Gottlieb Conrad Pfeffel
Prosaische Versuche / 5. Theil
Gottlieb Conrad Pfeffel

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Walther von Geroldsek.

Eine Anekdote aus der Vorzeit.Man sehe Bernhard Herzogs Elsäßer-Chronick. Strasburg. 1592, 5tes Buch S. 120. u. f.

Ritter Diebolt, genannt Geroldsek, weil er das Schloß dieses Namens bewohnte, stammte aus einer Nebenlinie des Geroldsekischen Hauses ab. Er war ein böser, neidischer und rachgieriger Mann, der aber seine Tücke gar meisterlich zu verbergen wußte. Drey Jahre lang trug er einen heimlichen Groll gegen Ritter Walthern, den Burgherrn zu Hohengeroldsek, im Herzen, weil dieser ihn bei einem Schimpfspiel vom Rosse geworfen, und bald darnach als Schiedsmann seines Widerparts, in einer ungerechten Sache gegen ihn gesprochen hatte.

Eines Tages gieng Herr Walther ganz allein, blos von einem Hunde begleitet, auf die Jagd. Er durchstrich die Waldungen, die sich, von dem Fuße seiner Burg an, Meilen weit durch das Thal erstreckten, und da er kurz zuvor das Lager einer trächtigen Hindinn ausgespührt hatte, so wollte er nun nachsehen, ob sie geworfen hätte, um seinen Junkern mit einem kleinen Reh eine Kurzweil zu machen. Diebold hatte einen Buben, der ein gar schlauer Wicht war, und viele Tage lang, als ein 159 Betteljunge verkleidet, um das Schloß Geroldsek herstrich, damit er den Augenblick, da Walther allein ausgehen oder ausreuten würde, ablauschen und seinen Herrn davon benachrichtigen möchte. Dieses war in langer Zeit nicht geschehen, und als ihm der Bub die Bottschaft brachte, freuete er sich so sehr darüber, daß er ihm einen Goldgulden schenkte. Hierauf nahm er vier handfeste Männer von seinen Leuten zu sich, mit denen er in den Forst eilte, wo er Walthern zu finden hoffte. Er und seine Gefährten waren vermummt, und er hatte ihnen den strengsten Befehl gegeben, kein Wort zu sprechen. Mehr als eine Stunde lang durchstreiften sie das Dikkicht, ohne den Ritter anzutreffen; endlich fanden sie ihn am Fusse einer Eiche sitzend, wo er einen Kuchen verzehrte, den seine Gemahlin, Frau Hedwig, des Abends zuvor gebacken und ihm in seine Jagdtasche gesteckt hatte. Als der Hund im dem Gebüsch ein Geräusch vernahm, sprang er auf und fieng an zu bellen; einer von den Knechten aber schoß ihm einen Bolzen ins Herz, daß er todt zu Boden stürzte. Alsdann fielen sie alle über Walthern her, warfen ihn nieder, ehe er sein Waidmesser ziehen konnte, und banden ihm die Hände auf den Rücken, nachdem sie ihm das Wamms vom Leibe gerissen hatten. Hierauf steckten sie ihm einen Knebel in den Mund, verbanden ihm die Augen, 160 und führten ihn mit sich fort. Einer von den Knechten besudelte das Wamms mit dem Blute des Hundes, und ließ es am Fuße des Baumes liegen. In diesem Zustande schleppten die Räuber ihren Gefangenen etliche Tage lang in den waldigten Gebürgen und Thälern umher; des Nachts versteckten sie ihn in verborgene Hecken und Felsen, wo sie ihme Speise und Trank reichten, und sodann wieder mit ihm fortzogen; so daß der Ritter wähnte, daß er in ein fremdes Land hinweggeführt würde. In der vierten Nacht brachten sie ihn auf das Schloß Lüzelhardt, wo sie ihm einen schmutzigen Kittel umwarfen, und ihn, mit Ketten beschwert, in einen finstern Thurm legten. Frau Hedwig erwartete ihren Herrn vergebens mit dem Mittagsmahle, und als er auch die Nacht über weg blieb, sandte sie des folgenden Morgens alle ihre Knechte aus, um ihn zu suchen. Diese fanden seinen Hund und das blutige Wamms nebst dem Waidmesser unter der Eiche, und dachten nicht anders, als ihr Herr sey von den Mördern erschlagen und irgendwo eingescharrt worden. Vergebens suchten sie sein Grab oder seinen Leichnam, und kamen des Abends mit dem Gewehr und dem Kleide traurig nach Hohengeroldsek zurük. Als Frau Hedwig die grausame Nachricht vernahm, und das blutige Wamms erblickte, das einer von den Knechten unter seinem Kittel hervorzog, 161 sank sie in eine Ohnmacht, und wurde zu Bette getragen. Drey Wochen konnte sie ihr Lager nicht verlassen, und jedem, der ihren Jammer mit ansah, brach das Herz. Ritter Walther war ein eben so guter Herr, als er ein guter Gemahl und Vater war; er wurde von Alten und Jungen beweint, und mehrere von seinen Bauren machten sich freiwillig auf, um Kundschaft von ihm einzuziehen; sie kamen aber alle unverrichteter Sache zurück, und niemand zweifelte mehr an seinem Tode.

Unterdessen lag Herr Walther immer in seinem Gefängnisse auf der Burg Lüzelhart, ohne daß er wußte, wo er war. Der Thurmwart brachte ihm täglich zu essen und einen Krug Wasser; wenn er von ihm aber angeredet wurde, so gab er dem Gefangenen keine Antwort. Wißt Ihr, wen Ihr so grausam behandelt? sagte einst Walther voll Verzweiflung. Ich will es nicht wissen, erwiederte dieser, und habe Befehl Euch zu tödten, sobald Ihr Euren Namen aussprechet. Der Ritter glaubte nicht anders, als daß er von fremden Räubern, die ein schweres Lösegeld für ihn verlangten, in ein fremdes Land geführt worden, und wunderte sich oft, wie seine gute Gemahlin und seine Freunde ihn so gar verlassen konnten. Zwey Jahre schmachtete er in diesem Kerker, ohne ein einzigesmal die Sonne zu sehen, oder die freie Luft zu athmen. Nur wurde 162 bisweilen in der Höhe ein Loch geöffnet, um den faulen Dünsten einen Ausgang zu verschaffen, da dann einige Lichtstrahlen in diese Wohnung des Grauens herabglitten. Bei dieser Gelegenheit vernahm einst der Gefangene den lauten Schall eines Hornes, der ihn aufmerksam machte. Es dünkte ihn, diese Musik schon irgendwo gehört zu haben; er wußte sich aber des Ortes nicht zu erinnern. Einige Zeit hernach, als es wieder und zwar in dem Augenblick erscholl, da ein anderer Wächter, der ihn erst seit drey Monden bediente, ihm zu essen brachte, wagte es Walther, ihn zu fragen, wo doch dieses grosse Horn geblasen würde? Der Knecht gab ihm zwar keine bestimmte Antwort; dennoch aber glaubte er, aus einigen Reden, die er fallen ließ, und aus verschiedenen kleinen Umständen, die er damit verglich, den Ort seiner Gefangenschaft errathen zu haben. An einem andern Tage fragte Walther diesen Knecht nach seinem Namen und nach seinem Vaterlande. Er mußte diese Fragen mehrmals und auf verschiedene Weise wiederholen, ehe er ihm die Antwort ablockte, daß er aus dem Lüzelthal, Geroldsekkischer Herrschaft, gebürtig seye, und daß sein Geschlecht den Namen Rublin führe. Nun zweifelte Walther nicht mehr, daß er auf der Burg Lüzelhart gefangen lage, und entdeckte zugleich in diesem Rublin einen seiner 163 leibeigenen Dienstleute. Er trug daher kein weiteres Bedenken, sich ihm zu erkennen zu geben, und that es mit der rührenden Würde der bedrängten Unschuld. Er beschwur ihn bei Eid und Pflicht und unter den vortheilhaftesten Verheissungen, das Werkzeug seiner Befreiung zu seyn. Rublin kannte seinen Gefangenen nicht, und hatte von seinem Herrn, als er ihm die Stelle des verstorbenen Thurmhüters übertrug, das Verbot erhalten, sich bei Lebensstrafe in ein Gespräch mit ihm einzulassen. Als er nun vernahm, daß er, ohne es zu wissen, der Kerkermeister seines Herrn gewesen, fiel er ihm zu Füssen, bat ihn um Vergebung, und versprach, ihm auszuhelfen. Wäret Ihr, sagte er, nicht mein natürlicher Herr, so würde kein Geld noch Gut mich bewegen, Euch zu Willen zu leben. Nun erwartete Walther mit Ungeduld den Tag seiner Erlösung, der nicht lange ausblieb. An dem heiligen Pfingstfeste, da Ritter Diebold abwesend und der größte Theil der Burgleute nach Selbach in die Kirche gegangen war, kam Rublin in das Gefängniß, nahm Walthern seine Ketten ab, und entschlüpfte mit ihm in einen entlegenen Winkel des Zwingers. Hier klimmte er auf die Mauer, woran er ein starkes Hasengarn befestigte, das die Stelle einer Strickleiter vertrat, an welcher beide sich glücklich hinunter liessen.

164 Walther war einem Todtengerippe ähnlich; seine Beine konnten ihn kaum tragen, und hatten das Gehen verlernt. Dieses bewog seinen Retter, den gebahnten Weg zu verlassen, wo man sie wegen der Langsamkeit ihres Zuges leicht hätte einholen können, und sich seitwärts in eben die Waldungen zu schlagen, durch welche der Ritter einst so lange herumgeschleppt wurde. Sie wanden sich durch die wildesten Hecken und durch das unwegsamste Dickicht, und erquickten sich von Zeit zu Zeit mit dem Wein und den Speisen, die Rublin mit sich genommen hatte. Endlich erreichten sie um Mitternacht das Burgthor von Hohengeroldsek. Walther hatte vier zum Theil erwachsene Söhne zurückgelassen; diesen wollte er sich zuerst entdecken, um zu verhüten, daß seine plözliche Erscheinung und seine armselige Gestalt seiner Gemahlin keinen Schrecken verursachte. Als ihn daher der Thorwart nach seinem Namen fragte, gebot er ihm, den vier Junkern zu sagen, sie möchten herunterkommen, indem ein Fremder einer wichtigen Kunde wegen sie insgeheim sprechen wollte. Nach einigen Minuten erschienen die vier Jünglinge, mit Dolchen bewaffnet, vor der Pforte, und fragten den Fremden, wer er wäre? Euer Vater, schluchzte Walther; indem er seinem Erstgebohrnen in die Arme stürzte. Die Jünglinge umringten ihn, und einer von ihnen hielt ihm 165 ein Licht unter das Gesicht; keiner aber konnte seinen Vater erkennen, welchen der feuchte Kerker und die kümmerliche Nahrung gänzlich entstellt hatten. Ihr seyd unser Vater nicht, riefen die Jünglinge; Ihr seyd ein Betrüger; unser Vater ist schon zwey Jahre tod; er wurde im Forst auf der Jagd erschlagen. Ihr wollt mich nicht erkennen, sprach Walther weinend, freilich hat man Euch betrogen. Allein der Betrüger war der, welcher die Nachricht von meinem Tode aussprengte. Diebold von Lüzelhart war es, der mich zwey Jahre lang in der härtesten Gefangenschaft hielt. O! nun sehen wir's, riefen die Söhne, daß Ihr ein Betrüger seyd. Ritter Diebold ist selbst mit seinen Knechten ausgezogen, um die Mörder unsers Vater aufzusuchen, und hat bei unserer Mutter über seinen Tod Thränen vergossen. Dieser Zug, rief Walther, fehlte noch, um ihn zum Teufel zu machen. Nun so holet mir Eure Mutter, diese wird mich nicht verkennen. Die vier Brüder verkündigten ihrer Mutter, die unruhig ihre Rückkunft erwartete, daß ein Mann, der sich fälschlich für ihren Vater angebe, sie zu sprechen verlangte. Frau Hedwig besann sich einige Augenblicke; dann dachte sie bei sich selbst: vielleicht haben meine Kinder den Fremden mißverstanden, und er hat ihnen von dem Tode meines Gemahls, oder von den Urhebern desselben, Kundschaft 166 zu geben. Sie stieg daher hinunter an die Pforte, und hieß ihre Söhne im Hofe sie erwarten. Wo ist der fremde Mann? rief sie im Heraustreten. Hier ist er, dein Gemahl, dein Walther; meine Söhne haben mich verkannt; wird auch mein Weib mich verkennen? Eure Züge, sprach Hedwig, sind nicht Walthers Züge; aber Eure Stimme, wiewohl sie schwach und heisser tönet, hat Aehnlichkeit mit seiner Stimme. Dein Ohr, Dein Auge, erwiderte Walther, mag Dich täuschen, aber Dein Herz, das Herz meiner Hedwig wird mich nicht verläugnen. Gewiß hat es jenen Abend nicht vergessen, da sie mir zum erstenmal ihre keuschen Arme öffnete; da ich ihr den Halskoller löste, und die Erdbeere, die ich auf ihrer Brust entdeckte . . . . . . Ehe er ausreden konnte, hieng schon Hedwig an seinem Halse, und überschwemmte seine bleichen Wangen mit ihren Thränen. Du bist es, ja du bist mein Gemahl, rief sie mit gebrochenen Worten; Gott hat Dich mir wieder gegeben. Walther drückte sie mit zitternden Armen an sein Herz; er konnte lange nicht sprechen und als er den Mund wieder öffnete, theilte er seiner Gattin noch verschiedene geheime Wahrzeichen mit, welche alle ihre Zweifel gehoben hätten, wenn ihr noch einer übrig geblieben wäre.

Nun rief Hedwig ihre Söhne herbei: Umarmt Euern Vater, er ist es, ich schwöre es Euch bei 167 meinem Mutterherzen. Die Söhne warfen sich ihrem Vater zu Füssen, und baten ihn um Verzeihung. Walther hob einen nach dem andern von der Erde, umschlang ihn mit seinen Armen und drückte seine Lippen auf ihre Lippen. Dann führte Hedwig ihren Gemahl, von seinen Söhnen umringt, in die Burg, wo er ihnen die Verrätherei seines Vetters Diebold und seine Erlösung durch den getreuen Rublin erzählte. Des folgenden Morgens war grosser Jubel im Schlosse; das gesammte Hofgesinde drängte sich herbei, um seinen guten Herrn zu bewillkommen. Walther reichte ihnen seine abgezehrte Hand, an der noch die Mahlzeichen der Fesseln zu sehen waren. Alle küßten sie, und netzten sie mit ihren Thränen. Nach etlichen Tagen schrieben die Söhne einen Brief an alle Verwandte, Freunde und Lehenleute ihres Vaters, und klagten ihnen, wie ehrlos Diebold von Lüzelhard an ihm gehandelt, wie er ihn heimlich entführt und in einen schrecklichen Kerker geworfen habe, um ihn darinn verschmachten zu lassen. Sie forderten alle diese Männer im Namen der Ehre und Freundschaft auf, mit ihnen auszuziehen, um diese Unbilde zu rächen. In der folgenden Woche erschienen die Freunde des Herrn von Geroldsek mit zweyhundert Reisigen auf seiner Burg, und rückten gegen das Schloß Lüzelhart, das sie zehn Tagelang belagerten. Diebold 168 wehrte sich anfänglich mit dem Muthe der Verzweiflung; als aber die Lebensmittel ausgiengen, und er seine Leute, anstatt liebreich sie zu trösten, täglich grausamer behandelte, so wollten sie ihn zwingen, die Veste zu übergeben. Da entfloh der Ritter des Nachts durch einen unterirrdischen Gang, und niemand wußte, wo er hingekommen war. Das Schloß aber ergab sich gleich am folgenden Morgen, und wurde gänzlich zerstört, wie man solches noch an dem Burgstall sieht.

Der biedere Rublin wurde von Ritter Walthern mit seinem ganzen Geschlechte von der Leibeigenschaft losgesprochen, und mit schönen Gütern und stattlichen Freiheiten begabet, welche er auf seine spätesten Enkel vererbt hat. 169

 


 


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