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Die Aktien der Grunderwerbungs-Genossenschaft stiegen immerfort, sie fanden rasch Eingang in alle Kreise der Residenz und selbst die Vorsichtigen wurden zur Erwerbung gereizt. Stefanelly war ein gefeierter Mann, man bewunderte sein Finanzgenie; das Mißtrauen gegen ihn schwand immer mehr.
Der alte Brennberg war trunken von dem plötzlichen Erfolge. Sein Titel Aufsichtsrat war jetzt kein leerer Schall mehr; die sich anfangs über ihn lustig gemacht hatten, suchten ihn jetzt selbst auf, fragten ihn um Rat, hofften, durch seine Verwendung noch einige Aktien zu erhaschen, die schon fast vergriffen waren. Selbstverständlich zögerte er selbst jetzt keinen Augenblick mehr, sein ganzes bewegliches Kapital darin anzulegen.
Stefanelly hatte ihm vorgeredet, daß er in seinen Kreisen für das Unternehmen wirken müsse, und Christian, der sich dem Mann mehr wie je zu Dank verpflichtet fühlte, schlug das Verlangen nicht ab. Theodor mußte ihn in den Klub einführen, wo die ersten Vertreter des Adels verkehrten, und er begegnete dort wider sein Erwarten lebhaftem Interesse. Man hielt ihn für einen erfahrenen Finanzmann, der, in scheinbarer Zurückgezogenheit auf Schönau lebend, schon lange im geheimen auf der Börse sein Spiel getrieben hatte und jetzt erst mit seinem Namen hervortrat; er war nicht mehr der belächelte Landjunker, sondern ein Hauptpfiffikus, der sie alle bisher getäuscht hatte. Das Gerücht vergrößerte seinen Reichtum ins Ungeheure, man sprach von Millionen, die der Alte besitze, und dieser ließ die Herren in der Täuschung.
Zum ersten Male in seinem Leben hatte Brennberg Gelegenheit, an den grünen Tisch zu treten; es wurde viel und hoch gespielt in dem Klub. Wenn er dann so dabei stand und zuschaute – weiter kam es vorerst nicht – dann konnte er den Blick nicht wenden von den fallenden Karten, dem hinüber und herüber rollenden Gelde und dabei stand immer der Ahne in der Allongeperücke mit den gespreizten langen Fingern vor ihm. Aber Christian freute sich, daß er nichts von ihm geerbt habe, daß er alle Aufforderungen, sich zu beteiligen, so tapfer abwies. Das Zusehen war ja kein Verbrechen und die Erregung, die er dabei empfand, nur eine Folge des Ungewohnten; er redete sich immer ein, seine Pflicht als Aufsichtsrat führe ihn hierher, in Wirklichkeit aber war es nur der Anblick des grünen Tisches, der ihm bereits unentbehrlich war.
In dem aristokratischen Klub hörte er auch von der Aufsehen erregenden neuen Schönheit Berta Margold sprechen, welche plötzlich in der Gesellschaft aufgetreten sei; selbst die Bevorzugung, welche sie von seiten des Ministers auf dem Beamtenball erfahren hatte, war bereits allgemein bekannt. Man lachte über den alten Sünder, über seine plötzliche Bekehrung zu demokratischen Ansichten der Gärtnerstochter zuliebe – ihre Herkunft war längst erforscht –, brachte auch den Namen Theodors in Verbindung mit dem des Mädchens, ja, man gab sich den Anschein, als wäre man neidisch auf ihn, der die neue Schönheit allen vorweg geschnappt habe; aber an ein ernstes Verhältnis dachte niemand.
Der alte Herr war lebhaft dadurch beunruhigt; seine augenblickliche Aufwallung von damals, als er mit Margold aus der Sitzung heimging, war längst geschwunden, er hatte keinen Grund mehr, Rache zu nehmen an der Gesellschaft, die ihn jetzt so liebenswürdig und ehrenvoll aufgenommen hatte; aber er wußte, daß Theodor die Sache ernster nahm, als man hier ahnte.
Der Aufwand des Leutnants, welcher anfangs mit den veränderten Verhältnissen seines Vaters gestiegen, ja selbst für diese beängstigend hoch gewesen war, hatte in der letzten Zeit auffallend abgenommen; daran konnte allein eine wahre tiefe Leidenschaft schuld sein, die ihn ganz und wohltätig beherrschte, und Christian spürte darin mit einer wehmütigen Erinnerung den gesunden und kräftigenden Einfluß Margoldschen Wesens. Er gestand sich ganz im stillen, daß eine Ehe mit dem braven Mädchen, in dessen Adern durchaus treues, redliches Margoldsches Blut floß, für seinen lebesüchtigen leichtblütigen Sohn kein Unglück wäre und noch weniger eine Schande; denn auch aus seinem Schönauer Standpunkte, von welchem aus ihm eine solche Verbindung als widersinnig und unmöglich erschienen war, stand er nicht mehr. Lediglich der peinliche Gedanke, den gesellschaftlichen Boden, den er gewonnen hatte, wieder zu verlieren, die Herren des Klubs, in dem er jetzt so gern verkehrte, die Nase rümpfen zu sehen, stimmte ihn dagegen.
Noch hatte Theodor kein Wort darüber gesprochen, und sein Vater hütete sich, die Angelegenheit zu berühren, über deren Stand ihm Bertls Bruder Hans stets Bericht erstattete. Dieser war jetzt der Vertraute Stefanellys, der Anführer der unzähligen Unterhändler, welche dieser gewandte Stratege nach allen Seiten hin über die Stadt M . . . und Umgebung zerstreute. Eine solche Art von Arbeit sagte Hans vortrefflich zu; da scheute er keine Mühe, keine beim Champagner durchwachte Nacht, wenn es galt, für seinen Chef ein vorteilhaftes Geschäft abzuschließen, neue Rekruten zu werben für die riesige Armee von Zahlern, die blindgläubig, willenlos ihrem Führer folgten. Da wurde niemand verachtet, vom einfachen Arbeiter an, der seine Ersparnisse in den Unternehmungen anlegte, bis zum Millionär, der von seinem Überfluß hineinsteckte.
Stefanelly war eben daran ein eigenes Bankgeschäft zu gründen, um den riesigen Umsatz, der jetzt anderen Bankhäusern zugute kam, in seine Tasche fließen zu lassen, und hatte Hans die Aussicht eröffnet, ihn als Teilhaber aufzunehmen, wenn er sich bewähre. Hans wohnte jetzt sogar in dem »Palast« des Stefanelly, welcher als Junggeselle einer weiblichen Führung für seinen verschwenderischen Haushalt bedurfte. Dazu eignete sich die schöne Loni vortrefflich. Der üppige aufdringliche Reichtum, den sie da mitgenoß, behagte ihr, ebenso die Gesellschaft, für welche sie die Dame des Hauses vorstellen durfte. Es waren lauter Gesinnungsgenossen, alle diese unnennbaren, fragwürdigen Existenzen, die in einer Großstadt auftauchen, die nie arbeiten und immer genießen, Leute, an welche der Unternehmer durch irgendwelche frühere Verbindung zweifelhafter Art gegen seinen Willen gefesselt war, Gimpel, welche er zur späteren Verwertung in sein Netz ziehen wollte, Schmarotzer, die der Goldklang anzog, die mit tönendem Lob auf den Bierbänken zahlten.
Stefanelly hatte durchaus nicht im Sinne, bei dieser Gesellschaft zu bleiben, er wartete nur den geeigneten Augenblick ab, um das lästige Volk abschütteln zu können, das ihm wie eine Krankheit aus früherer Zeit anhaftete. Die ersten Kreise sollten in seinem Haus verkehren, der Anspacher selbst, der so verächtlich von ihm sprach, sollte erscheinen, und Loni würde auch für diese Leute zu wirtschaften wissen, davor war ihm gar nicht bange.
Hans hatte demnach das größte Interesse daran, daß seine Schwester den jungen Brennberg heiratete. Das junge Paar und den Alten dazu ins Haus zu bringen, war dann nicht mehr schwer, und machte einer den Anfang, so kamen die andern bald nach. Er hetzte Bertl, die offene Erklärung von Theodor zu fordern, er verstand es, dem alten Baron, mit welchem er täglich geschäftlich zu tun hatte, das Glück, die Bequemlichkeit einer neuen Häuslichkeit unter Führung einer ihn verehrenden Frau wie Berta so verführerisch darzustellen, daß derselbe oft gern bei dem Gedanken daran verweilte.
Gegen Ostern stiegen die Aktien infolge verschiedener Gerüchte über eine bedeutende Vermehrung der hauptstädtischen Garnison, über Mietsteigerungen und Wohnungsmangel, über eine beabsichtigte große Ausstellung im kommenden Jahre zu einer noch nie dagewesenen Höhe.
Der »Herr Aufsichtsrat« betrat, von Stolz geschwellt, abends den Klub, von allen Seiten ehrfurchtsvoll begrüßt, mit Schmeicheleien und Glückwünschen überhäuft. Der alte Vollblutadel der Stadt war nicht reich. Die meisten seiner Mitglieder lebten in verhältnismäßig bescheidenen, sehr viele in geradezu beschränkten Verhältnissen. Diese spielten deshalb neben der jungen Geldaristokratie eine gedrückte Rolle, ein Umstand, der sich nirgends mehr fühlbar machte, als gerade hier im Klub, wo beide sich im Innern feindliche Elemente zusammentrafen. Man machte sich auf der einen Seite ein grausames Vergnügen daraus, seinen Reichtum zu zeigen, durch üppiges Leben, rücksichtslose Verschwendung den Neid der weniger Glücklichen zu erregen, auf der andern Seite ließ man sich durch nichts imponieren, strengte seine Kräfte bis zum äußersten, oft bis zur Selbstvernichtung an, um nicht zurückzubleiben. Es war ein unedler, roher Wettkampf, der da am heftigsten wütete, wo er mit den ungleichsten Waffen geführt wurde – am Spieltisch. Unter dem Schein einer falschen, ihren idealen Ursprung völlig verkennenden Ritterlichkeit wurde hier, den Warnungen vernünftiger Männer zum Trotz, mit einer Kaltblütigkeit, mit einer Größe im Ertragen schmerzvoller, ja tödlicher Wunden gekämpft, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre.
In Herrn von Brennberg sah die Geburtsaristokratie einen leistungsfähigen Zuwachs ihrer Partei, der es mit den Gegnern in jeder Beziehung würde aufnehmen können. Leider erwies er sich aber in ihren Augen als ein Knicker, der nichts aus sich zu machen verstand und zum Spiele durchaus nicht zu bewegen war, als ein »Kiebitz«, der die von ihnen teuer bezahlte Nervenaufregung als Zuschauer sich stahl.
Auch heute setzte sich Christian wieder an seinen gewohnten Platz am grünen Tisch und verfolgte mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen das außergewöhnlich hohe Spiel. Die Herren kamen eben von einem Festmahl zu Ehren des Landesfürsten und befanden sich in weinseliger Stimmung; auch war Baron Anspacher ausnahmsweise zugegen und hatte eine Aufforderung zum Spiele angenommen, – da durfte es nicht um Kleingeld gehen. Der Bankier gewann und verlor mit einem blasierten, überlegenen Lächeln, man sah ihm an, daß er sich groß machte mit seiner Gleichgültigkeit. Das reizte immer mehr, und man griff schließlich zu einem gewöhnlichen Glückspiel; Whist und L'hombre gingen zu langsam, und es handelte sich doch für diese Herren nur um das blanke Gold, nicht mehr um die Kunst des Spieles. Anspacher war kein leidenschaftlicher Spieler und ließ sich erst nach langem Hin und Wider überreden. Dann aber gewann er immerfort mit unwandelbarem Glück, so sehr er sich auch absichtlich in Gefahr zu begeben schien. Dem alten Baron wurde es heiß und kalt, die Augen brannten ihm wie im Fieber; er empörte sich über den Verlust seiner Freunde, über diesen verhaßten Baron Anspacher; wie, wenn er selbst ihm die Spitze böte? Er dachte an sein Glück, das würde ihn gewiß auch hier nicht im Stiche lassen; es wäre ja nur eine Rache an diesem ewig lächelnden Geldmenschen. – Zweimal griff er schon in die Tasche nach seiner Börse; sie war schlecht gefüllt, nur einige Goldstücke fand er darin. Er nahm sie heraus und drückte sie in der Tasche zwischen den Fingern. Zweimal machte er Miene, zu setzen, aber er wagte es noch nicht.
Nun forderte ihn aber Anspacher selbst auf, an dem Spiel teilzunehmen, und von allen Seiten sprach man ihm zu. Er entschuldigte sich, nicht mit Geld versehen zu sein, aber man lachte dazu; ein Gutschein von Herrn von Brennberg sei bares Geld und würde jederzeit mit Vergnügen angenommen.
Von einem plötzlichen Entschlusse getrieben, setzte der alte Baron mit einer hastigen Bewegung ein Zwanzigmarkstück auf die verdeckte Karte, mit stieren Augen blickte er darauf hin, er sah nichts mehr als das blitzende Goldstück.
Plötzlich war es verschwunden, an seiner Stelle sah er – den Großvater mit der wallenden Perücke, den langen gespreizten Fingern. Er sprang auf und griff zitternd danach – alles lächelte über seine Aufregung – es war der Karokönig – er hatte verloren. Wie geistesabwesend betrachtete er lange die Karte, dann warf er sie zornig unter die übrigen.
Wie man nur so träumen konnte! Nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Bilde zu Hause! – Oder war es eine Warnung? Wegen eines Goldstückes? Er durfte sich nicht lächerlich machen und setzte das zweite – auch verloren!
Anspacher schob ihm lächelnd seine Brieftasche zu. »Bedienen Sie sich, Herr Baron!«
Brennberg griff mechanisch hinein und spielte weiter. War es sein eigenes Gold gewesen, dessen Blinken ihn so erregt hatte? Er war jetzt viel ruhiger, als er die Banknoten auf die Karte setzte, und mit der Ruhe kam das Glück. Immer verwegener setzte er, höher als man es selbst hier gewohnt war, viele zogen sich zurück; zuletzt spielten Christian und Baron Anspacher allein. Auch dieser schien erregt, der Inhalt der Brieftasche gehörte bereits seinem Gegner, dessen eiserne Ruhe man allgemein bewunderte als eine Seltenheit bei einem Neuling im Spiele.
Anspacher selbst erklärte endlich mit erzwungenem Lachen seine Zahlungsunfähigkeit; ihn ärgerten weniger die Verluste als die schadenfrohen Mienen rings umher.
Wie aus einem Traume erwachend, zählte Brennberg mit zitternden Fingern seinen Gewinn, der mehrere tausend Mark betrug; er weigerte sich, das Geld zu behalten, schob es Anspacher wieder zu, bis ihm begreiflich gemacht wurde, daß dies eine Beleidigung, eine Unmöglichkeit sei; dann steckte er es unter gestammelten Entschuldigungen ein. –
Als er seine Wohnung betrat, erwachte er wie aus einem Traume. Er mußte wohl viel getrunken haben, denn der Kopf schmerzte ihn. Er saß in seinem Zimmer und vor ihm lag ein Haufen Banknoten. über dem Schreibtisch hing der Großvater, der Spieler, in der dunklen Ecke des Bildes flammte es wie ein rotes Karo, darauf starrte sein Blick.
Da ging die Tür hinter ihm. Er fuhr zusammen und bedeckte die Banknoten mit beiden Händen, als wären sie gestohlenes Gut. Theodor, sein Sohn, stand hinter ihm, die Spuren einer durchschwärmten Nacht im bleichen Antlitz.
»Was willst du noch um diese Stunde?« fragte Christian, die Banknoten mit seinen Händen vor den Blicken des Sohnes zu decken suchend.
»Ich habe mit dir zu reden, Papa. Ich dachte es morgen zu tun, da sah ich aber noch Licht bei dir, so mag es heute noch sein! Es hat Eile!« Er lachte sonderbar.
»Übrigens brauchst du mir keinen Vorwurf zu machen,« fuhr er fort, indem er einen schwankenden Schritt auf den Vater zu tat und auf das Geld wies, »du scheinst dich auch unterhalten zu haben –«
»Du bist unverschämt, Theodor, mach ein Ende – ich bin krank – mein Kopf – die vielen Geschäfte –«
Er versuchte dabei, die zerknitterten Banknoten in seine Tasche zu stecken, doch Theodor bemerkte es und mußte hellauf lachen.
»Geschäfte? Ja, allerdings, und wie es scheint, bessere Geschäfte, als ich heute abend gemacht habe! – Nun, da brauche ich mich ja nicht mehr zu schämen – für das Pech kann man ja nicht – ich habe schwer verloren im Kasino.«
Christian knickte zusammen und seine Hände umkrampften die Armlehne des Sessels. – Vater und Sohn – und über ihnen der Ahne – alle drei Spieler – die Erbschaft war angetreten! –
»Ich sehe selbst ein, die Geschichte muß ein Ende haben,« begann Theodor nach einer Weile. »Ich warne dich, Papa, es geht dir nicht immer so gut wie heute abend! – Ich muß heiraten, das soll helfen, sagt man. Es ist wenigstens für die Zukunft. – Was sagst du zu meiner Braut – Berta Margold?«
Christian regte sich nicht. Das Antlitz in beide Hände vergraben, saß er auf seinem Stuhle; auf dem Boden lagen zerstreut die Banknoten Anspachers. – »Margold!« seufzte er dumpf auf.
Theodor ahnte nicht, was in dem Vater vorging.
»Und warum nicht Margold? Wer kümmert sich heutzutage um einen Namen! Berta ist schön, wohlhabend, alles ist entzückt von ihr. Sie wird so gut wie eine andere, ja besser vielleicht die Frau von Brennberg spielen, und ich denke, es kommt damit eine gesündere Luft in unser Haus. Ich weiß nicht, es gefällt mir hier nicht mehr, ich habe trübe Ahnungen –«
Der alte Herr erhob sich plötzlich.
»Wie kannst du dich erfrechen, mitten in der Nacht in mein Zimmer zu dringen?« rief er zornig. »Ich bin kein Spieler wie du, ein besonderer Zufall – ich weiß selbst nicht – aber ich konnte nicht anders – ich war gezwungen – beim Teufel! Ich bin dir doch keine Rechenschaft schuldig!«
»Aber Papa, ich verlange ja auch keine,« erwiderte, vor Erstaunen nüchtern werdend, Theodor – »ich kam ja nur –«
»Um mich zu belauschen, zu beobachten, um meinen Fehltritt, wenn es einer war, zu benutzen und mir jeden gerechten Vorwurf über dein leichtsinniges Leben unmöglich zu machen!«
»Nein, Vater, du irrst. Nur um dir meinen Entschluß betreffs Berta Margolds mitzuteilen, um deine Einwilligung in die Heirat mit ihr zu holen, kam ich hier herein,« entgegnete jetzt in aller Ruhe Theodor. »Daß ich dich vor diesen Dingern da« – er deutete auf den Boden – »überrascht habe, dafür kann ich ja nichts; wenn ich so glücklich gewesen wäre wie du, hätte ich dich heute nicht mehr belästigt. Du kannst daraus sehen, wie ernst es mir ist, mich noch zu retten, wie sehr ich die Gefahr erkenne.«
Christians Zorn war schon vorüber. Es war nur ein krampfartiger Ausbruch des Ingrimms über sich selbst gewesen, der ihn durchbebt hatte.
»Du hast recht, Theodor,« sagte er gebrochen, »verzeih meine Erregung! Es ist nur die bittere Scham, die ich vor dir empfinde – heirate Berta Margold so rasch als möglich, ich beschwöre dich jetzt selbst darum! Sie ist ein braves Kind, liebt dich abgöttisch, sie wird dich halten mit ihrem gesunden Margoldschen Herzen – und mich auch! Nur sage ihr und dem Alten nichts davon, daß ich ein Spieler bin. Ich bin ja auch keiner, gewiß nicht – gewiß nicht!«
Tränen rollten die faltigen Wangen herab in den weißen Schnurrbart Christians. Der Anblick weckte alle guten Regungen in Theodors weicher Seele, er beugte sich nieder, ergriff und küßte die Hand des Vaters.
»Ich danke dir, Berta wird dir eine treue Tochter sein, ein guter Geist unseres Hauses. Jetzt gehe zur Ruhe, Vater, du bedarfst ihrer.«
Christian schlang den Arm um des Sohnes Nacken und verließ, von ihm gestützt, den Raum. An der Tür warf er noch einen Blick zurück auf das Bild: das rote Karo war verschwunden. Es war das Brennbergsche Wappen in der Ecke mit den flammenden Bergen, das ihm so erschienen war.
* * *
Einen Monat darauf – der Frühling regte sich schon allerorten – fand in einer Seitenkapelle der Franziskanerkirche, zu deren Gemeinde die Margolds jetzt gehörten, die Trauung Bertas mit Theodor von Brennberg statt, in völliger Stille und Abgeschlossenheit. Obwohl Berta die Gründe, welche Theodor bewogen, jede Öffentlichkeit zu vermeiden, billigen mußte, so fühlte sie doch einen bitteren Schmerz, ja sogar eine lebhafte Enttäuschung über diese scheinbar notwendige Beschränkung bei der heiligsten Handlung ihres Lebens. Sie wußte ja wohl, daß die guten Eltern, daß ihre wenigen Verwandten, die in Frage kamen, einfache Leute waren, welche in ihrem äußeren Auftreten ihre Vergangenheit als Arbeiter nicht zu verleugnen vermochten; aber trotzdem sträubte sich ihr ganzes Inneres dagegen, daß man ihre Angehörigen gleichsam versteckte vor der Welt, daß es ihren Eltern nicht erlaubt sein sollte, offen vor aller Augen hinzutreten an den Traualtar ihres Kindes. Sie tat wieder einen Blick in diese ganze Scheinwelt, der sie entgegen ging; alle die Gestalten und Umstände zogen an ihr vorüber: die Ratsfamilie mit ihrer lügenhaften Existenz, der Minister mit seinen Schmeicheleien, der erste Ball, das Haus Stefanellys mit seinem falschen Glanz, ihr eigener Bruder Hans und sein Weib; und dagegen hielt sie ihre Jugend im kleinen Häuschen an der Landstraße, unter ihren Blumen und Obstbäumen, einfach, ärmlich sogar, aber wahr und voll unscheinbaren Freuden, die sie seitdem nie mehr so rein genossen hatte.
Vorher schon hatte sich diese Empfindung in Berta geregt, wenn sie bei ihrer Freundin Therese saß, welche die Herstellung ihrer Gesellschaftskleider und ihres Brautstaates übernommen hatte. Da kam denn auch ab und zu Theresens Bräutigam, der junge Schlosser Georg Bergmann, heraus. Man plauderte von der nahen Hochzeit, welche an demselben Tage wie die Bertas gefeiert werden sollte; die beiden Mädchen, die seit dem gemeinsamen Abend ihres Glückes innige Freundschaft geschlossen, hatten es so bestimmt. Da wurde aller beiderseitigen Verwandten und Freunde gedacht und die Eltern Georgs kamen und besprachen mit nassen Augen die Zukunft ihrer Kinder. Daneben standen dann die Eltern Margolds schweigend, und Berta las aus ihren Gesichtern den stillen Kummer, daß sie nicht auch so sprechen konnten über ihr Kind, das sie nichts mehr angehen sollte, das ihren Rat nicht einholte, das weit wegzog von ihnen in eine fremde, ihnen verschlossene Welt. –
Jetzt aber, in dem Augenblicke ihres höchsten Glückes, als sie an der Seite Theodors aus der kleinen Sakristei in die Kapelle trat, schwanden alle diese bitteren Empfindungen; es war ein Opfer, das sie dem Geliebten brachte, diese demütigende Heimlichkeit. Er brachte ja auch eines, das sie tief empfand, indem er sich hinwegsetzte über alles Nasenrümpfen und Achselzucken der Gesellschaft. Aber der Entschluß stand fest in ihr: war sie erst seine Gattin, dann wollte sie es auch ganz sein, ohne Heimlichkeit, ohne Erröten über ihre Herkunft, ohne alle die Lügen, zu denen sie im Kampfe um den Geliebten ihre Zuflucht genommen hatte. Sie wollte in der Ehe erst recht die alte Berta Margold sein; mit weiblichem Scharfsinn ahnte sie, daß gerade dieses frische, gesunde Wesen, an dem gleichsam der Geruch der Erde haftete, den mitten im üppigen Genußleben der Großstadt stehenden, verwöhnten Mann so mächtig anzog und daß gerade darin auch für die Zukunft allein die Bürgschaft ihres Glückes liege.
Als die Trauung vorüber war, umarmte der Baron Berta als seine Tochter.
»Sei eingedenk, mein Kind, daß du von heute an eine Brennberg bist, der neu angefügte Zweig eines edlen, uralten Stammes!« sagte er in einem von Herzen kommenden feierlichen Tone.
Der alte Margold stand daneben, gebeugt, zerknirscht, von einem Gefühl der Ehrfurcht für sein Kind durchschauert, das jetzt in die stolze Reihe von Frauen eintrat, deren Bilder er seinerzeit auf dem Schloßgang zu Schönau andächtig bewundert hatte. Er wagte nicht, sie anzureden und seinem Herzen Luft zu machen, er wartete. – Da warf sich Berta schluchzend an seine Brust und seine Arme schlossen sich wie eiserne Klammern um das in kostbare Stoffe gekleidete Kind.
»Vergiß in all deinem Glück deine Eltern nicht – wir werden dich nicht stören, ich weiß, wir passen nicht mehr zu dir – aber nicht vergessen, Berta, nicht vergessen!«
Die krummen Finger zerknüllten krampfhaft den zarten Schleier auf dem Rücken der Braut.
Hans und Loni, die einzigen Hochzeitsgäste, fanden diesen Gefühlsausbruch des Vaters sehr unpassend; sie gaben sich alle Mühe, durch ihr »nobles Auftreten« – Loni hatte in dieser Beziehung nichts versäumt – den Standesunterschied zwischen den beiden Familien wenigstens äußerlich zu verwischen und dem alten Baron die peinliche Stunde zu erleichtern. Und nun verdarb der Vater alles mit seinem »rührseligen Getu«, das bei einer feinen Hochzeit doch gar nicht Sitte war. Sie entschuldigten sich förmlich bei Theodor und seinem Vater und meinten, es sei ein wahres Glück, daß niemand dieses sonderbare Benehmen gesehen habe, das ihnen ja auch den Umgang mit den Eltern schon längst verleidet habe. Die Herren sollten nun der Sache ein für allemal ein Ende machen, das sei das einzig Richtige. Die beiden Brennberg waren jedoch zur Überraschung des lieblosen Paares ganz anderer Ansicht. Theodor fürchtete von jeher die Annäherung von Hans und seiner Frau viel mehr als die der Eltern Bertas, die in ihrer Bescheidenheit gewiß nie lästig werden würden. Er ließ das auch in einer schroffen Erwiderung durchklingen.
Als Berta mit Theodor wieder in den Wagen stieg, der an einer Seitenpforte der Franziskanerkapelle hielt, da sah sie unter dem geöffneten Hauptportal eine andere Hochzeitsgesellschaft harren. Sie erkannte die verwachsene Lili, die vor Seligkeit in ihrem weißen Brautjungfernkleide lächelte, als wäre sie selbst die Braut. Sie sah auch die Eltern Georgs, die Frau Köhler und alle die Verwandten und Freunde, die sie unzählige Male hatte aufzählen hören in der kleinen Stube des Hinterhauses. Und gerade jetzt fuhr auch der Wagen mit dem jungen Paare vor – Berta konnte eben Therese und Georg noch zunicken, dann entzog ihr eine Wendung des eigenen Wagens das freundliche, von der Frühjahrssonne lustig beschienene Bild.
Die Tränen traten ihr in die Augen, sie erflehte innig den Segen des Himmels für das Paar. Wie hatte sie sich doch ihre eigene Hochzeit anders gedacht damals in der Heiligengeistkirche, als Hans getraut wurde, und sie wie in einer Vision alles deutlich vor Augen sah – das glänzende Gefolge von Herren und Damen, die Gefährte, die geschmückte Kirche, die brausende Orgel! Und jetzt mußte sie Therese, die arme Näherin, beneiden um ihren Ehrentag!
Aber der schmerzliche Eindruck verschwand bald. Neben ihr saß Theodor und flüsterte von einem glücklichen Erwachen unter italienischer Sonne, von Rom, dem sie noch heute abend zueilen wollten – ein Wonnemeer umgaukelte sie.
Man war vor der Brennburg angelangt und Christian ließ es sich nicht nehmen, Berta eigenhändig einzuführen in ihr neues Heim. Die Tage ihrer Kindheit tauchten in ihrer Seele auf, als sie alle die Gegenstände wieder erblickte, deren sie sich noch von ihrer frühesten Jugend in Schönau her erinnerte. Damals stand sie in ihren großen Bundschuhen, klammerte sich an den Vater und blickte scheu wie in einer Kirche umher in den ihr so kostbar dünkenden Gemächern. Gerade so empfand sie jetzt wieder, aber nur einen Augenblick! Dann fühlte sie sich stolz als Herrin dieser Räume, senkte den Blick nicht mehr vor den stolzen Frauen und Männern an den Wänden. Aus den alten Möbelstücken schien ihr ein Duft entgegen zu wehen, wie er zu Hause im Herbst zu den offenen Fenstern ihres Stübchens vom Garten hereindrang, wo die Trauben reiften, das prächtige Obst lag und die frisch umgewühlte Erde rauchte. – Loni meinte, jetzt, wo wieder eine Frau im Hause schalte, sei es höchste Zeit, aufzuräumen mit dem alten Gerümpel und das Haus modern zu möblieren. Aber Berta nahm sich des »alten Gerümpels« so warm an, daß Christian sich schämte, selbst schon mit dem Gedanken umgegangen zu sein, den Loni ausgesprochen hatte. Kein Stück solle wegkommen, so lange sie lebe, erklärte Berta, und wenn die Einrichtung wirklich ergänzt werden sollte, so möge man wenigstens ihr Zimmer ausschließlich mit den alten Sachen ausstatten.
Der alte Margold betastete jedes Stück, wußte von jedem eine Geschichte zu erzählen. Er klopfte auf die gelben Tasten des Spinetts, die nur selten Antwort gaben, summte ein Lied, das die selige Frau Baronin mit Vorliebe gespielt hatte, erklärte die Herkunft eines jeden der vielgestaltigen Dinge im Glaskasten. Die Kerze mit den roten Blumen in der weißen Atlasschleife war die Taufkerze Theodors, er, der alte Margold, hatte sie selbst in seiner Faust halten dürfen an dem freudigen Tag, wo der letzte Erbe von Schönau getauft wurde; dieses Silberbesteck hatte die selige Baronin als Hochzeitsgeschenk erhalten, aus dieser geblümten Tasse trank sie ihren Morgenkaffee. Die Geweihe im Gang kannte Margold alle einzeln, er wußte jeden Ort, wo sie erbeutet waren. Die Pfeifen des Hausherrn hingen bestaubt, ungepflegt an den Haltern aus Hirschhorn; wie hatten sie geblitzt, als sie noch unter seiner Pflege waren! Die mit dem silbernen Deckel war für den Sonntag. Dann die Reitpeitsche mit dem silbernen Huf als Griff, die alte rostige Flinte – mit allem stand ein besonderes Ereignis in Verbindung. Die ganze Schönauer Vergangenheit trat wieder hervor, alle die stillen aufregungslosen gesunden Tage in Wald und Flur, Park und Schloß. Wie kräftige Waldluft umwehte es bei den Erzählungen seines einstigen Dieners den alten Herrn von Schönau, in dessen Seele ernste erquickende Erinnerungen einzogen. Und dann mußte er daneben jenes Abends gedenken, wo ihn sein Sohn bei den gewonnenen Banknoten überrascht hatte, seines jetzigen aufgeregten ruhelosen Lebens als Aufsichtsrat und Börsenmann; wehmütige Sehnsucht erfüllte ihn wie nach einem verscherzten Glück. Wäre es nicht wieder zu gewinnen? Noch blickte das Dach von Schönau unversehrt aus den Bäumen des Parks herüber. Das Vorrücken der Stadt nach dieser Seite hin ging nicht so rasch, als man erwartet hatte.
Auch Theodor wurde unwillkürlich hineingezogen in die Gedanken an seine Jugendzeit, und ihre reinigende, festigende Wirkung blieb auch bei ihm nicht aus; auch ihn packte eine Ahnung, als ob in ihr ein Glück ruhe, nach dem er bis jetzt vergebens gejagt hatte im Getriebe der Welt.
Der heilsame Einfluß, den Vater und Sohn von der Verbindung mit Berta erhofften, hatte bereits begonnen.
Als das junge Paar nach einem kurzen Mahle das Haus verließ, um mit dem Schnellzuge seine Hochzeitsreise nach Italien anzutreten, und auch Hans und Loni, welche froh waren, aus dem langweiligen Haus fortzukommen, sich empfohlen hatten, bat Christian noch den alten Margold auf sein Zimmer.
Es war schon spät in der Nacht, als dieser es wieder verließ und den Heimweg antrat. Herzenskummer lag in den alten Zügen. »Es hat ihn, es hat ihn, den armen Herrn!« murmelte er, die Straße entlang schreitend, vor sich hin – »jetzt Obacht, Margold, Obacht!«