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Zweiter Akt.

Hocheleganter Salon in Baldovinos Haus. Einige Möbel, die im ersten Akt vorkamen, finden wir hier wieder. Eingang im Hintergrund, Türen rechts und links.

Wenn der Vorhang aufgeht, steht Fongi an der Tür links, die er mit der Hand offen hält. In der anderen Hand hält er seinen Hut und Stock. Er spricht zu Baldovino, der noch im Nebenzimmer ist. Fabio steht am Ausgang im Hintergrund und wartet, wie einer, der seine Anwesenheit lieber verheimlichen möchte.

Fongi spricht hinein in das Nebenzimmer: Vielen Dank, Baldovino, selbstverständlich komme ich zur Taufe. Ich bin in einer halben Stunde wieder da mit unseren Freunden vom Aufsichtsrat. Auf Wiedersehen! Er schließt die Tür, wendet sich zu Fabio, der sich ihm auf den Fußspitzen nähert. Fongi zwinkert mit dem einen Auge und winkt mit dem Kopfe.

Fabio leise, ängstlich: Ja, glaubst du, daß es gehen wird?

Fongi: Ja, ja, er ist hereingefallen. Bevor er dies sagt, winkt er ein paarmal mit dem Kopfe und zwinkert dazu.

Fabio: Auch ich habe den Eindruck. Es sind ja schon sechs Tage her.

Fongi zeigt ihm drei erhobene Finger und schüttelt sie in der Luft: Drei … dreihundert … dreihunderttausend Lire! Sagt ich es dir nicht? Das mußte gelingen. Schiebt seinen Arm unter den Fabios und geht plaudernd mit ihm ab: Es wird eine richtige Komödie. Überlaß das mir. Überlaß das mir. Wir werden ihn schon am Kragen packen.

Die Bühne bleibt einen Augenblick leer. Dann öffnet sich die Tür rechts und es treten Baldovino und Maurizio Setti ein.

Maurizio blickt sich um: Du hast dich hier wirklich fabelhaft eingerichtet.

Baldovino zerstreut: Ja … ja … mit zweideutigem Lächeln: Wie es sich für unsereins schickt. Pause. Sag' mag, wo hast du denn so lange gesteckt?

Maurizio: Ach Gott, ich bin in der Welt herumgebummelt, mal anderswo, als einen sonst die Wege führen!

Baldovino: Du meinst wohl damit, daß du diesmal nicht in Paris, Nizza oder Kairo warst? Wo hast du denn gesteckt?

Maurizio: Im Lande, wo Kautschuk und Bananen wachsen.

Baldovino: Am Kongo?

Maurizio: Jawohl. In den Urwäldern, in den richtigen, sage ich dir.

Baldovino: Ach nein! Und hast du auch wilde Tiere: Tiger, Leoparden gesehen?

Maurizio: Aber woher denn! Gott behüte! Wie deine Augen blitzen!

Baldovino lächelt bitter. Auf seine Fingernägel blickend: Siehst du, was aus uns geworden ist? Wir schneiden sie nicht, um uns zu entwaffnen. Im Gegenteil, wir wollen zivilisierter erscheinen, das heißt: geeigneter zu einem Kampf, der viel wüster und wilder ist als der, den unsere tierischen Vorväter, die Ärmsten, mit den bloßen Nägeln auszufechten hatten. Darum beneide ich immer die wilden Tiere. Und du, du warst in den Urwäldern und hast nicht einmal einen Wolf gesehen?

Maurizio: Lassen wir das. Sprechen wir lieber von dir. Also, wie stehts?

Baldovino: Was denn?

Maurizio: … ich meine … wie es euch geht? Deine Gattin … das heißt … der … der gnädigen Frau?

Baldovino: Wie soll es ihr gehen? Ausgezeichnet.

Maurizio: Ja … ich meine … und … deine Beziehungen?

Baldovino blickt ihn erst an, dann steht er auf und sagt: Wie sollen sie sein?

Maurizio ändert den Ton, wird lustiger: Ich finde, du siehst wohl aus.

Baldovino: Ich arbeite eben.

Maurizio: Ach ja, ich hörte, daß Fabio eine Aktiengesellschaft gründete …

Baldovino: Ja, um mich unterzubringen. Er macht ein gutes Geschäft dabei.

Maurizio: Du bist der Direktor?

Baldovino: Deshalb macht er ein so gutes Geschäft.

Maurizio: Das habe ich gehört. Ich möchte mich gern an dem Geschäft beteiligen … aber man sagt, daß du verteufelt streng bist …

Baldovino: Das will ich meinen! Ich stehle ja nicht. Nähert sich Maurizio und legt seine Hände auf Maurizios Arme. Weißt du, … Hunderttausende gehen einem durch die Hände. Papierfetzen – man hat sie gar nicht mehr nötig.

Maurizio: Das muß dir doch Spaß machen.

Baldovino: Himmlisch! Und nichts mißlingt mir! Aber man muß eben arbeiten … arbeiten! Und alle müssen gehorchen. Sie beklagen sich wohl? Murren sie? Knirschen mit den Zähnen?

Maurizio: Sie sagen, daß du ein wenig mehr Nachsicht haben könntest …

Baldovino: Oh, das weiß ich! Ich jage sie alle in rasendem Tempo. Ich hetze jeden, der mit mir zu tun hat. Aber: ich kann nicht anders! – Seit zehn Monaten bin ich kein Mensch mehr.

Maurizio: So? Was denn sonst?

Baldovino: So etwas wie eine Gottheit. Meine Körperlichkeit ist nur ein Schein. Ich gehe unter in der Brandung von Zahlen und Spekulationen. Aber alles gehört anderen, nicht mir. Und ich will auch nichts verdienen. Ich lebe hier, in diesem schönen Hause und sehe und rühre nichts an. Manchmal wundere ich mich über den Klang meiner Stimme, über den Schall meiner Schritte, daß ich Durst habe oder schlafen muß. Ich lebe, verstehst du – göttlich – im Absoluten einer rein abstrakten Form!

Maurizio: Du solltest immerhin etwas Mitleid empfinden mit den armen Sterblichen, die …

Baldovino: Ich empfinde es ja. Sie tun mir leid, aber ich kann nicht anders. Ich muß sie bis zum Ersticken vorwärts jagen, alle miteinander! Ich sagte es ja klipp und klar deinem Vetter, dem Marchese. Ich halte meine Verpflichtungen restlos ein.

Maurizio: Und empfindest dabei eine teuflische Genugtuung!

Baldovino: Teuflisch – nein. Ich schwebe in der Luft wie die Heiligen auf einer Wolke.

Maurizio: Du wirst aber begreifen, daß es nicht lange so weitergehen kann.

Baldovino: Ah, das weiß ich. Es wird ein Ende nehmen. Und vielleicht sehr bald! Aber dann müssen sie sich in Acht nehmen. Es wird sich erst entscheiden, wie sie … unterbricht sich, blickt Maurizio fest in die Augen. Ich sage es in ihrem Interesse, Öffne deinem Vetter die Augen. Mir scheint, er wünscht dringend, mich loszuwerden. – Du wirst verlegen? Weißt du etwas Näheres?

Maurizio: Nein … nichts.

Baldovino Sei doch aufrichtig. Er tut mir leid … Es ist ja natürlich, daß …

Maurizio Ich versichere dich, daß ich nichts weiß … Ich sprach nur mit Frau Maddalena. Fabio habe ich noch nicht gesehen.

Baldovino Ich weiß ja, die Mutter und dein Vetter werden sich gedacht haben: »Wir verheiraten sie nur pro forma. Nach einer gewissen Zeit werden wir ihn schon mit irgendeiner Ausrede loswerden.« Und diese Möglichkeit war ja tatsächlich das Wahrscheinlichste. Sie können aber die Möglichkeit nicht mehr erhoffen! Auch darin waren sie von einem bedauerlichen Leichtsinn. Auch darin.

Maurizio Das sind aber nur Annahmen! Wer sagt dir, daß die Sache so steht?

Baldovino Ein Beweis dafür ist auch, daß sie als wichtigste Bedingung die Anständigkeit meinerseits forderten.

Maurizio Da siehst du ja … Du sagst doch selber …

Baldovino: Wie naiv du bist! Die Logik ist eine Sache und das Unterbewußtsein der Seele ist wieder eine andere. Man kann wohl, durch logische Folgerung verleitet, etwas vorschlagen, – und mit der Seele eine andere Möglichkeit erhoffen. Ich könnte ja eventuell jetzt gleich, um ihm und Frau Agata gefällig zu sein, mich opfern und eine Möglichkeit bieten, durch die sie mich loswerden können. Darauf können sie aber nicht hoffen, denn … – ich werde es nicht tun; darum nicht, weil sie keinesfalls ernstlich wünschen können, daß ich es tue. Nehmen wir an, ich hätte etwas begangen. Erst würden sie wahrscheinlich aufatmen. Sie können sich von meiner lästigen Gegenwart befreien. Frau Agata bliebe die legitime Frau eines unwürdigen und verstoßenen Gatten. Man würde sie gerade deswegen entschuldigen, wenn sie, jung wie sie ist, sich von einem alten Freunde trösten ließe. Als Gatte könnte ich vielleicht so unanständig sein, mich hinauswerfen zu lassen. Man rief mich aber als Vater hierher! Als Vater würde ich durch jede Unanständigkeit meinem Sohn, der meinen Namen trägt, schaden, und je tiefer ich sinke, desto mehr würde ich ihm schaden. Und das kann niemand wünschen.

Maurizio: Nein, wirklich nicht!

Baldovino: Verlaß dich darauf: ich würde sehr tief sinken. Um mich für ihre Gemeinheit zu rächen, würde ich meinen Sohn verlangen, der nach dem Gesetz mir gehören muß, – ich würde ihn erst zwei, drei Jahre bei ihnen lassen, damit sie ihn recht liebgewinnen, dann würde ich beweisen, daß meine Frau mit ihrem Geliebten im Ehebruch lebt und ihnen daraufhin das Kind entreißen und mit mir in die Tiefe ziehen … Du weißt, daß in meinem Innern eine Bestie lebt, von der ich mich befreien wollte, indem ich sie hier verkettete. Plötzlich im anderen Tone Genug davon, genug! Sag' mal, haben sie dich gleich nach deiner Ankunft zu mir geschickt? Heraus mit der Sprache. Wie lautet dein Auftrag? Was solltest du mich fragen? So sage doch rund heraus! Sieht nach der Uhr. Ich habe schon mehr Zeit mit dir verbracht, als ich darf. Du weißt doch, heute vormittag ist Taufe. Und vor dem Essen habe ich noch eine Aufsichtsratssitzung. Schickt dich dein Vetter oder die Frau Mutter zu mir?

Maurizio: Ja, gerade die Taufe … der Name, den du dem Kinde unbedingt geben willst …

Baldovino: Ach ja, ich weiß Bescheid.

Maurizio: Aber erlaube …

Baldovino: Gut, ich weiß. Der arme Kleine. Ein so großer Name für ein so kleines Kind.

Maurizio: Sigismund!

Baldovino: Der Name ist historisch in meiner Familie. So hieß mein Vater! Auch mein Urgroßvater!

Maurizio: Aber das ist doch für sie hindeutend noch kein Grund! Du mußt doch verstehen!

Baldovino: Mein Gott, es ist ein häßlicher Name, plump und komisch, besonders für einen Neugeborenen. Vielleicht wäre ich auch nicht darauf gekommen … Gestatte: Ist es etwa meine Schuld? Ich muß dir gestehen … mein eigenes Kind hätte ich nicht so genannt.

Maurizio: Siehst du!

Baldovino: Was soll ich sehen? Wenn ich ihm schon einen Namen geben muß, dann nur diesen. Nicht meinetwegen – der Form wegen. Es hat gar keinen Zweck, mich beeinflussen zu wollen. Zum Teufel, man soll mich arbeiten lassen! Das sind doch alles Nichtigkeiten! Es tut mir leid, mein Lieber. Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen! Er schüttelt ihm eilig die Hand und geht schnell nach links ab. Maurizio bleibt verdutzt stehen, gleich darauf kommen von rechts hintereinander Frau Maddalena und Fabio, geduckt, ängstlich, erwartungsvoll. Maurizio blickt sie an und kratzt sich den Kopf. Erst macht Frau Maddalena eine stummfragende Kopfbewegung, dann wiederholt Fabio dieselbe düster und ernst. Maurizio winkt »nein«, schließt die Augen und hebt entsagend die Arme hoch. Frau Maddalena sinkt in einen Stuhl wie vernichtet. Fabio setzt sich steif mit den Fäusten auf den Knien. Auch Maurizio setzt sich, den Kopf schüttelnd und atmet tief durch die Nase. Auf Maurizios Seufzer pustet Fabio durch den Mund. Frau Maddalena kann weder seufzen noch blasen, sie schüttelt nur verzweifelt ihren Kopf mit schiefen Mundwinkeln, immer im Takt zu dem Ächzen und Stöhnen der beiden Herren. Plötzlich springt Fabio auf und beginnt zitternd und mit geballten Fäusten auf und ab zu gehen. Dann erhebt sich auch Maurizio, geht zu Maddalena, verbeugt sich und reicht ihr die Hand, um sich zu verabschieden.

Maddalena leise, wie wehklagend, reicht ihm die Hand: Sie gehen?

Fabio dreht sich schnell um: Laß ihn nur gehen. Ich weiß nicht einmal, woher er den Mut nahm, sich noch hier zu zeigen. Zu Maurizio. Ich kann dich nicht mehr sehen! Geht wieder auf und ab.

Maurizio wagt nicht zu protestieren, wendet sich kaum zu Fabio, noch immer Frau Maddalenas Hand haltend, leise: Wo ist sie?

Maddalena: Sie ist drin, – bei dem Kinde. Sie spricht leise in klagendem Tone.

Maurizio leise, noch immer ihre Hand haltend: Ich bitte, sie herzlichst von mir zu grüßen. Küßt Maddalenas Hand, dann hebt er wieder entsagend die Arme. Kann sie mir all das verzeihen?

Maddalena: Sie hat wenigstens das Kind!

Fabio auf und ab gehend: Jawohl, sie wird ihre Freude daran haben! Bald wird er auch das Kind quälen!

Maddalena: Das fürchte ich doch gerade.

Fabio auf- und abgehend: Er fängt ja schon mit dem Namen an.

Maddalena zu Maurizio: Glauben Sie mir, Setti, seit zehn Monaten ersticken wir beinah.

Fabio auf und ab gehend: Und wie wird er das Kind erziehen!

Maddalena: Es ist furchtbar! Man darf nicht einmal die Zeitung lesen!

Maurizio: Warum nicht?

Maddalena: Was weiß ich? Er hat so seine Ideen über die Presse.

Maurizio: Ist er so streng zu Hause? Ist er grob?

Maddalena: Aber nein! Viel schlimmer! – Äußerst höflich … Er sagt einem die tollsten Sachen in einem Tone … mit so harmlosen Argumenten – und verblüffenden Beweisen, daß man stets tun muß, was er will. Er ist ein ganz fürchterlicher Mensch! Ich habe keine Kraft mehr …

Maurizio: Ich bin einfach vernichtet. Kommst du mit, Fabio?

Fabio: Aber laß mich doch! Ich kann jetzt nicht fort, weil heute die Taufe ist, sonst wäre ich längst weg. Aber du kannst gehen! So gehe doch! Begreifst du denn nicht, daß ich dicht nicht mehr sehen kann?

Maurizio: Ich gehe schon! Ich gehe.

Stubenmädchen öffnet die Tür im Hintergrund und meldet: Der Herr Pfarrer.

Maddalena erhebt sich: Ach, wir lassen bitten. Stubenmädchen ab.

Maurizio: Also auf Wiedersehen, gnädige Frau.

Maddalena: Sie gehen? Vor der Taufe? Schade! Kommen Sie bald wieder, recht bald. Ich setze große Hoffnungen auf Sie. Maurizio hebt wieder entsagend die Arme, verbeugt sich, blickt Fabio an, wagt ihn aber nicht zu grüßen, geht ab durch die Tür im Hintergrund und begrüßt dort noch den Pfarrer der Kirche Santa Marta, den das Stubenmädchen eintreten läßt. Das Stubenmädchen schließt die Tür. Ab.

Pfarrer: Wie geht es, liebe gnädige Frau?

Maddalena: Willkommen, Herr Pfarrer. Nehmen Sie Platz.

Fabio: Hochwürden …

Pfarrer: Ah, lieber Herr Marchese … Ich komme wegen der Vorbereitungen …

Maddalena: Wir haben dort drin schon alles vorbereitet mit den Kirchengeräten, die Sie gesandt haben.

Pfarrer: Und die gnädige Frau?

Maddalena: Ich werde sie sofort rufen lassen.

Pfarrer: Aber nein, sie wird vielleicht beschäftigt sein. Ich wollte nur fragen, wie es ihr geht?

Maddalena: Danke, jetzt schon ganz gut. Sie lebt jetzt ganz dem Kindchen.

Pfarrer: Das kann ich mir denken.

Maddalena: Sie verläßt es nicht eine Stunde.

Pfarrer: Der Herr Marchese wird also der Pate sein?

Fabio: Jawohl! Verbeugt sich.

Maddalena: Und ich die Patin.

Pfarrer: Selbstverständlich … Und … der Name? Bleiben Sie dabei?

Maddalena: Ja, leider Gottes. Seufzt tief.

Fabio: Leider Gottes.

Pfarrer: Nun, nun, immerhin … Es ist doch ein recht wichtiger Heiliger … sogar ein König! Ich beschäftige mich nämlich auch etwas mit der Kirchengeschichte …

Maddalena: Wir wissen doch, Sie sind ein großer Gelehrter …

Pfarrer: Bitte beschämen Sie mich nicht. Ich studiere nur sehr gern, – der heilige Sigismund war König von Burgund – seine Frau war Amalberga, Tochter des Teodorich …. Allerdings heiratete er dann, als sie starb, eine ihrer Hofdamen, eine perfide Person, die ihn elenderweise dazu aufwiegelte … nun ja … die schrecklichste aller Missetaten zu begehen, an seinem eigenen Söhnchen …

Maddalena: Lieber Himmel! Am eigenen Söhnchen! Was tat er ihm denn?

Pfarrer: Na ja, er erdrosselte das Kind.

Maddalena fast schreiend zu Fabio: Da haben wir's!

Pfarrer schnell: Aber er bereute es sofort. Und er zog sich in ein Kloster zurück. Seine Tugend und vor allem die Strafen, die er mit heiliger Demut ertrug, machten ihn dann später zu einem Märtyrer.

Maddalena verzweifelt: Er wurde also auch bestraft?

Pfarrer schließt halb die Augen, reckt den Hals, beugt ihn vor und deutet mit dem Zeigefinger an, daß er geköpft wurde: Im Jahre 524, wenn ich nicht irre …

Fabio wütend: Das ist ja ein netter Heiliger! Erdrosselt den eigenen Sohn, und – wird geköpft!

Maddalena: Mein einziger Trost ist, daß man den Namen abkürzen kann. Wir werden ihn ja Sigi nennen.

Pfarrer: Sigi, ein ausgezeichneter Name für ein Kindchen …

Fabio: Es fragt sich nur, ob er es erlauben wird?

Maddalena: Das ist es eben.

Pfarrer: Ja, wenn der Herr Baldovino an dem Namen seines Vaters festhalten will … kann man ihm dies nicht verdenken. Bleiben wir also dabei?

Maddalena: Das muß er Ihnen aber selber sagen, Herr Pfarrer. Einen Augenblick … sie klingelt. Ich lasse ihn sofort rufen. Bitte, sich etwas zu geduldigen.

Diener kommt durch die Hintergrundtür.

Maddalena: Melden Sie dem Herrn, daß der Herr Pfarrer hier ist. Vielleicht kann er ein Augenblickchen hereinkommen. Dort ist er. Zeigt nach links. Der Diener verneigt sich, geht zur Türe links, klopft und tritt ein.

Baldovino tritt eilig ein von links: Ah, hochwürdiger Herr Pfarrer, Ihr Besuch ehrt mich tief … Bitte bleiben Sie nur sitzen.

Pfarrer: Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Herr Baldovino.

Baldovino: Ich bin glücklich, Sie in meinem Hause begrüßen zu können. Womit kann ich dienen?

Pfarrer: Ich komme zur Taufe.

Baldovino: Alles ist bereit. Die Paten sind anwesend, die Kirche ist in der Nähe.

Maddalena entsetzt: Was?

Fabio in verhaltener Wut: Was?

Baldovino wendet sich um, blickt beide verwundert an: Wieso?

Pfarrer schnell: Nun, Herr Baldovino … es wurde doch so ausgemacht, daß … oder wußten Sie es nicht?

Maddalena: Drüben ist alles vorbereitet. Zeigt nach rechts.

Baldovino: Was ist vorbereitet?

Pfarrer: Die Taufe zu Hause zu zelebrieren, um das Fest würdig zu gestalten.

Baldovino: Würdig?? Erlauben Sie, Herr Pfarrer, aber das hätte ich nicht von Ihnen erwartet.

Pfarrer: Ich meine … es ist doch in unserer Stadt Sitte, daß die vornehmeren Leute die Feier zu Hause halten.

Baldovino mit lächelnder Einfachheit: Und würden Sie es in Ihrem Herzen nicht schön finden, Herr Pfarrer, wenn sich jemand in Demut zur Gleichheit von Reich und Arm vor Gott bekennen würde?

Maddalena: Niemand wird doch Gott durch eine Taufe im Hause kränken!

Fabio: Du hast dir scheinbar vorgenommen, alles, was andere vorschlagen, zu hintertreiben. Es ist doch seltsam, daß gerade du dich da einmischst und Lehren erteilen willst …

Baldovino: Sei so gut, mein lieber Marchese, zwinge mich nicht, deutlich zu werden … Verlangst du etwa mein Glaubensbekenntnis?

Fabio: Ach was, ich verlange gar nichts von dir!

Baldovino: Oder hältst du es für Heuchelei?

Fabio: Ich habe nichts von Heuchelei gesagt, finde nur deine Hartnäckigkeit kleinlich …

Baldovino: Glaubst du, meine religiösen Gefühle zu kennen? Was weißt du davon! Da dieser feierliche Akt nicht mich, sondern das Kind angeht, so hat er so vor sich zu gehen, wie er für das Kind richtig ist. Das heißt, der Junge soll ohne Privilegien, die den feierlichen Akt nur herabsetzen, in der Kirche getauft werden. Ich finde es recht seltsam, daß ich das hier vor dem Herrn Pfarrer sage, der doch wissen müßte, wieviel tiefer und feierlicher die einfache Taufe in der Kirche ist.

Pfarrer: Oh, gewiß!

Baldovino: Übrigens, das Kind gehört immer in erster Reihe der Mutter, sie soll entscheiden. Wir wollen hören, was sie sagt. Drückt zweimal auf die Klingel. Lassen wir den Herrn Pfarrer mit ihr sprechen!

Stubenmädchen kommt von rechts.

Baldovino: Bitten Sie die gnädige Frau einen Augenblick herein. Stubenmädchen verneigt sich, ab.

Pfarrer: Was mich anbelangt, … mir wäre es lieber, wenn Sie die Angelegenheit erklären würden … Herr Baldovino, Sie können so wunderbar reden.

Baldovino: Nein, nein, ich ziehe mich zurück. Sagen Sie ihr meine Gründe. Zu Maddalena und Fabio: Und ihr sagt die euren. Dann soll die Mutter frei verfügen, und es soll so geschehen, wie sie es haben will. Da ist sie schon!

Agata kommt von rechts, in elegantem Morgenrock. Sie ist blaß und steif. Fabio und der Pfarrer stehen auf. Baldovino stand schon.

Agata: Ah, Herr Pfarrer …

Pfarrer: Meine allerherzlichsten Glückwünsche, gnädige Frau.

Fabio verneigt sich: Gnädige Frau  …

Baldovino zu Agata: Es handelt sich um die Taufe. Zum Pfarrer: Ihr Diener, Herr Pfarrer.

Pfarrer: Ich habe die Ehre, Herr Baldovino. Baldovino links ab.

Agata: Ja, ist denn nicht schon alles vorbereitet worden?

Maddalena: Doch, alles ist fertig dort drinnen, und so schön …

Fabio: Er will wieder was anderes!

Pfarrer: Ja, der Herr Baldovino …

Maddalena: Er will nicht, daß die Taufe zu Hause stattfindet.

Agata: Und warum will er es nicht?

Maddalena: Weil er sagt, daß …

Pfarrer: Darf ich reden, gnädige Frau? Er überläßt Ihnen die Entscheidung. Wenn Sie also wollen …

Maddalena: Aber natürlich! Wie es besprochen ist. Nicht?

Pfarrer: Ich finde wirklich nichts dabei …

Fabio: Es ist doch Sitte!

Agata: Was soll ich also entscheiden?

Pfarrer: Also bitte … Herr Baldovino behauptet nicht mit Unrecht, – und mit einem Gefühl der Verehrung der Kirche, das ihm Ehre macht, – die Taufe in der Kirche sei von größerer Feierlichkeit ohne Privilegien, die – und hier sagte er ein tiefes und schönes Wort – den Akt an sich nur herabsetzen könnten.

Agata: Nun? Dann sind Sie ja damit einverstanden.

Pfarrer: Im Prinzip selbstverständlich.

Agata: Dann geschieht es, wie er es haben will.

Maddalena: Wie, auch du billigst das?

Agata: Selbstverständlich, Mutter …

Pfarrer: Ich sagte: im Prinzip, gnädige Frau. Aber dennoch …

Fabio: Es wäre dabei wirklich nichts Unrechtes, keine Beleidigung der Kirche …

Pfarrer: Oh, das keinesfalls.

Fabio: Er will uns nur das Fest verderben.

Pfarrer: Aber wenn die gnädige Frau selbst so entscheidet?

Agata: Ja, Herr Pfarrer, auch ich will es so.

Pfarrer: Dann ist alles in Ordnung. Bitte mich nur zu benachrichtigen, gnädige Frau. Verbeugt sich vor Agata, dann zu Maddalena. Gnädige Frau …

Maddalena: Ich begleite Sie.

Pfarrer: Herr Marchese …

Fabio: Habe die Ehre, Herr Pfarrer … Maddalena mit dem Pfarrer ab im Hintergrund.

Agata ist sehr bleich, will zur Tür rechts.

Fabio nähert sich ihr, am ganzen Leibe zitternd, und sagt ihr leise, aufgeregt: Agata, ich flehe dich an, zwinge mich nicht zum Äußersten!

Agata: Genug! Zeigt tiefernst, mehr mit einer Kopfbewegung, als mit der Hand in Richtung der linken Tür, wo Baldovino hinausging. Ich bitte dich.

Fabio: Immer wie er will!

Agata: Wenn das, was er will, immer richtig ist …

Fabio: Alles, alles, was er gesagt hat, ist für dich stets das Evangelium, vom ersten Tage an, seitdem der Teufel ihn hierher brachte.

Agata: Wir wollen nicht wieder darüber reden, was damals gemeinsam beschlossen wurde.

Fabio: Da siehst du, was aus dir geworden ist! Nur allzuleicht hast du dein Entsetzen vor diesem Manne überwunden, weil du damals an der Tür horchtest, als er zum ersten Male hier war. Du kannst unbekümmert sein, – ich habe mich damals für dich geopfert, aber jetzt hast du die Schuld. Nur du allein … Außerdem weiß er …

Agata schnell, stolz: Was weiß er?

Fabio: Siehst du, wie du zu ihm hältst? Er weiß genau: seitdem hat alles zwischen uns aufgehört.

Agata: Ich halte auf mich!

Fabio: Du hältst zu ihm.

Agata: Nein! Um meinetwillen könnte ich seinen Argwohn nicht dulden.

Fabio: Ja, um seiner Achtung willen, um die du wirbst. Als ob er sich nicht zu dieser Rolle hergegeben hätte!

Agata: Haben wir nicht dasselbe Spiel getrieben? Seine Schande ist unsere Schande.

Fabio: Ich will aber haben, was mir gehört. Das, was noch mir gehören müßte, Agata, dich! … dich … dich … dich … Er packt sie fest und will sie an sich reißen.

Agata wehrt ihn ab: Nein … nein … laß mich, ich habe es dir doch gesagt … nicht eher … Sie meint, nicht eher, als bis Baldovino das Haus verlassen hat.

Fabio: Das wird noch heute geschehen. Läßt sie nicht los, immer wilder. Ich werde ihn noch heute wie einen Dieb hinausjagen.

Agata verblüfft, hat nicht mehr die Kraft, sich zu wehren: Wie einen Dieb?

Fabio: Ja … ja … wie einen Dieb. Er ist hereingefallen! Er hat gestohlen!

Agata:. Bist du dessen so sicher?

Fabio: Ja. Er hat mehr als dreihunderttausend Lire gestohlen! Wir werden ihn noch heute hinauswerfen! Und du wirst wieder mein!

Baldovino tritt von links ein, mit dem Zylinder auf dem Kopfe. Als er die beiden umschlungen sieht, bleibt er überrascht stehen: Ach, ich bitte um Entschuldigung … Dann streng, aber mit feinster Ironie lächelnd. Nun ja … ich bin es nur, ich zähle ja nicht. Aber bedenken Sie doch – es hätte auch der Diener sein können … Ich empfehle, doch wenigstens die Türen abzuschließen.

Agata zittert vor Empörung: Wir haben nicht die geringste Ursache, die Türen abzuschließen.

Baldovino: Ich sage es nicht meinetwegen, gnädige Frau … Ich sage es dem Herrn Marchese in Ihrem Interesse.

Agata: Der Marchese hat mit Ihnen blickt ihn stolz an zu reden.

Baldovino: Mit mir? – In welcher Angelegenheit?

Agata blickt ihn stolz an: Fragen Sie sich selbst!

Baldovino: Mich selbst? Wendet sich an Fabio: Was gibt es denn?

Agata befehlend zu Fabio: So reden Sie doch!

Fabio: Nein … nicht jetzt …

Agata: Ich will, daß Sie es ihm sofort und zwar in meiner Gegenwart sagen –!

Fabio: Ich möchte lieber noch warten, bis …

Baldovino sarkastisch: Der Herr Marchese braucht vielleicht Zeugen?

Fabio: Ich brauche niemand! Sie haben dreihunderttausend Lire entwendet.

Baldovino ruhig lächelnd: Nein, Herr Marchese. Es ist mehr! Es sind fünfhundertdreiundsechzigtausend … einen Augenblick. Zieht aus der Tasche sein Portefeuille, entnimmt ihm vier Blätter, die geschäftliche Mitteilungen enthalten, sucht nach der Endzahl und liest: … Fünfhundertdreiundsechzigtausendeinhundertachtundzwanzig Lire, und sechzig Centesimi. Mehr als eine halbe Million, Herr Marchese. – Sie schätzen mich zu gering ein!

Fabio: Wieviel es ist, geht mich nichts an. Behalten Sie sie und verschwinden Sie.

Baldovino: Nicht so schnell, Herr Marchese. Es scheint, Sie haben Grund zur Eile; aber das kompliziert die Sache.

Fabio: Schluß jetzt mit Ihren Redensarten.

Baldovino: Lassen Sie doch meine Redensarten. Wendet sich an Agata: Darf ich Sie bitten, näher zutreten und mich anzuhören? Agata kommt mit gerunzelter Stirn, steif näher. Wenn Sie belieben, mich einen Dieb zu nennen, so können wir uns eventuell auch darüber einigen. Es ist sogar besser, wir tun es gleich. – Ich mache Sie aber aufmerksam, daß dies nicht gerecht ist: Bitte … Zeigt ihnen die Papiere, sie wie einen Fächer hochhaltend. Aus diesen Aufstellungen ergeben sich tatsächlich Ersparnisse und unvorhergesehene Einkünfte Ihrer Aktiengesellschaft in Höhe von fünfhunderttausend und einigen Lire. Ich hätte sie, nach Ihrer Meinung zeigt auf Fabio und meint auch einige Aufsichtsrat-Kollegen einstecken können, wenn ich in die Falle gegangen wäre, die mir ein Kerl, den man mir auf den Hals schickte, gestellt hat, – dieser Herr Marchetto Fongi, der auch heute morgen hier war  … Zu Fabio: Ich gebe zu, die Falle war nicht ungeschickt. Zu Agata. Sie verstehen ja nichts von Geschäften, gnädige Frau, die Karten waren eben so gemischt, daß dabei ein Gewinn für mich herauskommen mußte, den ich ohne weiteres hätte einstecken können, ohne daß jemand etwas gemerkt hätte, mit Ausnahme dieser Herren, die nur darauf warteten, mich auf frischer Tat zu ertappen. Zu Fabio: Habe ich recht.

Agata mit kaum verhaltener Empörung Fabio, der nicht antwortet, starr anblickend: Haben Sie das getan?

Baldovino schnell: Ach nein! Gnädige Frau, wenn Sie so fragen, muß mich das peinlich berühren, – denn es heißt soviel als: die Stellung dieses Herrn ist tatsächlich unerträglich geworden und damit auch die meine.

Agata: Warum auch Ihre?

Baldovino wirft ihr einen schnellen, sehr tiefen, intensiven Blick zu, schlägt die Augen nieder: Weil … wenn ich ein Mann in Ihren Augen würde … Er streicht sich über die Augen, wie um sich zu fassen. Ach – lassen wir das. Wir müssen einen Entschluß fassen. Bitter. Ich hatte eigentlich vor, mir die Genugtuung zu gönnen, Sie alle, die Herren Aufsichtsräte, den Herrn Fongi und auch Sie, Herr Marchese, wie Kinder zu behandeln und zu züchtigen – weil Ihr Euch eingebildet habt, jemand wie mich fangen zu können. Es war wirklich ein trauriges Mittel, mich als Dieb hinzustellen, nur um ihre zeigt auf Agata Zurückhaltung zu besiegen, ohne dabei zu bedenken, daß meine ganze Schande, wenn Ihr mich dem Hause jagt, ja auch auf das Neugeborene fallen mußte … und da muß ich mir schon sagen, daß mir die Ehrlichkeit mehr Freude – eine wahre Wollust bereitet. Er reicht Fabio die vorhin gezeigten Blätter. Nehmen Sie, Herr Marchese!

Fabio: Was soll ich damit?

Baldovino: Zerreißen Sie sie! Es sind die einzigen Beweise meiner Unschuld. Das Geld ist bis zum letzten Centesimo in der Kasse. Er blickt Fabio fest in die Augen und sagt stark und verächtlich: Sie müßten es selbst stehlen.

Fabio empört, als ob man ihn ins Gesicht geschlagen hätte: Ich?

Baldovino: Ja, Sie! Sie! Sie!

Fabio: Sind Sie verrückt?

Baldovino wie oben: Machen Sie doch ganze Arbeit. Ich habe Ihnen ja klar bewiesen, daß Sie die Schlechtigkeiten selbst begehen müssen, wenn Sie von mir Ehrlichkeit verlangen. Stehlen Sie das Geld. Man wird mich für den Dieb halten. Und ich gehe, denn hier kann ich wirklich nicht mehr bleiben.

Fabio: Das ist ja heller Wahnsinn!

Baldovino: Das ist kein Wahnsinn! Ich denke für uns alle. Ich behaupte ja nicht, Sie müssen mich einsperren lassen. Das können Sie auch gar nicht. Sie müssen nur an meiner Stelle stehlen.

Fabio nähert sich ihm schnell, vor Wut bebend: Was reden Sie da?

Baldovino: Nehmen Sie mir's nicht übel, es ist ja nur ein häßliches Wort, Herr Marchese. Sie werden dabei weiterhin anständig bleiben. – Sie nehmen das Geld nur einen Augenblick aus der Kasse und beweisen, daß ich der Dieb bin.

Agata aufbrausend: Nein, nein, das nicht! Mienenspiel der beiden Männer. Darauf sagt sie, wie um den Eindruck ihres Protestes richtigzustellen, ohne ihn zurückzunehmen: Und mein Kind?

Baldovino: Es muß sein, gnädige Frau …

Agata: Nein, nein! Ich lasse es nicht zu.

Diener bleibt an der Tür rechts und meldet: Die Herren vom Aufsichtsrat und Herr Fongi! Ab.

Fabio erschrocken: Wir wollen diese Auseinandersetzung auf morgen verschieben.

Baldovino schnell, stark herausfordernd: Ich bin schon jetzt bereit und habe meinen Entschluß gefaßt!

Agata: Und ich sage, ich will nicht! Verstehen Sie?

Fongi tritt mit den vier Herren ein, gleichzeitig kommt mit Hut von rechts Maddalena, festlich geschmückt mit Bändern, in den Armen das Kind haltend, das in eine hochelegante Decke gehüllt ist, und hinter einem Schleier daliegt Alle umringen sie, Gratulationen, Geplauder, Begrüßungen. Frau Maddalena hebt vorsichtig den Schleier hoch, um das Kind zu zeigen.

Vorhang


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