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1. Ein Schurkenstreich.

Auf und an dem Hamburger Hafen herrschte das Treiben des Alltags. Ein Durcheinander von Lastwagen, Packträgern, schottischen Karren, Matrosen und Beamten auf dem Quai, ein Durcheinander von Schleppdampfern, Booten, Schuten, Ewern, Motorfahrzeugen auf dem Wasser, Lärm, Geschrei, das dumpfe Heulen der Nebelhörner, die Pfeifen der kleineren Fahrzeuge, das fortwährende Rasseln der in steter Bewegung befindlichen Krahnketten und das unaufhörliche Rauschen der steigenden Flut, bildete das ohrenbetäubende Konzert zu dem bewegten Bilde, über welchem ein Parfüm von Kohlendunst, Rauch, Thrangeruch und Fischgestank lag.

Von der St.-Pauli-Landungsbrücke nach dem Sandthorquai hinab ging langsamen Schrittes ein junger Mann. Die Hände in den Taschen seines Jacketts vergraben, den Kopf gesenkt, schlenderte er langsam neben dem Eisengeländer der Hafeneinfassung entlang, zuweilen seinen Blick nach den auf dem Wasser kreuzenden Dampffähren richtend, zuweilen eins der am Hafen verankerten Seglerschiffe musternd. Sein Wuchs war hoch und schlank, sein Gesicht, das einen energischen Ausdruck zeigte, nicht unschön, aber ein wenig verwildert, Haar und Bart waren ungepflegt, wie denn die ganze Erscheinung ein wenig den Stempel des Heruntergekommenen trug. Die Stiefel waren schlecht geputzt, und der einst elegante Anzug abgetragen und fadenscheinig.

Am Kehrwieder blieb er stehen und blickte träumend ins Wasser. Er achtete nicht der Dampffähre, welche jetzt am Höfft anlegte und ihre Fahrgäste, die Passagiere eines großen Westindienfahrers, der vor zwei Stunden eingelaufen war und am Amerikaquai angelegt hatte, dort absetzte. Geschäftig und lärmend verabschiedeten sich die Reisegenossen voneinander und eilten, nach dieser oder jener Richtung zu, die breiten Steintreppen hinauf, die vom Höfft nach dem Quai führen.

Ohne einen Blick auf das Treiben zu werfen, starrte der am Geländer Lehnende ins Wasser, etwas ganz anderes als Neugier beschäftigte ihn – er hatte Hunger.

Eine Stimme hinter ihm weckte ihn aus seinem Brüten; er wandte sich um. Es war ein Gepäckträger, der, einen großen Koffer auf der Schulter, hinter ihm stand und an ihn die Frage stellte, wohin er das Gepäckstück bringen solle.

Der junge Mann sah den Fragenden verdutzt an: »Welchen Koffer?« fragte er.

»Diesen hier!« gab der Mann zurück.

»Es ist nicht der meine, ich weiß nicht, was Sie wollen!«

Der Kofferträger wollte eben etwas erwidern, als plötzlich ein Herr an ihn herantrat und mit scharfer Stimme fragte: »Nun, wohin? – Ich sagte Ihnen doch, daß ich im Hamburger Hof absteige!«

Der Fremde warf dabei einen raschen Blick auf den jungen Mann und fuhr beinahe betroffen zurück.

»Teufel!« sagte er dann, »der Mann hat uns verwechselt, und mir scheint, daß das allerdings nicht schwer ist. Oder finden Sie nicht, daß wir uns etwas ähnlich sehen?«

»Eine Ähnlichkeit scheint mir allerdings vorhanden!« antwortete der Angeredete, »sie kann aber nur zu Ihren Gunsten ausfallen, denn Sie sehen, offen gestanden, bedeutend besser aus!« Er lächelte etwas resigniert bei diesen Worten.

Der Letztgekommene lachte laut auf. »Das ist vielleicht nur äußerlich!« sagte er. »Uebrigens, meine Familie stammt aus Deutschland, vielleicht sind wir verwandt, ich heiße Wismar!«

»Mein Name ist Hiller!« antwortete der andere, den Hut lüftend; »zu meinem Bedauern muß ich gestehen, daß ich keinen Verwandten Ihres Namens habe!«

»Nun, nichts für ungut!« sagte Wismar, »es wäre ja ganz nett gewesen, wenn ich gleich bei meiner Ankunft einen Verwandten getroffen hätte. Die Hoffnung stand allerdings auf schwachen Füßen, denn soviel ich weiß, lebt kein Mitglied meiner Familie mehr in Deutschland, aber es wäre doch möglich gewesen. Verzeihen Sie!« Er griff nach Sitte der Amerikaner an den Hut und entfernte sich, in der Richtung, die er den Packträger hatte nehmen sehen.

Hiller blickte ihm finster nach.

Die Aehnlichkeit der beiden jungen Leute war allerdings auffallend. Beide mochten in demselben Alter, dem Ende der zwanziger stehen, ihre Figur war die gleiche, die Farbe, der Schnitt der Haare wie des Bartes war derselbe, ebenso Gang und Haltung. Sogar ihre Anzüge glichen sich, wer sie nicht sehr genau kannte, mußte sie unbedingt verwechseln. Nur ein Unterschied war zwischen beiden: während Wismar den Eindruck des reichen, vornehmen Mannes machte, erweckte Hiller den des armen Schluckers, dem es wohl vor Zeiten besser gegangen.

In der Zeit, in welcher Wismar mit raschem, elastischem Schritt dem Packträger folgte, stand Hiller noch immer, mit dem Rücken an dem Eisengeländer der Hafeneinfassung lehnend, da, und starrte dem Fortschreitenden nach. Zuweilen runzelte sich seine Stirn, zuckte es um seinen Mund, er schien mit einem Entschluß zu kämpfen. Plötzlich richtete er sich aus seiner lehnenden Stellung auf, schritt rasch über den Straßendamm und eilte dem beinahe im Gewühl verschwindenden Wismar nach.

Es dauerte eine Weile, ehe er ihn eingeholt, aber als er ihm schon ganz nahe war, mäßigte er seine Schritte wieder, ging eine Weile langsam hinter ihm her, that dann wieder einige rasche Schritte und zauderte von neuem. Endlich faßte er sich ein Herz, trat an seine Seite und nannte seinen Namen.

Der Angeredete zuckte zusammen, lächelte aber, als er Hiller sah, und nickte ihm freundlich zu.

Das gab dem ersteren Mut. »Herr Wismar!« sagte er, »verzeihen Sie mir, wenn ich auf die von Ihnen entdeckte Ähnlichkeit zwischen uns beiden zurückkomme, ich glaube, in einer Hinsicht gleichen wir uns gar nicht!«

»So, und in welcher nicht?« fragte Wismar.

Hiller errötete. »Ja, ich – ich habe nämlich Hunger,« stotterte er, »und Sie haben keinen.«

Wismar lachte. »Da täuschen Sie sich aber ganz gewaltig,« rief er, »ich habe dummerweise den Lunch übergangen und habe sogar gehörigen Appetit.«

»Ja,« fuhr Hiller, durch Wismars Lustigkeit kühner gemacht, fort, »Sie haben aber die Mittel, diesen Hunger zu stillen, und ich nicht.«

»O!« sagte Wismar, halb bedauernd, halb überrascht.

Er warf einen schnellen Blick auf seinen Begleiter, ihn vom Kopf bis zu den Füßen musternd. Es lag etwas Lauerndes, etwas Forschendes in diesem Blick, Hiller hatte das Gefühl, als ob der Reiche damit erkundigen wolle, wie weit er sich des Armen zu seinen Zwecken bedienen könne.

Um sich darüber Gewißheit zu verschaffen und zu erfahren, ob es nur ein Mißtrauen sei, was jenen Blick hervorgerufen, oder ob derselbe eine Prüfung seines Innern sein solle, sagte er demütig: »Es geht mir sehr schlecht. Sie sind gewiß nicht arm, ich will Sie nicht belästigen, aber es kann Ihnen wohl auf eine Kleinigkeit nicht ankommen, sonst sagen Sie ›nein‹, und ich bitte Sie dann nur noch, zu vergessen, daß mich die Not zum Bettler erniedrigte!«

»Aber ich bitte!« wehrte Wismar ab, »ich werde doch ›meinesgleichen‹ nicht so unbarmherzig behandeln. Sie haben Hunger, ich auch, gut, essen wir, und seien Sie mein Gast!«

»Sehr freundlich!« sagte Hiller.

Beide traten in eine Restauration. Nachdem das Frühstück vorüber war, wischte sich Hiller den Mund. »Teufel!« sagte er, »man ist doch ein ganz anderer Mensch, wenn man gut gegessen hat! Finden Sie nicht?«

Wismar antwortete nicht, er blickte in den deckenhohen Spiegel, vor welchem beide zufällig Platz genommen, und sagte:

»Sehen Sie einmal, wir sehen uns doch eigentlich zum Verwechseln ähnlich!«

»Hm!« machte Hiller, der eben dabei war, sich eine Cigarre anzuzünden.

»Ich möchte wissen, ob sich die Aehnlichkeit auch auf andere Dinge erstreckt. Haben Sie nicht etwas von Ihrer Hand Geschriebenes hier?«

Hiller suchte in seinen Taschen und zog einen Zettel hervor, den er Wismar reichte.

»Nicht unähnlich!« sagte dieser, und fuhr dann plötzlich, einen neuen Gedanken fassend, fort: »Sprechen Sie englisch?«

»Ziemlich fertig!« entgegnete Hiller.

Wismar lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah seine Stiefelspitzen an. »Es könnte gehen!« flüsterte er mehr für sich.

»Was?« fragte Hiller.

»Nichts!« antwortete der Gefragte. Er machte eine Pause und fragte dann: »Trinken wir Sekt? Ich bin gewohnt, zum Frühstück ein Glas Sekt zu trinken!«

»Ich zwar nicht!« versetzte Hiller lachend, »aber ich trinke schon mit!«

»Nehmen wir Pommery, oder trinken Sie Mumm lieber?«

»Ganz gleich!« sagte Hiller, der den Unterschied nicht kannte.

Der Wein kam. Nachdem beide das erste Glas getrunken, füllte Wismar die Kelche von neuem. Dann seinen Stuhl näher zum Tisch heranrückend, fragte er leise: »Also es geht Ihnen nicht gut!«

»Leider!« gab der Gefragte zur Antwort.

»Keine Stellung? was?«

Hiller nickte und trank sein Glas leer.

Wismar füllte es wieder. »Sie sind Kaufmann?«

»Ja, ich habe in einem Rohtabakgeschäft gelernt!«

»Bravo! mein Vater ist Besitzer von großen Tabakplantagen.«

»Warum sagen Sie ›bravo‹?« fragte Hiller.

Wismar schwieg verlegen. »Ich dachte, ich könnte Ihnen vielleicht eine Stellung besorgen!« bemerkte er dann.

»Sehr gütig!«

»Aber wie kommt es, daß Sie außer Stellung sind?«

»Ich habe Pech gehabt!«

»Nur Pech?« Wismar sah dem ihm Gegenübersitzenden scharf ins Auge. Hiller errötete.

»Wie meinen Sie das?« stotterte er.

»O, es war eine ganz zufällige Bemerkung. Und was denken Sie nun zu thun?«

»Ich möchte gern nach Amerika!«

»Und es fehlt Ihnen an Reisegeld?« ergänzte Wismar.

»Leider ja!«

»Nun, wenn es nur das ist, dazu kann Rat werden. Ich kenne manchen Kapitän, vielleicht kann ich Ihnen freie Ueberfahrt verschaffen. Vielleicht,« fuhr er langsamer fort, »könnte ich mich auch dazu verstehen, die Ueberfahrt für Sie zu bezahlen, denn es macht mir Freude, meinem Doppelgänger zu helfen. – Es würde mich übrigens interessieren, etwas aus Ihrem Leben zu erfahren,« setzte er nach einer kleinen Pause hinzu.

Hiller sah ihn nachdenklich an.

»Mein Leben, aus meinem Leben wollen Sie etwas erfahren? Mein Gott, da ist wenig Interessantes zu finden!«

Er trank einen kleinen Schluck, stellte das Glas wieder hin und es am Stiel hin und herdrehend, blickte er gedankenvoll vor sich hin.

»Mein Vater,« sagte er endlich, »war Lehrer, er starb, als ich noch nicht das zehnte Jahr erreicht hatte, und ließ meine Mutter in den kümmerlichsten Verhältnissen zurück. Da haben Sie meine Geschichte: eine durch die Entbehrungen der Not verkümmerte Jugend, der Schüler mit halbem Schulgeld auf dem Gymnasium, der stets hinter den andern zurückstand, der Lehrling im Geschäft, der das vom Chef ihm bewilligte Taschengeld zu Hause abliefern mußte – mußte, wollte er anders etwas zu essen haben, der Kommis, der seinen Gehalt dazu zu verwenden verpflichtet war, die Schulden seines Vaters zu bezahlen, statt wie andere junge Leute sich des Lebens zu freuen, bis ich's satt bekam und ein Ende machte. Vielleicht, daß es mir drüben besser glückt, ich habe in einem Rohtabakgeschäft gelernt und konditioniert, ich denke doch, daß ich bald eine Stelle finden werde.«

Wismar zuckte die Achseln. »Das Angebot ist jetzt ein großes!« sagte er, »Sie haben einen schlimmen Fehler begangen, daß Sie sich nicht nach einem Platz umsahen, als Sie noch in Stellung waren. Oder, sind Sie so plötzlich aus Ihrer Stellung geschieden, daß Sie dazu keine Zeit hatten?«

Da Hiller schwieg, fuhr er fort: »Jedenfalls hängen noch andere Umstände, die Sie verschweigen müssen oder wollen, mit diesem plötzlichen Entschluß zusammen!« Er sagte das in festem, beinahe rauhem Tone, als wolle er Hiller einschüchtern, was ihm auch zu gelingen schien, denn der blickte verlegen zu Boden und stammelte: »Wieso? was wollen Sie damit sagen?«

»Nun,« erwiderte der Gefragte, »ich habe Ihnen ja meine Gründe bereits auseinandergesetzt. – Ja,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »wenn ich Ihnen helfen soll, verlange ich vor allen Dingen eins, nämlich Wahrheit!«

Der prätentiöse Ton, in dem diese Worte gesprochen waren, sollte Hiller noch mehr einschüchtern, verfehlte aber hierin vollständig seine Wirkung, ja, er brachte Hiller erst zur Besinnung. Der Mann, dachte er, will ein Geständnis, das Geständnis eines Vergehens oder Verbrechens, es liegt ihm daran, zu erfahren, daß es mit deiner Redlichkeit nicht gar zu weit her sei, er hörte gern, daß du eine Schuld auf deinem Gewissen hättest, um zu erfahren, wie weit er in dieser Beziehung auf dich rechnen kann. Was kann es mir schaden, wenn ich mich ihm anvertraue?

Er nahm daher eine sehr zerknirschte Miene an und sagte leise: »Was würde es mir helfen, Sie zu täuschen, da Sie mich ja doch schon durchschaut, ja, Sie haben recht! Der Entschluß, auszuwandern, ist kein freiwilliger, ich bin gezwungen, Europa zu verlassen. In einer schwachen Stunde habe ich, mit klaren Worten gesagt, meinen Prinzipal bestohlen und wurde infolgedessen aus dem Geschäft entlassen! So! nun wissen Sie, warum ich auf gut Glück nach Amerika will, und werden sich auch erklären können, warum ich kein Reisegeld habe.«

Wismar hatte aufmerksam zugehört.

»Gut,« sagte er, »so lobe ich es mir, immer hübsch klar sehen gegenseitig. Ueber Ihre That oder Ihr Vergehen kann ich kein Urteil fällen, da ich die Beweggründe nicht kenne, die Sie dazu getrieben, das geht mich übrigens auch gar nichts an, aber Sie haben mir Ihre Lebensschicksale mitgeteilt; es gehört sich, daß ich Ihnen auch die meinigen nicht vorenthalte. Ich bin der Sohn eines sehr reichen Kaufmanns in Westindien. Wismar u. Co. ist die Firma meines Vaters. Branche Baumwolle und Rohtabak, jährlicher Umsatz etwa zehn Millionen Dollars, nicht Mark. Mein Vater ist ein geborener Deutscher und war lange Zeit mit einem, jetzt in Kassel lebenden Fabrikanten irgendwo bei irgendwelchem deutschen Pfefferkrämer zusammen als Handlungsgehilfe, wie man hier sagt, thätig. Beide schlossen Freundschaft, eine Freundschaft, die jede Trennung überdauerte, jede Entfernung überbrückte und die so weit ging, daß sie ihr sogar das Glück ihrer Kinder zum Opfer brachten. Ohne Zweifel in der Absicht, etwas ungeheuer Weises zu thun, schlossen sie nämlich, bei der letzten Anwesenheit meines Vaters in Deutschland, vor etwa fünfzehn Jahren, einen Vertrag, daß ihre Kinder sich heiraten sollten. Sei es nun, um den Kontrakt bindender zu machen, sei es, daß sich in Geldsachen beide nicht recht trauten oder aus bloßer kaufmännischer Gewohnheit, kurz sie setzten die Bedingung in den Vertrag, daß derjenige, welcher zurücktreten wolle, dem andern ein Reugeld von hunderttausend Thalern, nicht Mark, sondern Thalern! zu zahlen habe. Ich habe Ulmann, so heißt der Freund meines Vaters, im Verdacht, diesen Plan ersonnen zu haben, denn er ist der minder Vermögende, er ist nach deutschen Begriffen wohl ein reicher Mann, aber nach amerikanischen kaum wohlhabend zu nennen!«

»Wenn aber Ihr Vater so reich ist, und Sie, wie mir scheint, so sehr gegen diese Heirat sind, so veranlassen Sie doch Ihren Herrn Vater, das Reugeld zu zahlen; das Glück seines Sohnes wird ihm die Summe wohl nicht zu hoch erscheinen lassen!« bemerkte Hiller.

»Wo denken Sie hin!« entgegnete Wismar, »mein Vater ist, trotzdem er sein halbes Leben in Amerika verbracht, der echte deutsche Idealist geblieben. Nicht um das Geld handelt es sich bei ihm, sein Wort ist ihm heilig! Was habe ich nicht gethan, um ihn umzustimmen, Bitten, Drohungen, alles umsonst, er besteht auf seinem Willen und hat gedroht, seine Hand gänzlich von mir abzuziehen, ja mich zu enterben, wenn ich nicht gehorche. Leider hänge ich ganz von ihm ab; wohl oder übel, ich werde mich fügen müssen.«

»Haben Sie die Ihnen zugedachte Braut schon gesehen?« fragte Hiller.

»Nur im Bilde,« entgegnete der andere finster. »Hier!« er zog eine Brieftasche, nahm eine Photographie aus derselben und reichte sie Hiller.

»Ah!« rief dieser überrascht, »ein reizendes Gesicht! Warum wollen Sie denn das Mädchen nicht heiraten, sie ist ja wunderhübsch!«

Wismar zuckte die Achseln. »Ich mag nicht; ich kann nicht!« stieß er hervor, weil er stockte.

»Sind Sie in eine andere verliebt?«

»Schlimmer, viel schlimmer!«

»Verheiratet?« platzte Hiller heraus!

»Ja!« entgegnete Wismar finster, »ich bin verheiratet, heimlich, mein Vater ahnt nichts, und nach den letzten Erfahrungen, die ich gemacht, würde er es mir nie vergeben, seinen Plan durch meine Heirat durchkreuzt zu haben!«

»Ver…!« sagte Hiller, »das ist eine verzweifelte Situation.«

»Verzweifelt, ja, das ist das richtige Wort, und das Schlimmste ist, daß ich meine Frau liebe und sie mich!«

»Ja wie ist da zu helfen?« sagte Hiller.

»Ich weiß nicht, gar nicht, eine Kugel vor den Kopf, das wäre das einfachste!« versetzte Wismar. »Kellner, zum Donnerwetter, sehen Sie denn nicht, daß die Flasche leer ist? eine neue!«

Hiller sah schweigend vor sich nieder.

»Es gäbe schon ein Mittel,« sagte der Amerikaner, »es ist zuletzt das Einzige, was mir übrig bleibt.«

»Hinfahren und die Wahrheit sagen!« unterbrach ihn Hiller.

»Unsinn, das wäre dem alten Fuchs, dem Ulmann, gerade recht. Glauben Sie, daß er sich die hunderttausend Thaler entgehen ließe?«

»So fahren Sie hin und zeigen Sie sich so unliebenswürdig, daß Ulmann zurücktritt!«

»Da könnte ich ihn wohl treten und schlagen, ehe er sich dazu verstände,« sagte Wismar und fügte verächtlich hinzu: »Und um Geld lassen sich diese Deutschen selbst treten und schlagen! Nein,« fuhr er fort, »ich wüßte schon ein Mittel, aber ich könnte es allein nicht ausführen. Wenn zum Beispiel – – aber das ist ja alles Unsinn,« unterbrach er sich und blickte schweigend zu Boden.

»Wenn also zum Beispiel?« wiederholte Hiller.

»Ja,« fuhr der Amerikaner fort. »Wenn zum Beispiel jemand mit meinen Papieren ausgerüstet dahinführe, sich als der erwartete Bräutigam legitimierte, das Mädchen heiratete und dann einige Wochen nach der Hochzeit spurlos verschwände; acht Tage vor meinem Eintreffen, dann – aber Sie rauchen ja nicht!« unterbrach er sich von neuem – »bitte!« – damit präsentierte er dem Zuhörenden seine Cigarrentasche und stürzte, nachdem dieser sich bedient, den Inhalt seines Glases hastig hinunter. »Ach richtig!« fuhr er dann nachlässig fort, als erinnere er sich plötzlich, »ich habe ja versprochen, Ihnen die Ueberfahrt zu bezahlen!« er griff bei diesen Worten in die Brusttasche, zog einen Hundertdollarschein heraus und legte die Banknote auf den Tisch.

Hiller ergriff den Schein, knitterte ihn zusammen und steckte ihn, ohne ein Wort zu sagen, in die Westentasche.

»Nun, und das Mittel?« sagte er dann, »Sie haben Ihre Erzählung nicht beendet!«

»Was denn? ach das Mittel!« rief Wismar, »aber das war ja nur Scherz – Unsinn! – allein fein ausgedacht! was?« Er lachte heiser und gezwungen.

Hiller lachte ebenfalls, aber beide vermieden es, sich gegenseitig anzusehen.

»Ist es auch Unsinn, hat es doch Methode!« bemerkte Hiller nach einer kleinen Pause. »Wahrhaftig, der Plan ist fein ausgedacht, Sie meinen also, ich – natürlich immer nur im Scherz – weil ich Ihnen so ähnlich sehe, führe jetzt nach Kassel, legitimierte mich dort mit Ihren Papieren, heiratete die Ihnen bestimmte Braut und verschwände vier Wochen nach der Hochzeit. Um der Sache einen besseren Hintergrund zu geben und zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit stände mir frei, die Kasse meines Schwiegervaters mitzunehmen. Vierzehn Tage nach meinem Verschwinden erschienen Sie, erzählten irgend eine glaubwürdige Geschichte, wie Sie durch einen unglücklichen Zufall verhindert worden seien früher zu kommen, daß man Ihnen Koffer und Papiere geraubt habe und daß sie fürchteten, man könne die letzteren zu betrügerischen Zwecken benutzen. Und kaum haben Sie den Verdacht ausgesprochen, so finden Sie ihn auch schon bestätigt, Sie erfahren mit Entsetzen, daß der Dieb sich nicht begnügt, Sie zu berauben, sondern daß der Elende sich Ihrer Papiere bedient, um Ihre Braut zu heiraten und zwar nur um die Kasse Ihres Schwiegervaters bequemer berauben zu können. Mit Thränen in den Augen bedauern Sie die Unglücklichen und fahren, entsetzt über die Schlechtigkeit der Europäer, nach Amerika in die Arme Ihrer geliebten Gattin zurück. Ihr Vater kann nun nimmermehr verlangen, daß Sie die geschiedene Frau des Verbrechers ehelichen! So war doch Ihr Plan? –«

»Ganz so!« sagte der Amerikaner lachend, aber seine Hand zitterte merklich, als er das Glas zum Munde führte.

»Und was würden Sie für die Ausführung dieses Schurkenstreiches zahlen?« fragte Hiller mit halber Stimme und einem lauernden Blick. »Ich frage natürlich spaßeshalber!« fügte er hinzu.

»Fünfundzwanzigtausend Dollar!« erwiderte Wismar.

»Im Ernst?« fragte Hiller plötzlich, mit leiser aber fester Stimme.

»Im Ernst!« antwortete der Gefragte ebenfalls leise. »Haben Sie den Mut, die That auszuführen?«

»Vielleicht!«

»Warum nur vielleicht? – Ist Ihnen die gebotene Summe zu niedrig?«

»Das nicht,« antwortete Hiller, »aber – –«

»Aber?« –

»Es kommt darauf an, ob Sie auf die Bedingungen eingehen, die ich stelle!«

»Nennen Sie dieselben!«

»Zuerst: welche Sicherheit bieten Sie, daß ich das Geld auch bekomme!«

»Sicherheit!« fuhr der Amerikaner auf, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!«

Hiller warf seinem Gegenüber nur einen lächelnden Blick zu.

Wismar biß sich auf die Lippen.

»Nun gut!« sagte er, »ich will das Geld bei einem Bankhause für Sie deponieren, genügt das?«

»Ja, für diesen Teil meiner Bedingungen!«

»Und was verlangen Sie noch?«

»Kellner!« rief Hiller, »Tinte, Feder und Papier!«

Der Kellner brachte das Gewünschte.

»Wollen Sie einen Kontrakt aufsetzen?« fragte Wismar ein wenig spöttisch.

»Sie werden gleich sehen, was ich will!« sagte Hiller und beugte sich über das Papier.

Er schrieb eine ziemliche Zeit und reichte dann dem Amerikaner das noch tintenfeuchte Papier.

Dieser nahm das Blatt und durchflog hastig den Inhalt desselben, seine Wangen wurden blaß, und noch ehe er zu Ende gelesen, rief er mit schreckenzitternder Stimme: »Sie haben den ganzen Plan zu Papier gebracht! Welche Unvorsichtigkeit! Bedenken Sie, wenn das Blatt in falsche Hände käme!«

»Das werde ich zu verhindern wissen,« entgegnete Hiller.

»Und was wollen Sie damit? was soll geschehen?« rief Wismar erregt.

»Nicht so laut!« mahnte Hiller. »Was damit geschehen soll?« fuhr er fort. »Wir beide werden dieses Blatt unterschreiben, wir beide werden es versiegelt einem Bankhause in Depot geben, unter der Bedingung, daß es nach zehn Jahren vernichtet werden soll, wenn wir beide es nicht zusammen zurückfordern!«

»Wahnsinn! Wahnsinn!« rief der Amerikaner, »und warum? zu welchem Zweck?«

»Zu welchem Zweck?« sagte Hiller; »ganz einfach zu meiner Sicherheit, um mich vor jedem Verrat Ihrerseits zu schützen! Ich bin einstweilen jeder Gefahr preisgegeben, ich fahre mit Ihren Effekten, unter Ihrem Namen nach Kassel, um einen unerhörten Betrug auszuüben. Wer garantiert mir denn, daß Sie nicht eines Tages dort erscheinen, sich als Betrogenen, mich als Betrüger hinstellen? Sie würden dadurch nur gerechtfertigter dastehen, denn kein Mensch würde mir glauben, daß wir unter einer Decke steckten!«

»Vor einer solchen Handlungsweise meinerseits schützt Sie schon der Umstand, daß ich verheiratet bin. Man würde bei dieser Sachlage sehr wohl an eine Verabredung glauben.«

»Was geschehen würde und wird, geht mich nichts an, berührt mich nicht,« entgegnete Hiller; »ich sichere mich davor, daß nichts geschehen kann. Wie will ich beweisen, daß Sie eine heimliche Ehe geschlossen haben? Besitze ich Ihren Trauschein? Kenne ich die Namen der Trauzeugen? Kenne ich den Ort oder die Behörde, in welchem und vor welcher Sie geheiratet? Sie leugnen die Thatsache einfach ab, mehr brauchen Sie gar nicht zu thun! Bedenken Sie, daß mir bei einer Entdeckung das Zuchthaus droht. Jetzt habe ich die Karten in der Hand, und es ist meine Pflicht, mich gegen falsches Spiel zu sichern, das ist nicht Mißtrauen gegen den Mitspielenden, sondern Spielregel!«

Er machte eine Pause, und da ihm während des Sprechens das Streichholz ausgegangen war, mit dem er seine Cigarre anzuzünden bereit gewesen, ergriff er ein anderes, steckte es an und setzte die Cigarre in Brand, dann blies er das Streichholz aus und sah, es in den Fingern drehend, noch eine Weile in die glühende Kohle.

Wismar blickte stumm zu Boden und gab keine Antwort.

Nachdem das Streichholz zu Asche verbrannt war und Hiller sah, daß sich der Amerikaner nicht zum Sprechen bequemte, tippte er ihn leise mit dem Finger auf die Hand.

Zusammenzuckend schaute Wismar auf.

»Nun?« machte Hiller.

Wismar zuckte, ohne Antwort zu geben, die Achseln.

Hiller zog die Brauen zusammen und schüttelte langsam den Kopf. »Sie wollen nicht?« sagte er; »mir auch recht! Aber Sie sind unklug! Sie können absolut nicht verlangen, daß ich ohne Sicherheit auf einen so gefährlichen Plan eingehe. Ich bin es ja überhaupt allein, der seine Haut zu Markte trägt, ich bin es, der das Verbrechen begehen und die Schuld auf sich nehmen muß, während auf Sie, den Gleichschuldigen, nicht die leiseste Spur eines Verdachtes fallen darf und fallen wird. Ich muß mich mit jedem mir zu Gebote stehenden Mittel dagegen schützen, daß meine Freiheit, solange ich noch in Europa bin, angegriffen werden kann, muß mich, nicht nur mit jedem Mittel, sondern auch gegen jeden Menschen schützen, gegen jeden, auch gegen Sie. Das können Sie mir nicht verdenken, würden Sie mir nicht verdenken können, wenn ich genau mit Ihnen bekannt wäre, wie viel weniger, da ich Sie so gut wie gar nicht kenne. – Gut, Sie wollen nicht! Wir haben also nur gescherzt. Hier ist Ihr Geld zurück, welches ich nicht mehr nehme, da Sie mir den Schein jedenfalls in der Hoffnung gaben, daß wir handelseins würden. Daß ich aus unserem Gespräch keinen Nutzen ziehen werde, brauche ich Ihnen nicht erst zu versichern, es liegt im beiderseitigen Interesse, verschwiegen zu sein. Das Frühstück jedoch werden Sie die Güte haben müssen zu bezahlen, da ich, wie ich Ihnen bereits eingestand, kein Geld bei mir habe. Nehmen Sie meinen besten Dank für Ihre freundliche Bewirtung!«

Er legte den Hundertdollarschein auf den Tisch, machte dem Amerikaner eine höfliche Verbeugung, die er mit einem verbindlichen Lächeln begleitete, und schritt, ohne sich umzusehen, dem Ausgang des Lokals zu.

Wismar hob heftig den Kopf und sah dem Davonschreitenden mit einem finstern Blick nach. Er schien zu erwarten, daß Hiller umkehren oder doch an der Thüre einen Blick rückwärts werfen werde; da dies aber nicht geschah und Hiller, ohne zu zögern, das Lokal verließ und die ins Freie führende Glasthür hinter sich schloß, stieß er einen Fluch zwischen den Zähnen hervor und sprang, wie um ihm zu folgen, vom Sitze auf, blieb aber stehen und klingelte heftig.

»Bitten Sie den Herrn, der eben hier mit mir zusammensaß, einen Augenblick zurückzukommen!« rief er dem herbeieilenden Kellner zu. Gehorsam verließ dieser das Lokal.

Wismar warf sich auf seinen Stuhl und schaute düster vor sich nieder. Schon nach kurzer Zeit kehrte Hiller in Begleitung des Kellners ins Lokal zurück.

Weder Wismar noch Hiller konnten sich eines Lächelns enthalten, als sich ihre Blicke begegneten. Das des Amerikaners fiel freilich etwas grämlich aus.

»Setzen Sie sich!« nahm Wismar zuerst das Wort, »und stecken Sie vor allem das Ding da ein!« er deutete auf die noch auf dem Tisch liegende Banknote. »Das Geld gehört unter allen Umständen Ihnen.«

Ohne zu zögern, steckte Hiller den Schein in die Tasche und setzte sich.

»Sie sind,« fuhr der Amerikaner fort, »wie mir scheint, ein schlauer Kopf und haben Energie. Das kann mir am Ende lieber sein und gewährt mir größere Sicherheit, als wenn Sie feig und dumm wären. Gut, ich gehe auf Ihre Bedingungen ein. Kommen Sie mit in mein Hotel, dort wollen wir die Sache ordnen.«

Er trank sein Glas aus, bezahlte die Zeche, und beide entfernten sich, um sich nach dem Hamburger Hof zu begeben, wo Wismar bereits von Kuxhafen aus zwei Zimmer telegraphisch bestellt hatte.

»Es wird nötig sein, daß wir uns im Hotel mit dem Vornamen anreden, damit die Kellner nicht herausbekommen, wer von uns Wismar ist,« sagte Hiller, als sie den Jungfernstieg entlang schritten. »Wie heißen Sie?«

»Benno!« antwortete der Amerikaner.

»Und ich heiße Ferdinand,« sagte Hiller.

Sie waren im Hotel angelangt und begaben sich auf Wismars Zimmer. Dort wurde der Kontrakt noch einmal aufgesetzt. Während Wismar schrieb, ging Hiller mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, und als der Amerikaner fertig war und beide den Kontrakt unterschrieben hatten, zog Hiller seinen Complicen in die von der Thür entfernteste Fensterecke.

»Also hören Sie meinen Plan; wenn Sie auf denselben eingehen, sind Sie außer aller Gefahr. Wir beide haben zusammen das Hotel betreten, niemand weiß, wer von uns Hiller und wer Wismar ist. Sie werden heute noch weggehen und nicht mehr zurückkommen; währenddessen bemächtige ich mich Ihrer Sachen, reise nach Kassel und heirate das Mädchen. Nach sechs Wochen erscheinen Sie …«

»Ja, aber ich kann doch nicht sechs Wochen einfach verschwinden,« unterbrach ihn Wismar, »wie soll ich denn meine lange Abwesenheit erklären? was soll ich denn sagen, wo ich war? man wird unser Spiel durchschauen! an diesem Umstand scheitert der ganze Plan!«

»Keineswegs!«

»Wissen Sie eine Ausrede?«

»Sie werden gar keine Ausrede brauchen!«

»Und was soll ich denn sagen?«

»Die Wahrheit!«

»Die Wahrheit?« Der Amerikaner lachte spöttisch auf. »Sind Sie wahnsinnig?«

»Durchaus nicht,« entgegnete Hiller, »es kommt doch nur darauf an, ob Sie die Wahrheit sagen dürfen!«

»Nun und …«

»Sie werden folgendes erzählen: Sie sind am heutigen Datum in Hamburg angekommen und haben durch Zufall auf der Straße einen Mann Namens Hiller kennen gelernt. Dieser Hiller, der Ihnen zum Verwechseln ähnlich sah, hat Sie um Empfehlungen für Amerika gebeten, und Sie sind mit ihm in Ihr Hotel gegangen, um die Empfehlungsbriefe zu schreiben. Nachdem dies geschehen, haben Sie sich mit diesem Hiller nach St. Pauli, in eines der Varietés begeben, um den Abend zu verbringen; dort seien Sie in Streit geraten, leider wäre es zu Thätlichkeiten gekommen und Sie hätten das Unglück gehabt, einem Schutzmann, der Sie zur Wache bringen wollte, einen Schlag zu versetzen. Auf der Wache haben Sie sich aus Furcht vor der Blamage geweigert, Ihren Namen zu nennen, und seien infolgedessen nicht in Freiheit gesetzt, sondern in Untersuchungshaft geführt worden. Ein Prozeß wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt sei gegen Sie anhängig gemacht worden, in welchem Sie zu einigen Wochen Gefängnis verurteilt worden sind. Ihren Namen haben Sie erst im letzten Augenblick durch ein Versehen genannt. Aus dem Gefängnis entlassen, seien Sie nach dem Hotel zurückgeeilt, um zu erfahren, daß jener Mann, mit dem Sie damals angekommen, sich Ihrer sämtlichen Effekten bemächtigt, die ihm anstandslos ausgehändigt worden seien, weil niemand im Hotel gewußt, wer von beiden der wahre Wismar wäre. Sie seien nun sofort nach Kassel gefahren, um dort mit Entsetzen zu erfahren, welchen Schurkenstreich jener Hiller ausgeführt.«

»Sehr gut,« sagte Wismar spöttisch. »Und wer wird mir das Märchen glauben?«

»Jeder,« antwortete Hiller, »weil es die Wahrheit ist.«

»Die Wahrheit?«

»Nun ja, die Wahrheit.«

»Ich soll mich einsperren lassen?«

»Giebt es etwas Praktischeres, können Sie ein schöneres Alibi ausdenken?«

»Ja, sagen Sie, sind Sie toll?«

»Ja, sagen Sie, sind Sie begriffstützig?« äffte ihm Hiller nach. »Sie sind im Begriff, ein Verbrechen zu begehen, das Sie, wird es entdeckt, unfehlbar auf Jahre ins Zuchthaus bringt. Sie können sich durch sechs Wochen Gefängnis dagegen sichern, und die Unbequemlichkeit dieses Umstandes hindert Sie, sich dieses unfehlbaren Mittels zu bedienen? Ihre ganze Zukunft, das Glück Ihrer Gattin steht auf dem Spiel, und Sie beben vor einer Unbequemlichkeit zurück? Gehen Sie, gehen Sie: mit kleinen Mitteln erreicht man nichts Großes!«

Wismar hatte dem Sprechenden finster zugehört. »Sie haben recht, leider recht; Ihr Plan ist meisterhaft. Ich war ein Dummkopf, ihn nicht sofort zu begreifen! Wohlan, ich füge mich Ihrer Vorschrift. Sie sind ein kluger Kopf!« fügte er, Hiller betrachtend, finster hinzu, »schade, daß so viel Intelligenz auf eine so schlechte Sache verwendet wird!«

Hiller lachte. »Mein Gott, was wollen Sie, die Sache ist für jenen Ulmann so gefährlich nicht, ich werde den Griff in seine Kasse so gelinde wie möglich einrichten, würde ihn ganz unterlassen, wenn ich nicht den Schein erwecken müßte, ich hätte den ganzen Betrug nur ausgeführt, um seine Kasse zu berauben. Und was die Tochter betrifft, mein Gott, die kann sich ja nach meinem Verschwinden von mir scheiden lassen, das passiert ja vielen Frauen, etwas Böses denke ich ihr nicht zuzufügen!« setzte er mit einem frivolen Lächeln hinzu, »und daß sie Sie nicht zum Manne bekommt, nun, mein Gott, das halte ich auch nicht für ein allzugroßes Unglück. Aber vorwärts, wir haben nur noch wenige Stunden und noch einige Formalitäten zu erledigen.«

Wismar gehorchte willig den Anordnungen des Ueberlegeneren. Beide fuhren zusammen nach einem Bankhause, wo sie den Schein, den sie vorher versiegelt hatten, deponierten. Darauf übergab Wismar Hiller die auf einen falschen Namen ausgestellte Anweisung auf Adelaide in der bedungenen Höhe. Beide begaben sich dann wieder ins Hotel zurück, wo sich Wismar bis zum Abend damit beschäftigte, seinen Lebenslauf und die Chronologie seiner Familie zu Papier zu bringen.

Es war ziemlich spät, als sich beide hinaus nach St. Pauli begaben. Sie traten in eine der vielen Singspielhallen und nahmen an einem dichtbesetzten Tische Platz. Hiller leitete den Feldzugsplan und Wismar führte aus, was ihm jener befahl.

»Sagen Sie ein paar freche Worte zu jenem Mädchen!« flüsterte Hiller.

Wismar that, wie ihm geheißen; das Mädchen, welches ebenfalls an dem Tische saß, gab eine grobe Antwort, die Wismar mit einer Unflätigkeit erwiderte. Einer der am Tisch sitzenden Herren mischte sich drein, es entstand ein Streit, der bald zu Thätlichkeiten ausartete.

Man griff Wismar von allen Seiten an, dieser setzte sich heftig zur Wehr. Das Publikum erhob sich, man rief Ruhe, die Kellner stürzten herbei, und im nächsten Augenblick befanden sich die Ruhestörer auf der Straße.

Hiller, der, sobald der Streit seinen Anfang nahm, sich zurückgezogen hatte, eilte ins Freie, und sah zu seiner Befriedigung, wie die im Lokal begonnene Schlägerei sich auf der Straße fortsetzte und wie von allen Seiten Schutzleute herbeieilten, die Raufer auseinanderzutreiben. Es gelang ihnen auch, die meisten zur Ruhe zu bringen, nur Wismar schlug wie ein Wütender um sich. Hiller sah noch, wie zwei Schutzleute denselben packten, um ihn nach der Wache zu bringen, sah, daß Wismar sich losriß und einem der Beamten mit dem Stock über den Kopf schlug, daß der Mann in die Knie sank und der Helm zu Boden rollte; dann verdeckte die das Schauspiel umdrängende Menge den Körper seines Komplizen, und er sah denselben erst auf der Freitreppe, die zu der Polizeiwache emporführt, wieder, wie er da, vorwärtsgestoßen, die Stufen emporstolperte und hinter der Thüre zum Nachtlokal verschwand.

»Der ist besorgt und aufgehoben!« murmelte er, setzte sich in eine Droschke und fuhr nach dem Hamburger Hof.

»Ich reise heute noch ab!« herrschte er den Portier an, »nach Hannover! Lassen Sie mein Gepäck auf die Bahn bringen, der Kellner soll die Rechnung ausschreiben. Nummer 17 und 18!« fügte er hinzu, als ihn der Portier etwas verlegen ansah.

Er nahm den Schlüssel und stieg nach Wismars Zimmer empor.

Die Koffer waren bereits gepackt. Wismar hatte ihm alle seine Habseligkeiten übergeben und nur etwa 1000 Dollar bares Geld und das behalten, was er am Leibe trug. Selbst alle Briefschaften hatte der Amerikaner ausliefern müssen, damit nichts seinen Namen verraten könne.

Niemand im Hotel hegte Mißtrauen, daß Hiller der echte Wismar sei, da keiner wissen konnte, wer von den beiden Herren, die stets zusammen kamen und zusammen gingen, der Amerikaner wäre. Für das Hotelpersonal war der zuletzt der Rechte, der bezahlte, und da Hiller die Rechnung verlangte, sah man ihn ohne weiteres für den dazu Berechtigten an. Auch hatte Hiller sich, bald nach seiner Ankunft im Hotel, einen von Wismars Anzügen angelegt. Die Sachen mußten also wohl sein Eigentum sein, da er über dieselben verfügte.

Seiner Abreise stellte sich deshalb nicht das geringste Hindernis entgegen, und nach kaum einer Stunde saß er in einem Coupé erster Klasse und erwartete das Abfahrtssignal des Zuges.

Das Herz klopfte ihm hörbar, als der schrille Pfiff der Lokomotive ertönte und der Zug sich langsam in Bewegung setzte; die ganze Schwere des Verbrechens, das er zu begehen beabsichtigte, drückte lastend auf seine Seele. Noch hatte er Zeit, umzukehren, noch war es ihm möglich, mit dem ihm übergebenen Geld das Weite zu suchen, es war immerhin weniger verbrecherisch, einen Schurken zu betrügen, als ehrliche Leute ins Unglück zu stürzen. Aber nur einen Augenblick dauerte die bessere Regung, dann wies er gewaltsam den Gedanken von sich.

»Nein!« rief er, »bin ich ein Schuft, so will ich wenigstens ein großer Schuft sein, keine Halbheit! Ich kann ein Vermögen gewinnen, mir eine Existenz gründen, mich mit einem kühnen Handstreich von aller Not befreien, vor aller Armut retten, der Armut, dem entsetzlichsten aller Uebel! Ich will, ich will! Und hüte sich jeder, der mir in den Weg tritt!«

Ein Gewitter zog auf, der Sturm trieb den Regen prasselnd gegen die Fensterscheiben des Wagens, grelle Blitze beleuchteten von Zeit zu Zeit die in tiefes Dunkel gehüllte Gegend, die der Zug wie eine feurige Schlange durchfuhr.

Hiller zog das Manuskript hervor, welches ihm Wismar gegeben, dasselbe enthielt alle Notizen über die Familie Wismars, welche ein zur Familie Gehöriger wissen mußte, und unter dem Rasseln des Zuges, in welches sich das Grollen des Donners mischte, versuchte er Zahlen und Daten seinem Gedächtnis einzuprägen, und wiederholte mechanisch fort und fort mit halber Stimme: »Mein Vater: Ernst Theodor Wismar, geboren am 10. Dezember 1839 zu Magdeburg, als Sohn eines Steuerbeamten. Meine Mutter, Marie Klementine Wismar geborene Gelzig. Geboren in Namslau in Schlesien, als Tochter eines Kaufmanns am 26. Mai 1850, gestorben am 17. März 1879 in Amerika. Mein Bruder, Ernst Theodor Wismar, geboren auf der Plantage meines Vaters am 16. November 1869.«

Und weiter las er, immer neue Namen und Zahlen des umfangreichen Schriftstücks, das er wieder von vorn durchlas, wenn er es beendet, bis ihm die Augen zufielen und er in die Kissen des Wagens zurücksank.

Noch immer prasselte der Regen gegen die Fenster, dröhnte der Donner durch das Rasseln des Zuges, leuchteten die Blitze unheilverkündend durch die Nacht, er aber lag und schlief und träumte von einer Villa in Australien am Ufer des Darling, wo er, bedient von schlanken, glutäugigen Mädchen, auf der Veranda lehnte und hinunterschaute auf den Fluß, wo buntbewimpelte Schiffe, die seinen Namen trugen, die Erträgnisse seiner Plantagen, zwischen palmenumrahmten Ufern, dem nahen Markte zuführten, träumte von Glück, Reichtum und Wohlleben, das er sich aufbauen wollte auf dem Schmerz eines getäuschten Vaters, auf dem Jammer und der Verzweiflung eines betrogenen Weibes.


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