Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 10. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Eduard und Wilhelmine.

Eine wahre Anekdote.

Erster Brief.

Die gute Louise wird mir verzeihen, daß ich sie zu meiner Briefträgerinn mache. Aber wird auch die holde Wilhelmine mir verzeihen, daß ich an sie schreibe? Warum nicht? Eben so reizend, wie die Tochter des ehrwürdigen Pfarrers von Grünau, warum sollte sie nicht auch eben so gut seyn? Ach! wäre ich nur auch so glücklich als Walter, der dem herrlichen Mädchen ohne Zwang, ohne Umweg sein Herz aufschließen durfte.

Schon drei Tage suche ich Sie, theure Wilhelmine, zu sprechen, aber nie traf ich Sie allein. Ich sann auf ein Mittel, an Sie zu schreiben, und fand keines; nun habe ich es gefunden. Wie ein leuchtender Blitz fuhr der Gedanke mir durch die Seele: Vossens Meisterwerk zur Hülle dieses Blattes zu gebrauchen. Hätten Sie mich beobachtet, Sie würden gesehen haben, wie ich auf meinem Stuhl aufhüpfte, als Sie bei Tische sagten: daß Sie es noch nicht gelesen haben. Es wird, es muß Ihnen befallen. Die Heldinn 102 dieser patriarchalischen Epopee ist Ihnen zu ähnlich, als daß Sie nicht mit ihr sympathisiren sollten.

Dieses könnte ich Ihnen in Gegenwart Ihrer Frau Mutter und meines Lehrers, im Angesichte der ganzen Welt könnte ichs Ihnen sagen, und Niemand würde mir widersprechen. Allein, daß ich Sie liebe, daß Sie jene geheimnißvolle Verwandlung, die ich bisher bloß dem Namen nach kannte, in mir hervorgebracht, daß Sie mir eine neue Seele eingehaucht, und meinem ganzen Wesen ein erhöhetes Daseyn gegeben haben, dieses, ich fühle es, liebe Wilhelmine, darf ich Ihnen nur allein sagen.

Ob Sie mich verstehen, ob Sie die Offenbarungen meines Herzens mit Nachsicht anhören, ob Sie ein Wort der Güte darauf erwiedern werden,. das sind Zweifel, die wie Harpyen mich bestürmen, um mir die ambrosischen Früchte zu rauben, welche die freundliche Zauberinn Hoffnung mir entgegen reicht. Doch Sie sind zu sehr Kind der Natur, um zu verbergen, daß Sie ein eben so weiches als edles Herz haben, und die Thränen, die Sie vorgestern in Romeo und Julie vergossen, erweckten in mir die süße Ahnung, daß Wilhelmine, die sich so ganz an die Stelle des liebenden Mädchens zu setzen wußte, auch selber werde lieben können.

Die erste Liebe, sagt man, ist unbezwingbar, sie kennt keine Grenzen, keine Gefahren. Ich fühle 103 die Wahrheit dieses Ausspruchs, und bin bereit, sie Ihnen zu beweisen. Wohl mir, wenn Sie mein Herz für würdig achten, es auf die Probe zu setzen! Mehr verlange ich nicht von Ihnen, holde Wilhelmine, und mehr brauche ich nicht, um mein Schicksal für entschieden zu halten. Gott! wenn Sie es zu dem Ihrigen machen wollten, welch eine himmlische Aussicht würde sich uns öffnen! O, lesen Sie die Louise doch recht geschwind, damit ich nicht lange auf mein Urtheil warten darf! Louise hat einen Glücklichen gemacht, eben so glücklich, was sage ich, unendlich glücklicher kann Wilhelmine mich machen; denn unendlich wärmer und zärtlicher als Walters Herz ist das Herz

Ihres

Eduard.

 
Zweiter Brief.

Ich weiß nicht, gnädiger Herr, ob ich recht thue, daß ich Ihnen antworte. Lange ging ich mit mir zu Rathe, was ich thun sollte, endlich dachte ich: wenn Sie mir mündlich gesagt hätten, was Sie mir geschrieben haben, so hätte ich Ihnen ja auch antworten müssen.

Dennoch zittert meine Hand, indem sie die Feder ergreift. Hat die Ihrige nicht auch gezittert, gnädiger Herr, als Sie Ihren Brief an mich 104 schrieben? Was konnten Sie dabei für eine Absicht haben? Keine andere, als eines unerfahrnen Bürgermädchens zu spotten, oder es zu verführen.

Doch vielleicht thue ich Ihnen Unrecht, vielleicht täuschen Sie sich selbst: dann bedauere ich Sie. Denn wenn Sie wirklich der edle, junge Mann sind, für den man Sie hält, so muß es Ihnen wehe thun, mir unter der gleich häßlichen Larve eines Spötters, oder eines Verführers erschienen zu seyn. In diesem Falle will ich mein Unrecht dadurch gut machen, daß ich Sie mit muthiger Stimme aus Ihrem Traume wecke, und mir mehr als Ihre Liebe – Ihre Achtung erwerbe.

Ich kenne die Liebe noch nicht, und ich verdanke es den Lehren meiner Mutter, daß ich ihr nicht allein auf meinem Wege begegnen will. Hüten Sie sich also, gnädiger Herr, das Werk meiner weisen Lehrerinn zu stören, und hören Sie auf, sich mit einem armen Landmädchen zu beschäftigen, dessen Loos ist, sich so leise als möglich durch die Welt hindurch zu schleichen.

Hätte ich die dunkle Stille nicht schon zuvor geliebt, so würde Louise, für deren Bekanntschaft ich Ihnen verbindlich danke, sie mir lieb gemacht haben. Welch ein schreckliches Gegenbild bot die unglückliche Julie mir dar! Wohl beweinte ich sie, und auch mich würde jedes gute Mädchen 105 beweinen, wenn ich einer unseligen Leidenschaft mehr, als meiner Pflicht gehorchte.

Sie laden mich ein, gnädiger Herr, Ihr Herz auf die Probe zu setzen. Das will ich thun; ich will ihm die schöne heldenmüthige Arbeit auflegen, sich selbst zu besiegen, und wenn es den Sieg erhält, so wird keine sterbliche Hand, so wird die Hand der Tugend es krönen.

Wilhelmine.

 
Dritter Brief.

Wie konnten Sie glauben, theure Wilhelmine, daß Ihre Antwort mir den Mund schließen würde? Wenn Sie das wirklich glaubten, so haben Sie sich sehr betrogen. Diesen Morgen noch liebte ich in Ihnen ein holdes, unbefangenes Mädchen, das mit allen Reizen der Jugend die sich selbst unbewußte Grazie der Unschuld verbindet. Seit dem Empfange Ihres Briefes verehre ich Sie eben so sehr, als ich Sie liebe. Ihr Geist, holde Wilhelmine, Ihr schönes Herz, haben einen himmlischen Glanz über Ihr Rosenantlitz verbreitet. Wilhelmine ist mir ein Engel, dem meine Seele huldigt. Ihr Aeußeres mußte mich zuerst anziehen, und als ich es wagte, an Sie zu schreiben, war das, was ich für Sie empfand, vielleicht bloße Leidenschaft. 106 Jetzt ist es ein geläutertes, heiliges Gefühl, das jeder irdische Name entweihen würde.

O glauben Sie mir, meine Geliebte, ich schwöre es Ihnen bei Allem, was der Tugend heilig ist! Ihr Eduard kennet das Arge nicht, und sein Herz ist unverdorben. Auch er hatte eine weise Lehrerinn, eine sorgfältige, zärtliche Mutter, die ihm die Abgründe aufdeckte, welche oft unter einem Blumenteppich den unerfahrnen Jüngling ins Verderben locken. Allein was haben diese Abgründe mit dem Bunde zweier Seelen gemein, die sich für einander geschaffen fühlen, und, der Welt vergessend, nur sich und der Tugend leben wollen? Wie kann eine gute Mutter vor einer solchen Liebe warnen, ohne die es, das fühle ich, und Ihnen danke ich dieses Gefühl, keine Glückseligkeit auf Erden giebt? Liebte denn Louise nicht auch, und wurde sie nicht glücklich durch die Liebe? Oder denken Sie etwa, daß meine Liebe minder rein, minder standhaft sey, als Walters Liebe? Wenn Sie das denken, Wilhelmine, so versündigen Sie sich an meinem Herzen, ja, ich darf sagen, an der Tugend.

Sprechen Sie mir also von keinem Traume, aus dem Sie mich wecken, von keinem Siege über mich selbst, zu dem sie mich auffordern wollen. Erproben will ich meine Liebe, nicht bekämpfen, und auch nach überstandener Prüfung will ich meine 107 Hand nicht eher nach dem Preise ausstrecken, als bis Sie mir ihn darreichen; nur erlauben Sie mir zu hoffen, ihn verdienen zu können. In einem Jahre sind meine Studien hier geendigt, und in einem zweiten Jahre kehre ich von meinen Reisen in die Arme meiner Mutter zurück, von deren Güte ich Alles erwarten darf, was die Glückseligkeit ihres einzigen Sohnes versichern kann.

Nach dieser Erklärung, theure Wilhelmine, werden Sie hoffentlich kein Bedenken tragen, mir schriftlich zu antworten, wenn es Ihnen an Gelegenheit fehlt, es mündlich zu thun. Geschieht das erste, so legen Sie den Brief nur in meinen Bücherschrank auf der Hausflur; ich werde den Schlüssel dazu stecken lassen. Aber verschonen Sie mich um des Himmels willen! mit dem gnädigen Herrn; wenn Sie mir keinen süßern Namen geben können, so nennen Sie mich wenigstens Ihren Freund

Eduard.

Nachschrift:

Da ich Clelien einen ähnlichen Strauß geben will, so kann es Niemanden einfallen, daß ein Briefchen unter diesen Blumen verborgen ist. 108

 
Vierter Brief.

Ihre Erklärung, gnädiger Herr, hat mich gerührt, ohne mich zu blenden. Ich würde sie nicht beantworten, wenn Sie nicht verdienten, daß man Ihnen die Decke von den Augen nehme. Lieber möchte ich dazu die Hand meiner Mutter gebrauchen, wenn ich mich entschließen könnte, Sie vor ihr erröthen zu sehen. Ich halte Ihr Herz für edel und aufrichtig, und eben darum bedaure ich Sie und jedes junge Mädchen, das mit Ihnen ein Opfer einer unseligen Verblendung werden muß, wenn ihm die Mittel fehlen, welche die Vorsehung mir in die Hand gegeben hat, den Zauber zu lösen.

Doch ohne die Beantwortung Ihres Briefes meiner Mutter zu überlassen, kann ich Ihnen sagen, was sie darauf antworten würde:

»Was hat Ihnen meine arme Tochter gethan, Herr Baron, daß Sie ihr den gefährlichsten Fallstrick legen, der einem unerfahrnen Mädchen ihres Standes gelegt werden kann? Denn ein Fallstrick und nichts anders ihr Ihr Antrag. Ich will gerne glauben, daß Sie das nicht wissen, aber eben diese Unwissenheit würde Sie mit meiner Tochter ins Verderben stürzen, wenn nicht eine liebreiche Hand Ihnen den Abgrund aufdeckte. Sie meynen, Ihre Frau Mutter würde aus Liebe zu Ihnen Ihre Liebe zu meiner Tochter dulden, oder wohl gar gut heißen. Das wird sie nicht, das kann sie nicht, und 109 wenn sie es auch wollte, so dürfte sie es nicht. Jeder Stand hat seine Pflichten; bisweilen sind es Vorurtheile, welche die Zeit zu Pflichten erhoben hat, und denen es immer leichter ist, zu gehorchen, als zu trotzen. Sie umzustoßen, würde selbst ein Fürst vergebens wagen. Das weiß Ihre Frau Mutter besser als ich, und eben darum würde sie, darum müßte sie sich einer Wahl widersetzen, die sie selbst und ihren Sohn dem Hasse und der Verachtung ihrer Familie und ihres Standes Preis geben würde.«

»Auch ich, mein Herr Baron, müßte mich dieser Wahl widersetzen, weil meine Tochter, wenn sie Gefühl hat, wahrscheinlich das erste Schlachtopfer dieser beiden Furien seyn würde; nicht zu gedenken, daß alle Schwüre, daß selbst Ihr redliches Herz, Herr Baron, meinem Kinde die Beständigkeit Ihrer Liebe nicht verbürgen könnte. Durch die Stürme ermüdet, durch die Vernunft erleuchtet, würden Sie dem Engel nur allzubald seine menschliche Gestalt zurück geben, und zwischen ihm und mehr als Einem Frauenzimmer Ihres Standes beschämende Vergleichungen anstellen. Ja, wer weiß, ob nicht schon die Abwesenheit diese Verwandlung bewirken, und Sie von Ihrer Leidenschaft heilen würde? Wie oft ist das nicht schon dem besten Jüngling zu seinem Glücke begegnet! Dann wäre meine Tochter, die vielleicht im 110 Taumel Ihrer Hoffnungen einen braven Mann ausschlug, dem öffentlichen Gespötte zur Schau gestellt, und vielleicht auf ihr ganzes Leben elend gemacht.«

Dieses, gnädiger Herr, ist noch lange nicht alles, was ich Ihnen aus dem Munde meiner Lehrerinn sagen könnte. Doch das Wenige ist hinreichend, Sie mit meinen Grundsätzen bekannt zu machen, und Ihnen den edelmüthigen Entschluß einzuflößen, den Frieden meiner Seele, der mein einziger Reichthum ist, nicht zu stören. Lassen Sie mich in meiner Dunkelheit, meinem Berufe getreu, die letzten Tage meines ehrwürdigen Großvaters mit Blumen bestreuen, und glauben Sie nicht, daß ich durch ein glänzenderes Loos glücklicher werden könnte. Das Auge der Vorsehung sieht auch auf die Hütten, und zur Zeit der Vorwelt wurden sie bisweilen von Engeln besucht.

Auch in meine Hütte wird ein himmlischer Bote einkehren, wenn ich dem entzückenden Gedanken Raum geben kann, einen edlen jungen Mann im heiligen Entschlusse befestigt zu haben, die Unschuld auch in der Hirtinn zu ehren, und sie nie durch Anerbietungen zu versuchen, die, angenommen oder ausgeschlagen, ihre Tage vergiften würden. Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, diesen freimüthigen Ton an einem unbefangenen Landmädchen, dem Sie Achtung eingeflößt haben, aber, 111 ohne dieser Achtung unwürdig zu werden, nicht wünschen dürfen, Liebe einzuflößen.

Wilhelmine.

 
Fünfter Brief.

Als ich, liebe Mutter, aus Ihren Armen schied, legten Sie mir das Gelübde auf, Sie zu meiner Vertrauten zu machen. Dieses Gelübde fiel mir nicht schwer. Ich war es ja schon lange gewohnt, der besten Mutter, in der ich früh meine beste Freundinn erkannte, alle meine Wünsche, alle meine Gefühle, und selbst meine verborgenen Fehltritte zu offenbaren. Daß ich meinem Versprechen treu blieb, hat Ihnen bisher mein Tagebuch bewiesen; es hat Sie von meinen Beschäftigungen, von meinen Bemerkungen, von meinen Verbindungen so genau unterrichtet, daß Sie nicht mehr von mir wissen könnten, wenn Sie mir immer zur Seite gewesen wären.

Nur seit Kurzem habe ich in meiner Geschichte eine Lücke gelassen, die ich jetzt erst ausfüllen kann. Es ging etwas in mir vor, das mir selbst ein Räthsel war, und als das Räthsel sich zu lösen begann – nun ich gestehe es Ihnen, liebe Mutter – so scheuete ich mich zum erstenmal, Ihnen mein Inwendiges aufzudecken. Jetzt kann ich nicht länger schweigen, ohne mein Gelübde zu brechen. 112 Erschrecken Sie nicht, liebe Mutter, Ihr Eduard hat weder die Ehre noch die Tugend verletzt; seine Ehre und seine Tugend haben vielmehr einen neuen Schutzengel gefunden. Die Loose seines Schicksals liegen in der Hand dieses Schutzengels, ohne den die Welt ihm zur Einöde, und mit dem die Einöde ihm zum Paradiese werden würde. Es wird Ihnen leicht seyn, beste Mutter, aus dem, was ich Ihnen zu erzählen habe, selber diesen Schluß zu ziehen.

Heute sind es gerade drei Wochen, daß mein Lehrer, oder vielmehr seine Gattinn, den längst erwarteten Besuch einer Freundinn erhielt, die an einen auswärtigen Beamten verheirathet war, aber seit zwei Jahren als Wittwe bei ihrem Vater, einem ehrwürdigen Landpfarrer aus hiesiger Gegend, lebte. Schon lange hatte ihr Madam L. angelegen, daß sie für eine beinahe zwanzigjährige Trennung sie endlich einmal entschädigen, und ihre Tochter mitbringen sollte, um das alte Band, das die Mutter vereinigt, auch auf die Kinder fortzupflanzen.

Ich sah Wilhelminen, und ein unbekanntes, süßes Staunen ergriff mich. So trat aus dem Schoße der Allmutter Natur einst Psyche hervor. Sie zählt sechszehn Jahre, allein aus ihrer offenen Stirne, dem Throne der Unschuld, in ihren großen, arglosen Augen, blau und heiter, wie der 113 Himmel, liest man kaum vierzehn. Ich kannte mich nicht mehr. Ein ganzes Jahr hatte ich mit der angenehmen Clelie, der Tochter meines Lehrers, an Einem Tische gespeist, und mein Herz blieb müßig. Ich erblickte Wilhelminen, und es flog ihr entgegen. Die unbefangene Leichtigkeit, womit ich zu Hause und hier fremden Personen zu begegnen, und selbst mit Mädchen meines Standes umzugehen gewohnt war; diese Leichtigkeit, dieses Selbstvertrauen verließ mich. Ein schlichtes Bürgermädchen, dem Ansehen nach der Kindheit kaum entwachsen, erfüllte mich mit einer schüchternen Ehrfurcht. Jeder Ton ihrer melodischen Stimme wiederhallte in meiner Brust, jede Bewegung ihres schlanken, durch keinen Exerzirmeister verschrobenen, Körpers bot mir ein Modell von Grazie dar, das ich zu kopiren wünschte.

In den ersten Tagen sprach sie wenig, was sie sagte, war sinnig, aber anspruchlos. Nach und nach ward sie heimlicher: ich mischte mich bisweilen in ihre Unterredungen mit Clelie, und fand, daß ihr Großvater eben so sehr für die Bildung ihres Geistes gesorgt hatte, als die Natur für die Bildung ihres Körpers. Jede Stunde zog dieses magische Wesen mich mehr an sich; Tag und Nacht war meine Seele nur mit ihr beschäftigt. Das Räthsel löste sich bald, und das 114 unbekannte Orakel in mir gab sich selbst den Namen Liebe.

Vielleicht hätte ich Wilhelminen meine Gefühle noch lange verschwiegen, wenn sie nicht, ohne es zu wissen, mir Anlaß gegeben hätte, mein Stillschweigen zu brechen. Wir sprachen von Vossens Luise; sie hatte das herrliche Gedicht noch nicht gelesen. Die Gelegenheit war zu schön, um sie nicht zu benutzen; ich begleitete es am folgenden Morgen mit einem Briefchen, und spähete, um es ihr zu übergeben, den Augenblick aus, da sie ihr Zimmer verließ, das dem meinigen gegenüber liegt. Aus ihrer Antwort können Sie, beste Mutter, den Inhalt meines Briefchens errathen. Ich habe keine Abschrift davon behalten, auch von dem zweiten habe ich keine, aber ihre Antwort auf diesen wird Ihnen den Engel im vollen Glanze seiner Schönheit und Majestät darstellen.

Hier werden Sie die Achseln zucken, liebe Mutter, und Ihren Eduard einen Phantasten, einen schwärmerischen Gecken heißen. Heißen Sie mich, wie Sie wollen, nur nicht einen Verführer; denn lieber möchte ich sterben, oder ein freudenleeres Leben Jahrhunderte lang fortschleppen, als der Unschuld Heiligthum entweihen, und die schönste Blume des Paradieses zerknicken. Ein Blick, ein Wort Wilhelminens würde hinreichen, mächtiger als ein Donner vom Himmel, mich von 115 der Frevelthat zurück zu schrecken. »Allein, was willst du denn mit deiner Liebe?« So höre ich Sie sagen. »Was soll am Ende daraus werden?« Das weiß ich nicht, liebe Mutter, das könnten Sie mit einem Worte entscheiden. Aber das weiß ich, daß meine Glückseligkeit in Wilhelminens Hand liegt, daß ich mit einer solchen Gefährtinn froh und sicher den Pfad des Lebens zurücklegen müßte, weil die Tugend selbst in sichtbarer Gestalt meine Führerinn seyn würde.

Ich weiß wol, beste Mutter, was Sie auf das Alles antworten können. Sie können mich im Namen der Ehre, oder, besser zu sagen, im Namen des Vorurtheils auffordern, meinem Stammbaum und meinem Wappen das Opfer meiner Glückseligkeit zu bringen. Um diesem Rufe zu gehorchen, darf ich keinen Augenblick vergessen, daß er aus dem Munde einer Mutter kömmt, die mich immer liebte, und mir nur aus Liebe verbieten kann, glücklich zu seyn.

Vergeben Sie mir, beste Mutter, der Kopf dreht mir, und mein Herz fühlt seine erste Liebe. Ob sie ewig seyn werde, weiß ich nicht, aber gewiß wird sie mich bis in den Tod begleiten. Mein Weg wird nicht weit seyn, wenn er mich nicht der Einzigen entgegen führt, für die ich allein zu leben wünsche.

Eduard. 116

 
Sechster Brief.

Sie glaubten, göttliches Mädchen, durch Ihre ernste, strafende Zuschrift den angeblichen Zauber zu lösen, der mich verblendet; sie hat gerade das Gegentheil bewirkt; sie hat mir die Augen vollends geöffnet, sie hat mich überzeugt, daß es keine Täuschung der Sinne, kein vorübergehender Rausch des Herzens seyn kann, dieses allmächtige, namenlose Gefühl, das Sie mir einflößen. Ich mußte Sie lieben, weil ich die Tugend liebe; ich muß Sie ewig lieben, weil ich die Tugend ewig lieben will. Bisher war sie mir Pflicht, seitdem sie in Ihnen mir sichtbar wurde, ist sie mir Wollust.

Ich verehre die Mutter, die eine solche Tochter bilden konnte; ich schätze die Lehren, die sie ihr gab, ob sie gleich, im allgemeinen Sinne genommen, zu viel beweisen. Nach ihnen könnte es keine glücklichen Verbindungen geben zwischen harmonisch gestimmten Wesen, sobald diese Harmonie sich nicht auch über ihre Geburt und ihren Stand erstreckt. Die Erfahrung lehrt das Gegentheil, und wenn dergleichen Verbindungen mißrathen, so geschieht es, weil die Tugend sie nicht geknüpft hat. Mich dünkt, es ist Beruf für den, der die Mittel dazu besitzt, die Irrungen des Zufalls gut zu machen, und die darbende Tugend zu entschädigen, die im Dunkel verborgene empor zu ziehen.

117 Sie haben die Pamela gelesen, theure Wilhelmine, halten Sie diese Geschichte für unwahrscheinlich? oder glauben Sie vielleicht, daß eine Pamela nur dann erst eine rechtmäßige Liebe einflößen könne, wenn es ihrem adelichen Liebhaber nicht gelingt, sie zu verführen? Wie könnte die fromme, zartfühlende Wilhelmine das denken! Nein! eben weil sie mich für edel und aufrichtig hält, glaubt sie meine Liebe bestreiten zu müssen. Warum das? Weil die liebenswürdigste ihrer Tugenden, weil ihre Bescheidenheit ihr nicht erlaubt, gerecht gegen sich selber zu seyn. Mir gebietet die Gerechtigkeit, ihren Werth zu erkennen, und die Ehre, die nach meinem Begriffe nichts anders als die Moral ist, erlaubt mir, nach dem Besitze eines Gutes zu streben, das nicht nur mich, sondern jeden guten Jüngling beseligen würde, und eben deswegen kein Scheingut ist.

Freilich steht mir noch eine verhängnißvolle Frage im Wege, die Wilhelmine mir vor allen Dingen beantworten müßte: Kann ihr Herz – zu diesem rede ich, und nicht zu ihrer kalten spitzfindigen Vernunft – kann es den Gefühlen und Wünschen des meinigen entsprechen? Kann Eduard sie so glücklich machen, als er es durch sie seyn würde? Auf diese Frage, liebstes Mädchen, beschwöre ich Sie um eine Antwort; Sie können sie mir ohne Grausamkeit nicht verweigern. Sollte 118 sie nach meinem Wunsche ausfallen, sollte sie mir auch nur in der Ferne seine Erfüllung zeigen, so ist es meine Sache, die Hindernisse zu bestreiten, die unsere Vereinigung vielleicht verzögern, aber gewiß nicht vereiteln können. Wie beredt werde ich nicht seyn, wenn Wilhelmine mich begeistert! Was werde ich nicht wagen, nicht ausrichten, wenn Wilhelmine der Preis meines Kampfes seyn wird!

Auch ich habe eine ehrwürdige, zärtliche Mutter, der das Wohl ihres Eingebornen am Herzen liegt. Von ihrer Liebe erwarte ich, was ich in wenigen Jahren von der Weisheit des Gesetzes mir versprechen dürfte – die Erlaubniß, glücklich zu seyn, und die Freiheit, die Schöpferinn meines Glückes zu wählen.

Ihre Antwort, theures Mädchen, werde ich an eben dem Orte suchen, wo ich Ihre gestrige Zuschrift fand; ich werde mich ihm nähern, wie die Alten sich dem Heiligthum näherten, aus dessen Schoße eine Gottheit ihre Aussprüche über Tod und Leben ertheilte. Ach! warum ist es nicht genug, ein Gut schätzen zu wissen, um dessen würdig zu seyn? Niemand in der Welt wäre seines Glückes gewisser als Ihr

Eduard. 119

 
Siebenter Brief.

Erinnern Sie sich noch, mein würdiger Freund, was ich Ihnen so oft schrieb, und voriges Jahr mündlich wiederholte, als ich meinen Eduard in ihre Arme führte? Sein Herz ist bieder und edel, sagte ich; es hat sich bis in sein achtzehntes Jahr unbefleckt erhalten, weil es mir gelang, es vor Verführung zu bewahren, und den Köder der Sinnlichkeit von ihm zu entfernen. Mit seinem Kopfe, setzte ich hinzu, bin ich weniger zufrieden. Sein gesunder Verstand, der weder arm an Fähigkeiten noch an Kenntnissen ist, wird mehr als einmal Gefahr laufen, von seiner raschen, glühenden Phantasie geblendet und unterjocht zu werden. Er hat eine entschiedene Anlage zur Schwärmerei, der sein letzter Hofmeister nicht genug entgegen arbeitete, sondern ihre Ausbrüche wol gar für Funken des Genie's hielt, die man nicht ersticken müsse. Unser Aufenthalt auf dem Lande gab diesem Enthusiasmus eine unschädliche Richtung. Eduard wurde ein ecstatischer Bewunderer der schönen Natur, aber zu gleicher Zeit der Schöpfer einer Idyllenwelt, die weit mehr die Unschuld seines Herzens, als die Richtigkeit der Begriffe erprobte, die sein Lehrer ihm von der wirklichen Welt beigebracht hatte. Einen solchen Mann konnte ich, bei aller seiner Rechtschaffenheit 120 im kritischen Alter der Leidenschaft meinem Sohne nicht zum Führer geben.

Wem konnte ich ihm mit mehr Zuversicht anvertrauen, als dem Jugendfreunde seines Vaters, dessen Rath mich bis hieher in seiner Erziehung unterstützt hatte. Da ich mir das Vertrauen des Jünglings durch mein eigenes zu erhalten gewußt, so ward es mir nicht schwer, ihm bei unserer Trennung das Gelübde aufzulegen, während seiner akademischen Laufbahn ein getreues Tagebuch seiner Lebensgeschichte, eine aufrichtige Rechenschaft seiner Gesinnungen und Handlungen zu führen, und mir wöchentlich zu übersenden.

Dieses Tagebuch hat mir, wie Sie wissen, einen großen Theil der Bemerkungen geliefert, die ich Ihnen, mein würdiger Freund, über das Thun und Lassen Ihres Lehrlings mitgetheilt habe. Seit drei Wochen fand ich das Wesen und die Form dieser Blätter ganz geändert. Sie enthielten magere Gemeinplätze, ein Paar Schilderungen von Scenen, an denen mein Sohn keinen Antheil hatte, und überhaupt keine von jenen Details, die mir sein Inneres aufdeckten. Ich sah es ihm an, daß er sich Gewalt anthat, den Bogen zu füllen, und so wenig als möglich von sich selbst zu reden. Ich muthmaßte irgend eine verborgene Ursache dieser Zurückhaltung, und war im Begriffe, Ihnen meine Muthmaßungen mitzutheilen, als ich 121 beikommenden Brief mit seinen Beilagen erhielt, die mir das ganze Räthsel auflösten.

Gewiß wird ihr Inhalt Sie nicht weniger überraschen, als er mich überrascht hat. Wenn aber diese Wilhelmine das wirklich ist, was sie zu seyn scheint, so müssen wir uns Glück wünschen, daß unser junger Schwärmer mit seiner ersten Liebe an einen Gegenstand gerathen ist, von dem wir vor der Hand wenig zu fürchten haben. Ich sage: vor der Hand: denn wer kann uns für die Standhaftigkeit eines sechszehnjährige Mädchens bürgen, dessen zartfühlendes Herz von einem Jüngling bestürmt wird, der, von der Natur und dem Glücke begünstigt, um so leichter Gehör finden muß, da seine Gesinnungen das Gepräge der Aufrichtigkeit tragen?

Was mich bei der ganzen Sache am meisten beunruhigt, ist der Umstand, daß mein offener, argloser Eduard, dessen Gesicht ein Spiegel seiner Gedanken und Empfindungen ist, sich so sehr zu verstellen wußte, daß er seine Liebschaft unbemerkt unter Ihren Augen anspinnen und fortführen konnte. Daß wir sie als ein Schäferspiel betrachten, und den Knoten desselben baldmöglichst lösen müssen, davon sind wir Beide überzeugt; allein wie sollen wir's anfangen?

Meinen Sie nicht, daß es gut wäre, Wilhelminens Mutter mit in unser Geheimniß 122 aufzunehmen? Es muß ihr eben so viel daran liegen, die Ruhe ihrer liebenswürdigen Tochter zu sichern, als mir daran liegt, die Unschuld meines Sohnes zu schützen. Ich will ihm nicht eher antworten, als bis Sie mich von der wahren Lage der Dinge unterrichtet, und mir Ihren Rath mitgetheilt haben. Es ist unumgänglich nöthig, daß wir nach einem verabredeten Plane zu Werke gehen. Ich erwarte es von Ihrer Freundschaft, daß Sie mich baldmöglichst aus meiner Unruhe reißen werden, und halte es für eben so überflüssig, Ihnen die Versicherung meines grenzenlosen Vertrauens, als die meiner achtungsvollen Freundschaft zu erneuern.

Amalia von B.

 
Achter Brief.

Ich hätte nicht geglaubt, gnädiger Herr, daß Ihnen meine letzte Erklärung noch einigen Zweifel über meine Grundsätze übrig lassen würde, und es thut mir weh, daß Sie die Hoffnung nähren konnten, sie zu erschüttern. Wol habe ich die Pamela gelesen, und will Ihnen nicht verhehlen, daß ich diesem Roman einen Theil der Lehren verdanke, die ich Ihnen in meinem letzten Briefe mittheilte, und wodurch meine Mutter dem Eindruck entgegen arbeitete, den das Buch auf meine allzu 123 empfängliche Phantasie gemacht hatte. Auch die Clarissa habe ich gelesen, und ohne einem Lovelace mein Heiligstes aufzuopfern, würde ich weit strafbarer seyn, als jener gefallene Engel, wenn ich es wagen könnte, einen guten Sohn seiner guten Mutter untreu zu machen, und die Stelle zu verrücken, welche die Vorsehung ihm in der Gesellschaft angewiesen hat.

Wenn ich Ihnen wirklich nicht gleichgültig bin, wenn Sie zu meinem Glücke beizutragen wünschen, so hören Sie auf, es zu stören, so haben Sie für sich selbst die Achtung, und für mich die Schonung, unsern Müttern ein Gefühl zu verbergen, das sie weit strenger beurtheilen würden, als ich, und gegen das die Ehre mir gebieten würde, mich feierlich zu erklären.

Morgen reise ich in meine Einsamkeit zurück, die mein Aufenthalt in der Stadt mir nur noch lieber gemacht hat. Sorgen Sie dafür, gnädiger Herr, daß mir das Andenken an Ihre Bekanntschaft werth bleibe, und daß ich Ihnen meine Hochachtung zurücklassen könne. In dieser Erwartung hoffe ich, daß Sie nun unsern Briefwechsel für geendigt ansehen, und mir die bittere Unannehmlichkeit ersparen werden, Ihre Briefe uneröffnet meiner Mutter zu übergeben. Es kömmt allein auf Sie an, ob ich, Ihrem Wunsche gemäß, Sie für meinen Freund halten soll. Daß ich Ihre Freundinn bin, 124 wird Ihre Vernunft Ihnen schon jetzt, und in Kurzem wird es auch Ihr Herz Ihnen sagen.

Wilhelmine.

 
Neunter Brief.

Mit allem Rechte, gnädige Frau, müßten Sie sich wundern, wenn eine in meinem Hause angesponnene und fortgespielte Liebschaft Ihres Herrn Sohns von mir unbemerkt geblieben wäre. So mannichfaltig meine Amtsgeschäfte sind, so hindern Sie mich dennoch nicht, den jungen Mann im Auge zu behalten, und ich übe diese Wachsamkeit mit desto größerm Vergnügen aus, da sie meinem Herzen den zwiefachen Genuß gewährt, Ihrem Vertrauen zu entsprechen, und das Edle und Gute zu beobachten, das Sie der Seele Ihres Herrn Sohns eingepflanzt haben.

Dennoch darf ich mir die erste Entdeckung der kleinen Intrigue nicht zueignen, wovon er Ihnen selber ein so offenherziges Bekenntniß abgelegt hat. Wol aber hätte ich Sie früher davon unterrichten können, als er es that, wenn ich Ihnen mit dem Anfange des Romans nicht auch zugleich seine Entwicklung hätte melden wollen.

Wilhelmine ist wirklich das edle, holde Mädchen, wofür Eduard sie hält. Neben den Annehmlichkeiten, womit die Natur sie reichlich 125 ausgestattet, hat sie ihrer Mutter, und vornemlich ihrem würdigen Großvater, eine nicht gemeine Geistesbildung zu danken. Gleichwol müßte ihr Anbeter zwischen ihrer Art zu sprechen und zu schreiben einigen Unterschied bemerkt haben, wenn der Enthusiasmus der ersten Liebe ihm erlaubt hätte, diese Vergleichung anzustellen. Was Sie, gnädige Frau, schon wissen, will ich Ihnen nicht wiederholen, sondern, wie es einem Professor geziemt, den Brief Ihres Herrn Sohns bloß kommentiren und ergänzen.

Was er Ihnen noch nicht schreiben konnte, und nie, oder wenigstens so bald noch nicht, erfahren darf, ist der Umstand, daß Wilhelmine seine Liebeserklärung auf der Stelle ihrer Mutter mittheilte. Diese ersah den ersten, günstigen Augenblick, um mir, nicht ohne Unruhe, den Vorfall zu erzählen, und zu dokumentiren. Anfänglich, ich gestehe es, war ich in keiner geringen Verlegenheit: doch plötzlich stieg ein Gedanke in mir auf, der mir die Sache in einem ganz andern Lichte zeigte. Sie müssen, liebe Freundinn, sagte ich zu ihr, mir ein gutes Werk verrichten helfen. Wilhelmine muß antworten, und ich will ihr die Antwort aufsetzen.

Die brave Frau erhob allerhand Bedenklichkeiten; sie meinte, dieses hieße ihrer Tochter eine verhaßte und dabei gefährliche Rolle aufgeben; 126 zumal, setzte sie hinzu, da das Mädchen einen starken Hang zur Schwärmerei und zum Romanenlesen hat. Desto weniger, erwiederte ich, dürfen Sie mir meine Bitte abschlagen. Indem ich ihre Tochter zur Lehrerinn eines Andern mache, soll sie sich selbst einige heilsame Lehren geben, die sie wegen ihrer Veranlassung um desto weniger vergessen wird. Fürchten Sie nichts, und glauben Sie, daß die Unschuld Ihres Kindes mir nicht weniger heilig ist, als die meines Pflegesohns.

Machen Sie, was Sie wollen, versetzte sie; nur muß ich Sie bitten, selber mit dem Mädchen zu sprechen. Wilhelmine ward mit in den geheimen Rath gezogen. Das Vertrauen, das ich ihr bezeugte, der wohlthätige Einfluß, den ich mir von ihrer Gefälligkeit versprach, und vielleicht auch das Romantische, das in der Rolle lag, die ich ihr auftrug, das alles, durch den Wink ihrer Mutter unterstützt, besiegte die Schüchternheit des liebenswürdigen Kindes.

Ich entwarf ihr eine Antwort, die ich in den Ton zu stimmen suchte, der mir den sichersten Eindruck auf das Gemüth unsers biedern Enthusiasten zu versprechen schien. Sie kennen diese Antwort, gnädige Frau, und auch die auf seinen zweiten Brief, welche einen dritten veranlaßte, der eine so natürliche Katastrophe herbei führen muß, daß Ihr Herr Sohn weder unser Geheimniß ahnen, 127 noch einige Hoffnung übrig behalten kann. Diesen Abend wird ihm Wilhelmine ihr Valetschreiben zufertigen, und morgen mit ihrer Mutter abreisen. Ich schließe eine Abschrift davon bei, und um Ihnen den Roman vollständig zu machen, lege ich die drei Episteln des jungen Helden hinzu, die Wilhelmine mir von freien Stücken zugestellt hat.

Sie, gnädige Frau, werden Ihrem Herrn Sohne in Ihrer Antwort das sagen, was das Mädchen, ohne Verdacht zu erwecken, nicht sagen konnte, und da das Herz des edlen Jünglings eben so rechtschaffen, als reizbar ist, so hoffe ich, diese Begebenheit werde darin einen bleibenden Eindruck zurück lassen. Wilhelminen habe ich ein Exemplar der Louise als ein Andenken zugestellt, das in seiner Art die Stelle einer Lorenzodose bei dem guten Kinde vertreten kann. Ich bin mit der reinsten Verehrung u. s. w.

L. 128

 


 


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