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Erster Akt.

Eleganter Salon in Rennis Haus. Auftritt durch die Mitteltür im Hintergrund. Türe rechts und links; Fenster.

Wenn der Vorhang in die Höhe geht, ist die Bühne leer. Die Tür im Hintergrund wird geöffnet, das Stubenmädchen kommt herein und läßt Maurizio Setti eintreten.

Stubenmädchen: Bitte. Ich werde den Herrn sofort melden. Rechts ab, kurz nachher kommt von rechts Frau Maddalena, aufgeregt, ängstlich.

Maddalena: Guten Tag, Setti. Nun, wie steht's?

Maurizio: Er ist da, heute morgen mit mir angekommen.

Maddalena: Und … ist alles festgesetzt worden?

Maurizio: Jawohl, alles.

Maddalena: Ist ihm alles genau erklärt?

Maurizio: Alles, alles. Sie können sich darauf verlassen.

Maddalena zögernd: Wirklich ganz deutlich, ja?

Maurizio: Mein Gott … ich sagte ihm … ich habe alles gesagt, wie es ist.

Maddalena läßt den Kopf sinken, verbittert: Alles …

Maurizio: Man mußte es ihm doch sagen, gnädige Frau!

Maddalena: Gewiß … ja … aber …

Maurizio: Die ganze Angelegenheit ändert sich, sehen Sie, danach, wie die Menschen beschaffen, sind … nach den Umständen … nach den Dingen, die …

Maddalena: Das ist es ja eben … ja, ja … das ist es eben.

Maurizio: Und was das anbelangt, – ah, davon können Sie beruhigt sein! Ich habe ihm alles gründlich auseinandergesetzt.

Maddalena: Auch, wer wir sind? Wer meine Tochter ist?

Maurizio: Selbstverständlich.

Maddalena: Und …? angenommen? Ohne Schwierigkeiten?

Maurizio: Ohne Schwierigkeiten. Seien Sie beruhigt.

Maddalena: Ach, beruhigt, mein Freund? Wie könnte ich beruhigt sein. – Aber wie ist er? Sagen Sie mir, was für ein Mensch ist er?

Maurizio: Du mein lieber Gott, – nicht gerade ein Adonis … aber eine gute Erscheinung. Sie werden ja sehen … Er sieht gut aus, würdig, ohne Affektiertheit … Und … wissen Sie, er ist tatsächlich ein Aristokrat, von Geburt … ein Baldovino.

Maddalena: Aber innerlich! Ich meine, was seinen Charakter anbelangt?

Maurizio: Ganz ausgezeichnet, wirklich, glauben Sie mir.

Maddalena: Hat er Umgangsformen? Hat er Takt, meine ich? Hat er gute Manieren? Sie verstehen mich – das ist schließlich die Hauptsache. Ein falscher Ton … ohne dies gewisse Etwas. Sie haucht die letzten Worte nur so hin, als ob ihr das Aussprechen weh täte. Oh  … dies gewisse … mein Gott, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Sie zieht ihr Taschentuch hervor und weint.

Maurizio: Sie müssen sich beherrschen, gnädige Frau.

Maddalena: Es wäre wie ein Dolchstoß für meine arme Agata.

Maurizio: Nein, beruhigen Sie sich, das brauchen Sie nicht zu befürchten, gnädige Frau. Sie werden aus seinem Munde nur korrekte Worte vernehmen. Dafür bürge ich. Er ist äußerst zurückhaltend, überlegt. Ich sage Ihnen, ein richtiger Gentleman. Und er begreift auch alles recht schnell. Befürchten Sie nur nichts. Ich stehe für ihn ein.

Maddalena: Glauben Sie mir, Setti, ich weiß nicht mehr, wie mir ist. Ich bin ganz verwirrt … betäubt … So plötzlich eine solche Situation! … Es kommt mir vor, wie ein Unglück, das alle Türen weit aufreißt, so daß ein jeder Fremde hereinschleichen und herumschnüffeln kann.

Maurizio: Mein Gott … im Leben …

Maddalena: Und das arme Kind, … meine Tochter! … Wenn Sie sie gesehen hätten … es ist herzzerreißend!

Maurizio: Ich kann es mir denken. Glauben Sie mir, gnädige Frau, ich fühle alles mit.

Maddalena: unterbricht ihn, drückt seine Hand: Ich weiß, ich weiß, Sie sehen doch, wie ich mit Ihnen spreche! Denn Sie gehören zu unserer Familie, Sie sind uns mehr als ein Vetter, Sie sind wie ein Bruder unseres Marchese.

Maurizio: Ist Fabio hier?

Maddalena: Ja, dort drinnen. Wahrscheinlich wagt er nicht, sie allein zu lassen … Man muß sie stets überwachen. Kaum hörte sie, daß Sie da sind, da wollte sie sich aus dem Fenster stürzen.

Maurizio: Ach Gott! Meinetwegen?

Maddalena: Nein, nicht Ihretwegen – sie weiß doch, warum Sie nach Macertà gefahren und mit wem Sie zurückgekommen sind.

Maurizio: Ja, aber, dann müßte sie im Gegenteil … Mir scheint, daß …

Maddalena: Nein, was denken Sie? Sie weint, sie wehrt sich dagegen … mit einer Verzweiflung, die einem Angst macht.

Maurizio: Ja, aber, entschuldigen Sie … es war doch abgemacht … Sie war doch einverstanden.

Maddalena: Ja doch! Gerade deswegen.

Maurizio bestürzt: Und jetzt will sie nicht mehr?

Maddalena: Ob sie will? Kann sie denn wollen? Sie muß es tun, sie muß darauf eingehen.

Maurizio: Nun, dann muß sie sich eben zusammennehmen.

Maddalena: Ach, Setti, meine Tochter stirbt daran.

Maurizio: Aber nein, was reden Sie! Sie werden sehen, daß …

Maddalena: Es wird ihr Tod sein! Wenn sie nicht schon vorher Selbstmord begeht … Ich war zu nachgiebig, ich sehe es jetzt ein! Ich vertraute Fabio … ich hoffte, daß er vorsichtig sein würde! Maurizio hebt mit verzweifelter Gebärde die Arme hoch. Jetzt bleibt uns nur die Schande.

Maurizio: Nein, nein! Reden Sie doch nicht so … Wir versuchen ja gerade …

Maddalena bedeckt ihr Gesicht mit beiden Händen: Nein, um des Himmels willen! Es ist schlimmer! Ach, Setti, früher war ich schwach; heute mache ich mir die schwersten Vorwürfe.

Maurizio: Das glaube ich Ihnen.

Maddalena: Sie können mich nicht verstehen! Sie können sich nicht die Verzweiflung einer Mutter vorstellen, die ihre Tochter älter werden, ihre erste Jugendblüte verlieren sieht … Man hat nicht den Mut, so streng zu sein, wie es die Klugheit erfordert, wie es die Ehre gebietet. Eine Mutter, die das Leben kennt und genossen hat, kann nicht widerstehen, wenn sich die Augen der Tochter wie um Barmherzigkeit flehend auf sie richten. Um das Verbotene nicht offen zu erlauben, heucheln wir, als ob wir nichts merkten … und dieser Schein, unser Schweigen machen uns zu Mitschuldigen, bis man … bis man auf dem Punkt, wo wir nun angelangt sind, ist. – Aber ich hoffte, ich wiederhole es, daß Fabio vorsichtig sein würde …

Maurizio: Die Vorsicht kann nicht immer …

Maddalena: Ja, ich weiß, ich sehe ein … Auch er ist wie besessen, der arme Mann!

Maurizio: Fabio ist ein so guter Mensch!

Maddalena: Wir kannten ja sein Unglück, die Trennung von seiner unwürdigen Frau, ihre Weigerung, sich scheiden zu lassen. Ach, warum gibt es bei uns in Italien keine Scheidung! … Sind Sie nicht davon überzeugt, daß Fabio, wenn er frei wäre, meine Tochter längst geheiratet hätte?

Maurizio: Aber ohne Zweifel! Sie sehen doch selbst, in welchem Zustande sich der Ärmste befindet! Sie wissen, wie er Agata liebt!

Maddalena: Nicht wahr? Sie können sich nicht vorstellen, welcher Trost Ihre Versicherung in diesem schweren Augenblick für mich ist.

Maurizio: Seien Sie überzeugt, er empfindet für Sie und Fräulein Agata die größte Verehrung, die aufrichtigste und ergebenste Hochachtung.

Maddalena: Ach, ich danke Ihnen!

Maurizio: Wenn dem nicht so wäre, hätte ich mich für die Angelegenheit nicht so interessiert.

Maddalena: Danke, danke Setti. So ein armes junges Mädchen hat Jahre hindurch in allen Ehren auf einen Lebensgefährten gewartet … Endlich findet sie einen Mann, der ihre ganze Liebe verdient … Sie weiß, daß dieser Mann von einer anderen Frau mißhandelt, maßlos beleidigt wurde … Da kann sie dem übermächtigen Wunsche nicht widerstehen, ihm zu zeigen, daß nicht alle Frauen wie jene sind, daß andere Liebe mit Liebe vergelten, daß sie das Glück, das jene mit Füßen trat, zu schätzen wissen …

Maurizio: Ja, das stimmt, Sie haben recht … Armer Fabio, er hätte es besser verdient!

Maddalena: Der Verstand warnt uns … aber dann …

Maurizio: Dann kommt der Augenblick …

Maddalena: Ja, er kommt, unerwartet … An einem wundervollen Maiabend … Die Mutter steht am Fenster … Draußen Blüten und Sterne … Drinnen Beklemmung und angstbedrückte Zärtlichkeit … Sie ahnt im Dunkeln draußen das Vergehen, zu dem die Natur die Kinder in diesem Augenblick verführt und das morgen die ganze Welt verdammen wird. Aber jetzt erfüllt es sie mit Seligkeit … So war es, mein lieber Setti. Ich verdiene nicht, daß man mir verzeiht, wohl aber, daß man mich bemitleidet.

Maurizio: Gnädige Frau, Sie alle drei, – Sie – Fräulein Agata – und Fabio haben ihren Gefühlen zu sehr nachgegeben.

Maddalena: Ja, ja, nur zu sehr!

Maurizio: Jetzt heißt es, die Gefühle eindämmen, dem Verstand Platz einräumen.

Maddalena: Ja, ja.

Maurizio: Um einer Notwendigkeit in die Augen zu blicken, die keine Verzögerung mehr zuläßt. Darum … ah, da ist ja Fabio!

Fabio kommt von rechts, aufgeregt, nervös, verzweifelt zu Frau Maddalena: Ich bitte Sie … gehen Sie hinein … Lassen Sie sie nicht allein.

Maddalena: Ja, ja, ich gehe schon. Ich glaube, daß  …

Fabio: Gehen Sie, ich bitte Sie.

Maddalena: Ja, ja. Zu Maurizio: Sie entschuldigen mich …

Maurizio: Auch du in diesem Zustande?

Fabio: Um des Himmels willen, Maurizio, sage mir kein Wort! Denkst du, du bringst das Mittel? Weißt du, was du getan hast? Du hast einen Sterbenden rot geschminkt.

Maurizio: Ich?

Fabio: Ja, du!

Maurizio: Du hast es doch so gewollt. Ich will hier nicht den Retter spielen.

Fabio: Ich leide, Maurizio, ich leide so wahnsinnig. Höllenqualen leide ich für dieses arme Mädchen. Gerade die Abhilfe, die du fandest, macht mich so verzweifelt, weil auch ich … Dein Mittel ist nur eine äußerliche Hilfe, die wahrt nur den Schein, sonst nichts.

Maurizio: Gilt der heute nichts mehr? Vor vier Tagen warst du gerade deshalb verzweifelt, weil man den Schein nicht retten konnte! Und jetzt, wo du ihn retten kannst …

Fabio: … fühl' ich erst meinen Schmerz! Das ist doch selbstverständlich.

Maurizio: Nein, mein Lieber. So wird der Schein nicht gerettet. Nimm dich zusammen. Er ist hier. – Wenn die Sache schnell erledigt werden soll, dann …

Fabio: Ja, ja, … sag' … Ach was, es ist ja vergebens! Hast du ihm gesagt, daß er keinen Pfennig von mir bekommt?

Maurizio: Das sagte ich ihm.

Fabio: Ging er darauf ein?

Maurizio: Er ist mitgekommen. Er verlangt nur, um seine Verpflichtungen, dir gegenüber, restlos erfüllen zu können, – und dies scheint mir recht und billig, – die Liquidierung seiner Vergangenheit  … Er hat Schulden.

Fabio: Wieviel? Große Schulden? Ich kann es mir ja denken.

Maurizio: Nein, kleine. Zum Teufel, soll er auch noch ohne Schulden sein? Ganz lächerliche. Übrigens läßt er dir ausdrücklich sagen, wenn er wenig hat, so liegt das nicht an seinem guten Willen, sondern nur am Mangel jeglichen Kredits.

Fabio: Das ist ja nett!

Maurizio: Aber wenigstens ehrlich. Du wirst ja begreifen, hätte man ihm mehr geborgt …

Fabio greift sich mit beiden Händen an den Kopf: Genug, genug, um Gottes willen! Erzähle mir, was hat er gesagt? – Ist er schlecht angezogen? Wie sieht er aus? Sehr verwahrlost?

Maurizio: Ich fand ihn etwas heruntergekommen, seit ich ihn das letztemal sah … Aber dem läßt sich abhelfen. Ich habe schon mein möglichstes getan, damit er heute anständig aussieht. Weißt du, er ist ein Mann, auf den die Moral einen großen Einfluß hat. Die peinlichen Dinge, die er begangen hat …

Fabio: Ist er ein Spieler? Ein Falschspieler? Ein Dieb? Was macht er?

Maurizio: Er hat gespielt, aber jetzt darf er nicht mehr. Seine Verbitterung kann einem leid tun. Ich bin einmal eine ganze Nacht mit ihm spazieren gegangen, es war eine phantastische Nacht. Er war von einer erschreckenden Aufrichtigkeit. Ich glaubte nicht mehr auf der Erde zu wandeln, sondern in einem berückend seltsamen, unheimlichen Traumlande, wo er zu herrschen schien und wo das Unwahrscheinlichste wahrscheinlich wurde. Er merkte es, denn er merkt alles, lächelte und begann über Descartes zu reden.

Fabio verblüfft: Über wen?

Maurizio: Über den Philosophen. Er sagte mir, daß Descartes …

Fabio: Aber zum Teufel! Was geht mich jetzt Descartes an!

Maurizio: Laß mich ausreden. Du wirst sehen, was er dich angeht. Ich sage dir, an einem gewissen Punkt angelangt, war es mir ein leichtes, ihm unseren Vorschlag zu machen. Er sprach von seinen Plänen, die so ausgefallen und undurchführbar schienen, daß mein Vorschlag geradezu ein Kinderspiel dagegen war. Und jetzt staune. Er war es, der nichts von Geld wissen wollte. Und weißt du, warum? Weil es seiner Meinung nach leichter ist, ein Held als ein Ehrenmann zu sein. Ein Held ist man stellenweise, ein Ehrenmann muß man immer sein … was nicht einfach ist.

Fabio: Ach! Er geht aufgeregt, nervös, düster im Zimmer auf und ab. Also … ein Mann von Geist, wie es scheint.

Maurizio: Von großem Geist.

Fabio: Er hat schlechten Gebrauch davon gemacht.

Maurizio: Schlechten, ganz schlechten! Schon als Kind. Wir waren Schulkameraden. Mit seiner Begabung hätte er alles erreichen können. Er lernte immer nur das, was ihm gefiel, was ihn interessierte. Und er meint, daß die Bildung eine Feindin der Wahrheit sei. Er genoß die Erziehung, wie sie in der großen Welt üblich ist: den bewußten Geschmack, gewisse Gewohnheiten, Ambitionen und auch manche Laster … Dann kam … der finanzielle Zusammenbruch seines Vaters … und … man darf sich über ihn nicht wundern.

Fabio geht wieder auf und ab, unruhig, nervös: Und noch immer eine gute Erscheinung?

Maurizio: Ja, er sieht gut aus. Lacht. Am Ende fürchtest du, meine Wahl sei zu gut ausgefallen?

Fabio: Aber ich bitte dich! Ich habe nur – den Eindruck, – daß da Überflüssiges dabei ist, Geist … Kultur  … Philosophie …

Maurizio: Philosophie! – scheint mir, in unserem Falle durchaus erwünscht.

Fabio: Maurizio, ich flehe dich an, keine Scherze! Ich sitze wie auf Kohlen! Weniger wäre mir lieber gewesen; ein bescheidener, braver Mensch, der …

Maurizio: … dem man die ganze Wahrheit sofort angemerkt hätte! Der nicht den erforderlichen Schein hätte wahren können. Entschuldige, man muß doch auf die Familie Rücksicht nehmen, in der er leben soll … Ein gewöhnlicher Mann in vorgerückten Jahren hätte bei den Leuten Verdacht, Mißtrauen erregt … Wir brauchen einen Mann von Ansehen, der Respekt und Hochachtung erweckt … damit man verstehen kann, warum Fräulein Agata Renni diesen Menschen geheiratet hat. Und ich bin überzeugt, …

Fabio: Wovon? …

Maurizio: Nicht nur, daß sie ihn nehmen wird, sondern: daß sie mir für meine Bemühungen dankbarer sein wird als du.

Maurizio: Jawohl! Höhnisch. Danken wird sie dir! … Hättest du sie gehört! Hast du ihm gesagt, daß die Sache so schnell als möglich geschehen muß?

Maurizio: Gewiß. Und du sollst sehen, er begreift alles.

Stubenmädchen läuft von rechts herein: Herr Marchese, die gnädige Frau bittet Sie einen Augenblick zu sich.

Fabio: Bedaure, ich kann jetzt nicht. Ich muß mit meinem Vetter fort. Zu Maurizio: Ich muß ihn sehen … mit ihm sprechen. Zum Stubenmädchen: Bitten Sie die gnädige Frau, sich etwas zu gedulden. Jetzt kann ich nicht.

Stubenmädchen: Jawohl, Herr Marchese. Ab.

Maurizio: Er ist hier, ganz in der Nähe. Im nächsten Hotel … Was nun?

Fabio: Ich werde verrückt … verrückt … verrückt … Sie weint dort drinnen … und du sagst mir hier draußen …

Maurizio: Bis jetzt ist noch nichts Bindendes abgeschlossen worden. Wenn du nicht willst …

Fabio: Ich sage dir doch – ich muß ihn sprechen!

Maurizio: Nun dann, vorwärts, gehen wir!

Maddalena kommt von rechts, aufgeregt: Fabio! Fabio! Kommen Sie doch herein. Lassen Sie mich um Gottes willen nicht mit ihr allein. Ich bitte Sie!

Fabio verzweifelt: Mein Gott!

Maddalena: Eine fürchterliche Krise, ich flehe Sie an, kommen Sie.

Fabio: Aber ich muß jetzt …

Maurizio: Nein, gehe doch … gehe doch zu ihr!

Maddalena: Ja, ja, ich bitte Sie, Fabio.

Maurizio: Soll ich ihn hierherbringen? Ohne jede Verpflichtung natürlich … Du wirst ihn hier sprechen … Vielleicht ist es auch besser, daß das gnädige Fräulein selbst  …

Fabio: Ja, geh nur, geh. Aber selbstverständlich – ohne Verpflichtung! Und erst will ich mit ihm sprechen! Ab rechts.

Maurizio: Ja gewiß, ich bin in zwei Minuten zurück. Ab durch den Hintergrund.

Maddalena ruft ihm nach: Was? Sie wollen ihn mitbringen? Hierher? Will zur Tür rechts hinauslaufen, doch Agata und Fabio treten herein.

Agata aufgelöst, wie besessen, reißt sich von Fabio los: Laß mich … nein, laß mich … gehen!

Maddalena: Aber mein Kind, wo willst du denn hin?

Agata: Was weiß ich … fort … nur fort von hier!

Fabio: Agata, Agata, um Gottes willen!

Maddalena: Du bist von Sinnen.

Agata: Laßt mich doch! Verrückt oder tot! Einen anderen Ausweg gibt es nicht mehr für mich. Ich kann nicht mehr.

Maddalena: So warte doch wenigstens, bis Fabio ihn gesprochen hat.

Agata: Nein, nein. Begreift ihr denn nicht, mir graut davor, was ihr mit mir vorhabt.

Maddalena: Es ist grauenvoll. Aber du wolltest doch selbst, mein Kind, daß …

Agata: Nein, ich will nicht! Ich will nicht!

Fabio verzweifelt, entschlossen: Also, wenn du es nicht willst, will ich auch nicht. Auch ich finde es grauenvoll. Hast du denn den Mut, alles was kommt, zu ertragen?

Maddalena: Nein, nein, was reden Sie da, Fabio? Sie sind ein Mann, Sie stört der Skandal weiter nicht. Aber wir sind zwei arme schutzlose Frauen, auf uns kommt die ganze Schande. Jetzt heißt es zwischen zwei Übeln das kleinere zu wählen – zwischen der öffentlichen Schande und …

Agata schnell unterbrechend: … und zwischen der, unter der nur eine Person zu leiden haben wird! Nur ich! – Ja, ich soll mit jenem Manne zusammenleben; ihn immer vor mir haben … diesen Menschen, der selbst weiß, wie elend er ist, daß er sich zu einer solchen Schande hergibt. – Nein, ich will es nicht! Ich will ihn nicht sehen! Laßt mich fort von hier, laßt mich fort!

Maddalena: Aber wohin denn? Was willst du tun? Dem Skandal entgegengehen? Wenn du das willst … dann …

Agata wirft sich ihr weinend, verzweifelnd an den Hals: Nein … für dich. Mutter, für dich will ich es tun!

Maddalena: Für mich? Nein, das nicht. Hier heißt es nicht, einem anderen Schmerzen zu ersparen. Hier gibt es keinen Ausweg. Wir drei müssen zusammenbleiben und leiden, denn wir alle drei sind schuldig.

Agata: Nein, du nicht, Mutter, du nicht.

Maddalena: Ich habe mehr Schuld als du, mein Kind.

Agata: Es ist grauenvoll, grauenvoll.

Maddalena: Wir wollen ihn uns doch erst ansehen,

Agata: Ich kann nicht, Mutter, ich kann es nicht.

Maddalena: Aber Kind. Wir sind ja doch hier, bei dir. Wir verbergen dir nichts … Wir bleiben bei dir – ich und Fabio …

Agata: Aber er soll doch – kannst du dir vorstellen … daß er mit uns lebt, Fabio … hier … und weiß, was wir verheimlichen?

Fabio: Es liegt ja auch in seinem Interesse zu schweigen  … und die Bedingungen zu erfüllen. Sonst – um so besser für uns. Beim geringsten Verstoß werde ich schon Mittel und Wege finden, ihn loszuwerden. Und überhaupt, wir werden uns gar nicht um ihn kümmern.

Maddalena: Siehst du? Es ist doch nicht für ewig – vielleicht nur auf kurze Zeit.

Fabio: Ganz kurze Zeit. Wir haben es ja in der Hand, ihn jederzeit loszuwerden.

Agata: Diesen Menschen immer vor Augen zu haben!

Stubenmädchen öffnet die Tür im Hintergrund und meldet: Herr Setti und noch ein Herr …

Agata springt auf, klammert sich an die Mutter: Um Gottes willen, Mutter. Fort!

Maddalena zu Fabio: Sprechen Sie mit ihm. Maddalena und Agata ab.

Fabio: Ich lasse bitten. Stubenmädchen ab.

Maurizio eintretend: Darf ich bekannt machen. Mein Freund, Angelo Baldovino. Fabio verneigt sich vor Baldivino. Mein Vetter Marchese Fabio Colli. Baldovino verneigt sich.

Fabio: Bitte, nehmen Sie Platz.

Maurizio: Ihr habt miteinander zu sprechen, ich lasse euch allein. Zu Baldovino: ihm die Hand schüttelnd: Wir sehen uns später? Grüß Gott, Fabio.

Fabio: Grüß Gott. Maurizio ab im Hintergrund.

Baldovino hat Platz genommen, setzt sich den Kneifer auf und beugt den Kopf nach hinten, dann sagt er: Darf ich Sie vor allem um eine Gefälligkeit bitten, Herr Marchese?

Fabio: Bitte …

Baldovino: Sprechen Sie ganz offen mit mir, Herr Marchese.

Fabio: Gewiß, es ist mir auch viel lieber.

Baldovino: Besten Dank. Vielleicht verstehen Sie aber unter »offen« etwas ganz anderes als ich.

Fabio: Ich meine – offen und ehrlich, ohne Umschweife und da Baldovino mit erhobenem Zeigefinger »Nein« winkt was denn sonst?

Baldovino: Das genügt nicht. Sehen Sie, Herr Marchese, – wir konstruieren uns. Ich werde meine Worte erklären. Ich trete hier ein und lege Ihnen gegenüber sofort dar, was ich sein, muß, was ich sein kann. – Ich konstruiere mich – das heißt: ich nehme eine Form an, die unseren gegenseitigen Beziehungen entsprechen soll. Dasselbe tun Sie. Hinter dieser Maske aber verbergen sich unsere geheimsten Gedanken und intimsten Gefühle, kurz, alles was wir abseits der zwischen uns zu schaffenden Beziehungen in Wirklichkeit sind. Habe ich mich klar ausgedrückt?

Fabio: Gewiß … Vollkommen. Mein Vetter sagte mir schon, daß Sie sehr intelligent sind.

Baldovino: Jetzt glauben Sie vielleicht, ich wollte Ihnen einen Beweis meiner Intelligenz geben?

Fabio: Nein, nein, ich sagte es nur, weil … ich bin damit ganz einverstanden, was Sie soeben so ausgezeichnet ausgedrückt haben.

Baldovino: Gestatten Sie also, daß ich offen rede. – Seit längerer Zeit fühle ich einen namenlosen Ekel vor jener verworfenen »Konstruktion«, die ich gezwungenermaßen zwischen mir und meinesgleichen – wenn Sie dies Wort nicht verletzt – errichten muß.

Fabio: Bitte, reden Sie nur.

Baldovino: Ich sehe mich. Ich sehe mich fortwährend selbst und sage mir: »Wie gemein und häßlich ist das, was du jetzt tust.«

Fabio verlegen, verdutzt: Ja … aber  …, warum denn?

Baldovino: Doch, entschuldigen Sie. Sie könnten mich höchstens fragen: Warum ich es dann doch tue? Weil ich … teils durch meine Schuld, teils durch die Schuld von anderen und zumal auch durch die Notwendigkeit gezwungen, nicht anders tun kann. Es ist leicht, Herr Marchese, etwas so oder so tun zu wollen: Alles hängt aber davon ab, ob wir so sein können wie wir sein wollten. Wir sind ja nicht allein! – Wir sind: Wir und die Bestie! Die Bestie, die uns vorwärtstreibt. – Vergebens versetzen Sie ihr Schläge: sie kennt keinen Verstand. – Versuchen Sie den Esel dazu zu bringen, daß er nicht hart am Rande des Abgrundes in die Höhe klettert! Sie können ihn schlagen, stoßen, blutig prügeln, – aber er wird doch immer am Rande gehen, denn er kann eben nicht anders. Und wenn Sie ihn blutig geprügelt haben, blicken Sie ihm einmal in die stummleidenden Augen: werden Sie ihn dann nicht bemitleiden? Ich sage: bemitleiden! Und nicht: ihm verzeihen. Der Verstand, der der Bestialität verzeiht, wird selber bestialisch. Aber Mitleid kann man wohl haben, das ist etwas anderes. Meinen Sie nicht?

Fabio: Gewiß … ah, gewiß … Wollen wir jetzt vielleicht auf unsere Angelegenheit kommen?

Baldovino: Wir sind schon dabei, Herr Marchese. Ich wollte Ihnen erklären, daß ich das, was ich tue, mit einem gewissen Stolz tue, den ich mir bewahren möchte. Und das einzige Mittel dazu ist »Ehrlichkeit«. Heucheln wäre widerlich. – Nur die Wahrheit!

Fabio: Ja, ganz offen. Wir werden uns schon verstehen!

Baldovino: Dann gestatten Sie, daß ich frage.

Fabio: Wie???

Baldovino: Ich möchte einige Fragen an Sie stellen.

Fabio: Bitte, fragen Sie.

Baldovino zieht aus seiner Tasche ein Notizbuch: Ich habe hier einige Stichworte über unsere Angelegenheit! Wir wollen ganz sachlich sein, das ist besser für Sie und auch für mich. Öffnet das Büchlein und blättert darin. Inzwischen stellt er seine Fragen, wie ein milder Untersuchungsrichter: Sie, Herr Marchese, sind der Geliebte der jungen Dame …

Fabio versucht dieses Verhör zu unterbrechen: Aber das geht doch zu weit …

Baldovino ruhig lächelnd: Sehen Sie, da verkriechen Sie sich gleich bei der ersten Frage.

Fabio: Jawohl! Weil …

Baldovino unterbricht ihn streng: Weil es etwa nicht wahr ist? Ja dann … er steht auf bitte ich um Entschuldigung, Herr Marchese. Ich sagte Ihnen vorhin, daß ich Stolz besitze. Ich könnte mich nie zu einer niedrigen und erniedrigenden Komödie hergeben.

Fabio: Aber ich bitte Sie! Ich nehme Ihre Bedingungen an, aber …

Baldovino: Sie irren sich! Meinen Stolz, – der, den ich noch besitze, – kann ich nur dadurch retten, daß Sie mit mir ebenso aufrichtig sprechen wie mit Ihrem eigenen Gewissen. Entweder geht es so, Herr Marchese, oder gar nicht. Ich muß die Wahrheit kennen! Wollen Sie mir antworten?

Fabio: Gut. Aber um Gottes willen, suchen Sie nicht mehr in Ihrem Notizbuch herum. Sie sprechen von Fräulein Agata?

Baldovino läßt nicht locker, sucht weiter in dem Buch, er findet die Aufzeichnung, wiederholt: Agata Renni, ja es stimmt. Siebenundzwanzig Jahre alt?

Fabio: Sechsundzwanzig.

Baldovino liest in dem Büchlein: Im vergangenen Monat vollendet. Also im siebenundzwanzigsten! Und … liest in dem Büchlein. Sie hat auch eine Mutter?

Fabio: Erlauben Sie!

Baldovino: Ich frage nur aus Gewissenhaftigkeit, bitte, es mir zu glauben, … Sie werden mich stets so gewissenhaft finden, Herr Marchese.

Fabio: Schön. Sie hat eine Mutter.

Baldovino: Wie alt, wenn ich fragen darf?

Fabio: Ich weiß nicht genau … vielleicht so einundfünfzig, zweiundfünfzig …

Baldovino: Nicht mehr? Offen gesagt – ich würde es vorziehen, wenn sie keine Mutter hätte. Mütter sind unwiderrufliche Konstruktionen. Seien wir nicht kleinlich und sagen wir: dreiundfünfzig. – Sie, Herr Marchese, werden wohl ungefähr in meinem Alter sein. Ich sehe aber älter aus. Bin verbrauchter. Bin einundvierzig.

Fabio: Da bin ich ja älter. Ich bin schon dreiundvierzig.

Baldovino: Sie tragen Ihr Alter vortrefflich. Vielleicht werde ich mich mit der Zeit auch noch etwas erholen … Also dreiundvierzig Jahre. Ich muß jetzt, verzeihen Sie, eine zarte Saite berühren …

Fabio: Meinen Sie meine Frau?

Baldovino: Sie leben von ihr getrennt. – Durch das Verschulden … Ihrer Gattin! – Und Sie finden hier Trost … – Aber das Leben ist ein elender Wucherer und läßt sich das bißchen Gute, das es schenkt, mit hundert Leiden bezahlen.

Fabio: Leider.

Baldovino: Ich weiß darin Bescheid. Sie müssen nun Ihren Trost teuer bezahlen, Herr Marchese. Das Gespenst der Abrechnung droht Ihnen. Und nun komme ich, setze meine Unterschrift auf Ihren Wechsel und verpflichte mich, statt Ihrer zu bezahlen. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich diese Rache an der menschlichen Gesellschaft genieße, die sonst meinem Namenszug jeden Kredit verweigert. Ihr meine Unterschrift aufzwingen heißt hier: Da hat jemand etwas begangen, was er nicht durfte, und nun komme ich für ihn auf. Denn täte ich es nicht, wäre die Ehre einer Familie bankrott. Das ist meine Revanche. Glauben Sie mir: ich tue es nur deswegen … zweifeln Sie etwa daran? Sie haben das Recht dazu, denn ich bin ja … Gestatten Sie mir einen Vergleich?

Fabio: Reden Sie! Reden Sie!

Baldovino fortsetzend: … wie einer, der Goldmünzen in einem Lande in Umlauf setzt, das nur Papiergeld kennt. Man wird sofort gegen das Gold Mißtrauen haben, – das ist selbstverständlich. Auch Sie möchten das Gold zurückweisen, – nicht wahr? Aber es ist Gold, seien Sie davon überzeugt, Herr Marchese. Ich konnte es nicht vergeuden, weil ich es nicht in der Tasche, sondern in der Seele habe. Ja, hätte ich es an greifbarer Stelle gehabt, dann …

Fabio: Ausgezeichnet! Das ist gerade das, was ich suche, Herr Baldovino. Die Ehrlichkeit! Die Güte der Gesinnung!

Baldovino: Ich habe ja auch das Andenken an meine Familie. Was hat es mich an Aufopferung des Selbstbewußtseins, welch endlose Leiden, wieviel Ekel, gekostet, unanständig sein zu müssen. Sie laden mich – nun ja – in doppeltem Sinne zu einer Hochzeit ein. Ich schließe eine Scheinehe mit einer Frau, – schließe aber im Ernst ein ewiges Bündnis mit der Ehrlichkeit!

Fabio: Das genügt mir.

Baldovino: Das genügt Ihnen? – Und die Konsequenzen? Die Folgen?

Fabio: Wie meinen Sie das?

Baldovino: Gestatten Sie. Muß ich – ehrlich sein – oder nicht?

Fabio: Selbstverständlich müssen Sie es sein. Das ist die einzige Bedingung, die ich stelle.

Baldovino: Ehrlich in meinen Gefühlen, in meinem Wollen, in all meinen Handlungen. Was ist denn im Grunde jene Ehrlichkeit, die Sie von mir verlangen? Überlegen Sie sich's mal einen Augenblick. – Nichts. – Eine Abstraktion. – Eine Form. Sagen wir: Das Absolute. Um diese Ehrlichkeit zu verwirklichen, muß ich ein Tyrann werden.

Fabio: Ein Tyrann?

Baldovino: Gewiß. Und ohne es zu wollen. Verstehen Sie mich recht. Um so ehrlich sein zu können, wie Sie mich haben wollen, und ich mich haben will. Ich werde pedantisch den äußeren Schein wahren, was natürlich Sie, die junge Dame und die Mutter schwere Opfer kosten wird. Eine äußerste Beschränkung der Freiheit und Respektierung sämtlicher abstrakter Formen des gesellschaftlichen Lebens. Und … seien wir ganz offen, Herr Marchese: die böse Tat begehen Sie – nicht ich! – Ich sehe in dieser an sich unerfreulichen Angelegenheit nur einen Lichtpunkt – die Möglichkeit für mich, ehrlich zu sein.

Fabio: Sie werden ja verstehen, – ich, ich befinde mich in diesem Augenblick nicht in einem geeigneten Zustande, um Ihren Ausführungen folgen zu können … Sie reden fabelhaft! Aber kommen wir auf die Erde zurück.

Baldovino: Ich? Auf die Erde? Gerade Sie sind es, der mich in diese Stimmung gebracht hat, Herr Marchese. Ich muß ins Abstrakte hinüber. Wehe, wenn ich sachlicher werden müßte! Die Wirklichkeit taugt nicht für mich, behalten Sie sie bitte für sich. Reden Sie nur und ich werde zuhören. Ich will das Verständnis sein, das nicht verzeiht, sondern bemitleidet.

Fabio auf sich zeigend: Und ich die Bestie?

Baldovino: Entschuldigen Sie: Es ist nur eine Folgerung.

Fabio: Gewiß, Sie haben recht. – Also bitte, ich spreche, – die Bestie spricht aus mir: sachlich, auf der Erde kriechend. Und Sie hören mir zu und bemitleiden mich. Damit wir verstehen können, warum …

Baldovino: Ich, meinerseits habe schon längst alles verstanden. Ich sprach vorhin so viel – was sonst nicht meine Gewohnheit ist, – weil ich es gerne haben wollte, daß Sie sich zu der Tat aufraffen.

Fabio: Ich?

Baldovino: Ja, Sie. Ich bin schon an Ort und Stelle angelangt. Es ist ganz einfach: Was brauche ich zu tun? Nichts! Ich spiele die Rolle der äußeren Form. – Die unschöne Handlung, – begehen ja Sie! Vielmehr Sie haben sie schon begangen und ich mache sie wieder gut. Sie setzen sie fort, ich verheimliche sie. Damit ich das kann, müssen Sie mich unbedingt achten. – Nicht mich, sondern die Form, die ich darstelle: den ehrenwerten Mann einer anständigen Frau. Sind Sie dazu bereit?

Fabio: Aber gewiß.

Baldovino: Begreifen Sie nun, daß, je ehrlicher Sie mich haben wollen, um so strenger und tyrannischer diese Form sein muß? Darum sagte ich, daß Sie die Konsequenzen bedenken sollen. Nicht meinetwegen, nur Ihretwegen! Meiner Ehre genügt es, in der Frau, die dem Namen nach mein sein wird, – eine Mutter zu sehen.

Fabio: So ist es recht!

Baldovino: Und mein Verhältnis zu ihr in Verbindung mit der Aufgabe, die ich zu erfüllen haben werde, ist eine edle Aufgabe, die durch die Unschuld des kommenden Geschöpfes mir schon klar vorgeschrieben dasteht.

Fabio: Ausgezeichnet!

Baldovino: Ausgezeichnet für mich, aber nicht für Sie, Herr Marchese. Je mehr Sie mir zustimmen, um so größere Katastrophen haben Sie zu erwarten.

Fabio: Wieso denn? Erlauben Sie! Ich sehe gar nicht so viele Schwierigkeiten.

Baldovino: Dann – ich möchte Sie auf etwas aufmerksam machen. – Notwendigkeit, gewisse Verhältnisse, zwingen Sie dazu, nicht anständig vorzugehen. Sie können und dürfen nicht anders; da Sie aber die Anständigkeit in Ihren eigenen Handlungen nicht finden können, erwarten Sie diese von mir. Ich muß sozusagen Ihre Anständigkeit verkörpern: das heißt: den Gatten einer Frau spielen, Vater eines Kindes werden, das nicht Ihr Kind sein kann? Stimmt das?

Fabio: Allerdings!

Baldovino: Wenn es Ihre Frau ist und nicht meine, wenn es Ihr Kind ist und nicht meins, dann genügt es nicht, daß ich allein ehrlich bin, auch Sie müssen es sein, Herr Marchese. Wir alle müssen es sein; nicht wahr?

Fabio: Wie? Was? Ich verstehe nicht recht …

Baldovino: Sie fühlen den Boden unter Ihren Füßen schwanken? …

Fabio: Nein, ich meine, wenn die Verhältnisse sich so ändern sollen …

Baldovino: Die sollen sich ändern, gewiß, Sie wollen sie doch ändern! Der äußere Schein, der Schein Ihrer Anständigkeit, den man retten muß, gilt nicht nur für die Außenwelt, – er gilt auch hier, unter uns! Für Sie! Sie müssen den Schein respektieren, den ich vorstellen soll. Begreifen Sie nun, Herr Marchese? Und ich mache Sie darauf aufmerksam: Es wird nicht leicht sein!

Fabio: Da Sie aber im Bilde sind …

Baldovino: Gerade weil ich im Bilde bin! Ich empfehle Ihnen, sich erst die Sache gründlich zu überlegen. Pause.

Fabio erhebt sich und geht erregt im Zimmer auf und ab, bleibt vor der Tür rechts stehen.

Baldovino steht auf und wartet: Vielleicht sprechen Sie erst mit der jungen Dame darüber. Aber das ist vielleicht gar nicht mehr nötig … Er macht einen Blick und Bewegung nach der Tür rechts, als ob jemand lauschte.

Fabio dreht sich schnell zu ihm, wütend: Was meinen Sie damit?

Baldovino sehr ruhig, aber traurig: Es wäre nur ganz natürlich … Er meint, wenn Agata gehorcht hätte. Nun, ich gehe. Bitte mir dann Ihre Entscheidung im Hotel mitteilen zu lassen. Geht zur Hintergrundtür, dreht sich nochmals um: Auch ich habe manches auf dem Gewissen. Was hier geschieht, ist keine Schuld, sondern ein Unglück. Wie auch Ihre Entscheidung ausfallen möge, seien Sie überzeugt, ich werde im Herzen meinem alten Schulkameraden immer dankbar sein. Er hat mich wert gehalten, in dieser schweren Stunde einer unglücklichen Familie meine ehrliche Hilfe anzubieten. Er verneigt sich und geht links ab.

Fabio sieht ihm nach.

Vorhang


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