Anton von Perfall
Truggeister
Anton von Perfall

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4.

Das war eine schwere Trennung von dem lieben Schönau! Der alte Herr fühlte erst jetzt die unzähligen Saugwurzeln seines Herzens, die in diesen Boden sich senkten.

Ein Möbelwagen faßte alles, was von dem heiligen Besitz ihm blieb.

Die Einrichtung des Rokokozimmers, des Jagdsaals, das spärliche, schadhafte Mobiliar der übrigen Räume, die Bilder, die Waffen, das Spinett, alles verschluckte das grüne Ungetüm, und noch immer hatte es den weiten Rachen offen; ganz Schönau schien ihm nicht zu groß. Man stopfte es zuguterletzt mit den alten zerbrochenen Statuen aus dem Park voll, mit all dem vielgestaltigen Gerümpel, das Christian aus seiner hundertjährigen Staubdecke auf dem Dachboden erlöste und in seinem Seelenschmerz des Mitnehmens für wert hielt – Rahmen ohne Bilder, Bildern ohne Rahmen, unbestimmbarem, ineinander verworrenem Eisenzeug, alten Vogelbälgen usw.

Als endlich der Rachen zuklappte, war ganz Schönau sauber ausgeweidet, nichts mehr übrig als nackte Wände, zerrissene Tapeten, blinde Fensterscheiben. Aus dem grünen Wagen aber, der langsam der Stadt zu rollte, drang bei jedem Stoße ein geisterhaft klingender Ton heraus, das Klagelied des alten gebrechlichen Spinetts.

Theodor hatte bereits für eine passende Wohnung gesorgt. Papa sollte sich sofort heimisch fühlen. Er selbst wandte ja nicht den Kopf mehr zurück nach Schönau. Aber das Mobiliar nahm sich gespensterhaft unheimlich aus in der neuen Wohnung, und Christian erschrak jetzt selbst über die Armseligkeit; gerade so mußte sich ja auch sein langer kaffeebrauner Rock, mußte sich der ganze Christian ausnehmen in dieser Umgebung.

Es entging ihm nicht die spöttische Miene des Mannes, welchen ihm Theodor als »Hausherr« vorstellte. Er, geboren aus seinem altererbten Besitz, grau geworden darauf als Fürst seines Bodens, hatte jetzt einen »Hausherrn«. Die Diele, auf die er trat, der Ofen, der ihm Wärme spendete, die Decke über seinem Haupt war nicht sein, geliehen, kündbar – Christian fühlte sich bettelhaft gegen früher, trotz der halben Million.

Über jeden Gegenstand, den die Packer heraufbrachten, mußte er sonderbarerweise lachen. Die verschnörkelten Schränke und Kasten sahen so komisch aus, die zersprungenen, verblaßten oder nachgedunkelten Ahnenbilder in den großen Perücken und blitzenden Halskragen blickten so dumm erstaunt aus ihren zerstoßenen Rahmen, das Spinett jammerte so drollig die Treppe herauf. Er wußte, daß, wenn er über diese Dinge lachte, er damit über seine ganze Vergangenheit, über sein ganzes Leben lachte, und doch konnte er nicht anders, obgleich es so weh tat. Theodor hatte ganz recht, eine neue, der Zeit und ihren jetzigen Verhältnissen entsprechende Einrichtung mußte gekauft werden.

Jetzt, da Christian einmal in der Residenz war, sah er auch ein, daß er seine Kreise der Form halber aufsuchen, sich vorstellen und Gegenbesuche empfangen müsse, das war er seinem Namen schuldig und vor allem seinem Sohn, dessen Vorwärtskommen jetzt sein einziges Lebensziel sein mußte. Christian zitterte davor, denn er fühlte sich längst nicht mehr salonfähig, war es eigentlich nie gewesen, war immer ein rauher Landjunker geblieben. Er wußte, sie würden ebenso über ihn lachen, wie er selbst über sein Mobiliar, aber das Pflichtbewußtsein mußte über all das weghelfen. Nur einige Wochen Zeit bat er sich bei seinem Sohne aus, bis er sich einigermaßen von dem eben erlebten Umschwung der Verhältnisse erholt habe.

Stefanelly verlor den Alten nicht aus dem Auge. Das Geschäft mit Schönau war trotz des hohen Preises vortrefflich. Er hatte damals schon die Gründung einer Aktiengesellschaft im Sinne und wußte, daß er beruhigt den Grundkomplex um hunderttausend Mark höher, als er ihn gekauft, der Gesellschaft anrechnen könne.

Außerdem war der alte Brennberg, nun einmal losgerissen von seinem Grund und Boden, ein knetbarer Stoff, das wußte Stefanelly aus Erfahrung.

Den Jungen hatte er nicht zu fürchten, wenn dieser nur immer Mittel hatte, seinem Vergnügen nachzugehen, und dafür wollte er schon sorgen.

Die halbe Million durfte nicht aus dem Gesichte verloren werden.

Der Alte, welcher sich in der Mietwohnung unglücklich fühlte, der eigensinnige, verknöcherte Edelmann, war für Stefanelly bereits zu einem neuen Geschäfte reif; was er verloren, wollte Stefanelly ihm schon wieder verschaffen, er sollte wieder Herr werden in seinem Hause.

Stefanelly hatte Häuser auf Lager für jeden Geschmack, für alle Verhältnisse, er kannte alle die Schwächen und Eitelkeiten seines Publikums. Häuser mit überladen ausgeputzten Fronten, Karyatiden, reichen Gesimsen, im Innern billige Massenarbeit; schmucklose Mietkasernen, nach Schachtelsystem gebaut; niedliche kleine Häuschen, idyllisch, gemütlich, mit Gärtchen daran; einfach vornehme, aristokratische, mit einer Säulenhalle aus Sandstein; altertümlich ritterliche mit Erkern und Türmchen, Wappen und Fähnlein; das letzte Muster war für den alten Brennberg recht, das mußte ihm in die Augen stechen. Er hatte eben ein solches burgartiges Ding fertig, ziemlich weit draußen vor der Stadt in seinem neuen Viertel, gegen Haching zu, aber das machte nichts, der Alte liebte ja die Landluft.

Für Christian hatte das Anerbieten, das Stefanelly ihm machte, wirklich etwas Verlockendes, und mit einer Kühnheit, die ihn fast selbst wunderte, ging er darauf ein.

Als ihm Stefanelly das schöne Gebäude zeigte, war er gerührt.

Das war ja ein Herrensitz, gegen den Schönau nicht aufkommen konnte, das war kein Haus wie die andern alle umher! Über dem gotischen Tor das Brennbergsche Wappen, auf dem Turm die Flagge, die Jahrhunderte auf Schönau geweht hatte – herrlich!

Da paßten auch die alten lieben Möbel hinein, die alten Herren in den Allongeperücken; und dabei lag es doch fernab von dem nervösen Gewühl der Großstadt, Ackerluft umgab es, und frei schweifte der Blick hinaus, sogar bis hinüber nach dem Schönauer Park, aus dem noch das Dach des alten Schlosses hervorleuchtete.

Christian verlor vor Freude alle nötige Vorsicht des Käufers, und der Preis, den Stefanelly forderte, schien ihm wirklich nicht zu hoch. Der kühne Bauunternehmer hatte offenbar eine besondere Vorliebe für ihn, den alten Herrn von Brennberg – ja, ein guter alter Name tat doch trotz aller Aufklärung und allen Fortschritts noch immer seine Wirkung!

Der Kauf war rasch abgeschlossen und damit ein Bruchteil der halben Million schon wieder zurückgekehrt zu ihrem früheren Besitzer.

Brennberg wartete den Ablauf seines Mietsvertrages nicht ab und zog sofort um; ungeduldig sehnte er die Stunde herbei, wo er wieder sein eigener Hausherr sein würde. Sein ganzes Selbstbewußtsein, sein ganzes Standesgefühl waren ihm wiedergekehrt, als er endlich die »Brennburg«, wie er das neue Haus taufte, bezogen hatte; er stand jetzt wieder auf eigenem Boden, zwischen seinen eigenen vier Wänden, wenn letztere auch recht dünn waren.

Die Straße, in welcher die »Brennburg« lag, war zwar sonst nichts weniger als vornehm: lauter Neubauten standen darin, von dem zusammengewürfelten frischen Zuzug vom Lande oder von kleinen Leuten bewohnt, welche die Teuerung aus der inneren Stadt verdrängt hatte. Doch das paßte Christian gerade; er war hier wieder der gnädige Herr Baron wie in Schönau, ja, was dort schon lange nicht mehr Sitte gewesen war: man grüßte den reichen Herrn Baron, der in dem schloßartigen Hause wohnte, von allen Seiten.

Er hätte sich hier ausgezeichnet wohl gefühlt, ja selbst der Blick auf die alte Heimat hätte ihm nicht mehr weh getan; es machte sich eher eine Art von Schadenfreude bei ihm geltend, daß er dem kargen Boden, dem er ein ganzes Leben geopfert, der ihm viel Sorge und wenig Ertrag gebracht, der jahrhundertelang sein Geschlecht gefesselt hatte, endlich noch in seinen alten Tagen entronnen sei. Nur eines ging ihm nicht aus dem Kopf: seine gesellschaftlichen Verpflichtungen, denen er jetzt nachkommen mußte.

Der neue Anzug lag bereit, der Schneider machte dem Herrn Baron beim Anprobieren Komplimente über seine aristokratische Erscheinung: da sei es ein wahres Vergnügen, zu arbeiten. Eine solche Schmeichelei hatte Christian schon lange nicht gehört; er ging in dem tadellosen Anzug vor dem Spiegel auf und ab und lachte über den Unsinn, daß er, ein alter Herr, noch mit solchen Geckereien sich abgebe, über seine Figur, die auf einmal so schlank erschien.

Wie doch ein so langer, altmodischer Rock alt machte! Ja, man war weit gekommen, seit er jung gewesen war, auch im Schneiderhandwerk, das mußte er zugeben.

Endlich ließen sich die feierlichen Antrittsbesuche nicht mehr verschieben und eigentlich mußte Christian sich gestehen, daß, je länger er wartete, desto mehr die Menschenscheu einer gewissen Neugierde wich, nach so langen Jahren wieder einmal die vornehme Welt zu sehen, wenn es auch nur wäre, um über ihre Albernheiten ordentlich zu lachen.

Theodor hatte bereits eine Besuchsliste zusammengestellt, welche die Spitzen der Gesellschaft enthielt. Man sei allgemein sehr erfreut, den alten Herrn, dessen vorteilhafter Verkauf das Tagesgespräch bilde, persönlich kennenzulernen, versicherte er, ja, er regte bereits die Frage an, ob es nicht am Platze wäre, bei Hofe um eine Audienz nachzusuchen, und der Papa verwarf diesen Plan durchaus nicht; er wolle nur zuerst probieren, meinte er, wie man den alten Landjunker überhaupt in der Gesellschaft aufnehmen werde.

Der große Tag kam, an dem der zweiundsechzigjährige Christian von Brennberg seinen Eintritt in die Salons der Residenz halten sollte.

Die Aufregung verlieh dem alten scharfen Kopf jugendliche Röte, der weiße Schnurrbart, das sorgfältig gescheitelte Haar gaben ihm einen vornehmen Ausdruck. Einen schweren Kampf kostete Christian nur der landwirtschaftliche Orden, den er einst vor zwanzig Jahren von dem damaligen Regenten bei Gelegenheit einer Ausstellung bekommen hatte, eine plumpe Medaille an rotem Bande. Er fühlte sich schwer gekränkt, als Theodor ihm dieselbe abnahm, sie hatte ja doch vortrefflich ausgesehen auf dem schwarzen Rock und war eine wohlverdiente Auszeichnung.

Nach langem Hin- und Herreden gab er so weit nach, daß er sich mit dem roten Bändchen im Knopfloch zufrieden gab.

Ein eleganter Zweispänner war bestellt, ein Lohndiener auf dem Bock, und obwohl Christian immerfort über den »ausgemachten Schwindel« schalt und wie ihm das alles lächerlich vorkomme, hatte er doch eine kindische Freude daran. Wenn nur alles glatt abging – Theodor war's am peinlichsten dabei zu Mute.

Graf Hartenau, ein entfernter Verwandter von Christians seliger Frau, ein tonangebender Kavalier, war die erste Adresse. Der Wagen hielt vor dem mächtigen Portale eines altersgrauen Palastes, ein alter Diener öffnete den Schlag, der Herr Graf war auch zu Hause.

Christian fühlte sich hier sofort heimisch, das war dieselbe moderige ehrwürdige Luft wie in Schönau, welche die breite teppichbelegte Freitreppe herabwehte, hier hatte er nichts zu fürchten, der Name Brennberg-Schönau genügte hier, um ihn vor Lächerlichkeiten zu bewahren.

Und er täuschte sich auch nicht; ein liebenswürdiger Kavalier, ungefähr in Christians Alter, empfing Vater und Sohn herzlich und half rasch über die erste Verlegenheit hinweg. Der Graf war eifriger Landwirt, und so gab sich das Gespräch von selbst; er entschuldigte sich, nicht zuerst in Schönau Besuch gemacht zu haben, aber er habe es aus Rücksicht unterlassen, denn er kenne das, man wolle auf dem Lande nicht von Besuchen belästigt sein. Jetzt freue er sich, daß Christian endlich sein Einsiedlerleben aufgegeben habe und in die Kreise eintrete, die ihn schon lang vermißt hätten, man müsse der Zeit auch ihre Zugeständnisse machen, und dergleichen mehr.

Alles ging vortrefflich, bis die Hausfrau mit ihrer achtzehnjährigen Tochter den Salon betrat.

Frauenzimmer waren unbekannt in Schönau seit undenklicher Zeit. Aber Christian hielt sich trotzdem wacker – so etwas liegt im Blute – und Theodor selbst hatte nichts auszusetzen an der Begrüßung der Damen von seiten des Vaters. Aber das Gespräch nahm nun rasch eine ganz andere gefährliche Richtung; mit dem Kartoffel- und Rübenbau, der Stallfütterung und dem Kunstdünger war es aus.

Literatur, Theater, Kunst, alle die dem Landjunker fremdartigen Dinge, welche das Gesprächsthema eines großstädtischen Salons ausmachen, kamen an die Reihe.

Theodor half zwar vortrefflich, soweit das ging, aber hie und da hätte doch der Vater die Unterhaltung auch selbständiger führen sollen! Das mißlang jedoch fast stets kläglich und Christian entging nicht das gefürchtete spöttische Lächeln um die Lippen der Komtesse, die nun mit der bekannten Liebenswürdigkeit der Gesellschaft erst recht ihm auf den Zahn fühlte und ihre sämtliche backfischhafte Bildung auskramte.

Ehrlichkeit allein hätte allen diesen kleinen Bosheiten die Spitze abgebrochen.

»Ich stand diesen Dingen infolge meines zurückgezogenen Lebens stets fern und in meinen Tagen lernt man nicht mehr,« das wären die richtigen Worte gewesen. Christian hatte sie auch auf den Lippen, wagte aber nicht, sie auszusprechen. Die wenigen Wochen, seit er Schönau verlassen, hatten bereits ihre verderbliche Wirkung auf ihn ausgeübt.

Er sah nicht mehr mit männlicher Festigkeit auf sich und seine Überzeugung, sondern auf die anderer, er glaubte bereits, sich den neuen Verhältnissen anpassen zu müssen, anstatt umgekehrt sich mit seiner ausgeprägten Persönlichkeit in diese neuen Verhältnisse hineinzustellen und es ihnen zu überlassen, sich mit ihm abzufinden.

Da ihm aber die weltmännische Gewandtheit fehlte, welche im Bewußtsein der Hohlheit all dieser schöngeistigen Redensarten sich niemals verblüffen läßt, so scheiterte er und machte sich lächerlich. Er war feinfühlig genug, das zu empfinden, zu alt, um sich darüber wegsetzen zu können, und so verließ er unzufrieden mit sich selber den Palast des Grafen.

Die Unterweisung des Sohnes während der Fahrt zum nächsten Besuch erhöhte noch sein peinliches Gefühl: am liebsten wäre er wieder nach Hause gefahren in seine Straße, wo ihn alles grüßte, dort hätte er unbedingt eine Gesellschaft getroffen, die ihm besser zusagte.

Er atmete jedesmal erleichtert auf, wenn der Diener mit dem ersehnten »die Herrschaften sind nicht zu Hause« zurückkam. Und er hatte Glück: drei gefährliche Häuser wurden auf diese Weise erledigt. Doch Baron Anspacher, Inhaber des großen Bankhauses Anspacher und Sohn, die erste Finanzgröße der Stadt, war wirklich zu Hause und geruhte auch, die beiden Herren zu empfangen.

»Ein hochmütiger Mensch, der auf seinen Geldsack pocht! Kehre doppelt den alten Aristokraten heraus, das ärgert ihn wenigstens; er spielt nun einmal eine große Rolle, selbst bei Hofe, deshalb müssen wir ihn besuchen,« bereitete Theodor den Vater vor.

Eine warme, von Patschuli und anderen Wohlgerüchen durchtränkte Luft ersetzte hier die eigentümlich moderige, dem alten Holze und Mauerwerke des Hartenauschen Stiegenhauses entströmende Atmosphäre. Alles glänzend, üppig, neu, bis auf die glatten Gesichter der Lakaien. Das Alter, die Überlieferung hatten hier keine Stätte, nur die brutale Macht des Goldes machte sich in allen Ecken geltend.

Baron Anspacher ließ lange auf sich warten und empfing dann die Herren mit einer herablassenden Gutmütigkeit, die für Christian verstimmender war als der zurückhaltende Stolz eines Geldfürsten, auf den er sich vorbereitet hatte. Der Bankier lenkte das Gespräch auf den Verkauf von Schönau, der ihm bis in seine Einzelheiten genau bekannt schien, und drückte mit nicht zu verkennendem Hohne seine Verwunderung darüber aus, daß der Freiherr sich von dem altehrwürdigen Besitz, an den sich die ältesten Überlieferungen seiner Familie knüpften, in seinen Jahren noch habe trennen können.

Der Bankier empfand eine lebhafte Genugtuung, die Nichtigkeit aristokratischer Grundsätze, mit denen er trotz seines Reichtums doch zu kämpfen hatte, der Macht des Goldes gegenüber von neuem bewiesen zu sehen.

Christian fühlte den Stachel. Er rechtfertigte sich mit der zwingenden Notwendigkeit: die vorrückende Stadt hätte ihn ja doch vertrieben, und einen besseren Käufer als Stefanelly hätte er sich nicht wünschen können. Dann erging er sich, ohne auf das Augenwinken Theodors zu achten, in Lobeserhebungen auf Stefanelly, der vom gemeinen Arbeiter sich zu einer Finanzgröße aufzuschwingen im Begriffe sei.

Bei dem Worte »Finanzgröße« gab es dem Bankier einen Ruck, er lachte hell auf.

»›Finanzgröße‹ nennen Sie das? Nun ja, Sie sind ja nicht bewandert in unseren großstädtischen Verhältnissen, um derlei Erscheinungen beurteilen zu können. Wir haben darin natürlich andere Ansichten, uns täuscht der augenblickliche Erfolg nicht, wir sehen hinter die Kulissen. Übrigens will ich Ihnen Ihre gute Meinung von dem Herrn durchaus nicht nehmen, Herr von Brennberg, Sie haben ja allen Grund dazu, es ist ein hoher Preis, den er bezahlt hat, aber zu hoch, um reell zu sein nach unseren Grundsätzen. Doch das kümmert Sie ja nicht –« er lachte wieder verletzend. »Sie werden in der Gesellschaft erscheinen, Herr von Brennberg, bei Hofe wohl? Sich entschädigen für die einsamen Jahre in Schönau? O, ich begreife das und beneide Sie um die Frische Ihrer Empfindung, Ihrer Lebenslust in Ihren Jahren! Bei mir ist das alles vorüber, ich bin übersättigt – – Spielen Sie auch?«

Christian war unangenehm überrascht von dieser unerwarteten Frage.

»Wie kommen Sie darauf?« fragte er.

»Nun, es ist das doch nichts Ungewöhnliches bei Edelleuten vom Lande, außerdem –« er betrachtete die wohlgepflegten Nägel seiner fleischigen Hand – »las ich Sie als Teilnehmer an dem neuen Stefanellyschen Aktienunternehmen; das zeigt mir, daß Sie wenigstens den Reiz der Spekulation lieben, der gewagten Spekulation – nun, und das Spiel ist ja auch im Grunde nichts anderes.«

»Davon haben Sie gelesen?« entgegnete ganz verwirrt Brennberg. »Aber das sind ja doch Privatangelegenheiten, wie ist denn das möglich?«

Der Bankier lachte mitleidig.

»Nun, sehen Sie, das sind so Stückchen Ihrer neuen Finanzgröße. Der Mann macht Reklame mit Ihrem Namen.«

»Mit meinem Namen? Das wird ihm wenig nützen, er spielt am Geldmarkt keine Rolle,« meinte Christian; die argwöhnische bösartige Beurteilung Stefanellys, dem er sich zu Dank verpflichtet fühlte, behagte ihm nicht.

»Gerade weil Ihr Name am Geldmarkt keine Rolle spielt, weil es der Name eines der Börse völlig fernstehenden, einfachen Landedelmannes ist, von dem man gewohnt ist, daß er Nummer Sicher zieht, gerade deshalb sind Sie ein ausgezeichnetes Reklamemittel; das sind so Kunstgriffe dieser Leute, die im Kleinen wühlen und arbeiten.«

»Kunstgriffe, die Sie natürlich nicht mehr nötig haben!« entgegnete gereizt, seine Zurückhaltung vergessend, Christian.

Der Bankier setzte seinen goldenen Klemmer auf und zwang sich zu einem Lachen.

»Ah, sehen Sie einmal! Auch schon Antibörsianer und kaum ein paar Monate in der Stadt! ›Die Pestbeule der Gesellschaft, staatlich autorisierter Raub!‹ Sind diese Schlagwörter auch schon zu Ihnen gedrungen? Beruhigen Sie sich, es ist nicht so schlimm. Die Börse ist ja nur das Miniaturbild der ganzen menschlichen Gesellschaft, der Geist der ganzen Gesellschaft ist ihr Geist, und die sie lästern, sie verdammen, Brandreden gegen sie halten, die sind von demselben Geiste erfüllt, dem Geist der rücksichtslosen Selbstsucht, des persönlichen Vorteiles; reformieren Sie die Gesellschaft und Sie reformieren die Börse! Übrigens ist es ja zu lächerlich! Als ob es ohne Börse keine Übervorteilung der Massen gäbe! Als ob sich die Massen nicht mit und ohne Börse gewaltsam herzudrängten, um übervorteilt zu werden! Doch irgend etwas, ein Name, ein Begriff muß ja da sein, auf den man ordentlich loslästern kann, anstatt daß man sich selbst bei der Nase nimmt. – Entschuldigen Sie meine Erregung, aber gerade bei Ihnen befremden mich solche Vorurteile, bei einem Manne, der doch schon durch seinen Namen berufen ist, nicht mit der Masse zu gehen. Dem Geburts- und dem Geldadel ist heutzutage offen der Krieg erklärt, dem ersteren, zu dem Sie gehören, aus Gründen der Vernunft, dem letzteren, dem ich angehöre, aus rein praktischen Gründen. Darum sollten wir zusammenhalten aus Selbsterhaltungstrieb. Man sieht das auch an gehöriger Stelle sehr wohl ein, und ich rate Ihnen, wenn Sie in unseren Kreisen verkehren, halten Sie sich daran!«

Christian saß wie auf Kohlen; er hatte eine Taktlosigkeit begangen mit der unüberlegten Anspielung auf die Kunstgriffe, die Baron Anspacher seiner festen Überzeugung nach nur in größerem Maßstabe anwendete als Stefanelly; er hatte sich am Ende den Bankier, der selbst bei Hofe hoch angesehen war, zum Feinde gemacht, er wurde am Ende dort als Demagog, als Feind des Kapitals, als – er entsetzte sich, das Wort nur zu denken – als »Sozialist« verschrien.

Er stammelte ungeschickt übertriebene Entschuldigungen, welche die Sache nur noch verschlimmerten.

Theodor, der während der ganzen Auseinandersetzung seinem Vater verzweifelte Blicke zugeworfen hatte, brach das peinliche Gespräch ab, indem er dienstliche Pflichten vorschützte, die ihn zum Aufbruch zwängen.

Baron Anspacher entließ Christian mit einem gnädigen Lächeln wie einen zurechtgewiesenen Schüler, von dem man für die Zukunft das Beste hofft.

Brennberg war trostlos. Er fühlte, daß er niemals auf diesem Boden heimisch werden könne, und bat seinen Sohn, von den weiteren Besuchen vor der Hand abzustehen, er sei zu abgespannt.

Dieser riet ihm selbst dazu in der Furcht, sein Vater könnte sich wirklich noch weitere Blößen geben; er ließ ihn allein nach Hause fahren.

Peinliche Gedanken quälten Christian. Zu was sollte er sich in seinen alten Tagen noch dieser neuen ihm so fremden Welt anpassen, gleichsam von neuem gehen und reden lernen? Was gab man ihm dafür? Warum sollte er sich nicht in seine Burg verschließen können, ein stilles, beschauliches Leben führen nach seinem Sinn wie einst in Schönau? Was hatte ihn denn eigentlich nur gepackt? War die Stadtluft daran schuld oder die halbe Million?

Er dachte unwillkürlich an den alten Margold, dessen Verhältnisse sich in ähnlicher Weise geändert hatten wie die seinen. Der würde deshalb gewiß nicht aus dem Geleise kommen, sondern seine alten Tage in Ruhe verbringen. Er sehnte sich jetzt nach dem ehrlichen Alten, dem er sich näher fühlte als all den Leuten, die er heute kennengelernt hatte. Wenn er es nicht doch unter seiner Würde gehalten hätte, er wäre geradeswegs zu ihm gefahren.

Endlich hielt der Wagen wieder vor der Brennburg, und Christian verließ ihn mit ganz anderem Gefühl, als er ihn bestiegen hatte.

Als der alte Baron nach Hause kam, fand er zu seiner Überraschung im Empfangszimmer Stefanelly, der seiner hier wartete. Christian fiel sofort das abfällige Urteil Baron Anspachers ein und was er bei ihm erfahren hatte; die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht.

»Wie kommen Sie dazu, mich in öffentlichen Blättern als Teilnehmer an Ihrem Aktienunternehmen zu nennen? Ich hätte doch wenigstens erwartet, daß Sie zuerst meine Einwilligung dazu einholen?«

»Schon gelesen also?« fragte Stefanelly, ohne seine Ruhe zu verlieren, mit geschmeidigem Lächeln.

»Nicht gelesen, aber gehört, und zwar von Baron Anspacher, von dem ich eben komme, der sich höchlichst darüber aufgehalten hat! – Sie gefährden damit meine ganze Stellung!«

»Das glaube ich, daß sich Baron Anspacher darüber aufgehalten hat. Der ärgert sich grün und blau, daß ich das Geschäft ohne ihn gemacht habe. Ihre Stellung gefährden? Was für eine Stellung, wenn ich fragen darf?«

»Als Mitglied der hiesigen Aristokratie, der ersten Gesellschaft!«

Stefanelly legte die Hand auf die Schulter Brennbergs. »Unsinn!« sagte er fest, die Stirn runzelnd. »Ich komme eben, um Ihnen eine Stellung in dieser Gesellschaft zu verschaffen, die Sie noch nicht haben.«

Christian schüttelte entrüstet die Hand ab.

»Herr Stefanelly, Sie gehen weit!«

»Sehr weit! Ich biete Ihnen die Stellung eines Aufsichtsrates in der Bodenerwerbungsgenossenschaft. Nun, was sagen Sie jetzt?«

Christian war überrascht. Der Titel klang verführerisch, die besten Namen führten ihn; die Warnung des Bankiers konnte ja auch wirklich dem Geschäftsneid entspringen. Anspacher ärgerte sich wohl, daß der unerfahrene alte Landjunker, kaum in der Stadt, ihm schon ins Handwerk pfuschte. Aber doch war Christians Vorsicht geweckt.

»Ich bin kein Geschäftsmann, verstehe nichts davon. Wie kommen Sie gerade auf mich?« entgegnete er verwirrt.

»Sehr einfach, Sie führen einen guten Namen.«

Christian stutzte; hatte Anspacher doch recht?

»Sie können nach außen hin auftreten, und das ist die Hauptsache in dieser Stellung, das andere mache ich.«

»Das heißt, ich soll mit meinem Namen für die Sache Reklame machen!« entgegnete Christian als gelehriger Schüler des Bankiers, mit geheimer Freude, daß er Stefanelly zeigen könne, wie er ihn durchschaue.

»Wenn Sie es so nehmen wollen, ja! Das Publikum muß immer durch Kniffe zu seinem Vorteil gezwungen werden, nur der Übervorteilung schenkt es freiwillig Gehör. Ich weiß alles; Anspacher hat Sie gegen mich aufgehetzt, hat behauptet, ich mißbrauche Ihren Namen, das sei so die Art der kleinen Leute, die rasch zu etwas kommen wollen, wie der Stefanelly – nicht wahr, so sagte er?« Und der Unternehmer las aus Christians unverhohlenem Erstaunen, daß er fast den Wortlaut getroffen hatte; er kannte seine Leute.

»Nun, wenn Sie dem Anspacher mehr Vertrauen schenken als mir,« fuhr Stefanelly im Tone des gekränkten Biedermanns fort, »mir auch recht, ich finde Dutzende Ihres Standes, die mit beiden Händen zugreifen. Das Unternehmen ist ein Bedürfnis, die ganze Stadt interessiert sich dafür, es wird nicht, es ist bereits ein großer Erfolg. Die Aktien werden, sobald sie an der Börse eingeführt sind, unter Hundertundvierzig nicht zu haben sein, Sie haben sie noch vor wenigen Wochen zum Nennwert gekauft. Wenn Sie die Stellung eines Aufsichtsrats annehmen, kann ich Ihnen noch hundert Stück verschaffen, die letzten. In einem Monat stehen sie schon auf zweihundert. Allerdings, den Herrn Baron Anspacher werden Sie dadurch nicht zum Freunde gewinnen. Wenn Ihnen daran viel liegt – ich kenne Ihr Verhältnis zu ihm nicht – dann werden Sie wohl verzichten müssen, denn Anspacher, das sage ich Ihnen – wird sich zu Tode ärgern. Ich kann Ihnen die Beweise bringen, daß er selbst um jeden Preis diese Stellung anstrebte.«

»Der Baron Anspacher?« Christian war fassungslos.

»Ja, Baron Anspacher! Hier lesen Sie!« Der Unternehmer überreichte ihm einen Brief.

Er enthielt wirklich ein Anerbieten des Bankiers, sich mit einer großen Summe bei dem Unternehmen zu beteiligen, unter der Bedingung, daß er in den Aufsichtsrat gewählt werde.

Christian empfand einen Augenblick ein lebhaftes Gefühl der Genugtuung: jetzt konnte er sich rächen an dem hochmütigen verhaßten Bankier! Es war ihm nur unklar, wie Stefanelly dazu komme, ihm den Vorzug vor dem mächtigen Börsenmann einzuräumen. Er fragte danach.

»Das Unternehmen wäre verloren, wenn Anspacher hervorragend dabei beteiligt wäre,« gab Stefanelly Auskunft. »Man mißtraut diesen Börsenfürsten, man haßt sie geradezu als die Ausbeuter des Volkes. Sie dagegen, ein Herr von Brennberg, können unmöglich in diesem Verdacht stehen. Gerade Ihre Unschuld in geschäftlicher Beziehung ist in diesem Falle Ihre Stärke.«

Christian war überzeugt, und seine Gereiztheit gegen Anspacher gab den Ausschlag. An die Stelle zu kommen, die dieser erstrebt hatte, schien ihm ein Triumph. Er fühlte plötzlich Jugendkräfte in sich aufsteigen, die Schönauer Vergangenheit lag in grauer Ferne hinter ihm, er fühlte sich ganz im Banne dieser neuen Welt, die ihm, dem Greis, noch so verlockend winkte.

Er schlug ein.

Auf den Abend war eine Versammlung der Aktionäre anberaumt, da sollte Herr von Brennberg erscheinen, um seiner Wahl entgegenzusehen; alles sei wohl vorbereitet.

Christian drückte beim Abschiede Stefanelly die Hand – der Mann meinte es doch wirklich gut mit ihm.

»Aufsichtsrat!«

In seinem Lehnstuhl sitzend, sprach er das Wort wiederholt vor sich hin. Es klang so einschmeichelnd. Kaum zwei Monate in der Stadt, und schon glaubte er klar einzusehen, was er sein ganzes Leben über in diesem Schönau versäumt hatte. Allein noch war es Zeit, noch hatte er ein gutes Stück zu leben, er wollte es der hochmütigen Gesellschaft, die jetzt wohl sich lustig machte über den ungebildeten Landjunker, schon zeigen! – Aufsichtsrat! Dabei blieb man nicht stehen – man mußte aufmerksam werden auf ihn – sein guter Name dazu – ein Finanzgenie – Finanzminister von Brennberg! »Gott, wenn ich jetzt zwanzig Jahre meines in Schönau nutzlos verträumten Lebens zurückrufen könnte!«

* * *

Die Versammlung der Aktionäre im »Hotel zum Kaiser« war stark besucht, der Saal drückend voll. Entscheidende Berichterstattung, große Pläne standen auf der Tagesordnung, vor allem galt es, den Aufsichtsrat zu wählen.

Die Männer, die hier versammelt waren, trugen alle, mit wenig Ausnahmen, ein eigentümliches Gepräge. Auf den ersten Blick erkannte man, daß sie nicht gerade dem altangesessenen Bürgertum der Stadt angehörten, noch weniger den Finanzkreisen; es waren größtenteils Gestalten, denen man eine arbeitsvolle Vergangenheit ansah, Männer, die in ihrem ganzen Äußern verrieten, daß sie erst im Begriffe waren, Städter zu werden, Emporkömmlinge, die eben Anstalt machten, sich zu den Kapitalisten zu schlagen, Leute, welche das unnatürliche, hastige Aufblühen der Stadt rasch wohlhabend gemacht hatte. Sie mußten ja eigentlich einem Unternehmen Vertrauen schenken, das nur eine logische Folge ihrer neuen verbesserten Lage war.

Weinmann saß neben Margold, welchen er wider seinen Willen mitgeschleppt hatte. Ein junger Mann in auffallend moderner Kleidung ging von Tisch zu Tisch und machte, seinen erregten Armbewegungen nach, Stimmung – es war Hans Margold.

Hans hatte sich in der kurzen Zeit zu einem vortrefflichen Agenten Stefanellys ausgebildet, und dieser hatte mit dem brauchbaren jungen Manne große Pläne.

Es herrschte eine freudig erregte Stimmung. Alle waren darin einig, Stefanelly, der Gründer, müsse der Leiter der Gesellschaft werden. Er war ihr Mann, ihm, dem glücklichen Schicksalsgenossen, dem ehemaligen Arbeiter, der sich durch seinen geweckten Geist emporgeschwungen hatte, vertrauten sie unbedingt. Sie empfanden alle die stolze Genugtuung, sich »emporgearbeitet« zu haben – daß bei den meisten das Glück, der Zufall die größte Rolle gespielt hatte, wurde nicht beachtet. Eine förmliche Gier erfüllte sie, unter der Leitung dieses Mannes aus ihrer Mitte, dem Kapital, dem sie jahrzehntelang dienstbar gewesen waren, auf seinem eigenen Boden, dem Boden der Spekulation, Schach zu bieten. Daß sie damit demselben System huldigten, gegen das sie einst gemurrt hatten, daß sie auf Kosten ihrer früheren, weniger glücklichen Genossen sich bereichern wollten, daran dachten sie nicht. Der sündhafte Reiz des tatenlosen Verdienstes hatte sie erfaßt und trieb sie rastlos weiter auf dieser Bahn.

Stefanelly ließ lange auf sich warten. Endlich erschien er, lärmend begrüßt, an seiner Seite ein hagerer Mann mit mächtigem weißem Schnurrbart. Keiner der Ihrigen! Er hielt sich in fast ängstlicher Weise an der Seite des Gründers und blickte befangen in den rauchigen menschengefüllten Raum.

Stefanelly stellte der Versammlung Herrn Baron von Brennberg-Schönau als Hauptaktionär der Gesellschaft vor.

Ein unwillig klingendes Gemurmel verbreitete sich: dieser Mann erschien als fremder Eindringling, man brauchte keinen Baron dabei.

Christian verbeugte sich; ein ängstliches Gefühl packte ihn, und er fühlte einen Augenblick, daß er ein fremdes Element in diesem Saale sei. Stefanelly bot ihm neben sich einen Platz an, und eröffnete die Versammlung.

Es handle sich vor allem um die Wahl des Aufsichtsrates. Als Gründer des vielversprechenden Unternehmens bitte er, seine Person bei derselben ganz aus der Debatte wegzulassen; seine Feinde – und er habe deren genug – würden sofort daraus Kapital schlagen und ihn einen ehrgeizigen Streber nennen.

Wilder Lärm erhob sich von allen Seiten. »Stefanelly und kein anderer!« »Sie müssen, wir zwingen Sie dazu!« »Ohne Debatte Stefanelly!« erscholl es durcheinander.

Dieser ließ die Leute austoben und fuhr dann unbeirrt fort: »Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich in den Vordergrund drängen, aber zu denjenigen, die, wenn sie einmal eine Idee erfaßt, als gesund und lebensfähig erkannt haben, mit der Zähigkeit eines Arbeiters daran fest halten.«

»Bravo! Bravo!« brauste es durch den Saal.

»Zu denen, welche es als die heiligste Pflicht des Kapitals ansehen, die Arbeit im Lande zu heben, zu stärken, zu mehren, nicht sie einseitig aus- und abzunutzen. Das sind die Ziele, welche mich bei dieser Gründung leiteten, keine persönlichen ehrgeizigen Pläne.«

»Bravo! So ist es! Es lebe die Arbeit! Stefanelly! Ohne Debatte. Stefanelly soll Vorsitzender werden!«

Eine förmliche Wut ergriff die Leute; so oft Stefanelly, sich nach allen Richtungen verbeugend, auch ansetzte, er kam nicht mehr zu Worte. Man umdrängte ihn, schüttelte ihm die Hand, allen voran drängte sich Hans Margold.

Stefanelly flehte um Ruhe, Besonnenheit, weigerte sich, zuckte die Achseln, bedauerte. Das alles erhöhte nur den Sturm. Da griff er endlich schwer aufatmend nach der Glocke – alles still!

»Nun, wenn es denn sein muß, wenn Sie durchaus mich zwingen, zwingen, sage ich – ich fühle mich ja durch Ihr Vertrauen hoch geehrt, aber –«

»Kein ›Aber‹ – Annehmen! Annehmen!« tönte es wieder.

»So nehme ich an!« schloß er rasch und plötzlich; seine geschlossenen Lippen bewegten sich nervös wie die eines Raubtieres, welches den erhaschten leckeren Bissen langsam genießen will.

Christian verschwand ganz in der ihn umtobenden Menge, der Schweiß stand ihm auf der Stirn, eine wilde Aufregung erfaßte auch ihn unter diesen erhitzten Männern; es war ein prickelndes, nie gekanntes Gefühl.

Endlich legten sich die Wogen. – Das nächste war die Wahl der weiteren Mitglieder des Aufsichtsrates. Daß sie nach diesem Auftritt ganz in den Händen Stefanellys liegen mußte, war klar.

Sein erster Vorschlag galt Herrn von Brennberg-Schönau.

Peinliche Ruhe trat ein bei der Nennung dieses vornehmen Namens.

»Herr von Brennberg-Schönau ist nicht nur der Träger eines hochgeachteten tadellosen Namens, der allgemeines Vertrauen genießen wird, sondern ganz besonders wie wir alle ein Mann der Arbeit! Jawohl, meine Herren, ein Mann der Arbeit, der von Jugend auf seine Scholle baute, selbst mitarbeitete, wenn es not tat. Wir müssen auch einen Vertreter der höheren Stände haben, wir wollen sie nicht ausschließen. Das Unternehmen muß möglichst große Ausdehnung haben, darauf ist es berechnet. Jene Kreise sollen uns einfachen Leuten, die sie verächtlich ›Emporkömmlinge‹ nennen, die großen wirtschaftlichen Vorteile zu danken haben, die aus dem Unternehmen entspringen. Wollen Sie nun lieber einen Börsianer, einen Baron Anspacher zum Beispiel, der mich um die Stellung eines Aufsichtsrates förmlich bittet, oder wollen Sie einen Mann, dessen Herz warm für Sie schlägt, der Ihr Freund ist, der, offen gesagt, in den Augen seiner Standesgenossen auch eine Art Emporkömmling ist wie wir alle –?«

Beifälliges Gemurmel. Der alte Margold, der den Herrn kennt, wird umdrängt; er weiß nur Vortreffliches von ihm zu sagen. Die Tränen stehen ihm in den Augen vor Rührung und Freude. Es war ihm bange zu Mute gewesen, als er eintrat mit Weinmann, und jetzt sah er seinen geliebten alten Herrn selbst da, und dieser sollte sogar zum Aufsichtsrat gewählt werden! – Da hatte er mit seinem Hierherkommen ja doch das Rechte getroffen, er war ein dummer, mißtrauischer Mensch, weiter nichts. –

»Bitte abzustimmen über Herrn von Brennberg,« rief Stefanelly. »Wer für ihn ist, erhebe sich!«

Kein Stuhl blieb besetzt. Um Christian drehte sich der ganze Saal, alle die Menschen. Er empfand zum ersten Male die Wollust der Volksgunst, eine heftige Liebe zu den Menschen allen, die ihm eben noch so feindselig erschienen waren. Er hätte jedem die Hand drücken mögen und ihm danken für das geschenkte Vertrauen, das zu rechtfertigen er im stillen mit der Begeisterung eines Ritters schwur, der sich zu einem Kreuzzug rüstet.

»So begrüße ich Sie, Herr von Brennberg, als Mitglied des Aufsichtsrates der Gesellschaft,« begann in feierlichem Tone Stefanelly, dem in seinem Innersten erschütterten Christian die Hand schüttelnd. »Es ist eine ehrenvolle, aber auch verantwortliche Stellung, die Entwicklungsgeschichte M . . .s wird einst Ihren Namen nennen.«

»Hoch! Hoch! Hoch!« schallte es durch den Saal. In Stefanellys Auge schimmerte sogar eine Träne, während sie über Christians Wangen unaufhaltsam strömten.

Mit zitternden Lippen, mit seiner Rührung ringend, stammelte Christian einige Worte des Dankes; kaum hatte er geendet, als aus der vor seinen feuchten Augen verschwimmenden Menge ein alter gebeugter Mann auf ihn zukam und ihm schon von weitem beide Hände entgegenstreckte.

»Gnädiger Herr, unser Herrgott gebe seinen Segen! Daß ich das noch erlebt habe! Die hohe Ehr'! Ich gratulier' halt viel tausendmal!«

Es war der alte Margold. Er wollte in seiner Bewegung Christian die Hand küssen, doch der umarmte ihn und drückte ihn an die Brust wie einen alten längst vermißten Freund. Allgemeines Hallo begleitete diese herzliche Begrüßung des einfachen Gärtnermeisters durch den Edelmann – Christian hatte mit einem Male alle Herzen gewonnen.

Die weiteren Wahlen und Verhandlungen verliefen alle rasch und glatt, es gab keinen Widerspruch, kein Bedenken gegen einen Vorschlag, den Stefanelly machte. Eine nur leise Andeutung desselben, daß eine weitere Ausgabe von Aktien notwendig sein werde, rief schon einen Beifallssturm hervor, man zeichnete sinnlos im voraus, ganze Vermögen wurden dem Unternehmer zu Füßen gelegt. Der zögerte zwar noch, sie aufzuheben, aber in seinem Buche standen sie alle pünktlich verzeichnet.

An die Sitzung knüpfte sich eine gesellige Unterhaltung. Das stärkste Band schlang sich um die Gesellschaft: der gemeinsame Vorteil; die kühnsten Hoffnungen wurden rege, man lachte über die Kurzsichtigkeit der M . . .er Bürger, die von den mißachteten Emporkömmlingen sich die reiche Frucht vorwegnehmen ließen, man lachte im geheimen über die dummen Leute, die sich um notdürftigen Erwerb den ganzen Tag in ihren Werkstätten und Geschäften herumquälten, sah mit grimmigem Behagen auf die arbeitsvolle, mühselige, glücklich überstandene Vergangenheit zurück und verglich damit die glänzende Zukunft in der Großstadt, deren Genüsse von allen Seiten zum Zugreifen einluden.

Christian fühlte sich bald heimisch unter diesen Leuten, die trotz aller Gemütlichkeit den angeborenen Respekt gegen ihn nicht außer acht ließen. Die Rolle, welche er hier spielte, war zu verschieden von der, welche ihm heute vormittag aufgedrungen war, und es kränkte ihn nur, daß ihn sein Sohn jetzt nicht sehen konnte.

Es war schon spät, als er den Heimweg antrat, wobei es der alte Margold sich nicht nehmen ließ, ihn zu begleiten. Der einstige Gärtner von Schönau fühlte sich jetzt seinem frühern Herrn bedeutend näher gerückt, trotz des neuen Titels »Aufsichtsrat«; saßen sie doch jetzt in einer Gesellschaft, hatten gleiche Interessen, waren Bürger eines Gemeinwesens. Die endlose Häuserzeile, die sie Seite an Seite hinaufschritten, bewohnten Adlige und Bürgerliche, Arme und Reiche, da war kein Herrenhaus, kein Schönau, dessen Anblick ihm, dem alten Arbeiter, schon Ehrfurcht einflößte, und auch sein ehemaliger Herr sprach jetzt mit ihm wie mit seinesgleichen.

Als Margold mit seinem ehemaligen Herrn durch die stille Nacht dahinwandelte, dachte er unwillkürlich an Bertl, an die Unterredung am letzten Abend im alten Anwesen an der Landstraße, an das Erscheinen des Herrn Theodor auf der Hochzeit des Hans bei Arnold, das doch offenbar nur Bertl galt. Gewiß dachte der alte Brennberg jetzt nach solchen Veränderungen auch ganz anders über das Verhältnis der Kinder.

Lachend erzählte er dem Freiherrn den Vorgang bei Arnold, wie der junge Herr sich so vortrefflich mit Bertl unterhalten, daß das Mädel heute noch den Kopf davon voll habe. Es sei aber auch ein Mädel zum Verlieben, er begreife selbst nicht wie er zu einem solchen Kinde komme, er habe ihr oft Unrecht getan, jetzt sehe er selbst ein, daß sie zu Besserem geboren sei, als auf der Landstraße ihr Leben zu verarbeiten; ihr zuliebe schon wolle er noch in seinen alten Tagen mit der Zeit gehen und sein Vermögen vermehren, sie sei dann ein reiches Bürgermädchen wie jedes andere, Fräulein Berta Margold, dessen sich kein Mann zu schämen habe.

Der Baron hörte schweigend zu. Ein seltsamer Gedanke kam ihm: wie, wenn er sich rächen würde an seinen hochmütigen Standesgenossen? Sie mußten sich jetzt schon rechtschaffen ärgern über seinen »Aufsichtsrat«, über seine glänzenden Aussichten. Wenn er nun auch noch seinen Sohn, den schönen, reichen, in kurzer Zeit vielleicht einmal sehr reichen Offizier, nach welchem diese hochnäsigen klugen Dämchen schon längst ihre Angeln auswarfen, plötzlich einem einfachen Bürgermädchen, einer Berta Margold zum Manne gäbe – das wäre eine Rache, ein Hohn! O, der alte Brennberg ist nicht so auf den Kopf gefallen, der alte simple Landjunker! Er sieht ganz wohl euer heimliches Augenblinzeln und Zuwinken, euer höhnisches Lächeln, er ist ein ganz pfiffiger Kopf, auch ohne Theater und Musik und Literatur und wie das Zeug alles heißt, auf das ihr euch so viel einbildet! Name – Tradition – Standesehre – pah! – er wurde ausgelacht, wenn er in diesen Kreisen nur davon redete. Geld und wieder Geld war die Losung. Der reiche neugebackene Baron Anspacher spielte die erste Violine in der Gesellschaft wie bei Hofe, und selbst diese Gesellschaft fand es ganz natürlich, daß er von seiner goldenen Höhe herabsah auf sie samt ihren alten vornehmen Wappenschildern, ihren gepanzerten und gepuderten Ahnen. Das Gefühl, sein ganzes Leben lang genarrt worden zu sein, an Dinge geglaubt, für Dinge geschwärmt zu haben, die schon längst vermodert, begraben waren, stieg heiß in Brennberg auf, während Margold sprach; mit Mühe hielt er sich zurück, dem Alten seinen Sohn geradezu anzubieten.

»Nur abwarten, Margold, und nichts übereilen,« begann er in herzlichem Tone; »daß deine Tochter ein reiches Mädchen wird, dafür werden ich und der Stefanelly jetzt sorgen, und dann steht ihr jedes Haus offen. O, wir leben in einer großen Zeit – wir hätten sie bald übersehen, eine Zeit, in der nichts mehr unmöglich ist. Ich fühle ihren Geist mich durchdringen, wie ich es nimmer für möglich gehalten hätte. Nur abwarten, Margold, abwarten!«

Der alte Gärtner wußte genug. Es schwindelte ihm zwar bei dem Gedanken – aber es war so, der Herr von Brennberg-Schönau machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß die Bertl seine Schwiegertochter werden könnte.

Sie waren mittlerweile vor dem Hause Margolds angelangt, Christian sagte ihm wie einem guten Freunde gute Nacht und lud ihn ein, ihn bald zu besuchen.

Margold starrte lange noch der hageren Gestalt nach, die bald im Dunkel verschwand, bald grell beschienen im Lichtkreise einer Laterne auftauchte, immer kleiner und kleiner, bis sie endlich ganz unerkennbar ward. – »Eine große, große Zeit« – – klang es in sein Ohr. – Aber da unten zwischen den flammenden Lichtern der endlosen Straße verschwand die alte gute Zeit – der kaffeebraune Rock, die Stiefel mit gelben Stulpen, der gnädige Herr, das alte Schönau mit dem wohlgepflegten Park, all die unvergeßlichen Stunden voll Arbeit, Treue und Liebe. – –


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