Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 10. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Therese.

Eine Hirtengeschichte.

In einem der grasreichen Thäler, das der junge Rhein bewässert, und ein Arm der rhätischen Alpen umschlingt, lag Florentin im Schatten eines düstern Gebüsches und heftete seinen Blick auf ein Paar Ringeltauben, die auf einer Steinesche mit traulicher Einsamkeit ihr Nest bauten. Von Zeit zu Zeit glitt eine große Thräne über seine Wange, und ein wilder Seufzer entströmte seinem beklommenen Busen. Seine Ziegen, der Wache des Hundes überlassen, irrten fröhlich auf der fetten Weide umher, indeß aus dem benachbarten Schilfe die melancholische Stimme des Rohrdommels die wortlosen Accente seines Grames begleitete.

Plötzlich ward er durch das Bellen seines Hundes aus seinem schweren Traum erweckt, und ein junger Kriegsmann stand mit Schweiße bedeckt an seiner Seite. Guten Abend, mein Freund, sagte er zum aufspringenden Hirten, der seinen Stab ergriff, und sich mit glühendem Gesichte dem Fremden entgegenstellte. Guten Abend, 75 brummte dieser halb leise, und seine Lippen bebten, und grollende Wuth blitzte aus seinen Augen.

Möchtet ihr mir nicht den Weg nach Meyenfeld weisen? Den Weg nach der Hölle, wenn ich ihn wüßte. Euer Rock sagt mir, daß ihr auch einer von denen seyd, die unsere Hütten plündern, und die Unschuld unserer Dirnen morden.

Viele meiner Kameraden mögen diesen Vorwurf verdienen; ich verdiene ihn nicht.

So seyd ihr doch ein Deutscher, oder vielleicht gar ein Schweizer, der gegen sein Vaterland streitet.

Auch das bin ich nicht. Schon mehr als hundert Jahre steht mein Geburtsland unter der Herrschaft der Franken.

Dieser Geiseln der Menschheit, die den Frieden aus unsern stillen Fluren vertrieben haben. Warum folgtet ihr ihren Blutfahnen?

Weil ich mußte; ich ward aus dem Gewölbe eines Kaufmanns fortgerissen, und aus den Armen einer Geliebten, die ich, ach! auf immer verloren habe.

Ihr habt eure Geliebte verloren? Hier meine Hand, wir sind Freunde. Ward sie euch auch geraubt? Wer raubte sie euch?

Der Tod; erst gestern erhielt ich die schreckliche Nachricht, und um ungesehen weinen und 76 ungehört seufzen zu können, schweife ich seit der Morgendämmerung in diesen Gebirgen umher.

Ich will euch zurecht weisen, allein ihr werdet müde und hungrig seyn: ruht ein wenig aus. Meyenfeld liegt kaum eine halbe Meile von hier; ihr werdet noch immer vor Nacht hinkommen.

Jetzt öffnete Florentin seine Hirtentasche und langte ein kleines Gerstenbrod und ein Stück weißen Käse heraus. Hier esset und in dieser Kürbisflasche ist frische Ziegenmilch, die wird euern Durst löschen.

Der junge Kriegsmann lagerte sich neben dem Hirten ins Gras; er war erschöpft und genoß dankbar die Gabe seines neuen Gastfreundes. Ihr müßt unglücklich seyn, sagte er zu ihm, sonst wäre der Unglückliche euch nicht so willkommen. Unglücklich? erwiederte der Hirt: dies Wort mag euch genügen, für mich sagt es zu wenig. Ich habe noch keinen Namen gefunden für das, was ich leide. Ich beneide euch, daß euer Mädchen nur todt ist: meine Therese wurde von zwey Bösewichtern weggeführt, und ich weiß nicht, aber errathen kann ichs, was aus ihr geworden ist. Ha! daß ich sie nicht erreichte, daß ich sie nicht ausspüren konnte! Ich erfuhr es zu spät. Theresens Hütte liegt dort über dem Walde; sie weidete ihre Heerde in einem buschigen Grunde; da kamen die Buben und raubten ihr zwey der 77 schönsten Schafe. Sie folgte ihnen von ferne bis nach Meyenfeld; aber sie fand kein Recht bey ihrem Hauptmann. Man rieth ihr nach Chur zum Obersten zu gehen; das unglückliche Mädchen machte sich auf den Weg; mehr konnte ich nicht erfahren, denn als ich des folgenden Morgens beym Obersten nachfragte, ward ich mit Hohngelächter von ihm abgewiesen. Heute sinds 14 Tage und noch ist Therese nicht zurück, und weder ich noch ihre trostlose Mutter wissen, wo sie hingekommen ist?

Wie bedaure ich euch, armer Jüngling! versetzte der Fremde: ach, ich weiß ja, was es heißt, eine Geliebte verlieren. Ihr waret doch ihres Herzens gewiß?

Sie wollte ja mein Weib werden: bey der letzten Kirchweihe sagte ich ihr zum erstenmal, daß ich ihr gut sey; sie ward roth, aber sie floh mich nicht. So oft ich sie zum Tanz aufforderte, nahm sie meine Hand an, und als ich sie heimführte, erlaubte sie mir, sie am folgenden Sonntage zu besuchen. Ich that es, und so wurden wir immer näher und näher bekannt, und endlich erlaubte sie mir, bey ihrer Mutter um sie zu werben. Meine Therese ist noch zu jung, sagte die Mutter, aber auf künftiges Jahr mögt ihr euch heirathen. Sie legte unsere Hände zusammen; und nun hieß Therese mich immer 78 ihren Florentin, ihren lieben Florentin. Das Körbchen, das ich ihr geflochten, kam nie von ihrem Arme, und das Eichhörnchen, das ich ihr diesen Frühling brachte, saß immer auf ihrer Schulter und aß aus ihrer Hand. Sie sang nur die Lieder, die ich sie lehrte, und oft, wenn ich meine Schallmey dazu blies, sah sie mir liebreich ins Auge und sagte: keiner in der Stadt könne besser blasen.

Wie! sie kam in die Stadt?

Nur einmal auf acht Tage; aber ich wollte, daß sie nie dort gewesen wäre. Sie hat da eine alte Base, die ihr den Kopf mit allerhand Possen anfüllte, und sie gegen das Hirtenleben einnahm. Seit dieser Zeit sprach sie unaufhörlich von der Stadt; sie wollte eine Näherinn, und ich sollte ein Spielmann werden, und so, sagte sie, würden wir dort ein reichliches Brod finden. Die Base hatte ihr einige Bänder geschenkt, womit sie ihren Sonntagshut auszierte, und wenn sie ihn aufhatte, so überraschte ich sie oft, wie sie sich im Teiche besah, an dessen Ufer ihre Hütte liegt. Dieses that sie zuvor nie, und als ich mit ihr darüber scherzte, ward sie böse und schmollte mit mir.

Ist das Mädchen schön?

Ja wohl, die schönste Blume des Thales, blühend wie eine Rose und schlank wie eine Gemse. 79 Ihre Haare wallten in dicken braunen Locken um ihren Nacken; seitdem sie in der Stadt war, strich sie die vordersten über die Stirne und dann blitzten ihre schwarzen Augen so feurig unter dem dunkeln Walde hervor, daß es mir nicht mehr so wohl that, sie anzusehen; auch das sagte ich ihr einmal, sie lachte und antwortete: man sieht wohl, daß du nicht weißt, was schön ist: geh einmal in die Stadt, so wirst du sehen, daß alle Mädchen sich so tragen.

Ist sie groß?

Sehr groß für ihr Alter: sie ist erst sechszehn Jahre. Die andern Mädchen fanden nichts an ihr zu tadeln, als daß sie zu groß sey. Was fehlt euch? Ihr schaudert.

Ha! möge meine Muthmaßung trügen!

Wie so? O redet, habt ihr sie gesehen?

Gesehen, oder doch ein Bild, das eurer Schilderung ähnlich ist.

Wo das, wo? ich will sie aufsuchen, ich will sie erlösen.

Armer Jüngling! wenn die, so ich sah, deine Therese war, so suche sie nicht auf, sie ist deiner nicht mehr werth.

Heilige Mutter! Hört, Freund, glaubt ihr noch an Gott?

Welche Frage! ja, ich glaube an Gott.

80 Nun so bitte ich euch um Gottes Willen, sagt mir, was ihr von ihr wisset.

Als ich vor einigen Tagen von meinem Hauptmanne an den Obersten abgeschickt ward, und, während man mich anmeldete, vor seinem Quartier auf und abging, sah ich ein schönes, großes, braunlockiges Mädchen, kurz das Ebenbild eurer Therese, neben ihm im Fenster liegen. Er hatte seine Arme um ihren Nacken geschlungen, und sie lächelte ihm freundlich ins Gesicht. Sie mußte ihm auf französisch die Worte ich liebe dich nachsprechen; dann redete er deutsch mit ihr, so gut ers kann, und das Mädchen redete die Sprache des Landes.

Florentin sprang auf, alle Muskeln seines Gesichtes zuckten: Sie ists, o sie ists, rief er im Tone der Verzweiflung, morgen gehe ich in die Stadt; ich will sie sehen, ich will wissen, ob ich sie blos verachten oder rächen muß; doch ihr sagtet ja, sie habe ihn angelächelt, sie habe ihm gesagt, daß sie ihn liebe. O Therese! Therese! du hast deinen Florentin vergessen; du hast dein Herz, das nicht mehr dein war, an einen Fremden verkauft, und ihm dein Heiligstes in den Kauf gegeben.

Was ihr mir von der Eitelkeit des Mädchens sagtet, erwiederte der junge Krieger, macht mir eure Vermuthung nur allzu wahrscheinlich. Schon 81 oft war die Eitelkeit die Zerstörerinn der Unschuld; dennoch können wir uns beyde irren. Ich billige daher euer Vorhaben; seyd aber wohl auf eurer Hut; der Oberste ist ein heftiger Mann, der leicht beleidigt wird und keine Beleidigung verzeiht.

O ich fürchte ihn nicht, bey Gott! ich fürchte ihn nicht; ich habe ja nichts mehr zu verlieren als mein Leben.

Und dies wollet ihr einer Treulosen aufopfern? Wenn das Mädchen sich ihm freywillig ergeben hat, so . . . . . .

So ist sie . . . . . . o ich mag das Wort nicht aussprechen: doch ich muß mit meinen eigenen Augen sehen, was sie ist. Der Oberste wohnt doch noch immer auf dem Markte, der Kirche gegenüber?

Ja, in einem grauen Hause, gleich auf dem ersten Boden. Doch es ist Zeit, daß ich gehe; wollt ihr mir den Weg nach Meyenfeld weisen, mein Freund?

Florentin führte den Soldaten auf einen Hügel, von dem er den Flecken erblickte. Unterweges sprach er nichts; nur begleitete zuweilen der Name Therese seine tiefen Seufzer. Nun erkenne ich mich, sagte der Fremde, als sie den Hügel erstiegen hatten, und bedarf keines 82 Führers mehr. Lebe wohl, guter, biederer Jüngling; Gott tröste uns alle beyde.

Florentin drückte schweigend seine Hand, beyder Augen füllten sich mit Thränen; endlich sagte der Hirt mit dumpfer Stimme: Lebe wohl, wir werden uns nie wieder sehen. Aber nie vergessen, rief der Fremdling dem Hirten nach, der, wie von einem Raubthiere verfolgt, durch das Gebüsch davon schlüpfte.

Er eilte zu Theresens Mutter; beim Eintritt in die Hütte fand er sie und ihre Tochter Mariane in Thränen. Er war außer Athem. Bringst du uns Nachricht von Theresen? riefen beyde ihm entgegen. Heiliger Gott, wie siehst du aus. Florentin faßte sich. Nein, aber morgen hoffe ich etwas von ihr zu erfahren. Ich gehe in die Stadt und wollte dich, liebe Mariane, bitten, mir bis gegen Abend meine Ziegen zu hüten; die Mutter wird es wohl erlauben; ich werde zeitig zurückkommen. Warum nicht, antwortete Sabine: ich will indessen auf unsere Herde Acht haben: du unternimmst ja für uns diese Reise. Nun that sie mancherley Fragen an den Hirten; er wich ihnen aus und verbarg ihr sorgfältig seine traurige Entdeckung. Er ersann einen Vorwand, um seinen Besuch abzukürzen, und Mariane begleitete ihn unter die Pappeln, die den Teich umkränzten. Weißt du wirklich 83 nichts von ihr? sagte sie zu ihm, ein trauriges Geheimniß scheint auf deiner Stirne zu ruhen, du Guter! blässer kann keine Leiche seyn als du, da du in unsere Hütte tratst. Frage mich nichts, liebe Mariane, antwortete er, aber morgen, wenn ich aus der Stadt komme, will ich dir sagen, was ich erfahren werde. Mariane sah ihm forschend ins Gesicht. Florentin wandte es ab, um seine Thränen zu verbergen. Die Mutter möchte etwas Schlimmes ahnen, kehre zu ihr zurück, bestes Mädchen; also sprach er und eilte davon. Bestes Mädchen, seufzte Mariane, indem sie ihm nachsah: nun ja, du darfst wohl wissen, daß Therese nur schöner, aber nicht besser war, als ich. Doch daß ich mehr, als Therese, dich liebte, das sollst du nie erfahren.

Mariane war ein angenehmes Geschöpf; zwey Jahre älter als Therese, aber neben ihr hörte sie auf, schön zu seyn. Sie hatte weder die hohe Nymphengestalt, noch das blitzende Auge der Schwester. Die Blicke des ihrigen waren sanft und schmachtend; sie verriethen die tiefen Gefühle einer weichen Seele. Schon lange liebte sie den Hirten; als sie aber sah, daß sein Herz sich zu ihrer Schwester neigte, bekämpfte sie ihre Liebe, und wenn es ihr nicht gelang, sie zu besiegen, so fand sie doch in sich Stärke genug, sie zu verbergen. Sie fühlte die ganze Größe ihres Opfers, 84 aber sie fühlte nicht ihre eigene Größe, die dieses Opfer vollführte.

Florentin erreichte bey einbrechender Nacht seine Hütte. Ganz mit dem Plane seiner Reise beschäftigt, las er drey seiner schönsten Ziegenkäse aus, die er in die Stadt zu Markte tragen wollte. Gewöhnlich ersparten die Aufkäufer ihm die Mühe; nun aber sollte diese Waare ihm den Weg in die Wohnung des Obersten öffnen. Er warf sich auf sein Lager; allein das Bild Theresens, das ihm immer vorschwebte, hinderte sein Auge, sich zu schließen, und seine Thränen befeuchteten den Pfühl, auf dem er sein Haupt unruhig umherwarf.

Als das Morgenroth anbrach, machte er sich auf, hing seine Hirtentasche um, und trieb seine Herde nach der Gegend, wo Mariane herkommen sollte. Er sah sie bald mit leichtem Schritte dem Fichtenwald entschweben. Ein höheres Karmin färbte ihre bräunliche Wange, als Florentin ihr die Hand reichte, und eine aufsteigende Thräne hell wie die Thautropfen, die an der Wachholderstaude flimmerten, erhöhte den matten Glanz ihres Auges. Der Hirt blickte in diesen reinen Spiegel ihrer Seele; sie ließ ihn aber nichts als Mitleid und holdes Wohlwollen darin lesen. Theresens Schwester war auch ihm Schwester; ihre Freundschaft war ihm heilig, aber heut 85 entstieg ihn zum ersten Male der Wunsch: o daß Therese dieses Etwas, das ich nicht zu nennen weiß, besessen hätte! Dieses Etwas war jene sanfte Taubeneinfalt, welche die unverdorbenen Kinder der Natur schmücket, deren Namen aber nur dem gebildeten Städter bekannt ist.

Florentins Herz war zu voll, als daß er hätte sprechen können. Noch immer hielt er schweigend die Hand des Mädchens in der seinigen; er drückte sie immer fester und fester; nicht nur die Liebe, sondern auch der Schmerz bedient sich dieser Sprache, um das auszudrücken, was Worte nicht sagen können. Jetzt ließ er ihre Hand sinken und stürzte sich in das Dickicht.

Eine abwechselnde Strecke von Hügeln und Thälern trennte ihn von der Stadt; um sie zu erreichen, hätte ein fremder Reisender drey Meilen gezählt; Florentin legte den Weg auf unbetretenen Pfaden in drey Stunden zurück. Sein Herz klopfte laut, und sein Stab zitterte in seiner Hand, als er zum Thore hereintrat. Er ging gerade auf die Wohnung des Obersten zu. Da er seine Waare der Schildwache vorwies, so ließ sie ihn ungehindert ins Haus. Er sammelte sich einen Augenblick, und als ihm eine halb offene Thür ins Auge fiel, faßte er Muth und schlich sich sachte hinein.

Stumm und starr, als ob sich plötzlich ein 86 Abgrund zu seinen Füßen öffnete, blieb er stehen, als er Theresen, wie eine Städterin geputzt, auf dem Schoße des Obersten erblickte, der ihr eine Schaale Schokolate reichte. Sie schmiegte ihr Gesicht an das seinige, und war eben im Begriffe, ihm die Schaale abzunehmen, als sie den todtblassen Florentin gewahr wurde. Sie stieß einen gellenden Schrey aus, fuhr auf und stürzte sich in das Nebenzimmer; der Oberste sah sich um und rannte mit einem fürchterlichen Fluche auf den Hirten zu, der vor Schrecken seine Käse fallen ließ, und mit der Schnelligkeit des Blitzes davon eilte. Umsonst versuchte es die Schildwache ihn aufzuhalten; er entrann durch einen benachbarten Thorweg in ein Gäßchen, durch welches er unbemerkt das entgegengesetzte Stadtthor erreichte. Wie von einem Gespenste verfolgt, entfloh er durch die Weinberge und Baumgärten in ein kleines Gehölz, das auf den Fußpfad stieß, der ihn dem Schauplatze seiner Schande zugeführt hatte.

Seine Flucht ersparte dem Obersten ein neues Verbrechen; er war Theresen in das Nebenzimmer nachgerannt; sie lag ohnmächtig auf der Erde. Lange versuchte ers umsonst, sie zu sich zu bringen; endlich öffnete sie die Augen, sie warf einen starren schüchternen Blick um sich her. Wo ist er, stammelte sie; ist er fort? Wer war der Lümmel? 87 sagte der Oberste. Ach, erwiederte sie, ein Hirt von unserer Flur; der wird meinen Aufenthalt verrathen. Das wird er wohl bleiben lassen, antwortete der Tyrann, lief hinaus und befahl seinen Bedienten, dem Flüchtling nachzusetzen. Hätten sie ihn gefunden, so wäre er im ersten Augenblick ein Opfer seiner Wuth geworden. Bey kälterer Ueberlegung schien es ihm rathsamer, alles Aufsehen zu vermeiden, sonst würde seine Rache den Unglücklichen bis in seine Hütte verfolgt haben.

Von Kummer und Müdigkeit erschöpft, langte Florentin, noch ehe die Sonne sich hinter den Felsenspitzen verbarg, in dem schattigen Gebüsch an, wo Mariane seine Ziegen weidete. Sie lief ihm mit ungeduldiger Neugier entgegen; als sie ihm näher kam, blieb sie plötzlich stehen: dein Anblick sagt mir Alles, rief sie mit aufgehobenen Händen, sie ist verloren. Ja wohl verloren, antwortete Florentin schluchzend, an Leib und Seele verloren; ich fand das verirrte Täubchen in den Klauen eines Geyers. Mariane sank in die Arme des Hirten; ihre Thränen rieselten auf ihren ängstlich klopfenden Busen.

Lange fehlte es dem armen Jüngling an Kraft, was er gesehen hatte, zu erzählen, und als ers versuchte, unterbrachen ihn die Seufzer und Klagen der trostlosen Schwester bey jedem Worte. 88 Sie saßen beysammen im Grase: Marianens Hand lag in seiner Hand. Ihre Gefühle waren nicht ganz dieselben: dennoch beantwortete die Hand des andern jeden Druck, den sie empfing, und wenn Florentin um seine Geliebte klagte, flossen Marianens Thränen für beyde. Florentins Herz war zu gut, um nicht diese treue Theilnahme an seinem Kummer zu bemerken. Dieses hättest du mir nicht gethan, liebe Mariane, sprach er zu ihr, als sie ihm mitleidig ins Auge sah; sie senkte ihren Blick und erröthete. Mein Herz sagt nein, antwortete sie leise, warum sollte nicht auch mein Mund nein sagen? Nun so laß mich dies Herz an das meinige drücken und einen ewigen Bund der Freundschaft schließen. Mariane zitterte, als der Hirt sie in seine Arme schloß; sie fing an sich vor ihr selbst zu fürchten; sie erinnerte sich, was ihr Sieg sie gekostet hatte. Du weißt ja, erwiederte sie, daß ich schon lange deine Freundinn bin. Doch es ist Zeit, daß ich zu meiner armen Mutter zurückkehre; wie lang wird ihr dieser Tag geworden seyn! Ach, was werde ich ihr sagen! Ich gehe mit dir, versetzte der Hirt, aber ich glaube, es wäre Sünde, ihr die Wahrheit zu entdecken; ich will ihr blos sagen, daß ich unsere Therese nicht gefunden habe; ach, ich werde sie ja durch diesen Bericht nicht belügen.

Auf dem Wege sprachen beyde wenig; jedes 89 glaubte mit seinem Herzen allein zu seyn. Nur von Zeit zu Zeit wurden sie einander sichtbar und knüpften ein Gespräch an, das sie bald wieder in sich selbst zurückführte. Sabine erwartete sie auf der Bank vor ihrer Hütte, die ein Kirschbaum beschattete: du kömmst allein? rief sie dem Hirten zu, ach, du hast sie also nicht gefunden! Nein, antwortete Florentin, mein Gang war vergebens. Sabine weinte, und ihre Zähren flossen noch, als Florentin, vom blassen Lichte des Mondes geleitet, nach seiner Hütte zurückkehrte.

Theresens Bild schwebte ihm stets zur Seite, und es verließ ihn nicht auf seinem einsamen Lager. Immer sah er sie am Busen ihres Verführers liegen, und noch im Prunke des Lasters schien sie ihm das schönste aller menschlichen Geschöpfe. Aber er beklagte den Verlust ihrer Unschuld noch mehr, als den Verlust ihrer Liebe, und wenn er in den folgenden Tagen sich mit Marianen unterhielt, sagte er oft: Ach! wäre sie nur nicht gefallen, so könnte ichs verschmerzen, daß sie mein Herz wegwarf; ich allein wäre dann unglücklich gewesen, aber nun ist sie unglücklicher, weit unglücklicher als ich. Wenn er so redete, sah Mariane ihn wehmüthig an: ihre Seufzer antworteten seinen Seufzern, oder sie drückte die Hand des Jünglings, wenn er ihr 90 die stillen Thränen abtrocknete. Bisweilen lehnte sie sich weg von ihm, wenn sie fühlte, daß ihr Herz dem Herzen zu nahe kam, das so ganz allein für ihre Schwester schlug.

In einer schwülen Nacht lag Florentin unentkleidet auf seinem Bette: er hatte seine Ziegen in den Stall getrieben, um sie vor dem drohenden Gewitter zu schützen. Seine beklommene Brust athmete das erquickende Lüftchen, das zu seinem offenen Fenster hereinströmte. Plötzlich erblickte er bey dem Schimmer eines Blitzes eine weiße Gestalt vor der Oeffnung; sie glich Theresen, wie er sie auf dem Schoße ihres Verderbers sah: aber ihr Antlitz war blaß, wie das Antlitz einer Abgeschiedenen. Ein Schauer überlief ihn; doch er faßte sich und erhob sein Haupt, um sich zu versichern, ob er recht gesehen habe. Allein die Gestalt war verschwunden. Ein zweiter Blitz machte sie ihm zum andern Male sichtbar, und jetzt glaubte er sie ächzen zu hören. Ach Therese! meine Therese! seufzte er leise und setzte sich aufrecht, und sah nichts mehr; aber es war ihm, als hörte er eine dumpfe Stimme seinen Namen aussprechen. Nun sprang er von seinem Bette, und taumelte zur Hütte heraus, eben da ein zückender Strahl die schwarzen Schatten von neuem zertheilte. Sein schwefelblaues Licht zeigte ihm deutlich die weiße Gestalt, die mit der 91 Schnelligkeit eines Irrwisches durch das Gebüsch entschlüpfte. Therese! ach Therese! bist du es, rief Florentin, indem er ihr nachrannte. Noch hatte er sie nicht erreicht, als ein fürchterlicher Donnerschlag die Luft und die Erde erschütterte, und das Phantom niederzuschmettern schien, es war Therese, die zwey Schritte von ihm ohnmächtig zu Boden stürzte. Florentin zweifelte nicht mehr; er warf sich neben ihr hin und faßte sie beim Arme; ha, rief er, es ist nicht dein Geist, du selbst bist es; er berührte ihr Gesicht; der kalte Schweiß des Todes, der ihrer Stirn entquoll, benetzte seine Hand: er rüttelte sie: er schrie ihr in die Ohren; sie erwachte. Wer ruft mich? sagte sie mit wilder Stimme, ha! bist du es, Satan! was willst du? du hast mich ja verlassen. Ich bins; Florentin ist es; kennst du seine Stimme nicht mehr? Florentin, wiederholte sie leise, und schien in ihre Ohnmacht zurückzusinken. Florentin ergriff ihre zitternde Hand; sie zog sie hastig zurück. Rühre mich nicht an; ich bin vergiftet. Bei diesen Worten raffte sie sich auf und wollte entwischen; Florentin umschlang sie mit beiden Armen und zog sie mit sich fort; ich lasse dich nicht, armes Mädchen, komm, folge mir in meine Hütte, bis es Tag wird. Sie ließ sich fortführen: aber sie antwortete ihm auf keine seiner Fragen. Nur entschwebten die Worte, armes Mädchen! mehrmals, kaum hörbar, ihren Lippen.

92 Florentin brachte sie in seine Hütte. Beim Eintritt verschloß er unbemerkt die Thür; dann schlug er Licht und steckte seine Lampe an. Therese stand unbeweglich wie ein Marmorbild vor ihm; ihr Blick war starr und verstört, aber sie schien ihn nicht zu sehen. Florentin faßte sie sanft am Arme und machte sie neben sich auf sein Bett sitzen. Sie schwieg noch immer; und er schwieg auch; nur warf er zuweilen einen traurigen Blick auf die Unglückliche, die, wie eine welkende Lilie, ihr Haupt auf ihren Busen senkte, der convulsivisch auf und nieder wogte. Endlich stürzte ein Strom von Thränen über ihre bleichen Wangen; sie öffnete die halbgeschlossenen Augen, und sah in dem Stübchen umher: Ja, ja, hier wohnt er; auch ich sollte hier wohnen; hier hätte ich glücklich seyn können an seiner Seite, aber das wollte ich nicht; ich wollte verderben an der Seite eines Bösewichts. Hier ergriff sie ein fürchterlicher Schauer, ihre Thränen stockten, sie rang die Arme, sie fuhr mit beiden Händen in ihre Locken, und Florentin mußte alle Gewalt anwenden, um sie zu hindern, sie auszureißen. Nun bekamen ihre Augen ihr vormaliges Feuer wieder: aber es war die Verzweiflung, die aus ihnen blitzte. Wer bist du, Mensch, daß du mich hinderst, meine Locken auszureißen? ich will sie dem armen Florentin schicken, daß er ein Andenken von mir habe. Zwar sollte er sie mit 93 Füßen treten, wie ich sein Herz mit Füßen trat; allein das wird er nicht thun. Ich weiß, er wird die Locken aufbewahren; vielleicht läßt er eine Thräne darauf fallen: o sie verdienen es wohl! es sind Reliquien einer gemarterten Büßerinn.

Kennst du ihn denn nicht, den armen Florentin? siehst du ihn denn nicht weinen? unterbrach sie der Hirt mit brechender Stimme. Sie sah ihn lange steif an; endlich sagte sie mit einem tiefen Seufzer und rückte von ihm weg: Ja, du bist es, nun erkenne ich dich; o vergieb mir, daß ich so dichte neben dir saß!

Florentin fragte sie, ob sie nicht einige Stunden ruhen möchte? Sie schüttelte den Kopf, und sagte mit einem bittern Lächeln: Ruhen? über der Erde? ach, wer weiß, ob ich selbst unter der Erde ruhen werde? Florentin wischte sich die Augen: O weine nicht! rief sie, deine Thränen brennen mich hier; sie legte die Hand auf ihr Herz. Er reichte ihr einen Becher mit Milch; nur mit Mühe konnte er sie bereden, ihn anzunehmen. Als sie getrunken hatte, sagte sie: Schon vier Wochen habe ich nicht mehr von der Milch deiner Herde getrunken; hätten meine Lippen nie einen andern Trunk berührt! ha! der Unmensch gab mir Wein; er schmeckte süß wie Honig, aber in meinen Adern ward er zu Feuer. Er sagte mir, daß er mich liebe, daß er mich heirathen, daß er mich zu einem reichen vornehmen 94 Weibe machen wolle: und ich, ich glaubte ihm, und vergaß dich und meine Mutter und mich selbst. Ha! fluche mir nicht, guter Florentin, daß ich dich vergaß. Hast du mir nicht geflucht, als du mich auf dem Schoße des Bösewichts überraschtest? Dein Anblick weckte mich aus meinem Rausche. Du warst mir ein Bote Gottes, der mich vor sein Gericht lud.

Seit jener schrecklichen Stunde that ich nichts, als weinen und ächzen. Ich entriß mich den Armen des Elenden, der meiner kindischen Aengstlichkeit spottete. Bisweilen gelang es ihm, mich auf einige Augenblicke durch seine Schwüre und durch seine Verheißungen einzuschläfern; denn ich liebte ihn; du wirst mich verachten, Florentin; aber ich muß dir bekennen, daß ich ihn liebte. Sobald ich wieder zu mir selbst kam, wachte die Angst wieder auf in meinem Herzen. Ich fiel in eine tiefe Schwermuth: ich warf mich vor ihm auf die Kniee; ich beschwor ihn bey Gott und der heiligen Jungfrau, unsere Ehe, denn er hieß mich immer seine Braut, durch die Hand eines Priesters einsegnen zu lassen. Er versprach es, und gestern, als er Befehl erhielt, mit seinen Leuten aufzubrechen, sagte er zu mir: Komm, Therese, wir wollen deine Mutter zu unserer Hochzeit einladen. Mit Freudenthränen fiel ich ihm um den Hals, und hüpfte wie ein Vogel zu ihm in den Wagen. So 95 froh, so stolz war ich in meinem Leben nie gewesen. Er selbst leitete die Pferde; unterweges legte er mir seine Börse in den Schoß: Gieb dieses Gold deiner Mutter, sagte er, damit sie Theil nehme an deinem Glücke. Ich küßte die Hand des Verräthers; gerechter Gott! warum verdorrte sie nicht unter meinem Kusse?

Als wir den Wald am Eingang unseres Thales erreichten, sagte er: laß uns ein wenig aussteige; der Weg ist hier so steinicht. Er sprang aus dem Wagen, und ich warf mich in seine Arme; aber kaum hatte ich die Erde berührt, so schwang er sich wieder hinein und jagte wie ein Sturmwind davon. Ich versuchte es ihm nachzurufen, aber ich konnte nicht; es ward mir schwarz vor den Augen, meine Knie brachen unter mir; ich glaubte ins Grab zu sinken, aber das Grab begehrte meiner nicht; es warf mich wieder aus auf die Erde. Ich sollte zuerst dich versöhnen und meine Mutter; ach meine Mutter, meine arme Mutter!

Hier sprang sie auf, faltete die Hände, schlug sich Stirn und Brust, und taumelte sinnlos im Stübchen umher. Schrecklichere und wehmüthigere Accente des Jammers hat die menschliche Stimme nicht. Mit zitterndem Arme faßte Florentin sie an, und brachte sie zurück auf das Bette; ihre Kräfte waren erschöpft; sie sank in einen 96 ohnmächtigen Schlummer, ein wohlthätiger Mittelzustand zwischen Tod und Leben, der sie eine Stunde lang vor sich selbst verbarg.

Schon wieder erwacht, sagte sie, als sie die Augen aufschlug, und den kommenden Tag erblickte: das Gewitter hat sich verzogen, es ist ein schöner frischer Morgen, sagte Florentin, wollen wir ein wenig hinausgehen ins Freye? Sie antwortete ihm nicht, und schien in tiefe Gedanken verloren. Nach einer Weile wiederholte Florentin seine Frage: Ja, ja, ins Freye, antwortete sie lächelnd, du hast Recht, Florentin, komm, wir wollen ins Freye. Sie lief rasch zur Hütte hinaus, blieb auf einem blumigen Rasenplatze stehen, und sah sich nach allen Seiten um: Schön, sagtest du, sey der Morgen? du hast Unrecht: siehst du denn nicht, wie alles so dunkel, so traurig aussieht, und dort jene todten Blumen? Es waren einige Waldrosen, die welk und halb entblättert an einem Busche hingen. Sie ging hinzu, brach sie ab, und band sie mit einem Grashalm in einen Straus, den sie an ihre Brust steckte; sieh da, Florentin, meinen Brautschmuck.

Sie nahm freiwillig den Weg nach der mütterlichen Hütte. Die aufgehende Sonne bestrahlte die Bäume und Gesträuche, von denen noch hin und wieder ein blitzender Regentropfen herabfiel.

97 Alles, alles ist hier voller Thränen, rief sie mit einem tiefen Seufzer, die Engel haben sie vom Himmel herabgeweint über mich. Plötzlich schien sie sich an etwas zu erinnern; sie fuhr in ihre Tasche, und zog ihren Rosenkranz heraus. Sieh, Florentin, ich habe ihn noch; er wollte mir ihn wegnehmen, allein ich litt es nicht. Nun fing sie an zu beten, aber so leise, daß sie kaum ihre Lippen bewegte. Florentin ging schweigend neben ihr her und überlegte, wie er es anfangen sollte, um den Eindruck des ersten Empfanges bey der Mutter und der Tochter so viel möglich zu schwächen.

Schon erblickte er die mütterliche Hütte, und Therese betete noch immer fort; als sie aber am Teiche vorbeykam, schoß sie wie ein Pfeil darauf los, und stürzte sich hinein. Ach Gott! Therese! schrie Florentin, indem er ihr nachstürzte. Er hatte um so weniger Mühe, sie zu retten, da die Halbtodte sich ihm nicht widersetzte.

Eben brachte er seine schöne Beute ans Land, als Sabine und Mariane, durch den Namen Therese aufgeschreckt, zur Hütte herausstürmten. Der schaudervolle Anblick unterrichtete sie nur zu wohl von dem, was geschehen war. Heiliger Gott, riefen beide zugleich, indem sie, vom Schrecken beflügelt, der scheinbaren von Wasser triefenden Leiche 98 entgegen zitterten. Sie ist nicht todt, Mutter, rief Florentin, sie kann nicht todt seyn. Komm, hilf mir, liebe Mariane, sie in die Hütte tragen. In Thränen zerfließend, wankte die trostlose Mutter voran; Therese ward, alles Gefühls beraubt, unter das mütterliche Dach gebracht, und, von ihren Kleidern entledigt, in ein Bett gelegt. Florentin, der ihnen dieses Geschäft überlassen hatte, trat nun hinzu, und erzählte ihnen das traurige Schicksal der Unglücklichen.

Noch immer lag sie bleich und starr in den Armen des Todes, der ungern seinen Raub zurückzugeben schien. Erst nach einer halben Stunde, nachdem man sie unaufhörlich mit warmen Tüchern gerieben hatte, stieß sie einen tiefen Seufzer aus, und öffnete die Augen. Ihr auch hier, sagte sie mit süßer erloschener Stimme, als sie ihre Mutter und Schwester erblickte; gewiß, o gewiß habt ihr euch um mich zu Tode gegrämt, ach, helft mir zu den Füßen der heiligen Mutter um Gnade flehen. Mariane warf sich über sie hin, und schloß ihr den Mund mit ihren Küssen. Wir leben, und du lebest auch, arme, liebe Schwester, sieh dich um, du bist in unserer Hütte; hier der gute Florentin hat dich uns erhalten. Therese blickte um sich her; ihre Augen füllten sich mit 99 Thränen: ach, sagte sie, in einem herzzerreißenden Tone, ich kann also nicht sterben.

Florentin, der unten am Bette stand, trat nun zu ihr und ergriff ihre Hand; sie ließ es geschehen, und sah ihn schweigend an. Der Schimmer ihrer zurückkehrenden Vernunft mahlte sich auf ihrer Stirne und in ihren Blicken; sie drückte die Hand des Hirten: nicht wahr, ich habe mich ersäufen wollen, und du hast mein Leben gerettet? Alle weinten und schwiegen; o warum, so fuhr sie fort, warum konntest du nicht auch meine Unschuld retten? Ich konnte es, ich, ach! und ich that es nicht, und habe schrecklich, o schrecklich dafür gebüßet. Vergieb mir, guter Florentin, Mutter, Schwester, vergebt mir, ach vergebt mir euren Kummer! Sie reichte ihnen die Hand, die sie mit Thränen überschwemmten. Ich sehe es, ihr habt mir vergeben, auch Gott wird mir vergeben; ich fühle es, der Fels, der auf meinem Herzen lag, ist abgewälzt. Mir ist nun wohl und dir, Florentin, danke ichs, daß meine Seele nicht verloren ging; dafür wird Gott dich belohnen; ich auch, du Guter, möchte dich belohnen; aber ich kann es nicht; Mariane kann es, sie war immer besser, als ich; ihr hättest du dein Herz schenken sollen. Thu' es, lieber Florentin, und hilf ihr meine Mutter trösten, und für die Ruhe meiner Seele beten. Hier erlosch ihre Stimme, der letzte Funke ihres Lebens verglimmte, 100 und sie hauchte mit einem leisen Seufzer ihren Geist aus.

Alle Hirten und Hirtinnen des Thales weinten in die Thränen der Traurenden, und begleiteten die Asche des schönen Schlachtopfers zu Grabe. Florentin pflanzte eine Thränenweide auf den Hügel, und nach sechs Monden erfüllte er den letzten Wunsch des gefallenen Engels. 101

 


 


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