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Das Tal, das sich so reizvoll zwischen Wald und Fels hindurchwindet mit seinen fetten Wiesen, von der quellklaren Leitzach durchströmt, seinen stattlichen Gehöften, stößt bei einer plötzlichen Biegung, vom Wanderer ganz unerwartet, auf starr aufstrebendes Gewänd. Dicht darunter liegt das Grenzdorf Zell in behäbiger, selbstbewußter Einsamkeit. Als ob sich hier alle Vorzüge und Schwächen des bayerischen Stammes aufgestaut, gerade so. Wohlgepflügtes Land, aus dem unvermittelt das graue Gestein sich erhebt, schmucke, behäbige Höfe, zähe Seßhaftigkeit verratend mit ihren trutzigen Steinmauern, welche den Besitz umgeben, etwas Feindliches, auf sich selbst Gestelltes im Ansehen.
Die Männer derb und knochig, mit scharf geschnittenen Köpfen, wie sie nur Jahrhunderte hindurch geübte Freiheit bildet, aber in den Augen etwas Verschmitztes, Mißtrauisches, nicht nur dem Fremden, sondern auch dem Talgenossen gegenüber, das einsamen Menschen oft zu eigen.
Das weibliche Geschlecht sichtlich zurück gegen das männliche, ganz im Banne der Kirche, die ihren grünen Spitzturm über alle Gehöfte erhebt, während das goldene Andreaskreuz weithin leuchtend sich von den weißen Wänden abhebt, in die es hinein ragt.
Das Vieh schwer und massig, von jenem zarten Chamois mit weiß, das der Stolz des Bauern ist, der lieber auf ein paar Liter Milch verzichtet, als von der modischen Farbe abgeht. Die Kinder sauber, größtenteils schwarzhaarig und dunkeläugig, romanischen Einschlag verratend, aber scheu wie die Katzen und nichts weniger als zutunlich.
Der Himmel aber die Hälfte des Jahres grau, im Winter Schnee in Massen, im Sommer und Herbst viel Nebel und Regen, dazwischen einzelne Tage voll Pracht und Sonnenschein, von denen die Glücklichen, die sie erraten, draußen in der Welt Wunderdinge erzählen und Zell nicht genug empfehlen können als den lieblichsten Ort Bayerns. Und das ist er auch, für den wenigstens, der Jäger ist und das Glück hat, dort freie Jagd üben zu können.
In Zell oder vielmehr »in der Zell« wird alles nach der Jagd abgeschätzt, von ihrem Standpunkt aus betrachtet. Die Kinder singen vom Gamsei im G'wänd vom »schwarzen Jaga«. Die Burschen und die Dirndln, kaum aus der Feiertagsschule, schnakeln und platteln mit jedem Spielhahn um die Wette, die jungen Männer feiern ihre hohe Zeit ein paar Wochen hindurch, wenn im Herbst das große Gejaid losgeht und der Treiberdienst Abwechslung bringt in die Einförmigkeit ihres Lebens. Zur rechten Zeit grast auch einer ein bißl ausseits, der sich gar nicht beherrschen kann, aber selten soweit, daß ihm die Rückkehr abgeschnitten ist, sondern daß gerade ein bißl Renommieren bleibt im Wirtshaus und vor den Dirndln und die schöne Erinnerung, wenn's nicht gleich so kommt, daß man noch in den herzoglichen Dienst genommen wird als wohlbestellter Jagdgehilfe, eine Ehre, die oft der reichste Bauernsohn nicht zurückweist.
Die Alten schwelgen in der Erinnerung, die überfüllt ist von Jagdbildern und dramatischen Begebenheiten aus der Wildbahn. Kurz, die Jagd wurzelt hier fest im Volksbewußtsein, und wer daran rütteln wollte, der hätte es mit den Zellern zu tun.
Die Jagd trug eine schöne Pacht, warf reichliche Arbeitslöhne ab für das ganze Jahr und, was den Zellern noch mehr galt, führte seit einem Jahrhundert und darüber die allerhöchsten Herren herein, einst den allgeliebten König selbst, der seine Huld über das ganze Tal ergoß, jetzt einen Herzog aus dem hohen angestammten Haus der Wittelsbacher – »a Jaga, wia's koan zweit'n net auftrifft, und dabei ausg'rechnat a no a berühmt'r Dokt'r, der sei' Hilf dem Ärmst'n net versagt! Gel, da schaugst!«
Wer wollte unter diesen Umständen noch an Eigenjagd, Pachterhöhung, Wildschaden und andere kleinliche Nörgeleien denken, die den hohen Herrn gar vergrämen könnten? Wohl regte sich dann und wann unter der Jugend ein auflehnerischer Geist, der aus dem fremden Samen aufgegangen, den der Westwind aus dem flachen Lande hereinblies, aber damit war es wieder rasch vorbei, und wehe dem, der es zu weit getrieben hätte mit dem Revolutionieren. Das gibt's in der Zell einfach net!
Hoch oben auf einem Graskegel, in seiner hellbraunen Holzfarbe sich warm abhebend von den schlohweißen Wänden des »Troad'n«, lag, ganz Zell beherrschend, wie eine Burg guten, alten Bauerntums, der Jägerbauernhof mit seinen feingegliederten Altanen, den künstlerisch empfundenen Verhältnissen des Dachstuhles und den barocken Heiligen, die den Hauswänden buntes Leben verliehen, aus der besten Zeit des sogenannten Klosterstiles, der hier zu Lande noch seine letzten Blüten treibt.
Hier hausten die Jägerbauern seit Jahrhunderten, stolz und abgeschlossen wie ein altes Adelsgeschlecht, und der Herr gab ihnen reichlichen Kindersegen. Doch das änderte nichts an der Einheit des Besitzes. Die Jägerbauern gingen unter ihrem eigentlichen Namen Veltner in die Welt hinaus, d. h. was man in Zell die Welt nennt, die Ebene draußen. Alles war für sie gut genug, das ärmlichste Gütl, die Holzknechtstube oder irgendein Gewerk, wenn nur der Älteste, der »Jägerbauer«, auf dem Hof sitzen bleiben konnte, ohne ihn mit Hypotheken zu beschweren. Die Härte, die in diesem System lag, kam längst niemand mehr zum Bewußtsein. Die andern machten es, wenn möglich, gerade so, dafür waren aber auch die Zeller die reichsten Bauern weit und breit und hielten sich die kleinen Leute vom Leibe.
Der jetzt regierende Jägerbauer aber hatte, abweichend von seinen Ahnen, nur ein Kind und noch dazu eine Tochter, man hätte meinen können, zu seinem Verdruß. Dem war jedoch nicht so, denn die »Burgl« war zu einer Dirn herangewachsen, in die der ganze kraftvolle Bauerngeist früherer Generationen hineingefahren; grad' a bißl gar zu herrisch für den Alten, der doch auch noch mitreden wollte. Nur die kohlschwarzen Augen und Haare, wie der Bernsteinton der Haut gehörten eigentlich über die Grenze, ins Welsche; mit den Zeller Schönheitsbegriffen deckten sie sich nicht vollständig, auch war sie zu schlank und zu wenig ausgebaut in der Hüfte. Ein »sperr's Leut'«, das die jungen Zeller gar nicht besonders reizte, wär's nicht der Hof gewesen, ihr künftiges Erbe, der in die Augen stach. Da kannte man aber die Burgl verdammt wenig, sie gab's mit ihrem strengen Hochmut redlich zurück, und der Alte hatte seine Freude daran, war ihm ohnehin augenblicklich keiner gut genug in der Zell, und von einem »Draußigen« wollte er überhaupt nichts wissen, grad so gut hätte er seine Tochter einem Chinesen gegeben, wie er sich ausdrückte.
Bayern reichte für ihn überhaupt nur von den Wänden des »Troad'n« bis zum Aurachköpfl, zwei Wegstunden von der Zell. Das Wort »Deutschland« entlockte ihn nur ein spöttisches Lächeln, er kroch davor förmlich zurück, wie die Schnecke in ihr Haus.
So war die Burgl ihm geblieben, obwohl sie schon 24 Jahre zählte. Und es war ihm recht so. Es gab keine bessere Wirtschafterin weit und breit, die ganze Gemeinde war ihm neidig darum. Haus und Stall und Alm gedieh unter ihrer Hand. Der Bauer hatte sich nur seinen Wald vorbehalten, da durfte ihm kein Mensch dreinreden, das war sein Stolz, das Rückgrat seines ganzen Besitzes.
Nur einen Haken hatte es mit der Burgl, die Jägerei steckte ihr immer im Kopf. Und daran war niemand schuld als der alte Graßl, der Jagdgehilfe, der seit 30 Jahren im Jägerbauernhof wohnte und gewissermaßen vom Vater schon übernommen wurde. Als kleines Dirndl war sie ihm schon immer nachgelaufen ins Revier. Der Vater war überhaupt nix gegen den alten Jagdteufel. Erst hatte er seinen Spaß daran, war er doch selber »Reisjäger«, ein Ehrenamt, gewöhnlich vom Herzog an die ersten Gemeindemitglieder verliehen, das zum Abschuß von Wildbret und Raubzeug berechtigte, und wenn die hohen Herrschaften kamen, da mußte immer die Burgl dabei sein, sei's, daß sie die Frau Herzogin führte oder bei der Mittagsrast für Speis' und Trank sorgte.
Zuletzt wurde aber die Sache dem Jägerbauern doch bedenklich, so eine noblichte Leidenschaft taugt nicht für eine Bauerntochter, grad daß ihr der Kopf verdreht wird »von die Herrn Cavalier«. Der Jägerbauer war überhaupt kein rechter Freund der Jägerei, er sah in ihr eine beständige Gefahr für das Bauerntum und war der hitzigste Gegner aller derer, die es wagten, an eigene Gemeindejagd auch nur zu denken. Das war für ihn Fürstenrecht, sein gnädiger Herr, der Herzog, für den er durchs Feuer gegangen wäre, der einzig berechtigte Jagdherr, nur sein Mädl soll man ihm in Ruh' lassen!
Sie war einmal ein bißl zu hoch 'naus von Kind auf, 's schönste G'wand möcht's hab'n und 's feinste Wagerl aus der Stadt, mit einem Sitz vorn dran, wie's sein Lebtag für ein' Bauern sich net schickt. Und schon gar kein' Bescheidenheit; mit die Exzellenzen und Gräfinnen und Baroninnen diskuriert 's so ungeniert wie mit die Bauersleut', und mit dem Herzog grad Schnaxen machen; gar kein' Ehrerbietigkeit halt.
Wo soll's naus, wo soll der Mann herg'nomm'n werd'n für das verwöhnte Leut'? Stellte er sie zur Rede darüber, lachte sie ihm gerade ins Gesicht, ob er denn net einsäh', daß die Welt eine andere geworden, seit er jung war. »Was Graf, was Bauer, damit nimmt man's nimmer so g'nau,' grad was einer vorstellt, weiß und kann, das gilt heutzutag'. Haltst du di' schlecht'r auf dein' freien Hof herob'n, als so eine Exzellenz oder so ein Barönerl mit dem Glasl im Aug'? Geh' weit'r, das glaubst ja selb'r net.«
Der Jägerbauer schüttelte nur den Kopf über diese neuen Ideen, die sich bereits am Troad'n seine Wänd' ihre Schädl anstießen; im Innersten gab er ihr recht, hatte er doch selber immer ähnlich gedacht trotz aller Loyalität. So kamen sie immer wieder zusammen, Vater und Tochter, der Grund unter ihren Füßen war das verbindende Element.
Im Dorf aber galt sie als die Hoffart selbst, und wenn sie am Sonntag in strotzender Pracht des Halsschmuckes und G'schnür's, knisternd von starrer Seide, mit den schweren Goldborten aus dem schmucken Zellerhütl in die Kirche kam, da räusperte sich und rückte alles, und es war gerade nicht immer Schmeichelhaftes, was ihr Ohr traf. Sie aber freute sich nur über alle die Neidkragen und drehte den nächsten Sonntag womöglich noch mehr auf. Während sie so zum förmlichen Ärgernis für die Gemeinde wurde, erzwang sie sich doch einen gewissen Respekt bei jung und alt, über den man sich selbst nicht Rechenschaft geben konnte. Wo will's denn eigentlich hinaus, das närrische Ding? Der Jägerbauernhof braucht doch einmal einen neuen Herrn, woher soll er denn kommen, der ganz B'sondre, wenn ihr kein Zeller gut genug war? Das soll's auch noch probieren, einen Auswärtigen sich hereinholen. Man munkelte schon etwas von einem reichen Posthalterssohn vom nächsten Marktplatz, der soll nachher die Zeller kennen lernen.
Einmal war er schon da und hatte sich den Hof angesehen, grad als ob er ihn kaufen wollte. Ein bildsauberer Mensch, nob'l an'zog'n, ganz jagerisch, den größten Gamsbart auf dem Hütl, ganz herrisch halt und, da der Verkauf des Hofes ganz ausgeschlossen war, konnte es sich nur um die Burgl handeln. Würde etwas daraus, setzte sich der Mensch auf den Jägerbauernhof, wie es zu erwarten war, dann war dies eine Beleidigung für die ganze Gemeinde und ihr oberstes Gesetz, keinen Fremden hereinzulassen, auf immer durchbrochen.
Man hätte sich wohl ärger darüber erregt und wohl direkt an den Jägerbauern gewendet, wenn nicht eine Zeit angebrochen wäre, in der für Zell überhaupt alle Interessen schwiegen, die Zeit der Herzogswoche, die nun einmal nach altem Herkommen zu den Festzeiten gerechnet wurde, so gut wie Weihnachten und Ostern.
Die Erregung ging vom Försterhaus aus, auf einer Anhöhe dicht unter dem Jägerbauernhaus gelegen, hier herrschte der Förster <i>Sollacher</i> aus dem altberühmten Förstergeschlecht, das sich der höchsten Gunst des königlichen Hauses erfreute – der berühmteste, der <i>Sollacher Maxl</i>!
Von der Stunde an, in der der Postbote das herzogliche Schreiben, den Beginn der Jagd betreffend, brachte, wehte die weißblaue Fahne vom Hausgiebel. Das wußte jedermann im Dorf.
Er selber aber strich sich seine zwei schlohweißen Bartfahnen links und rechts zurecht und begann seine strengen Orders auszugeben, die das ganze Dorf in Bewegung setzten. Da waren die Steige im Revier auszubessern, die Bögen neu einzuteilen, je nach der guten oder schlechten Erfahrung des Vorjahres, die Treiber an Ort und Stelle einzuexerzieren, den Jagdgehilfen ihr Dienst anzuweisen, damit möglichst genauer Bericht über den Wildstand einlief. Dabei versäumte er nicht, sich von allem selbst zu überzeugen, jeden Stand zu visitieren, jeden Bogen zu umkreisen und sich den Kopf zu zerbrechen, wie und wo vielleicht eine Verbesserung anzubringen wäre gegen das Vorjahr.
Dabei war der Jägerbauer als Reisjäger seit seinem Amtsantritt vor zwanzig Jahren sein treuer Begleiter, dem sich gewöhnlich die Burgl anschloß, während das Sollacher Reserl, ihre intimste und einzige Freundin, im Hause vollauf zu tun hatte, um alles für den hohen Gast vorzubereiten, der mit seiner Gemahlin und dem engsten Hofhalt das Försterhaus bewohnte, während die Herren Kavaliere in den Bauernhäusern untergebracht waren, eine Ehre, die von altersher wie irgend eine Hypothek auf den Häusern lag und nicht so mir nichts dir nichts erworben werden konnte.
Selbstverständlich, daß auch der Jägerbauernhof mit einem Kavalier bedacht war, und zwar immer mit einem Ausgesuchten, der dem Herzog am nächsten stand oder sich durch besonderen Rang auszeichnete. –
Es war ein prächtiger Augustmorgen, als der Förster Sollacher mit seinem Adjutanten, dem Jägerbauern, der Burgl, dem Jagdgehilfen Graßl und dem Anführer der Treiber, Loisl Graswang, das Dorf durchschritt, um auf den »Seeberg«, das Herz des Revieres, zu gelangen.
Es roch überall nach frischen Farben, und der friedliche Morgen hallte vom Gezimmer und Gerassel. Jedes Kavalierhaus wurde auf den Glanz hergerichtet, Daxkränze wurden über den Fenstern befestigt, die Pforten geschmückt; auf dem Kirchplatz, da, wo der Weg zum Forsthaus abbiegt, wurde der Triumphbogen mit dem königlichen Wappen aufgerichtet, das bereits wiederholten Gebrauch verriet. »Königliche Hoheit uns hochwillkommen sei! Es lebe die edle Jägerei!« stand darunter.
Der Förster ging von Haus zu Haus, um nach dem Quartier der Gäste zu sehen. Da war der Gloo, ein mächtiger Mann, der, die grüne Hausmütze mit der Spielhahnfeder im Genick, vor seinem stattlichen Hause stand und dem Kommenden aus einem unförmlichen Porzellankopf entgegenqualmte. Es sprach starke Erregung aus dem puterroten, feisten Gesichte.
»No, bin i gar nimm'r guat g'nua für deine Exzellenz, weil's mir 'hn g'nomma habt's, oder hab' i was vertan? Nur grad raus, Herr Forstner, i könnt a ganz drauf verzicht'n, wenn's grad sein müaßt.«
Der Förster kam nicht zur Antwort, so stürzte die Glooin aus dem Stall heraus, zwischen ihn und ihren Mann. »Ganz richti', halt di' nur ein, Vater, die Exzellenz war immer z'fried'n mit uns, und 's Bett hat ihm so viel taugt, und d'Marie erst, all's hat's ihm aber a von die Aug'n abg'les'n, das gute Madl, die wird schau'n. No i dank, die ganze Jagerei freut mi nimm'r.«
»Stad bist, Alte, laß den Förster red'n,« meinte der Gloo.
»Ja freili', du – du laßt dir ja 's letzte Körndl a noch wegpick'n – du – du –.«
»Aber ihr sollt's ja hab'n, eu'r Exzellenz,« machte jetzt der Förster dem Wortschwall ein Ende. »Grad daß's heuer a bißl magerer ausfallt, und auf das werd's euch a net ankomma.« Er zog einen Brief aus der Tasche und las daraus: »S. Exzellenz der Herr Finanzminister von Bering, bisher im Jägerbauernhaus, kommt heuer zum Gloo. Exzellenz Geheimrat von Wittich, bisher beim Gloo, ist im Forsthaus unterzubringen –«
»Aha, so? –,« zischte die Glooin hervor, die Arme eingestemmt. »Und wer käm denn nacher auf den Jägerbauernhof, der König selber gar oder der Kaiser?«
»Das wirst nachher schon seh'n, i tua grad, was das Hofmarschallamt befiehlt, – und fehlen darf gar nix. Was glaubt's ihr denn – Finanzminister! Der kann euch glei' a neue Steuer aufschnall'n für's nächste Jahr.«
»Sakra, hörst, Alte?« mahnte der Gloo, »wenn 's do' a Exzellenz is, der oberste Finanzer is a net schlecht, soll si' nix fehl'n, Herr Förster.«
Der war froh, so leichten Kaufs davongekommen zu sein; die Glooin war zu fürchten.
Im übrigen blieb's bei den alten Quartieren und die Runde war rasch gemacht; nur daß bei der näheren Besichtigung schon wieder die Burgl dabei sein mußte, gewissermaßen als maßgebende Kritik für den Förster, das machte wieder böses Blut, und sie mußte allerhand höhnische Bemerkungen darüber in den Kauf nehmen, gleichviel, ob sie das Quartier lobte oder was auszusetzen hatte.
Endlich war die Runde gemacht, und man schritt dem Seeberge zu. Erst in dessen dämmerigen Hallen von uralten Fichten und Tannen rückte der Jägerbauer mit der Frage heraus, die ihn schon lange drückte: »Was für einen krieg' denn nachher i?«
»An ganz Besondern halt, den Jugendspezl vom Herrn Herzog,« erklärte der Förster, »Baron Schönau heißt er, Husarenoffizier war er im Österreichischen drinn. Ganz das Rechte hat's net damit, was i so hör', arg viel Schuld'n soll er halt g'macht hab'n, nacher hat 'hn der Herzog sozusag'n ausg'löst, wia's halt geht bei die hoh'n Herrn – –«
»Das paßt mir nur halbat, was da sagst. Da war mir mei' alte Exzellenz scho' liab'r g'west. Schuld'n mach'n, das hass' i, so einer g'hört net auf den Jägerbauernhof; heißt er jetzt, wia er mag.«
»Geh', daß i lach',« mischte sich jetzt die Burgl drein. »Was kümmern uns die Schuld'n von so ein', das kann der beste Mensch sein weg'n dem, a bißl lebfrisch'r wia die alte Exzellenz, das könnt ja gar net schad'n. Husar, sagst, war er?« wandte sie sich dann an den Förster. »Das san ja d' schönst'n Leut' im Österreichischen, das hab' i mir sag'n lass'n.«
»Ja, ja, Burgl, nimm' di' nur in acht, die haben's glei' mit der Attack', die Husaren.« Der Förster drohte ihr lachend mit dem Finger.
»Das gang mir grad no' ab,« entgegnete Burgl mit schon wieder erwachendem Trotz. »Da könnt' er was erleb'n, der Husar!« Sie machte eine nicht mißzuverstehende Handbewegung dazu.
»O mei, Förster, die –,« brummte der Bauer. »Das könnt' einer sein, wia er möcht', guat g'nua war er nia net, das is ja, was mi' no' ins Grab bringt.«
»I glaub' gar, du willst mi' mit dem Husar'n –?«
»G'schwätz dumm's,« herrschte der Bauer sie an. »Du weißt scho', wia i's mein', schweig mir davo', sonst nimmt's mir den Atem.« Er ging wirklich schwer wie unter einer Last. Der Förster, ein guter Sechziger, sah ganz jung aus dagegen.
Die Stände begannen. Da mußte aus alle Nüancen des Alters, der gesellschaftlichen Stellung und weiß Gott auf was alles Rücksicht genommen werden. Der eine war weit-, der andere kurzsichtig. Es gab ausgemachte Patzer, an die ein guter Stand verloren wäre, und Kilometerschützen, denen man nicht ein zu großes Schußfeld einräumen durfte, Schießer, die jede Kitzgeiß niederknallten und Weidmänner, denen nur das beste Stück gut genug war.
Die ersten Stände, noch im Hochwald, waren für die alten Herren bestimmt, die sich dort, alljährlich eingeladen, förmlich eingerichtet hatten. Auf dem ersten Stand, für Exzellenz Graf Wittich, lag noch ein Dutzend abgeschossene Patronen, und das Wurzelwerk einer alten Buche war zu einem förmlichen Liegestuhl hergerichtet.
»Da soll er wieder sein Schlaferl halt'n,« meinte der Förster, »die Gams weck'n 'hn scho', wenn 's daherrasseln, aber 's Wildbret kennt 'hn scho' und schleicht stad vorbei, – muaß ja a was überbleib'n.«
Der zweite und dritte Stand waren schon versprechender. Sie lagen bereits mitten in den Wänden des Seebergs. So schweigsam man jetzt auch aufwärts stieg, dann und wann ertönte doch schon der Gamspfiff, und herabrieselndes Steingeröll sprach von flüchtigen Schalen.
Jetzt wurde es immer steiler und felsiger, der Seeberg ließ sich nicht spotten, trutzige Wände, wohin man blickte, ausgewaschene steinige Gräben. Während die Männer immer langsamer stiegen, fand Burgl immer noch Zeit genug, ihr grünes Hütl mit Edelweiß und mit verspätet an feuchten, schattigen Stellen blühendem Almrausch zu schmücken.
Der Herzogsstand war ideal. Die Wände fielen aus allen Seiten zu einem Kessel ab, in den rings die Gamssteige mündeten; man konnte das Wild aus den Lüften herunterholen wie einen Vogel, oder sich aus dem Rudel, das aus dem Zwangswechsel durch den Kessel flüchtet, den besten Bock heraussuchen.
»Und wenn sein Nachbar ob'n z' fruah schiaßt,« meinte der alte Graßl, »nachher kommt der Hoheit samt dem koan Stückl, all's geht neb'n 'naus.«
»Darum kommt der Husar auf den nächsten Stand,« erklärte der Förster.
Der Graßl kratzte sich den Kopf unter dem Hütl: »Sakra, sakra, des kann guat wer'n – Sach' kommt ihm g'nug.«
»Herzoglicher Befehl, da is die Schul aus,« erwiderte der Förster.
Man setzte den Weg fort; quer durch die Wände lief ein schmaler Steig. Burgl kletterte jetzt selbst wie eine Gemse voraus. Es war kein Spaß zu machen, jeder Tritt zu überlegen, keine Latsche, kein Grasl zum Einhalten.
»Wenn er's nur dermacht,« meinte der Graßl, »der beste Reiter is no' lang kein Steiger.«
»Da schau' die Burgl an.« Der Förster wies hinauf.
Dort stand Burgl schon auf dem Stand mitten im Gewänd und winkte herab mit ihrem Almrosenstrauß.
»Ja d' Burgl, d' Burgl und so a Barönerl –«
»Wart's do' ab, das Barönerl, alter Grantler,« bemerkte ärgerlich der Förster.
Man war glücklich oben. Der Förster kannte den Stand. Schoß der Schütze zu voreilig, ehe das Wild in den Kessel gestiegen, so schlug es aller Berechnung nach um, und der Herzog bekam kein Stück zu sehen. Die Treiber mußten eben oben etwas zurückbleiben und unten vordrücken; der ganze Plan wurde sorgfältig erwogen.
»Da werd' i glei' seh'n, ob er a Jäger is oder nur a Schießer, der Husar,« meinte der Förster, »g'wöhnli' nehmen sie's net so g'nau, die Herrn Offizier', und hübsch a Windiger wird er scho' sein.«
»Laßt 'hn do' komm'n, eh's herfallt's über ihn,« bemerkte die Burgl ganz ärgerlich, »daß er aufs Geld net so schaut, des g'fallt mir grad an ihm.«
»Das is guat, so red't a Bauerntochter,« erwiderte der Jägerbauer.
Der Stand wurde gerichtet, ein bequemer Sitz aus Steinen zusammengetragen. Der Förster erklärte dem Rottenführer genau, an welchen Stellen die Treiber in den Kessel steigen mußten.
»Und daß kein Unglück net g'schieht, es geht hübsch schiach her. Wenn der Trieb aus is, führt den Herrn einer aus den Kitzlahnerstand, bei der großen Feucht'n, weißt schon', Holzmeist'r.«
Man stieg weiter dem letzten Stand zu, den ein junger Prinz einnehmen sollte. Burgl aber blieb etwas zurück. Sie polsterte den Steinsitz mit Lanengras und steckte in die Ritzen sämtliche Edelweißsterne, die sie beim Aufstieg gepflückt.
Der junge Mann tat ihr leid. Wohl einmal ein reicher Herr, im Überfluß aufgewachsen, Baron auch noch dazu, und jetzt in Schand' und Armut, von der Gnade des Herzogs abhängig, und, eh' man ihn g'seh'n hat, schon kritisch ang'schaut und verurteilt. Weiß Gott, was er hat leid'n müss'n, jung halt und halt a bißl leichtsinnig. Mein Gott, bis morg'n weiß es 's ganze Vors, und all's wird ihn drum anschau'n, aber sie net – extra net –.
Sie steckte den letzten Stern in das Moos, »der wird schau'n!« und legte noch einen Almrauschstrauß darauf, dann stieg sie den Männern nach.
Auf der Jägerbauernalm, in deren wild zerklüfteten Kessel die südseitigen Wände des Seebergs abfielen, hielt man Mittagsrast.
Hier herrschte seit 20 Jahren der alte Schweizer Vent, der mit dem Jägerbauern aufgewachsen war und gewissermaßen zum Hause gehörte. Er war in der Jägerei wohl bewandert und der gewissenhafteste Berichterstatter des Försters über alle Vorgänge im Almgebiet. Er meldete den ersten schreienden Hirsch, der im Herbst in den Almwald zog, wußte den Stand eines jeden guten Gamsbockes und war schon im Februar auf den Beinen, um die Auerhähne des ganzen Almgebiets zu verlosen. Er war ein ausgemachter Weiberverächter, der sich das ganze Geschlecht sorgfältig vom Halse hielt, gleichviel, ob es sich um Almerische oder eine Herrische handelte. Das trieb er so stark, daß die Jägerbauernalm verschrien war als ungastlich, und man lieber einen Umweg machte, um auf den Kamm zu gelangen.
Das taugte gerade dem Jägerbauern und noch mehr dem Förster, der dadurch das Revier vor jeder Beunruhigung bewahrt sah. Bei seinen Kollegen aber im ganzen Revier hieß er nur der »Dirndlfress'r«.
Nur eine machte eine Ausnahme, das war die Burgl, die er als junger Knecht aus dem Jägerbauernhof auf seinen Knien geschaukelt, an der er hing mit väterlicher Liebe. »Das is gar kein Weibets, die Burgl,« pflegte er zu sagen, »weiß der Teuf'l, wie's da zuganga is, aber unser Herrgott kann a' amol irr'n.«
So humpelte er ihr auch jetzt mit seinem krummen Fuß von weitem schon entgegen und nahm gar keine Notiz von seinem Brotherrn und dem Förster, bevor er ihr nicht die Hand gedrückt. Und die Burgl, die mit dem Vater so wortkarg war, war wie ausgewechselt und überschüttete ihn mit Nachrichten aus dem Tal.
Dann aber rückte der Vent mit seinem Kaffeegeschirr heraus, rot und grün geblümt, wischte jede Tasse noch extra mit seiner schmutzigen Schürze aus, trug frische Butter und Brot auf und gaukelte um die Herdflamme herum wie ein alter Gnom, den seine Märchenprinzessin besucht. Die alte Hütte, in deren rußigen Wänden die Flamme sich spiegelte, vollendete das Bild. Bald aber zog Kaffeeduft durch den engen Raum, den die bärtigen Männer füllten.
»Guat wird er, der Seeberg heuer, wirst seh'n, Förster. Gams ganze Schar'n, sakrische Böck dabei, und auf zwoa Zehner und a paar richtige Acht'r schwör' i. Grad, daß den oberst'n Stand richti' besetz'st, i moan, von an richtig'n Jaga, der a was anschau'n kann, sonst is der Herzogsstand koan Grosch'n wert, das weiß i. Wen stellst denn nachher hin? I kenn's ja alle die Herrn.«
»Aber den net,« erklärte der Förster. »Das is a Neuer, a Husar aus Wean.«
Der Vent machte einen drolligen Hopser. »Au weh – Militärisch'r, die san alle hitzi'. A Jung'r gar, – wie heißt er denn nacher?«
»Baron Schönau, heißt er.«
»Was sagst, Schönau, Baron Schönau?« fragte der Alte im Ausdruck des höchsten Erstaunens und sichtlicher Freude. »Ja, das war ja gar mein früherer Herr, dem Schönau von Lungau sein' Sohn. Franzl heißt er, gel? Ja, freili' Franzl! Der is ja zu die Österreich'r gang'n. Jessas, der Franzl, wenn i'hn als ganz kloan kennt hab', den Franzl, ja, ja, der is scho' a bißl a leicht'r, aber liab, koan liaberen Buab'n hab' i g'seh'n mei Lebtag – und der soll komma der Franzl? Zum alt'n Vent? Ja, ja, der is scho' der Franzl, er wird halt g'hört hab'n, daß sein alt'r Vent da is, wenn i Schweizer war an die zwanzig Jahr bei sein' Vatern, und der Bua aufg'wachs'n is bei mir auf der Alm.«
Der alte Vent war ganz närrisch vor Freud. »Leut', nix Liaberes gibt's aus der ganz'n Welt als den Franzl, – mein' Franzl –«
»Aber a leichtsinnig's Tuach muaß er sein,« meinte der Förster, »dein Franzl, Schuld'n ganze Berg. Die Uniform hat er auszieh'n müass'n, gerad daß sich der Herzog no seiner ang'nomm'n hat –«
»Was kümmern mich seine Schuld'n und sein' Uniform, 's Herz hat er do' am recht'n Fleck, und das is d' Hauptsach'. Mei' Burgl, laß dir nur nix einred'n, der wird dir anders g'fall'n, an den können's alle net hin, die Graf'n und Exzellenz'n. Das wird der Herzog a wiss'n, und desweg'n hat er 'hn a komm'n lass'n. Und a Jaga als Bübl scho', – red' mir nix über 'n Franzl, sonst werd' i heiß.«
Der Alte konnte sich nicht erholen von seiner Überraschung, er humpelte ganz kopflos umher, griff nach dem und dem, als ob er jetzt schon die Hütte für den Empfang seines geliebten Franzl herrichten müßte.
Burgl freute sich in ihrem Innern, sie hatte sich nun einmal, warum wußte sie selbst nicht, auf die Partei des Franzl gestellt, und freute sich jetzt erst recht, seinen Stand mit Edelweiß ausgeschmückt zu haben.
»Hat mich g'freut von dir, Vent,« erklärte Burgl, ehe man zur Heimkehr aufbrach, »daß du den arm'n Mensch'n so die Stang' g'halt'n hast. I werd's ihm schon sag'n, dein' Franzl.«
»Schau, Förster,« meinte der Jägerbauer, »so san d' Weiberleut', grad a bißl liederlich muß einer sein, nachher lauf'ns ihm alle nach. Aber so a alter Mensch wie der Vent, der sein ganz's Leb'n hart hat arbeit'n müss'n, daß der no' so ein G'fall'n findt an so an leichtsinnig'n Spritz'r, der all' sein' Sach' vertan hat und sich nachher vom Herzog abfind'n laßt, versteh' i net. Aber no du bist a Knecht, und i bin a Bauer, mi' kümmert kein Husar und kein Baron, i schau' grad aufs Mannsbild, und des g'fallt mir net, was i hör; und wenn die Burgl a bißl an Stolz hat, nachher geht's ihr grad a so, das hoff' i wenigstens.«
Burgl wechselte einen Blick des Einverständnisses mit dem Senn. Die Voreingenommenheit des Vaters reizte sie nur, das Urteil des Vent schien ihr jetzt viel treffender, und das Bild des jungen Mannes nahm in ihrer Phantasie immer klarere Formen an. Das ganze Jahr unter dem mühsamen feindseligen Volk, bei dem strengen, mürrischen Vater, wird sie sich doch einmal auf einen Menschen freuen dürfen, der die Welt a bißl lustiger anschaut, als man hier zu Tal gewohnt ist.
Als sie todmüde am Abend heimkehrte, begann sie schon das Zimmer für den Gast herzurichten, und die Urschl, die Dirn, mußte ihr helfen. Da war das Bett, das von jeher die Gäste des Herzogs aufnehmen mußte, nicht gut genug, ihr eigenes mußte an seine Stelle, und ein Spiegel und das Kanapee aus der guten Stube, auf dem der Vater sein Mittagsschläferl zu halten gewohnt war; dann ging's noch zum Försterhaus, um das Reserl aufzusuchen, die Jugendfreundin, und ihr von dem Husaren zu erzählen, was sie vom Vent erfahren.
Reserl, eine weichere Natur als Burgl, weinte die hellen Tränen über den armen jungen Mann, und zuletzt schloß man in der lauen Augustnacht einen förmlichen Bund, in dem man sich verpflichtete, dem Gast alle Aufmerksamkeiten zu erweisen. Das Reserl war schon ganz verliebt in den herrlichen Franzl, während Burgl mehr der Trotz gegen die feindseligen Mannsleute bewegte, die mit ihrem engen Begriff von der Welt albern den jungen Mann schon verurteilten, ehe sie ihn nur gesehen.
Sie mußte über Reserl lachen. Da war sie gerade die Rechte, sich in einen Kavalier zu vergaffen, dazu hatte sie doch ein zu gesundes Bauernblut in den Adern.