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Wieder hatten sich die guten Seedorfer geirrt. Das Gras wuchs nirgends besser als auf dem Lawinerhof, kein schöneres Vieh stand weit und breit im Stall, der Hof selbst mit seinem reichen Blumenschmuck auf den Altanen leuchtete gar freundlich heraus aus dem Grün ringsum, eher eine Segens- als eine Fluchstätte.
Ambros verließ damals frei und ledig den Sitzungssaal des Schwurgerichtes, den er unter der furchtbaren Anklage des Vatermordes betreten. Die Aussage des Sterbenden, der in dem Sohne schon bei Lebzeiten seinen Feind zu sehen gewohnt war, der denselben enterbt und vom Hof gewiesen hatte, verlor jedes Gewicht gegenüber den klaren Auseinandersetzungen Marions, betreffs ihrer Zusammenkunft mit dem Angeklagten zur fraglichen Stunde, mit welchen die Erzählung Bielas von dem Vorgange zwischen ihr und Ambros am Nachmittag des fraglichen Tages und der derselben anvertraute Zettel, welcher dem Gerichte vorlag, sich völlig deckte. Dazu kam noch, daß die Anwesenheit des Wilderers, des berüchtigten Zigarrentoni, am fraglichen Abend im Revier nachgewiesen und von Ambros zugegeben wurde, so daß über den wahren Täter kaum noch ein Zweifel sein konnte. Als verhängnisvoller Rest blieb lediglich der Zweck der Zusammenkunft des Ambros mit der Frau seines Vaters, welche für das Gericht keinen Gegenstand weiterer Verhandlung bot.
Trotz allem Sensationsgelüste waren die Seedorfer doch froh, ihr Tal von einem so himmelschreienden Verbrechen gereinigt zu wissen, und ausnahmsweise geneigt, über den fraglichen Rest den Mantel christlicher Liebe zu breiten.
Das Unrecht, das an dem armen, enterbten Ambros begangen wurde, war so groß, daß man gern bereit gewesen wäre, denselben in jeder Weise zu unterstützen, womöglich auf dem Wege des Prozesses wieder zum Lawinerhof zu verhelfen.
Doch die großmütige Regung der Seedorfer konnte nicht zur Tat werden. Ambros war über das große Wasser gegangen, ohne sich im Lawinerhof noch einmal sehen zu lassen.
Das gab den bösen Zungen neue Nahrung. Das Verhältnis mit der Stiefmutter hatte doch seine Richtigkeit. – So konnte man wenigstens im alten Haß und in der alten Verachtung gegen das eingewanderte Gesindel am Lawinerhof verharren – trotz allem sichtlichen Segen, der darauf zu ruhen schien.
Der Teufel hilft immer seinen Leuten, die Rechnung wird nicht immer im Diesseits abgeschlossen.
Das Unglaublichste war, daß die alte Bärbl nach wie vor auf dem Lawinerhof blieb und sich in den Diebstahl, begangen an ihrem einstigen Liebling und Pflegesohn Ambros, willig fügte, trotz allem, was an der Leiche des Bauern zwischen ihr und Marion vorgegangen. – Das war doch niederträchtig von der alten Betschwester.
Inmitten dieser beiden Frauen aber blühte die Biela zu einem Mädchen heran, wie es weit und breit nicht zu finden war.
Vor ihr machten alle Vorurteile, wenigstens der jungen männlichen Bevölkerung des Tales, Halt, ganz abgesehen davon, daß sie nun einmal die Erbin des schönsten Hofes war.
Wahrlich ein Ausbund von Schönheit und Lieblichkeit, und mit dem besten Willen war in ihr nichts Hexenhaftes zu entdecken, eine Eigenschaft, die sich doch eigentlich vererben müßte.
Aber sie war bei der größten Freundlichkeit völlig unnahbar, überhaupt von einer ganz anderen Art, mit der man nicht umzugehen wußte.
Sie war jetzt zwanzig, ihrem Aussehen nach aber ein fertiges Weib. – Auf was wartete sie denn noch? Woher sollte er denn kommen? Und der Hof brauchte doch endlich einmal wieder einen Mann. Verstand man es ja schon von der Lawinerin selbst nicht, daß sie nicht zu einer neuen Ehe schritt, an Bewerbern hätte es ihr so wenig gefehlt wie der Tochter, trotz allem Grauen und Gezische!
Es war ganz sonderbar. Als ob sich die Leute doch nicht so ganz sicher fühlten auf dem fremden Boden, als wenn sie nur auf dem Sprung wären, wieder zu verschwinden, wie sie einst aufgetaucht.
Einmal vor Jahren fiel ein Lichtstrahl in das den Lawinerhof umgebende Dunkel.
Der Postbote hatte es verraten, daß ein Brief aus Amerika an die Bäuerin gekommen sei mit einer Handschrift, die sicher aus dem Tale stamme – vom Ambros, kein Zweifel!
Sie wird den Hof verkaufen und drüben in dem wilden Lande, wo kein Mensch danach fragt, ihren Schatz heiraten. Aber Jahre waren schon darüber vergangen, und der Hof war noch immer nicht verkauft, nicht einmal ein Versuch war gemacht worden, und Marion saß noch immer darauf. Angebettelt wird er sie halt haben, der arme Teufel, und sie wird ihm ein Almosen geschickt haben von seiner eignen Sach'. Damit war er abgetan.
Wieder einmal war Heuernte. Neben Marion schaffte unermüdlich die Bärbl.
Sie sprach von Ambros, gewiß arbeitete er jetzt eben auch auf dem Felde.
Marion ließ den Rechen zu Boden fallen und nahm das rote Tuch ab, so schwül war ihr, so bedrückt die Brust.
Seltsam, wie sich doch alles wiederholt in dem einfachen Leben, gerade so war es damals, an dem gewissen Tag, vierzehn Jahre waren darüber vergangen, – auch die Bärbl neben ihr auf demselben Platz, und auch von Ambros fing sie an, und die Biela auch im Wald damals, um Erdbeeren zu pflücken – jetzt um nach dem Vieh zu sehen auf der Waldweide –, und wieder blieb sie so lange aus.
Ein sonderbarer Gedanke kam Marion. »Wo nur Biela so lange bleibt?« sagte sie zu Bärbl.
Die nickte nur mit dem grauen Haupte. »Mein Gott, i hab' mi' ans Wart'n längst g'wöhnt,«
Marion hatte ein eigentümliches Gefühl. Es reizte sie, dieselbe Frage zu tun wie einst, und Bärbl gab dieselbe Antwort.
»Wünsch ihn nur recht fest herbei,« sagte sie damals, »wir können alles, was wir wollen.«
Wenn das wahr wäre! Jetzt hätte sie ihren Willen nicht mehr zu fürchten wie damals.
In diesem Augenblick trat Biela aus dem Holze und kam quer herüber über die gemähte Wiese. Marion pochte das Herz. – Zu albern, als ob Biela nicht schon oft über die Wiese hergekommen wäre, als ob man nicht alle Jahre hier Ernte hätte! – Und doch, – sie konnte den Blick nicht wenden. Das Mädchen erschien ihr so erhitzt, nicht so gemessen wie sonst. Zu albern! Zu albern!
Von weitem rief sie ihr schon zu: »Wo bleibst du denn so lange, Biela?«
»Die Bleß hat sich verstiegen, Mutter!« erwiderte das Mädchen völlig gelassen, – und doch war es Marion, als ob sie ihr einen heimlichen Blick zuwarf, ihr zuwinkte mit den Augen. – Bärbl arbeitete emsig weiter.
»Hast du etwas für mich?« fragte Marion plötzlich Biela.
»Für dich? Ja, was soll ich denn für dich haben?« erwiderte das Mädchen erstaunt.
Marion wurde feuerrot. So töricht! So töricht! Die Tränen traten ihr in die Augen vor Verdruß über sich selbst. Ganz zornig wurde sie, als Biela weiter in sie drang, was sie denn wolle.
Biela ging kopfschüttelnd an die Arbeit.
Was weiß die Jugend von all den dunklen Beziehungen, Ahnungen, inneren Stimmen, die dem reifen Alter sich unabweisbar aufdrängen!
Marion aber setzte sich in einen Heuhaufen, zog einen vergilbten Brief heraus und las:
»Verlaß Dich drauf, eines Tages bin ich wieder da und halt' Nachschau, wie schon einmal, grad' so, ganz geheim, vielleicht grad', wenn Du's am wenigsten glaubst. Grüß mir die Biela! Ob sie mich vergessen hat? Muß die schön 'worden sein! Der Bärbl sag', daß ich ihr den bösen Verdacht längst verziehen habe! Das Land räumt sauber auf mit all dem bösen Zeug in der Brust. Also paß auf, sicher bist keinen Tag vor mir!«
Der Brief war ihr Trost seit sieben Jahren.
Es wäre kein Leben gewesen ohne ihn in dem kalten Hause, das nimmer ihr eigen sein konnte, das ihr fremd geblieben, wie es am ersten Tage ihres Kommens gewesen, selbst Biela zuliebe wäre kein Bleiben gewesen. Nie hatte sie den Lawinerhof als ihr Eigentum betrachtet, bei dem Gedanken daran schon war es ihr, als müsse das Blut des Lawiners über sie kommen, auch nicht als das künftige Bielas, nur seine Bewahrerin war sie, die Hüterin für den rechten Erben, ihren Lebensretter.
Sie begriff es, daß er damals, auch freigesprochen, nicht bleiben konnte. Sie sprach ihm nicht einmal zu, zu bleiben, es wäre ein freches Wagnis gewesen für beide.
– Jetzt konnte er längst getrost kommen, wie ein toller Traum lag alles hinter ihr, das heiße Herz war längst abgekühlt, und ihm ging es ja gerade so, vor sechs Jahren war der Brief schon geschrieben, da nannte er es nur mehr das alte Zeug, all das, was einst sein Verhängnis war.
Und dann – Biela stand zwischen ihnen, ihr Ebenbild von einst. Wenn sein Herz wirklich für sie geschlagen, dann mußte er Biela lieben, beim ersten Wiedersehen, – ja, er liebte sie vielleicht jetzt schon, sah nur sie, ihr verjüngtes Abbild in seinen Mannesträumen. – Und dann – dann war es ja erreicht, ihre einstige Hoffnung unter der Buche, dann war alles gelöst – Ambros wird Lawiner und Biela ist nicht mehr heimatlos.
Und sie? Was war mit ihr? Freuen wird sie sich doch dürfen an dem Glück ihres Kindes, es still mitgenießen!
Sie fühlte es – da lag etwas im Weg – etwas Dunkles, Umrißloses, und so oft sie daran stieß, tat es unsäglich weh, und es wich nicht, wich nicht. Dann war ihr Werk vollbracht, das sie sich vorgenommen, als sie vor sechzehn Jahren das Haus betreten, wenn auch anders, als sie es gedacht. Dann aber war auch ihres Bleibens nicht mehr; es war ihr immer, als müsse dann der grüne Wagen ihres Vaters wieder auftauchen auf der Landstraße, in dem sie geboren, und sie mitnehmen, fort, in die weite Welt, nach der sie sich doch im stillen so oft gesehnt. Und Biela an seiner Seite winkt ihr nach, Biela wird immer kleiner, verschwindet – –. Das Herz krampfte sich ihr zusammen, sobald sie so weit war.
Doch das war wieder einmal so ein Tag, an dem sie alles schwer nahm.
Ein Gewitter stand am Himmel, da ging es ihr gewöhnlich so. Gegen vier Uhr brach es wirklich los, mit aller Macht. Allgemeine Flucht von den Wiesen, so weit man blickte. Ein das ganze Haus mit seinem blauen Lichte füllender Blitz, ein knatternder Donnerschlag, unter dem die Wände wankten, versammelte das ganze Gesinde in der Wohnstube.
Marion erdrückte fast die Schwüle, immer wieder mußte sie nach dem Ledersofa sehen in der Ecke, es war ihr, als ob des Lawiners bleiches Antlitz aus dem schweren Schatten herausleuchtete.
Warum denn gerade heute das alles?
Biela stand am Fenster und blickte hinaus in den strömenden Regen.
»Wenn das Unwetter jemand erwischt!«
»Wen meinst du denn mit dem Jemand?« fragte Marion.
Biela sah erstaunt auf. »Aber niemand, Mutter! Es kann doch jemand unterwegs sein – wird es auch sein!«
Wieder stammte die Stube auf, knatterte der Donner.
Marion war totenbleich geworden.
»Fehlt dir was, Mutter?« fragte Biela.
Marion atmete schwer auf und riß sich das Halstuch ab. »Der Atem versagt mir – ich will hinaus –.« Sie wankte der Tür zu.
Das Unwetter hatte sich rasch ausgetobt und löste sich in wohltätigen Regen auf.
Biela ergriff die Sorge um ihre Tiere draußen auf der Waldweide. Sie nahm ihren Stock, stülpte ein grobes Tuch über den Kopf und eilte dem Walde zu.
Ein erquickender Abend folgte, das Heu duftete so stark auf den Wiesen, der Wald leuchtete im sattesten Grün, und von den Bergen rauschten und sprangen die Wasser.
Biela fehlte noch beim Abendbrot.
»Hat sich vielleicht a Stückl verlauf'n während dem Gewitt'r,« meinte die Bärbl, als Marion neue Besorgnisse äußerte. »Was soll ihr denn g'schehn sein? Als ob Räuber im Land wär'n!«
Als aber die Schatten schon herabsanken über den Hof, da hielt es Marion nicht länger.
Tiefe Dämmerung herrschte schon im Walde, nur die Stämme der Buchen leuchteten ringsum. Einer vor allen, früher stand er in enger Gemeinschaft mit Fichten und Tannen, jetzt aber war rings gelichtet, – die alte Buche, bis tief zu Boden senkte sie ihre nassen, triefenden Äste.
Magnetisch zog es sie dahin. Was doch die Phantasie vermag, eine alte, treue Erinnerung, – als ob sich was regte darunter, – eine Gestalt – der Atem stockte ihr. Vorsichtig, wie ein Jäger, trat sie auf. Es regte sich aber wirklich etwas im tiefen Schatten. Noch näher! – jetzt ging es nicht weiter – die Blöße begann – ein Mann – nicht allein – das Herz pochte – ein Geflüster. – Jetzt löste es sich, – kam auf sie zu. Ein Paar, dicht verschlungen. Wie ein Schleier zog es herauf vor ihren Augen.
»Biela!« schrie sie auf.
Da hielt das Paar erschrocken.
Sie wankte darauf zu, ein Mann mit einem schwarzen Schlapphute auf dem Kopfe, mit blondlockigem Bart, – den Arm um Bielas Nacken gelegt – Ambros!
Da lag schon Biela an ihrem Halse.
»Mutterl, er is kommen, übers Meer is er kommen. Ja, freust du dich denn nicht? Sie freut sich ja, Ambros,« wandte sie sich dann in voller Erregung an den Mann. »Sie kann es nur nicht gleich so sagen vor Überraschung, nicht wahr, Mutterl?«
Der Mann stand regungslos, er hatte den schwarzen Hut abgenommen und blickte auf Marion. Da reichte sie ihm die Hand, drückte sie fest. »Sei uns willkommen in der Heimat,« ihre Stimme zitterte aber stark.
»Die wir aufgehoben haben für ihn, nicht wahr, Mutter? Nur für ihn! Du hast's ja oft gesagt, und jetzt bist so still?«
»Wie kommt es, Ambros, daß ihr grad' unter der Buch' euch getroffen?«
Es klang ein Vorwurf aus dem dunklen, unsicheren Tone der Stimme.
»Grad' zusammengetroffen sind wir darunter, nicht wahr, Ambros?« übernahm Biela die rasche Antwort, »wir haben schon einmal das Glück. Weißt du denn auch, warum er gekommen? Mich zu holen nach Amerika, – als seine Frau!«
Über Marions Antlitz zuckte ein jäher Schmerz. »Nicht erschrecken, Mutter, es ist ja nicht sein Ernst,« tröstete Biela. Doch Marion hörte nicht mehr auf sie. »Und warum bleibst du nicht hier auf dem Hofe?« fragte sie Ambros, der noch kein Wort gesprochen.
»Ich habe drüben ein kleines Eigentum erworben.«
»Hier ist dein Eigentum, – der Lawinerhof, – niemand soll dich darin stören, verlaß dich darauf. Jetzt komm, du wirst ihn nicht schlechter finden.« Sie ging voraus, festen Schrittes.
In der Stube am offenen Fenster stand die Bärbl und horchte in die Nacht hinaus. Es war ihr selbst so seltsam zumute – und Mutter und Tochter so lange aus.
Da kam Marion herein. »Der Lawiner ist wieder da, komm ihm entgegen,« sagte sie trocken und trat in das Haus.
Bärbl verstand nicht, – aber Tritte hörte sie; noch jemand nahte aus dem Dunkel, zwei sogar. »Biela!« rief sie.
»Bin's schon, Großmutter, und noch wer.«
Die Füße zitterten Bärbl. »Noch wer, der Lawiner?« Sie wollte die Tür öffnen, entgegengehen, da ging sie schon auf – Biela – ein Mann – ein blonder, großer Mann – Ambros!
»Ja, Bärbl, der Ambros!«
Da fiel sie vor ihm nieder und umklammerte schluchzend seine Knie. »Kannst mir vergeben, Ambros?«
Er hob sie auf. »Bärbl! I bin net kommen, um zu vergelten, – um zu sühnen bin i kommen!« Ambros sah in dem alten Raume umher und atmete tief auf, dann ergriff er die beiden Hände Bielas und sah sie lange an beim Lampenscheine. »Wie du der Mutter gleich siehst, da setz' dich her!«
Er setzte sich auf die Bank vor dem großen Ahorntisch. »Bring ein' Roten und – und –« er suchte nach einem Ausdruck, »die – Marion soll kommen!« Dabei verwendete er keinen Blick von dem Mädchen an seiner Seite.
Bärbl wußte alles. Ihr altes Herz jubelte auf. Das war die einzige Lösung.
Marion kam. Jetzt begrüßte sie ihn erst herzlich, kein Zug ihres Antlitzes verriet innere Erregung. Ambros war ein schöner Mann geworden. Ein freies, arbeitsvolles Leben hatte ihn eher verjüngt, und die Rede floß ihm so leicht von den Lippen, so gar nicht lawinerisch. Und was er alles zu erzählen wußte, Buntes, Lustiges und Trauriges – und Biela hing an seinem Munde. – Er erzählte nunmehr für sie.
Marion stand auf und folgte Bärbl in die Küche.
Ambros schien es nicht zu bemerken, so lebhaft erzählte er weiter, so hing sein Blick an Biela.
Marion sah lange hinein auf das Paar. Sie sah, wie ihre Hände sich fanden, wie ihre Augen sich ganz ineinander verloren. Bärbl winkte ihr noch vom Herde aus verschmitzt zu –, dann – wußte sie selber nicht, wie es gekommen, auch Bärbl hatte es nicht beobachtet – das selige Paar fuhr erschreckt von einem dumpfen Falle auf, – draußen in der Küche.
Als Biela hinauseilte, lag die Mutter am Boden, neben dem Herde. Ihre Angst- und Hilferufe hallten durch das ganze Haus.
»Die Mutter hatte den ganzen Tag an solchem Angstgefühl gelitten,« meinte die Bärbl.
Der herbeigeeilte junge Arzt konstatierte einen lähmungsartigen Zustand des Herzens, der schon wieder in der Hebung begriffen sei, ob denn die Frau einen plötzlichen argen Schrecken erlitten?
»Im Gegenteil,« erklärte die verzweifelte Biela, »eine große Freude.«
Der Arzt lächelte selbstbewußt. Das käme wohl auf eins heraus, bis morgen sei alles wieder in Ordnung.
Eine schlimme Nacht folgte. Ambros und Biela wichen nicht von dem Lager der Kranken.
Sie phantasierte in einem fort von einem grünen Wagen, der die Landstraße herabgekommen, sie abzuholen, spielte mit Selim, dem Löwen, beschwor dem Lawiner die Unschuld seines Sohnes und sprach die seltsamsten Dinge von einer Buche.
Ambros litt unsäglich. Ihre Worte trafen ihn wie glühende Pfeile, Bilder wurden heraufbeschworen, die sein Innerstes erschütterten, und auch Biela ahnte aus dem Verworrenen die klare Wahrheit.
Am dritten Tage war es überwunden. Aus einem schweren Schlafe erwachend, rieb sie sich die Stirn, das Auge blickte nicht mehr im Fieber, sondern ruhte völlig klar auf Biela und Ambros vor ihrem Bett.
»Nur das eine sagt mir,« begann sie, »bin ich wirklich fortgewesen mit dem grünen Wagen und wieder zurückgekommen – oder – oder –?«
»Fortgewesen bist du, weit, weit fort – wohin kein grüner Wagen fährt,« erklärte Ambros, ihre Hand fassend, »und jetzt bist du wieder da und bleibst da bei deinen Kindern, die dich nimmer fortlassen, und wenn alle grünen Wagen der Welt kämen, dich zu holen.«
Da knieten sie beide vor ihr, Biela und Ambros, wie sie es tausendmal gesehen in ihren Gedanken, – und das arme, kranke Herz zuckte nicht mehr auf in jähem Schmerz – gerade ein bißchen schneller ging es, und das machte die Lieb' und die Freud'. Es war überwunden. Segnend legte sie die Hände auf die Scheitel ihrer Kinder. Die Lösung war geschehen, der Lawiner selber hätte sich's nicht besser denken können.
Die Nachricht von der Rückkehr des Ambros und seiner Verlobung mit Biela erregte ungeteilte Freude. Daß es da noch einmal was Besonderes absetzen würde, war jedem klar. Aber das Besondere ließ man sich schon gefallen.
Der Amerikaner, wie der Ambros sofort getauft wurde, ließ sich vortrefflich an und brachte einen neuen Geist in das Tal, welcher seinem Spitznamen nur Ehre machte.
Neues Leben ging aus vom Lawinerhof, ein neuer, kräftiger Stamm, der jetzt das ganze Tal beherrscht.
Auf der Sölden, an der Stelle, an welcher Ambros die Fremde aus dem Schnee gegraben, steht eine Denktafel. Der ganze Vorgang ist darauf in kindlich-naiver Weise abgebildet, darunter die Jahreszahl 12. Januar 1854, von den dankbaren Kindern und Enkeln errichtet zum ewigen Gedächtnis, an Ambros Enmoser, zum Lawiner. O Wanderer, schließ ihn und die er hier gerettet, ein in dein fromm' Gebet.