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Bei einem mehrjährigen Aufenthalte in Neapel konnte es nicht fehlen, daß ich mich mit der Geschichte dieses Landes zu befreunden suchte, und so geschah es auch, daß eine oder die andere Epoche derselben einen so großen Reiz auf mich ausübte, daß ich mich zu näherer Betrachtung und Nachspürung, ja zu eigener Darstellung aufgefordert fühlte. Dies war besonders bei dem vorliegenden Zeitraume der Fall, der einen höchst merkwürdigen Wendepunkt bildet. Da derselbe kaum drei Jahrzehnte begreift, so glaubte ich ihn bis in seine Einzelheiten verfolgen zu können, ohne den Vorwurf einer zu kleinlichen Ausführlichkeit zu verdienen. Teils war es mir um eine umfassendere Darstellung zu thun, als die bisherigen Erzähler jener Begebenheiten im Auge hatten, teils konnte es mir durch jene Einzelheiten am besten gelingen, die Sitten und Charaktere der damaligen Zeit in ein lebendiges Licht zu stellen, worauf mein Augenmerk vorzüglich gerichtet war. Es gibt zwei Arten von Geschichtschreibung, die betrachtende und erzählende. Erstere wird kurzgefaßt am meisten anziehn, letztere wird, wie das epische Gedicht, ohne Einzelheiten langweilig und ermüdend scheinen. In beiden wird freilich der ordnende Geist das Meiste thun müssen.
Bei einer Nation, wie die deutsche, die so oft ihre eigene Universalität zu rühmen pflegt, mag ein so kleingezogener Kreis, wie der hier gegebene, befremdend erscheinen; aber zuweilen läuft die schwere Kunst, alles zu wissen, auf die leichte hinaus, nichts gelernt zu haben. In Italien fehlt es zwar an Weltgeschichten, woran wir so reich sind; doch findet man daselbst, fast durch alle Jahrhunderte hindurch, einen so reichhaltigen Schatz von Chroniken und vortrefflichen zeitgenossischen Geschichtschreibern, daß wir wohl Ursache haben könnten, dieselben mit Neid zu betrachten.
Diese Bemerkung bezieht sich allerdings mehr auf Nord- und Mittelitalien, zumal Toscana und Venedig, als auf das Königreich Neapel, wo eher über Armut an historischen Quellen zu klagen wäre, und namentlich auch in dem Zeitraume, von welchem hier die Rede ist. Doch sind die Beziehungen des selben so mannigfach, daß da, wo einheimische Hilfsmittel abgehen, die genuesischen und aragonischen Geschichtschreiber, sowie die Biographen der Päpste, des Königs Alfons und der berühmtesten Feldherrn jener Zeit hinlängliche Aufklärung gewähren, Aber eben durch die große Verschiedenartigkeit der Quellen war die hier gesetzte Aufgabe schwerer zu lösen, als es, bei ihrem geringen Umfange, der Anschein zeigen möchte.
Was die Anführung jener Quellen betrifft, so schien sie mir nur bei auffallenden und weniger bekannten Thatsachen nötig zu sein; bei solchen aber, die fast ohne Ausnahme von allen Gesamthistorikern Neapels erzählt werden, hielt ich sie für nutzlos, da es mir weder um Störung des unbefangenen Lesers, noch um Darlegung von Gelehrsamkeit zu thun war.
Hoffentlich, wenn diese persönliche Schlußbemerkung erlaubt ist, wird man dem Dichter die Fähigkeit zu historischen Arbeiten nicht absprechen können, oder vielmehr, man wird gestehen müssen, daß es keinen Geschichtschreiber, der von poetischem Genie entblößt wäre, geben kann; denn wie wäre Geschichtschreibung möglich ohne darstellende Kraft? Das eigentliche Verdienst des Dichters beruht auf der Wahrheit seiner Darstellung, und die wirkliche Erfindung beschränkt sich auf die Kenntnis der Natur und der menschlichen Seele. Ohne diesen Grund und Boden der Wirklichkeit würden selbst Homer und Ariost als geringe Poeten erscheinen müssen; denn der würdige Mensch kann nichts Würdiges unternehmen, dessen Hintergrund nicht die Wahrheit wäre. Wie wohlfeil das bloße Aushecken phantastischer Begebenheiten und Abenteuer zu haben ist, dies erhellt täglich aus der Sündflut von Novellen und Romanen, die davon wimmeln. Eine solche, großenteils entnervende Lektüre allmählich zu verbannen und den Geist des Volkes an edlere Beschäftigungen zu gewöhnen, ist eine Aufgabe, zu welcher auch der Verfasser dieser Blätter sein Scherflein beizutragen sich berufen fühlt. Möchte es dieser und einigen andern noch vorbehaltenen Darstellungen gelingen, die Deutschen mehr und mehr zu überzeugen, daß bloß das Bedeutende ewig fortwirkt und daß kein Roman so romantisch ist, als die Geschichte selbst.