten umher, und einige, aus Verzweiflung, gaben sich selbst den Tod. Cyrnaeus Andere, schon durch Wunden geschwächt, rieb der Hunger auf. Tiere, die nie zuvor der menschliche Gaumen gekostet hatte, Kräuter, die selbst das Vieh verschmäht, und Baumrinden dienten zur Nahrung. In diesem Zustande entschlossen sich die Aeltesten mit Alfons zu unterhandeln. Sollte in 40 Tagen keine Hilfe erscheinen, so wollten sie sich dem Könige ergeben. Ihm wurden 32 edle Knaben als Geiseln überliefert, und so ruhte wenigstens vom Kampfe die Stadt.
Aber der König wollte nicht erlauben, daß eine Botschaft nach Genua gesandt würde. Da bauten die Bonifazier heimlich und in großer Eile ein kleines Fahrzeug und ließen dieses bei Nacht an Seilen ins Meer hinunter, an jener schroffen Stelle gegen Sardinien zu, die von feindlichen Schiffen unbesetzt war. Mit dem Fahrzeug zugleich 24 Jünglinge, denen Briefe an den Dogen und die Republik eingehändiget wurden. Aber da die Hinwegfahrenden keine Speise mit sich nehmen konnten (denn das wenige Gebliebene war in der Stadt am nötigsten), so bestrebten sich die Frauen um die Wette, sie mit der Milch ihrer Brüste zu nähren, um der Anstrengung des Ruderns nicht zu erliegen. Ja, es erzählt uns ein korsischer Geschichtschreiber, kein Tapferer sei damals in Bonifazio gewesen, der nicht irgend einmal am Busen eines Weibes getrunken hätte. »Nemo enim fuit Bonifacii, qui non suxerit mammas alicujus mulieris ea in obsidione.« Cyrnaeus.
Heiße Wünsche und Gelübde begleiteten die abreisenden Freunde. Der Senat ordnete öffentliche Gebete an, und mit nackten Füßen, wiewohl im strengsten Winter, zogen die Bonifazier von einer Kirche zur andern und priesen in lauten Gesängen den Gott der Heerscharen, ihn um die Rettung der Vaterstadt anflehend.
Unterdes waren die Abgesandten in einer Fahrt bis Porto Palo vorgedrungen, wo sie sich mit Speise erquickten. Aber kaum hatten sie Aleria im Rücken, als sie sich von zwei katalanischen Galeeren verfolgt sahen, aus denen mit Flinten nach ihnen geschossen wurde. Den Bonifaziern blieb kein Ausweg, als das hohe Meer zu verlassen, und zur Küste flüchtend ans Land zu steigen. Die Einwohner von Campoloria, in deren Gebiet sie gelandet, eilten sogleich in Menge herbei, trieben die Katalanier, von denen sie einige gefangen nahmen, zurück und eroberten die Barke wieder, deren sich jene bereits bemächtigt hatten. Nun konnten die Abgesandten, gastfrei gestärkt und reichlich mit Mundvorrat ausgerüstet, ihre Reise fortsetzen. Aber erst spät und von ungünstigen Winden verfolgt, erreichten sie Genua.
Alfons, der die Eroberung Bonifazios für gesichert hielt, glaubte nun auch die übrigen, auf der Ostseite des Gebirgs gelegenen Städte in seiner Gewalt zu haben und schickte seine Beamten aus, um die Abgaben einzutreiben. Aber jene kehrten mit dem Bemerken zurück, daß niemand in Korsika einen Tribut zu bezahlen gewillt sei. Hierauf sandte der König seinen Konnetabel mit zahlreichen Kriegsscharen. Viele Städtchen wurden schonungslos verheert; die Einwohner jedoch flüchteten mit ihren Gütern in die Gebirge, indes die Waffenfähigen dem Feind entgegengingen und sich in einem festen Lager verschanzten. Als sie jedoch der Konnetabel mit den Bombarden beschießen ließ, konnten sie der Uebermacht nicht widerstehen und flehten alle umliegenden Orte um Hilfe an. Die Korsen bedienten sich damals bei großen Gefahren eines kriegerischen Rufs, der von Nachbar zu Nachbar, von Feld zu Feld, von Hügel zu Hügel sich ununterbrochen fortpflanzte, so daß in kurzer Zeit eine Nachricht von einem Ende der Insel zum andern gelangen konnte. Cyrnaeus Da erschien zu ihrem Beistande Mariano Cajo, ein edler und reicher Korse, mit 3000 Streitern. Jubelnd umgab ihn die Menge und begrüßte ihn mit dem vaterländischen Ruf: »Es lebe das Volk!« Er aber ermahnte sie zum Streit und beschwor sie, für die Insel, für sich selbst, für die Freiheit, für die Kinder alles zu wagen. Cyrnaeus Zuerst in kleinern Scharmützeln versuchte er die Stärke des Feinds, und als er sich ihm gewachsen fühlte, bot er ihm eine Schlacht, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit der größten Erbitterung gekämpft wurde. Des Nachts zogen sich beide Teile in ihre Schanzen zurück, und als die Korsen am nächsten Morgen umherblickten, war das Lager der Feinde leer und der Konnetabel zu seinem Könige zurückgekehrt.
Mit banger Erwartung sahen unterdessen die Bonifazier der Wiederkunft ihrer Gesandten entgegen. Während dieser Zeit befand sich das Volk, den Tag über, beständig auf dem Forum und der Senat in der Madonnenkirche; denn das Rathaus war zerstört. Endlich nach fünfzehn Tagen wurde bei Nacht die Rückkehr der Boten gemeldet. Unbemerkt landeten sie an jener verborgenen Stelle, unbemerkt wurden sie an Stricken emporgezogen. Alles eilte nach der Kirche, wo die Briefe des Senats von Genua, die schleunige Hilfe zusagten, verlesen wurden. Und nicht bloß Briefe, auch Getreide hatten die Genueser gesandt. Jubel und Dankgebete schollen in Bonifazio.
Aber es nahte der Tag der Uebergabe, und die Botschafter des Königs erschienen in der Stadt. Die Aeltesten erbaten sich nur eine Nacht Bedenkzeit. Sollte bis zum nächsten Morgen keine Rettung sich zeigen, so seien sie bereit, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Diese Bekanntmachung versetzte die Bonifazier in die tiefste Trauer. Ueberdies war ihnen von den Insulanern, die sich im Lager des Königs befanden, der Rat erteilt worden, sich nicht zu ergeben; denn das Los sei bereits über die Stadt und ihre Güter geworfen. Alfons habe beschlossen, sie sämtlich nach Katalonien zu schleppen, und wolle die verlassene Stätte mit seinen Kriegern bevölkern. In dieser Not versammelte der Senat das ganze Volk; jeder solle über das Heil des Staats beratschlagen. Da begann vor allen Wilhelm Bobia, der selbst dem Senat angehörte, die Menge zur Ausdauer zu ermuntern. Nie seien dem Feinde, sagte er, die Schlüssel zu übergeben! Wenn man die Freiheit bereits verloren hätte, würde nicht jeder trachten, sie aufs neue zu erobern, und jetzt, da sie sich noch im Besitz derselben befänden, wollten sie ihr freiwillig entsagen? Er beschwor hierauf den Schatten des Grafen Bonifazio, des Erbauers der Stadt, der die maurischen Seeräuber viermal überwunden habe. Dieser blicke vom Himmel auf sie herunter. Nicht am Beistande Genuas sollten sie verzweifeln. Furchtbare Stürme, wie jeder sähe, erregten das Meer; aber der nächste günstige Windstoß würde die ersehnten Schiffe herbeiführen. Ihre Knaben zwar seien in den Händen der Feinde; aber besser sei es, die Kinder zu verlieren, als die ganze Stadt dem Untergang preiszugeben. Cyrnaeus Da zollte die ganze Versammlung dem Redner ihren Beifall, seinen Vorschlag als das einzige Heil betrachtend. Alle Glocken wurden geläutet, ein Freudengeschrei erhob sich, und man rief von den Mauern herab, daß die gehoffte Hilfe erschienen sei. Dies wurde den Boten des Königs berichtet, die den andern Morgen die Uebergabe zu heischen kamen. Auch die Weiber kleideten sich in Harnische, und dreimal zog die ganze Schar, an der Spitze die Fahnenträger, auf der Mauer, die den Feinden zugekehrt war, auf und nieder, um den König über ihre Anzahl zu täuschen. »Haben die Genueser Flügel,« sagte Alfons, »um in die von allen Seiten belagerte Stadt sich einzuschleichen?« Da begann der Kampf aufs neue.
Vier Tage nach diesem Vorfall zeigten sich endlich die genuesischen Schiffe, sieben an der Zahl, die Genua kurz vor Weihnachten, von günstigen Nordwinden geleitet, verlassen hatten. Die Bonifazier schickten ihnen sogleich den Angelo Bobia mit einigen andern Männern entgegen, die bei Nacht nach den Schiffen schwammen. Die Genueser erstaunten über das leichenartige Aussehen der Bonifazier. Aber vier von den genuesischen Schiffshauptleuten erklärten, nur Lebensmittel ihnen darzureichen, seien sie befähigt; unmöglich sei es, gegen die unzähligen Fahrzeuge des Königs einen Kampf zu bestehen, unmöglich, in den mit Ketten geschlossenen Hafen einzudringen. Als Angelo diese Erklärung vernahm, legte er vor Erstaunen den Zeigefinger an den Mund und sagte nach einer Pause: «Digitum a pollice proximum ori admovens et in stuporem attonitus.« Cyrnaeus. »Euch ziemt es, zu wagen; wir selbst werden euch von der Stadt aus Hilfe leisten. Alle unsere Hoffnungen waren auf Gott und euch gerichtet!« Die Schiffsführer jedoch beharrten auf ihrer Weigerung. Verzweiflung ergriff bei dieser Nachricht die belagerte Stadt. Die Frauen lagen auf ihren Knieen in den Tempeln und flehten den Himmel an, sie zu retten, den Genuesern Tapferkeit einzuflößen.
Doch nicht alle Genueser dachten wie jene vier. Der Befehlshaber der Flotte, Giovanni Fregoso, des Dogen Bruder, ein zwanzigjähriger Jüngling, war vom Geiste seiner Ahnen beseelt. »Cito assuefactus ad ardua.« Johannes Stella. Eben so Raphael Negro, der Hauptmann des zweiten Schiffs, das seiner Größe wegen der »schwarze Berg« hieß. Vor allem beschämte Jakob Bonissia, wiewohl plebejischer Abkunft, die Zaghaften, und in feuriger Rede forderte er zu den Waffen auf. Der Himmel schien sein Vorhaben zu begünstigen; denn am nächsten Morgen erhob sich ein heftiger und den Aragonesen ungünstiger Wind. Alle Segel aufgespannt, flog das Schiff des Bonissia voran, mit eisenbeschlagenem Vorderteil zersprengte es die Kette des Hafens gewaltsam; die beiden andern folgten ihm. Gedrängt zwischen die Schiffe des Königs, entspann sich ein blutiges, siebenstündiges Gefecht. So viel waren der Geschosse, daß sie die Luft verfinsterten. Mit Wurfzeugen, mit Pfeilen, ja mit dem Schwerte wurde gekämpft. Fast erlag der »schwarze Berg« den katalanischen Bombarden; doch mit dem Anker hielt er sich an das Schiff des Bonissia fest. Ein genuesischer Taucher, Namens Andreas, stahl sich unter dem Wasser zu den feindlichen Schiffen und schnitt ihnen mittels eines scharfen Messers die Taue ab, mit denen sie an den Strand befestigt waren, so daß sie plötzlich in ein heftiges Schwanken gerieten. Dieser Umstand, als etwas Unerklärliches, brachte eine große Bestürzung hervor. Bracelli, De bello inter Genuenses et Hispanos.
Ungeheure Steine wälzten indes die Belagerten auf die aragonischen Fahrzeuge. Viele aus der Stadt ließen sich zu den Genuesern herab, da die Bonifazier im Seekrieg für besonders erfahren galten. Flüssiger Kalk und ausgelöste Seife wurden auf die feindlichen Verdecke ausgeschüttet, und bei jedem Schritte glitten die Katalanier ins Meer hinunter. Allgemeine Erschöpfung trennte zuletzt den Kampf; doch behaupteten die Genueser den Hafen, und auch die vier zurückgebliebenen Schiffe drangen hinein. Reichlich wurde nun die Stadt mit Lebensmitteln und Vorrat aller Art versorgt. Mehrere Tage blieben die Genueser im Hafen, vom Dank der Geretteten überhäuft. Am fünften Morgen sollte der günstige Wind zur Abfahrt benutzt werden. Da reihten die Katalanen eine dichte Schlachtordnung von Schiffen an der ganzen Breite des Hafens auf, um die Heransegelnden wie in einem Netze zu fangen. Aber diese hatten einen alten, in Bonifazio vorgefundenen Wrack zum Brander benutzt, mit brennbaren Stoffen angefüllt. Ein kleines Boot folgte ihm. Als sie sich nun der Flotte näherten, warfen die Matrosen Feuer in den Brander und sprangen ins Boot zurück. Mächtige Flammen nach allen Seiten sprühte das entzündete Fahrzeug; nach allen Seiten stoben die Schiffe des Königs auseinander. Die Erschreckten noch mehr zu betäuben, erhoben die Genueser, bisher in Totenstille verharrend, ein ungeheures Geschrei, und es antworteten die Bonifazier, den Freunden, den Rettern, den Befreiern eine glückliche Fahrt von ihrem Felsen herunterwünschend, mit unermeßlichem Jubelruf. Cyrnaeus. Frei zogen die Schiffe der Republik von dannen; von Ruhm beladen, langten sie in Genua an.
Während dieser Zeit hatte auch Calvi sich befreit. Die Besatzung des Königs hatte Geiseln verlangt, die Calvenser sich Bedenkzeit ausgebeten. Als am andern Morgen das Hochamt in der Johanniskirche gehalten wurde, begaben sich dorthin die Jünglinge, die über den Panzer Weiberkleider geworfen hatten. Nach vollendeter Messe erklärte der Magistrat, daß keine Geiseln gegeben würden. Die Katalanen begannen den Kampf mit den Eingebornen; aber plötzlich stürzten die Jünglinge aus der Kirche heraus, die Schwerter unter den Röcken hervorziehend. Die ganze Besatzung bis auf einen wurde getötet. Cyrnaeus.
Als der König, der die Hoffnung, Bonifazio zu bezwingen, aufgegeben, diese Nachricht erfuhr und auch der Westseite der Insel nicht mehr vertrauen durfte, steuerte er im Januar 1421 mit seiner Flotte gegen Neapel zu, nachdenklich über die Freiheitsliebe Italiens, die der katalonischen wenig nachgab. Die Ketten des Hafens von Bonifazio aber wurden als Triumphzeichen in Genua aufgehängt.