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Elftes Kapitel

Das war ein großer Tag für Zell. Die Baronin Burgl zog mit ihrem Mann auf dem Jägerbauernhof ein, den der Alte zur allgemeinen Überraschung in aller Form seiner Tochter übergeben. Wie das nur so kam? Man konnte sich den rüstigen Jägerbauern gar nicht als Austragler denken.

Darüber gingen seit langem die verschiedensten Gerüchte, aus denen man nicht recht klug wurde, von einer schweren Krankheit, die der Baron überstanden, von allerhand Unglück, das ihm seinen neuen Wohnsitz im Österreichischen verleidet, zumal sickerte auch die Wahrheit durch, aber was verstand man in Zell von Sequestration, oder gar von den Sünden der Großstadt? Die Hauptsache war, Zell hatte seinen Baron und seine Baronin, so gut wie München seinen König, wie Wien seinen Kaiser, und das macht immer ein Ansehen und bringt Geld unter die Leute. Daß sie die frühere Dorfgenossin war, erhöhte nur den Wert. So konnte man mit Recht darauf stolz sein.

Weißblaue Fahnen wehten von allen Dächern, eine förmliche Via triumphalis führte zum Jägerbauernhof hinauf, der im Festschmuck prangte, von den Höhen tönten die Böller, als der Wagen einfuhr, der Bürgermeister mit dem Gemeindekollegium war zur Begrüßung da. Ein kleines, weißgekleidetes Mädchen, ein Sollacherenkel, überreichte der Baronin einen prächtigen Strauß.

Grad a bißl einbroch'n sah er aus, der Baron, gar nimm'r so gamsig wie früh'r. Fast daß er grob worden wär'. Wie er denn zu der Ehr' kam, so empfang'n z'werd'n, der für Zell a noch net das G'ringste g'leistet hab', er gebe sie ganz und gar seiner Gattin ab, der Besitzerin des Jägerbauernhofes, der sie allein zukam. Er bat nur, ihn als den Ihrigen zu betrachten, der seine neue Heimat nie mehr verlassen wolle, nie mehr! Es klang wie ein heißer Schwur, den er in die Hand des Bürgermeisters ablegte.

Es wurde jubelnd aufgenommen, die Böller knallten dazu auf den Höhen, und jeder Schuß weckte in ihm alte liebe Erinnerungen an frohe Weidmannsstunden, wie das Echo von Berg zu Berg rollte, weit hinein in die Täler und wieder zurück, und wie die weißblauen Fahnen in der frischen Bergluft wehten, und all die gesundheitsstrotzenden Burschen und Dirndln ringsum. Es war ein Bild kraftvoller Lebensfreude, wie er es seit Jahren nicht mehr geschaut, und die alten Weidgenossen, der Sollacher mit den scharfen Blauaugen, der Graßl, gebeugt und krummbeinig wie altes Latschenholz, der Förster, der Mann von der Marie, jetzt ein Hünenmann mit rotem Vollbart. Ringsum bekannte Gesichter, der Loisl, der ihm einmal einen erlegten Gamsbock aus einer schiachen Wand herausgeholt, und der Maxl, sein Hahnverluser, und der Peter, Obmann der Treiber, und wer ist denn das? Das krumme Manderl mit dem ehrwürdigen weißen Kranzl um den Kahlkopf, der am Stock sich daherschleppt, sein altes Lederkapperl demütig in der Hand? – Der Vent! Weiß Gott, der Vent!

Da kam Schönau doch das Naß in die Augen, er zog fast ärgerlich die Hand zurück, die ihm der Alte küssen wollte, und klopfte ihm auf die Schulter, wie einem alten Freund, – die Worte blieben ihm im Munde stecken. Mit Musik ging es dann hinauf dem Hofe zu, das ließen sich die Zeller nicht nehmen.

Schönau hielt Burgls Hand fest, es war ihm, als kämen sie schnurgerade aus der Kirche nach der Trauung, gerade der Flori, der jetzt vorauseilte, dem Großvater entgegen, wies auf die Gegenwart.

Und sie begrüßten beide die geliebten Berge wie nach langer, schmerzlicher Trennung. Das war der Miesing, der trutzige, immer noch weiße, und dort links über dem schwarzen Wald hob der Wendelstein sein bleiches Haupt in unendlicher Klarheit – und wieder ein paar Schritt weiter, da wies ihm Burgl die zerklüfteten Wände des Wennebrand, und als ob es absichtlich geschehen, spielte die Musik dazu einen alten Jugendmarsch.

Da war's um ihn getan, die Erinnerung war zu mächtig, und doch durchschüttelte sie ihn heilsam, eine wilde Sehnsucht erwachte jäh in ihm nach dieser, von ihm schmählich verlassenen Welt, nach den saftigen hirschweiden und Gamstriften, nach Weidmannslust und frommem Naturgenießen. Es lag noch mehr, tausendmal mehr darin, als er herausgeschöpft. Das will er jetzt hereinbringen, um jeden Tropfen geizend.

Jetzt war man vor dem Jägerbauernhof angekommen. Unter der Schwelle stand der Bauer, auf seinen Enkelknaben Flori gestützt. Es war, als ob er das absichtlich täte, um es allen Leuten zu zeigen, das ist mein Vollender, aus dem sich das Geschlecht der Jägerbauern weiterentwickeln soll in fernen Zeiten.

Vergebens unterdrückte er seine Bewegung, die weißen Schnurrbartenden zitterten in Erregung, als er Schönau entgegentrat. »Hat's dich doch wied'r hertrag'n,« er reichte ihm die Hand, »ja, die Zell laßt kein'n mehr aus, alle komm'ns wied'r, die g'meint hab'n, drauß müßt's bess'r sein. A Schloß is er net, der Jägerbauernhof, aber a dankbar'r Grund, der nix verlangt, als a bißl a Lieb. Wenn du noch eine über hast für ihn, nacher bist willkomm'n, und der Herrgott segne dein Eingang.«

Die geraden Worte packten Schönau, er mußte an die schwulstigen Worte denken, die über ihn vor wenig Wochen sich ergossen. Er hatte sie noch reichlich über, die Liebe, von der der Alte sprach, und schwur sich zu, ihr treu zu bleiben.

Am Abend war es, als hätte er nur geträumt von einem Schloß, von der Großstadt, vom Rennplatz, von einem »Cäsar« –

Das junge Jägervolk feierte seine Rückkehr, keiner fehlte, die Frau Försterin spielte wieder die Zither und sang wieder das Lied vom Spielhahn, der alte Sollacher erzählte wieder die alten Jagdgeschichten, die schon unzählige Male gehörten, Pulverdampf füllte mit dem Tabaksqualm um die Wette die Stube, die Burgl mit kleiner Nachhilfe aus der Stadt gar wohnlich ausgestattet. An den Wänden hingen die Trophäen von einst, aus einem Ehrenplatz der Zwölfer vom Wennebrand und Gamskrucken und Rehgeweihe, aus dem Schrank von geflammtem Ahornholz blitzten die Büchsen, die er einst geführt.

Die Tafel aber war ganz herrisch gedeckt, mit feinstem Linnen und Silberbesteck, und der alte Diener von Lungau, in grüner Livree mit der Krone am Kragen, trug die Knödl und das Lüngerl auf, das Leibessen des Alten.

Ganz andächtig setzte man sich auf die Lederstühle. Der Vater bekam den Ehrensitz in dem breiten Klubsessel, den Burgl herausgebracht. Schönau sollte nichts missen, sich nicht die Komödie eines Bauern aufgedrängt sehen, wie er vielleicht fürchtete. Er erkannte darin die feinsinnige Hand Burgls, die ihm den Übergang so recht verständnisinnig erleichtern wollte, und dankte ihr für jedes Stück, als ob er es als Geschenk von ihr empfangen hätte.

Jetzt ging ein Wohlbehagen von ihm aus, das die Zwischenzeit ganz vergessen ließ. So saß man auch beisammen, wenn die Hirschbrunft vorüber, die hohe Zeit der Jägerei, wo man sich die lustigen Abenteuer alle erzählt, Patzerei und Pech und Weidmannsheil.

Da ließ sich plötzlich der Graßl hören, hinten auf der Ofenbank, der um keinen Preis sich an die noblichte Tafel gesetzt.

»Wia war's jetzt, Herr Baron, im Westerberg falzat no a Hahn hübsch guat, hoch war's net außi, aber glei' müaßt's sei', die Buach'n schlag'n scho' aus. Plack' ma's frisch an, glei' morg'n.«

Dem Graßl fuhr neues Leben in die Glieder. »Grad daß i Ihna no' amal führ'n derfat.«

Das klang wie ein Trompetenstoß, bei dem alle Pferde die Ohren spitzen, für Schönau, als ob ein neuer Saft in ihm aufstieg. »Abgemacht, Graßl, um drei Uhr holst mich.« Die alte Lust kam über ihn.

Mit allgemeinem Jubel begrüßte man seinen Entschluß, Burgl machte keine Einrede, wer weiß, für was es gut ist, ein solcher Frühlingsgang im Bergwald konnte Wunder wirken. Jetzt war es aber die höchste Zeit, die Sitzung aufzuheben.

Der Auerhahn ist ein Gedicht, wer es einmal mit ganzer Seele erfaßt, wird es nimmermehr vergessen.

Alle Jagdarten haben ihren Reiz. Der Falz im dämmernden Moor, wenn der Sonnenball sich hinter dem zarten Frühling der Birken erhebt, von tausend Vogelstimmen begrüßt. Die Frühbirsch im sommerlichen Buchenwald, wenn er wie eine rote Flamme hinter seinem zarten Liebling dahinjagt, der Gang auf den schreienden Hirsch und den brunftigen Gamsbock im Hochgebirge, so gut wie die Feldjagd im Schweiße des Angesichtes, wenn es fröhlich knallt auf allen Seiten, aber das gehört alles dem banalen Leben an, der realen Wirklichkeit, – anders der Gang auf den »großen Hahn«, in ahnungsvoller Frühlingsnacht.

Da öffnet sich dem Adepten das geheimnisvolle Zwischenreich von Sein und Werden, und Schönau gehörte zu den Adepten. Ihm war nie der Schuß, die Leute das Wichtigste, sondern immer die Mise en scène, die Entwicklung des großen Dramas.

Jetzt kam es wie Andacht über ihn, als er mit Graßl das Haus verließ, und er sprach kein Wort, um den Zauber ganz auf sich wirken zu lassen.

Ein stiller Morgen war es, jene Stille, die tausend Stimmen hat, Sterne ganze Heere, die ihre Strahlen wie blitzende Klingen kreuzen vor ihrem nahen Erlöschen. Das Dorf schläft noch, die Nacht hüllt es noch in ihren weichen Mantel.

Das Waldgebirge nahm die Jäger auf. Wasser rauschte, irgendwo ein leiser Wind, kaum ein Hauch, belebte die Luft. Der kleine Lichtstern von Graßls Laterne zitterte vor ihnen her, weiße Stämme leuchten aus, aus dem feuchten Wege krochen goldbetupfte Salamander, einer saß auf einem morschen Strunk und glotzte Schönau an.

Die Kindheit nahte sich ihm auf leichten Sohlen, das Märchen wurde lebendig! Er hatte ein Krönchen aus dem Kopse, er sah es genau, und sein kleines Herz schlug so groß. Jetzt sprach er sogar: Zertritt mich nicht, du Häßlicher, Dummer, Ungefüger. Ich bin doch ein König, siehst du nicht das Krönchen auf meinem Kopfe, ihr beugt euch doch vor Kronen. –

Schönau wich ihm sorgfältig aus, und der König aus dem präsumtiven Throne öffnete ihm sein geheimnisvolles Reich, und er sah, wie er schon lange nicht mehr gesehen. Ein rindenloser Baumstrunk leuchtete und flimmerte ihm schon von weitem entgegen, ein zarter, bläulicher Schimmer webte darum. Er trat näher, der bläuliche Schimmer verschwand, ein großes Loch saß in dem Faulholz, da leuchtete es heraus. Es krabbelte und prickelte hinaus und herein, winzige Fünkchen dazwischen. –

Jetzt war es aber höchste Zeit, und Graßl pressierte, da war auch bereits der Platz zum »Auslusen«. Er saß schon ein dutzendmal darauf, aber nie war ihm das Herz so voll, als ob der ganze Wald ringsum den Abtrünnigen willkommen hieße. Der Morgenstern stand jetzt allein, gerade über einer schlanken Fichte, deren Wipfel ihn fast berührte.

Ein Schnakler ertönte von oben.

»Könn'ns Ihna erinnern an den ›Romanischen‹, wie's ihn g'heiß'n hab'n? Der is wohl a Enkelkind davo'?« meinte Graßl.

Er falzte oben auf der Schneid', Schlag für Schlag. – Graßl mahnte zum Ausbruch. Es ist noch ein weiter Weg, und der Morgen zieht schon ganz leise in den Wald.

Die Schläge schwollen an, überhasteten sich, dann das konvulsivische Zischen und Wetzen der höchsten Leidenschaft.

Da heißt es schon Vorsicht. Der Friede der Empfindung wich in Schönau der alten erwachenden Leidenschaft, fast war es ihm leid darum.

Aber jetzt erblickte er den Hahn auf einem weit herausragenden Fichtenast, von dem sich purpurn färbenden Firmament sich abhebend.

Der Jäger nahm wieder ganz Besitz von ihm. – –

Blitz und Knall, – schwer aufschlagend stürzt er herab, der kühne Werber, und eine kindliche, restlose Freude, als ob er vor seinem ersten Hahn stände und wie er sie schon lange nicht mehr empfunden, zog ein in Schönaus Herz.

Er gab sich ganz der Lust hin, für die er sich schon verdorben hielt durch alle erdenklichen Nervenreize der letzten Jahre.

Der Hahn am Boden war für ihn jetzt mehr als bloße Beute, er gab ihm den Glauben wieder an sich selbst und die Klare Erkenntnis der Irrwege, die er gegangen, aus der Jagd nach einem vermeintlichen Glück.

»No also!« meinte der Graßl, dem Herrn nach alter Sitte gratulierend, »'s geht ja no'. Glei' ganz anders schaun's jetzt aus. Sie san halt a Jäger, und das laßt net aus. Jetzt lass'ns erst die Gamsböck wieder roglert werd'n, und die Hirsch schrein aus'm Wennebrand, nacher spuck'ns aus die ganze Welt.«

Schönau mußte lachen über den ehrlichen Alten, aber in seinem Innersten gab er ihm recht.

Das war eine prächtige Heimkehr durch die duftigen Auen, und Burgl kam ihm schon von weitem mit dem Flori entgegen.

Sein frohes Antlitz sagte ihnen alles. Schweigend vor Glück zogen sie dem Hofe zu, während Flori sich auf den Hahn stürzte und sich von Graßl alles erzählen ließ.

»Das wird amal ganz der Richtige,« meinte der Alte, »den bringt's amal a um a G'schloß net weg von der Zell, das sag i euch glei'.«

Für Burgl und ihren Gatten klang es wie eine schmerzliche Mahnung aus diesen Worten, die sie aus ihrem Freudentraum ritz.

Schönau fühlte, daß er nicht verharren darf darin, daß ihm noch die schwere Verpflichtung obliege, Flori zum Ziele zu führen, und das konnte nur auf Schloß Lungau gelingen, für das er jetzt wieder, von einer gesunden Lust umweht, von neuem zur Erkenntnis gelangt, welch tiefer Wert im angestammten Grund und Boden liege, eine neue, bisher fremde Liebe empfand, wie ein Vater für ein durch eigene Schuld verloren gegangenes Kind, das zurückzugewinnen sein höchstes Streben war.

Nachdem Schönau auf eine ihm dem Gesetze nach zustehende Rente verzichtet hatte, entschlossen, den Jägerbauernhof nicht zu verlassen, der bei bescheidener Lebensführung genügend Unterhalt bot, so war es der von Lehdorf neueingesetzten Verwaltung ein leichtes, bei gewissenhafter Geschäftsführung der Gläubigermasse jährlich eine bedeutende Abschlagssumme zu übermitteln, so daß nach genauer Verrechnung längstens in zehn Jahren Lungau wieder freigegeben werden konnte. Um aber Flori gewissermaßen selbst an dem Rettungswerk zu beteiligen, und ihm damit die Liebe für den Grund und Boden einzupflanzen, auf dem er einst Wurzel schlagen sollte, reifte jetzt ein fester Plan in ihm, der durch die Worte Graßls nur gekräftigt wurde.

Das Unglück schien sich an Schönau erschöpft zu haben, nachdem es ihm gründliche Lehren gegeben, daß nie und nimmer im Genuß allein Befriedigung wohnen könne.

Und Burgl zeigte ihm ganz sacht – er nahm es kaum wahr, daß von ihr die Anregung kam – auch hier einen Ausweg.

Der Stall des Jägerbauern war ein Muster für die ganze Gegend. Miesbach-Simmentalerschlag, edelste Rasse, rationellste Pflege, das war der Grundsatz des Alten. Und doch ging er nicht mehr mit der Zeit und war wohl noch zu steigern.

Da faßte Burgl ihn. Warum sollte es weniger vornehm sein, edles Vieh zu züchten, das tausendfältigen, rationelleren Nutzen bringt, als ein ganzes Vermögen kostende Luxuspferde. Die höchsten Herrn, vom Königshause selber, machen einen Sport daraus.

Schönau mußte ihr recht geben, und einmal der Sache sich annehmend, mit Züchteraugen verfolgend, gewann er schnell Lust daran und erkannte rasch das Fehlende.

Daß nicht der alte Spielertrieb sich in ihm regte, dafür war Burgl da. Die gesteigerte Anforderung an den Stall bedingte die intensivste Ausnutzung des Grundes, mit der sich folgerichtig das ganze Gut hob.

Kurz, nach wenigen Jahren erhob sich da oben eine Musterwirtschaft, von der bisher Zell keine Ahnung hatte, und das ganze Dorf mußte nach. Jetzt war es vorbei mit allem Neid und aller Mißgunst. Allerdings blieb die Baronin Burgl die Veranlasserin dieser einschneidenden Änderung in der Gemeinde, das wollte man sich nicht nehmen lassen, und der Baron machte auch keinen Versuch, an dem Glauben zu rühren.

Der Graßl hatte ganz recht damals vor dem ersten Hahn: Wart's nur ab, bis d' Gams roglert werd'n, und die Hirsch schrein auf'm Wennebrand, nachher spuckst auf die ganze Welt!

Jetzt konnte er ja erst frei genießen, nach redlich gemeinsamer Arbeit mit Burgl. Er hatte die Einsicht gewonnen, daß es nicht auf die Größe des Arbeitsfeldes ankommt, auch nicht auf den lauten Lärm, der davon ausgeht, sondern lediglich auf die innere Befriedigung, die man dabei findet.

Der Jägerbauer aber schaute nur kopfschüttelnd zu. Gefallen tut's ihm ja, aber das ärgerte gerade seinen starren Bauernsinn, indem er einsah, daß er nicht mehr mittun könne. Schließlich mußte er doch zugeben, daß es seinem geliebten Boden zugute kam.

Eines Tages kam auf wiederholte Einladung Burgls die Baronin-Witwe von Lungau, von dem sie sich nicht trennen konnte, noch immer die Hand in der Wirtschaft. Sie brachte gute Nachrichten vom Gute, das sich unter der neuen Verwaltung und Fürsorge Lehdorfs erhalten, – und noch eine Überraschung, ihre Tochter Margit! Sie hatte sich prächtig ausgewachsen, ganz Schönaublut. Franz hatte seine helle Freude daran. Etwas beunruhigte ihn, ihre ersten Worte galten Flori, der mit Lehdorf einmal auf ein paar Tage aus der Stadt gekommen. Die alte Jugendfreundschaft sei wieder durchgebrochen. Sie erzählte von Ritten, die sie mit ihm gemacht, wie gut sie sich zusammen vertragen, und als sie davon sprach, daß der Graf ihr mitgeteilt hätte, in ein paar Jahren käme Flori ganz nach Lungau, Landwirtschaft zu praktizieren, geriet sie in helles Feuer und meinte, ob das nicht jetzt schon möglich sei.

Da wurde er doch stutzig. Der Plan Lehdorfs war ja auch der seine, sie waren beide zugleich daraus gekommen. Jetzt sah er ihn plötzlich gekreuzt. Er witterte eine Gefahr. Die beiden interessierten sich offenbar füreinander, – wenn daraus bei ihrer Jugend eine Liebe sich entwickelte! Schönausches Blut miteinander vermischt, abgesehen von der nahen Verwandtschaft, – das war eine neue Sorge, der schwer zu begegnen war.

Immer wieder war Lungau sein Verhängnis, Wie glücklich würde er jetzt sein, wenn er Flori zum Jägerbauern erziehen könnte.

Als aber bald nach der Ankunft der Baronin-Witwe und ihrer Tochter Flori aus einige Tage aus Besuch kam, da vergaß er wieder alle Sorge und freute sich mit Burgl des frischen jungen Menschenpaares.

Flori wuchs sich noch immer mehr auf den Großvater hinaus, und seine schlichte, kindliche Art, die gewisse bäuerliche Schwere, die er von diesem übernommen, schienen ihm doch wenig zu dem feinnervigen, aristokratischen Wesen zu passen, als daß sich daraus eine ernstliche Liebe entwickeln konnte. So brachte er es nicht über sich, ihre kindliche Unbefangenheit durch irgendwelches Eingreifen zu stören. Sie wird wohl längst einen anderen geeigneteren Bewerber gefunden haben, bis Flori so weit ist.

Die Gegenwart war zu schön, er fühlte seine zweite Genesung zu energisch fortschreiten, als daß er sich solcher Befürchtung weiter hingeben oder gar die, wie es schien, völlig Arglosen in diesen Ideenkreis hineinziehen sollte, über die jetzt eine neue Jugend gekommen.

*

Jahre friedvollen Glücks waren darüber vergangen. Der Jägerbauernhof war zum richtigen Rittergut geworden, und alle Tage konnte man jetzt den Baron in einem feschen Zeugl, in seiner geliebten »Kurzen«, den richtigen Wachler aus dem Hute, den Bergen zufahren sehen.

Das war der bescheidene Rest seiner früheren großen Ambitionen auf dem Gebiete des Sportes, und man hatte seine Freude daran. Jetzt war der Baron erst fertig, den man sich nicht mehr nehmen lassen wollte; und erst wenn die Burgl daneben saß, dann war das der Stolz aller Zeller.

Wenn ihm auch schon das Haar ergraut, so war er doch noch immer die aufrechte, sehnige Jägergestalt, ohne die man sich Zell gar nicht denken konnte.

Nur der alte Bauer fügte sich schwer in die neuen Verhältnisse, denen er mit seiner starren Art nicht mehr folgen konnte. Das ging ihm alles zu schnell. »A richtig'r Sägprügl braucht a sein' Zeit, bis er heranwachst, und das schnellwüchsige Zeug bedeut' nix.« Das war nun einmal sein unabänderlicher Glaube, an dem er nicht biegen und deuteln ließ. Wenn er jetzt nach alter Gewohnheit an seinem Stock mit dem Hirschhorngriff hinaushinkte aus die Felder, um ihr Wachstum zu prüfen, dann stieß er oft genug zornig den Stock in den weichen Boden, wie um zu prüfen, ob er noch der alte sei. Die Mähmaschine war ihm ein Gräuel, er hielt sich die Ohren zu vor ihrem Geklapper, und im Stall meinte er: »Das is ja gar kein Stall mehr, das is ja a Salon, da müass'n d' Küah ja ganz verdraht werd'n.«

Vergebens schnupperte er in die Luft nach dem heimlichen Dunst, den er von Jugend auf hier gewohnt war; sogar die Fliegenschwärme vermißte er, über die er früher selbst geflucht und gewettert.

Mit der Jagd ging's längst nicht mehr, und das ewige tatenlose Herumhumpeln paßte ihm schon auch nicht mehr, obwohl Burgl alles tat, ihn den Austrag nie fühlen lassen.

Nur eine Freude hatte er mehr im Leben, seinen Enkelbuben, den Flori! Der war ganz nach seinem Herzen. Er sah mit scharfem Blick sein Blut darin, wohl über das des Vaters, und das erfüllte ihn geradezu mit schadenfroher Freude und ließ seine Liebe zu ihm ins Maßlose gedeihen; um so größer war wieder der Schmerz bei dem Gedanken, daß der Flori für ihn doch eigentlich als Erbe von Lungau verloren war.

Das war für ihn ein eisernes Gesetz, an dem er nicht rütteln konnte, ja, die in ihm wurzelnde Ehrfurcht für Grund und Boden bestimmte ihn sogar, den Buben immer wieder an seine heilige Verpflichtung zu mahnen, die er übernommen.

»Der Lungauer Boden schreit nach dir, ja, schreit nach dir, das is net anders, und unser Herrgott selber will's net anders. Es gibt nix Heiligeres als den Boden, der dir g'hört.« Dabei stieß er den Stock wie ein Schwert vor sich hin, in lebhafter Erregung. »Was 's a sag'n und schreib'n mög'n dageg'n. Aus ihm wachst unsre Kraft, alle Schneid'. So hab'n ma's g'halt'n in unsern liab'n Bayernlandl, und unser Herrgott gib, daß 's net anders wird.« Es lag ein so felsenfester Glauben in seinen Worten, daß Flori ganz in ihrem Bann stand. Er schwor sich heilige Tide, das Gesetz des Großvaters hochzuhalten sein Leben lang.

Seit einem Jahre war er schon als Praktikant in Lungau und hatte es selbst schon lieb gewonnen. Ja, der Großvater hatte schon recht, der Boden schrie nach ihm. Jetzt vernahm er ihn deutlich, wenn er im Frühling über die köstlichen Duft ausströmenden Ackerschollen ging.

Aber dieses Einziehen des fruchtschweren Erdgeruches hatte noch eine andere Wirkung. Oft kehrte er wie betäubt davon in das Schloß zurück, und ganz neue, nie gekannte Gefühle rangen sich in ihm los, drückende, beängstigende, nach irgend etwas Unbekanntem, Drängendem. – – Es gab nur ein Wesen, das ihn davon befreien konnte – – Margit!

Ihre bloße Gegenwart genügte schon, da kam immer wieder die alte Ruhe über ihn, ein Glück, das er jetzt erst zu verstehen anfing. Sie lachte nur über seine Erzählung vom Erdgeruch, der ihn ganz taumlich mache, er solle doch einmal darüber nachdenken, ob der Grund nicht anderswo läge. Leide sie doch auch oft an fliegenden Hitzen und habe von dem Erdgeruch noch nie etwas gemerkt. Aber er bestand darauf, daß dieser allein diese geradezu schmerzhafte Unrast in ihm hervorrufe. Das sehe er schon daraus, daß dieselbe sofort von ihm weiche, wenn er zu Hause in ihrer Gesellschaft sich befand.

Margit machte ein ganz bedenkliches Gesicht zu dieser Erklärung und meinte, bei ihr sei es gerade umgekehrt. Er sei es, der ihr den roten Kopf mache mit seinem Aberglauben, der sie so zum Widerspruch reize.

Der Mutter entging der Vorgang längst nicht mehr, und sie war in schwerem Zweifel, ob sie den Dingen ihren Lauf lassen oder energisch eingreifen sollte. Die Mutter in ihr riet zum ersteren. Flori erschien ihr in seiner glücklichen Blutmischung als der beste Schwiegersohn, den sie sich nur wünschen konnte, die nahe Verwandtschaft erschien ihr gerade bei der grundsätzlichen Verschiedenheit dieser beiden Naturen nicht so bedenklich, – anderseits aber wollte sie um keinen Preis gewissermaßen als die Förderin eines Verhältnisses erscheinen, das ihrem Schwager vielleicht nicht wünschenswert erschien.

So gab sie sich alle Mühe, wenigstens vor der Hand jeden Ausbruch einer wirklichen Leidenschaft bei den jungen Leuten durch Fernhaltung möglichst zu verhindern, bis vielleicht von selbst von irgendeiner Seite Klärung eintrat.

Daß sie damit das leise aufglühende Feuer in den jungen Herzen nur künstlich zur Flamme anblies, ahnte sie nicht, nachdem ihr eigenes Leben ihr das Wesen der Liebe nie enthüllt.

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